Todesfessel - Volker Backert - E-Book
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Todesfessel E-Book

Volker Backert

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Beschreibung

Das schwarze Herz der Schuld: Der nervenaufreibende Thriller »Todesfessel« von Volker Backert jetzt als eBook bei dotbooks. Manche Bilder lassen sich nie wieder auslöschen … Die entstellte Leiche einer Ballerina, kunstvoll verschnürt und von Kopf bis Fuß blutverschmiert: Charly Herrmann, Chef der SOKO Franken, hat in seinem Job schon Vieles gesehen, doch dieser Anblick lässt selbst ihm das Blut in den Adern gefrieren. Treibt hier ein Serientäter sein grausames Spiel? Herrmanns Befürchtungen werden wahr, als nach einem weiteren brutalen Überfall auf eine Tänzerin auch noch die sechzehnjährige Ann-Sophie gekidnappt wird. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem Herrmann fieberhaft die kranke Psyche des Täters zu entschlüsseln versucht, während sich die Schlinge des Mörders immer enger um sein junges Opfer zusammenzieht … So atemberaubend spannend wie Andreas Gruber, so suchtgefährdend wie Andreas Franz: »Eine atemlose Jagd in menschliche Abgründe. Ein furioser und dunkler Frankenkrimi«, urteilt der BR Franken. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Regio-Krimi »Todesfessel« von Volker Backert ist der erste Band seiner Hardboiled-Krimi-Reihe um den SOKO-Franken-Chef Charly Herrmann – Psycho-Spannung, die alle Fans von »Das Schweigen der Lämmer« das Fürchten lehren wird! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 270

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Über dieses Buch:

Manche Bilder lassen sich nie wieder auslöschen … Die entstellte Leiche einer Ballerina, kunstvoll verschnürt und von Kopf bis Fuß blutverschmiert: Charly Herrmann, Chef des Sondereinsatzkommandos Franken, hat in seinem Job schon Vieles gesehen, doch dieser Anblick lässt selbst ihm das Blut in den Adern gefrieren. Treibt hier ein Serientäter sein grausames Spiel? Herrmanns Befürchtungen werden wahr, als nach einem weiteren brutalen Überfall auf eine Tänzerin auch noch die sechzehnjährige Ann-Sophie gekidnappt wird. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem Herrmann fieberhaft die kranke Psyche des Täters zu entschlüsseln versucht, während sich die Schlinge des Mörders immer enger um sein junges Opfer zusammenzieht …

Über den Autor:

Volker Backert (geboren 1962 in Coburg) studierte in München und Bayreuth. In Coburg arbeitete er als Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit jahrelang eng mit der Polizei zusammen – seine Erfahrung mit dem Alltag der Strafverfolgung floss in seine Reihe von Regio-Krimis um den Kriminalkommissar Charly Herrmann ein. Volker Backert lebt in Lichtenfels.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine abgründige Krimi-Reihe um den SOKO-Franken-Chef Charly Herrmann mit den Bänden »Todesfessel«, »Mordfieber« und »Rhein-Main-Bestie«.

Die Website des Autors: www.volkerbackert.com

***

eBook-Neuausgabe Juni 2023

Copyright © der Originalausgabe 2012 Emons Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Pixel-Shot und AdobeStock/Val Theorem

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-668-9

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Bitte verwechseln Sie den Franken-Krimi »Todesfessel« von Volker Backert nicht mit dem Rügen-Krimi »Todesfessel« von Cathrin Moeller, erschienen im Rowohlt Taschenbuch Verlag.

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Volker Backert

Todesfessel

Kriminalroman

dotbooks.

»War, children, it’s just a shot away –

Love, sister; it’s just a kiss away …«

»Gimme Shelter« – Rolling Stones, 1969

»Franken sind keine Bayern.«

Bundesjustizminister Thomas Dehler, 1966

Prolog

München-Neuperlach, 22:58 Uhr

Ein gellender Schrei zerriss die feuchtkühle Novembernacht.

Sie zappelte und kreischte um ihr nacktes junges Leben; sie raste vor Angst.

Vor blanker Todesangst.

Vierzehn Stockwerke tief.

Bis ihr Leben auf dem regennassen Asphalt zerplatzte.

Ihr Beckenknochen stand klaffend weit auseinander. Zersplitterte Rippen stachen rasiermesserscharf in zarte, weiche Lungenbläschen. Jeder Atemzug jagte irrsinnigen Schmerz durch ihren zerschmetterten Brustkorb. Und unaufhaltsam lief Blut, ihr kostbares, warmes, eigenes Blut aus ihr heraus. Floss aus der Nase. Floss aus dem Mund. Immer größer wurde die klebrig rote Lache rund um ihren Kopf, durch ihr verlöschendes Bewusstsein blitzten allerletzte Gedankenfetzen:

»… nein … nein … nein … Mama … willdochnurtanzen … mussmorgentanzen … wirdalleswiedergut… glissez … élancez … ichflieg …«

In weiter Ferne, aus Richtung Putzbrunner Straße, heulte dünn und verloren eine Polizeisirene durch die kalte Großstadtnacht.

Zwei Jahre später

München, Bayerisches Staatsministerium des Inneren, 11:10 Uhr

Vuollg’frassner Wichtigtuer!

Charly Herrmann kochte vor Wut. Der Coburger Kriminalkommissar saß, äußerlich gefasst, zwischen seinen Vorgesetzten, Polizeidirektor Frank Ritter und EKHK Heinz-Uwe Löhlein. Gegenüber, hinter gefühlten drei Metern blank polierter Edelholztischplatte, der bayerische Staatssekretär des Inneren: Gerd Vöhringer, ein leicht verfetteter Mittvierziger, das teigig-blasse Gesicht hinter einem markanten schwarzen Brillengestell. Sein Sakko hatte er, gleich nach der Begrüßung, anbiedernd abgelegt, die Arme jetzt selbstgefällig hinter dem Kopf verschränkt.

