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ACHTUNG: SPORT KÖNNTE IHR LEBEN BEENDEN! Was haben ein Bowlingcenter, eine Kletterhalle und ein Fitnessstudio in Bremen gemeinsam? Genau, sie alle haben plötzlich einen Toten. Die Polizei ist schnell vor Ort und sieht ihre Überzeugung mal wieder bewiesen: Sport ist Mord! Doch Kommissar Morthau ist sich da nicht immer so sicher. Begleiten Sie den Kommissar und erleben Sie 16 teils skurrile Todesfälle, die Ihren Puls, wie beim Joggen, in die Höhe treibt. Sport ist in jedem Fall zwar nicht immer Mord, Tote gibt es aber trotzdem. Sie glauben ein entspanntes Minigolfen hat noch kein Herz zum Stillstand gebracht? Seien Sie sich da nicht zu sicher!
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Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek registriert. Die bibliografischen Daten können online angesehen werden:
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EINLEITENDE WORTE
Die Idee zu diesem Buch kam mir bei einer Joggingrunde um den Bürgerpark, bei der mir am Ende die Luft knapp wurde und ich erschöpft etwas Wasser brauchte.
Ob nun »Sport ist Mord« oder »Beim Sport passieren die meisten Unfälle«: Jeder kennt derartige Sprüche, die sich negativ auf Sport beziehen. Warum also nicht eine kleine Kurzgeschichtensammlung zum Thema tödlicher Sport schreiben? Ein Buch also, in dem gezeigt wird, wie man mit, beim, vor oder nach dem Sport sterben kann. Und das auf teilweise verrückte Art und Weise.
Da es so viele Sportarten gibt, boten sich mehrere kurze Geschichten an. So ist hoffentlich für jeden etwas dabei.
Es sollten kleine Kriminalgeschichten werden, mit Polizei, mit Mord und mit Blut. Da man meinen Namen eher mit amüsanten Geschichten verbindet, sollten auch diese wieder ein wenig witzig und skurril werden. Nur diesmal eben mit etwas mehr schwarzem Humor.
»Tatort: Sport« war eine anfängliche Idee für den Titel, doch Sport ist kein Ort, Sport ist eine Tätigkeit und demzufolge kein Tatort.
Ein Titel wie »Sport bringt den Tod« klang aber nun gar nicht interessant, sondern eher wie ein sehr kurzer Ratgeber – und das sollte dieses Buch eindeutig nicht werden. Es soll unterhalten, verwirren und amüsieren. Und es soll für alle Sportinteressierten und Sportmuffel sowie Krimifans sein, was so ziemlich jede Person zwischen acht und achtundachtzig mit einschließt.
Der Titel »Tod, Mord, Sport« wurde es am Ende, weil sich in den sportlichen Geschichten Morde und Unfälle ereignen, die manchmal untersucht werden oder eben nicht, wenn sie zum Beispiel nicht als Mord erkannt werden. Die Tatorte sind unter anderem ein Bowlingcenter, eine Kletterhalle, ein Fitnessstudio, ein Minigolfplatz und ein Hindernisparcours. Durch die teilweise besonderen Orte und Personen entsteht auch dieser (schwarze) Humor, der die Leser zwischen all dem Drama immer mal wieder zum Lächeln bringt.
Die meisten Geschichten sind lose durch die Hauptfigur Kommissar Morthau und seinen Kollegen Kommissar Glöde verbunden.
Lassen Sie sich von ihnen ein wenig durchs Buch führen und schauen ihnen zu, wie sie ihre Fälle lösen. Wären Sie auch immer auf den Täter gekommen?
An dieser Stelle möchte ich noch kurz erwähnen, dass ich jede Person, die Sport betreibt, achte und wertschätze, denn Sport kann ziemlich schmerzhaft sein. Trotzdem ist das Sporttreiben gut und hält gesund, das wissen wir alle. Liebe Sporttreibende, denkt immer daran, dass ihr es für euch und nicht für andere macht! Und wer weiß, vielleicht wird dieses Buch einmal zu einem Hörbuch und ihr könnt es euch, während ihr euren Halbmarathon lauft, anhören.
Jan Ischke, Bremen,
September 2020
Kleine Kugel, schwerer Schläger
»Kevins Minigolfplatz« stand auf dem Schild.
