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Chefinspektorin Kati Engel ermittelt im Mordfall einer Drogensüchtigen in ihrer Heimatgemeinde Want, einem auf den ersten Blick verschlafenen Dorf in Österreich. Auch auf den zweiten Blick wird das Leben dort nicht spannender, weshalb sich Katis Oma Inge mit dem Tratsch und Klatsch rund um die eigensinnigen Dorfbewohner ihre Zeit vertreibt. Das will sich die kauzige Jungpolizistin zu Nutzen machen und beauftragt Inge damit, sie mit Informationen zu ihren Verdächtigen zu versorgen. So gerät nicht nur der überaus engagierte und narzisstisch angehauchte Bürgermeister, sondern auch seine Frau und deren Liebhaber – der Ex der Toten- aus den unterschiedlichsten Gründen ins Visier der Ermittlungen. Dass die drei einander in lebensgefährliche Situationen bringen, scheint bei dem Fall aber noch das geringste Problem zu sein.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Kapitel Sechzehn
Kapitel Siebzehn
Kapitel Achtzehn
Kapitel Neunzehn
Kapitel Zwanzig
Kapitel Einundzwanzig
Kapitel Zweiundzwanzig
Kapitel Dreiundzwanzig
Kapitel Vierundzwanzig
Kapitel Fünfundzwanzig
Kapitel Sechsundzwanzig
Kapitel Siebenundzwanzig
Kapitel Achtundzwanzig
Todestratsch
K. Berta
TODESTRATSCH
Impressum
1.Auflage, 2024
©K. Berta, Im Ahlefeld 22, 53819 Lohmar
Alle Rechte einschließlich aller Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat
Lisa Bogen, www.lektorat-bogen.de
Covergestaltung
Norman M. Zey, www.normanszeichenwelt.com
Die Handlungen und Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
»Es ist halb sechs morgens, was soll denn die Scheiße?!« Entnervt wirft sie das Kopfkissen gegen die Wand, das sie sich vor wenigen Minuten noch aus Verzweiflung auf ihr Gesicht gedrückt hat. Das hat aber nicht wie erhofft den Lärm gedämmt und ihre Wut auf den klingelnden Störenfried damit nur vergrößert. Fluchend wirft sie auch ihre Bettdecke zur Seite und stolpert im Dunkeln Richtung Tür. Natürlich trifft sie den Lichtschalter im Vorraum nicht beim ersten Mal.
»Wehe, es ist nicht wichtig«, murmelt sie vor sich her, als sie den Türsummer betätigt. Während sie darauf wartet, dass der ungeladene Gast sich in den zweiten Stock zu ihrer Wohnung hoch bequemt, schnappt sie sich eine Strickjacke von ihrer Garderobe und zieht sie schnell über. Auch wenn sie sicher ist, dass sich ein besoffener Idiot an ihrer Klingel ausgetobt hat, will sie nicht selbst wie einer aussehen. Als ihr Besuch oben angekommen ist, kann sie sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»In einem Punkt habe ich wohl recht gehabt.«
»Bitte?« Der junge Polizist ihr gegenüber zieht seine rechte Augenbraue nach oben. Das lässt ihn arroganter als nötig wirken und sie vermutet, dass er diese Masche bestimmt nicht zum ersten Mal anwendet. Da sie aber keine Lust auf frühmorgendliche Konversation hat, winkt sie ab und kann sich ein Gähnen kaum verkneifen.
»Was um Himmels willen ist denn los? Brennt es wo?«
»Sind Sie Katrin Engel?«
»Nein.«
Dem jungen Uniformierten entgleisen kurz die Gesichtszüge. Das verlegene Räuspern danach macht klar, dass seine Souveränität nur gespielt war. Und dass sie diese mit nur einem Wort gekillt hat. »Sind Sie sicher nicht Katrin Engel? Das tut mir leid– also nicht, dass Sie nicht Katrin Engel sind. Es tut mir leid, dass ich Sie umsonst geweckt habe. Aber ein Kollege hat mir Ihre Adresse rausgesucht und mich gebeten, Sie abzuholen. Weil Sie – beziehungsweise diese Engel ist beim Landeskriminalamt St. Pölten für Morde zuständig.«
Immer noch mit der frühen Uhrzeit und ihrer Müdigkeit kämpfend, seufzt die Frau tief. Sie hat Mühe, ihre Augen offen zu halten, und mustert ihr Gegenüber misstrauisch.
»Wie heißen Sie überhaupt? Wenn Sie mich schon so früh aus dem Schlaf reißen, will ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe.«
»Natürlich. Rene Langer. Wachtmeister.« Um seiner Aussage mehr Ausdruck zu verleihen, richtet er sich auf. Dabei drückt er für ihren Geschmack seinen Brustbereich ein wenig zu stark nach oben, aber wie es ihm gefällt.
»Ich will Sie auch nicht länger stören. Außerdem muss ich ja meine Kollegin finden! Immerhin haben wir es hier mit einem Mordfall zu tun.«
Überrascht horcht sie auf: »Ein Tötungsdelikt hier in unserem Want? Im Dorf der Gelangweilten? Sind Sie sicher, dass es Mord war? Vielleicht ist die Person auch einfach der Langeweile zum Opfer gefallen?«
Mit einem Schlag ist sie putzmunter und vor allem ehrlich interessiert. »Wo genau? Wer? Ach, bevor wir noch mehr Zeit verlieren: Bringen Sie mich zum Tatort!« Ohne Renes Antwort abzuwarten, lehnt sie die Tür an und läuft ins Schlafzimmer. Sie ignoriert die »Hallo«-Rufe und das darauffolgende Klopfen an ihrer Tür, sucht nach alltagstauglicheren Klamotten als ihrem Sternenpyjama und greift zu den Jeans und ihrem Shirt vom Vortag. Nachdem die zwei Teile den schnellen Geruchstest bestanden haben, zieht sie sich um und hastet zurück zu Rene. Der steht nach wie vor an ihrer Tür und will wissen, was das denn soll.
»Na, Sie haben mich doch aus dem Bett geklingelt, um einen Mordfall aufzuklären. Wollen wir jetzt oder nicht?«
Unauffällig mustert sie den Beamten und stellt fest, dass er ziemlich gut aussieht. Mit seinen dunkelblonden leicht gelockten Haaren, die sein markantes Gesicht mit diesen wunderschönen braunen Augen einrahmen, zählt er bestimmt zu den Prachtexemplaren der österreichischen Exekutive. Ja, es sollten mehr Männer wie er Uniform tragen. Das würde zwar die Kriminalitätsrate unter den Frauen enorm steigern, aber wenigstens hätte sie mehr zum Schauen. So gut er aber aussieht, so unsicher wird er auch gerade. Das erkennt sie nicht nur an seinem nervös umherwandernden Blick, sondern vor allem an dem Gezupfe am Bund seiner Jacke. Sie holt aus ihrer Tasche ein Lederetui hervor, klappt es auf und hält ihm ihren Ausweis direkt vors Gesicht. » Sie müssen besser zuhören. Kati Engel. Und jetzt los, ich brauche Kaffee!«
»Sollten wir nicht direkt zum Tatort?«
»Wozu? Die Leiche läuft uns nicht mehr weg und wenn ich nicht bald Koffein intus habe, kann ich nicht garantieren, dass es nicht bald noch ein weiteres Opfer gibt.«
»Was?«
Anstatt einer Antwort schenkt ihm Kati das freundlichste Lächeln, zu dem sie gerade imstande ist, und läuft dann für ihre Verhältnisse recht beschwingt die Treppe hinunter.