»… und ich betone natürlich ausdrücklich, lieber Studienfreund Frank …«, Ritter nickte freundlich zurück, sofort grinste Löhlein streberhaft-vertraulich mit, »… dass es sich hier um ein rein informelles Gespräch handelt, sozusagen eine freundschaftliche Privatunterhaltung, aus alter Verbundenheit mit euch Coburgern!«

Erneut gekünstelt heitere Mienen bei Löhlein und Ritter, die den Redefluss des Staatssekretärs erst so richtig befeuerten.

»… denn wenn ihr schon auf Betriebsausflug in unserer schönen Landeshauptstadt seid, warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden! Gerne komme ich deshalb deiner Bitte nach, lieber Frank, euch drei vor eurem Wiesn-Besuch schnell über den aktuellen Stand in Sachen Personalentwicklung in Coburg zu informieren.«

»Wir wissen dein Vertrauen und deine Unterstützung, lieber Gerd, natürlich außerordentlich zu schätzen …«

Charly glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Ausgerechnet Ritter, bei den Kollegen beliebt als straighter Kommunikator »erstenszweitensdrittens«, verfiel hier im Ministerium plötzlich in seichtes Gesülze …?

Der Staatssekretär winkte geschmeichelt ab.

»Kein Thema, liebe Coburger! Natürlich ist Staatsminister Zirngibl und mir keinesfalls entgangen, dass euer schöner Erfolg mit der SOKO Franken, bei der Jagd nach Nik the Ripper, beim … einen oder anderen …«, Vöhringers Schweinsäuglein sprangen hinter seiner Designerbrille flink zwischen Löhlein und Charly hin und her, »… gewisse, äh, Erwartungen oder sogar, äh … Begehrlichkeiten geweckt hat in puncto Beförderung oder Versetzung! Leider, leider …«, mit theatralischem Bedauern hob er die Arme, »… der Haushalt, der Haushalt! Für Coburg muss nun mal das Gleiche gelten wie für den übrigen Freistaat, und die Sparzwänge lassen uns bekanntlich keine andere Wahl! Keine außerplanmäßigen Beförderungen in diesem und im nächsten Jahr, lieber Charly Herrmann, und auch keine neue Stelle im Ministerium, lieber Heinz-Uwe Löhlein …«

Das konnte doch nicht wahr sein. Keine zwei Monate alt waren die mündlichen Zusagen Vöhringers und des Innenministers.

Fuck! Wir fangen den brutalsten Serienmörder in der Geschichte des Freistaats, holen dich und deinen Minister aus dem Umfragetief…

»… Beförderungssperre leider zwei Jahre, nicht zu vergessen die landesweite Warteliste; momentan Platz 1465 für Sie, lieber Charly Herrmann …«

… und kriegen dafür jetzt ein müdes Arschrunzeln von dir!?

»… Herr Staatsminister Zirngibl ist ja heute leider kurzfristig verhindert …«

Verhindert! Freitag um halb zwölf! Der sitzt sich doch jetzt schon in der VIP-Box auf der Wiesn seinen Arsch breit …!

»… lässt ausdrücklich Dank und Anerkennung für Ihre großartige Leistung übermitteln. Unser Pilotprojekt SOKO Franken hat sich bewährt und bleibt deshalb im Stand-by-Modus für Nordbayern: Bei Aktivierung treten die besten Kriminaler Frankens und ein Profiler des PP München vor Ort zusammen. Mit Ihnen, Herr Kommissar, als Leiter der SOKO Franken!«

Nur mühsam unterdrückte Charly seinen aufwallenden Zorn.

»Alle Achtung, Herr Staatssekretär – ein Titel ohne Mittel! Mehrarbeit fürs gleiche Geld, also quasi eine Gehaltskürzung bei künftiger SOKO-Arbeit – da haben Sie sich ja mächtig für uns ins Zeug gelegt!« Er nickte ironisch anerkennend mit dem Kopf. »Ist das wirklich alles, Herr Staatssekretär?«

Totenstille.

Nur das leise Ticken der Wanduhr war zu vernehmen.

Ritter saß stocksteif; Löhlein, knallrot angelaufen wie ein Schulbub, rutschte immer tiefer in seine nagelneue ALDI-Trachtenlederhose. Der bayerische Staatssekretär des Inneren geriet völlig aus der Fassung.

»Also das ist doch … also, ich muss doch wirklich sehr bitten, Herr Kommissar!«

Mit finsterer Miene zupfte Vöhringer an seinen Manschetten. »Das ist doch wirklich allerhand! Bitte vergreifen Sie sich da mal nicht im Ton, Herr Haupt-, äh … Herr Kommissar! Wir haben hier in München weiß Gott schon einiges erreicht! Für Coburg – und für eure gesamte Region da oben!«

»Wir auch, Herr Minister, äh … Herr Staatssekretär«, entgegnete Charly sarkastisch, »wir auch. Glauben Sie nicht?«

Zwei Wochen später

16:10 Uhr – Irgendwo in Franken

»Komm rein«, sagte die Frau unwirsch. Unwillig hielt sie ihm die Tür auf. »Ich hatte dich schon früher erwartet.«

»Ging nicht schneller«, murrte er. »Totalsperrung auf der A73, wieder mal ein Geisterfahrer bei Bad Staffelstein.«

Vorsichtig versuchte er, sich mit seinem riesigen Rucksack und einer prall gefüllten, offenen adidas-Sporttasche an ihr vorbeizuschieben.