Morthau stieg aus seinem Auto und schaute sich um. Vier Einsatzwagen standen um den Minigolfplatz herum. Das war beinahe die gesamte Flotte. Der Minigolfplatz war ein seltsamer Tatort. Hier kam es zwar oft zu Rangeleien und Pöbeleien, aber bislang noch nie zu einem Mord. Generell fanden hier in Neu Wulmsdorf nur sehr selten Morde statt, und noch viel seltener blieb der Mörder am Tatort.
Der Mann schlug weiterhin wie verrückt geworden seine Bälle vom Bauch des Opfers und lachte dabei schallend. Da er jeden Polizisten, der zu nahe kam, mit seinem Golfschläger bedrohte und er bereits umzingelt war, hatten es die Kollegen für ratsam gehalten, Morthau zu verständigen und erstmal Mittagspause zu machen. Er sollte nun mit dem Verrückten reden und ihn zur Aufgabe zwingen. Diese Feiglinge, dachte sich Morthau. Vermutlich freuten sie sich, dass hier endlich mal was los war. Sie hatten es nicht eilig, ins stickige Büro zu kommen.
Als Kommissar war Morthau zwar kein offizieller Vermittler, und er klärte lieber Morde auf, als mit Mördern zu reden, aber er konnte gut mit Leuten umgehen. Vermutlich hatte man ihn auch deshalb heute dazu geholt – sie wollten ihn prüfen und von ihm lernen.
Langsam näherte er sich dem Mann, der vom Platzwart als Herr Anton Arndt identifiziert worden war und noch immer Bälle abschlug. Na ja, zumindest vollführte er die Bewegung dazu, denn Bälle hatte er keine mehr. Und trotzdem tat er so. Hochkonzentriert und immer in Richtung des achtzehnten Lochs.
Morthau näherte sich auf drei Meter, da drehte Arndt sich urplötzlich zu ihm um und richtete die Schlägerspitze auf Morthaus Kopf. Der Kommissar blieb stehen. Das war eine eindeutige Warnung, was passieren würde, wenn er versuchen sollte, den Verrückten zu überwältigen. Allerdings war dessen Blick dabei so leer, als ob er mit offenen Augen einem Hörbuch lauschte und sich dabei kurz vor dem Einschlafen befand.
Morthau hielt beide Hände hoch, damit der andere sehen konnte, dass er unbewaffnet war. Daraufhin richtete Arndt seinen leeren Blick wieder auf seinen imaginären Ball auf dem Bauch der sehr realen Leiche, aus der mittlerweile kaum noch Blut austrat. Das war Morthau ganz recht, er hasste Blut.
»Guten Tag, Herr Arndt. Mein Name ist Morthau. Kommissar Morthau.«
Herr Arndt antworte nicht und gab auch kein Anzeichen dafür, dass er ihn gehört hatte. Morthau musste sich etwas anderes einfallen lassen.
»Ein gutes Spiel, Herr Arndt! Wie viele Punkte haben Sie bereits?«
Da wachte Herr Arndt ein wenig aus seiner Trance auf.
»Oh, danke. Ich bin bei achtundzwanzig Schlägen. Aber irgendwie will der letzte Ball nicht rein. Ich versuche es schon die ganze Zeit.«
»Hm. Kann es sein, dass das Problem darin besteht, dass Sie keinen Minigolfball mehr haben?«
Er entschied sich, langsam anzufangen und Arndt noch nicht darauf hinzuweisen, dass er seine Bälle vom Bauch eines Toten abschlug.
Arndt lachte nur verwundert auf angesichts dieser Behauptung und schlug wieder einen imaginären Ball ab. Er war wieder in seiner Welt. Morthau musste etwas unternehmen. Er ging zum Kassenhäuschen, wo sich zum einen die Schläger- und Ballausgabe befand und wo sich zum anderen auch der Platzwart noch immer in Deckung aufhielt. Der war mit der ganzen Situation sichtlich überfordert.
»Er stach einfach immer wieder auf ihn ein!«, stammelte er.
Morthau fragte ihn nach zwei Minigolfbällen, was ihn noch mehr aus der Fassung brachte.
