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Eine grausame Entdeckung erschüttert Berchtesgaden: In der idyllischen, aber schroffen Wimbachklamm liegt der leblose Körper einer schönen, jungen Frau. Kriminalhauptkommissar Franz Fischbacher, ein bodenständiger Oberbayer, übernimmt den Fall – allerdings nicht allein. Zu seinem Unmut steht ihm Rico Winkler, ein quirliger Sachse, unfreiwillig zur Seite. Schon beim ersten Blick auf die Szenerie sind sich die beiden Ermittler einig: Es handelt sich um Mord. Doch die Sache hat einen Haken – keine Spuren, keine Verdächtigen, keine klare Richtung. Der Druck auf das ungleiche Duo wächst. Während sie sich durch widersprüchliche Hinweise und die raue Natur der Ermittlungen kämpfen, spitzen sich die Spannungen auch auf persönlicher Ebene zu. Fischbachers hübsche Tochter hat ausgerechnet ein Auge auf den "Neuen" geworfen – und Winkler scheint dem Flirt nicht abgeneigt zu sein. Ein Umstand, der für zusätzlichen Zündstoff sorgt und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Kommissaren auf eine harte Probe stellt. Können die beiden ihre Gegensätze überwinden und den Mörder fassen?
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Inhaltsverzeichnis
Tod in der Wimbachklamm
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 Dienstag, 17. Januar 2017
Kapitel 2 Mittwoch, 18. Januar 2017
Kapitel 3 Donnerstag, 19. Januar 2017
Kapitel 4 Freitag, 20. Januar 2017
Kapitel 5 Samstag, 21. Januar 2017
Kapitel 6 Sonntag 22. Januar 2017
Kapitel 7 Montag, 23. Januar 2017
Kapitel 8 Dienstag, 24. Januar 2017
Kapitel 9 Mittwoch, 25. Januar 2017
Kapitel 10 Donnerstag, 26. Januar 2017
Kapitel 11 Mittwoch, 15. Februar 2017
Kapitel 12 Montag, 29. Mai 2017
Danksagung
Bayerisch – Deutsch
Personen
Fischbacher und Winklers zweiter Fall
Ein Berchtesgadener Land Krimi
von
Victoria Katharina Graf
&
Maximilian Michael Graf
Er ist nicht er,
sie ist nicht sie
Die Handlung und alle handelnden Personen sind von uns frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
überarbeitete Auflage Januar 2025
Copyright © 2017 Victoria Katharina Graf und
Maximilian Michael Graf
Cover-Design: Victoria Katharina Graf
Kaiser media publishing house
120 High Road, East Finchley
N2 9ED London
United Kingdom
All rights reserved.
ISBN: 978-3-9818951-0-0
Franz Fischbacher saß gemütlich in seinem Büro in der Polizeiinspektion Berchtesgaden und hatte gerade den Berchtesgadener Anzeiger aufgeschlagen, um sich seiner morgendlichen Lektüre zu widmen, als das Telefon schrill läutete. »Zefix, wer ruft denn um die Herrgottsfrühe scho a.« Widerwillig nahm Hauptkommissar Fischbacher den Hörer ab: »Fischbacher! Wer stört?« »Guten Morgen, Franz. Des isch aber a nette Begrüßung. War’s Wochenende nix. Häh?« Franz erkannte gleich die Stimme von seinem Chef. »Ja, Joseph. Griaß di. So war des doch net gmeint. Ich war nur gerade dabei, eine wichtige Akte durchzuarbeiten und war so vertieft.« »Ah, Akte. Heißt die Akte zufälligerweise Berchtesgadener Anzeiger? Nah, lassa mer des Thema. Isch au egal. Wega was i die a’ruf. Ich war doch im Dezember bei einem Polizeikongress in Köln. Da habe ich diverse Kollegen aus ganz Deutschland kennengelernt. Und du woist ja, wie es ist. Am Abend haben wir dann auch etwas getrunken. Vielleicht auch alle etwas zu viel.« Franz merkte, dass Joseph irgendwie um den heißen Brei rumredete und seine Vesper und die Zeitung lachten ihn bereits an. »Ja, dann hast ja viel Spaß gehabt. Wolltest du mir des erzählen?« »Ja, nein. Wie gesagt, ich hab von dem Kölsch vielleicht ein paar Gläser zu viel gehabt und bin da mit einem Kollegen aus Görlitz versumpft.« »Woher? Görlitz? Is des in Franken?«, Görlitz hatte Franz in seinem Leben noch nie gehört. »Nah, des ist in Sachsen, direkt an der Grenze zu Polen.« »Sachsen, Polen? Mit was für Leute hast du denn zu tun? Des sind ja Ausländer.« »Franz! Jetzt lass mich mal aussprechen. Wie gesagt, wir sind da etwas versumpft und dann habe ich ihm versprochen, dass sein Sohn mal die harte bayrische Polizeiarbeit kennenlernen darf. Ich habe des ja auch schon längst vergessen gehabt, aber gestern hat mich dann der sächsische Kollege angerufen.« »Hä hä, so, jetzt darfst Kindermädchen spielen. Des passiert halt, wenn man nichts verträgt. Tja, Pech, mein Lieber. Aber des bekommst du hin.« »Wieso ich? Du!« Fischbacher schwante Übles. »Was ich? Ich hör wohl net recht. Du tust im Suff etwas versprechen und i muss jetzt Kindsmagd spielen. Nein, mein Lieber, so nicht. Ich habe auch viel zu viel um die Ohren, da kann ich nicht noch auf so einen Grünschnabel aufpassen. Dazu noch ist des ein Ausländer und du weißt, mit denen kann i net so.« »Franz! Des ist kein Ausländer, der kommt aus den neuen Bundesländern. Die DDR gibt es jetzt schon über 25 Jahre nicht mehr. Des sollte sich auch bis zu dir herumgesprochen haben. Außerdem weißt du, dass du nur durch mein gutes Zureden noch in Berchtesgaden sitzt und nicht hier in Traunstein deinen Dienst verrichten musst. Also tue mir den Gefallen. Denn eine Hand wäscht die andere. Oder willst du deine letzten paar Jahre hier in Traunstein deinen Dienst schieben? Dann bist nicht mehr dein eigener Herr. Und jetzt sind mir mal ehrlich. Wann gab es bei dir den letzten Mord? Du schiebst doch da eine ruhige Kugel und ich denke, dir ist auch daran gelegen, dass des so bleibt. Außerdem kann ich den Grünschnabel hier gerade nicht brauchen. Du weißt doch, dass die in München wieder alles in Frage stellen und da brauche ich den Kopf frei und nicht noch einen, auf den man den ganzen Tag aufpassen muss.« »Ach, geht es mal wieder um deinen Stuhl.« »Du hast es erfasst. Aber nicht nur um meinen. Denn wie gesagt, ohne mich würde es in Berchtesgaden keine, sagen wir eine kleine Mordkommission, mit einem Kommissar, mehr geben. Und dazu ohne Morde. Oder kannst du mir sagen, wann es bei dir den letzten Mord gegeben hat? Also, wo jemand eines unnatürlichen Todes gestorben ist?« »Genau keinen Mord seit mehr als 15 Jahren. Des ist ganz und gar der Verdienst meiner Anwesenheit. Aber jetzt beantworte mir eins: Was soll dann der Grünschnabel hier, wenn kein Mord passiert?« »Das ist doch der Plan, Franz. Dem wird nach ein paar Tagen so langweilig, dass der schnell wieder heim will und du hast wieder deine Ruhe.« Franz schnaubte tief ins Telefon: »Von mir aus. Da bleibt mir ja nix anderes übrig. Aber des kostet dich mindestens eine Maß, wenn nicht zwei.« Man konnte bei Glockner regelrecht die Erleichterung durchs Telefon spüren: »Franz, an einer und von mir aus auch zwei Maß soll’s net scheitern.« »Und wann kommt der Vogel?« »Er kommt um 11:28 Uhr am Hauptbahnhof in Berchtesgaden an.« »Was? Heut?« »Ja. Der Herr Winkler sitzt schon im Zug zu dir. Hol in also bitte pünktlich ab und sei freundlich und nett zu ihm.« Wieder ein tiefes Schnauben von Franz in den Hörer: »Ich bin immer freundlich und nett.« »Gut, Franz. Ich zähl auf dich. Pfiad di.« »Ja, Pfiad di au«, Franz schmiss den Hörer auf das Telefon. Er warf einen Blick auf die Wanduhr. In einer Stunde und 15 Minuten hatte die schöne Zeit ihr Ende. Eigentlich war ihm ja sein Appetit vergangen, wenn sich Franz aber über etwas aufregte, dann musste er etwas essen. Sonst kommt er in den Unterzucker. Auf den Berchtesgadener Anzeiger hatte er aber keine Lust mehr. Für das entspannte Zeitungslesen war er zu geladen.
