Tochter des Meeres - Fantasy Bestseller - A.L. Knorr - E-Book
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Tochter des Meeres - Fantasy Bestseller E-Book

A.L. Knorr

5,0

Beschreibung

Die Töchter der Elemente - Die preisgekrönte Urban Fantasy Serie aus Kanada jetzt auf Deutsch! Tochter einer Meerjungfrau Targa kennt das Gefühl nichts Besonderes zu sein nur zu gut. Kein Wunder, denn ihre Mutter Mira ist nicht nur atemberaubend schön, sie ist magisch. Bei Kontakt mit Salzwasser verwandelt sich Mira in eine Meerjungfrau. Doch aus irgendeinem Grund hat Targa das Meerjungfrauen-Gen nicht geerbt und deswegen ist auch ihre Mutter an ein menschliches Dasein gekettet. Targa fürchtet, dass ihre Mutter sie eines Tages verlassen und einfach im Meer verschwinden wird. Aber als Targa in den Sommerferien ihre Mutter an die Ostsee begleitet, ist es ausgerechnet Targa, die im Meer verschwindet und dort eine einfache Wahrheit entdeckt. Sie ist die Tochter ihrer Mutter. Die Tochter des Meeres.

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Epilog
Nachwort des Verlags
Hier geht´s zu Band 2

TOCHTER DES MEERES

Die Töchter der Elemente – Band I

von A.L. Knorr

Impressum:

Titel: Tochter des Meeres

Originaltitel: Born of Water

Autor: Abby L. Knorr

Verlag: VVM

Cover: Damonza

Deutsche Erstveröffentlichung: Berlin 2020

Inhaltsverzeichni

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Epilog

Nachwort des Verlags

Hier geht´s zu Band 2

Prolog

„Das sind die Besten der Welt“, sagte Antoni und übergab Martinius eine Mappe mit Dokumenten. „Obwohl ich mir immer noch nicht sicher bin, warum Sie sich im Ausland umsehen. Wir können auch hier in Polen ein solides Taucherteam zusammenstellen.“

Martinius öffnete die Aktenmappe auf seinem hölzernen Schreibtisch. Es war derselbe Schreibtisch, den schon sein Vater und sein Großvater vor ihm benutzt hatten. „Es ist ganz einfach“, antwortete er. „Das ist nicht irgendein Auftrag. Wir brauchen die besten, die es gibt, ob Polnisch oder nicht.“

„Ich denke nur, sobald die Geschichte durch die Presse geht, könnte es dem Ansehen der Firma schaden, wenn Sie ein ausländisches Tauchteam engagiert haben anstatt ein lokales. Als traditionsreiches Unternehmen sollten wir vielleicht eine gewisse Art von Patriotismus ausstrahlen.“

„In allen anderen Fällen ja, aber nicht in diesem. Und die Presse wird ohnehin nicht viel berichten. Die Welt hat die Sybella längst vergessen. Wen wir für die Bergung engagieren, wird niemanden interessieren.“ Martinius nahm eine Drahtbrille aus seiner Hemdtasche und setzte sie sich auf die Nasenspitze. Seine Augen waren immer noch scharf, jedenfalls für einen Mann Ende siebzig, ein wenig Hilfe beim Lesen war alles, was er brauchte. „Danke, Antoni“, sagte er, um ihn zu verabschieden.

Sein junger Assistent nickte und verließ den Raum.

Martinius begann die Seiten in der Mappe durchzublättern. Eine heiße Tasse Darjeeling-Tee stand neben ihm. Das Sonnenlicht des frühen Morgens funkelte durch die Bäume und schwebte auf den Seiten. Als er seine dampfende Teetasse an die Lippen hob, fiel ihm ein Artikel mit einem Foto auf. Die Tasse erstarrte auf halbem Weg zu seinem Mund. Er setzte sie wieder ab, wobei er den Unterteller verfehlte und einen Wasserring auf dem antiken Holz hinterließ.

Martinius hielt die Seite hoch. „Das ist nicht möglich“, sagte er und betrachtete das Foto.

Kapitel 1

„Mom?“, nuschelte ich mit der Zahnbürste im Mund. Ich stand im Schlafanzug in unserem Wohnzimmer und schaute die Morgennachrichten. Neben dem stark geschminkten Gesicht der Reporterin wurde ein Foto von Filmstar Rachel Montgomery eingeblendet, die auf dem Deck einer Jacht feierte.

Ich hatte mich gerade für den letzten Tag des Schuljahres fertiggemacht, als die Worte „Sturm“, „Jacht“ und „Rettung“ aus dem Fernseher meine Aufmerksamkeit erregten.

Unter der Woche schalteten wir morgens immer die Nachrichten ein. Die meiste Zeit ignorierte ich sie, aber nicht, wenn so etwas berichtet wurde.

„Wir sind gleich zurück“, sagte die Reporterin, „mit mehr Einzelheiten über Miss Montgomerys aufsehenerregende Rettung direkt hier aus unserer Teufelsaugenbucht.“ Dann ging es zur Werbung über.

„Was ist los, Tarya?“, hörte ich Mom durch die Fliegengittertür, da sie draußen in der Einfahrt ihren Arbeitswagen belud.

„Da ist ein Schiff gesunken!“ Bevor mir Zahnpastaschaum aus dem Mund tropfte, lief ich in die Küche, spuckte in die Spüle aus und schnappte mir ein Handtuch. Vom Wohnzimmer in unsere Küche waren es eigentlich nur zwei Schritte, denn die einzige Raumtrennung war eine kleine Kücheninsel. Wir lebten in einem renovierten Wohnwagen. Seit mein Vater gestorben war – damals war ich acht, das war nun fast neun Jahre her –, hatten wir nicht mehr viel Geld. Wir waren aus dem zweistöckigen Wohnhaus in der Vorstadt ausgezogen und hatten uns auf den Wohnwagenpark am Rande von Saltford, unserer kleinen Stadt an der kanadischen Ostküste, verkleinert.

Der Wohnwagenpark war hübsch, wie Wohnwagenparks eben so sind. Die Bewohner pflegten ihre Grundstücke und kleinen Gärten, als wären es italienische Villen. „Wohnwagen müssen nicht schäbig sein“, lautete das inoffizielle Motto der Gemeinde. Wenn ich ganz ehrlich sein sollte, waren Mom und ich die schlimmsten Bewohner des Parks. Unser Zuhause war fast die Definition eines verwahrlosten Wohnwagens. Wir hatten keinen Garten oder auch nur eine Geranie in einem Blumentopf, und die Betonstufen, die zu unserer Haustür führten, einen bedenklichen Riss in der Mitte.

Nicht, dass wir komplett mittellos waren – meine Mutter rackerte sich ab, um sicherzustellen, dass ich alles hatte, was ich brauchte. Aber jeglicher Firlefanz darüber hinaus besaß für sie keine Priorität.

Während die Werbespots im Hintergrund liefen, spülte ich unsere Espressomaschine im Spülbecken aus. Ich hob den Deckel des überlaufenden Komposteimers unter der Spüle an, um den Müll zu entsorgen, als der Deckel aus den Scharnieren riss und der Eimer umkippte. Schleimige Zwiebelreste und verfaulende Orangenschalen stürzten auf den Boden, direkt auf meinen nackten Fuß. Ich seufzte und hielt den Atem an, als ich die Sauerei aufhob und den Eimer nach draußen brachte, um ihn zu entleeren.