»Sie wollen jetzt Minigolf spielen?«, fragte er verunsichert.
»Nein, natürlich nicht. Nun geben Sie schon her!«
Nachdem der Kommissar zwei Bälle ausgehändigt bekommen hatte, ging er wieder zu Herrn Arndt zurück.
Zunächst ließ er ihn schlagen, dann hielt er ihm einen der Bälle entgegen. »Sagen Sie, könnten Sie mir ein Autogramm auf meinen Ball schreiben?«
»Ein Autogramm? Von mir? Na, meinetwegen.«
Er unterschrieb. Mit seinem Finger. In der Zeit warf Morthau den zweiten Ball auf die achtzehnte Bahn.
»Oh, vielen Dank. Den Ball werde ich zu meiner Sammlung legen. – Übrigens, das war ein guter Schlag eben. Jetzt ist der Ball hinter der roten Linie, Sie können vorgehen, Herr Arndt. – Darf ich zuschauen?«
Anton Arndt schaute überrascht erst den Ball, dann den Kommissar und dann wieder den Ball an. Er war wirklich irritiert und fing nun an, mehr von seiner Umgebung wahrzunehmen.
»Oh, ähm… Ja, klar.«
Er trat vom Leichnam weg, und zusammen gingen sie ein paar Schritte. Endlich fort von dieser ekeligen Blutlache. Hinter Arndts Rücken gab Morthau den Kollegen mit den Händen ein Zeichen, die Leiche zu sichern und zu untersuchen. So ließen sie von ihren Broten ab, erhoben sich und kümmerten sich um den toten Golfspieler. Wie die Kollegen es nur schafften, die Brote im Magen zu behalten ... Vermutlich hatte das Fernsehen sie abgehärtet.
Arndt stellte sich währenddessen in Position und schlug den Ball ins Loch. Er freute sich zunächst, doch dann war er wie ausgewechselt. Er fing wohl an, sich zu erinnern, und blickte der Leiche hinterher. Durch das Blut an seiner Kleidung verstand er nun erst, was er getan hatte. Er hielt dem Kommissar beide Hände hin und ließ sich ohne Gegenwehr abführen.
***
Zwei Stunden später, der Tatort war nun aufs Genaueste untersucht und alle Beweismittel dokumentiert, befand Morthau sich mit Anton Arndt in Verhörraum eins. Der Kommissar gönnte sich einen Kaffee, während er dem Täter einen Pfefferminztee hinstellte.
»Hier, bitte, das beruhigt Ihre Nerven.«
Arndt zitterte noch immer leicht. »Danke. Aber ich fürchte, da reichen auch keine hundert Tees. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, wie ich mich dazu hinreißen lassen konnte, und wie überhaupt …«
»Nun mal ganz ruhig! Trinken Sie einen Schluck, und dann erzählen Sie mal ganz von vorne.«
»Und mein Anwalt? Sollte ich nicht noch auf meinen Anwalt warten?«
Diese Anwaltsgespräche zogen sich immer in die Länge. Stunden und Tage vergingen dabei, bis man das herausgefunden hatte, was man jetzt vielleicht in dreißig Minuten erfahren konnte. Verständlich, denn die meisten Anwälte wurden nach Zeit bezahlt. Das Verfahren in die Länge zu ziehen, war in ihrem Interesse. Mit einer kleinen Notlüge schonte Morthau nicht nur ihre Zeit, sondern auch seinen Geldbeutel.
»Der Anwalt ist schon unterwegs. Aber wir können ja gerne schon einmal anfangen. Dann sind Sie hier auch ganz schnell wieder raus.« Morthau meinte natürlich den Verhörraum, aber vielleicht dachte Arndt auch an das Polizeigebäude und das Gefängnis. Das wäre ihm nur recht.