*
»Fahr doch, du Depp.« Franz drückte grantig auf die Hupe. »Immer diese scheiß Wintertouristen, keine Ahnung wie man sich in einem Kreisverkehr verhält. Franz nett aufregen. Nicht aufregen. Ganz ruhig.« Franz kämpfte sich durch den morgendlichen Verkehr am zweispurigen Kreisverkehr am Berchtesgadener Hauptbahnhof, »aber wenigstens sind die blöden Holländer mit ihren scheiß Campingwagen im Winter nicht unterwegs. Das würde noch fehlen.« Fischbacher bog auf den Parkplatz beim Hauptbahnhof ein und suchte verzweifelt einen freien Platz. »Nix frei. Wie immer. Dann eben so.« Er steuerte den Behindertenparkplatz direkt am Eingang des Bahnhofs an. Franz nahm das Blaulicht vom Beifahrersitz und stellte die magnetische Halterung aufs Dach. »So, jetzt wird’s aber Zeit. Hoffentlich muss ich nicht warten. Bei der Saukälte. Und wie erkenne ich den Ausländer? Der wird ja kaum ein Schild mit „Sachse“ um den Hals tragen. Nachher erwartet der noch ein Gastgeschenk.« Franz überlegte kurz, was er alles zum Verschenken im Kofferraum hatte. Ein Warndreieck, eine Wolldecke, seine Tuba und seinen neuen Hirschfänger. Warndreieck und Wolldecke mussten im Auto bleiben. Tuba brauchte er selber und der Hirschfänger war neu. OK, dann eben nichts. »Servus Franz. Fährst seit Neuestem mit dem Zug?« »Servus Heiner. Sicher nicht. Ich muss nur einen Kollegen vom Bahnhof abholen.« »Was? Einen Kollegen? Ist was passiert? Du bist doch bei der Mordkommission, oder?«, der naseweise Heiner hatte ihm gerade noch gefehlt. Wie werde ich den jetzt los? »Keine Angst, Heiner. Du bist sicher. Nichts ist passiert. Du i würde gern mit dir weiterreden, aber, wie gesagt, ich bin im Dienst.« »Ja, ich will dich auch nicht aufhalten, Franz. Aber komm doch mal wieder zum Stammtisch. Da sieht man dich ja gar nicht mehr.« »Ja, das mache i. I komme demnächst mal wieder vorbei. Also Servus Heiner.« »Servus Franz. Mach’s gut.« Franz ließ ihn stehen und ging schnellen Schrittes zum Bahnsteig, an dem gerade der Zug aus Bad Reichenhall eingefahren war. Der mäßig besetzte Zug leerte sich und die Fahrgäste verteilten sich in alle Himmelsrichtungen weg vom Bahnsteig. Franz musterte mit geschultem Polizeiauge die Fahrgäste. Welcher von denen könnte der Grünschnabel sein. Wahrscheinlich gerade mal 24 bis 26 Jahre alt. Fischbacher erkannte einen Mann aus der Menge heraus, der sich etwas orientierungslos auf dem Bahnsteig umschaute. Das wird er wahrscheinlich sein. Hauptkommissar Fischbacher läuft zielstrebig und mit seinem dienstlichen Gesicht auf den jungen Mann zu. »Kriminalhauptkommissar Franz Fischbacher. Mordkommission Berchtesgaden. Sind sie der Herr Winkler?« »Ja richtig. Einen wunderschönen guten Morgen. Ich bin der Rico Winkler. Kriminalkommissar aus Görlitz.« Winkler ließ eine seiner Taschen auf den Bahnsteig fallen und streckte Fischbacher schnell seine Hand entgegen. Franz schüttelte mit einem kräftigen Händedruck Winklers Hand. Winkler musste alle Beherrschung bewahren, um nicht unter dem Händedruck von Fischbacher laut loszuschreien. »sie haben aber einen festen Händedruck, Herr Fischbacher.« Winkler sortierte die Finger nach dem Händedruck wieder. »Tja. Das kommt vom vielen Holzhacken. Ist ja auch Winter.« »Heizen sie hier mit Holz? Haben sie kein Gas oder Öl?« »Doch scho. Aber Holz macht doch eine ganz andere Wärme«, Franz bemühte sich Hochdeutsch zu sprechen, da er schon die Fragezeichen in Winklers Augen sah, »sie kennen halt die kalten Winter in Berchtesgaden nicht. Heute Nacht hatten wir 18° minus. Aber wie wäre es, wenn wir ins warme Auto steigen würden und zur Polizeiinspektion fahren.« »Ja, gute Idee. Ist ja wirklich verdammt kalt hier.« Franz lief los und ließ Winkler seine beiden Taschen selbst tragen. Das wäre ja noch schöner. Ich bin ja hier nicht der Gepäckträger. Und für was hat der zwei große Reisetaschen dabei? Der soll doch bloß ein paar Tage bleiben. Franz öffnete ihm den Kofferraum und deutete an, dass er seine Taschen reinschmeißen soll. »Sie stehen ja auf dem Behindertenparkplatz. Bekommen sie da keinen Ärger?« »Sonst war nichts frei. Und ich darf das. Das Blaulicht ist doch auf dem Dach. Ist ja fast wie ein Einsatz.« Winkler überlegte kurz, ob er etwas darauf erwidern soll, aber ließ es dabei bewenden. Kaum saß Franz im Auto, drückte er das Radio an und sein Lieblingssender ertönte. Bayrische zünftige Blasmusik. So, hoffentlich ist jetzt mit dem Small Talk bis zur Inspektion gut gewesen. Wir haben ja auch jetzt scho gnuag geredet. »Ist es denn weit zur Inspektion, wie sie den Polizeiposten nennen?« »Nah.« Franz drückte am Lenkrad die Musik lauter. »Ganz schön hier.« »Ja.« Man das werden, glaube ich, lange 2,4 Kilometer. Dachte Franz so bei sich. Was soll ich jetzt mit dem machen? Hoffentlich hatte Glockner etwas erbarmen und das Intermezzo wird nicht lange dauern.