»Hätten wir eigentlich auch gehen können.« Kati steigt aus dem Polizeiauto und sieht links an Rene vorbei auf ihr Wohnhaus. Der tut es ihr gleich und stimmt ihr zu.
»Wäre auch schneller gewesen. Wie lange hätten wir zu Fuß gebraucht? Drei Minuten?«
»Vier. Um die Uhrzeit fünf. Aber viel schlimmer ist, dass der Bäcker noch geschlossen hat und ich keinen Kaffee bekommen habe. Zum Glück haben Sie mich gefahren. Wäre ich zum Bäcker gelaufen, hätten wir wichtige Zeit vergeudet.«
»Die Zeit, die wir jetzt mit diesem sinnlosen Dialog vergeuden?«
»Vorsicht, Langer, ganz dünnes Eis. Zu früh, kein Kaffee. Ganz dünnes Eis!«
Kati fixiert ihn scharf mit ihrem Blick und stapft dann hinter das Haus des Bürgermeisters. Dort werden sie schon von den Kollegen der Spurensicherung und dem Gerichtsmediziner erwartet.
»Hm, stark verändert hat sie sich nicht, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Abgesehen von den blutunterlaufenen Augen und der Leichenblässe natürlich.« Kati kniet sich neben die Leiche und zieht das Paar Handschuhe an, das ihr der Arzt reicht. Sie streicht eine blond gefärbte Haarsträhne aus dem Gesicht der Toten. »Aber niemand würde mit einem Messer im Rücken besser aussehen. Wobei ich zugeben muss, dass sie bei unserer letzten Begegnung auch nicht mehr Farbe im Gesicht hatte.«
»Drogen? Habe ich bei ihrem hageren Aussehen schon vermutet.« Der Mediziner zieht fachmännisch seine Handschuhe aus und lässt sie in seiner Jackentasche verschwinden.
Kati nickt. »Soweit ich weiß– und das weiß ich ehrlich gesagt auch nur, weil ich an der Quelle für Dorftratsch sitze –, hatte Lisa bereits mehrere Entzüge hinter sich, aber alle gescheitert. Aber das ist kein Grund, warum man erstochen hinter dem Haus des Bürgermeisters landet.«
Kati klärt den Arzt auf, dass es sich bei dem Opfer um ihre ehemalige Schulkollegin handelt. »Lisa Brantner. Die kam irgendwann in der Unterstufe zu uns. Am Anfang fand ich sie komisch, irgendwann dann unsympathisch. Das kann aber auch daran liegen, dass sie zu den coolen Kids gehörte und ich nicht.«
Sie schaut sich den Leichnam genauer an und seufzt: »Ich habe zu niemandem gehört. Zu nichts und niemanden.«
»Dafür liegen Sie jetzt nicht mit einem Messer im Rücken rum.«
»Das klingt jetzt so, als wäre sie tot, weil sie zu den Coolen gehört hat.«
»Ach … so … so habe ich das nicht gemeint.« Der Arzt läuft rot an und Kati kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Was ist heute nur mit den Männern los? Im Gegensatz zu Rene vorhin will sie ihn aber nicht länger hinters Licht führen. »Das einzig Traurige ist, dass sich einfach keine Menschenseele an meinen Namen erinnern kann. Oder will. Und daran hat sich bis heute nichts geändert!«
Kati kommt aus ihrer knienden Position hoch und sieht vorwurfsvoll zu Rene. Der aber ist gerade damit beschäftigt, den Finder von Lisas Leiche zu befragen. Achselzuckend dreht sich Kati wieder zum Arzt und erkennt an seinem fragenden Blick, dass sie die Aussage erklären muss. Sie klärt ihn kurz und bündig über das Kennenlernen mit Rene auf.
»Katrin! Ausgerechnet Katrin … Kennen Sie eine Katrin, die auch nur ansatzweise sympathisch ist?« Ohne seine Antwort abzuwarten, meint sie direkt: »Ich nicht! Aber gut, zurück zum Grund unseres friedlichen Beisammenseins: Über die Todesursache müssen wir uns nicht streiten, die ist klar. Genauso wie der Name des Opfers. Wie lange ist sie tot?«
»Ich würde sagen, seit zwei, drei Stunden. Genaueres weiß ich aber erst nach der Obduktion. Natürlich melde ich mich, sobald ich Ergebnisse vorliegen habe.« Er hebt den Arm grüßend zur Verabschiedung und Kati schaut ihm solange nach, bis sie den Notarztwagen in der Ferne nicht mehr sehen kann.
Sie bittet die Kollegen der Spurensicherung, mit ihrer Arbeit anzufangen, hat allerdings wenig Hoffnung auf Erfolg. Zumindest in Sachen Fußabdrücke – immerhin liegt die Tote ausgerechnet auf einem stark frequentierten Trampelpfad. Der zählt tatsächlich zu den am häufigsten benutzen Wegen in der Zweitausend-Seelen-Gemeinde, ist er doch eine angenehme Abkürzung zur Nachbargemeinde. Man spart zwar nur zwei Minuten, aber immerhin.
Sie wirft noch mal einen kurzen Blick auf die Tote und hat doch etwas Mitleid mit ihr. Auch wenn sie Lisa nicht leiden konnte, so ein Ende hat sie nicht verdient.
Seufzend geht sie auf ihren jungen Kollegen zu, der sich noch im Gespräch mit dem älteren Herren befindet. Dass der größere Probleme mit seinem Gehör hat, kann sie an Renes Lautstärke und dem Betonen der einzelnen Wörter erkennen.
»Sie müssen auf jeden Fall erreichbar bleiben! Falls wir noch Fragen haben, müssen Sie hier sein. Verlassen Sie Want nicht!«
Was sie aber wirklich schmunzeln lässt, ist dessen kauzige Antwort: »Ich bin fast neunzig, beeilen Sie sich mit Ihren Fragen. Aber so schnell werde ich das Kaff hier nicht verlassen und wenn, dann nur im Holzpyjama. Habe die Ehre!«
Rene nickt konsterniert und sieht dem Alten verdutzt hinterher, der langsam wegtrottet. »Schräges Völkchen hier.«
»Sie sind also nicht aus der Gegend?«
»Nein, ich bin erst seit drei Wochen hier im Dienst. Das ist quasi mein erster richtiger Kontakt mit den Eingeborenen hier.«
»Eingeborene? Wir sind hier ja nicht bei den Wilden! Aber keine Panik, Sie werden die Leute hier mit der Zeit schon kennenlernen. Drei kennen Sie ja schon.« Sie macht den ankommenden Bestattern Platz, die die Leiche langsam und behutsam in den Sarg heben, und korrigiert: »Zwei.«
Sie sieht sich nachdenklich um und stellt verwundert fest, dass etwas fehlt: »Wo sind denn bitte alle? Es ist zwar noch in aller Herrgottsfrüh und viel zu kalt für Ende Mai, aber wir sind hier immer noch in Want! Wo sind denn die ganzen Schaulustigen?«
Irritiert sieht sie sich um und nimmt die unfassbare Ruhe wahr, die von dieser frühen Stunde ausgeht. Stille und etwas Tau, der Dank der kräftiger werdenden Sonne langsam verschwindet. Ihr Blick fällt auf die Rückseite des Bürgermeisterhauses, von dessen Dach gerade ein kleiner Vogel wegfliegt.