Es war meine Aufgabe, alles zu notieren, was im Haushalt anfiel. Mom arbeitete zu viel, um sich auch noch darum zu kümmern. Ihr zufolge lebten wir wie Könige, solange wir im Winter warm waren und Strom und fließendes Wasser hatten. Meine Mutter, Mira MacAuley, war das Gegenteil von materialistisch. Sie war so sehr das Gegenteil, dass sie Menschen nicht verstehen konnte, die ihr Geld, in Dekorationen für ihre Häuser, in elegante Kleider oder in ein schickes Auto investierten. Sie verurteilte andere nicht für ihre Lebensführung, sie langweilte sich nur zu Tode, wenn sie sich in Gesprächen wiederfand, die sich um diese Dinge drehten. Folglich fiel es ihr schwer, Freunde zu finden und auch zu behalten. Nicht, dass es ihr wichtig gewesen wäre. Manchmal dachte ich, ich sei der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der ihr überhaupt etwas bedeutete. Sie sorgte sich um meine Freunde, aber nur, weil sie mir wichtig waren.

Ich brachte den leeren Eimer zurück, spülte ihn aus und stellte ihn wieder unter die Spüle, bevor ich unseren sechzig Jahre alten Gasherd mit einem Streichholz anzündete und den Espressokocher über die blaue Flamme stellte.

Ich schaute aus dem Fenster. Mom war gerade damit fertig geworden, ihre Tauchausrüstung in ihren Arbeitswagen zu laden. Die Kisten, die sie mit sich herumschleppte, waren nur ein Teil der vielen Gerätschaften, die sie brauchte – nicht um zu tauchen, sondern um die Illusion aufrechtzuerhalten. Das war der Fluch ihres Lebens.

Jede Kiste war mit der Aufschrift BLUE JACKET BERGUNGEN versehen. Dasselbe stand auch auf die Seite ihres Lastwagens geschrieben, den Simon, ihr Chef, ihr als Teil ihres neuen Arbeitsvertrags gegeben hatte. Das Fahrzeug war eine Vergünstigung, die kein anderer Angestellter hatte, und galt als ein Beweis für die besondere Wertschätzung, die sie genoss. Die Ironie dabei war, dass meine Mutter von allen Mitarbeitern der Blue Jackets den Lastwagen am wenigsten brauchte.

Ich lächelte, als sie die letzte Kiste nach hinten warf und der Lastwagen wackelte. Darin mussten die Tauchgewichte gewesen sein. Mom schlug die Luke zu und blickte mit ihren kristallblauen Augen auf und bemerkte, dass ich sie beobachtete. Sie schenkte mir ein schüchternes Grinsen. Ich schüttelte den Kopf.

Die Espressomaschine machte ein pfeifendes Geräusch, und als ich zurückging, um ihn einzuschenken, überkam mich eine plötzliche Woge der Traurigkeit. Das ging mir öfter so. Denn ich wusste, wie sehr meine Mutter diese Maskerade hasste, und ich wusste auch, dass sie es nur tat, weil sie mich liebte.

Meine Mutter lief die Auffahrt hinauf und sprang mit einem einzigen Satz die Betontreppe hoch. Die Tür hinter sich zog sie mit zu viel Kraft zu, und ich zuckte zusammen, als der Wohnwagen zitterte. Meine Mutter war stärker als jeder Mensch, den ich kannte, und sie ging mit unserem Besitz nicht behutsamer um als mit ihrer nutzlosen Tauchausrüstung.

„Wirklich, Mom?“, sagte ich, als ich ihr den Kaffee hinhielt. „Zehntausende von Dollar in Firmenausrüstung, die Simon dir anvertraut hat, und du behandelst sie wie Sperrmüll?“

„Und was war jetzt die Frage?“, erwiderte sie, bevor sie ihren Espresso wie Schnaps exte. Sie gab mir die leere Tasse zurück. „Hast du vorhin gemeint, dass ein Schiff gesunken sei?“

Ich wies mit dem Kinn in Richtung Fernseher. Eine Melodie verkündete, dass die Werbung vorbei war. Wir sahen beide hin, ich von der Kücheninsel und Mom von unserem winzigen Eingangsbereich aus.

„Die Schauspielerin Rachel Montgomery und ihre Freunde segelten gestern mit einer Sportjacht vor der Küste, als sie von starken Winden und dreißig Fuß hohen Wellen erfasst wurden“, sagte die Nachrichtensprecherin. „Die Jacht schlug gegen Felsen und wurde in der Teufelsaugenbucht zerschmettert wie schon so viele Boote vor ihr.“ Die Nachrichtensprecherin sollte unparteiisch sein, aber sie war auch eine Einheimische und eindeutig der Meinung, dass Rachel Montgomery und ihre Freunde sich galaktisch dumm verhalten hatten.

Die Teufelsaugenbucht war zwar weniger als fünf Meilen vom Hauptstrand Saltfords entfernt, an den im Sommer alle Touristen strömten, aber umgeben von schroffen Felsen. Sie war berüchtigt für ihre starken Strömungen und hohen Wellen. Die Form der Bucht sah von oben wie ein zorniges Auge aus, was ihr ihren offiziellen Namen eingebracht hatte. Als ob Teufelsauge nicht schon unheimlich genug klingen würde, hatten die zahllosen in ihr gesunkenen Schiffe ihr auch den Spitznamen „Seefriedhof“ eingebracht. Natürlich nannten nur die Einheimischen sie so.

Es verging kein Sommer, in dem nicht ein unglücklicher Tourist dort in Schwierigkeiten geriet. Die raue Schönheit und die Privatsphäre des Ortes zogen sie an. Die Einheimischen wussten es besser, deshalb mieden sie den Ort. Aber selbst die Warnungen, mit denen die Stadt Saltford ihre Broschüren und Reiseführer gespickt hatte, konnten die Touristen nicht abhalten.

„Idioten“, murmelte Mom vor sich hin. Während sie sich den Bericht ansah, strich sie sich ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht und band es zu einem wirren Pferdeschwanz zusammen. Sie schnappte sich eine volle Flasche Wasser aus dem Multipack auf dem Boden und leerte sie in einem Zug. Meine Mutter trank mehr Wasser als ein Rennpferd.

„Niemand wurde verletzt“, schloss die Sprecherin. „Aber die Jacht ist völlig zerstört und alles an Bord ging verloren. Die Behörden bitten weiterhin dringlich darum, sich von der Teufelsaugenbucht fernzuhalten.“

Die Stimme der Sprecherin wurde übertönt, als Moms Handy klingelte. Sie klappte das alte Ding achtlos auf. Sie wollte ihr Telefon bis zu dem Tag, an dem es den Geist aufgab, nicht erneuern. Ich war beeindruckt, wie lange es schon hielt, wenn man den Missbrauch bedachte, dem es ausgesetzt war.

„Mira hier.“

Ich hörte dem Gespräch zu, während ich mein Mittagessen einpackte. Es war nicht schwer, die Lücken zu füllen – ich wusste, dass es Simon war. Er war der Unternehmer, der die Blue Jackets gegründet hatte, und meine Mutter war seine beste Taucherin, sein Aushängeschild. Genau wie der Rest des Teams hatte er allerdings keine Ahnung, was das wahre Geheimnis ihres Erfolgs war.