*
Franz hatte Rico einen freien Schreibtisch gegenüber seinem zugeteilt. Da dieser nicht wusste, was er tun sollte und Franz Fischbacher ihm außer einer alten Zeitung keine Arbeit gegeben hatte, putzte er erst mal gründlich den schon seit Wochen nicht benutzten Schreibtisch. Ansonsten schwiegen sie sich den restlichen Vormittag an.
*
Es klopfte an der Tür und eine Frau im Alter von Fischbacher kam herein. »Grüß di Franz. Du können wir heute Abend statt morgen zum Einkau … oh, entschuldigen sie. Ich wusste nicht, dass der Franz net da ist«, sie ging ohne Scheu auf Rico zu: »Ich bin die Resi Fischbacher, die Frau vom Franz und sie sind?« Rico stand auf und gab ihr die Hand. »Ich bin Rico Winkler. Ich bin für ein paar Tage der Kollege ihres Mannes, Frau Fischbacher.« »Des freut mich aber. Dann ist der Franz nicht den ganzen Tag immer so allein hier im Büro. Sie kommen aber nicht von hier, oder?« »Nein. Ich komme ursprünglich aus Görlitz und habe davor ein paar Jahre in Dresden gearbeitet.« »Ah Dresden. Das wäre schon immer ein Traum von mir gewesen. Dresden soll ja eine wunderschöne Stadt sein.« »Das ist sie, aber wenn ich ehrlich bin, natürlich nicht so schön wie München.« »Wo übernachteten sie denn, Herr Winkler? Haben sie eine Ferienwohnung oder ein Hotelzimmer?« »Um ehrlich zu sein, weder das eine noch das andere. Ich wollte ihren Mann noch danach fragen, ob er mir eine preisgünstige Unterkunft empfehlen kann.« »Also des wird um diese Jahreszeit nicht ganz so leicht. Die Wintersportler werden fast alle Hotels und Pensionen besetzt haben.« Resi Fischbacher runzelte die Stirn. »Wissen sie was, wenn sie wollen, dann können sie auch bei uns im Gästezimmer schlafen. Des steht sowieso die meiste Zeit im Jahr leer.« »Das kann ich doch nicht annehmen, Frau Fischbacher. Das macht viel zu viele Umstände. Ich finde schon etwas. Ich geh nachher ins Tourismusbüro und frage da.« »Ach, reden sie nicht. Das macht keine Umstände. Der Franz soll sie heute Abend einfach mitbringen.« Franz kam gerade wieder zur Türe rein. »Franz, das hast du mir gar nicht erzählt, dass du einen neuen Kollegen hast.« »Das wusste ich bis heute Morgen auch noch nicht.« »Ich habe auf jeden Fall Herrn Winkler eingeladen, bei uns zu wohnen. Ein Hotelzimmer oder eine Pension wird er heute wohl nicht mehr bekommen.« Franz Augen weiteten sich und man sah ihm die aufsteigende Wut regelrecht an. »Brauchst dich gar nicht so aufzublasen, Franz. Wir haben sowieso so selten Gäste und das Zimmer steht leer. Du bringst Herrn Winkler nachher mit. Wegen was ich übrigens da bin. Du kommst heute bitte etwas früher, da wir noch einkaufen gehen müssen.« Schnaubend hörte man durch knirschende Zähne: »Was heißt früher?« »Nah so um vier.« Franz wusste, dass jeder Widerspruch oder Widerstand zwecklos war. Wenn seine Frau sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wurde das auch gemacht. Punkt basta. Egal, ob er das wollte oder nicht.
*
»So, Herr Winkler, das ist unser Gästezimmer. Zwar nicht gerade groß, aber gemütlich.« »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Frau Fischbacher, dass sie mich bei Ihnen aufnehmen. Sie müssen mir aber sagen, was sie für die Nacht bekommen.« Resi Fischbacher schnaubte laut. »Erst einmal, nennen sie mich Resi und nicht Frau Fischbacher. Sonst komm ich mir noch älter vor, als ich es sowieso schon bin und zweitens, werden sie gar nichts bezahlen. So weit kommt es noch! Sie sind unser Gast und ein Gast hat noch nie bei uns etwas bezahlen müssen.« »Also, wenn ich sie, ich meine dich Resi nennen darf, dann nennen sie mich bitte Rico.« »So gefällt mir das. Also Rico, wenn du irgendetwas brauchst, dann geb mir einfach Bescheid.«
*
»Hallo Mama. Ich bin wieder da.« Eine junge Frau blieb erschrocken vor Rico und Resi stehen. »Tschuldigung. Ich wusste nicht, dass wir Besuch haben.« »Das ist Herr Winkler. Er ist für ein paar Tage der Kollege von deinem Vater. Und da er noch keine Bleibe hat, hab ich ihm unser Gästezimmer angeboten. Rico, das ist übrigens unsere Tochter Sophie.« »Hallo Rico. Ich bin die Sophie.« Die junge, hübsche Frau im Dirndl streckte ihm ihre zarte Hand entgegen. Rico war erst perplex und gab verzögert ihr die Hand. Sie musste denken, ich bin ein Vollidiot. »Hallo Sophie. Nett dich kennenzulernen.« Mehr fiel ihm gerade nicht ein, zu sagen. Irgendwie war er wie gelähmt. Sophie lächelte ihn an. »Und hast du schon was von Berchtesgaden gesehen? Hat dich Paps ein bisschen rumgeführt?« »Ich muss euch jetzt allein lassen. Ich muss dringend mit dem Papa einkaufen.« Rico konnte kaum so schnell reagieren, wie Resi aus dem Zimmer ging. »Danke, Resi, für das Zimmer.« »Scho recht.« Hörte er sie noch aus der Ferne murmeln und er stand mit der hübschen Tochter von Fischbacher allein in seinem Gästezimmer. Wie alt würde sie wohl sein. 23? 24? Höchstens 25. Älter sicher nicht. »Sorry, ich habe noch gar nicht auf deine Frage geantwortet. Um ehrlich zu sein, habe ich noch gar nichts von Berchtesgaden gesehen, außer dem Polizeirevier. Tschuldigung, die Polizeiinspektion, wie man hier ja sagt, und den Bahnhof.« »Sonst hast du noch gar nichts hier gesehen? Hast du wenigstens schon was gegessen?« »Nee, mehr hab ich leider noch nicht gesehen. Und gegessen habe ich heute ehrlicherweise auch noch nicht viel. Ich hab heute Morgen am Traunsteiner Bahnhof zwei Brezeln gekauft und die dann im Zug gegessen.« »Brezeln? In Bayern sagt man dazu Brezn, wenn du dich nicht gleich als Nichtbayer outen möchtest. Sonst hast du heute noch nichts gegessen?« »Okay, danke für den Hinweis. Brezn statt Brezel. Nein, die zwei Brezn waren alles.« Sophie lächelte Rico an. »Was hältst du davon, wenn ich dir ein bisschen Berchtesgaden zeige und wir dann zusammen essen gehen? Ich muss sowieso in die Stadt zum Müller. Ich brauch noch ein paar Sachen, wenn dir das nichts ausmacht, dass ich noch kurz dabei ein paar Einkäufe erledige. Hast du Lust?« »Nein. Ich mein ja.