»Normalerweise kann hier nicht mal eine Taube gegen eine Glasscheibe knallen, ohne dass sich der halbe Ort versammelt. Und wir sind hier nicht mal fünf Minuten vom Zentrum entfernt.«
»Das habe ich auch schon bemerkt. Gestern Abend habe ich bei der Verkehrskontrolle jemanden blasen lassen und das hat schon fast Volksfeststimmung ausgelöst. Aber gut, wenn die Leute hier sonst nichts haben. Ist ja auch nichts los.« Rene lächelt arrogant und so sieht sich Kati gezwungen, ihren jüngeren Kollegen in die Schranken zu weisen. »Hören Sie mal, Rene Langer. Ihre herablassende Art ist nicht angebracht und gefällt mir gar nicht. Ich darf das. Ich wohne hier in dem Kaff und kenne die Bagage nur zu gut. Teilweise besser, als mir lieb ist. Aber zu sagen, dass die nichts in ihrem Leben haben, ist falsch. Immerhin hat der Bürgermeister eine Leiche hinter seinem Garten und Sie haben jetzt die Aufgabe, dass Sie mir den zur Befragung zur Dienststelle bringen. Verstanden?«
»Verstanden!« Renes Widerwillen ist unüberhörbar. Dazu rollt er übertrieben mit den Augen.
Normalerweise würde Kati ihn darauf ansprechen und ihn erneut in die Schranken weisen, aber darauf hat sie jetzt keine Lust. Vor allem befürchtet sie, dass er seine Arbeit dann mit noch weniger Elan angehen würde.
Dafür genießt sie umso mehr, wie Rene geknickt zu seinem Wagen geht, und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Wenn er wüsste, dass sie mit seiner Hilfe das Rätsel um die Totenstille im Dorf gelöst hat: Gestern Abend war Maiandacht. Wie konnte sie das nur vergessen?
Jedes Jahr wird am letzten Samstag im Mai eine Feldmesse auf einer kleinen Anhöhe abgehalten. Für wen oder was die traditionell abgehalten wird, weiß sie zwar nicht, aber das interessiert sie auch nicht. Das Einzige, was für sie an der Veranstaltung interessant ist, ist der darauffolgende Dämmerschoppen. Deshalb ist wohl heute noch niemand hier, um zu gaffen. Hätte sie gestern nicht bis spät nachts arbeiten müssen, hätte sie sicher mitgefeiert und das eine oder andere Bier zu viel getrunken.
Kati seufzt, Glück gehabt. Bei einem Leichenfund in ihrer Heimatgemeinde hätte sie auf jeden Fall anrücken müssen. Das ist nüchtern doch um einiges angenehmer. Weitaus angenehmer wäre es allerdings, wenn niemand hätte sterben müssen. Und dass Lisa nicht Opfer der Wanter Tristesse, sondern ermordet wurde, ist offensichtlich. Wäre es andersrum, würde ihr jetzt wenigstens der Gang zu den Hinterbliebenen erspart bleiben.
So aber marschiert sie Richtung Ortsrand, wo das kleine, in die Jahre gekommene Einfamilienhaus von Josef und Luzia Brantner liegt. Schon beim Öffnen der Tür durch den Hausherren spürt Kati, wie sich ihr Magen zusammenzieht. Sie wusste zwar, dass Lisa bei ihren Großeltern wohnte, aber dass ihr Großvater schon so alt und gebrechlich ist, war ihr nicht bewusst. Er tut ihr leid, wie er vor ihr steht und sich kaum aufrecht halten kann.
Der schwache Zustand spiegelt sich in den dunklen Möbeln des Hauses wider. Schätzen ist zwar nicht ihre Stärke, aber Kati vermutet, dass die Möbel aus demselben Baujahr sind wie Josef selbst. Besonders auffällig ist eine hüfthohe Kommode, die ihm als Stütze dient. So, wie die bei der Berührung des alten Mannes knarzt, kann es nicht mehr lange dauern, bis sie in sich zusammenbricht.
Kati folgt ihm auf dem Weg in die Küche und sieht sich dabei genauer um. Auch an der abgeblätterten Wandfarbe und den ausgedorrten Blumenstöcken neben der Eingangstür kann sie erkennen, dass hier keine Kraft mehr für Hausarbeiten aufgewendet wird. Kraft oder Geld. Beim genaueren Blick auf einen Blumenstock überkommt sie aber leichter Ekel: Irgendetwas weißes, Wurmartiges sucht sich gerade seinen Weg aus der Erde an die Oberfläche. Sie wendet ihren Blick schnell wieder ab und nimmt auf Josefs Bitte hin Platz an seinem Küchentisch.
»Kaffee? Tee? Oder Kakao?« Seine Stimme ist genauso zittrig und schwach und untermalt sein Auftreten.
»Nein, danke.«
Josef nickt lächelnd und ruft nach seiner Frau: »Luzi, wir haben Besuch. Komm doch mal rüber zu uns!«
Luzi kommt und wirkt im Gegensatz zu ihrem Mann noch vergleichsweise fit. Allzu schwer ist das aber auch nicht.
»Luzi, wir haben Besuch. Wie heißen Sie noch mal?«
»Kati Engel.«
Sie reicht der Frau des Hauses zur Begrüßung die Hand und lehnt auch bei ihr die angebotenen Heißgetränke ab.
»Herr und Frau Brantner, ich komme nicht grundlos zu Ihnen. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Enkelin heute Morgen tot aufgefunden wurde. Es tut mir wirklich leid, aber wir konnten nichts mehr für sie tun.«
Die zwei sehen ihr reglos ins Gesicht und die junge Inspektorin kann nicht einschätzen, ob sie sie nicht gehört haben oder ob sie unter Schock stehen. Es bricht ihr beinahe das Herz, diesem alten Paar auf den letzten Tagen noch so eine schlimme Nachricht überbringen zu müssen.