Ich ging zurück in mein Zimmer, um mich fertig anzuziehen und mir die Haare zu kämmen. Ich hielt meine Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was sie sagte. In unserem winzigen Wohnwagen gab es wenig bis gar keine Privatsphäre, und der Klang ihrer Stimme drang leicht durch meine offene Tür:

„Ja, ich habe es gerade im Fernsehen gesehen. Sie haben schon angerufen? Das ging schnell. Muss wertvolles Zeug sein. Hm-mm. Ist Eric drauf angesetzt? Du weißt, dass er es nicht durchgehen lassen wird. Ja, okay. Ich bin in zehn Minuten da.“

Ich runzelte die Stirn. Das Büro der Blue Jackets war unten am Hafen, etwa zwanzig Fahrminuten entfernt. Aber wenn sie sagte, sie würde es in zehn Minuten schaffen, dann würde sie das auch. Ich hatte es mittlerweile aufgegeben, zu versuchen, meiner Mutter das zu schnelle Fahren abzugewöhnen. Sie raste jedes Mal, wenn sie sich ans Steuer setzte, und wurde dementsprechend regelmäßig angehalten. Aber hatte sie jemals einen Strafzettel kassiert? Nein. Sie schaltete einfach ihre Sirenenstimme an und zauberte sich aus der Klemme. Männer, so hatte meine Mutter mich gelehrt, waren so einfach zu manipulieren.

Mein eigenes Telefon summte und ich nahm es aus der Vordertasche meines Rucksacks. Saxony hatte eine Sprachnachricht in unseren Gruppenchat geschickt. Der bestand aus meinen Freundinnen – Saxony Cagney, Georjayna Sutherland, Akiko Susumu und mir.

Ich drückte die Abspieltaste auf der Nachricht, und Saxonys Stimme ertönte aus meinem Telefon, temperamentvoll wie ihre rote Lockenmähne: „Letzter Taaaaaaag! Letzter Tag, letzter Tag, letzter Tag! Weg mit Büchern, Stiften und Papier ...“ Hier endete ihre Nachricht.

Als ich gerade dabei war, eine Antwort aufzunehmen, zirpte mein Telefon wieder. Georjayna war mir zuvorgekommen: „... weg mit den notgeilen Blicken des Sportlehrers auf mir!“

Mein Telefon klingelte wieder, und es kam eine Textnachricht von Akiko: Ich glaube, ich habe eine Panikattacke.

Sie scherzte natürlich. Akiko liebte die Schule und trauerte jedes Jahr, wenn die Sommerferien nahten, als ob sie ihre Heimat verlassen musste. Sie war allerdings auch die Letzte von uns, die jemals eine Panikattacke bekommen würde. Ich glaubte nicht, dass sich Akikos Herzschlag ändern konnte, nicht einmal zwischen Schlaf und einem Sprint. Sie war die sprichwörtliche Ruhe in Person.

Saxony schrieb blitzschnell zurück: Ist das wahr? Ich esse gerade einen Hot Dog und er ist köstlich.

Georjayna: Zum Frühstück? Ekelhaft.

Draußen in der Küche hörte ich, wie meine Mutter den Reißverschluss ihrer Tasche zu zog.

„Ich muss los, Sonnenschein!“, rief sie.

„Ja, ich hab’s gehört.“ Ich kam aus meinem Zimmer, in Jeans und meinem Lieblings-T-Shirt, schwarz und schulterfrei. Ich hatte es dieses Schuljahr gefühlt jeden zweiten Tag getragen, was immer noch nicht oft genug war. „Ich nehme an, du gehst heute Abend nach der Arbeit zum Seefriedhof?“

Das war das Geheimnis meiner Mutter und der Hauptgrund, warum sie so beschäftigt war. Tagsüber spielte sie die professionelle Rettungstaucherin, aber nachts erledigte sie die eigentliche Arbeit, ganz allein in dunklen und manchmal gefährlichen Gewässern.

Ihre Augen funkelten. „Mm-hm. Macht es dir was aus?“

„Nein. Wohinter bist du diesmal her?“ Ich setzte mich auf den Rand unseres verblichenen pistazienfarbenen Sofas und kämmte die gewellten Enden meiner langen braunen Haare mit den Fingern durch.

„Vererbter Schmuck. Der Manager der Eigentümerin hat uns bereits angerufen, um nach Bergungsmöglichkeiten zu fragen“, antwortete sie und trat meine Laufschuhe zu mir rüber.

Ich zog meine Schuhe an, ohne die Schnürsenkel zu lösen. „Das ging schnell. Aber habe ich nicht zufällig gehört, wie du meintest, dass Eric die Teufelsaugenbucht für tabu erklärt hat?“

Eric Davis war der Analyst der Blue Jackets. Seine Aufgabe war es, Tauchplätze zu analysieren und zu entscheiden, ob ein Bergungsauftrag angenommen werden sollte oder nicht. Die Tauchplätze, die er für unsicher erklärte, waren die, die meine Mutter in ihrer Freizeit abtauchte. Natürlich ging die Bezahlung dann allein an sie. Manchmal fanden die Blue Jackets heraus, dass sie allein getaucht war, manchmal nicht. Wenn es herauskam, war das ganze Team wütend auf sie, vor allem Eric. Er sah es als persönliche Beleidigung an, auch wenn es nichts mit ihm zu tun hatte.

„Wann hat mich das jemals aufgehalten?“ Sie zog eine Augenbraue hoch. Wenn sie in ihrer Freizeit tauchte, brach sie damit keine Firmenregeln, aber jede Tauchschule der Welt hätte sie dafür verurteilt, allein zu tauchen. Sie hatte sich den Ruf erworben, töricht zu sein, aber nur, weil niemand ihr Geheimnis kannte.

Ich seufzte. „Jedes Mal, wenn du ein Schiffswrack abtauchst, das er für tabu erklärt hat, machst du es dir selbst schwerer. Er hat bereits ein Problem mit dir.“

Sie war wieder an der Haustür, ihre schlanke Hand am Knauf. „Mir ist egal, was für Probleme er hat. Und was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.“

Ihrer Unbekümmertheit gegenüber war ich machtlos. Also gab ich ihr einfach einen Kuss auf die Wange. „Sei vorsichtig, okay? Ich weiß, das ist deine Art von Spaß, aber denk dran, dass ich mir Sorgen um dich mache, wenn du im Seefriedhof herumschwimmst. Besonders nachts.“ Der Gedanke daran machte mich nervös.

Sie lachte, als sie sich eine weitere Flasche Wasser schnappte. „Hey, wer ist hier eigentlich die Mutter?“

Als ich nicht antwortete, wurde sie ernst, streichelte meine Wange und sagte leise: „Wenn du nur wüsstest, wie es ist. Du hättest nichts zu befürchten.“

Das bekam ich öfter zu hören, aber es blieb schwer vorstellbar, und ich fühlte mich dadurch nicht wirklich besser.

Sie gab mir eine schnelle Umarmung und sagte: „Ich wünsche dir einen schönen letzten Schultag, Sonnenschein.“ Und weg war sie.