»Also gut. Wie Sie meinen. Also, dass ich Anton Arndt heiße, wissen Sie ja schon. Ich bin 64 Jahre jung und von Beruf Rentner. In meiner Freizeit spiele ich sehr gerne Minigolf. Na ja, sehr viel mehr kann man hier als Rentner ja auch nicht machen, außer vielleicht nach Hamburg reinfahren. Aber das sind ja dann auch immer wieder Strapazen. Da bleibe ich doch lieber hier in meiner beschaulichen Gemeinde.«
Vermutlich wollte er an Morthaus Lokalpatriotismus appellieren, doch da war er auf dem Holzweg. Morthau wollte selber weg von hier. Nach Bremen oder Hamburg, wo er richtige Fälle bekam und noch Karriere machen konnte. Darum antwortete er nur mit einem kurzen: »Verstehe.«
»Na ja, und wie es halt so kommt, wenn man jede Woche Minigolf spielt, lernt man auch andere Spieler kennen. Die meisten waren super nett und man konnte sich mit denen auch außerhalb der Sportanlage in der Kneipe um die Ecke treffen. Doch seit einem halben Jahr gab es auch einen, den ich überhaupt nicht abkonnte: Bernd Bredinger.«
Der Kommissar schaute auf seine Notizen. Bernd Bredinger war die Abschlagsleiche.
»Irgendwann fand ich heraus, dass wir fünf Kilometer voneinander entfernt wohnten. Man sollte denken, dass das ausreicht, um sich nicht so oft zu treffen, aber weit gefehlt. Denn obwohl die Entfernung uns beide ziemlich weit voneinander trennte, brachte unser Hobby uns immer wieder zusammen: auf dem Minigolfplatz.«
Ein sonst so entspannter Sport für Jung und Alt sollte die beiden über den Tod hinaus verbinden.
»Ich traf ihn erst nur selten auf dem Platz, aber in den letzten Wochen sah ich ihn immer öfter, als ob er meinen Trainingsrhythmus abgekupfert hätte. Und seine Herrenhandtasche, die hat er sich auch erst gekauft, nachdem er die bei mir gesehen hatte. So eine Tasche ist aber auch echt praktisch beim Minigolf. Du kannst deine eigenen Bälle mitbringen und hast immer den passenden Ball für jedes Wetter. Jedes Mal, wenn wir uns auf dem Platz trafen, gerieten wir aneinander. Erst hatten wir nur Meinungsverschiedenheiten, doch die gingen dann irgendwann in laute Streite über. Ich denke, jeder auf dem Platz wusste, dass es besser war, uns voneinander zu trennen.«
Nun hatten sie also das Motiv. Wer der Mörder war, wussten sie natürlich allzu gut. Und er machte sich nicht die Mühe, es zu verheimlichen.
»Unser Platzwart Clemens Claßen, zu dem ich immer eine gute Beziehung hatte, meinte auch mal, ich sollte mich nicht auf sein Niveau runterziehen lassen. Und auch, dass die Leute dann nur auf uns beide schauten und nicht mehr Minigolf spielten. Die fanden uns wohl interessanter. Doch solange das Publikum bezahlte, griff Claßen nicht ein.«
Morthau schaute auf seine Unterlagen. Claßen hatte die Polizei gerufen, nachdem der Mord vorgefallen war. Der Kommissar notierte sich einiges von dem Gesagten und hörte weiter zu.
»Na ja, und letzten Monat trafen wir mal wieder gleich zu Anfang aufeinander. Das heißt, achtzehn Bahnen lang spielten wir hintereinander im direkten Wettkampf. Es war ein ziemlich enges Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach dem siebzehnten Loch stand es unentschieden. Die Entscheidung sollte also am achtzehnten Loch stattfinden.
