Tödlich blond - Max Phillips - E-Book

Tödlich blond E-Book

Max Phillips

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Beschreibung

Ray Corson verspricht, Rebecca vor einem rachedürstenden Verbrecher zu retten - nur hatte er nicht gewusst, dass er sich dessen Gang erst würde anschließen müssen. Er kommt nach Hollywood, um Drehbuchautor zu werden, nicht bezahlter Schläger. Aber wie kann er Nein sagen, als ihn eine umwerfende Frau mit einer vollen Brieftasche um Hilfe bittet? Rebecca LaFontaine kommt nach Hollywood, um Schauspielerin zu werden, nicht Pornodarstellerin - und schon gar kein Mordopfer. Um sie zu beschützen, heuert Corson bei Drogenboss Lenny Scarpa an. Aber Scarpa hütet dunkle Geheimnisse. Dabei birgt Rebecca das dunkelste Geheimnis von allen.

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Ähnliche


In der Reihe »Hard Case Crime« bei Rotbuchsind bislang erschienen:

HCC-001 Allan Guthrie: »Abschied ohne Küsse«

HCC-002 Lawrence Block: »Abzocker«

HCC-003 Ken Bruen & Jason Starr: »Flop«

HCC-004 Christa Faust: »Hardcore Angel«

HCC-005 Richard Aleas: »Tod einer Stripperin«

HCC-006 Donald E. Westlake: »Mafiatod«

HCC-007 Mickey Spillane: »Das Ende der Straße«

HCC-008 Ed McBain: »Die Gosse und das Grab«

HCC-009 Ken Bruen & Jason Starr: »Crack«

HCC-010 Lawrence Block: »Falsches Herz«

HCC-011 Max Phillips: »Tödlich blond«

Inhalt

Titelseite

Impressum

Widmung

Kapitel 1: Blaues Cabrio

Kapitel 2: Kette

Kapitel 3: Reece

Kapitel 4: Shade

Kapitel 5: Garderobe

Kapitel 6: Das Centaur

Kapitel 7: Jade Mountain

Kapitel 8: Scarpa

Kapitel 9: Visitenkarte

Kapitel 10: Büro

Kapitel 11: Pool

Kapitel 12: Anzug

Kapitel 13: Coast Highway

Kapitel 14: Wagenheber

Kapitel 15: Zwei Dutzend Rosen

Kapitel 16: Goldene Wolken

Kapitel 17: Metz

Kapitel 18: Farmhaus

Kapitel 19: Estrella

Kapitel 20: Brief

Kapitel 21: Unterschied

Kapitel 22: Tot

Kapitel 23: Bett

Kapitel 24: Der Gehängte

Kapitel 25: Rebecca

Kapitel 26: Angebot des Tages

Max Phillips

TÖDLICH BLOND

Übersetzt von Katrin Kremmler

Rotbuch Verlag

eISBN: 978-3-86789-518-7

Deutsche Erstveröffentlichung, 1. Auflage

© 2009 by Rotbuch Verlag, Berlin

Titel der Originalausgabe: »Fade to blonde«

© 2004 by Max Phillips

Umschlagillustration: © 2004 by Gregory Manchess

Die Reihe »Hard Case Crime« in deutscher Sprache ist eine internationale Kooperation der Winterfall LLC und Rotbuch Verlag GmbH.

Das Logo und der Name »Hard Case Crime« sind Markenzeichen der Winterfall LLC und lizenziert für die Rotbuch Verlag GmbH.