Während ich meine Sachen zusammensuchte, das Licht im Bad ausmachte und die Tür hinter mir abschloss, kämpfte ich mit dem vertrauten Anflug von Schuldgefühlen, die immer aufkamen, wenn ich daran dachte, dass meine Mutter meinetwegen hiergeblieben war. Und wenn Dad noch am Leben wäre – hätte sie dann weniger daran gelitten oder hätte sie sich im Gegenteil längst aus dem Staub gemacht, weil jemand da wäre, der sich um mich kümmern würde?

Meine Mutter war ein Geschöpf der Tiefe, eine Sirene, eine Meerjungfrau. Und weil ich, ihre Tochter, ihre Fähigkeiten nicht geerbt hatte, konnte sie nicht nach Hause zurück.

Kapitel 2

Nach dem letzten Läuten trafen meine Freundinnen und ich uns am Südeingang der Schule und gingen zu Flagg’s Café. Der Tag war perfekt. Es gab keine einzige Wolke am Himmel, und die Luft war windstill genug, dass wir unsere Pullover in unsere Rucksäcke packen und in T-Shirts gehen konnten. An Kanadas Ostküste kann manchmal sogar der Sommer frostig sein.

Wir plauderten über Schultratsch und Gerüchte, während wir aufgeregten High-School-Kids auswichen. Der Bürgersteig war voller ausgelassener Teenager, die sich verhielten, als wären sie gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.

„Hast du das von Rachel Montgomery gehört?“, fragte ich Saxony. Ich wusste, dass sie die Schauspielerin mochte.

Sie schnappte nach Luft. „Ja, ist das nicht verrückt? Sie hätte sterben können. Ich liebe sie, aber in den Seefriedhof zu schippern, um dort zu feiern, war ziemlich bescheuert von ihr. Mann, was für eine Idiotin. Im Ernst.“

„Das hat meine Mutter auch gesagt“, grinste ich.

„In den Nachrichten heißt es, sie sei bereits nach Hause gefahren“, fuhr Saxony fort, „aber ich wette, sie ist noch in der Stadt. Solche Sachen sagen sie immer, um einen auf die falsche Fährte zu locken. Vielleicht könnten wir herausfinden, wo sie sich aufhält, und ihr nachstellen.“ Sie wackelte mit den Augenbrauen.

Akiko schnaubte. „Viel Glück dabei.“

Ich wand mich innerlich. Saxony würde ausflippen, wenn sie erfuhr, dass Rachel tatsächlich noch in der Stadt war und meine Mutter dem Star persönlich etwas übergeben würde. Dieser Gedanke brachte mich auf eine Idee, und ich machte mir eine geistige Notiz, meine Mutter später am Abend um etwas zu bitten.

„Also, wann reist ihr beide nochmal ab?“, fragte Georjayna Akiko und Saxony. Beide Mädchen hatten vor, den Sommer im Ausland zu verbringen.

Saxony antwortete zuerst: „Mein Flug geht in sechs Tagen, und Akiko reist am Tag nach mir ab. Wir müssen uns davor ein letztes Mal zu viert treffen. Samstagabend?“

„Das passt mir gut“, sagte Akiko.

„Mir auch. Und dir, Tarya?“ Georjayna hakte sich bei mir unter. Wie immer fühlte ich mich neben ihr wie ein Kind. Georjie war gut einen halben Meter größer als ich.

„Ja, hab sonst nichts vor. Ich denke darüber nach, mir einen Ferienjob zu suchen und mich für einen der Sommerkurse anzumelden“, sagte ich. „Damit könnte ich mir schon mal Leistungspunkte für wissenschaftliche Fächer im nächsten Jahr holen.“

„Das ist eine tolle Idee, Tarya“, sagte Akiko mit leiser Stimme.

„Nein, das ist eine schreckliche Idee“, sagte Saxony, und ihre langen roten Locken hüpften vor Protest. „Warum solltest du dich absichtlich mehr von der Schule knechten lassen? Häng am Strand ab. Lach dir einen Freund an. Lies eins der tausend Bücher auf deiner Leseliste, wenn es sein muss, aber um Himmels Willen, geh nicht wieder zur Schule!“

Akiko lächelte über Saxonys Empörung. Sie war nie beleidigt, wenn Saxony anderer Meinung war als sie, denn so waren sie eben: Sie hatten in den meisten Dingen gegensätzliche Standpunkte. Manchmal verstand ich nicht, wie die beiden jemals beste Freundinnen hatten werden können.

Georjayna, Saxony und ich kannten einander seit der Vorschule. Wir waren zusammen aufgewachsen, auch wenn wir uns nicht immer so nah gestanden hatten wie jetzt. Manchmal brauchten Kinder ein paar Jahre, um herauszufinden, wen sie mochten und wen nicht, aber sobald wir in die Junior High gekommen waren, hatte uns drei nichts und niemand mehr trennen können.

Akiko lebte an der Grenze zwischen zwei Schulbezirken, deshalb war sie auf eine andere Grundschule und eine andere Mittelstufe gegangen als wir anderen. Sie und ich hatten uns erst Jahre später in der zweiten Hälfte der neunten Klasse angefreundet, als wir gemeinsamen Geschichts- und Matheunterricht gehabt hatten. Sie war eine Einzelgängerin, aber auch die klügste Schülerin in Mathe, und ich hatte sie um Hilfe gebeten. Wir fingen an, uns in der Bibliothek zu treffen, und sie gab mir für den Rest des Jahres Nachhilfe.

Als Georjayna zu ihrem vierzehnten Geburtstag eine Poolparty in ihrem Haus feierte, fragte ich sie, ob ich eine Freundin mitbringen dürfte. Als ich mit Akiko hereinkam, zerquetschten Saxony und Georjayna das zierliche Mädchen mit Umarmungen. Unerwartet waren Akiko und Saxony zusammengewachsen wie siamesische Zwillinge.

Wir kamen bei Flagg’s Café an, und Akiko und Saxony schnappten sich einen der Tische auf der Terrasse, während Georjie und ich rein gingen, um zu bestellen. Drinnen herrschte reges Treiben, hauptsächlich wegen der Schüler, die die gleiche Idee gehabt hatten wie wir und den letzten Schultag bei Kaffee und Kuchen ausklingen lassen wollten. Geschlagene zehn Minuten lang standen wir in der Schlange, bevor wir an die Reihe kamen.

„Zwei Cappuccini, einen schwarzen Kaffee und einen Eiskaffee, bitte“, sagte Georjayna zu dem rothaarigen Jungen hinter der Kasse.

Ich erkannte ihn aus der Schule. Er war ein Jahr unter uns. Er blinzelte sie an wie eine Eule und stotterte dann unsere Bestellung nach, während er auf die Tasten der Kasse drückte. Georjayna schien es nicht zu bemerken, aber ich schon: Sein Gesicht wurde so rot wie seine Haare.

Georjie war langbeinig, blond und gebräunt wie ein Bikinimodell. Aber hinter ihrer einschüchternden Erscheinung war sie ein totaler Nerd. Computer, Kameras und überhaupt Technikkram waren ihr Ding. Sie hatte über fünftausend Follower in den sozialen Medien und machte sich einen Spaß daraus, ihre Reichweite auszubauen. Sie verdiente sogar etwas Geld damit, obwohl es mir ein völliges Rätsel war, wie das ging. Der Gedanke, mein Leben online offenzulegen, sodass jeder über mich Bescheid wusste, konnte mir nur einen Schauder über den Rücken jagen.