Bernd Bredinger brauchte zwei Schläge. Meistens schaffte ich, den Ball an dieser Stelle schon mit dem ersten Schlag einzulochen, doch dieses Mal fiel mir ein Blatt auf die Schulter, ein Scheißblatt von dem Scheißbaum über dem scheißachtzehnten Loch! Genau in dem Moment, als ich abschlug. Ich traf zwar den Ball, aber der Winkel war minimal verzogen. Das reichte aus, um einen Korrekturschlag und noch einen dritten Schlag ausführen zu müssen. Und somit gewann Bernd Bredinger mit 31 zu 32 Schlägen. Er war ein schlechter Gewinner. Er jubelte, als handelte es sich um ein großes Turnier. Wenn ich es so recht bedenke, war ich aber auch ein schlechter Verlierer. Ich war ziemlich verärgert, einmal auf Bernd, aber auch auf das Blatt, das herunterfiel. Eine Wiederholung akzeptierte Bernd natürlich nicht … – Was ist eigentlich mit meinem Anwalt?«
»Der sollte jeden Moment da sein, erzählen Sie weiter. Das ist ja alles höchst interessant.«
»Finden Sie? Na ja, also an dem Abend bin ich dann schnell nach Hause gegangen. Ich war verärgert. Natürlich konnte ich das nicht auf mir sitzenlassen. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum, aber ich besorgte mir ein Messer. So ein langes, scharfes zum Aufklappen. Am nächsten Abend testete ich in der Dunkelheit seine Schärfe an einem Baum. An dem Baum, der mit seinem Blatt meinen Sieg verhinderte, und schnitt ein ›BERND UND BLÄTTER SIND BLÖD‹ in die Rinde. Die Klinge war sehr scharf, darum war das kinderleicht und ich war sehr zufrieden. Bei meinen nächsten Besuchen auf dem Minigolfplatz hatte ich das Messer immer bei mir. Aber Bredinger war nie da.
Drei Wochen vergingen, und er kam wieder. Braun gebrannt und noch arroganter, als er eh schon war. So laut, dass es jeder hören konnte, verkündete er, er habe Urlaub auf Malle gemacht und sich in der Sonne brutzeln lassen. Und so leise, dass nur ich es hören konnte, sagte er: ›Ich musste meinen finalen Sieg über dich doch gebührend feiern.‹
Da brannte wohl eine Sicherung in mir durch. Ich kann mich noch immer nicht an alles erinnern. Aber Fakt ist, dass ich wohl irgendwie Minigolf gespielt habe und wir irgendwann alleine auf dem Platz waren. Ich muss anscheinend richtig schlecht gewesen sein, denn Bredinger ließ mehrere gehässige Sprüche los. Was meine Wut nur noch steigerte. Und nach einem dieser Sprüche zog ich mein Messer aus der Tasche und stach auf ihn ein. Danach schlug ich noch mehrere Male mit dem Schläger in seine hässliche Fratze. Aber wie gesagt, ich bekam das gar nicht wirklich mit. Es war wie ein Traum oder als ob ich jemand anderen dabei beobachtete, aber nicht mich.
Als Bredinger dann ruhig und tot dalag, riss ich sein Hemd hoch und nahm seinen Bauchnabel als Vertiefung für den Ball. Ich traf wohl gut, aber noch nicht sehr gut. Denn ich traf den Baum. Ich holte mir einen ganzen Korb voller Bälle. Keiner hinderte mich daran. Die Menschen um mich herum machten einen Heidenlärm, aber das interessierte mich alles nicht. Ich wollte jetzt nur noch Bälle schlagen. Jeder einzelne Ball ging gegen diesen beschissenen Baum oder einen anderen Baum in der Nähe. Später versuchte ich, das Loch zu treffen. Immer und immer wieder. Sie merken, ich war ziemlich neben mir.«
»Verstehe. Nun kenne ich zumindest Ihre Geschichte. Ich werde natürlich noch ein paar andere Golfplatzbesucher und den Platzwart Claßen befragen müssen.«
»Machen Sie das. Aber befragen Sie nicht Bredinger! Der will mir nur irgendwas anhängen. Damit er der beste Spieler auf dem Platz wird.« Und dann fing Anton Arndt an zu schreien: »Aber das ist er nicht! Und das wird er auch nie werden! Sagen Sie ihm das ruhig! – Hey, was soll das?«
Die Tür des Untersuchungsraums wurde aufgerissen, und Anton Arndt wurde von zwei muskulösen Männern in weißer Arbeitskleidung festgehalten, sodass man ihm eine Zwangsjacke anziehen konnte. Danach wurde er der örtlichen Psychiatrie überstellt. Morthau schaute dem Ganzen traurig zu. Ein Jammer. So ein alter Mann würde nicht mehr vor seinem Tode entlassen werden.
Für Manfred Morthau ging die Sache dafür bedeutend besser aus: Er wurde von Neu Wulmsdorf nach Bremen versetzt und befördert. Nun zierte ein Schildchen mit der Aufschrift »Polizeikommissar« seine Bürotür.
Der Tod auf Rollen
»Skate Night«!