Da setzt sich Luzia Brantner neben ihren Gatten, vergräbt ihr Gesicht in den Händen und weint bitterlich. Josef legt seine dünnen Hände auf die seiner Frau und spendet ihr wortlos Trost. »Wie ist es denn … Hatte sie einen Unfall?«
»Sie …« Kati wendet kurz ihren Blick von dem trauernden Paar ab und atmet tief durch. Wie alle Polizisten und Polizistinnen hasst sie diesen Part ihrer Arbeit am meisten. »Sie wurde umgebracht. Sie wurde hinter dem Grundstück des Bürgermeisters erstochen aufgefunden. Ich muss Ihnen diese Frage leider stellen: Hatte Lisa Feinde? Oder hatte sie mit jemandem Streit? Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches an ihrem Verhalten aufgefallen?«
Josef schüttelt nachdenklich den Kopf. »Wissen Sie, unsere Lisa hatte kein leichtes Leben. Nachdem sich ihre Mutter nicht mehr um sie kümmern konnte, haben wir uns dem Mädchen angenommen. Wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um ihr ein gutes Leben zu bieten, aber die Liebe einer Mutter konnten wir natürlich nicht ersetzen.«
»Ja, das glaube ich. Ich bin aus Want und habe das alles selbstverständlich mitbekommen. Das muss für Sie sehr schwer gewesen sein. Erst der Tod ihrer Tochter und dann schlägt Lisa denselben Weg ein. Furchtbar.«
Jetzt ist es Luzia, die zustimmt, Katis Frage nach Feinden aber verneint. »Lisa war kaum zu Hause, gesprächig war sie sowieso nicht. Von irgendwelchen Streitigkeiten oder so wissen wir nichts.«
»Verstehe. Sollte Ihnen doch noch irgendetwas einfallen, würde ich Sie bitten, sich umgehend bei mir zu melden.« Sie legt eine ihrer Visitenkarten auf den Tisch und bekundet erneut ihr Beileid. Nachdem sie sich verabschiedet hat, kann sie aus den Augenwinkeln noch sehen, wie Luzia wieder in Tränen ausbricht.
Auf dem Weg zurück zum Dorfkern ist sie mit ihren Gedanken weiterhin bei dem alten Paar und Lisa. Was hat sie verbrochen, dass sie so enden musste? Oder war sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?
Das Haus von Katis Großmutter Inge ist als Einziges der Siedlung in einem seltsamen Braunton gehalten. Während die anderen fünf Häuser in einem satten Gelb strahlen, wirkt dieses noch trostloser, als man es von einem Plattenbau erwarten würde. Auch das Treppenhaus mit dem grauen Steinboden und den grüngefärbten Handläufen ist keine Werbung für die Baukunst der Siebzigerjahre: schlicht, einfach und trotzdem geschmacklos.
Während Kati ihren Schlüssel zu Inges Wohnung aus ihrer Tasche kramt, nimmt sie hinter der Tür schon die Geräuschkulisse des Fernsehers wahr. Dass ihre Oma sie wegen der Lautstärke nicht durch den schmalen Flur kommen hört und ihre Enkelin erst wahrnimmt, als die bereits im Wohnzimmer steht, überrascht Kati nicht. Auch nicht, dass sich Inges Freude über ihren Besuch in Grenzen hält. Keine fünf Minuten nach ihrem Besuch bei Lisas Großeltern hat Inge sie telefonisch bereits wissen lassen, wie enttäuscht sie von ihr ist.
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.« Kati schwenkt eine kleine Papiertüte mit Mehlspeisen vor sich und hofft, Inge damit versöhnlich zu stimmen. Oder ihr zumindest ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die aber sieht ihr fest in die Augen: »Da tut sich endlich mal was in Want und wer ist die Letzte, die es erfährt? Ich!«
»Von wem weißt du das denn überhaupt schon wieder?«
»Von dir nicht.«
Inge dreht sich demonstrativ von ihrer Enkelin ab und widmet sich weiter der Wiederholung ihrer Krimiserie. Nach wenigen Minuten greift sie nach der Fernbedienung und schaltet das Gerät seufzend ab. »Grausam diese Folge. Erschreckend, wozu die Menschen in der Lage sind.«
»Dir ist schon klar, dass das gescriptet, also erfunden ist?« Katis Stimme verrät, dass sie ein wenig am Verstand oder zumindest der Wahrnehmung ihrer Oma zweifelt. »Da spielen die schlechtesten Schauspieler aller Zeiten mit. Ich will sie nicht mal Schauspieler nennen und von Spielen sind wir auch weit entfernt. Die sagen nur ihren Text auf und, na ja, die Geschichten sind so klischeehaft, schlimmer geht’s nicht.«
Inge denkt nach. »Glaubst du wirklich, dass das erfunden ist?«
»Das sage ich dir jedes Mal, wenn ich dich besuche und du dir diesen Schrott reinziehst. Egal ob Gericht, Detektiv oder was auch immer.«
Kati atmet tief durch, greift dramatisch nach der Hand ihrer Oma, sieht ihr tief in die Augen und meint übertrieben ernsthaft:»Oma, du musst jetzt ganz stark sein! Der ganze Dreck ist erfunden! Steht sogar im Abspann.«
Inge schlägt die Hand ihrer Enkelin lachend weg.»Du bist auch so ein Depp, aber ich habe es verstanden!«
Kati faltet die Hände, als würde sie beten, streckt sie gen Himmel. »Danke, guter Gott. Danke, dass du meiner Oma endlich die nötige Einsicht geschenkt hast. Wurde auch Zeit.«
Die streckt ihrer Enkelin die Zunge raus und verzieht gespielt entrüstet das Gesicht, als Kati ihr das gleichtut.
»Von wem hast du so ein kindisches Verhalten gelernt? Jetzt bist du schon fast dreißig Jahre alt und immer noch kindisch wie mit drei!«
»Oh, danke Großmütterchen! Ich weiß, dass ich verdammt jung aussehe. Aber ich bin schon seit zwei Jahren dreißig. Und da wir extrem viel Zeit miteinander verbringen, würde ich mal behaupten, dass dein Verhalten auf mich abgefärbt hat.«
»Sehr gut. Dann habe ich ja alles richtig gemacht!« Inge geht kurz in sich und meint dann nachdenklich: »Ich habe das übrigens ernst gemeint. Also, dass Menschen grausam sind. Unfassbar grausam finde ich zum Beispiel, dass man eine Enkeltochter hat, die bei der Mordkommission arbeitet, aber einen nicht informiert, wenn hier im Dorf etwas passiert! Das ist ein Verbrechen sondergleichen. Genauso, wie es ein Verbrechen ist, dass du den Kuchen immer noch nicht auf Teller gepackt und mitsamt Kaffee serviert hast. Glaubst du, der wird besser, wenn du ihn noch länger rumträgst?«
Kati äfft ihre Oma scherzhaft nach und bereitet wie befohlen in der Küche alles für den gemütlichen Kaffeeklatsch vor.
»Wo sind denn deine Tassen hin? Hast du die Schränke umgeordnet?« Ohne die Griffe der Schranktüren loszulassen, dreht sie sich mit dem Gesicht zu Inge, die es sich in ihrem Massagestuhl bequem macht. Wie immer. Sollte Inge in ihrem Wohnzimmer mal nicht auf dem dunkelgrünen Monstrum sitzen, ist das Abendland dem Untergang geweiht.