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag GmbH

Alexanderstr. 1

10178 Berlin

Tel. 01805 / 30 99 99

(0,14 Euro / Min. aus dem deutschen Festnetz,

abweichende Preise für Mobilfunkteilnehmer)

www.rotbuch.de

Für K., die gefährlichste Blondine von allen

1

Blaues Cabrio

So richtig blond war sie eigentlich gar nicht, aber es wäre ein Verbrechen, solches Haar als hellbraun zu bezeichnen. Es hatte eher eine Löwenfarbe. Löwin. Schweres glänzendes Haar, das ihr von einem Mittelscheitel glatt auf die Schultern fiel. Viel angestellt hatte sie nicht damit. Das war auch gar nicht nötig. Sie stieg aus dem großen Studebaker Cabrio und kam über den roten Staub gelaufen, wo eines Tages einmal ein Vorgarten sein würde. Ich war oben auf dem Dach und verlegte Dachziegel auf einem dieser kleinen Hasenställe, die wie Haziendas aussehen wollen. Die ganze Straße war voll damit, alle halb fertig. Sie trug ein blassblaues Kleid mit cremefarbenen Tressen, einen dunkelblauen Gürtel und einen albernen kleinen Schulmädchenkragen. Sie hatte hübsche gerade Schultern. Zwischen ihnen und ihren vorne offenen Schuhen gab es nichts, was nicht in Ordnung war, also musste der Ärger wohl irgendwo hinter diesen blaugrauen Augen liegen. Denn Ärger würde es natürlich geben. Sie sah hoch und rief: »Heißen Sie Corson?«

Ich sagte, das wäre der Fall.

»Sind Sie sehr beschäftigt?«

Ein echter Filmstar konnte sie nicht sein, dachte ich. Sie hatte nicht den entsprechenden Gang und war für dieses Geschäft auch zu dünn – mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen. Sie sah zu mir hoch, wobei sie ihre Augen mit der Hand abschirmte. »Ich würde gern mit Ihnen reden.«

»Tun Sie doch schon«, sagte ich.

»Ich hätte vielleicht einen Job für Sie.«

»Welcher Art?«

Sie stand nur da und sah zu mir hoch. »Also, kräftig genug gebaut sind Sie«, meinte sie schließlich.

Ich wartete ab.

»Sie haben mal geboxt, wie man hört«, sagte sie.

Ich wartete ab.

»So wie Sie aussehen, haben Sie ganz schön was eingesteckt.«

»So schlimm war’s nicht«, sagte ich. »Neun Siege und zwei Niederlagen. Die Nase hab ich mir gebrochen, als ich in der dritten Klasse von einem Baum gefallen bin. Und der Rest von meinem Gesicht hat schon immer so ausgesehen.« Sofort ärgerte ich mich über mich selbst. Das brauchte weiß Gott keiner zu hören.

»Sie wurden trotzdem ein paarmal geschlagen«, sagte sie und lächelte ein wenig.

Sie hatte ein ziemlich hübsches Lächeln.

Ich ging zum Stellplatz hinüber, wo das Dach abschüssig war, und setzte mich auf die Dachkante. Sie kam und stellte sich unter mich, genau zwischen meine Füße. Sie war wirklich ein groß gewachsenes Exemplar.

»Ein paarmal«, sagte ich.

»Neun Siege und zwei Niederlagen sind nicht schlecht. Warum haben Sie aufgehört?«

Ich zuckte die Schultern. »Die haben angefangen, mich gegen Typen antreten zu lassen, die wirklich boxen konnten. Und es war auch nicht das, weshalb ich hergekommen bin.«

»Weshalb sind Sie denn hergekommen?«

»Sagen Sie’s mir. Sie wissen doch anscheinend schon alles.«

»Sie kamen nach L. A., um Drehbücher zu schreiben. Aber Sie hatten kein Glück. Sie haben ein paar Drehbuchentwürfe für Republic gemacht, und Severin hat Ihnen ein paar Drehbücher zu lesen gegeben. Er mochte Sie, das taten ein paar Leute dort, aber er wusste nicht so recht, was er mit Ihnen anfangen sollte. Er hat Ihnen Komparsenrollen und ein paar kleine Nebenrollen gegeben. Einmal hatten Sie sogar Text. Sie waren die Niete, der vielversprechende junge Boxer, der gleich am Anfang k. o. geschlagen wird. Was mussten Sie noch mal sagen, wenn ich fragen darf?«

Nach einer Minute sagte ich: »›Also du bist The Kid. Man sagt, du hast was drauf.‹«

