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Der in einem Gronauer Architekturbüro arbeitende Bauingenieur - Adrian Beermann - wittert die Chance zum beruflichen Aufstieg, als er zusagt auf der Großbaustelle eines Einkaufscenters als Bauleiter zu arbeiten. Hier zeigt sich jedoch schnell die gnadenlose Realität der Bauleitung in Form seines Oberbauleiters! Der tote Bodengutachter, den Adrian an einem außergewöhnlichen Ort findet, sorgt dafür, dass Adrian von der Polizei als verdeckter Ermittler eingesetzt wird. Die Polizei findet durch Adrian schnell und zufällig einen Tatverdächtigen. Doch Adrian ist nicht von dessen Schuld überzeugt und ermittelt weiter. Er findet zusammen mit der berlinernden Baustellenfee Helga heraus, dass ein fehlendes Bodengutachten Hinweise auf das tatsächliche Tatmotiv und damit auf den Täter geben könnte. Ein Buch, nicht nur für bauaffine Menschen, wie beispielsweise Handwerkerinnen und Handwerker, Bauunternehmerinnen und Bauunternehmer, Bauleiterinnen und Bauleiter, Ingenieurinnen und Ingenieure oder Architektinnen und Architekten.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Ähnlichkeiten mit Orten, wenn sie im Fokus dieses Buches stehen, sind frei erfunden. So gibt es keine A11 in der Nähe Berlins und in der Gemeinde Michendorf auch kein A11-Center.
Es gab und gibt natürlich Baustellen von Einkaufszentren. Aber mir ist keines bekannt, bei dem ein toter Bodengutachter gefunden wurde. Damit ist dieser Baustellenkrimi ein Gebilde meiner Fantasie.
Für meinen verstorbenen Freund Thomas, der wusste, was PAK sind.
Prolog
Dienstag, 13. Juni
Tatort Baustelle
Samstag, 17.Juni
Montag, 19.Juni
Donnerstag, 22.Juni
Verdeckter Ermittler
Montag, 26.Juni
Mittwoch, 28.Juni
Donnerstag, 29.Juni
Verdachtsmomente
Sonntag, 02.Juli
Montag, 03.Juli
Dienstag, 04.Juli
Mittwoch, 05.Juli
Freitag, 07.Juli
Dienstag, 11.Juli
Mittwoch, 12.Juli
Donnerstag, 13.Juli
Corpus Delicti
Freitag, 14.Juli
Sonntag, 16. Juli
Montag, 17.Juli
Dienstag, 18.Juli
Mittwoch, 19.Juli
Freitag, 21.Juli
Montag, 24.Juli
Dienstag, 25.Juli
Mittwoch, 26. Juni
Freitag, 28.Juli
Dienstag, 01.August
Freitag, 11.August
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Geplante neue Geschichte
Bereits veröffentlicht
Fachbücher beim Vieweg+Teubner
Der Flug war ruhiger gewesen, als ich erwartet hatte, und beim Landeanflug auf Berlin-Tegel hatte ich nicht an die zweimotorigen Propellermaschinen von Germanwings, die diese Strecke regelmäßig flogen, gedacht. Meine Gedanken waren bei den Rosinenbombern, die auch hier, mitten im nun schon seit 5 Jahren wiedervereinigten Berlin, gelandet waren. Doch hatte es in den C-54ern bestimmt nicht so eine leckere Schokolade gegeben, wie die, die im Flugzeug beim Start verteilt worden war. Meine Sitznachbarin hatte mir ihre abgetreten und die freundliche Stewardess hatte mir eine weitere Schokolade zugesteckt.
So hatte ich einen Mietwagen am Flughafen Berlin-Tegel in Empfang genommen. Einen 3er BMW, standesgemäß für junge Bauleiter. Mit dem Stadtplan auf dem Beifahrersitz war ich hoch konzentriert und nervös durch die Stadt gefahren. Ich war unsicher gewesen und hoffte, dass es kein Fehler gewesen war, nach Berlin zu fliegen; die ersten Eindrücke waren einschüchternd. Was ich insgeheim auf den Umstand zurückführte, dass ich als Landei – Gronau war verglichen mit Berlin ein Dorf – in einer Großstadt gelandet war.
Ich arbeitete seit drei Jahren bei der Wilaplago, so lautete der intern verwendete Name der ‚Wilhelm Lahmann Planung Gronau‘. Hier hatte es in der Woche vor meinem Flug eine Besprechung gegeben. Mein Chef hatte mich und meine Kollegen zu sich gerufen und jemanden gesucht, der auf unserer Großbaustelle in der Nähe von Berlin als Bauleiter tätig werden sollte. „Mein Freund Egbert sucht einen neuen Bauleitungsassistenten. Wir haben nun schon den fünften externen Bauleiter verloren.“ „Was heißt hier verloren?“, hatte ein Kollege gefragt. „Ist er getötet worden?“ Allgemeines Gelächter hatten diese Frage quittiert. „Ne, der war auch zu doof. Ich will jetzt einen von euch zu Berti schicken.“
Nach den letzten Monaten in dem Büro hatte ich erkannt, dass ich nicht als Statiker ein großer Bauingenieur werden würde; ich hatte meine Zukunft in der Projektsteuerung gesehen: da wurden die Macher geboren. Als Bauleiter war der Weg zur Projektsteuerung nicht mehr weit, dachte ich mir. Damit hatte ich meine Chance gewittert und, noch bevor irgendjemand von meinen Kollegen etwas hatte sagen können - und ein oder zwei andere Kandidaten warteten auch auf eine solche Chance -, war ich es gewesen, der etwas gesagt hatte.