»Tritt bitte deine Füße ab! Deine Schuhe sind nass.«

Irritiert blieb er stehen und blickte über seine ausgebeulten, dünnen Jeans hinab zu den ausgetretenen schwarzen Slippern. Wütend öffnete er den Mund – und verzichtete im letzten Moment auf eine Antwort. Wortlos, übertrieben sorgfältig streifte er beide Füße über die schwarz-grau karierte Veloursmatte.

Energisch schritt sie voran, an der Treppe vorbei bis ganz ans Ende des Flurs.

»Hier!« Sie öffnete eine Zimmertür und drehte sich mit einer schnellen, fließenden Bewegung wieder zu ihm um. »Dein Zimmer!«

Es war ihre Stimme, wusste er plötzlich. Immer wieder ihre Stimme. Emotionslos, klar und eisig kalt. Keinen Widerspruch duldend. Genau wie damals. Schlagartig verkrampfte sich sein Magen; er schluckte und spürte, wie ein Frösteln seinen Rücken hochkroch.

Es war ein Fehler, ein unverzeihlicher Fehler: Niemals hätte er zurückkommen dürfen!

Freitag

Neustadt bei Coburg, Wildenheid, 17:14 Uhr

Satisfaction. Sein Klingelton. Charly zuckte kurz zusammen, dann sah er die Nummer.

»Hey, Stadträtin … grad wollt ich das Handy ausschalten, hast Glück gehabt … lang nix mehr gehört, stimmt … was, das ganze Wochenende bist du solo?« Er lächelte gequält. »Sorry … wär natürlich schön gewesen, nur wir zwei … nee, aber dieses Wochenende is definitiv dicht, echt schade … ja, freilich, ich melde mich … wie? Morgen Landestheater, große Wiedereröffnung … ›L’Orfeo‹ von Monteverdi, ah ja … Na, dann mach was draus … Ciao-ciao!«

Er schaltete aus und steckte das Nokia zurück an seinen Gürtel. Nachdenklich ging er den schmalen Kiesweg weiter. Er war erst zweimal hier gewesen, aber für dieses spezielle Date hätte er den Weg auch blind gefunden.

Hinter dem Brunnen links, bei diesem exotischen Zierstrauch dann rechts um die Ecke. Kurz vor der Hecke blieb er stehen.

»Hi«, sagte er leise und klopfte sich eine Lucky Strike aus der Packung. Seine Finger zitterten leicht, als er ein kleines schwarzes Plastikfeuerzeug mit einem fast verblassten goldenen Aufdruck aus der Jacke holte: Oberfrankens größte Laserdiskothek: GALAXIS – 8635 Rödental.

Endlich, beim sechsten oder siebten Klicken sprang doch noch ein Funke heraus. Sofort ein tiefer Zug, dann vergewisserte er sich rasch, dass niemand in der Nähe war, und setzte sich auf die schmale Steinkante zu ihr.

»Hi, Andrea.«

Seine Hand tastete nach ihr, in hoffnungslos verlorener Sehnsucht.

Sie traf auf kalten weißen Stein.

Andrea Herrmann

* 1966 † 2009

Ruhe in Frieden

Ich habe Wort gehalten, dachte er melancholisch und inhalierte tief.

Auch ich bin wieder da.

Heute, an unserem Tag.

Heute vor neunundzwanzig Jahren haben wir uns kennengelernt, an diesem heißen Freitagabend im GALAXIS.

Billie Jean … Blue Monday … China Girl … und unser Lied: Codo aus der Ferne der leuchtenden Sterne …

Hab irgendeine Tussi neben dir nach Feuer gefragt – doch du warst schneller. Mit diesem kleinen Feuerzeug, das wir seitdem nur noch einmal im Jahr benutzten …

Er kniff die Augen zusammen und blies Rauch aus. Rauch, der sich am Grabstein vorbei Richtung Südwest verflüchtigte.

Richtung Haarbrücken.

Andrea aus Haarbrücken.

Schwarze Locken, strahlend grüne Augen, ein umwerfendes Lachen – du schlugst ein wie ein Blitz.

Love at first sight. Le coup defoudre.

Unzertrennlich waren wir. Sind übers Wochenende einmal spontan nach Paris gefahren, nur um einen Kaffee auf dem Eiffelturm zu trinken … 1987 dann die Traumhochzeit … 1989 unser Umzug nach München, als ich ans Polizeipräsidium versetzt wurde … im selben Jahr Tim, 1992 Valerie … und dann wird Timmi überfahren, nur weil ich ihn einen Moment von der Hand lasse, um dieser blonden Studentin den Weg zum Hirschgarten zu erklären …

Eine Sekunde meines Lebens, dachte Charly.

Er hörte, wie das eiserne Friedhofstor quietschte.

Eine einzige Sekunde nur – die meinen kleinen Sohn das Leben kostete und meine Frau in den Wahnsinn trieb.

Was hab ich damals gesoffen in München. Nur um mich wegzubeamen. Nur um nicht mehr drüber nachzudenken … und du warst so lang allein, im fünften Stock in Berg am Laim, mit der kleinen Valerie … es war der Anfang vom Ende … mein Entzug und die Versetzung nach Coburg konnten die Scheidung nicht mehr aufhalten … erst recht nicht deinen psychischen Absturz … du warst jahrelang unter starken Medikamenten, vier Selbstmordversuche …

Und dann, nach Jahren, urplötzlich, diese irrsinnige Hoffnung auf ein Happy End … vor zwei Jahren, nach dem »Haus vom Nikolaus« … plötzlich ging es dir immer besser … Nie werde ich den Tag vergessen, an dem wir in Kutzenberg, im Garten der Nervenklinik, unter den alten Apfelbäumen, auf dem Bänkchen in der Septembersonne saßen … du hast meine Hand genommen, hast mich angestrahlt aus deinen meergrünen Augen … wir haben gelacht, haben Pläne geschmiedet, wollten noch mal ganz neu anfangen …

Und in der Nacht darauf gehst du ganz normal ins Bett und wachst einfach nicht mehr auf…

Die Zigarette war erloschen, bis auf den Filter heruntergebrannt.

