Tochter der Tiefe - Preisaktion - A.L. Knorr - E-Book

Tochter der Tiefe - Preisaktion E-Book

A.L. Knorr

4,5

Beschreibung

Nach dem Wiedersehen mit Targas Freundinnen reisen Targa und Mira zurück nach Danzig. Vieles hat sich seit ihrem letzten Besuch verändert. Doch einige Dinge sind gleich geblieben. Der Ruf des Meeres zieht Mira weiter an sich. Mit jedem Tag geht es Mira schlechter, und schließlich kehrt sie ins Meer zurück. Targa ist außer sich vor Trauer. Denn gerade jetzt könnte sie den Rat und die Kraft ihrer Mutter gebrauchen. Targa und Mira sind nämlich nicht die einzigen Meerwesen in der Ostsee. Im Gegenteil. In den Tiefen des Meeres verbirgt sich eine ganze Welt. Eine Welt voller Geheimnisse. Und Bedrohungen.

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog
Hier geht es zu Band 11

TOCHTER DER TIEFE

Die Töchter der Elemente – Band 10

von A.L. Knorr

Impressum:

Titel: Tochter der Tiefe

Originaltitel: Sirens Course

Autor: A L. Knorr

Verlag: VVM

Cover: Damonza

Deutsche Erstveröffentlichung: Berlin 2022

Kapitel 1

Für Meerjungfrauen ist Fliegen die reinste Folter.

Das Beste, was wir während eines Fluges tun können, ist zu schlafen. Meine anfängliche Hoffnung, dass die Verwandlung in ein Element meine Probleme mit dem Fliegen lösen würde, löste sich kurz nach dem Start in nichts auf.

Mom hatte ja schon vermutet, dass Sirenen an das Meer gebunden sind, und zehn Kilometer über der Erdoberfläche waren wir einfach zu weit vom Wasser entfernt. Wenigstens hatte ich mir nie gewünscht, Astronautin zu werden - wahrscheinlich wäre ich ein paar Minuten nach dem Start meiner Rakete einfach gestorben.

Als der Flugbegleiter Mom und mich nach der Landung weckte, waren wir benommen und erschöpft. Aber wenigstens fühlten sich meine Knochen nicht mehr wie Blei an.

Wir taumelten aus dem Flugzeug, als seien wir betrunken, und wurden auf der schmalen Danziger Landebahn von einem Novak-Fahrer abgeholt. Er stellte sich vor, aber ich war so benommen, dass ich seinen Namen sofort wieder vergaß. Während der Fahrt zur Villa lehnten Mom und ich uns auf dem Rücksitz der Limousine aneinander, erleichtert, auf dem Boden zu sein, und todmüde, obwohl wir gerade mehrere Stunden lang bewusstlos gewesen waren. Ich schrieb meinem Schatz Antoni eine Nachricht, dass wir sicher gelandet waren, und er schickte mir ein Herz und ein „Wir sehen uns bald“ zurück.

Irgendwie schaffte es das freundliche Personal, uns und unser Gepäck ins Haus zu bringen, aber davon bekam ich beinahe nichts mehr mit.

Am nächsten Morgen wälzte ich mich im Bett auf die andere Seite, öffnete die Augen und brauchte volle fünfzehn Sekunden, um mich daran zu erinnern, wo ich war. Auf jeden Fall war ich nicht in derselben Suite wie bei unserem letzten Besuch in Danzig. Ich hob den Kopf, blinzelte wie eine Eule und betrachtete meine Umgebung, als sei ich durch ein Wurmloch in ein fremdes Universum gefallen.

Das Bett war riesig - die Matratze war zwei Meter breit, weich und duftete nach Lavendel. Die strahlend weißen Bezüge waren mit dem Novak-Logo bestickt. Die taubengrauen Zimmerwände mit weißer Zierleiste und weißer Vertäfelung sahen aus wie frisch gestrichen. Seite an Seite standen zwei mahagonifarbene Kommoden an der Wand. Vom Bett aus sah ich zwei offene Flügeltüren, die den Blick auf ein Wohnzimmer mit einer bequem aussehenden Sitzgruppe und einem großen Fernseher freigaben. Den Fernseher flankierten zwei gut gefüllte Bücherregale, und auf dem Wohnzimmertisch stand eine große Vase voller weißer Lilien. Ich schnupperte. Das war echter Lilienduft, keine Seidenblumen.

Ich schnappte mir mein Handy und schickte Antoni eine Nachricht: Wann kann ich dich sehen?

Gleich darauf erschreckte mich ein lautes Summen fast zu Tode. Ich warf die Bettdecke zurück, sprang aus dem Bett und suchte hektisch nach dem Ursprung dieses furchtbaren Geräusches. Endlich entdeckte ich ein Bedienfeld samt Lautsprecher neben der Eingangstür der Suite. Ich drückte auf den Knopf und das Summen hörte auf.

„Hallo? Hallo?“

„Miss MacAuley?“, fragte eine warme Frauenstimme mit dem starken polnischen Akzent, den ich inzwischen so sehr liebte.

„Ja, das bin ich.“

„Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.“

„Nein, ich war wach.“ Ich gähnte. „Gerade so.“

„Haben Sie gut geschlafen?“

„Ja, tatsächlich.“ Ich hatte die ganze Nacht durchgeschlafen, ohne Träume und ohne mich rastlos herumzuwerfen. Das war ein Segen, denn nach dem, was meiner Heimatstadt und einer meiner besten Freundinnen zugestoßen war, hatte ich einen ganzen Haufen Alpträume gehabt. „Ich fühle mich gut.“

„Großartig. Sie haben einen großen Tag vor sich, wissen Sie noch?“

„Entschuldigung, aber mit wem spreche ich?“ Das war mir peinlich. Wahrscheinlich hatte ich diese Person gestern bei unserer Ankunft getroffen, aber ich konnte mich nicht mehr an sie erinnern.

„Hier ist Marian Suhre, die Sekretärin von Frau Krulikoski.“ Wenigstens schien sie es mir nicht übel zu nehmen, sie klang professionell und freundlich.

An Marian erinnerte ich mich tatsächlich, weil wir per Email korrespondiert hatten, seit Mom und ich beschlossen hatten, nach Polen zurückzukehren. Den anderen Namen … hatte ich bestimmt schon einmal gehört, aber ich wusste nicht, wo oder wann. Krulikoski … irgendwoher kannte ich ihn ...