„Du musst ja von der Schule hierher gesprintet sein, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen“, bemerkte Georjayna zum Jungen hinter der Kasse.

„Wer, ich?“, krächzte er. Sein schockierter Blick darüber, dass diese Göttin sich mit ihm unterhielt, ließ mich ein Lächeln hinter meiner Hand verbergen. Die meisten Menschen nahmen an, dass die wunderschöne Georjayna ein Snob war. Wenn sie dann herausfanden, dass sie nett war und sich für andere interessierte, war das oft eine Überraschung. Ich hatte mehr als einmal erlebt, wie sie vor einem Obdachlosen auf der Straße anhielt und sich mit ihm aus reiner Neugier unterhielt. Ich war mir nicht sicher, wie sie so hatte werden können, denn ihre Mutter sah sicherlich keinen Grund, einen Plausch mit einem Obdachlosen zu führen.

„Natürlich du“, sagte Georjie freundlich. „Oh, Mandelmilch für den Eiskaffee, bitte. Entschuldigung, das hatte ich vergessen.“

„Schon ok“, sagte er, während er am Milchbehälter herumfummelte und die Vorderseite seiner Schürze bespritzte. Sie unterhielt sich munter weiter mit ihm, während er unsere Getränke zubereitete, und er wirkte so abgelenkt, dass ich bezweifelte, dass wir am Ende das bekommen würden, was wir bestellt hatten.

„Vielen Dank“, sagte Georjayna, als er fertig war, und schenkte ihm ein Lächeln mit Grübchen und perfekt weißen Zähnen.

Er ließ seinen schaumigen Löffel mit lautem Klappern in die Spüle fallen. „Gern geschehen“, murmelte er.

Akiko hatte sich einen Tisch im Schatten ausgesucht und wartete geduldig, während Saxony im Sonnenlicht stand und einen süßen Jungen bequatschte, den ich nicht kannte. Ich wusste nicht, worüber sie sprachen, aber sie lachte und hatte ihre Hand auf seinem Arm. Mit ihren Kurven und riesigen grünen Augen hatte auch sie keinen Mangel an Bewunderern.

Der Junge schaute zu uns herüber, als wir unsere Getränke zum Tisch trugen, und ich sah, wie er sichtlich zusammenschrumpfte, als Georjayna die Getränke absetzte. Er schob seinen offenen Rucksack von einer Schulter auf die andere, und ein Schulbuch fiel heraus. Saxony hob es auf und reichte es ihm. Er nahm es, sagte etwas zu ihr und rauschte davon, wobei er einen letzten verunsicherten, sehnsüchtigen Blick über seine Schulter warf.

Saxony setzte sich hin und schoss mir einen übertrieben mahnenden Blick zu. „Hättest du nicht noch ein paar Minuten länger drinnen bleiben können? Der war voll süß und du hast ihn verscheucht. Gut gemacht.“

„Warum schaust du mich so an? Gib der 1,80 großen Blondine die Schuld, nicht der grauen Maus“, sagte ich und zeigte auf Georjayna.

„Ich bin nicht 1,80!“, sagte Georjie beleidigt. Seit ich sie kannte, reagierte sie empfindlich darauf, wenn man ihre Größe ansprach.

„Nur die Ruhe“, sagte Akiko und zog ihren schwarzen Kaffee heran.

„Es liegt nicht an mir, sondern an dir“, sagte Georjayna zu mir. „Hast du nicht bemerkt, dass jeder einzelne Junge, der uns auf dem Weg hierher nachgeschaut hat, an dir hängen geblieben ist, als wärst du ein Steak? Ich meine, ja, du bist hinreißend, aber meine Güte, etwas weniger auffällig könnten die schon sein.“ Sie verdrehte die Augen.

„Du bist so was von verblendet“, sagte ich und schüttelte den Kopf. „Es gibt Medikamente für sowas, weißt du?“

„Dann solltest du dir die verschreiben lassen“, sagte Saxony. „Du warst schon immer blind wie eine Fledermaus, wenn es um Männer geht.“

„Was hackt ihr denn jetzt alle auf mir herum? Meine Sehkraft ist ausgezeichnet, vielen Dank.“

„Männer“, wiederholte Akiko sarkastisch, aber mehr zu sich selbst. Sie schaute nach unten und rührte ihren Kaffee um. Als sie den Becher anhob, um einen Schluck zu nehmen, bemerkte sie, dass der Rest von uns sie ansah. „Was? Diese Highschool-Jungs sind keine Männer, sie sind Kinder“, sagte sie und deutete auf die Welt um uns herum.

Akikos halb japanische, halb kaukasische Abstammung verlieh ihr ein ethnisch uneindeutiges Aussehen. Mit kaum fünfundvierzig Kilo war sie sehr zierlich, erweckte aber trotzdem den Eindruck, zäh zu sein. Vieles an ihr schien geheimnisvoll. Manchmal wirkte sie geradezu so, als wüsste sie Dinge, die sonst niemand wusste und als wartete sie nur geduldig ab, bis ... bis was, wusste ich nicht. Sie sprach nie über ihre Vergangenheit, und auch nur sehr wenig über ihre Zukunft. Meistens wussten wir nicht, was sie dachte, bis sie einen Plan fasste und auch gleich umsetzte.

Diesen Sommer würde Akiko nach Japan reisen, weil ihr Großvater organisiert hatte, dass sie Zeit mit Verwandten verbringen würde, die sie bisher nie getroffen hatte. Er wollte, dass sie mehr über die japanische Seite ihrer Familie erfuhr. Zumindest hatte sie uns das gesagt, aber es erschien mir ein bisschen seltsam, dass sie zwei Monate mit Menschen verbringen sollte, die sie nicht kannte, ob Verwandte oder nicht. Es war schwer zu sagen, was sie selbst davon hielt. Als sie uns vor einigen Monaten davon erzählt hatte, schien sie weder glücklich noch unglücklich darüber gewesen zu sein, sie hatte es einfach hingenommen.

„Du hast so Recht“, seufzte Georjayna und brachte mich zurück in die Gegenwart. „Es sind nur Jungs.“

Ich nahm einen Schluck von meinem Cappuccino. „Freust du dich auf Japan, Akiko?“, fragte ich.

„In gewisser Weise.“ Dann lenkte sie ab, wie sie es immer tat: „Was ist mit dir, Saxony? Freust du dich auf Italien?“

Saxonys Augen leuchteten auf. „Machst du Witze? Ich kann’s kaum erwarten. Der Kaffee, die Geschichte, die Kunst, die Pasta“, seufzte sie und fügte dann mit Nachdruck hinzu: „Die italienischen Männer. Ich bin so glücklich.“

„Meinst du nicht die Windeln, die Schnuller und die Kinderwagen?“, bemerkte Georjayna.