« Sophie zog die Augenbrauen hoch. Rico bemerkte sofort, das, was er gerade gesagt hatte, war mehr als irritierend gewesen und zeichnete sich auch sofort auf Sophies Gesicht ab. »Also nein, mir macht das gar nichts aus, dass du ein paar Einkäufe erledigst und ja, ich würde sehr gerne mit dir in die Stadt gehen. Und ich würde es sehr schön finden, mit dir zusammen etwas zu essen, aber nur unter der Bedingung, dass ich dich einladen darf.« In dem wunderschönen Gesicht von Sophie kehrte schlagartig das Lächeln zurück. »Einverstanden. Da höre ich mich nicht nein sagen. Ich muss mich nur noch kurz frischmachen. Was hältst du davon, wenn ich dich in 5 Minuten abhole?« »Super, dann kann ich auch noch kurz schauen, ob ich was brauche. Ich freue mich. Wirklich.« Rico schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit einem glücklichen Gesichtsausdruck gegen die Tür. Das freut mich nicht nur, das ist super genial. Ich hoffe, ich rede nachher nicht so einen Scheiß wie gerade eben. In 5 Minuten. In 5 Minuten? Rico stürmte in das kleine Badezimmer, das beim Gästezimmer war. Rannte schlagartig zurück, warf seine Tasche aufs Bett und suchte nach seinem Kulturbeutel. Riss die Flasche Listerine mit der lilafarbenen Flüssigkeit aus dem Kulturbeutel und rannte damit zurück ins Bad. Zähneputzen würde mir nicht mehr reichen, aber zumindest konnte ich für etwas frischen Atem sorgen. Rico nahm einen kräftigen Schluck aus der Verschlusskappe und rannte mit vollem Listerine Mund zurück zum Kulturbeutel und zog sein Deo heraus. Schnell noch etwas einnebeln und zurück ins Bad, das Listerine wieder ausspucken. Kurz die Haare nochmals zurechtmachen. Rico vernahm ein leises Klopfen an der Tür. »Rico, bist du fertig?« Man, die war ja mehr als überpünktlich, normalerweise sind 5 Minuten bei Frauen 10 Minuten. »Ja, ich komme.« Rico schnappte sich seine Jacke und stürmte zur Tür. »Hi!« »Hi! Sollen wir los? Macht es dir was aus zu laufen? Ist nicht so weit bis zur Stadtmitte.« Laufen war super, umso mehr Zeit konnte er mit Sophie verbringen. Beim Autofahren musste sich der Fahrer meistens auf den Verkehr konzentrieren und konnte nicht so am Gespräch teilnehmen und sich dabei anschauen. »Ganz und gar nicht. Ich laufe gern ein paar Schritte. Bin heute sowieso fast den ganzen Tag gesessen.« Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Sophie und Rico schlenderten durch die mit Straßenlaternen beleuchtete Straße. »Wie lange bleibst du hier?« »Ich weiß nicht. Der Polizeirat Glockner hat gesagt, ich soll mal ein paar Tage bei deinem Vater Dienst schieben, da das Kommissariat in Berchtesgaden recht unterbesetzt ist. Ich hatte aber das Gefühl, der Herr Glockner wollte mich loswerden.« »Du meinst den Polizeirat Joseph Glockner?« »Ja genau. Kennst du den etwa?« »Ja, klar, kenne ich den Sepp. Das ist doch mein Patenonkel. Du musst wissen, Paps und er waren zusammen auf der Polizeischule und haben jahrelang zusammen Dienst geschoben. Die kennen sich schon seit Kindesbeinen an. Der Onkel Joseph ist aber wirklich ein ganz netter. Soll ich mal mit ihm reden?« »Nein.« Stieß Rico beinahe hervor. »Nein. Lieber nicht. Ich weiß nicht, ob das was bringt. Ich soll hier ja auch nur ein paar Tage andere Luft schnappen und die bayrische Polizeiarbeit kennenlernen.« Sophie ließ es dabei beruhen, aber sie merkte Rico an, dass das nicht alles war. Irgendwie war da noch mehr. Aber wenn, dann soll er es von sich aus erzählen. »Und was machst du so beruflich?« »Ich? Ich arbeite auf dem Rathaus im Standesamt. Also etwas ganz Unspektakuläres im Gegensatz zu deinem Beruf.«
*
Sophie zeigte Rico die wichtigsten Plätze in Berchtesgaden, die er sich versuchte, zumindest halbwegs einzuprägen. Sie führte ihn vorbei am Schloss, an der Stiftskirche und zeigte ihm das Rathaus, in dem sie arbeitete. Anschließend gingen sie in die Fußgängerzone, die Einkäufe erledigen, wie sie ihm schon im Vorfeld angekündigt hatte. »Brauchst du noch etwas? Ansonsten würde ich sagen, wir gehen jetzt etwas essen. Ich hab nämlich einen riesigen Hunger.« »Gute Idee. Mein Magen knurrt mittlerweile unüberhörbar.«
*
»Wenn du gut und deftig essen willst, dann bist du im Silbernen Adler genau richtig. Vor allem die Schweinshaxn ist hier göttlich.« Rico hatte mit Sophie einen Tisch in der voll besetzten Gaststätte Silberner Adler ergattert, sie stellten die Einkaufstüten auf einen freien Platz neben sich und machten es sich auf den Stühlen gemütlich. Rico schaute sich um und sah nur voll besetzte Tische. »Ist hier immer so viel los? Es ist ja eigentlich Dienstag.« »Hier ist immer viel los. Die Küche hier ist aber auch wirklich gut und so etwas spricht sich rum.« »Hallo Sophie. Hab dich ja schon nee ganze Weile nicht mehr gesehen. Geht es dir gut?«, die dirndlbekleidete Bedienung stand am Tisch und kannte Sophie anscheinend recht gut. Aber hier in Berchtesgaden kennt, glaube ich, jeder jeden. So hatte er zumindest mittlerweile den Eindruck gewonnen. »Hallo Kim. Ja, bestens und wie geht es dir?« »Auch gut. Heute ist es wenigstens etwas ruhiger. Darf ich euch was zu trinken bringen?« Ruhiger? Nicht hektisch? Die Hütte war voll besetzt, dachte Rico nur bei sich. »Also ich bekomm eine Maß Wieninger hell. Und zum Essen nehm ich eine Haxn mit Knödel.« »Gut, geht klar und was darf ich dir bringen.« Man war hier anscheinend relativ schnell per du. »Ich verlass mich da ganz auf das Urteil von Sophie. Ich nehm das Gleiche.« »Ach übrigens darf ich euch vorstellen. Rico, das ist Kim und Kim, das ist Rico. Er ist der neue Kollege von meinem Vater.« Rico streckte Kim die Hand hin und schüttelte sie leicht, war aber überrascht von dem starken Händedruck. Kam wahrscheinlich von den schweren Maßkrügen servieren. »Freut mich, dich kennenzulernen, Rico oder muss ich Herr Hauptkommissar sagen?«, neckte Kim ihn mit einem freundlichen Lachen. »Ich glaube, Rico genügt und ich bin nur Kommissar. Bis zum Hauptkommissar, das geht noch ein paar Jährchen.« »Na dann hole ich mal euer Bier.« Die dirndlbekleidete Bedienung war schon am nächsten Tisch eine Bestellung aufnehmen, bevor er noch etwas sagen konnte. »Ist sie eine Freundin von dir? Seid ihr zusammen zur Schule gegangen?« Sophie winkte ab: »Ich kenn die Kim schon Jahre, seit sie hier Bedienung im Silbernen Adler ist. Die ist echt nett.