„Ich gehe!“
Direkt nach meinem Vorpreschen war mir schon das Herz in die Hose gefallen. Ich hatte gleich Zweifel gehabt, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Im Büro war es warm und trocken. Auf der Baustelle wehte ein kalter, rauer Wind, teils mit Schneeregen vermischt; so ging es aus manch einem Bericht der älteren Kollegen hervor, die niemals freiwillig ihren Schreibtisch verlassen würden.
Mein Chef hatte mich dann später zu sich gerufen und die Einzelheiten mit mir besprochen. Bei mir war nicht viel hängen geblieben, nur, dass er gesagt hatte: „Beermann, ich weiß, Sie sind der Beste, den ich für die Aufgabe finden konnte. Ich brauche jetzt 110% von Ihnen und ich weiß, die geben Sie mir!“
Der „Beste“, das war gut gewesen. Die Kollegen hatten mir später anvertraut, dass sich außer mir trotz meiner anderslautenden Ahnung ohnehin keiner melden wollte! Mit der Zielvorgabe von 110% war das auch so eine Sache! Ich hatte bislang schon immer mit 90% meine Mühe gehabt! Ich hatte direkt gewusst, dass hier unterschiedliche Vorstellungen der Pflichterfüllung aufeinandergetroffen waren.
Susanne, meine Freundin, war zudem nicht so erbaut von der Tatsache gewesen, dass ich nur noch alle 14 Tage bei ihr sein würde. Ich hatte ihr erklärt, dass auf dem Weg zu einer großen Karriere als Bauingenieur eben auch Bauleitung stehen müsste. Wie ein ganzer Mann und erst recht Bauleiter hatte ich ihr nichts von meinen Zweifeln erzählt. Bauleiter erzählen nicht, die machen.
So in Gedanken waren die Vororte Berlins hinter mir geblieben. Über die A115 ging es aus Berlin heraus und ich hatte mit zunehmender Ländlichkeit, die mich teilweise an das Münsterland erinnerte, meine Sicherheit wiedergefunden. Einmal Landei, immer Landei.
Schon kurz nachdem ich auf die A11 abgebogen war, hatte ich die Baustelle von der Autobahn aus gesehen. Eine ehemalige Kaserne der NVA war das Baugrundstück für das Einkaufszentrum, das ich fertigstellen wollte. Ein großer Teil des Gebäudes stand jedoch schon. Daran waren eben meine Vorgänger verschlissen worden. Noch nicht begonnen worden war die vorgelagerte Shoppingmall. Andere zentrale Teile des 120.000 Quadratmeter großen Komplexes hatten noch zu Ende fertiggestellt werden müssen. Trotz meiner bisherigen Zweifel hatte ich mich auch ein bisschen gefreut, wieder eine neue Aufgabe zu haben. Es galt, alle Handwerkszweige des Bauhaupt- und Baunebengewerbes zu beaufsichtigen. Bei der Bearbeitung der Statik hatte ich den Komplex auf den Plänen bereits kennengelernt. Somit war mir die Orientierung, schon von der Autobahn aus, nicht schwergefallen. Ich hatte damit die Chance gesehen, die Baustellenrealität kennenzulernen; meine Zweifel hatten sich schneller zerstreut als sie gekommen waren.
Die staubige Einfahrt zur Baustelle nehmend, sah ich in der Mitte der zukünftigen Parkplatzanlage die gelben und orangen Container, zweigeschossig angeordnet. An dem oberen war ein Schild angebracht, das aus der Ferne schon signalisierte, dass hier das Zentrum des Geschehens war: die Oberbauleitung. Die Container standen auf dem ehemaligen – mindestens zwei Fußballfelder großen - Appellplatz der NVA, dessen Betonplatten zahlreiche Risse aufwiesen, aus denen ungehindert Wildkraut spross. Dieses hatte sich auch nicht durch die vielen kleineren Material- und Personalcontainer der vielen Baufirmen, die hier Arbeit gefunden hatten, stoppen lassen. Vor den Containern der Bauleitung parkte ich den geliehenen 3er BMW. Mein Fuß hatte noch nicht den Kasernenboden berührt, als schon jemand brüllte: „Hey du Blödmann, hier kannst du nicht parken“. Ein rotgesichtiger, dürrer Mann in khakifarbenem, kurzärmeligem Hemd, kurzer Hose und mit krausem Haarkranz gestikulierte mit den Händen ein „Fahr weg!“. Ich war anscheinend auf einen ehemaligen Offizier der NVA gestoßen, der mich an Alec Guinness in Die Brücke am Kwai erinnerte und der noch nicht wusste, dass hier der Ton eines Kasernenhofs nicht mehr angebracht war.