»Als ob ich nach zwanzig Jahren hier etwas umräume. So weit kommt’s noch. Vielleicht sind ein paar beim Durchwischen nach ganz hinten gerutscht, musst du mal schauen.«
»Ich komm doch schon so fast nicht an die oberen Regale. Willst du mich fertigmachen?«
Kati wartet Inges Antwort nicht ab, sondern schnappt sich einen der zwei Barhocker, die an dem kleinen Bistrotisch vor dem Fenster stehen. Zum Glück sind Inges Möbel moderner und in einem besseren Zustand als die von Josef und Luzia. So hat sie keine Bedenken, mithilfe des Hockers zwei Tassen nach vorne zu schieben. Und weil sie ein Herz für Omas hat, holt sie Inge auch noch eine weitere Tasse in Griffnähe. Wie die putzt, dass ihr Geschirr nach hinten wandert, will sie sich gar nicht vorstellen. Kati ist nur ein paar Zentimeter größer als Inge. Beinahe hätte ihr die geringe Körpergröße einen Strich durch die Rechnung gemacht und sie hätte ihren Traumjob an den Nagel hängen müssen. Früher musste man bei der Polizei eine Mindestgröße vorweisen, auf die haben ihr aber fünf Zentimeter gefehlt. Dem Mangel an Nachwuchspolizisten hat sie es also zu verdanken, dass dieses Kriterium weggefallen ist. Was ihr aber auch nichts bringt, wenn ihre Oma die Tassen ins Unerreichbare verrückt. Während sie in der Küche weiter mit den Tellern rumscheppert, klärt sie über die bisherigen Vorkommnisse auf.
»Weißt du, was mich am meisten schockiert hat? Dass Lisa gefühlt noch aussah wie damals. Nur halt älter … und tot. Da wurde mir bewusst, dass ich vielleicht auch noch so dämlich aussehe wie damals!« Kati kräuselt die Lippen und reicht Inge ihre Tasse und Kuchen. Die riecht genüsslich an der Nussroulade, lächelt selig und merkt am Blick ihrer Enkelin, dass die wohl eine Antwort erwartet.
»Na, ich sage mal so: Du hast dich schon verändert. Gefühlt siehst du jetzt noch dämlicher aus als früher.«
Bevor Kati reagieren kann, fährt Inge fort.
»Ich meine das aber ernst, was ich vorhin über das grausame Verhalten gesagt habe. Ich rede nicht nur von Mord. Aber es kommt leider immer noch viel zu oft zu häuslicher Gewalt. Teils mit schlimmen Verletzungen, die hätten verhindert werden können. Wie in diesem Filmchen da gerade. Da hätte auch Schlimmeres verhindert werden können, wenn die Leute mal Zivilcourage gezeigt und geholfen hätten. Aber geholfen hat niemand, weil ja jeder vor seiner eigenen Tür kehrt und sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischt. Als ob. In Wahrheit ist es doch so, dass sich jeder in die Angelegenheiten anderer einmischt und das nur, weil das besser ist, als sich um den eigenen Kram zu kümmern. Die Leute reden immer nur über andere, damit sie selbst nicht zum Opfer von Tratsch und Klatsch werden.«
Inge nimmt einen Schluck aus der Tasse, die vor ihr steht, und verzieht angeekelt das Gesicht. »Was ist das denn für ein Scheiß?« Sie stellt die Tasse schnell und einen Ticken zu fest wieder auf den Tisch und versteht erst nicht, warum Kati in schallendes Gelächter ausbricht.
»Meine Güte, ich dachte echt, du wirst seriös! Du hättest dir zuhören sollen, so kenne ich dich nicht. Vor allem, dass du Tratsch und Klatsch anprangerst. Ausgerechnet du. Du lebst doch quasi davon, dir Geschichten über Verwandte und Nachbarn anzuhören und dann weiterzuerzählen. Gott sei Dank hat dich der Tee wieder zurückgeholt! Ich habe übrigens vergessen, dir mitzuteilen, dass du keinen Kaffee mehr zu Hause hast. Ich gestehe, dass ich mir die letzte Tasse gegönnt habe.«
Inge schließt ein Auge und inspiziert mit dem anderen den Inhalt der Tasse. »Das würde ich nicht mal meinem ärgsten Feind andrehen. Apropos Feind«, Inge schiebt ihren Teller von sich, »hast du schon eine Idee wer hinter dem Mord stecken könnte? Das arme Mädel. Gefühlt hatte sie keine Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen. Und das, obwohl sie damals von ihrer Mutter zu ihren Großeltern gezogen ist. Aber gut, man steckt nicht drin und weiß nicht, was wirklich alles vorgefallen ist. Ich glaube auch nicht, dass alles so reibungslos abgelaufen ist. Die Brantners waren damals auch nicht mehr die Jüngsten und hatten sich ihre Pension sicher anders vorgestellt. Sich dann um ein pubertierendes Kind zu kümmern, ist bestimmt keine leichte Aufgabe. Auch wenn es sich um die Enkelin handelt.«
Kati nickt verständnisvoll und versucht, das erneut aufkommende Mitleid mit dem alten Ehepaar zu unterdrücken. Wie alle im Ort kennt sie die Geschichte von Lisa und deren Mutter Elke. Die gebürtige Wanterin hat noch vor ihrem achtzehnten Lebensjahr das Weite gesucht und ist nach Wien abgehauen. Soweit kann Kati das auch verstehen, für junge Leute bietet die kleine Gemeinde keine Möglichkeiten. Sie selbst war damals auch sehr froh, dass sie ihre Polizeiausbildung in Wien absolvieren und für einige Zeit dort leben konnte. Elkes Ziel war es damals aber nicht, einen Beruf zu erlernen, sondern absolute Freiheit zu finden und zu leben, wie sie es wollte. Doch das Ziel wurde weit verfehlt. Falsche Freunde, Drogen, … das alte Lied. Dennoch kam sie bis kurz vor ihrem Tod vor zwei Jahren noch ab und an in ihre Heimat, um ihre Tochter zu besuchen. Allerdings sorgten ihre Besuche im Elternhaus immer für mehr Unheil als Freude und bei den restlichen Bewohnern für viel Gesprächsstoff. Das ist zwar lange her, aber Want vergisst nie und da Lisa denselben Weg einschlug, konnte man das ganze Elend auch wirklich nicht vergessen.