« »Ah, OK.« Rico schaute sich in der Gaststube um. »Ist sehr gemütlich hier.« »Freut mich, dass es dir gefällt.« »Du, eine Frage. Ist vielleicht eine dumme Frage und du lachst mich aus, aber was ist eine Haxn?« Sophie musste tatsächlich lachen. »Eine Haxn ist ein gegrillter Schweinefuß. Und dazu gibt es Kraut und Knödel. Jetzt wart’s ab. Am Ende willst du nichts anderes mehr essen.« Kim brachte die Maßkrüge mit Bier. »Hier bitte. Zweimal Wieninger hell. Die Schweinshaxn brauchen noch ein paar Minuten.« »Danke, Kim.« Sophie griff mit ihrer Hand geschickt durch den Henkel des Kruges. Rico tat ihr mal gleich und es funktionierte recht gut, so den Krug zu heben. »Also Rico, ich heiße dich jetzt ganz offiziell in Bayern willkommen. Dass du dich hier die Tage wohl fühlst, dir die Arbeit hier Spaß macht und lass dich von meinem Vater nicht zu sehr ärgern. Prost.« »Danke und Prost.« Sophie hatte scheinbar einen guten Zug. Anscheinend schien es zu stimmen, dass in Bayern die Kinder schon mit Bier großgezogen werden. Aber er musste ja auch zugestehen, dass das Bier hier wirklich hervorragend schmeckte. »Ich freue mich wirklich, dass ich dich kennengelernt habe. Ich würde jetzt wahrscheinlich in eurem Gästezimmer Fernseher schauen und mich zu Tode langweilen.« Sophie lachte. »Ich glaube, da wäre dein Abend aber sehr langweilig geworden. Denn im Gästezimmer meiner Eltern gibt es keinen Fernseher.« »Dann wäre es heute Abend wirklich etwas dürftig geworden.« »Aber jetzt bin ich schon etwas enttäuscht und beleidigt mit dir.« Rico erschrak. Was hatte er falsch gemacht oder was hatte er falsches gesagt? »Warum? Habe ich dich irgendwie beleidigt? Oder was Blödes gesagt? Wenn ja, das wollte ich sicher nicht.« Er hatte das Gefühl, dass er rot wurde. »Du hast gesagt, du freust dich, dass du mich kennengelernt hast, sonst hättest du heute nur vorm Fernseher gesessen und dich gelangweilt. Bist du nur deswegen mit mir in die Stadt? Ich dachte, du magst mich etwas.« Sophie hatte einen Schmollmund aufgesetzt, der aber nicht echt wirkte. Rico war etwas erschrocken von der direkten Art, die Sophie zutage legte, aber eigentlich gefiel ihm das auch vom ersten Augenblick an ihr. »Also ich bin ganz sicher nicht mit dir nur weggegangen, weil es mir sonst langweilig geworden wäre. Und …«, er zögerte etwas, um die richtigen Worte zu finden, »… und ich mag dich.« Sofort war der gestellte Schmollmund auf ihrem Gesicht in ein Lächeln umgeschwenkt. »So, hier, eure Schweinshaxn. Einmal für dich und einmal für dich. Lasst es euch schmecken, ihr zwei.« Kim hatte die beiden aus der Trance gerissen und auch gleichzeitig Rico gerettet. Er wusste gerade überhaupt nicht mehr, was er zu Sophie sagen sollte. »Danke.« »Ja Danke. Kim. Lass es dir schmecken, Rico. Ich hoffe, es schmeckt dir. Ansonsten bestellen wir etwas anderes.« »Lass du es dir auch schmecken.« In der Schweinshaxn steckte ein scharfes Vespermesser. Das hatte er so noch nie gesehen. Es sah aber auf den ersten Blick verdammt lecker aus. Er schaute einfach Sophie zu, wie sie die Schweinshaxn essen würde. Nicht, dass er sich bis auf die Knochen blamieren würde. »Mein Gott, schmeckt das gut. Das ist wirklich lecker.« »Freut mich, wenn ich das Richtige ausgewählt habe.«
*
Eine halbe Stunde später waren auf beiden Tellern die Schweinshaxn sowie die Knödel verschwunden. »Willst du schon zurück oder sollen wir noch ein Bier trinken?«, Sophie hatte die Maß schneller leer gehabt als er. Eigentlich war er nicht gewohnt, Bier in solchen Mengen zu trinken, aber das Wieninger lief runter wie Öl. »Also, ich würde gerne mit dir noch ein Bier trinken und hier ein Weilchen quatschen.« Die zweite Maß stand schneller auf dem Tisch als gedacht und zu allem Überfluss spendierte der Wirt des Silbernen Adlers, da er Sophie anscheinend auch gut kannte, noch jedem einen Grassl Enzian. »Du kennst hier, wie es ausschaut, auch jeden.« »Das ist das Los, wenn man hier im Ort aufgewachsen ist. Hier zur Schule gegangen ist. Auf dem Rathaus arbeitet. Der Vater, bei zig Vereinen Mitglied ist. Da kennst du mit der Zeit jeden aus dem Ort. Oder die kennen dich. Oft passiert mir auch, dass die mich kennen, aber ich absolut keine Ahnung habe, wer das ist. Damit es dann nicht allzu peinlich wird, spiele ich halt mit und tue so, als würde ich sie auch kennen.« »Verstehe. Das passiert mir in Görlitz, Gott sei Dank nicht. Dazu ist die Stadt dann doch zu groß. Aber es gibt trotzdem genügend Leute dort, die mich kennen. Oder besser gesagt, die meinen Vater kennen. Aber das mit meinem Vater ist eine andere Geschichte.« »Also wenn du darüber reden möchtest«, Sophie nahm einen kräftigen Schluck aus dem neuen Maßkrug, »ich hätte heute Abend nichts mehr vor.« Rico wusste nicht, ob er mit solch einem Thema nicht den schönen Abend verderben würde, aber andererseits war ihm Sophie, trotz dessen sie sich nicht kannten, so vertraut, dass er ihr am liebsten alles erzählen würde, was ihm auf dem Herzen lag. »Ich möchte dich mit solchen Geschichten nicht langweilen und den schönen Abend verderben.« »Du langweilst mich mit Sicherheit nicht und außerdem habe ich dich danach gefragt.« Rico nahm einen kräftigen Schluck von der Maß: »Ob dann die Maß ausreichen wird, das kann ich dir nicht garantieren.« »Ich glaube, das Bier geht hier nicht so schnell aus.« »Gut, wenn du meinst. Wo soll ich anfangen?« »Du hast von deinem Vater gesprochen.« »Na ja, wenn man ihn Vater nennen kann. Nennen wir ihn einfach mal Erzeuger. Ein gutes Verhältnis zu ihm hatte ich nie. Nicht als Kleinkind und schon gar nicht als Jugendlicher nach der Wende. Das Einzige, was ich in seinen Augen in meinem Leben richtig gemacht habe, war, dass ich wie er zur Polizei gegangen bin. Heute beschränkt sich das Verhältnis auf das Nötigste. Du musst wissen, meine Mutter ist schon vor Jahren, als ich noch klein war, gestorben. Statt dass sich mein Vater um mich gekümmert hat, bin ich ins Internat gekommen. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens und hat mein Verhältnis zu ihm nicht gerade gefestigt.