Ich öffnete die Tür nun vollständig. Das Rauschen der nahegelegenen Autobahn drang zu mir.
„Stell die Kiste da hinten ab! Bist du der Neue?“ Er nahm einen großen Schluck aus einer Getränkedose und schleuderte diese auf einen nahen Müllberg, auf dem bereits einige weitere Dosen gelandet waren, und trat näher an das Geländer des Treppenpodestes heran. Das Scheppern der Weißblechdose war deutlich zu vernehmen. Die weißen, dürren Beine des NVA-Reliktes, die deutlich sichtbare Krampfadern zeigten, schimmerten hinter dem Geländer. Die weite kurze Hose gewährte mir, dem unten aus dem Auto nach oben schauenden, einen tieferen Blick an den Beinen entlang in eine hilfreich verdeckende Schwärze.
Sollte diese Figur vielleicht kein NVA-Relikt sein, sondern mein neuer Vorgesetzter? Der war bestimmt nicht mein Wunschkandidat. Ich hätte mir einen feingeistigen Teamplayer mit einer humanistischen Schulbildung und mindestens 40 Jahren Führungserfahrung gewünscht.
„Wenn Sie mit dem ‚Neuen‘ den neuen Bauleiter meinen, dann stimmt das. Ich bin …“ Weiter kam ich nicht. Die Halsschlagader, die deutlich sichtbar unter der faltigen Haut des obenstehenden hervortrat, kündigte einen neuen Wortschwall an.
„Der Bauleiter hier bin ich, du bist mein Assistent und Mädchen für alles. Kapiert? Willi hat mir versprochen, dass er mir diesmal nicht so eine Pflaume schickt, die nach vier Wochen wieder die Segel streicht. Er sagte mir, du bringst mindesten 125%. Ich bin mal gespannt. Fahr das Auto da hinten hinter den Container!“ Mit jedem Wort, das er gesprochen hatte, meinte ich diese imposanten Adern an seinem Hals pulsieren zu sehen. Der Mann musste noch andere Probleme haben als mich als neuen Bauleiter. Wobei ich mich nicht als Problem sehen durfte, das war völlig destruktiv. Wie das mit den nun schon 125% werden würde, blieb abzuwarten.
Er drehte sich um und blickte über die Schulter zu mir, als er wieder im Container verschwinden wollte. „Ach, ich bin im Übrigen Egbert Franke, dein neuer Chef!“
Damit wurde mir klar, der Ton eines Kasernenhofes und der einer Baustelle unterschieden sich nicht großartig. Der vermeintliche NVA-Offizier schien ja ein interessanter Typ zu sein, mit dem würde ich bestimmt noch viel Freude bekommen. Gut, dass ich bereits mit übermütigen Architekten meine Erfahrung gemacht hatte.1
Ich stellte das Auto auf den gewiesenen Platz und stieg die Treppe hoch. Oben auf dem Container saß ein Spatz, er hatte sich die ganze Begrüßungszeremonie angesehen. Die Spatzen würden es bis nach Gronau von den Dächern pfeifen, wie ich hier empfangen worden war. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, den Wahlspruch von Julius Caesar zu beherzigen: „Veni, vidi, vici“. Der erste Aufschlag hatte anders ausgesehen.
Anklopfend trat ich ein. Franke saß an einem Tisch und sah sich ein paar großformatige Pläne an. Auf der anderen Seite des Dreifachcontainers saß eine wasserstoffblonde Frau. Zumindest deuteten die langen Haare auf ihr Geschlecht hin. Denn weder Franke noch die Dame sahen zu mir, so dass ich Gelegenheit hatte, die spärlichen und schmucklosen Einrichtungsgegenstände zu betrachten. Ein aus drei Tischen zusammengestellter Besprechungstisch mit den entsprechenden verblichenen orangefarbenen Kunststoffschalenstühlen stand in der Raummitte. Ein Schrank und mehrere offene Regale, das Fenster idealerweise auslassend, säumten die linken Wände. Auf einem Kühlschrank stand eine Kaffeemaschine, die aussah, als wären damit schon ganze Armeen mit Kaffee versorgt worden. Aus der gläsernen Kaffeekanne, die auf der wärmenden Platte der Maschine stand, quoll der Duft alten Kaffees.