»Noch habe ich keine Idee. Ihre Großeltern konnten mir nichts zu möglichen Feinden sagen. Ich kann mir vorstellen, dass die nicht sonderlich viel vom Alltag ihrer Enkelin mitbekommen haben. Oder mitbekommen wollten. Ist bestimmt auch besser für die zwei. Aber ich würde behaupten, dass die Leute in ihrem Milieu nicht gerade die Feinsten sind. Vielleicht war es einer von denen? Wer hätte ihr sonst etwas antun sollen?«
Inge befeuchtet mit der Zunge ihren rechten Zeigefinger, sammelt damit Nussrouladenkrümel auf und schiebt sich diese in den Mund. »Der Ansatz ist logisch und nachvollziehbar. Darauf würde aber auch Lieschen Müller von der Wursttheke kommen. Ich hingegen habe eine ganz andere Theorie!«
Um ihrer Aussage mehr Dramatik zu verleihen, will Inge einen Schluck aus ihrer Tasse nehmen, hält aber rechtzeitig inne, als ihr einfällt, welch geschmackliche Enttäuschung sie da erwarten wird. Sie blickt ihrer Enkelin fest in die Augen. »Ich bin mir sicher, dass etwas ganz anderes dahinter steckt. Damals gab es viele Gerüchte um Elke, auch in die … nennen wir es mal ‚erotische‘ Richtung.«
Inge will ihre Klatschgeschichte verheißungsvoll weiterführen, wird aber von Kati unterbrochen:»Wie war das? Die Leute reden nur über andere, damit sie selbst nicht zum Opfer von Tratsch und Klatsch werden?«
»Ja, ja, schon gut. Willst du es jetzt wissen, oder nicht?«
Kati richtet sich auf. »Ich will es nicht wissen. Ich muss es wissen!«
»Erst mal eine rauchen.«
Die doch recht korpulente Inge erhebt sich für ihre Verhältnisse schwungvoll von ihrem Stuhl, stöhnt dann aber kurz auf und hält inne. »Meine Füße. Meine Güte, die bringen mich noch ins Grab.«
Kati ignoriert Inges leidendes Gesicht. »Ich schätze eher, dass dich die zwei Packungen Zigaretten am Tag ins Grab bringen. Hast du dir schon mal überlegt, dass deine Schmerzen im Bein durch das Rauchen kommen könnten?«
»Was haben denn meine Beine mit dem Rauchen zu tun?«
Inge umfasst die Griffe ihres Rollators und schiebt ihn schön langsam Richtung Balkontüre. Vorsichtig steigt sie über die Türschwelle und lässt sich schwerfällig in ihren Plastikstuhl fallen. Der knarzt ob ihres Gewichtes leise, was Kati höflich ignoriert und wieder auf das Thema mit dem Rauchen zurückkommt.
»Durch das Nikotin verstopfen deine Gefäße und du bekommst eine Thrombose, die direkt in dein Hirn schießt. Zack –tot.«
»Alles besser als dein Gezeter gerade.« Inge zieht den Aschenbecher zu sich. »Ganz schön voll. Könntest du den ausleeren?«
»Hast du mir gerade zugehört?«
Anstatt zu antworten, lächelt Inge ihre Enkelin süßlich an. Die stöhnt genervt auf und macht sich auf den Weg in die Küche zum Mülleimer.
Inge ruft ihr hinterher: »Wenn du schon mal da drinnen bist, bring mir doch bitte eine neue Packung mit!«
Kati rollt mit den Augen, leert den Aschenbecher, schnappt sich die letzte Packung Zigaretten, die sie finden kann, und bringt sie ihrer Oma. Bevor sie nach der Packung greift, zieht Kati diese zurück und mahnt:»Raucherbein. Ich sag nur Raucherbein!«
Dann gibt sie ihr die Packung und setzt sich neben ihre Oma an den Tisch.»Also, wie lautet jetzt deine Theorie?«
»Wollte ich ja gerade erzählen, dann hast du mit deiner Jammerei wegen dem Rauchen angefangen.« Inge nimmt sich eine Zigarette, zündet sie an und nimmt einen genussvollen ersten Zug. Nachdem es nicht nur bei dem ersten bleibt, wird Kati ungeduldig und erinnert Inge noch mal an die zwei Brantner Frauen.
»Erzähl es niemanden aber …« Inge beugt sich nach vorne und fordert Kati auf, das auch zu tun.
»Mein Gott, wir sind nicht bei der Stasi.«
»Lehn dich jetzt nach vorne, sonst erzähle ich nicht weiter!«
Obwohl Inge flüstert, merkt Kati an ihrem Ton, dass sie wohl keine andere Wahl hat. Vor allem, da sie sonst kein weiteres Wort verstehen würde. Niemand flüstert so leise wie ihre Oma.
»Die alte Moserin kennst du ja?«
»Oma, die ist zehn Jahre jünger als du. Nenn sie nicht alt.«
»Kennst du sie oder nicht?«
»Wie könnte ich denn auf euren immensen Altersunterschied eingehen, würde ich sie nicht kennen?« Kati weiß nicht recht, was in ihrer Oma vorgeht.
»Na, hör mal, immens! Was soll das denn jetzt?« Inge will sich echauffieren, aber Kati holt sie mit ihrer leicht verzweifelten Bitte, endlich zum Punkt zu kommen, runter. »Die alte Moserin«, Inge ignoriert Katis genervten Blick und fährt fort, »hat damals bei Elkes Eltern geputzt, um sich über Wasser zu halten. Damals hatten die noch weit mehr Geld als heute. Keine Ahnung, wo das hingekommen ist. Egal. Sie hat seinerzeit mal einen Streit zwischen denen mitbekommen. Ging wohl darum, dass die Elke auch Probleme hatte, über die Runden zu kommen.«
Inge lehnt sich triumphierend zurück, sieht Kati hoffnungsvoll ins Gesicht und versteht nicht, warum ihre Enkelin keinerlei Regung zeigt. Kati hingegen versteht gar nichts.
»Natürlich hatte die als Junkie Probleme über die Runden zu kommen. Was zum Teufel meinst du?«
»Himmelherrgott, sie hat sich prostituiert und das war damals noch eine Tragödie.« Inge schüttelt verständnislos den Kopf. »Manchmal frage ich mich ja wirklich …«
Kati hat zwar ein bisschen Angst, ihrer Oma diese Frage zu stellen, aber nachdem sie nichts damit anzufangen weiß, bleibt ihr nichts anderes übrig. »Und was hat das mit meinem aktuellen Fall zu tun?« Damit ihre Bedenken nicht untergehen, betont sie das Wort „aktuell“ besonders. »Ich verstehe nicht, was du dir da zusammenreimst. Das ergibt keinen Sinn.«
Inge zieht am letzten Fitzelchen ihrer Zigarette, dämpft diese langsamer aus als nötig und gibt Kati somit indirekt zu verstehen, dass sie gerade selbst nicht so genau weiß, was sie mir ihrer Aussage bezwecken will. Kati kann ihre Oma wie ein offenes Buch lesen und Inge ist das natürlich bewusst. Umgekehrt ist es genauso. Inge räuspert sich kurz, aber kräftig.
»So genau kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern. War ja auch nicht gerade erst gestern.«
»Sei doch nicht gleich so schnippisch!«
»Ich bin nicht schnippisch. Ich will dir nur helfen und du stellst dich blöder an als notwendig. Ich meine ja nur, dass Lisa vielleicht denselben Weg wie Elke eingeschlagen hat. Und dabei ist sie an den Falschen geraten.«
Kati versteht langsam, worauf ihre Oma hinaus will. Sie ordnet Inges Worte in ihren Gedanken und gibt nach einer kurzen Pause zu:»Der Ansatz ist gar nicht so schlecht! Ich glaube zwar nicht, dass sie sich prostituiert hat, aber ich vermute, dass das Motiv in die Richtung ‚Liebe und Sex‘ gehen könnte.« Kati lächelt. »Wie in jedem zweiten Krimi gefühlt.«
Die Inspektorin weiß um Inges Neugierde und um sie ein bisschen länger auf die Folter zu spannen, geht sie erst mal in die Küche, um eine Flasche Wasser und zwei Gläser zu holen. Die stellt sie auf dem kleinen Balkontisch ab und befüllt sie lächelnd. »Der Service hier war auch schon mal besser.«
Inge nickt. »Stimmt, normalerweise nimmst du das Wasser direkt mit.«
Die zwei heben die Gläser, prosten einander zu und Kati bemerkt aus den Augenwinkeln, wie ihre Oma das Glas zu früh ansetzt und beinahe den halben Inhalt auf ihre braune Kittelschürze schüttet. Inge stellt das Glas ab und trocknet das Gröbste mit einem Taschentuch. »Je älter ich werde, desto ungeschickter werde ich.«
Kati legt ihren Kopf seitlich in den Nacken und denkt, dass ihr dasselbe Missgeschick erst vor wenigen Tagen selbst passiert ist. Vielleicht liegt es nicht an Inges Alter, sondern einfach daran, dass sie eine ungeschickte Familie sind? Sie geht aber nicht auf das Malheur ein, sondern kommt lieber auf ihre Überlegung zurück.