Marian schwieg und wartete offenbar darauf, dass ich mit ihrer Information etwas anfangen konnte. Also sagte ich nur vage: „Okay.“

„Es ist acht Uhr. In einer Stunde kommt der Wagen und bringt Sie ins Büro. Das Frühstück steht im Esszimmer bereit. Um neun Uhr treffe ich Sie und Mrs MacAuley in der Eingangshalle.“

„Sehr gut.“ Ich klang zuversichtlich, aber mein Magen verkrampfte sich. Wir waren so sehr mit unserem Umzug auf die andere Seite der Welt beschäftigt gewesen, dass ich die Emails mit der weiteren Planung weitgehend ignoriert hatte. „Ähm, Marian? Mrs Suhre?“

„Sie können mich gern Marian nennen, wenn Sie es möchten.“

„Danke, dann nennen Sie mich bitte Targa. Weiß meine Mutter - Sie können sie übrigens Mira nennen - weiß sie über das alles Bescheid?“

Darauf folgte eine lange Pause, in der sie sich wahrscheinlich fragte, warum ich ihre per Email geschickte sorgfältige und umfassende Planung nicht mit meiner Mutter besprochen hatte.

„Ich kümmere mich darum, dass sie es weiß.“

„Vielen Dank.“

„Kein Problem“, sagte sie. „Ich sehe Sie in einer Stunde.“

Ich legte meine Stirn an die Wand und verzog das Gesicht. Wahrscheinlich zweifelte Mrs Suhre gerade zum hundertsten Mal an Martinius’ Verstand. Warum hatte er seine Firma diesen beiden begriffsstutzigen Kanadierinnen überschrieben? Übelnehmen konnte ich es ihr nicht.

Eigentlich wollte ich jetzt meine Mutter suchen, um zu sehen, ob sie wach und wirklich auf dem Laufenden war, aber als ich die Tür öffnete und hinaus spähte, sah ich in beide Richtungen nur einen langen Flur mit Dutzenden von gleich aussehenden Türen. Ich hatte jetzt keine Zeit, um nach ihr zu suchen.

Unter der Dusche wachte ich dann endlich richtig auf, und meine Laune besserte sich erheblich. Antoni war irgendwo hier in der Nähe! Am liebsten hätte ich unter dem heißen Wasserstrahl vor Glück getanzt. Bei dem Gedanken, mich in seine Arme zu werfen und seinen großen, warmen Körper an meinem zu spüren, flatterte ein ganzer Schwarm von Schmetterlingen durch meinen Bauch. Ich bekam Gänsehaut vor Freude und Aufregung; nicht nur wegen Antoni, sondern wegen all der Veränderungen der letzten Zeit für mich … und Mom.

Sie musste nicht länger in einem Job arbeiten, den sie hasste, und sie hatte die Kontrolle über die Artefakte der Sybella. Ich konnte - viel früher als erwartet - mit dem Mann zusammen sein, in den ich mich erst vor ein paar Monaten Hals über Kopf verliebt hatte.

Rasch trocknete ich mich ab und fand einen Föhn in einem der Schränke in meinem großen Badezimmer. Ich föhnte meine Haare trocken und steckte sie zu einem Knoten am Hinterkopf hoch. Da ich nicht wusste, was für eine Art Büro mich erwartete, schminkte ich mich nur gerade so viel wie nötig. Würden diese Büros schmutzig und industriell sein oder schick und modern? Ich zog eine schwarze Jeanshose an und kombinierte sie mit einem grauen Top und einem kurzen schwarzen Jackettkleid. Das war das Beste, was ich zurzeit anzuziehen hatte - abgesehen von dem Kleid, das Antoni mir geschenkt hatte und das ich ganz sicher nicht zu diesem Anlass tragen würde -, und es musste reichen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel ergänzte ich mein Outfit um ein Paar kleine Ohrringe und war nun bereit, allem entgegenzutreten, vor allem Antoni. Ich schaute auf mein Handy. Er hatte noch nicht geantwortet; wahrscheinlich arbeitete er gerade.

Ich blickte in die strahlenden Augen der jungen Frau im Spiegel - das Haar hochgesteckt und zurückgebunden, als bräuchte sie nichts, hinter dem sie sich verstecken musste - und lächelte zuversichtlich. Dann schnappte ich mir meine kleine Handtasche und verließ meine Suite, um mich auf die Suche nach dem Speisesaal und meiner Mom zu machen. Gerade als ich die Tür ins Schloss gezogen hatte und mich fragte, ob ich eigentlich am Vortag einen Schlüssel bekommen hatte, tauchte sie neben mir auf. „Guten Morgen, Sonnenschein. Du siehst sehr hübsch aus.“

Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Du auch.“

Mom trug eine schwarze Hose, flache schwarze Schnürschuhe, die ich für sie ausgesucht hatte, eine blassgrüne Bluse und eine schwarze Strickjacke. Alles, was wir trugen, war neu. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und ihr Gesicht ungeschminkt.

„Wie hast du geschlafen?“, fragte ich.

„Wie ein toter Klotz.“ Sie hakte mich unter und steuerte mich in eine Richtung, die hoffentlich zu einer Treppe führte. Ich wusste nicht einmal, in welcher Etage wir uns befanden.