Wie an jedem ersten Dienstag des Monats von Mai bis September motivierte die »Bremen Skate Night« auch heute alle Interessierten zu kostenlosen Skate-Touren in großer Gesellschaft. Das war allerdings nicht der einzige Grund, weshalb ich mich hier angemeldet hatte.
Wochenlang, genau genommen drei Wochen lang, übte ich. Zunächst um aufrecht auf diesen Rollen zu stehen, dann um mich damit auch zu bewegen. Und zwar weiter als ein paar Zentimeter. Und irgendwann klappte es dann auch mit dem Bremsen. Ein bisschen stolz war ich schon, hatte ich es weder als Kind noch als Jugendlicher bisher geschafft. In meiner Jugend fuhr man noch mit Rollschuhen, die zwei mal zwei Rollen hatten, wie beim Auto. Generell fahre ich lieber Auto. Mit dem Motorrad bin ich nie gefahren. Und Fahrradfahren ist mir zu anstrengend.
Aber ich komme vom Thema ab: Ausgestattet mit Schienbeinschonern und Helm sowie einem kleinen Rucksack mit meinen Inlinern, einer Wasserflasche und noch einem besonderen Gegenstand fuhr ich zum Hansa-Carré in die Pfalzburger Straße. Natürlich erst mal mit der Bahn. Ich wollte schließlich meine Kräfte schonen. Kräfte, die ich für meinen Auftrag noch brauchte, denn ich war nicht zum Vergnügen hier.
Auf dem großräumig abgesperrten Parkplatz vom Hansa-Carré stand ein großes, blaues, aufgepumptes Tor mit der Aufschrift »Start–Ziel«, das mich an den Eingang von Hüpfburgen erinnerte. Vor Ort erwartete mich ein Rahmenprogramm für die Inliner-liebende Masse: eine Bühne mit Musik und Moderation, eine Rollerdisco sowie Erfrischungsstände und ein Inline-Parcours, den jeder zum Spaß fahren konnte. Animationen, wohin man sah. Na ja, wem es gefällt.
Ich hatte noch etwas Zeit, darum setzte ich mich an den Rand in eine etwas ruhigere Ecke, wechselte meine Fußbekleidung und schaute mir die Leute an. Überall standen perfekt ausgestattete Skatefahrer herum. Da es warm war, hatten die meisten nur ein Shirt oder Top an und fast alle trugen kurze Hosen; außer natürlich der Polizei, den Johannitern und den ehrenamtlichen Möchtegern-Ordnern, die auch überall herumstanden. Autorität muss schließlich sein. Doch noch beunruhigte mich das nicht. Zumindest solange sie keine Taschenkontrollen machten. Ich suchte weiter, aber erwartungsgemäß fand ich meine Zielperson auf dem dicht besuchten Platz nicht.
Kurz vor Beginn reihte ich mich ganz vorne ein. Mir war klar, dass ich nicht der Beste oder Schnellste war, aber so konnte ich sicher sein, meine Zielperson zu treffen, während sie mich irgendwann überholte.
Der Startschuss für die etwa zwanzig Kilometer lange Runde erfolgte pünktlich um 20.30 Uhr. Während die Ersten bereits fuhren, standen die Hinteren noch an und warteten, dass sich der Vordermann endlich in Bewegung setzte.
So zog sich die rollende Menschenmasse quer durch Bremens asphaltierte Straßen, die für diese kurze Zeit für den Autoverkehr gesperrt waren. Anfangs war ich noch vorne beim Musikwagen und konnte Lieder wie »Murder on the Dancefloor« von Sophie Ellis-Bextor hören. Ich musste grinsen. Ein gar nicht so unpassendes Lied.
Aufgrund meiner mäßigen Geschwindigkeit hatte mich bereits nach kurzer Zeit das Teilnehmer-Mittelfeld eingeholt. Die Musik war nur noch schwach zu hören und wurde die meiste Zeit vom Rauschen der Inliner übertönt. Auch die einzelnen Straßenschilder konnte ich in der Masse aus Menschen nicht mehr erkennen. Warum auch? Ich musste nur der Meute folgen, nach meiner Zielperson Ausschau halten und dabei nicht umfallen. Mal ging es nach links, dann wieder nach rechts, und immer wieder gab es lange gerade Strecken, auf denen selbst ich Tempo machen konnte. Dabei musste ich aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr verausgabte.