Ich räusperte mich. „Hallo, ich bin Adrian Beermann.“ „Sei ruhig, ick höre jrad das Band ab“, fauchte die Dame. Franke sah mich an, grinste und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Er flüsterte: „Setz dich, sonst gibt es mit Frau König Ärger.“
Also setzte ich mich brav an den Tisch und sah mich weiter um. Der Raum war stickig und verqualmt, hier rauchte jemand. Franke ansehend zog ich wortlos meine Schachtel „Lucky Strike“ aus dem Hemd und bot ihm eine Zigarette an. Eigentlich wollte ich ja aufhören zu rauchen. Doch als ich wusste, dass ich als Bauleiter arbeiten würde, war ich von Gronau aus noch schnell über die Grenze in die Niederlande gefahren und hatte mir eine Stange Zigaretten gekauft. Bauleiter müssen rauchen, davon war ich fest überzeugt. Franke nahm eine und schleuderte einen Stapel Pläne über den Tisch. „Such mal den aktuellen von Bauteil VIa. Was hast du mit deinem Hemd gemacht? Ist ja scheißenbraun!“ Ich sah auf meine Brust und tatsächlich, ein brauner Fleck breitete sich auf meiner linken Brust aus. Ich hatte offensichtlich die dritte Schokolade aus dem Flugzeug in der Brusttasche meines Hemdes stecken lassen.
Den Plan fand ich auf einem wilden Haufen achtlos gestapelter Pläne auf einem Tisch am Eingang des Containers. Die Dame tippte den Text zu Ende. „Ick bin Helga König und die Sekretärin für diesen Hofen, das seid ihr doch, nicht wahr, Berti?“, berlinerte sie.
„Sind denn noch mehr Bauleiter hier?“, wollte ich nun wissen.
„Nicht für die Wilaplago. Die Mieter, die ihre Mietbereiche bereits ausbauen, haben in den unteren Containern ihre Büros für deren Bauleiter und das sind alles Baustellensöldner, so wie der da.“ Ihr Kopf ruckte zu Franke. Der sah auf und grinste sie an. „Na hör mal, du Ossitussi, wenn ihr erst so spät zu uns heim ins Land kommt, dann muss ich ja wohl durch euer Land ziehen, um blühende Landschaften zu bauen! So, Beermann genug geplaudert, es ist fast Mittag und du hast noch genug Arbeit vor dir. Ich glaube, du wirst den Sisyphos noch beneiden. Hier ist der Planschrank. Da weiß keiner mehr, was gültig ist. Ordne die erst mal. Und vergiss die auf dem Tisch nicht.“
Sein Kopf ruckte zu einem weiteren Tisch, der in einer Ecke stand und dem ich noch keine Beachtung geschenkt hatte, weil er über und über mit Plänen bedeckt war.
„Heute Nachmittag ist um 14:00 Uhr eine außerordentliche Baubesprechung, hier eine Liste mit Plänen, die ich dann sofort benötige. Den Rest kannst du später ordnen.“
„Wo gibt es denn hier etwas zu essen?“ Ich hasste es, hungrig zu arbeiten, und ich hasste Aktenarbeit, insbesondere Pläne zu sortieren. Wie schön würde es sein, wenn man die alle auf dem Bildschirm ansehen könnte.
„Man Beermann, du musst noch viel lernen. Trink dir einen Kaffee und rauch dir eine, gegessen wird heute Abend im Hotel, kapiert? Bauleiter essen nicht! Du bist ohnehin viel zu fett.“ Er verschwand die Tür hinaus. Auch wenn ich mittlerweile wohl genährt war, so war ich nicht fett. Ich murmelte hinter ihm her: „Blödmann“.
Frau König sah mich mit schräg gelegtem Kopf an. „Der ist janz lieb, er bellt nur gerne. Ick habe immer ein paar Buletten und Schrippen hier im Kühlschrank. Kannst de was abhaben. Ich heiß übrigens Helga.“
„Adrian, und danke, das hilft mir über den Tag. Was ist das heute Nachmittag denn für eine Besprechung? Kann ich auch daran teilnehmen?“
Besprechungen waren für einen Bauleiter wichtig. Da wurde alles geklärt und man musste nicht in irgendwelche Unterlagen reinsehen. Davon war ich fest überzeugt.
Ich nahm teil. Ab 13:30 Uhr trafen die wichtigen Leute ein, der Statiker Büker mit seinem markanten Humphrey-Bogart-Haarschnitt aus unserem Berliner Büro war der erste, der kurzatmig die hölzerne Treppe zu dem Bauleitungscontainer hochkraxelte, er schnaufte vernehmlich und sein eng sitzendes Oberhemd zeigte Achselnässe, als er die neuen Bewehrungspläne auf den Tisch legte. Hoffentlich verwandelten die Bakterien unter seinen Armen diese Körpernässe nicht sofort in unangenehme Duftstoffe.
Der niederländische Stararchitekt, der sich durch sein schwarzes Outfit mit orangenem Einstecktuch zu erkennen gab, setzte sich neben den kräftigen, pockennarbigen Haustechniker, dessen Name mir nicht einfallen wollte.