»Ich kann mir gut vorstellen, dass der Huber Martin etwas damit zu tun hat. Der hat doch damals die Drogenszene nach Want gebracht. Erinnerst du dich? Er war der erste Junkie hier und hat nach und nach alle angefixt.«
»Natürlich erinnere ich mich. Das ist ja auch noch nicht so lange her.«
»War echt krass. Was ich aber am schlimmsten finde, ist, dass er der Einzige ist, der von dem Scheiß wieder losgekommen ist. Soweit ich weiß, zumindest. Im Detail habe ich mich jetzt auch nicht mit seiner Vita auseinandergesetzt.« Kati rutscht tiefer in den Stuhl, lässt ihren Kopf in den Nacken fallen und schließt die Augen. Leise murmelt sie etwas und reagiert erst nicht auf Inges Drängen.
»Worüber denkst du nach? Jetzt sag doch schon!«
Sie kommt wieder hoch und lächelt ihre Oma an. » Die zwei waren ja auch mal ein Paar und vielleicht gab es da Probleme? Egal ob zwischenmenschlich, finanziell oder was auch immer. Ich glaube, der Typ ist ein heißer Tipp, und ich kann mir gut vorstellen, dass er damit was zu tun hat.«
Inge ist nachdenklich. »Eigentlich dachte ich an etwas anderes, aber bitte. Wenn es dir so auch hilft, warum nicht?«
Kati nimmt ihre Worte aber nicht mehr wahr und entschuldigt sich mit Blick auf ihr Handy. »Es tut mir echt leid, aber ich muss jetzt ins Büro. Hätte ich eigentlich schon längst gemusst, aber egal. Besser spät als nie.«
»Hoffentlich sieht das dein Chef auch so.«
»Das hoffe ich auch, sonst bin ich die nächste tote Wanterin.«
»Ja, ja, wird schon. Aber egal, du wirst den Mörder finden, das spüre ich. Die haben dich schon nicht grundlos zu dem Fall gerufen. Ich bin echt stolz auf dich.«
Kati sieht ihre Großmutter schweigend an und meint dann konsterniert: »Ich bin zwar Chefinspektorin beim Landeskriminalamt, aber der ausschlaggebende Grund dafür war wohl eher, dass ich nur fünf Minuten vom Tatort entfernt wohne. Also hör auf zu schleimen, Oma. Ich werde dich auf jeden Fall mit Infos im Fall Lisa versorgen. Zumindest soweit, wie es legal ist und die Ermittlungen nicht gefährdet.«
Zum Abschied drückt sie ihrer Oma ein Küsschen auf die Stirn und hört schon nicht mehr, dass die mal bei der alten Moserin wegen der Geschichte von damals nachhören will. »Sofern die sich in ihrem Alter überhaupt noch dran erinnern kann.«
Vor zwei Jahren wurde Kati zur Chefinspektorin befördert und hat sich in diesem Zuge auch von Wien nach St. Pölten versetzen lassen. Seitdem ist das Polizeipräsidium in der niederösterreichischen Landeshauptstadt quasi ihr Zweitwohnsitz. Trotz der in die Jahre gekommenen Räumlichkeiten kann sie aber nicht abstreiten, dass sie sich hier wohlfühlt. Wie alle Polizeidienststellen besticht auch diese durch die spartanische Innengestaltung. Kahle Flure – denen vereinzelt ein paar zu großgeratene Pflanzen erfolglos etwas Leben einhauchen sollen – führen in nicht minder freudlose Büros. Weiße Wände, graue Schreibtische und schwarze Bürostühle mit blauer– meist abgewetzter – Sitzfläche. Der einzige Farbklecks an den Wänden ist das Bild des österreichischen Bundespräsidenten, das dem ganzen auch nicht gerade mehr Charme verleiht. Weder den Büros noch den Gängen.
Darüber kann Kati aber wunderbar hinwegsehen. Was sie aber nicht ignorieren kann, ist der Geruch des Putzmittels, mit dem eine ihrer Kolleginnen gerade den Flur wischt. Wonach das genau riechen soll, kann sie wirklich nicht bestimmen. Irgendwie eine unangenehme Mischung aus Maiglöckchen und Ammoniak. Nichts, was man den ganzen Tag über in der Nase haben möchte. Deswegen öffnet sie umgehend ein Fenster und quetscht sich an ihrer Kollegin vorbei.
»Ist dir langweilig? Oder hat der Chef deine Leistungsnachweise gesehen und lässt dich deswegen putzen? Damit du auch mal ein Ergebnis vorlegen kannst?« Kati liebt es, ihre Kollegen zu necken.
»Haha, schön wäre es. Wir haben vorhin einen aus der Ausnüchterungszelle heimgeschickt. Zum Dank hat er hier gekotzt. Und an einem Sonntag ist der Putztrupp ja nicht hier. Warum bist du überhaupt da? Hast du kein Zuhause, wo du die Leute mit deinen Sprüchen nerven kannst?«
»Die werden auch schon weniger. Leichenfund in Want.« Ohne weitere Worte zu verlieren, lässt Kati ihre Kollegin zurück, geht weiter den Flur entlang und versucht, den widerlichen Geruch auszuklammern. Davon abgesehen hat das Gebäude dennoch etwas an sich, weshalb Kati gerne hierherkommt. Zumindest während der Dienstzeit. Danach will sie davon absolut nichts hören.
»Engel?«
Sie schrickt aus ihren Gedanken hoch und dreht sich zum Büro ihres Chefs, aus dem sie gerade ihren Namen gehört hat.
»Ich wünschte, ich wäre einer.« Verschmitzt lächelnd steckt sie ihren Kopf zur Tür rein.
»Jetzt ist wirklich keine Zeit für ihre morbiden Sprüche.«
An Walter Steins zusammengepressten Lippen und den leicht zugekniffenen Augen hinter seiner Brille erkennt sie genau, dass sie besser ernst bleiben sollte und hebt beschwichtigend die Hände.
»Was wissen Sie über die Tote in Want? Haben Sie schon irgendwelche Spuren? Oder können wir sie als Drogenopfer ad acta legen?«
»Dass Drogen töten, war mir klar, aber dass die einem neuerdings auch Messer in den Rücken stecken, wusste ich nicht.« Kati gibt sich gespielt beeindruckt und weiß wohl, dass ihr Chef dahingehend keine lange Zündschnur hat. Sonst schon nicht und heute gefühlt noch weniger.