Wir lachten, allen voran Saxony. Sie hatte sich um eine Au-pair-Stelle bei einer Familie in Venedig beworben und die Stelle auch bekommen. Die Familie wollte ein englischsprachiges, bei ihnen wohnhaftes Au-pair, das sich den Sommer über um die beiden Söhne kümmerte. Es fiel mir schwer, mir Saxony als Kindermädchen vorzustellen, aber sie bestand darauf, dass sie Kinder liebte, solange sie sie am Ende des Tages wieder abgeben konnte.

„Gott sei Dank sind sie nicht noch jünger“, sagte sie. „Ich hätte mich nicht beworben, wenn es Kleinkinder gewesen wären. Mit sechs und neun Jahren müssten sie aus dem Gröbsten raus sein. Keine Windeln und Schnuller. Außerdem“, erinnerte sie uns, „werde ich kostenlos mitessen und meine eigene Wohnung haben. Traumhaft!“

Wir waren uns alle einig, dass das traumhaft klang.

„Was ist mit dir, Georjie?“, fragte Akiko. „Hast du dich wegen Irland entschieden?“

Georjaynas Mutter Liz versuchte sie davon zu überzeugen, den Sommer über bei ihrer Beatnik-Tante Faith in Irland zu bleiben. Wir wussten, dass Liz nur versuchte, sie loszuwerden. Liz war sehr auf ihre Karriere fokussiert. Früher hatte Georjayna oft mit ihrer Mutter Irland besucht, aber seit Liz in ihrer Firma Partnerin geworden war, hatte sie dazu keine Zeit mehr, und es war schon ewig her, dass sie dort gewesen waren.

„Oh, das ist einfach“, sagte sie. „Solange Tarya den Sommer über hier ist, bleibe ich auch. Wir werden am Strand abhängen, ins Kino gehen und alle neuen Fernsehserien schauen, nicht wahr, T-Nation?“, sagte sie und leuchtete mich mit ihren braunen Augen an.

Ich lächelte über die Verwendung meines alten Spitznamens. Sie hatte ihn mir vor Jahren gegeben, kurz nach dem Tod meines Vaters. Ich hatte mich emotional zurückgezogen und war nur noch in meiner eigenen kleinen Welt gewesen, in meiner „Nation von Tarya.“ Dementsprechend hatte sie mich umgetauft, und der Spitzname war mir geblieben.

„Worauf du wetten kannst“, sagte ich zustimmend.

Georjaynas Haare waren in zwei lockere Zöpfe geflochten, und sie nahm einen in jede Hand und drückte sie im Gebet zusammen, sodass sie wie eine Milchmagd aussah. „So Gott will“, sagte sie mit starkem irischem Akzent, „denn wenn du weggehst, gehe auch ich, und letztes Mal redeten alle so komisch dort, dass ich kein einziges Wort verstand.“

Ich lachte. Georjie war schon immer eine talentierte Mimikerin gewesen. „Nun, das klingt doch nicht so schlimm“, antwortete ich. „Ich wünschte, ich könnte nach Irland reisen, oder sonst nach irgendwo in Europa.“

Sie fuhr mit irischem Akzent fort: „Das liegt daran, dass du noch nie in Anacullough warst, der Kleinstadt, bei der meine Tante wohnt. Wenn man blinzelt, verpasst man sie. Da ist man nicht nur in Europa, sondern auch im Jahr 1800.“ Georjayna schielte und ließ ihre Zöpfe fallen.

„Du könntest mich jederzeit in Venedig besuchen, Tarya“, sagte Saxony und schlürfte ihren Eiskaffee leer. „Solange du nicht schnarchst, teile ich mein Bett mit dir, aber wenn du schnarchst, schubse ich dich in einen Kanal.“

„Das wäre nur fair.“ Ich lächelte. „Ehrlich, ich weiß das Angebot zu schätzen. Aber ich habe kein Geld für einen Flug.“

Wir unterhielten uns noch eine halbe Stunde lang, bevor wir anfingen, auf unsere Uhren und Telefone zu schauen. Wir vereinbarten, uns am nächsten Tag zum Mittagessen im Park zu treffen und auch am Samstagabend bei Georjayna zu Hause ein Abschiedsessen zu veranstalten.

„Deine Mutter wird dich heute abholen?“, fragte ich Georijie, als wir unseren Müll in die entsprechenden Recyclingtonnen kippten. Ich war überrascht, weil Liz im Grunde genommen in ihrem Büro wohnte und Georjie sich selbst überließ.

„Ja, aber nur, weil sie einen Friseurtermin im Oasis hatte und gerade fertig geworden ist. Glücksfall“, antwortete sie. Oasis war ein nobler Salon nur zwei Blocks vom Café entfernt. „Holt Mira dich ab?“, fragte Georjie.

„Nein, ich gehe gern zu Fuß“, sagte ich, um meine Mutter zu decken. Sie konnte jetzt sogar schon in der Teufelsaugenbucht sein.

Ein missbilligender Ausdruck trat in Georjaynas Gesicht. Der Wohnwagenpark war mindestens eine Stunde zu Fuß vom Café entfernt. Ich wusste, was Georjie dachte. Wir hatten schon darüber gesprochen. Sie mochte die Mir-doch-egal-Haltung meiner Mutter, hielt sie aber auch für unverantwortlich, wenn es um mich ging. Georjie fand, dass Mira sich wie das Kind verhielt, und ich wie die Erwachsene. Damit hatte Georjie nicht ganz Unrecht.

Kapitel 3

Georjie fasste mich an der Hand, als ihre Mutter in ihrem weißen S.U.V. vor dem Café vorfuhr: „Komm schon, wir nehmen dich mit.“

Georjie und ich hatten beide Mütter, die zu viel arbeiteten, und wir beide kämpften manchmal mit Gefühlen der Verlassenheit, aber ansonsten hätten unsere sozialen Verhältnisse nicht verschiedener sein können: Meine Mutter konnte gerade so unsere Rechnungen bezahlen, und Georjies Mutter wusste kaum wohin mit ihrem Geld. Sie war Firmenanwältin. Darum hatte Georjie alles, was man nur kaufen konnte, außer einen privaten Hubschrauber, und ich war sicher, dass sie sich auch den hätte leisten können. Sie wohnte in einer Villa mit Pool und Fitnessstudio, trug Designerkleidung und besaß immer die neuesten Geräte. Aber manchmal schien es, als würden die vielen Dinge nur umso deutlicher zeigen, wie einsam Georjie war. Und jetzt wollte Liz sie auch noch über den Sommer nach Irland abschieben.

„Hey, Tarya. Wie geht es dir?“, fragte Liz und schenkte mir ein professionelles Lächeln, als ich auf den Rücksitz stieg. Ihr Bluetooth-Kopfhörer steckte wie immer in ihrem Ohr, gut sichtbar unter dem perfekt frisierten blonden Haar. Obwohl sie aus Irland kam, hatte sie eher einen britischen Akzent. Georjayna hatte mir erzählt, dass ihre Mutter Akzentkorrekturkurse besucht hatte.

„Es geht mir gut, danke. Sie sehen hübsch aus. Wie geht es Ihnen?“

Liz antwortete nicht, sondern war wieder in ein Gespräch mit jemandem in ihrem Ohr über die ‚Akte Michaels‘ vertieft.

Georjayna sah mich vom Vordersitz aus an, verdrehte die Augen und formte mit ihren Lippen ein ‚Sorry‘. Ich schüttelte den Kopf und lächelte. Ich kannte Liz und hatte nichts anderes erwartet.