Dieser begrüßte den Statiker mit: „Ich habe da noch ein paar Durchbrüche durch den Überzug. Für die Absaugung der neuen Pommesbude und für das Kühlgerät oben auf dem Dach müssen wir die Lastannahmen erhöhen!“
Mit dieser Information entbrannte eine hitzige Debatte, die Franke donnernd unterbrach. „Seht zu, dass ihr das Problem in den Griff bekommt. Fragt den Käsekopp, was er sich dabei gedacht hat, die Pommesbude dort unterzubringen. Wo bleibt denn eigentlich unsere Wühlmaus? Kaul muss sich unbedingt noch den Boden für die Einzelfundamente in der Spiegelachse ansehen.“
„Herr Franke, ich muss gegen ihren rüden Ton protestieren, ich werde mich bei Frau Wolski-Zeizig beschweren“, klagte der Architekt, ausschweifend gestikulierend.
„Mann Meijer oder sollte ich Frau sagen? Die Dame hast du noch nie zu Gesicht bekommen. Ich bin dein Ansprechpartner! Außerdem, stell dich nicht so an, du bist hier auf der größten Baustelle deines Lebens und da geht es etwas rauer zu. Sieh zu, dass du die Probleme hier löst!“ Franke schlug mit der flachen Hand donnernd auf die Tischplatte.
„Und Beermann, sieh zu, dass du den Bodengutachter auftreibst, der läuft irgendwo auf der Baustelle rum. Kennst du den?“ „Ja klar, Herr Franke, oder sollte ich General Franke sagen?“
Franke hob grinsend die Hand zum symbolischen Schlag hoch und ich sprang aus der Tür raus. Dabei wäre ich fast mit meinem Chef zusammengestoßen, der einen gänzlich grau gekleideten Herrn begleitete.
„Sehen Sie, Herr Otto, das ist unser neuer Bauleiter Herrn Beermann, er scheint den Elan zu haben, der den bisherigen fehlte.“
„Na, das wollen wir hoffen. Viel Erfolg bei der Arbeit, junger Mann.“ Mit einem Dank stürzte ich an den beiden vorbei zu dem Bereich, der noch Bodenuntersuchungen zulassen könnte.
Ich fand Herrn Kaul, den Bodengutachter, in dem Graben für den zentralen Fluchttunnel. Er kroch auf dem gelösten Boden herum und schien ganz versunken zu sein.
„Herr Kaul, Sie werden bei der Baubesprechung gebraucht. Wir warten schon auf Sie.“
„Ich muss hier erst noch etwas prüfen. Hier stinkt es.“ Er richtete sich mühsam auf, zog seine Hose hoch, die unter seinen fleischigen Bauch gerutscht war, und richtete seine Haare aus. Er trug eine Perücke. „Ach Herr Beermann, Sie sind jetzt auch hier.“ Er blinzelte mich über seine goldfarbene, staubige Nickelbrille, in der sich die Sonne spiegelte, an. „Kommen Sie mal hier runter. Hier riecht es doch nach Mottenkugeln.“
„Man, Herr Kaul, mein Chef und Herr Franke haben keine Geduld, die warten nicht ewig! Ihre Anwesenheit ist offensichtlich notwendig.“
„Nun springen Sie schon in die Grube, ich will nur wissen, ob ich richtig rieche!“
„Und wenn schon, warum soll es nicht nach Mottenkugel riechen?“
„Sie sind doch bestimmt der neue Bauleiter? Dann sollten Sie wissen, dass der Geruch von Mottenkugeln ein Indiz für eine PAK-Belastung ist.“
„PAK?“
Auch wenn ich das hätte wissen müssen, waren doch Baugrundlehre Bestandteil meines Studiums gewesen, hatte ich im ersten Augenblick bei PAK an eine Panzerabwehrkanone gedacht, so wegen der Wiedervereinigung und NVA und alter Kaserne.
„Ja, das sind polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und die sind, wie Sie wissen sollten, sehr giftig.“
Ich sprang über die steile Böschung mit ein paar Sätzen in die tiefe Grube. Augenblicklich wurde es etwas leiser. Der lockere Boden verschluckte die Umgebungsgeräusche sehr effektiv. Es roch, aber ob das der verschwitzte Bodengutachter war oder etwas Anderes, konnte ich nun wirklich nicht sagen. „Ich rieche nichts. Aber das soll nichts heißen; meine Freundin riecht auch immer mehr als ich. Also kommen Sie nun mit?“
„Gehen Sie schon vor! Und berichten Sie, dass ich hier noch etwas untersuchen muss.“ Aus seinem schwarzen Pilotenkoffer holte er ein Glas und etwas Wasser. Mit einer kleinen Schaufel, so wie Kinder diese im Sandkasten einsetzen, füllte er Boden in das Glas und verrührte diesen mit dem Wasser. Ich wartete nun darauf, dass er das Glas umstülpte und einen schönen Matschkuchen bekommen hätte. Doch ein Griff in den Koffer förderte einen kleinen Papierstreifen hervor. Diesen legte er in die Matsche. „Wenn mir nichts dazwischenkommt, bin ich in 15 Minuten im Container! Ich muss Herrn Lahmann noch unbedingt sprechen!“
Die hitzige Besprechung wurde nicht durch mein Eintreten in den Container unterbrochen. Ich ging zu meinem Chef und berichtete, dass Kaul ihn noch unbedingt sprechen wollte.