„Ich glaube, es heißt entweder ‚wie eine Tote’ oder ‚wie ein Klotz’.“

„Warum langweilst du mich mit Linguistik?“

„Nun ja, wie du weißt, bist du jetzt die Besitzerin einer Bergungsfirma, ganz zu schweigen einer schönen Sammlung vergammelter und aufgeweichter Dinge, die du aus der Sybella gerettet hast. Ich dachte mir, dass du vielleicht das Niveau anpassen möchtest.“

„Na toll“, stöhnte sie. „Erinnere mich doch nicht an sowas. Wir könnten jetzt gerade die Ägäis erkunden!“ Wir erreichten eine breite Treppe, die ich vage wiedererkannte, und begannen hinunterzusteigen. Mom warf mir einen Seitenblick zu. „Es ist noch nicht zu spät, deine Meinung zu ändern. Wir könnten heute noch vor dem Mittagessen barbusig und sorgenfrei sein.“

Ich erwiderte den Seitenblick halb belustigt und halb verärgert. Mom war wütend gewesen, als ich ihr gesagt hatte, dass ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens nicht daran interessiert war, mit ihr im Meer zu leben. Die Katastrophe in Saltford hatte ihren Zorn ein wenig abgeschwächt, und es war nicht schwer gewesen, sie zum Umzug zu überreden. Ich wusste, dass sie noch immer hoffte, dass ich meine Meinung änderte, aber wie konnte ich Martinius’ Verfügungen über sein Erbe ignorieren? Er hatte uns sein Haus, seine Firmen und alles andere hinterlassen, wofür er und frühere Generationen von Novaks so hart gearbeitet hatten. Das war eine gewaltige Verantwortung, die ich nicht einfach ablehnen konnte. Außerdem war ich verliebt. Ich hing sehr an Antoni und meinen Freundinnen. Auch sie konnte ich nicht im Stich lassen.

Der Speisesaal empfing uns mit dem Duft von frischgebackenem Brot, Würstchen und Eiern. Während wir unsere gierigen Mägen füllten, spekulierten wir darüber, wie der heutige Tag wohl verlaufen würde.

„Erinnerst du dich von unserem ersten Besuch an jemanden namens Krulikoski?“, fragte ich und spießte ein Stück Melone auf meine Gabel.

Mom nickte. „Die Dame mit der tiefen Stimme. Auf der Party.“

Das Bild der eleganten Frau in dem grauen Abendkleid kehrte in meine Erinnerung zurück. „Ach, natürlich! Die Finanzchefin, die Martinius uns auf der Bergungsabschlussparty der Sybella vorgestellt hat.“

„Mhm. Aber ich glaube, sie ist jetzt die Geschäftsführerin.“

Jetzt fiel es mir wieder ein. Bis zur Entscheidung, wer nach Martinius’ Tod die Aufgaben des Präsidenten und Geschäftsführers übernehmen würde, hatte der Vorstand Hanna Krulikoski mit Leitung des Unternehmens beauftragt. Wahrscheinlich hatte Marian die endgültige Entscheidung in einer ihrer Emails erwähnt, aber ich war zu abgelenkt gewesen, um es zur Kenntnis zu nehmen. Offenbar war ihre Position bestätigt worden.

Wo war Antoni in dieser Zeit der firmeninternen Veränderungen wohl gelandet? Hoffentlich hatte er seine Position verbessern können. Er war ehrgeizig und wirkte unglaublich fähig, aber was wusste ich schon darüber, welche Mitarbeiter ein Unternehmen dieser Größe suchte? Hoffentlich nahm mich irgendwann einmal ein freundlicher Novakmitarbeiter kurz beiseite und klärte mich über die großen Akteure auf. Mein Magen zog sich zusammen, und ich versuchte ihn mit einem Schluck Orangensaft zu beruhigen. Ich war jetzt die Eigentümerin von Novak, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, was die Belegschaft von mir erwartete. Würden sie mir feindselig gegenübertreten? Waren sie der Meinung, dass Martinius ein verrückter alter Mann gewesen war, der komplett den Verstand verloren hatte? Ich würde es bald herausfinden.

Als wir unser Frühstück beendeten, kam eine Frau in einer Hausangestelltenuniform herein und begann mit dem Abräumen. „Guten Morgen“, sagte sie freundlich. „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.“

„Guten Morgen, …“ Mom sah ein wenig gequält aus.

„Serafina.“ Die Frau lächelte. „Aber alle nennen mich Sera. Mein Mann Adalbert und ich sind Ihre Vollzeitmitarbeiter. Wenn Sie etwas benötigen, fragen Sie uns einfach.“

Wir bedankten uns und machten uns auf den Weg ins Foyer. Nach all den Spekulationen saß mir das Frühstück nicht besonders gut im Magen, und ich legte eine Hand auf meinen Bauch. Mir war ein wenig übel. Ich war in der Lage, eine Flutwelle aufzuhalten, aber bei dem Gedanken, vor meine „Angestellten” zu treten, ging mein Gehirn schlicht aus.

In der Eingangshalle stand eine Frau in einem Hosenanzug und einer maßgeschneiderten Jacke, hielt eine Mappe in der Hand und unterhielt sich in gedämpftem Ton mit einem Mann in einer Chauffeuruniform. Als sie uns herankommen sah, hellte sich ihre Miene auf.

„Hier sind sie!“ Sie hatte Lachfältchen um die Augen, und ich mochte sie auf Anhieb. „Sind Sie bereit, Ihre Mitarbeiter zu treffen und Ihre Büros zu besichtigen?“

Mom und ich wechselten einen Blick, und sie neigten den Kopf in meine Richtung. „Das ist dein Rodeo, mein Schatz. Ich bin nur Zaungast.“

Ich räusperte mich. „So bereit, wie wir es nur sein können.“

„Großartig.“ Marian drehte sich zu dem Mann um, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und einem entspannten Lächeln neben ihr stand. „Das ist Adam Krulikoski. Sie erinnern sich bestimmt noch von gestern an ihn.“

Wahrscheinlich hatten wir ihn am Flughafen getroffen. Wir lächelten höflich.

„Hallo … nochmal“, sagte ich unbeholfen.

Er streckte die Hand aus und gab sie uns. „Wann immer Sie irgendwo sein müssen, jederzeit, Tag oder Nacht, bin ich der Mann für Sie.“

„Das ist sehr nett”, antwortete ich. „Aber wir haben beide den Führerschein, und zum Glück fahren Sie auf derselben Straßenseite wie wir in Kanada. Sobald wir uns eingerichtet haben, kümmern wir uns um unsere eigenen Autos. Ich bin nicht sicher, ob wir einen Fahrer brauchen.“

„Mr. Novak ist ab und zu gerne selbst gefahren“, sagte Adam prompt. „Er hat eine Sammlung von Fahrzeugen in der Garage. Suchen Sie sich einfach welche aus. Sie gehören jetzt Ihnen.“

Mom und ich schauten einander wieder an, und sie murmelte: „Ich weiß nicht, warum wir uns noch nicht daran gewöhnt haben. Privatjet, persönlicher Fahrer, Villa am Strand. Warum nicht auch ein ganzer Fuhrpark?“

„Er hat einen 1969 Ford Mustang Shelby.“ Adam grinste breit. „Vielleicht kann ich Sie mal damit herumfahren?“

Marian warf ihm einen warnenden Blick zu, und er schaute sofort wieder höflich und gemäßigt drein.