„Ist deine Mutter noch bei der Arbeit?“, fragte Georjie. „Warum kommst du nicht mit uns nach Hause zum Abendessen?“

Ich wollte gerade zusagen, als ich bemerkte, wie Liz Georjayna streng ansah, obwohl sie immer noch mit der Person am anderen Ende der Leitung redete. Ich war nie sicher, ob Liz mich nicht mochte, weil ich „Wohnwagen-Abschaum“ war, oder ob sie schlichtweg keine von Georjaynas Freundinnen leiden konnte. Georjie hatte mir mal rundheraus erklärt, dass es nichts Persönliches sei. Ihre Mutter sei einfach gestresst und vielbeschäftigt, wodurch sie abweisend wirkte. Allerdings sagte Georjayna selten etwas Schlechtes über jemanden, darum traute ich ihr in der Sache nicht ganz. Ich hatte den Verdacht, dass Georjie etwas Bitterkeit gegen ihre Mutter hegte.

„Nein, das ist schon in Ordnung. Danke“, antwortete ich. „Auf mich wartet ein Abendessen.“ Das stimmte teilweise. Es gab Essen in unserem Kühlschrank.

Sie setzten mich zu Hause ab und ich drückte auf meinem Handy die automatische Wahltaste für Moms Büro, während ich hinein ging.

„Blue Jacket Bergungsteam“, antwortete eine energische Männerstimme.

„Hey Micah, ich bin’s, Tarya.“

„Tarya! Wie geht’s dir?“ Micah war immer enthusiastisch, wenn er mit mir sprach. Das lag daran, dass er, wie die meisten Männer, etwas für meine Mutter übrig hatte.

„Mir geht’s super, danke, Micah. Ist meine Mutter noch da?“

„Nein, sie ist schon los. Ich bin überrascht, dass sie nicht schon zu Hause ist. Soll ich sie über Funk aufspüren?“

„Nein, danke, ich ruf sie an. Ich dachte nur, ich versuche es zuerst im Büro.“ Und dann schob ich den wahren Grund für meinen Anruf hinterher: „Wird es eigentlich eine Bergung in der Teufelsaugenbucht für Rachel Montgomery geben?“

„Mann, Klatsch und Tratsch verbreiten sich schnell“, staunte er.

„Na ja, es war heute Morgen überall in den Nachrichten.“

„Ich schätze, das ist, was Promis für ein Unternehmen tun können. Den Bekanntheitsgrad erhöhen. Aber nein, wir haben die Anfrage abgelehnt. Eric meinte, es sei zu gefährlich, in der Teufelsaugenbucht zu tauchen.“

„Wahrscheinlich ist es besser so. Sicherheit geht vor.“

„Sicherheit geht vor. Aber wir haben heute einen Anruf von einem reichen Typen aus Polen bekommen, vielleicht klappt das ja.“

„Oh wow, Polen. Das wäre cool.“ Das waren mal Neuigkeiten. Ich würde Mom danach fragen, wenn sie zurückkam. „Ok, ich muss los. Danke, Micah.“

„Kein Problem. Pass auf dich auf, ja, Tarya?“, sagte er herzlich. Die Blue Jackets mochten oft Probleme mit meiner Mutter haben, aber zu mir waren die meisten von ihnen ziemlich nett.

„Danke.“ Ich legte auf, schaltete den Fernseher für Hintergrundgeräusche ein und suchte im Internet nach Ferienjobs, bis mein Magen anfing zu knurren. Ich machte mir ein Abendessen aus Reisnudeln mit Pesto, Brokkoli und ein paar Hühnerresten. Eine zweite Portion für Mom stellte ich in den Kühlschrank. Sie war immer am Verhungern, wenn sie vom Schwimmen nach Hause kam. Dann putzte ich die Küche und zappte eine Weile ziellos durch die einzigen drei Kanäle, die wir empfingen. Schließlich las ich ein Buch, bis ich auf der Couch in einen unruhigen Schlaf fiel.

Ich träumte von einer kalten Seeschlange, die an meinem Gesicht vorbeischwamm. Erschrocken kam ich zu mir. Mom zog eine Strähne nassen Haars über meine Wange.

„Du bist wieder da!“ Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Die Uhr an der Küchenwand zeigte 02:05 Uhr morgens an. „Hast du die Sachen gefunden?“

„Natürlich habe ich sie gefunden. Die Teufelsaugenbucht ist ein Schrottplatz, der sich eine halbe Meile über den Meeresgrund erstreckt. Was für ein Chaos. Diese Kids hatten wirklich Glück, dass sie mit ihrem Leben davongekommen sind. Inzwischen sieht es mit all den Wracks da unten wirklich wie ein Friedhof für Schiffe aus.“

„Kann ich die Sachen sehen?“

Sie hielt mir ihre Fäuste hin. „Was willst du zuerst sehen?“

Ich klopfte auf ihre rechten Knöchel und sie enthüllte drei Ringe, jeder mit kostbaren Juwelen besetzt – einer mit Rubinen, einer mit Smaragden und einer mit einem großen Diamanten. Ich schnappte nach Luft. Sie waren wunderschön. Ich probierte sie an.

„Wie viel, glaubst du, sind sie wert?“, fragte ich.

„Ich weiß es nicht, aber Rachel Montgomerys Manager hat mir fünf Riesen für ihre Rückgabe angeboten. Also schätze ich, dass wir für deinen College-Fonds heute Abend alles gut gemacht haben.“ Sie küsste mich auf den Kopf. Ich brauchte nicht darauf hinzuweisen, dass sie mehr Geld verdienen würde, wenn sie sie selbst verhökern würde; das war nicht ihr Stil.

Moms Arbeit wurde gut bezahlt, aber nur auf Vertragsbasis. Hoch dotierte Bergungsjobs waren schwer zu bekommen und die Blue Jackets mussten sich gegen andere Firmen durchsetzen. Als Folge davon lebten wir eine Art Fest-/Hungerleben. Private, auf Belohnung basierende Jobs wie der für Rachel Montgomery waren noch seltener. Mom nahm sie jedes Mal an und schob den Gewinn auf die hohe Kante, um später damit die Unigebühren für mich zahlen zu können. Manchmal fand sie sogar zufällig einen Schatz auf dem Meeresgrund und verkaufte ihn an einen örtlichen Sammler. Aber reich wurde sie davon nicht.

„Was ist in der anderen Hand?“

Sie klappte sie auf, um ein Armband und eine Halskette zu enthüllen. Diese beiden Stücke passten zum Diamantring.

„Wie um alles in der Welt hast du sie gefunden? Es muss schwierig gewesen sein, sie zwischen all den Trümmern und Felsen und den Korallen zu sehen.“

Sie zuckte die Achseln. „Nein, es war einfach. Solche Dinge sind fast immer in einem Safe. Also suche ich einfach nach einer Metallkiste. Die war nicht schwer zu finden.“

Ich erstarrte. „Sie waren in einem Safe?“

„Ja.“

„Mom, wie willst du dem Manager von Rachel Montgomery erklären, dass sie nicht mehr in dem Safe sind?“

Meine Mutter hatte eine unersättliche Neugierde auf fast alles. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, sie sei halb Katze und nicht halb Fisch. Sie interessierte sich vielleicht nicht so sehr für Menschen, aber draußen im Wasser wurde sie zur Forscherin. Eine geschlossene Metallkiste hätte sie da nie und nimmer ungeöffnet lassen können. Ich stellte mir vor, wie sie mit bloßen Händen einen Safe knackte und der kostbare Schmuck heraus schwebte.