»Schon gut. Ihren Sarkasmus können Sie sich sparen. Also, Infos bitte!«
Walter Stein lehnt sich in seinem klapprigen Bürostuhl zurück und schrickt hoch, als der eine Spur zu weit nach hinten schnellt. Das entlockt Kati ein freudiges Schmunzeln.
»Lachen Sie jetzt bloß nicht, Engel!«
Sie fasst zusammen, was sie mitzuteilen hat, und erklärt, dass sie sich genauer mit dem Huber beschäftigen will.
»Ich kenne zwar seine aktuellen Lebensumstände nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass der da seine Hände im Spiel hat. Wäre zumindest naheliegend, so viele Kriminelle gibt es in Want offiziell ja nicht. Und ohne in seine Akte zu schauen, kann ich mich noch an einige Aktionen von früher erinnern, mit denen er sich keine Freunde gemacht hat. Wobei das noch untertrieben ist. Der saß auch für ein paar Jahre ein und ich gehe stark davon aus, dass er mir sonst zumindest ein paar Namen aus Lisas Umfeld nennen kann, die vielleicht brauchbar sind.«
Der in seinem Sessel etwas zu breit wirkende Walter nickt. »Na, dann haben sie ja quasi Heimspiel.« Er rudert sofort entschuldigend zurück: »Also nicht wegen diesem Huber und seinem Umfeld, um Gottes willen. Wegen Want und so …«
Kati lächelt. Passt schon.
»Gut, dann machen Sie sich an die Arbeit. Ach, Engel, bevor Sie gehen: Ich werde mich weiter um Ersatz für Ihren Kollegen bemühen. Keine Ahnung, wie lange das noch dauert, aber nur, damit Sie Bescheid wissen. Sie können ja nichts dafür, dass der sich für ein Jahr irgendwo in Südamerika rumtreibt und Affen streichelt.«
»Alles klar.« Kati klopft zum Abschied gegen den Türrahmen des Büros und wundert sich, warum. Das hat sie jetzt zum ersten und hoffentlich letzten Mal gemacht.
Der Weg vom Chefbüro zu ihrem kleinen Reich führt sie an den Sanitäranlagen vorbei. Allein der Anblick der Toilettentür sorgt bei ihr für heftige Bauchschmerzen. Und das nicht nur im übertragenen Sinn. Dahinter verbirgt sich die Folterkammer der Neuzeit: offene WC-Kabinen! Sie kann nicht verstehen, wie man seine Notdurft in einer nach oben und unten hin offenen Kabine verrichten soll. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, so etwas zu planen? Wer sitzt zu Hause oder in seinem Büro und denkt sich: »Ach, was gibt es Schöneres, als alle Anwesenden daran teilhaben zu lassen, was sich hinter der Kabinentüre abspielt?« Wie oft hat sie schon in der Tür umgedreht, als sie eine ihrer Kolleginnen vor dem Spiegel am Waschbecken sah? Oder bereits auf dem Klo sitzend unter größter Mühe versucht, das Unvermeidliche aufzuhalten? Furchtbar für alle Beteiligten.
Sie öffnet die Tür einen Spalt und stellt fest, dass sich gerade keine der Kolleginnen auf der Toilette befindet. Soll sie die Gunst der Stunde nutzen? Geruchstechnisch kann es nicht schlimmer als auf dem Flur werden und sie spürt, dass Inges Kaffee langsam zu wirken anfängt. Sie sieht sich noch mal kurz um und will gerade das WC betreten, als ihr Handy klingelt.
»Hallo Kat–«, da der Anrufer gerade an dieser Stelle unterbricht und irgendetwas unsicher vor sich hin murmelt, wähnt Kati den Arzt dahinter. Die eingespeicherte Nummer der Pathologie trägt außerdem zu dieser Vermutung bei.
»Kati. Haben Sie schon was rausgefunden? Das ging ja schnell.«
»Ich tue, was ich kann. Der Tatzeitpunkt hat sich bestätigt. Lisa wurde gegen zwei Uhr dreißig umgebracht.«
»Aha.«
»Das ist aber noch nicht alles! Sie war bereits vor dem Messerstich tot. Beziehungsweise so gut wie.«
Kati dreht sich nun endgültig von der Toilettentür weg und geht flotten Schrittes in ihr Büro. Dort setzt sie sich an ihren Schreibtisch und hört dem Gerichtsmediziner weiter zu.
»Die Laborergebnisse haben eindeutige Hinweise auf eine Vergiftung ergeben. Wollen Sie raten, womit?«
»Nein.«
Der Pathologe räuspert sich peinlich berührt und klärt Kati dann über die weiteren Ergebnisse auf.
Die ist danach fast beeindruckt. »Da hat sich jemand aber ordentlich Mühe gegeben. Hut ab!«
»Oder eher: Hut in. Wie dem auch sei: Sollte ich noch etwas herausfinden, melde ich mich wieder.«
Kati legt ihr Handy zur Seite und lässt die Worte des Pathologen nochmal Revue passieren.
»Der Blaue Eisenhut ist hochgiftig. Wenn man nur kurzen Hautkontakt damit hat, kann dieser schon zu schweren allergischen Reaktionen führen und es muss dringend behandelt werden. Oral eingenommen wirkt es halluzinogen, es gibt aber kaum eine Überlebenschance und bei der Menge, die in Lisas Blut nachgewiesen wurde, war die Chance gleich null.«
Kati seufzt. Den Messerstich hätte sich der Täter bei der Intoxikation auch sparen können. Da wollte sich jemand seiner Sache wohl sehr sicher sein. Der Stich hätte auch im Affekt passieren und quasi ein „Unfall“ sein können. Aber eine Vergiftung heißt, dass Opfer und Täter wohl schon länger Probleme hatten und die Tat geplant war. Zumindest hat sie noch nie von jemandem gehört, der immer ein bisschen Gift bei sich trägt. Erst recht nicht Blauen Eisenhut. Bis vor wenigen Minuten kannte sie die Pflanze nicht mal. Und dazu die Eigenschaft als absolutes Tötungsmittel.
Wird auch Ziegentod oder Teufelskappe genannt. Kati überfliegt einige Artikel über die doch eigentlich schön anzusehende Pflanze und wundert sich, dass sie diese noch nie gesehen hat. Die samtig blauen Blüten wären ihr doch bestimmt aufgefallen. Noch dazu, da sie laut Internet in gefühlt ganz Europa beheimatet ist und sich als beliebte Gartenzierpflanze einen Namen gemacht hat.
Sie klappt ihren Laptop zu und macht sich wieder auf den Weg zurück nach Want. Mörder findet man nicht im Büro, sondern vor Ort! Außerdem ist ihr eben wieder eingefallen, dass sie ihren Kollegen damit beauftragt hat, den Bürgermeister ins örtliche Revier zu bestellen. Da sich der aber immer noch nicht gemeldet hat, muss sie das wohl wieder selbst in die Hand nehmen.
Aber erst mal muss sie ein anderes Problem lösen: Der Kaffee fordert jetzt wirklich seinen Tribut und sie hofft inständig, dass sie es unfallfrei nach Want schaffen wird.
»Sorry, dass ich vorhin, ohne zu grüßen, an euch vorbeigestürmt bin, aber es war hart akut.