„Klar, das wäre lustig”, sagte ich, und er grinste wieder. „Ich weiß nicht, was ein Shelby ist, aber Ford ist eine amerikanische Marke. Wahrscheinlich war es sehr teuer, so einen Wagen nach Europa zu bringen.“

„Wahrscheinlich”, stimmte Adam zu.

Er begleitete uns zu einer großen Limousine und öffnete die hintere Tür. Wir stiegen ein und entdeckten zwei lange Sitzbänke, zwischen denen auch eine Dänische Dogge genug Platz gefunden hätte, um sich hinzulegen. Marian stieg ebenfalls ein und setzte sich uns gegenüber. Mom blickte Adam an. „Also Ihr Name ist Krulikoski - sind Sie mit Hanna verwandt?“

Auf Adams Wangen erschienen zwei rosa Flecken, und Marian lächelte über Moms Neugier.

„Ja, Ma’am. Sie ist meine Mutter.“

„Cool. Aber nennen Sie mich doch Mira.“

„Ja, Ma’am. Ich meine, Mira.“

Er schloss die Tür, ging auf die Fahrerseite und stieg ein. Als das Auto sich von der Villa entfernte, schnallte Marian sich an und öffnete die Mappe, die sie auf ihren Schoß gelegt hatte.

„Ich dachte, wir könnten kurz die Tagesordnung durchgehen”, sagte sie. „Ich vermute, dass Sie so mit der Aufstellung Ihres Stundenplans und den Vorbereitungen für den Umzug beschäftigt waren, dass Sie nicht viel Zeit für meine Emails erübrigen konnten.“

Wahrscheinlich sah sie uns unsere Überraschung an. Es schien, als ob sie ganz genau gewusst hatte, in welcher Verfassung wir bei ihr ankommen würden.

„Sie versteht mich”, flüsterte ich in dramatischem Bühnenton; ich war dankbar und wollte, dass sie es auch wusste.

Marian gluckste. „Das ist mein Job.“

Die Limousine fuhr auf eine Autobahn, und wir näherten uns Danzig. In der Ferne sahen wir das Blau der Ostsee und die Türme und Hochhäuser der Stadt, die rasch größer wurden.

„Als erstes treffen Sie sich mit Mrs Krulikoski allein. Sie hat ein paar Dinge mit Ihnen zu besprechen und möchte Sie gerne kennenlernen. Anschließend müssen Sie ein paar Papiere unterschreiben.“ Sie schaute uns über den Rand ihrer Brillengläser an. „An so etwas werden Sie sich leider gewöhnen müssen, jedenfalls für den Anfang. Mrs Krulikoski wird Sie dann dem Vorstand vorstellen. Einigen Mitgliedern sind Sie schon bei Ihrem letzten Besuch kurz begegnet, aber es gibt auch neue Gesichter und Leute in neuen Positionen. Wir werden Sie da natürlich auf den neuesten Stand bringen.“

„Wird Antoni Baranek dort sein?“, fragte ich.

Marian lächelte. „Ah ja. Martinius hatte ihn ja bei Ihrem letzten Besuch gebeten, ein wenig auf Sie aufzupassen, nicht wahr? Während Ihre Mutter an der Bergung arbeitete?“

„Das stimmt.“ Ich biss mir auf die Zunge, um nicht herauszuposaunen, dass wir uns recht nahe gekommen waren, oder irgendeine andere viel zu persönliche Bemerkung zum besten zu geben.

„Ich nehme an, dass Sie beide sich angefreundet haben”, sagte Marian geschmeidig. „Es wird Sie freuen zu hören, dass Antoni befördert wurde. Er gehört jetzt zu unserem Team für Internationale Geschäftsentwicklung.“

„Das ist ja erfreulich für ihn”, sagte Mom, klopfte mir leicht auf die Schulter und zeigte nach draußen. Die Limousine hatte die Autobahn verlassen und reihte sich jetzt in den Verkehr auf historischen und malerischen Straßen ein. Während Adam den schweren Wagen über holpriges Kopfsteinpflaster steuerte, betrachtete ich die hohen, schmalen, in leuchtenden Farben gestrichenen Gebäude. „Ich dachte, die Büros wären am Hafen.“

Marian lächelte. „Ursprünglich befanden sie sich in der Nähe des Hafens, aber als das Unternehmen wuchs und weitere Büros in Europa eröffnete, wurde der Hauptsitz in die Innenstadt verlegt.“

Als wir uns einem roten Backsteingebäude näherten, neben dem ein Garagentor offen stand, wurde der Wagen langsamer. Das Firmenlogo - das mit der Meerjungfrau anstelle des alten Schiffes - war über dem Tor und der Eingangstür aufgemalt worden. Der rote Backstein passte zum Herrenhaus, und auch die weiße Umrandung der Fenster glich der Novakvilla.

Die Limousine fuhr eine kurze Rampe hinunter in die Dunkelheit eines kleinen Parkhauses. Adam stellte es auf einem als „reserviert” bezeichneten Platz ab, und wir lösten die Gurte.

„Sind alle bereit?“, fragte Marian mit einem Zwinkern. „Das ist ein großer Moment für uns und für Sie. Die Beziehung zwischen Ihnen und der Firma wird für den Rest Ihres Lebens bestehen bleiben, weil Sie die einzigen noch lebenden Novaks sind.“

Ich war nicht sicher, was ich darauf antworten sollte. Es hatte keinen Sinn, zu leugnen, dass wir Novaks waren. Das hatten wir versucht und waren trotzdem gezwungen gewesen, das Erbe anzunehmen. Wenn wir es abgelehnt hätten, wäre die gesamte Firma an die Regierung gegangen; alles, wofür Martinius und seine Vorfahren gearbeitet hatten. Martinius hätte in seinem Grab rotiert. Trotzdem fühlten Mom und ich uns unbehaglich, seit wir die Papiere unterschrieben hatten.