„Da muss er sich aber beeilen, ich muss gleich weiter. Sie und Herr Franke regeln das hier schon.“
Das war ein Vertrauensbonus, den ich brauchte. Eine solche Aussage eines Chefs, die motiviert und treibt an.
20 Minuten später verabschiedeten sich Lahmann und Otto. Ich ging mit Lahmann nach unten, da er noch Unterlagen für Franke im Kofferraum hatte, die ich tragen musste. Bauleiter waren auch Laufburschen.
Mit zwei Ordnern unterm Arm die Treppe hochsteigend, sah ich Otto mit seinem Benz losfahren und Lahmann stand an der Tür seines 7er BMW und winkte jemanden zu. Es war Kaul, der da angelaufen kam. Er winkte ganz aufgeregt.
„Beermann, was läuft da für ein Rock her oder warum stehst du da zu glotzen. Ich brauch' die Unterlagen noch heute!“ Franke stand oben auf dem Treppenpodest vor dem Container und zeigte auf die Unterlagen auf meinen Armen. „Ich warte!“ Er zeigten seinen ganzen Charme. Ich beendete meine Beobachtung.
1 Andreas Belke: Der Havixdorf-Komplott
Ich hatte mein Zimmer im 3S, so wurde das Seehotel Seddiner See auf der Baustelle genannt, bezogen, aber noch nicht viel von dem imposanten Bau, der erst vor zwei Jahren fertiggestellt worden war, gesehen. Gänzlich verborgen geblieben war mir der Wellness-Bereich des Hotels. Die wenige freie Zeit hatte ich entweder im Frühstücksraum oder an der Bar verbracht. Die Gespräche mit den anderen Baustellensöldnern, so wie Helga es ausdrückte, waren sehr interessant, deuteten jedoch auch auf die Schwierigkeiten des Berufs als Bauleiter hin. Zudem erfuhr ich, dass Franke, den einige bereits von früheren Bauvorhaben kannten, eigentlich Gröbaz heißen würde. Ich solle ihn ruhig so nennen. Auf meine Nachfrage, was das bedeuten solle, erklärten mir die Kollegen: „Größter Bauleiter aller Zeiten!“ Es waren ausgelassene Abende gewesen.
Am anderen Tag war mir eingefallen, dass es bereits eine vergleichbare Abkürzung wie Gröbaz gab, nur, dass diese nationalsozialistisch vorbelastet war. Dennoch war Gröbaz passend.
Trotz dieser ausgelassenen Abende hatte ich bis einschließlich Freitag das Plan-Chaos beseitigen müssen. Es war eine für einen Bauleiter unwürdige Arbeit. Ich wusste nun, was Franke mit dem Sisyphos gemeint hatte. Am Freitagnachmittag hatte mir Franke mitgeteilt, dass ich am Samstag um 5:00 Uhr auf der Baustelle die nächtliche Betonage der restlichen Einzelfundamente überprüfen sollte; die Rohbaufirma wäre da immer etwas nachlässig, insbesondere, wenn nachts durchgearbeitet würde. Ich würde ja ansonsten ohnehin nur im Hotel „abhängen“ und das wäre für einen jungen Bauleiter indiskutabel. Gut, dass ich nicht geplant hatte, nach Hause zu fahren.
So hatte ich mich um 4:40 Uhr von der Concierge des 3S wecken lassen und widerwillig aus dem Bett geschält. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich schon einmal um diese Uhrzeit aufgestanden war und hoffte, dass das erst wieder mit Einsetzen der senilen Bettflucht so sein würde. Frühstück gab es erst ab 7 Uhr.
Als ich aus dem Hotel heraustrat, wären Naturfreunde entschädigt worden. Die Sonne kündigte einen schönen Tag mit einem wunderschönen Sonnenaufgang an. Vögel begleiteten diese Ankündigung mit allerlei scheinbar willkürlich abgegebenem Gezwitscher, das noch nicht durch Straßenlärm übertönt wurde. Dennoch erreichte mich diese Stimmung um 4:50 Uhr in der Frühe nicht. Gleichwohl freute ich mich aber auf meine erste richtige Arbeit als Bauleiter.
Mit meinem Baustellenfahrrad, einem älteren Damenrad mit einer Dreigangschaltung und Lenkergriffen parallel zum Rahmen, ging es zu meiner Arbeitsstätte. Den BMW hatte ich auf Weisung meines Chefs wieder abgegeben. „Das Auto brauchen Sie jetzt ja nicht mehr, Sie sind ja die ganze Woche hier auf der Baustelle.“ Eine Argumentation, der ich mich nicht verschließen konnte, die mir jedoch nicht wirklich gefiel. Der BMW war schon ein für Bauleiter würdiges Auto.
Die 2 Kilometer waren schnell zurückgelegt. Auf der Baustelle war es sehr ruhig, kein Bauarbeiter weit und breit. Waren die etwa alle schon weg? Franke hatte doch gesagt, dass die ganze Nacht gearbeitet würde und die Nacht war, nach meiner Definition, noch nicht rum. Es war sehr still, nur die jetzt hörbare nahe Autobahn übertönte die frühmorgendliche Ruhe und auch das eben schon wahrgenommene übliche Gezwitscher, dem Ornithologen viel abgewinnen können.