« »Das ist ja schrecklich. Warum hat er dich nicht bei sich daheim aufgezogen.« Sophie schien ernsthaft entsetzt. »Meinem Vater war seine Karriere bei der Polizei wichtiger als alles andere. Er arbeitete Tag und Nacht und härter als alle anderen, um der Beste zu sein, da hatte ein kleiner Junge kein Platz in seinem Leben. Außerdem ist ein halbes Jahr nach Mutters Tod seine Sekretärin bei ihm eingezogen und da war dann für mich der Ofen aus. Ich bin dann nach dem Abitur direkt vom Internat zur Bundeswehr und von dort aus habe ich mich bei der Polizei beworben. Ich wollte nicht auf meinen alten Herren angewiesen sein und habe keine Nacht mehr bei ihm zuhause geschlafen. Nach der Ausbildung habe ich ein paar Jahre bei der Polizei in Dresden meinen Dienst geschoben und hab meinen Vater mehrere Jahre nicht gesehen. Was ich jetzt nicht traurig fand und er wahrscheinlich auch nicht.« »Mehrere Jahre? Du hast deinen Vater mehrere Jahre nicht gesehen?« »Ja. Doch dann kam es zu einer Polizeireform in Sachsen. Reviere wurden zusammengelegt oder aufgelöst und so musste ich, wenn ich eine Stelle bei einer Mordkommission weiter haben wollte, wohl oder übel nach Görlitz. Okay, ich hätte noch zur Sitte gekonnt, aber das wollte ich nicht.« »Sitte? Was ist Sitte?« »Entschuldigung. Sitte ist die Abkürzung für Sittenpolizei. Da geht es um Sexualstraftaten, Menschenhandel usw…« »Ach, ich verstehe.« »Gut. Und so bin ich plötzlich in Görlitz gelandet, im Einflussbereich meines Vaters. Ich dachte, es würde ja irgendwie funktionieren, aber es funktionierte von der ersten Sekunde an nicht. Dann lief noch bei einem Fall etwas schief und er machte richtig Stress. Bevor es ganz eskalierte, kam mein Vater mit der Idee, mich hierher zuschicken, damit ich mal in aller Ruhe über mein verkorkstes Leben nachdenken kann. Ich habe ohne zu zögern Ja gesagt und bin am nächsten Tag schon im Zug nach München gesessen. Am liebsten würde ich hier bleiben.« Sophie runzelte die Stirn. »Ich würde dich auch am liebsten dabehalten. Du bist so anders als die anderen.« Die direkte Offenheit, die Sophie an den Tag legte, konnte Rico nur bewundern. Sie sprach geradeheraus, was sie dachte. Ohne Umschweife. Sollte er auch etwas direkter wie Sophie werden oder war das nur der mittlerweile dritten Maß Bier und dem Enzian geschuldet? »Ich würde auch am liebsten hier bei dir bleiben.« So, jetzt war es raus. Sophie und Rico schauten sich nun eine ganze Weile nichtssagend an. »Wie klappt es eigentlich mit Paps? Lass mich raten, er ist nicht gerade begeistert, dass du da bist.« »Ja. Das glaube ich auch. Ich glaube sogar, der wäre froh über jede Sekunde, in der ich eher weg bin. Und als deine Mutter mich noch eingeladen hat, bei euch zu wohnen, da hatte sich seine Laune nochmals verschlechtert.« »Soll ich mit ihm reden? Dem Charme seiner Tochter kann er sicher nicht widerstehen. Obwohl, wenn ich so recht überlege, sollten wir ihm das mit heute Abend lieber nicht sagen. Sonst hast du einen noch schwereren Stand bei ihm als so schon. Wenn du böser Bube mit seiner Tochter ausgehst und mit der auch noch flirtest. Das mag er nämlich gar nicht.« Oje. Auf was hatte er sich da eingelassen. »Wenn es dir nichts ausmacht, erzählen wir ihm von heute Abend einfach nichts. Ist besser für dich.« »Von mir aus, ja.« Sophie schaute durch das fast leere Wirtshaus. »Ich glaube, wir sollten so langsam aufbrechen. Die machen hier bald zu.«
*
»Es war wirklich ein sehr schöner Abend mit dir, Rico. Wenn du willst, können wir das gerne wiederholen.« Sophie hatte sich urplötzlich sanft bei ihm untergehakt. »Das würde ich auch gerne. Ich fand den Abend auch sehr schön mit dir, Sophie.« Untergehakt und schweigend schlenderten sie durch die eiskalte, sternenklare Nacht zurück zum Haus der Fischbachers. Rico wusste nicht, wie ihm geschieht. Bis vor ein paar Stunden kannte er Sophie noch gar nicht und jetzt wollte er sie am liebsten gar nicht mehr loslassen. Es kam ihm so vor, als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen. Am liebsten wollte er mit ihr die ganze Nacht spazieren. Aber leider war der Weg nicht ganz so weit, wie er gedacht hatte, und sie standen schon nach wenigen Minuten vor dem Haus. »Pssst. Wir müssen leise sein, sonst wecken wir Paps und Mama auf.« Sophie schloss vorsichtig das Türschloss auf und versuchte so wenig wie möglich Krach zu machen. Anscheinend hatte sie das schon öfters gemacht, denn die Tür gab keinen Mucks von sich. Sophie zog Rico an sich ran und flüsterte so, dass er fast ihre zarten Lippen am Ohr spüren konnte: »Sei vorsichtig. Die dritte Stufe gibt einen Höllenlärm, wenn man drauftritt. Also nimm nur die zweite und vierte Stufe, sonst wachen alle auf.« »Okay. Mach ich«, flüsterte Rico zurück. Wenn er eines ganz sicher nicht will, dann ist es, dass Franz Fischbacher aufwacht und bemerkt, dass er die halbe Nacht mit seiner hübschen Tochter unterwegs war. Dann wäre seine Laune wahrscheinlich morgen früh oder besser gesagt heute früh noch schlechter und frostiger als gestern. Sophie zog ihre Schuhe aus und deutete auf Ricos Schuhe, dass er es genauso machen sollte. Sie schlichen beide die Treppe hinauf bis zu Ricos Zimmer. »Danke für den schönen Abend. War wirklich sehr nett mit dir. Schlaf gut und lass dich von Paps nicht ärgern. Er ist ein alter Grantler.« »Ich fand den Abend wunderschön mit dir, Sophie. Schlaf du auch gut.« Was habe ich jetzt wieder für einen komischen Satz von mir gegeben? Schlaf du auch gut. Sophie drehte sich Richtung Flur, machte dann aber kehrt, schlich nochmals auf Rico zu und ehe er begreifen konnte, was passierte, gab Sophie ihm einen zarten Kuss auf den Mund. Rico stand da, wie von einem Holzhammer getroffen. Also von einem positiven Holzhammer getroffen. Sophie war schon am Ende des Ganges angelangt, drehte sich nochmals um und winkte Rico kurz zu, bevor sie verschwand. Er hätte jetzt mit allem gerechnet, aber nicht, dass er von Sophie einen Kuss bekommen würde. Er kannte sie jetzt erst ein paar Stunden und hatte das Gefühl, dass er sich unsterblich in Sophie verliebt hatte.