„Und wenn Geldscheine drin gewesen wären?“

Sie zuckte die Achseln. „Es waren keine drin, und der Safe war sowieso nicht wasserdicht. Ich gebe Rachel Montgomery ihre Erbstücke zurück und sie wird glücklich sein, sie wieder zu haben. Wen kümmert es schon, was mit dem Safe passiert ist? Er könnte auf den Felsen zertrümmert sein, richtig?“

„Ich denke schon. Aber du hast immer gesagt, dass alles, was jemanden noch misstrauischer machen könnte, vermieden werden sollte.“

„Heeeey“, sagte sie und zog das Wort mit ihrer musikalischen Stimme in die Länge. „Ich würde nie etwas tun, was uns gefährden könnte, das weißt du.“ Sie zupfte sanft an einer Strähne meines Haares.

Manchmal schien es, als hätten wir irgendwann einen Rollentausch gehabt. Die vorsichtige Mutter aus meiner Kindheit hatte sich zu einem risikofreudigen Kind entwickelt und ich war so etwas wie der Schülerlotse unseres Lebens geworden. Vielleicht hatte sie es einfach satt gehabt, immer so vorsichtig sein zu müssen. Ich versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken, was mit ihr passieren würde, wenn man ihrer wahren Natur auf die Schliche kam.

Ich wärmte ihre Portion Nudeln auf und bat sie, ihr nächtliches Bergungsabenteuer in allen Details zu beschreiben. Und das tat sie. Über die Unterwasserwelt konnte sie mit solcher Hingabe reden, dass ich ihr noch zuhörte, als sie längst aufgegessen hatte und ich mir die Zähne putzte und mich bettfertig machte. Ich kroch unter die Decke, als sie ihre Geschichte beendete. Sie beugte sich vor und gab mir einen Gutenachtkuss. Kurz bevor sie meine Tür schloss, erinnerte ich mich an etwas. „Mom?“

Die Tür schwang wieder ein Stück auf. „Ja, Sonnenschein?“

„Micah sagte etwas über einen Polen, der heute im Büro angerufen hat. Was ist das für ein Auftrag?“

„Hmm, ich weiß von nichts. Vielleicht haben sie den Anruf bekommen, nachdem ich schon weg war. Ich bin mir sicher, dass ich morgen davon höre.“

„Ok, sag mir Bescheid, was es damit auf sich hat.“

„Schlaf jetzt.“

Das tat ich. Ich schlief immer gut, wenn sie zu Hause war.

Kapitel 4

„Ich bin wirklich gespannt darauf, die Glasbläser zu sehen …“, sagte Saxony gerade, als wir quietschende Reifen hörten. Ich erkannte das Geräusch, bevor Moms Kleinlaster um die Ecke bretterte.

„… für die Murano berühmt ist“, beendete Saxony ihren Satz, aber wir dachten nicht mehr an ihre Pläne für Venedig. Vor uns kam der Firmenwagen der Blue Jackets zum Stehen, seine Stoßstange berührte beim schnellen Anhalten fast den Boden.

Wir hatten uns in einem Park mit Blick auf den Strand zu einem Picknick getroffen. Die Limonade hatte ich mitgebracht, Georjayna die Eiersalat-Sandwiches und Saxony selbstgemachte Brownies. Akiko hatte Gemüse-Sticks und Dips mitbringen sollen, aber in letzter Minute hatte sie geschrieben, dass sie eine Besorgung für ihren Großvater machen musste und es nicht schaffen würde.

„Alter, deine Mutter sollte die Bremsen schonen“, bemerkte Saxony. Sie hatte einen autoverrückten Bruder und dessen Zartgefühl für Fahrzeuge hatte auf sie abgefärbt.

Mom ließ den Motor laufen und die Tür hinter sich offen, als sie über den Rasen auf uns zu lief, ihr schwarzes Haar wehte von den Schultern zurück wie in einem Werbespot. Ich schnappte mir unseren Essensmüll und stopfte ihn in die Kühlbox, die Georjayna mitgebracht hatte.

„Ich glaube, ich muss mal los, Leute. Entschuldigt. Schreib euch später“, sagte ich, stand auf und schnappte mir die Thermoskanne, die ich mitgebracht hatte.

„Klar, Tarya. Kein Problem“, sagte Georjayna. „Ich hoffe, dass alles in Ordnung ist.“

Saxony nickte nur, aber die beiden starrten meine Mutter an. „Sie ist so eine Rakete“, murmelte Saxony. Sie ließ immer irgendeine Bemerkung über das Aussehen meiner Mutter fallen. Saxony sagte stets, was sie dachte.

„Du bist schlimmer als alle Bauarbeiter dieser Welt zusammen.“ Ich packte sie liebevoll an den Schultern, dann ging ich zu meiner Mutter. Sie wartete darauf, dass ich zu ihr kam, und winkte meinen Freundinnen zu, die höflich zurückwinkten.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich. Mom sah bei näherer Betrachtung nicht verärgert oder besorgt aus, was meinen Herzschlag schon mal etwas beruhigte.

Sie legte einen Arm um mich, als wir zum Wagen gingen. „Ich habe Neuigkeiten. Und will dir was vorschlagen.“

„Ach ja? Kann’s kaum erwarten.“ Ich kletterte auf den Beifahrersitz. Mom fuhr vom Bordstein runter. Als ich den Mädchen zum Abschied winkte, erinnerte ich mich plötzlich an die Sache mit Rachel Montgomery.

„Bevor du mich jetzt noch mehr überrumpelst, hast du Rachel Montgomerys Erbstücke schon zurückgegeben?“ Ich hatte mir vorgenommen, sie zu fragen, ob ich mitkommen und auch Saxony mitnehmen könnte. Ich hatte sie das schon letzte Nacht fragen wollen, es aber vergessen. Ich hoffte, es war noch nicht zu spät.

„Ja, heute Morgen“, antwortete sie.

„Verdammt!“, sagte ich und fühlte mich wie eine schlechte Freundin. Zumindest würde etwas, was Saxony nie erfuhr, sie auch nicht wütend auf mich machen.

„Warum, was ist los?“

„Ich hätte einfach nicht gedacht, dass du es so schnell erledigen würdest“, seufzte ich. „War sie glücklich? Wie war sie denn so?“ Ich war selbst neugierig, wie die regierende Teen-Queen von Hollywood in Person war.

„Was meinst du?“ Mom sah verwirrt aus. „Sie war ein gehender, sprechender Mensch mit einer Stimme und einer Nase, und natürlich war sie froh, ihre Sachen wiederzubekommen.“

„Hast du wenigstens ein Foto mit ihr gemacht? Sag mir, dass du ein Foto hast.“ Ich wusste schon, was die Antwort war.

„Warum sollte ich das tun?“ Sie sah mich an, als sei es die idiotischste Idee, die sie je gehört hatte.