Charly fuhr sich über die Augen und sah sich dann verstohlen um. Keine Menschenseele war auf dem Wildenheider Friedhof zu sehen.

Behutsam, fast zärtlich, vergrub er mit bloßen Händen die Kippe in der Erde.

Wie jedes Jahr.

Direkt an Andreas Grabstein.

Schloss Hohenstein, Ahorn bei Coburg, 23:37 Uhr

»Stayin’ alive, stayin’alive, ah-ah-ah-ah stayin’alive!«, dröhnte der Falsettgesang der Bee Gees aus den Boxen im Gewölbesaal von Schloss Hohenstein. Auf der kleinen Tanzfläche feierte eine kleine, aber feine Gesellschaft sich selbst – und ihre schon ein paar Jährchen zurückliegende Jugend.

Und wir vom Landestheater sind für diese Schickimickis doch nur Staffage, dachte Kim LaYoung. Die Primaballerina des Coburger Landestheaters stand an der Bar und nippte verdrossen an ihrem Tomatensaft. Verächtlich ließ sie ihren Blick über die illustre Gästeschar schweifen.

Zweihundert Geladene bei »Victors Atelierfest«, dem alljährlichen Highlight für die regionale High Society. Vom MdB und MdL über Makler, Unternehmer und Großgastronomen bis hin zu Bankern, Ärzten und einem leibhaftigen Bordellbesitzer samt repräsentativer Mitarbeiterinnenvertretung. Alle kamen, wenn er rief: Victor, der Hofnarr der Coburger Lokalprominenz – Werbefotograf, Visagist und Bodypainter, selbst ein lebendes Gesamtkunstwerk. Vor zwei Jahren erst hatte er seinen Wirkungskreis von München nach Coburg verlegt und war dort in kürzester Zeit zum Shootingstar der überschaubaren lokalen Szene avanciert. Und wir vom Landestheater spielen natürlich mit, grollte Kim, nur weil er uns mit seinem Reinerlös unterstützt …

»… stayin’ alive!«, grölte es plötzlich an ihrem Ohr, gierig presste sich ein Mann an sie, »ah-ah-ah-ah stayin’ alive!« Erschrocken und wütend zugleich versuchte sie, sich aus dem unverschämten Zugriff zu entwinden. »Hey, Kim!« Erst jetzt erkannte sie Dr. Sven Langenau, ihren sichtlich angeheiterten Vermieter, dessen eiserner Griff nicht nachgab.

»Bleib cool, Baby; du weißt doch, ›Stayin Alive‹ ist der perfekte Rhythmus zur Reanimation«, seine Hände schoben sich höher, versuchten, gegen ihren Widerstand ihre Brust zu erreichen, »sixty-seven beats per minute!«

Er lachte, Kim roch seine Alkoholfahne und drehte sich angewidert weg.

»Stop it, you’re drunk!«

»Aber hallo, was ist denn mit euch zwei los?« Victor. »Die Coburger Antwort auf David Bowie«, so beschrieb ihn das Szenemagazin »Mohr« in seiner aktuellen Ausgabe; vermutlich hatte er sich die Formulierung selbst ausgedacht. Als »chamäleonesken, extrovertierten Selbstdarsteller mit stündlich wechselnden Outfits« hatte ihn dagegen das Feuilleton der Nürnberger Frankenzeitung »fz« charakterisiert. Was den fz-Redakteur aber nicht daran hinderte, sich auch heute wieder auf Schloss Hohenstein einzufinden und rundum verwöhnen zu lassen.

Victor selbst mimte gerade den Woodstock-Veteranen: rotes Stirnband, Nickelbrille, wallendes Hippie-Gewand, auf der haarlosen Brust die unvermeidliche »PEACE«-Kette.

Was für ein affektiertes Lachen, dachte Kim, nur um seine künstlich weißen Jacketkronen zu entblößen … Sie warf den Kopf in den Nacken, löste sich mit Nachdruck aus Langenaus Umklammerung und eroberte leichtfüßig die Tanzfläche, die jetzt Fleetwood Mac dominierten: »Don’t stop thinking about tomorrow …!«

***

Morgen … übermorgen … überübermorgen … vielleicht noch Monate und Jahre! Wie soll ich das nur überleben …

Er lag angezogen auf der viel zu kurzen, durchgesessenen Schlafcouch und starrte Löcher in das Dunkel. Wie oft habe ich das früher schon erlebt.

Erleben müssen.

Zimmerarrest im Dunkeln, mit herausgedrehter Sicherung. Und im Wohnzimmer haben sie die Musik aufgedreht und mit der Kleinen getanzt, gespielt und herumgeschäkert.

Und ich hab mir am Schlüsselloch die Augen ausgeheult. Nur weil ich mal bockig war – und nicht so gut wie ihr göttlicher kleiner Engel …

Er zerrte an seinem Hemdkragen. Die Hitze, diese unerträgliche Hitze … plötzlich stieg sie wieder in ihm auf; wie in der bösen alten Zeit … nur allzu gut kannte er sie noch …

Schwerfällig setzte er sich auf, kratzte sich an der Brust und stierte nach draußen. Der wolkengraue Nachthimmel war aufgerissen.