»Guten Morgen, Herr Fischbacher.« Der Tag fängt ja schon gut an. Das Erste, was er am Morgen sah, war dieser Neue, wie er gerade aus meinem Gästezimmer kam. »Ja, guten Morgen«, brummte Fischbacher unfreundlich zurück. »Ich habe selten so gut geschlafen. Diese Luft hier. Wirklich herrlich.« Konnte der nur einmal seine Klappe halten! Muss der mich morgens schon um 7:00 Uhr vollquatschen? Wahrscheinlich hat das windige Zigarettenbürschle von seiner Sophie geträumt. Lass ja die Finger von meiner Tochter! Sonst dreh ich dir den Kragen rum. »Ach guten Morgen Rico. Ich habe dir unten schon Kaffee und frisch gebackenes Brot hingestellt, aber Sophie zeigt dir gerne alles. Ich muss jetzt leider los«, trällerte Resi Fischbacher ihm schon auf der Treppe entgegen. Franz raufte sich innerlich durch die Haare, als er das hörte. Wir sind doch kein Hotelbetrieb. Erst lädt ihn meine Frau ein, dass er hier im Gästezimmer schlafen kann, dann bekommt er auch noch Frühstück. Ja, wo samma denn? Das muss ich dringend beenden. Ich ruf heute noch höchstpersönlich ein paar Spezl an und kümmere mich um eine neue Bleibe für den Herren. Der sitzt nicht mehr lange an meinem Frühstückstisch. Und womöglich verdreht der DDRler meiner Sophie noch den Kopf. Das fehlte noch! Ein Saupreiß hier in der Familie. »Guten Morgen, Rico. Hast du gut geschlafen? Setz dich. Mum hat für dich schon gedeckt.« Sophie blinzelte ihm vertraut zu. Bei Rico ging damit die Sonne jetzt schon auf, obwohl erst in einer Stunde Sonnenaufgang wäre. Gestern Nacht hatte Sophie ihm einen Zettel unter der Tür durchgeschoben, mit ihrer Handynummer und der Aufforderung, dass er sich bei ihr melden soll. Sie vermisse ihn. Daneben war ein rotes Herz gemalt. »Guten Morgen, Sophie. Ja. Ich habe, glaube ich, noch nie so gut geschlafen wie hier bei euch.« Zumindest die paar Stunden, die er geschlafen hatte. Er konnte mit den Gedanken an Sophie lange nicht einschlafen und lag noch ewig im Bett wach. Rico setzte sich zu Sophie an den gut gefüllten Frühstückstisch. »Das ist aber echt lieb von euch, dass ihr mich so verköstigt. Ich kann das doch gar nicht wiedergutmachen. »Das wäre auch gar nicht nötig. Des passt scho Rico. Mach dir da mal keinen Kopf. Mama und ich machen das gern.« »Guten Morgen. Bist heute nicht etwas spät dran, Sophie? Sonst bist du doch schon um die Zeit weg.« »Guten Morgen, Paps. Ich fang heute etwas später an. Ich hab noch ein paar Minuten Zeit.« »Aha, sonst hast es morgens aber eigentlich immer eilig.« »Passt schon Papa.« Franz schaute auf den Frühstückstisch: »Und für mich hat man nicht gedeckt? Oder was?« »Mama hat gesagt, du weißt ja selber, wo die Teller und Tassen stehen. Dann kannst du es dir auch selber rausholen.« Franz schaute Sophie an und überlegte sich gerade, ob er etwas darauf erwidern soll, aber machte nur eine abfällige Handbewegung. Irgendwie hatte er schon gar keinen Hunger mehr. »Bekomme ich wenigstens einen Kaffee?« Sophie schob ihm die weiße Thermoskanne hin: »Hier, Paps. Reg dich nicht so auf. Mama hat es doch nicht böse gemeint. Sie war nur etwas im Stress heute Morgen. Hier, ich hab schon ein paar Scheiben Brot runtergeschnitten.« Franz nahm zwei Scheiben vom Brot und knallte sie auf seinen Teller: »Wenigstens das.« Rico beobachtete die Szenerie mit Interesse. Ein gemeinsames Frühstück mit seinen Eltern war ihm fremd, und Geschwister hatte er keine. Seine Mutter war ja schon früh gestorben und sein Vater hat ihn daraufhin ja gleich ins Internat gesteckt, da seinem Vater die Karriere und die Sekretärin bei der Polizei wichtiger waren. Normalerweise hatte er immer alleine oder im Internat mit zig anderen Kindern gefrühstückt, daher genoss er auf eine gewisse Weise das Frühstück mit den Fischbachers, trotz der schlechten Laune von Franz. Rico bemerkte, wie Sophies Fuß ihn zärtlich berührte. »So, ich muss jetzt los. Ich wollte dir nur noch guten Morgen sagen.« Franz schaute gar nicht zu Sophie auf, weil er sich denken konnte, dass er nicht gemeint war. »Mach’s gut, Rico und der Abend gestern war wirklich sehr schön mit dir. Du auch Papa. Bis heute Abend.« »Du auch«, kam ihm Rico zuvor. Rico war aber trotzdem leicht erschrocken, da sie doch vereinbart hatten, gegenüber ihrem Vater von gestern Abend kein Wort zu verlieren. Bevor Franz noch irgendwie was zu Sophie sagen konnte, war sie schon zur Küche rausgestürmt und hatte die Tür hinter sich zugezogen. Was für einen schönen Abend hatten die beiden? War meine Sophie gestern mit diesem windigen Bürschle unterwegs? Bis heute Abend. Pah. Ich sorge dafür, dass der heute Abend nicht mehr an meinem Tisch sitzt. Ich finde dem eine Pension oder ein Zimmer und wenn ich es selber bezahlen muss. »Wir sollten nachher noch nach einer Bleibe für sie schauen. Ich kenn da ein paar nette Pensionen und günstige Hotels. Ich ruf nachher gleich mal ein paar Spezl an.« »Ah ja. Gute Idee. Das ist echt nett von Ihnen, Herr Fischbacher. Ich wollte mich da gestern wirklich nicht aufdrängen, aber ihre Frau hat mir gar keine andere Wahl gelassen.« Fischbacher nickte nur, aber erwiderte nichts darauf. Rico spürte genau, dass Franz ihn nicht bei sich haben wollte, aber es war wohl auch besser, nicht im gleichen Haus wie Franz zu wohnen. Obwohl er es wegen Sophie echt schade finden würde. Sie hatten sich gleich auf Anhieb gut verstanden, aber um seinen vorübergehenden Chef nicht noch mehr zu verärgern, war das wohl die beste Lösung. Sophie könnte ich sicherlich auch so sehen, vielleicht wäre das auch besser so.