Ich streckte die Hand nach dem Türgriff aus, aber Adam war schneller, öffnete die Tür und half uns beim Aussteigen. Erst als wir auf den großen silbernen Aufzug zugingen, merkte ich, dass meine Mutter blass geworden war und aussah, als müsste sie sich gleich übergeben.

Kapitel 2

Sechs Etagen höher zückte Marian eine Schlüsselkarte und öffnete eine Tür mit der Aufschrift „NSB”. Ich stand neben Mom, die noch immer beunruhigend blass war, und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Sie brachte ein mattes Lächeln zustande, gerade genug, um zu sagen: Geht schon. Wahrscheinlich hatte die Aussicht, unser gesamtes restliches Leben mit dieser Firma verbringen zu müssen, ihr einen ziemlichen Schlag auf die Kiemen verpasst.

Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf viel natürliches Licht und ein völlig anderes Büro frei, als ich erwartet hatte. Überall waren Glaswände, weiße Farbe und Bereiche von unverputztem roten Backstein. An den Backsteinsäulen hingen Schwarzweißbilder vieler unterschiedlicher Schiffe. Manche der Fotos waren körnig und verfärbt und schienen Originalaufnahmen zu sein. Wahrscheinlich waren das Schiffe, die die Firma irgendwann in ihrer langen Geschichte besessen hatte.

Aus einer der Türen trat Mrs Krulikoski, eine elegante Silhouette vor dem Panorama der Stadt. Sie sah noch genauso aus wie bei der Party im Sommer, trug aber statt des langen Gewandes einen schlichten grauen Hosenanzug und eine weiße Bluse mit Rüschen am Hals. Ihr brünettes Haar hatte graue Strähnen, einen ganzen Schwung davon über der rechten Schläfe und war zu einem tiefen Dutt zurückgebunden. Jetzt aus der Nähe sah ich, dass sie älter war, als ich zuerst angenommen hatte.

„Willkommen.“ Sie gab erst mir die Hand, dann meiner Mutter. Ihre Stimme war unverändert tief und warm.

„Vielen Dank, Mrs Krulikoski”, sagte ich. „Es ist schön, Sie wiederzusehen.“

„Nennen Sie mich Hanna. Darf ich Sie beim Vornamen nennen? Martinius und ich haben das immer so gemacht. Wir sind hier gern informell.“

Wir stimmten zu und folgten ihr in ihr Büro. Marian schloss die Tür, und wir setzten uns auf die drei Stühle vor Hannas gläsernem Schreibtisch, während sie dahinter auf ihren Bürosessel Platz nahm.

„Wow”, hauchte Mom. Ich folgte ihrem Blick zu der einen Wand, die ganz aus Backstein bestand. Zwischen all den Bildern von Schiffen, Häfen und offiziell gekleideten Menschen war ein Bild von Hanna und Martinius, die einander die Hände schüttelten. Dann entdeckte ich zwei weitere Schwarzweißfotos, die mich aufschreckten.

„Sie haben Bilder von uns?“ Ich stand auf und schaute mir den Schnappschuss an, der Martinius und mich beim Abschied auf dem Flughafen zeigte. Er hielt meine Hand und lächelte, während der Wind mir die Haare aus dem Gesicht wehte. In meiner anderen Hand hielt ich den Briefumschlag, den er mir gerade gegeben hatte und der die übersetzten Auszüge aus dem Tagebuch seiner Vorfahrin enthielt. Diejenigen über Sybella und die Jahre bis zum Verschwinden des nach ihr benannten Schiffes.

Es war eine sehr emotionale Erfahrung für mich gewesen, Aleksandras Tagebuch zu lesen, und hatte dazu geführt, dass ich mich der Familie Novak näher fühlte. Zwar waren wir nicht blutsverwandt, aber die Tatsache, dass Sybella eine Meerjungfrau gewesen war, band mich und meine Mutter fest an die Familie. Die Novaks hatten Sirenenblut in sich, und nun hatten Mom und ich ihr Vermächtnis geerbt. Ich gebe zu, dass das eine gewisse poetische Gerechtigkeit hatte.

Unten auf dem Foto von Martinius und mir stand eine Zeile auf Polnisch und mein Name, geschrieben als „Targa MacAuley-Novak”. Ich deutete auf den polnischen Text. „Was heißt das?“

Hanna verschränkte ihre Finger und lächelte. „Da steht: Eine lang vermisste Tochter kommt nach Hause.“

Unvermittelt traten mir Tränen in die Augen, und ich wandte den Blick von Hanna ab. Ich hatte nicht erwartet, dass die neue Geschäftsführerin der Novaks wirklich an Martinius’ Geschichte glaubte, dass Mom und ich zur Familie gehörten, aber offenbar tat sie es.

Das zweite Foto war ebenfalls ein Schnappschuss und zeigte meine Mutter in ihrer Bergungsausrüstung, als sie an Deck des Bergungsschiffes Brygida mit den Tauchern sprach. Sie war in eine Unterhaltung mit Simon und Jozef vertieft, dem wettergegerbten, aber gutaussehenden Mann, von dem sie sich auf ganz untypische Weise so herzlich verabschiedet hatte. Sie hatten einander umarmt, was meine Mutter sonst nie tat, außer bei mir, meinen Freundinnen, ihrem Boss Phil und Antoni.

Sie hatte seither nicht mehr viel über Jozef gesprochen, aber die Verbindung zwischen den beiden hatte ich mir nicht nur eingebildet. Sie hatte zugegeben, dass sie etwas für ihn empfand, aber jede weitere Nachfrage abgeblockt. Ich warf ihr einen Blick zu und stellte erleichtert fest, dass ihr Gesicht wieder eine normale Farbe angenommen hatte. Sie schaute das Foto an, ihr Blick war verschlossen.

Unter diesem Foto standen das Datum, ein paar polnische Wörter und die Namen der drei. Die Wörter konnte ich so ungefähr mit „An Bord der Brygida” übersetzen. Der Name meiner Mutter war als „Mira MacAuley-Novak” angegeben, und dahinter stand „Simon Nichols” und „Jozef Drakeif”. Drakeif? Was war das denn für ein Name? Er klang jedenfalls nicht polnisch.

„Es muss ein ziemlicher Schock für Sie gewesen sein, von Ihrer wahren Herkunft zu erfahren”, sagte Hanna von ihrem Schreibtisch aus. „Für uns war es das.“

„Kann ich mir vorstellen”, murmelte Mom.