Immer wieder rempelten mich dabei Mitfahrende an, die sich entschuldigten und dann schnell weiterfuhren. Am liebsten hätte ich sie umgehauen, aber einen Streit anzufangen, war heute nicht zielführend. Ich wollte unauffällig in der Masse bleiben, und so wünschte ich ihnen Hals- und Beinbruch.
Es verging über eine Stunde. Ich befand mich bereits auf Höhe des Theaterschiffs an der Weser, also auf dem Rückweg, und wurde unruhig. Immer auffälliger reckte ich den Hals in die Höhe und schaute mich suchend um. Konnte es sein, dass ich sie übersehen hatte? Oder hatte sie auf Facebook gelogen und skatete heute gar nicht mit? Meine Zweifel wuchsen mit jedem weiteren Meter, den ich zurücklegte.
Doch dann erkannte ich sie anhand der Kleidung, des Rucksacks und des pinken Helms. Sie hatte nur ein minimal schnelleres Tempo drauf als ich, weshalb es so lange dauerte, bis sie auf meiner Höhe war. Ich reihte mich hinter ihr ein und behielt nun das Tempo von ihr bei.
Mittlerweile war es dunkel. So konnte ich in einem ungesehenen Moment meinen Rucksack nach vorne ziehen und heimlich den besonderen Gegenstand herausholen: ein kleines, spitzes Messer. Kaum erkennbar aus einigen Metern Entfernung, aber dafür umso tödlicher. Hier, auf dem nun beginnenden, langgezogenen Osterdeich, sollte es passieren. Hier würde ich Karin umbringen.
***
Karin war sechsundzwanzig Jahre alt, studierte seit einigen Jahren Germanistik und war frisch verliebt in Paul. Paul war ein Jahr älter, sah sportlich aus und verdiente bereits seit mehreren Jahren gutes Geld im Betrieb seines Vaters. Er war lieb, gutherzig und gab jeden Tag Streicheleinheiten weiter – zumindest an Mister White, sein schneeweißes Zwerg-Angorakaninchen. Karin merkte schon bald, dass Mister White auf Pauls Beliebtheitsskala immer merklich über ihr stand. Das war aber auch verständlich, denn Mister White war viele Jahre vor Karin in sein Leben getreten und sah wesentlich süßer aus mit seinen langen, wilden und flauschigen Haaren, die ihm ins Gesicht hingen. Er wusste, wie er Paul um den Finger wickeln konnte. Am liebsten rannte und sprang das Kaninchen dazu um seine Beine. Wäre es eine Katze gewesen, hätte es dabei geschnurrt, doch so vernahm Paul nur ein leise vibrierendes Brummen. Trotzdem lebten die drei zusammen in einer Wohnung, und es lief wochenlang alles gut. Bis Paul für einige Tage arbeitsbedingt verreisen musste und Karin einwilligte, sich um das Tier zu kümmern. Es mache überhaupt keine Probleme, sagte sie.
Als Paul wiederkam und sofort nach Mister White sah, fand er ihn tot in seinem Gehege vor. Karin schwor, dass sie ihn jeden Tag gefüttert und mit Wasser versorgt habe, ja, sie habe ihn sogar ein- bis zweimal gestreichelt und gekämmt. Es sei vermutlich das Alter, meinte sie. Aber Paul glaubte ihr kein Wort. »Du hast ihn von Anfang an nicht gemocht! Du Mörderin!«
Minuten später trennte er sich von ihr und schwor Rache. Aber zunächst einmal war er am Boden zerstört. Er war so unerträglich niedergeschlagen, dass er zwei Tage später in bedenklichen Foren im Darknet sein Leid klagte. Einer der ominösen User dort sicherte ihm zu, dass das überhaupt kein Problem sei. Gegen eine kleine Spende könne er alles in die Wege leiten, damit diese Mörderin niemals wieder einem Kaninchen etwas antun könne. Paul hatte dieses »Spendengeld« auf seinem Konto über, er konnte es sich leisten. Aber natürlich überwies er nicht irgendeinem dahergelaufenen Unbekannten sein Geld, dafür war er viel zu clever, auch wenn es ihm seit »dem Vorfall« schwerfiel, klar zu denken. Er wollte Sicherheiten. Da es diese aber im Darknet nicht gab, einigten sich die beiden auf das typische »Die erste Hälfte vorher, die zweite Hälfte danach«. Sie kamen ins Geschäft. Paul überwies den Betrag in Form von nicht zurückverfolgbaren Bitcoins und gab noch einige Informationen über seine Ex weiter: neben den Stammdaten wie Name und Adresse auch Vorlieben, wie zum Beispiel, dass sie immer bei diesen Skate Nights mitmachte, und natürlich die Links zu ihren Social-Media-Accounts.