*
Fischbacher breitete die Zeitung auf dem Schreibtisch aus. Er hatte sich fest vorgenommen, dass er nur einen kurzen Blick in den Berchtesgadener Anzeiger werfen würde und dann gleich mal wegen einem Zimmer für Winkler rum-telefonieren würde. »Sophie hat gesagt, sie waren gestern zusammen unterwegs.« Irgendwie bereitete ihm das Kopfschmerzen, nicht zu wissen, was dieser DDRler und seine Tochter gestern Abend zusammen gemacht haben. Mit diplomatischem Geschick würde er es vielleicht aus dem Bürschle rausbekommen. »Sophie hat mir nur gezeigt, wo ich etwas einkaufen kann und am schnellsten hinkomme und….« Das Telefon unterbrach Rico mit seinem schrillen Klingelton. Kann man da keinen angenehmeren Klingelton einstellen? Jedoch war Rico nicht gerade undankbar über den Anruf, vielleicht war das Thema damit beendet. »Hat man denn hier nie seine Ruhe?«, übellaunig nahm Franz das Telefon ab. »Fischbacher Polizei Berchtesgaden!« »Hallo Franz. Hier ist der Sepp. Du, ich brauch dich hier. Und zwar schnell.« »Jetzt mal langsam, Sepp. Ist alles in Ordnung bei dir? Du bist so aufgeregt. Und wo soll ich hinkommen?« Ein tiefes Schnaufen hörte man am anderen Ende: »Nix ist in Ordnung, Franz. Komm bitte schnell in die Wimbachklamm. Hier liegt a Tote.« Franz Stirn legte sich in Falten: »Ist mal wieder ein Touri abi gfoin? Wäre ja nicht das erste Mal dieses Jahr…« Polizeihauptmeister Sepp Reiser unterbrach Franz ruppig: »Nah, Franz. Des ist kein Touri. Und wie ein Unfall sieht es auch nicht gerade aus. Also bittschön komm her.« Franz sah den Vormittag im warmen Büro vorm geistigen Auge dahinschwinden. Er spürte regelrecht die neugierigen Blicke von Winkler, der ihm direkt gegenüber am anderen Schreibtisch saß. Nah ja, es half alles nichts: »Also gut, wir sind unterwegs. Aber wahrscheinlich ist es nur ein Unfall und sonst nichts weiter. Wo ist es denn genau?« »Direkt in der Klamm, aber des siehst du dann schon. Der Krankenwagen und der Notarzt sind auch schon da. Also bitte mach gschwind.« Wirsch knallte Franz den Höher aufs Telefon. »Es scheint, sie haben Glück, werter Kollege. Wir haben eine Leiche in der Wimbachklamm. Aber machen sie sich keine allzu großen Hoffnungen auf einen Mord. Ich würde jede Wette eingehen, dass des ein Unfall war.« Winkler sprang auf: »Was ist denn der Wimbachklamm? Ist das weit von hier.« »Die. Die Wimbachklamm. Eine Klamm ist eine Schlucht, durch die ein Bach oder Fluss fließt. Des ist keine 10 Kilometer von hier. Direkt vor Ramsau.« Franz mustere Ricos Schuhwerk. »Ich hoffe, sie haben noch andere Schuhe als die hier dabei. Sonst wird es vielleicht ein bisschen kalt.« Rico schaute auf seine schwarzen Sneakers hinab. »Ich hab leider nur die und noch ein anderes Paar Halbschuhe dabei. Brauch ich andere Schuhe?« »Eigentlich schon, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. Die können sie auch in der Mittagspause besorgen, bis dahin sind wir schon lange wieder hier.«
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Fischbacher fuhr den Weg, soweit er vom Schnee geräumt war, und stellte sich hinten in der Reihe von Polizeistreifenwagen, Bergwacht, Notarzt und Krankenwagen an. »Von hier aus müssen wir laufen. Da kommen wir mit dem Auto nicht weiter.« Franz schnürte sich seine Bergstiefel an die Füße, die er immer im Auto liegen hatte. »Hat es hier immer so viel Schnee?« »Sie haben aber schon mitbekommen, dass wir Winter haben, oder? Und hier gibt es im Winter halt Schnee. Gibt es in der DDR keinen Schnee?« Rico überhörte die Stichelei mit DDR geflissentlich. »In Görlitz recht selten und wenn, dann nicht solche Mengen. Im Erzgebirge, da gibt es schon etwas mehr Schnee. Da kann man sogar Skifahren…« »Ja, des ist sehr interessant, aber wir sollten uns vielleicht unserer Arbeit widmen. Auf geht’s.« Franz ging strammen Schrittes den mit Schnee bedeckten Weg entlang. Rico kam bei dem Tempo, das Fischbacher vorgab, kaum hinterher. Nicht, weil er keine Kondition hatte, sondern da er sich mit Mühe und Not mit seinen Sneakers durch den Schnee kämpfte. Franz war schon gut und gerne 50 Meter vor ihm und dachte nicht daran, auf ihn zu warten. Er versuchte, die Abdrücke der anderen im Schnee zu nutzen, damit er besser vorwärtskam und nicht zu arg rutschte. Er musste unbedingt noch heute andere Schuhe kaufen. Am besten solche Wanderstiefel wie Fischbacher sie hatte und er brauchte dringend eine dickere Winterjacke, wenn er nicht den Erfrierungstod sterben wollte. Irgendwie mochte Fischbacher ihn nicht sonderlich. Sie kannten sich doch gar nicht, aber er hatte schon von Anfang an so eine ablehnende Haltung gegenüber ihm. Vielleicht würde das Verhältnis ja mit der Zeit besser und Fischbacher musste erst warm mit ihm werden. Zumindest war Sophie sehr nett zu ihm und sie war echt verdammt hübsch. Der würden sicherlich die Männer in Scharen hinterherrennen. Da hatte er sowieso keine Chance. Aber er könnte sie ja zumindest heute Abend fragen, wo er am besten solche Stiefel und eine Winterjacke kaufen könnte. »Jetzt kommen’s schon endlich und trödeln sie nicht so rum. Sind doch bloß noch ein paar hundert Meter.« Franz zog sein Smartphone aus der Tasche und drückte unbeholfen auf ihm herum, bis er gefunden hatte, was er suchte. »Sepp. Wo seid ihr? Ich bin jetzt kurz vor dem Eingang der Schlucht. Ah ja. Gut, dann komme ich runter.« Winkler hatte Franz eingeholt. »Wir müssen nur noch da runter zum Eingang. Anscheinend liegt die Leiche gleich nach dem Eingang zur Klamm.« Bevor Rico etwas erwidern konnte, war Franz im Stechschritt schon wieder 5 Meter weiter.
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Sepp Reiser wartete schon ungeduldig am Eingang der Wimbachklamm auf Franz: »Gut, dass du da bist. Es ist ganz schrecklich, Franz.« »Jetzt beruhig dich erst mal, Sepp. So aufgeregt bist doch sonst nicht, wenn irgendein Touri abgestürzt ist. Jetzt lass mal sehen, wo liegt denn der Tote. Dann können wir das relativ schnell erledigen.« »Eine Tote. Die Tote ist eine Frau Franz. Es ist die …« Winkler kam an. »Stopp. Gehen sie bitte weiter. Hier gibt es nichts zu sehen. Drehen sie bitte um«, herrschte Hauptwachmeister Sepp Reiser Winkler an. »Guten Morgen, Herr Hauptwachmeister. Ich bin Rico Winkler. Der neue Kollege von Herrn Fischbacher.« Winkler streckte Reiser die Hand hin. Reiser musterte ihn und blickte Fischbacher fragend an, der ihm nur kurz mit dem Kopf ein bejahendes Zeichen zunickte. »Ich bin der Hauptwachmeister Sepp Reiser.« Sepp nahm Winklers Hand und schaute Franz weiterhin irritiert an. »Seit wann hast du einen neuen Kollegen? Davon weiß ich ja gar nichts.« Franz verdrehte die Augen: »Seit gestern und das ist nur vorübergehend. Herr Kommissar Winkler nimmt sozusagen an einem Austauschprogramm teil. Aber den Kaffeeplausch können wir später fortsetzen. Zeig mir… äh … ich meine uns die Leiche und dann können wir wieder zurück ins Warme. Wie seid ihr hier überhaupt reingekommen?« Reiser, der immer noch leicht irritiert war, deutete mit der Hand an der offenen Drehkreuz-Schranke vorbei. »Da oben in dem Feuerwehrkasten ist ein Notschlüssel für die Tür.« Franz nickte nur und war schon wieder schnellen Schrittes unterwegs in Richtung des schneebedeckten Stegs, so dass Reiser und Winkler Mühe hatten hinterherzukommen. Reiser stützte Winkler, als der gerade ins Schlitten kam.