Die Nacht trug immer noch die Wärme des Vortages; auch heute würde es wieder sehr heiß werden. Damit war es wichtig, dass die Beton-Nachbearbeitung sorgfältig ausgeführt wurde. Denn sonst würden es Risse im abhärtenden Beton geben. Ich hatte gestern noch schnell Thomas, einen vertrauensvollen Freund, angerufen, der mich in die bislang unbekannten Geheimnisse der Betonnachbearbeitung eingewiesen hatte. Gut, dass ich solche Freunde hatte. Er hatte keine Fragen gestellt, mir ohne Wenn und Aber das nötige Wissen vermittelt.
Mein Fahrrad stellte ich wie schon gewohnt am Container ab.
Mir war etwas mulmig zumute, als ich so alleine über die Baustelle zum Baufeld lief. Mein Blick huschte zu den vielen Schatten, die das frühe Licht warf. Überall konnte Gefahr lauern. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich schrak zusammen, meinen Weg kreuzte ein Tier. Es huschte so schnell über den Boden, dass ich nicht erkennen konnte, was es war. Vermutlich hatte das Naturgeschöpf mehr Angst als ich.
Der trockene Staub, der allgegenwärtig war, wirbelte unter meinen schnellen Schritten beiseite. Es roch nach frischem Beton. Die Kräne warfen in den ersten Sonnenstrahlen des Tages lange Schatten auf den Boden. Sandhaufen und umzäunte Materiallager säumten den Bereich vor den fertig gestellten Gebäudeteilen.
Franke hatte behauptet, dass manche Bauleiter nach diesem Geruch und solchen Baustellenmotiven süchtig würden und nie etwas anders sein könnten als Bauleiter. Ich hoffte, dass ich meine Karriere in einem schönen Büro und schönen Besprechungsräumen fortführen und nicht von dieser Sucht erfasst würde.
Vor mir sah ich die frisch betonierten riesigen Einzelfundamente, die einmal die gewaltigen, über drei Geschosse hinausgehenden Fertigteilstützen aufnehmen sollten. Das Fundament in der Mitte, mit einer Kantenlänge von 5 x 5 Metern und einer Höhe von 2,50 Metern, war das größte seiner Art auf dieser Baustelle und stand genau in der Spiegelachse des Gebäudes. Später sollten die Besucherströme, die in die Mall fluten sollten, durch diese Stütze geteilt werden, um damit den linken und rechten Gebäudeteil gleichmäßig mit Besuchern zu füllen. Diese Logik hatte sich mir noch nicht erschlossen, aber ich war ja auch kein Architekt.
Die Fundamente sahen gut aus. Die Oberflächen war mit Wasser gefüllt und die Schalung war offensichtlich mit Wasser abgespritzt worden, um die Hydratationswärme zu reduzieren. Rund um die Fundamente war der Boden noch deutlich nass. Mein Blick fiel auf das große Fundament. Hier hatten die Betonbauer jedoch nicht sehr sorgfältig gearbeitet. Die Oberfläche war nicht bewässert worden und an einer Seite war Beton übergelaufen und die Arbeiter waren durch den frischen Beton gelaufen. Neben den Reifenspuren eines Baufahrzeugs zeigten andere Spuren das grobe Profil von Sicherheitsschuhen. Am Rand sah ich einen Schuhabdruck, der das Motiv einer Schlange oder etwas Ähnlichem zeigte. Hier war ganz schön gewütet worden. So eine Sauerei. Ich nahm mir eine in der Nähe liegende Schüppe und zog die Betonschlämme zum Rand der Schalung.
Nun waren alle Spuren beseitigt, es sah etwas ordentlicher aus. Die schlampige Arbeit ging jedoch weiter. Die Bewehrung der oberen Lage schaute etwas aus dem Beton heraus. Keine Betonüberdeckung, das würde Herrn Pfotenhauer, dem Prüfingenieur, aber nicht gefallen. Der war sehr streng, ich hatte ihn bereits in der letzten Woche kennengelernt.
Da lag auch noch ein Mopp oder so etwas auf dem Beton. Ich trat an die Schalung heran und wollte mich hochziehen, schreckte aber zurück. Die Schalung war sehr warm, fast schon heiß. Anscheinend hatte der Unternehmer einen Beton mit sehr schnell abhärtendem Zement genommen. Der entwickelte dann die Wärme. Aber so viel Wärme, dass der Beton dampfte und die Schalung spürbar warm wurde, das hätte ich nicht gedacht. Ich kletterte auf die Schalung und zog den Mopp mit der Schüppe zu mir. Das waren Haare! Wer schmiss denn seine Perücke in den Beton? Die Haarfarbe konnte ich nicht erkennen, da alles zementgrau gefärbt war. Ich schleuderte die Perücke mit der Schüppe ein paar Meter weiter weg. Nun musste nur noch der Betonstahl wieder in dem Beton versenkt werden. Ich nahm die Schüppe und ließ sie auf den Stahl niederkrachen. Nichts passierte. Ich versuchte mein Glück noch ein paar Mal, jedoch ohne Erfolg. Da musste der Unternehmer selbst nachbessern. Es war jedoch zu befürchten, dass der Beton am Montag, wenn er wieder auf der Baustelle war, keine Änderung der Bewehrung mehr zuließ.