Mein Auftraggeber – der ominöse Darknet-User – arbeitete normalerweise für mächtigere Kunden und übernahm diesen Auftrag nur, weil er das Geld für eine kleine Verbesserung an seinem neuen Lamborghini gut gebrauchen konnte. Da er sich für derartige Nichtigkeiten nicht die Finger schmutzig machte, leitete er wiederum mir diesen »kleinen Handlangerjob«, wie er es nannte, weiter. Vermutlich war ich viel zu günstig für diese Art Aufträge, aber ich brauchte das Geld zum Abbezahlen meines Hauses. Ich bekam die Bilder von Karins letzten Skate-Touren zugeschickt, den Termin des heutigen Laufs oder was auch immer das hier gerade war und einen kleinen Vorschuss. Davon kaufte ich mir die Inliner und besorgte mir das Messer, welchem ich den Namen »Mackie« gab. Ich fing an zu trainieren, und einige Wochen später hatte ich mein Ziel erreicht: Ich fuhr direkt hinter ihr.
***
Ich hielt mich also immer hinter Karin, »Mackie« war in meiner linken Hand, gleich würde ich zustechen, gleich … nur noch den einen Typ vorbeilassen und dann …
»Karin? Hey Karin!«, kam es von der Seite.
»Oh, Malte, cool, dass du auch wieder dabei bist. – Aber ganz schön langsam heute.«
»Ach, es geht doch nicht ums Gewinnen, Karin, sondern um das gemeinsame Erlebnis. Apropos, ich begleite dich ja gerne, aber ich muss noch meine Leute einholen, bevor sie am Ziel sind. Also, bis gleich!«
»Ja, bis gleich und fahr vorsichtig!«
Der eingebildete Schnösel fuhr weiter. ›Es geht nicht ums Gewinnen, sondern ums Erleben, Karin‹ – Was ist das denn für ein Spruch? Mann, Mann, Mann, das hätte mir noch gefehlt, dass der Typ bei ihr bliebe und damit meinen ganzen Plan durchkreuzte.
Ich schaute mich um. Kein Weiterer in direkter Nähe, jetzt war der perfekte Augenblick. Ich war nun auf Höhe der Sielwallfähre und umschloss meinen »Mackie« fester. Ich gab Gas. Nur ein, zwei schnelle Stiche in den Rücken oder den Hals und dann schnell runter von der Strecke. Jetzt oder nie. Ich holte aus. Da fuhr Karin einen Schlenker, und bevor ich mich darüber wundern konnte, fing plötzlich der Boden an zu beben, sodass ich ordentlich durchgeschüttelt wurde. Ich konzentrierte mich und schaute runter. Es musste eine kurze Unebenheit auf der Strecke gewesen sein. Sand, Kies, Zweige, Steine … Keine Ahnung, was es war, aber anscheinend hatte Karin es gesehen und konnte ausweichen. Ich nicht. Da ich nicht gestürzt war, wäre das nicht weiter schlimm gewesen, aber ich hatte bei dieser Aktion »Mackie« verloren. Mist! Was nun? Zurückfahren ging nicht. Das wäre zu auffällig gewesen, außerdem wäre Karin dann für mich vermutlich uneinholbar gewesen.
Okay. Verdammt. Ein Plan musste her. Schnell! Das Weserstadion zog an mir vorbei. Nur noch etwa zwei Kilometer, und ich hatte noch immer keine Idee. Vielleicht mit einem Stein ihren Kopf einschlagen? Aber der Helm störte dabei. Außerdem hatte ich keinen Stein dabei. Es musste irgendwie anders geschehen.