Über den alten Bäumen hing der elfenbeinfarbene Mond wie ein riesiger fetter Lampion.

***

Was für ein unwirklich schönes Licht, dachte Kim. Mutterseelenallein stand sie im mondbeschienenen Schlosshof. Langsam, fast andächtig, dehnte sich die Ballerina, streckte sich sanft und erwartungsvoll immer weiter nach oben, bis auf die Zehenspitzen hinauf.

Endlich wieder frei!

Frei und los von brünstiger, alkoholisierter Anmache und gierigen Umklammerungen.

Nur ganz leise drang das Stampfen der Disco-Beats durch die dicken Schlossmauern. Monotonstes Four-on-the-floor, unsäglich primitiv und öde. Wie die ganze Gesellschaft hier: »Victors Atelierfest« – lauter seichte, selbstverliebte Schickimickis, die einmal im Jahr so richtig die Sau rauslassen …

Der große Meister war sehr ungehalten gewesen, als er sie bei ihrem heimlichen Aufbruch ertappt hatte: »Nein, liebe Kim; das ist unverzeihlich. Gerade du, unsere allseits beliebte und verehrte Primaballerina … Nein, das kann ich nicht gutheißen, das sieht bestimmt auch der Intendant nicht gern. Mein Atelierfest ist einmal im Jahr und bringt euch ein erkleckliches Sümmchen ein … Mach bitte keine Sperenzchen und sei noch ein bisschen gesellig hier!«

Egal.

Sie ließ die Arme fallen und löste ihre Körperspannung wieder. Victor würde es verschmerzen und hatte es sicher schon jetzt wieder vergessen. Ihr Blick fiel auf die Turmuhr der Hohensteiner Schlosskapelle.

Null Uhr fünfzig – Zeit, ins Bett zu gehen. Knapp neunzehn Stunden noch bis zur glanzvollen Wiedereröffnung des Landestheaters, bis zum Besuch des Ministerpräsidenten.

Im Schein des Vollmonds kramte sie aus ihrer kleinen weißen Ledertasche den Autoschlüssel heraus und stutzte: Irgendetwas fehlte doch … Schlüssel, Geldbörse, Make-up, Lippenstift, Haarband, Kleenex … das Handy! Kim stöhnte genervt auf. Bloß nicht wieder zurück in Victors »Studio 54«.

Aber dort konnte es gar nicht sein. Sie hatte es den ganzen Abend nicht benutzt – genau, seit der SMS an ihre Mutter in der Künstlergarderobe! Erleichtert öffnete sie die Autotür und ließ sich hinter das Lenkrad ihres Mini Cooper fallen. Im Theater lag das iPhone sicher, dort konnte sie es unbesorgt bis abends liegen lassen.

Oder doch noch auf dem Heimweg schnell mitnehmen?

***

Nervös huschte der Blick des Mannes nach allen Seiten. Keine Autos, keine Fußgänger.

Niemand war zu sehen, nur aus der Kneipenmeile im Steinweg drangen ein paar vereinzelte Gröler und Lacher über den Theaterplatz.

Hastig zog er hinter sich die Tür ins Schloss, drehte zweimal den Schlüssel herum.

Endlich!

Nur noch wenige Schritte bis zur Befreiung, bis zur Erfüllung … Mit weichen Knien stieg er die schummrige Treppe nach oben. Jetzt bloß keinen Lichtschein nach draußen dringen lassen, die Taschenlampe musste sich noch etwas gedulden. Hier, in diesem Gang, ganz hinten, musste es gewesen sein. Die altdeutschen, ehrfurchtgebietenden Messinglettern auf der Holztür verrieten es.

Künstlergarderobe.

Vorsichtig betrat er den dunklen Raum, lehnte sich mit klopfendem Herzen von innen gegen die Tür. Dankbar fühlte er, wie sein Puls sich langsam beruhigte, wie die innere Verkrampfung mit jedem Atemzug nachließ und Ohnmacht und Beklemmung immer schwächer wurden.

Mit geschlossenen Augen sog er die abgestandene Luft ein, roch Schweiß, Parfüm und Puder, roch Anspannung und Emotion … Seine Finger ertasteten weiches Gewebe, freudig erregt fühlte er seidig fließenden Stoff: Ein paar Stunden im Paradies lagen vor ihm, frei und ungestört, allein im Allerheiligsten. Hier würde niemand es wagen, ihn zu stören und zu belehren!

***

Die Reifen quietschten, als Kim kurz entschlossen den Mini Cooper in das Gässchen zwischen Palais Edinburgh und dem Landestheater lenkte und direkt vor dem Künstlereingang abstellte.

Die Uhr im Display zeigte 01:08 Uhr.

Nur schnell das Handy aus der Maske holen – Tür aufschließen, Licht an und rauf zur Garderobe.

Eilig lief sie durch den langen Korridor. Die letzte Leuchtröhre ganz hinten im Gang flackerte nervös. Ihr Surren schien das einzige Geräusch in dem riesigen Gebäude zu sein … aber wie hatte ihr einstiger Choreograf immer geheimnisvoll geraunt: »A theatre never sleeps!«

Der gute alte Sam aus New Orleans, damals an der Staatsoper im Schillertheater in Berlin. Kurz darauf fiel er der großen Einsparungswelle zum Opfer und verschwand spurlos. Ein paar Monate später fanden ihn ein paar jugendliche Kiffer im Keller einer alten Fabrikhalle.

Erhängt.

Angeblich war Sams Leiche bereits mumifiziert … Kims Schritte wurden schneller.