Als ich von dem Fundamt herunterstieg, hatten sich die Sonnenstrahlen etwas höher zwischen den weiter entfernt stehenden Bäumen durchgeschlichen und fielen in die Baugrube. Konzentriert durch eine Lücke in einer Baumkrone traf ein Spotstrahl die graue Oberfläche des Betons. Mir stockte der Atem!
Da schaute eine Hand aus dem Beton heraus. So wie die schwarze Hand von Bödefeld, die aus dem Grab eines früh gestorbenen Kindes herausgewachsen sein sollte, das seine Mutter geschlagen hatte. Ich konnte deutlich einen Ring erkennen. Die Hand signalisierte: „Zieh mich hier heraus!“ All mein Mut war erforderlich, um nicht augenblicklich diesen nun grausig gewordenen Ort fluchtartig zu verlassen. Ich kletterte hoch oben auf das frisch betonierte Fundament. Mit einem Fuß auf der Bewehrung, mit dem anderen breitbeinig auf der Schalung stehend griff ich nach der Hand. Ein Schauer durchfuhr mich. Ich fasse die Hand an, wie zur Begrüßung. Die war ganz warm. Lebte die noch? Meine Hand umschloss das Handgelenk hinter der hilfesuchenden Hand. Es fühlte sich an wie der untere Teil eines Hähnchenschenkels, der nicht kross gebraten war und labberig am Knochen hing. Mein Geist formulierte die Bitte: „Hoffentlich löst sich die Haut nicht!“ Ich zog und ein Arm, bekleidet von einem Oberhemd oder etwas Ähnlichem, kam zum Vorschein. Doch mehr ging nicht. Der Rest, der zu dem Arm gehörte, schien festzusitzen.
Das war nun jedoch nichts mehr für mich alleine. Ich sollte Franke anrufen oder vielleicht sogar die Polizei. Mich hilfesuchend umsehend, stieg ich mit weichen Knien von dem Fundament. Unten angekommen verkrampfte sich nun mein Magen und der Rest meines Abendessens wurde durch die Speiseröhre nach oben gedrückt. Ein sauer riechender Schwall einer grünbraunen Brühe ergoss sich in einen der Fußabdrücke, die ich nicht beseitigt hatte.
Ich nahm die Beine in die Hand und rannte die 200 Meter zu unserem Container. Die Treppe war schnell erklommen. Der Container war nicht abgeschlossen. Anscheinend hatte ich gestern Abend vergessen abzuschließen. Die Nummer von Franke, der am südlichen Rand Berlins wohnte, war im Telefon eingespeichert. Ich drückte den Knopf mit seiner Nummer.
Es tutete, einmal, zweimal, dreimal. Beim zehnten Mal nahm er den Hörer ab. „Was für ein Idiot ruft mich mitten in der Nacht an?“, brüllte er in den Hörer.
Kleinlaut erwiderte ich: „Ich bin es, Beermann.“
„Man, man, man Beermann, brennt es oder gibt es Tote? Warum rufen Sie mitten in der Nacht an?“
„Ich habe einen Arm gefunden.“
„Schön für Sie, dann haben Sie jetzt drei. Dann wird das ja was mit den 150%.“
„Hören Sie zu, Herr Franke, das ist nicht witzig, an dem Arm hängt noch etwas. Ich glaube, es ist ein Toter.“
„Sie glauben? Rufen Sie mich an, wenn Sie sicher sind! Für Glauben stehe ich nicht auf.“ Ich musste den Hörer von meinem Ohr weghalten, so laut sprach er.
„Wissen Sie was, rufen sie bei der Polizei an, der Dorfsheriff ist immer froh, wenn er etwas zu tun hat.“ Er hatte aufgelegt.
Eine viertel Stunde später stand ein Streifenwagen mit drehendem Blaulicht vor den Containern. Der Schutzmann rief zu mir hoch, ich hatte den Container nicht mehr verlassen: „Haben Sie angerufen?“ „Ja, da hinten ist der Tatort.“ „Na, von Tatort wollen wir ja noch nicht sprechen. Vielleicht ist es ja ein Unfall. Kommen Sie runter und zeigen Sie mir den Fund.“ „Sie müssen da hinten hin.“
Ich zeigte mit dem Finger in Richtung der Einzelfundamente. Ich wollte da nicht mehr hin. Bestimmt hatte ich einen Schock und dann muss man sich hinlegen. Vielleicht würde ich fortan auch unter einer posttraumatischen Störung leiden und meine junge Karriere als Bauingenieur wäre nun schon kaum noch vorstellbar. Dabei hatte ich noch so viel vorgehabt.
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