Ich kehrte zu meinem Stuhl zurück und setzte mich. „Was hat Martinius Ihnen über uns erzählt?“

„Nur, dass Sie seine einzigen lebenden Verwandten sind und von Sybellas Seite der Familie stammen, über die es so gut wie keine Aufzeichnungen gibt.“

„Sie hatten kein Problem, ihm zu glauben?“, fragte Mom.

Hannas dunkle Augenbrauen hoben sich ein wenig und zogen ihre glatte Stirn in Falten. Plötzlich lachte sie, als sei allein die Vorstellung, Martinius nicht zu glauben, völlig absurd. „Ich gehöre schon länger zu dieser Firma, als Sie auf der Welt sind”, sagte sie zu mir, „und Martinius und ich waren sogar noch länger befreundet. Auch ohne Beweise würde ich eher Martinius glauben als einer Gruppe von Leuten, die ich nicht kenne und die ein Motiv haben, etwas anderes glauben zu wollen.“

Mom und ich wechselten einen überraschten Blick, und ich konnte ihre Gedanken mühelos erraten. Wir hatten Skepsis und Widerstand erwartet, aber stattdessen wurden wir als Martinius’ rechtmäßige Erbinnen akzeptiert, obwohl wir keine erwiesene familiäre Verbindung hatten.

„Sollen wir mit der Tagesordnung fortfahren?“, schlug Marian vor.

„Ja.“ Hanna schaute mich an, und ich sah, dass ihre Augen das gleiche helle Taubengrau zeigten wie ihr Anzug. „Wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern ein wöchentliches Treffen zwischen Ihnen und mir und eins zwischen Ihnen und Marian vereinbaren. Sie und ich werden die wichtigen Informationen der Firma durchgehen, die Sie als Eigentümerin kennen müssen.“ Sie nickte zu Marian hin. „Marian wird Sie dann über die Geschichte und Hintergrund der Firma in Kenntnis setzen. Ich denke, Sie sollten die Geschichte der Novaks kennen, da Sie vielleicht eines Tages hier mitarbeiten möchten. Vielleicht würden Sie es auch interessant finden, die Aufgaben der Geschäftsführung zu übernehmen.“

„Das halte ich für unwahrscheinlich. Ich kann mir nicht vorstellen, hier einen besseren Job zu machen als Sie.“ Ich musste mir ein Lächeln verkneifen. Der Gedanke war einfach absurd. „Aber ich freue mich darauf, mich mit Ihnen beiden zu treffen. Ich möchte so viel wie möglich lernen.“

„Gut.“ Marian lächelte, und ein Grübchen erschien auf ihrer Wange. „Aber wir schließen keine Möglichkeit für die Zukunft aus. Einverstanden?“

„Einverstanden.“

„Haben Sie Ihren Stundenplan für die High School fertig? Ich habe gehört, dass Sie etwas später angefangen haben.“

„Ja, aber inzwischen läuft es ganz gut. Mit einem kleinen Aussetzer, als wir uns auf den Umzug hierher vorbereitet haben.“

„Ausgezeichnet. Über den Familienfond der Novaks müssen Sie mit unserem Anwalt sprechen, aber ich weiß, dass ein gewisser Betrag für ein Studium vorgesehen ist, falls Sie so etwas planen.“

Ich starrte sie an. Die Überraschungen nahmen kein Ende. „Wirklich?“ Beinahe hätte ich gefragt, ob dieses Geld ursprünglich für Martinius’ verstorbenen Sohn gedacht gewesen war, aber ich schluckte die Frage gerade noch herunter. Natürlich war es das.

„Ja, jede Universität, die Sie wollen. Haben Sie eine bestimmte Richtung im Sinn? Ein bestimmtes Studienfach?“

So weit hatte ich noch nie vorausgedacht und fühlte mich plötzlich sehr schlecht vorbereitet. Nicht nur auf dieses Treffen, sondern auf meine Zukunft.

„Ich bin nicht sicher”, sagte ich heiser. Mom legte ihre Hand auf meine Schulter.

Ich hatte überlegt, auf dir Dalhousie-Universität in Halifax zu gehen oder vielleicht auf ein College in der Nähe von Saltford, und vielleicht zuerst ein allgemeines geisteswissenschaftliches Studium beginnen würde, weil mir Mathematik und Wissenschaft nicht so lagen. Ich hatte immer Geschichte, Englisch, Geografie und Kunst bevorzugt. Aber jetzt konnte ich überall hingehen. Ich hatte gute Noten, und mit Akikos Hilfe hatte ich meine mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer auf eine Zwei hochgezogen und in allen anderen Fächern Einsen erhalten - in Sozialwissenschaften und Weltreligionen allerdings nur knapp.

Vielleicht verriet mein glasiger Blick, dass ich gerade in Panik geriet, denn Hanna sagte: „Sie müssen diese Entscheidung nicht jetzt treffen. Aber es wäre vielleicht gut, ein paar Optionen irgendwann in diesem Jahr mit einem Studienberater zu besprechen.“ Sie lehnte sich zurück und legte die Hände in den Schoß. „Ich habe kein Interesse daran, mich in Ihr Privatleben einzumischen”, sagte sie, „aber lassen Sie mich klarstellen, dass ich mich definitiv einmischen werde, falls ich Aktivitäten bemerke, die eine mögliche Gefahr für das Unternehmen werden könnten.“

„Was heißt das?“ Mom klang nicht ganz so beunruhigt, wie ich mich bei diesen Worten fühlte, aber sie war nahe dran.

Hannas Stimme wurde weicher. „Ich meine nur, dass dies eine heikle Zeit in der Geschichte der Firma ist, weil Sie die neue Eigentümerin sind und wir Sie sozusagen einarbeiten. Dieses Jahr wird sowohl für die Firma als auch für Sie beide entscheidend sein. Wir werden einige Zeit brauchen, um Sie kennenzulernen.“

Ich verstand noch immer nicht genau, wie sie das meinte, aber sie klang nicht bedrohlich, und da war etwas an ihr, das ich mochte und dem ich vertraute. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, nickte ich nur.

Wir sprachen über den Zeitplan und wählten einige Tage und Uhrzeiten aus, die für uns alle in Frage kamen, bevor wir uns mit dem Personal des Anwesens befassten.

„Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben, aber seit Martinius’ Tod haben wir das Personal des Anwesens reduziert, auch das Sicherheitspersonal am Eingangstor. Es wird jetzt über eine Fernbedienung gesteuert, die Adam Ihnen zukommen lassen wird.“

„Ja, ich hatte das Gefühl, dass es stiller ist als früher”, sagte Mom.

Hanna nickte. „Das ist es, aber jetzt sind Sie hier und können entscheiden, ob Sie einige Positionen wieder besetzen möchten.“

„Ich glaube nicht, dass wir in dem Haus Personal brauchen”, sagte ich unbedacht.

Es folgte ein Moment der Stille, als Hanna und Marian dies aufnahmen. „Bei allem Respekt - einige der Angestellten dienen Novak schon seit langer Zeit. Vielleicht erscheint es Ihnen altmodisch, aber die Villa hatte früher ein Dutzend fest angestellte Mitarbeiter, plus diverse Aushilfen, wenn wir viele Gäste hatten, wie zum Beispiel bei Ihrem Besuch mit den Bluejackets. Wir haben das Personal um die Hälfte reduziert, was bedeutet, dass diejenigen, die entlassen wurden, sich anderswo eine neue Arbeit suchen mussten. Sind Sie sicher, dass Sie das Kochen und die Wäsche selbst übernehmen wollen? Ganz zu schweigen von der Pflege der Gärten und des Hauses? Die Gärten sind sehr groß …“

„Schon gut.“ Mir wurde klar, welchen Fehler ich begangen hatte, und ich hob die Hand. „Wir sind es nur nicht gewöhnt, bedient zu werden oder in einem Haus dieser Größe zu wohnen. Wir werden gern das Personal behalten, das noch da ist.“

Sie nickte zufrieden. „Gut, denn Sie werden vermutlich feststellen, dass Sie mit der Schule, unseren wöchentlichen Treffen und den verschiedenen Veranstaltungen und Treffen im Laufe des Jahres ziemlich beschäftigt sein werden.“

„Noch mehr Treffen?“

„Ich denke, es wäre eine gute Idee, wenn Sie an unseren vierteljährlichen Vorstandssitzungen und unserer jährlichen Hauptversammlung teilnehmen würden. Sollten Sie irgendwann feststellen, dass Sie einfach kein Interesse an der Firma haben, können wir Sie als stille Teilhaberin einstufen.“ Sie breitete die Hände aus. „Ohne Verpflichtung.“ Ich nickte, obwohl ich mir noch über nichts sicher war.

Sie blickte mich ernst an, und ich glaubte eine Spur von Nostalgie in ihrem Blick zu erkennen. „Aber wenn Sie Ihren Vorfahren auch nur ein wenig ähnlich sind, werden Sie bis zum Hals mit drinstecken wollen. Die Novaks sind ein sehr ehrgeiziger Haufen.“

Um das Rampenlicht von mir abzulenken, fragte ich: „Was ist mit meiner Mutter?“ Ich war keine Novak, und Ehrgeiz gehört nicht zu meinen herausragenden Eigenschaften.

Hannas scharfer, intelligenter Blick richtete sich auf meine Mutter. „Ich habe gehört, dass Sie sich aus dem Bergungsgeschäft zurückziehen wollen. Stimmt das?“

„Es stimmt.“ Mom legte die Arme auf die Lehnen ihres Stuhls. „Ehrlich gesagt, ich bin ein bisschen ausgebrannt von der Branche.“

„Dann kann das Bergungsunternehmen so bleiben, wie es jetzt ist. Wir haben ein gutes Team, und die Firma läuft als eine unserer Tochtergesellschaften. Sollten Sie Ihre Meinung irgendwann wieder ändern und sich wieder beteiligen wollen, lassen Sie es mich einfach wissen.“

Mom nickte. „Das werde ich. In der Zwischenzeit helfe ich meiner Tochter bei der Umstellung auf das europäische Leben und dem letzten Jahr an der High School.“

Das schien Hanna zufrieden zu stellen, aber mein Mund fühlte sich an, als sei er voller Sägemehl. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Mutter für die Dauer ihres Salzzyklus’ ins Meer zurückkehrte, und was sollten wir den Leuten dann erzählen? Und viel wichtiger - wie sollte ich ohne sie zurechtkommen? Ich hoffte, dass ihr Abschied noch Jahre entfernt war.

Die restliche Sitzung verbrachten wir damit, Dokumente zu unterzeichnen und die Termine der Vorstandssitzungen in unsere Kalender einzutragen. Als das erledigt war, stützte Hanna die Hände auf den Tisch und stand auf. „Sehr gut. Sind Sie bereit, jetzt den Vorstand zu begrüßen?“

Wir nickten und standen auf, um Marian zu folgen. Sie streckte die Hand nach dem Türgriff aus, hielt inne und wandte sich an Mom. „Ich habe vergessen zu fragen - eins der Museen hier in Danzig wird von einem netten Mann namens Abraham Trusilo geleitet. Er bat um die Erlaubnis, die Artefakte aus der Sybella im Frühjahr auszustellen. Darf ich ihm sagen, dass er sie ausleihen kann?“

Mom blinzelte kurz, als hätte sie vergessen, dass die Artefakte ihr gehörten, aber dann nickte sie. „Natürlich. Bitte sagen Sie ihm, dass er es darf. Außerdem kann Targa ebenfalls alle Fragen zu den Artefakten beantworten; ich möchte, dass sie über sie verfügen kann.“

„Wunderbar.“ Marian kritzelte eine Notiz in ihre Mappe. „Ich schreibe mir das auf und vereinbare einen Termin, an dem sein Team die Stücke, die sie brauchen, aus der Villa abholen kann.“

Wir folgten ihr in die helle Halle und auf die andere Seite des Gebäudes. Hanna folgte uns. Marian öffnete die Tür zu einem Sitzungssaal, aus dem Stimmen zu hören waren. Hanna ging an uns vorbei und betrat den Raum. Wir folgten ihr, und als wir eintraten, brachen alle Gespräche schlagartig ab.

„Antoni!“, japste ich und konnte es nicht zurückhalten.