Endlich, die Tür …

***

Alle Arroganz und Gehässigkeit, alles Böse und Feindselige waren Lichtjahre entfernt, hier war ein anderer Planet… 2.000 light years front honte! Genießerisch strich er über das glänzende glatte Gewebe … kühler Satin auf seinem Körper, auf seiner nackten Haut … welche Erlösung aus Zwang und Enge …

Sein Blick fiel in den Spiegel; kritisch beäugte er sein gerade begonnenes Make-up. Die weiße Theaterschminke war vielleicht doch etwas zu dick aufgetragen …

Abwarten – erst mal den burgunderroten Lippenstift… Erwartungsvoll schürzte er seine Lippen, genoss es, den Stift wie in Zeitlupe sinnlich sanft entlanggleiten zu lassen … hin und her … immer wieder …

Endlich schlug er die Augen wieder auf.

Eisiges Entsetzen packte ihn, sprang ihn frontal aus dem großen Spiegel an: Mitten im kalkweißen Gesicht blutrote, wie von Kinderhand verschmierte Lippen – nur eine Fratze, eine gespensterhafte Fratze!

Was machst du hier … DAS wird SIE herausbekommen, unter Garantie …!

Die Tür wurde aufgerissen.

Sein Herzschlag setzte aus.

Samstag

18:29 Uhr – Landestheater Coburg

Monika Jahn, mit achtundfünfzig Jahren die dienstälteste Garderobiere, summte vor Freude. Der heiß ersehnte Premierenabend, endlich war er da! »L’Orfeo« von Claudio Monteverdi, die historische Wiedereröffnung des ehrwürdigen Landestheaters, nach dem längsten Umbau der Coburger Theatergeschichte.

Endlich kehren wir heim: Schluss mit der unwürdigen, jahrelangen Odyssee durch Fabrikgebäude, Theaterzelt und Turnhallen; wir sind wieder zu Hause, in unserem »Großen Haus« am Schlossplatz! Die Premiere war seit über einem Jahr ausverkauft, das ganze Haus auf Hochglanz gebracht.

Jetzt schnell die Garderoben aufschließen, die ersten Künstler mussten jeden Moment eintreffen. Und dann gleich einen guten Platz am Fenster sichern, wenn der bayerische Ministerpräsident samt Gattin und Gefolge zum Festakt um neunzehn Uhr eintraf. Beschwingt klapperte sie mit dem Schlüsselbund, als sie um die Ecke bog und den engen Gang zu den Garderoben entlanglief. Seltsam: ein, zwei rostrote Flecken vor der Tür, hier noch ein kleinerer – wie konnte die Putzfrau so etwas gestern übersehen haben?

Ärgerlich steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Vor den Schminkspiegeln standen doch immer die weichen Kosmetiktücher …

18:30 Uhr – A9 München-Nürnberg, Höhe Tennenlohe

»Kruzitürken, foahr hoid zua!«, fluchte Herbert Wimmer leise. Der Chauffeur blickte unruhig auf die klassisch-elegante Analoguhr im Armaturenbrett, eine von vielen Sonderanfertigungen für den gepanzerten 7er BMW des Ministerpräsidenten. Achtzehn Uhr einunddreißig, und erst bei Tennenlohe. Um neunzehn Uhr begann der Festakt im Landestheater, und vor ihm, auf der einspurigen Fahrbahnverengung, zuckelte dieser elendigliche Kleintransporter. »Fränkischer Kren aus dem Knoblauchsland.«

Wär alles kein Problem, dachte Wimmer grimmig, wenn die Gemahlin des Chefs rechtzeitig fertig geworden wäre. Über eine Stunde hatte er noch vor dem Coiffeur in der Brienner Straße warten müssen. Wenn das der Steuerzahler wüsste …

18:31 Uhr – Landestheater Coburg

Würgend erbrach sich Monika Jahn über Bluse und Rock ihres neuen Dienstkostüms. Sie spuckte, hustete, tastete, die Augen weit aufgerissen, hilfesuchend nach dem Türstock – und griff in eine klebrig-rote Masse. Ihre Beine knickten ein, benommen kroch sie auf allen vieren wieder hinaus, nur raus aus dieser roten Hölle, raus aus diesem blutigen Inferno …! Mit leerem Blick saß sie an der Wand, fingerte wie in Trance nach ihrem Handy, drückte 1-1-0, »Polizei-Notruf«, die Stimme eines Mannes, der gerade etwas gegessen und hinuntergeschluckt hatte, sie sah und roch fremdes Blut und eigenes Erbrochenes auf Strümpfen, Rock, Bluse, Hand, ihr Magen hob sich erneut …

18:32 Uhr – PP Oberfranken in Bayreuth, Notrufzentrale

Roland Mayer schluckte rasch den letzten Bissen Banane hinunter, bevor er sich ganz auf die seltsame Anrufer in konzentrierte: War die Frau betrunken oder stand sie unter Drogen? Wieder mal ein missbräuchlicher Notruf, der dritte seit Schichtbeginn um achtzehn Uhr?

Er seufzte. Unterdrückte Rufnummer, doch der Anruf kam aus Coburg, so viel stand fest.

Coburg, wo heute das Landestheater feierlich wiedereröffnet wurde. Er hatte um siebzehn Uhr fünfundvierzig den Vorbericht in der Abendschau des Bayerischen Fernsehens gesehen. Alles voll Blut im Theater, ausgerechnet heute … Er schüttelte den Kopf.

Lachhaft.

Wie die Bombendrohungen am Tag der Abschlussprüfungen.

Gar nix machen wir da erst mal, dachte er und sah auf dem Display schon den nächsten Anruf eingehen. Aus Forchheim.

»Notrufzentrale, Mayer …«

18:34 Uhr – A 73 bei Erlangen-Bruck

Herbert Wimmer atmete auf. Endlich wieder freie Fahrt auf der linken Spur, keine Baustelle mehr. In Sekundenschnelle beschleunigte die schwere BMW-Limousine von achtzig auf hundert … hundertvierzig … hundertsechzig … hundertachtzig … Das Tempolimit hundertzwanzig galt für die Dienstlimousine des bayerischen Ministerpräsidenten nicht.

»Wir stehen doch die Schilder auf, Wimmer!«, hatte sein früherer Chef an gleicher Stehe einst gegrunzt. »Des kost mi oan Anruf in der Autobahndirektion, dann stehn diese fränkischen Kas-Manderln, diese beförderungsgeilen, sofort ohe stramm. Und des Schild is weg!«

Wenn das die Presse wüsste, dachte Wimmer und lauschte wieder seinem aktuellen Chef, der seit einer gefühlten Viertelstunde, seit Nürnberg-Feucht, mit Klein telefonierte, dem Stabsreferenten, der bereits vor Ort in Coburg weilte.

»Nein, keine Fotos mit Protestlern und irgendwelchen Unterschriftenlisten! Steh die JU an ein malerisches, ruhiges Eck und dann hol kurzfristig die Presse dorthin. Denk an die Lichtverhältnisse … wann sind wir in Coburg, Wimmer?«

»Mhmmm … Neunzehn zehn, Chef.«

»Neunzehn zehn, Lichtverhältnisse; grünes Kleid und dunkler Anzug … nein, keine Protestler, auch nicht gegen den Flugplatz! Ich will dort nur ein paar gute Bilder und nach dem Theater sofort wieder weg, touch and go! … Haha, wie damals in Kandahar, touch and go, nur schnell ein paar coole Bilder und dann weiter, genau, soh Vöhringer sich um den Rest kümmern …!«

18:38 Uhr – Polizei Coburg

»Hier Notrufzentrale Bayreuth, Mayer. Kollege, wir hatten soeben eine anonyme Anruferin aus Coburg, nur fünf Sekunden lang. Im Theater is eine tot, schneh, alles voll Blut, alles im Theater, ausgerechnet heute … Ich wollts euch erst gar ned melden, aber jetzt hat mers doch ka Ruh gelassn.«

»Ausgerechnet heute … Des wär natürlich der absolute Super-GAU! Naja, wos bleibt uns andres übrig, wir schicken amoll schnell a V-Streife vorbei. Danke, Roland, alles klar!«

18:51 Uhr – Coburg, Am Ölberg

»Gleich in der Sportschau: Die Mutter aller Derbys des deutschen Fußballs, Nürnberg gegen Fürth! Das erste Frankenderby in der höchsten deutschen Liga seit dem 3. Februar 1963 … damals ein furioser Fünf-zu-drei-Auswärtssieg für den Club! Gelingt den Fürthern nach über fünf zig Jahren die Revanche? Bleiben Sie dran! Gleich geht’s weiter – mit Krombacher…«

Charly grinste und rekelte sich behaglich auf seinem Sofa. Krombacher … Wie behauptete doch immer Steve Hornung, der Kollege aus der »Korbmachergemeinde« Michelau steif und fest: »Krombacher is fei nur a Druckfehler! Des haßt richtig Korbmacher! Korbmacher-Pils!«

Er schaltete die TV-Werbung stumm und das Radio ein: »… auf Radio 1 jetzt Sport aus der Region, unsere Schlagzeilen: DerHSC 2000 Coburg sorgt in der Handballbundesliga weiter für Furore, der Aufsteiger gewann heute auch sein zweites Spiel auswärts in Melsungen mit 27:25. Für das Heimspiel nächsten Samstag gegen den THW Kiel wird jetzt in der HUK-Arena ein neuer Zuschauerrekord erwartet… Bamberg. Bosko Djukic, der serbische Superstar der Brose Baskets …«

Satisfaction hämmerte los. Unwirsch schnappte er sein Handy vom Couchtisch.

»Herrmann.«

»Charly, komm sofort ins Theater!«

Löhlein hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. Wahrscheinlich wieder mal hoffnungslos überfordert, weil er irgendwo eine schnelle Entscheidung treffen musste, dachte Charly grimmig.

»Wir brauchen hier schnellstens deine Erfahrung«, quäkte Löhlein weiter, »also schwing deinen Arsch aus dem Fernsehsessel und komm!«

»Leck mich, Heinz-Uwe! Schau mal auf deinen Kalender: Meine Schicht geht Montag los – und keinen Tag früher!«

Löhlein drohte zu hyperventilieren; die Sache schien doch ernster zu sein.

»Theater …«, brachte er endlich heraus, »komm sofort ins Theater! Wir haben eine Tote hier mit einer Riesensauerei drum rum … eine Stunde vor der Wiedereröffnung, jede Minute kommen hier Vöhringer und der Ministerpräsident, die ganze Münchner Clique vorgefahren!«

»Is ja gut«, knurrte Charly, drückte »Aus« und wälzte sich vom Sofa. Urplötzlich war er hellwach. »Hör auf zer greina, ich bin ja gleich dou.«

19:02 Uhr – Landestheater Coburg

Es schüttete jetzt wie aus Kübeln, die filigranen Scheibenwischer verrichteten Schwerstarbeit. Im Schritttempo ließ Charly den schwarzen Alfa Spider durch die Grafengasse rollen.

Rechts, auf dem Schlossplatz, herrschte unter dem sanften Licht der klassischen Laternen heilloses Chaos: Mit vier BMW-Kombis standen die Kollegen vor der klassizistischen Sandsteinfront des Theaters.