Er stand neben einer kleinen Kommode, auf der eine dampfende Kaffeemaschine und mehrere Tassen standen. Er hatte mit einem Kollegen gesprochen und drehte sich jetzt zu uns um. Seine Wangen röteten sich, und er hob die Kaffeetasse zum Gruß. „Hallo, Targa. Schön, dich wiederzusehen.“

Ich kämpfte gegen den Drang an, über den Konferenztisch zu springen, mich in seine Arme zu werfen und sein Gesicht mit Küssen zu bedecken. Nur sein distanzierter Ton und sein ausdrucksloser Blick hielten mich davon ab. Ich hatte vergessen, dass Antoni sehr darauf achtete, wie er von seinen Kollegen wahrgenommen wurde - natürlich wollte er mich nicht mit offenkundiger Zuneigung begrüßen. Wenn seine Kollegen wüssten, dass wir uns ineinander verliebt hatten, als er auf mich aufgepasst hatte, würden sie es missbilligen. Da ich nicht wollte, dass sie schlecht von ihm dachten, blieb ich, wo ich war, und murmelte: „Dich auch.“

Mom stieß mich leicht in die Seite und ich glaubte zu spüren, wie sie vor unterdrücktem Lachen zitterte.

„Einige von Ihnen werden sich an Mira und Targa MacAuley-Novak von dem Bergungsprojekt und der Party im Sommer erinnern”, sagte Hanna. „Und Sie alle wissen, dass sie den großen Umzug von Kanada hinter sich gebracht haben und nun hier in Danzig leben werden.“

Ich konnte meinen Blick kaum von Antoni losreißen. Erst als Hanna begann, uns mehrere Männer und Frauen vorzustellen, riss ich mich zusammen. Ich schüttelte fünf Hände, bevor Antoni an der Reihe war.

„Sie kennen einander natürlich schon”, sagte Hanna.

Antonis haselnussbraune Augen begegneten meinen, und ein Lächeln umspielte seinen schönen Mund, als wir uns die Hand gaben. Er war so schön und verführerisch, wie ich ihn in Erinnerung hatte, und meine Finger zitterten. Vor lauter Glück schlug mein Herz Purzelbäume in meiner Brust, und ich musste mich sehr beherrschen, um nicht über das ganze Gesicht zu grinsen.

„Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung.“

„Danke.“ Er ließ meine Hand los, und sie fühlte sich kalt und leer an „Wie lebst du dich?“

Ich merkte, dass alle im Raum uns beobachteten. „Toll, danke. Sehen wir einander später wieder?“

Ein Hauch von Farbe kehrte auf seine Wangen zurück. „Ich … ich bin sicher, dass wir uns wieder begegnen werden.“

Hanna stellte uns den restlichen Vorstandsmitgliedern vor, aber ich lauschte ständig mit halbem Ohr zu Antoni hin, der sich leise mit meiner Mom unterhielt, bevor sie zur nächsten Person weiterging.

Nach der Vorstellungsrunde entließ Hanna uns für diesen Tag. Sie blieb im Sitzungssaal, setzte sich ans Kopfende des Tisches und zog einen Ordner zu sich hin. Ich hatte gehofft, Antoni und ich könnten uns irgendwie hinausschleichen, um uns richtig zu begrüßen, aber er wurde in dieser Sitzung gebraucht.

Als Marian uns hinausführte, drehte ich mich noch einmal zu ihm um. Er blickte kurz auf, und unsere Blicke trafen sich.

„Ich vermisse dich”, formten meine Lippen.

Er schaute wieder nach unten, aber sein Lächeln hatte ich trotzdem gesehen.

Kapitel 3

Es klopfte an der Tür, als ich gerade das Kleid aufhängte, das Antoni mir geschenkt hatte. Es gehörte zu den wenigen Dingen, die während des Sturms nicht mit unserem Wohnwagen zerstört worden waren, weil ich es vorher zu Georjie gebracht hatte, die es bügeln wollte. In ihrem Haus war es der Zerstörung entgangen. Nach der langen Reise übers Meer hatte es jetzt zwar wieder ein paar Falten, aber wenigstens war es noch ganz.

Ich öffnete die Tür und sah mich Adalbert gegenüber, Seras Mann. Endlich jemand, dem ich nicht noch einmal vorgestellt werden musste.

„Hallo, Adalbert!“

„Es ist schön, Sie wiederzusehen, Targa. Willkommen zu Hause. Antoni Baranek wartet unten und möchte Sie gern sprechen. Entschuldigen Sie, dass ich nicht die Gegensprechanlage benutzt habe, aber ich war ohnehin auf dem Weg nach oben.“

Mein Herz machte einen Sprung. „Kein Problem. Vielen Dank!“

Ich lief die Treppe hinunter, und dort stand Antoni, noch im Anzug, im Foyer. Er breitete die Arme aus und ich flog hinein. Er küsste mich auf die Wange, hob mich hoch und drückte mich an seine Brust. Es war so schön, von ihm festgehalten zu werden, es fühlte sich an, wie nach Hause zu kommen.

Er stellte mich ab, nahm mein Gesicht in beiden Hände und küsste mich richtig, sanft und zärtlich. Als unsere Lippen sich wieder trennten, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Endlich mal eine anständige Begrüßung.“

„Endlich”, sagte er und küsste mich noch einmal. „Willkommen zu Hause. Ich weiß, es ist schon spät, aber ich wollte dich endlich sehen. Wir arbeiten im Moment sehr viel, weil das Geschäftsjahr abgeschlossen werden muss. Ich wünschte, ich hätte noch meine Suite hier, aber ich musste sie aufgeben, als ich meine neue Stellung bekam. Ich kann nicht bleiben, ich muss morgen früh raus.“

Ich verzog das Gesicht. „Das ist nicht dein Ernst.“ Sobald wir mehr Zeit für uns hatten, würde ich ihn überreden, wieder in die Villa einzuziehen.

Er grinste schief. „Tut mir leid. Wenn es dir passt, kann ich morgen Abend um neun kommen.“

„Neun?“ Ich unterdrückte den kindischen Drang, die Unterlippe vorzuschieben und zu schmollen. „So spät?“

„Vorher habe ich noch Eishockeyspiel.“

Meine Laune besserte sich sofort. „Ich könnte mitkommen, und danach gehen wir gemeinsam!“