Sichtlich verwirrte und erregte Besucher wurden über die große Treppe aus dem Theater herauskomplimentiert, die Räumung des Hauses war in vollem Gang. Zwischen den Autos auf dem Schlossplatz drängten sich festlich gewandete Premierengäste aufgeregt unter Regenschirmen zusammen, immer wieder gestört und zur Seite gescheucht vom ärgerlichen Gehupe der Wegfahrenden.

Selbst vor dem unbenutzten kleinen Treppenaufgang an der Westseite, direkt gegenüber dem Reisebüro Gevers mit einer überdimensionierten AIDA im Schaufenster, war ein Kollege postiert. Charly erkannte ihn sofort an seiner Leibesfülle unter dem Regenponcho: PHM Welsch, genannt »Fässla«. Den kapuzengeschützten Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, starrte er missmutig hinüber zur Bushaltestelle. Armer Richard, dachte Charly, erst verlieren seine Bayern drei null und jetzt steht er selbst im Wolkenbruch …

Er verkniff sich einen ironischen Zuruf durchs Beifahrerfenster. Immer noch im ersten Gang fuhr er langsam weiter über das vietnamesische Straßenpflaster des Theaterplatzes und blinkte schließlich rechts, um in die Sackgasse an der Ostseite des Theaters abzubiegen. Dort war der Teufel los. Drei Streifenwagen hintereinander, ein Rettungswagen, der gerade zu wenden und wieder auszufahren versuchte, zwei junge Beamte, die Charly deshalb nicht passieren ließen. Sprechfunk krächzte, zuckende Blaulichter wischten über die gelbe Fassade des Bürglaß-Schlösschens direkt gegenüber.

Plötzlich kreischten Bremsen, Zentimeter hinter Charlys Alfa kam ein schwarzer Audi Q7 gerade noch zum Stehen. CO-J 1111. Die Nummer eins der Coburger Justiz, Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Axel Stein, mit gewohnt verkniffenem Mund und gefurchter Stirn. Charly konnte der Versuchung nicht widerstehen und drohte ihm aus dem Autofenster mit scherzhaft erhobenem Zeigefinger.

»Bemerkenswert, Herr Kommissar, in der Tat bemerkenswert!«, knurrte Stein.

»Bitte?« Charly ärgerte sich immer wieder neu über den für Stein typischen, herablassenden Ton gleich zur Begrüßung.

»Na, Ihr putziges Zeigefingerchen eben! Wir befinden uns schließlich am Tatort eines Mordes, etwas mehr Seriosität bitte! … Tag, Herr Löhlein!«

EKHK Heinz-Uwe Löhlein, hektisch gerötete Wangen, Schweißperlen auf der Stirn, empfing beide am Nebeneingang und führte sie durch das Gewusel von Uniformierten und halb umgezogenen Spurensicherern ins Theater. Charly nahm die schwarze Baseballkappe in die Hand, strich sich über das kurz geschorene Haar und lauschte Löhleins Ausführungen.

»Achtzehn achtunddreißig, Anruf der Notrufzentrale, angeblich weibliche Leiche im Landestheater. Erster Angriff achtzehn dreiundvierzig; die Garderobiere, die den Alarm ausgelöst hat, war schon nicht mehr ansprechbar. Schwerer Schockzustand, Weinkrämpfe und heftigstes Erbrechen, die Sanis haben sie gerade mitgenommen …«

»Voorsicht!«

Beinahe wäre der Oberstaatsanwalt mit seinen handgenähten Budapestern auf ein Spurenschild getreten, ein weiß gewandeter Spurensicherer raunzte ihn mürrisch an. Charly erkannte neben dem Schild ein paar große Blutstropfen auf den Fliesen, die zur letzten Tür ganz hinten führten.

Gerade kam Heisler mit dem Camcorder heraus, sein unrasiertes Gesicht heute ungewohnt blass. Mit leerem Blick nickte er Charly wortlos zu. Sofort spürte Charly die altbekannte Faust im Magen; den verzweifelten Abwehrreflex seines Körpers, wenn der Anblick der Leiche bevorstand.

Tief durchatmen.

Entschlossen ging er voraus und trat vor Dr. Stein und Löhlein über die Schwelle der kleinen Garderobe.

Blutspritzer auf dem Gesicht des Ministerpräsidenten: »185 Jahre Landestheater Coburg«; ein schon etwas älteres, jetzt blutbesudeltes Plakat, im Todeskampf halb von der Wand gerissen.

Blut an der Wand, Blutspuren auf dem Boden, Blutspritzer am Spiegel.

Ein blutiges Inferno.

Spurensicherung ohne gleichzeitige Spurenzerstörung war in diesem kleinen Raum fast unmöglich, dachte Charly noch einen seltsam sachlich-nüchternen Moment lang.

Dann erst sah er die Tote.

Auf dem Stuhl hinter der Tür.

»Kim LaYoung, Koreanerin, achtundzwanzig Jahre …« Löhleins Stimme klang plötzlich seltsam kloßig.

»Kim LaYoung? Der Coburger Publikumsliebling der letzten zwei Jahre?«

Splitternackt, blutverschmiert und mit gespreizten Beinen.

Rittlings auf den Stuhl gefesselt.

Der Mörder hatte sie vom Hals bis zu den Hüften dekorativ verschnürt und an die Lehne gebunden. Ihr Kopf war nach hinten übergekippt, von vorn sah man nur ihren langen weißen Hals. Grässlich entstellt durch eine klaffende Wunde. Ihr sehniger weißer Körper war blutig rot verklebt.