Wieder ein angedeutetes Lächeln. Immer noch hatte sie die Augen mit der Hand abgeschirmt und sah zwischen meinen Füßen zu mir auf. Wenn ein Arm müde wurde, nahm sie die andere Hand. »Ich krieg ein steifes Genick.«

»Ich hab’s bequem hier oben.«

Sie tätschelte meinen Arbeitsschuh. »Dass Sie mir bloß nicht ins Gesicht treten. Zumindest nicht bevor wir uns richtig vorgestellt haben.«

Langsam hob ich den Stiefel an, auf ihr Kinn zu, und sie trat zurück, um ihm auszuweichen, die Hände hinter den Hüften verschränkt, und sah die ganze Zeit mit diesem angedeuteten Lächeln hoch zu mir. Als sie weit genug entfernt war, sprang ich herunter.

»Danke«, sagte sie. »Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«

»Hier sind wir ungestört«, sagte ich.

Sie sah die Straße hinauf. »Das stimmt sogar. Anscheinend sind Sie heute Morgen der Einzige, der arbeitet.«

»Der Bauunternehmer geht gerade bankrott. Der Lohn lässt auf sich warten.«

»Aber Sie sind noch da.«

»Ich sitz nicht gern untätig rum. Wer lobt mich da eigentlich in den höchsten Tönen?«

»Ein Mann namens Reece, Sicherheitsmann bei Republic.«

»Sie kennen Mattie?«

»Das ist nicht schwer, wenn man ein Mädchen ist«, sagte sie. »Als es mit der Schauspielerei nicht geklappt hat, haben Sie sich ein wenig als Bodyguard versucht.«

»Wenn Sie es so nennen wollen. Ich hab mir einen Anzug angezogen und stand hinter ein paar Typen rum. Ab und zu habe ich einem die Hand auf die Schulter gelegt und ihn mit diesem speziellen Blick angesehen.«

»Zeigen Sie’s mir«, sagte sie.

Ach, zum Teufel, wenn es das war, was sie wollte. Ich streckte die Hand aus und ließ sie schwer auf ihre Schulter fallen. Ich sah sie mit dem speziellen Blick an.

Sie schlug die Hände zusammen und lachte entzückt. »Ich nehme alles zurück. Sie sind Schauspieler. Es sei denn, Sie wollen mir wirklich mit einer Rohrzange den Schädel einschlagen und meine Leiche in eine Schlucht werfen?«

»Nicht bevor wir uns richtig vorgestellt haben«, sagte ich. »Aber das ist es nicht, was der Blick sagen will. Er sagt: Bist du sicher, dass du von mir mit einer Rohrzange den Schädel eingeschlagen haben und in eine Schlucht geworfen werden willst? Denn ich hab weiß Gott Besseres zu tun.«

»Ja. Sie haben recht. Das ist es, was der Blick sagt.«

»Wie heißen Sie?«

»Rebecca LaFontaine.«

»Und Ihr wirklicher Name?«

»Der ist nicht sonderlich hübsch.«

»Na ja. Sagen Sie ihn mir trotzdem.«

»Hier draußen bin ich Rebecca LaFontaine.«

»Wo kommen Sie her? Mittlerer Westen irgendwo?«

»Recht nah dran.«

»Warum sind Sie nach L. A. gekommen?«

»Aus demselben Grund wie alle.« Sie zuckte die Schultern. »Es hat nicht geklappt. Ich kann nicht schauspielern. Ich habe ein paar Angebote bekommen. Angebote einer gewissen Art.«

»Aber nicht für Filme.«

»Film angebote einer gewissen Art.«

»Aber keine, die Sie annehmen wollten.«

»Nein«, sagte sie ruhig. »Ich habe ein paar gemacht. Ich will es nur nicht wieder tun.«

Ich sah die Straße hinauf. Es war immer noch nur eine ungeteerte Schotterstraße. Man konnte das Flüstern der Autos auf dem Freeway von der anderen Talseite her hören. Es war einer dieser knochentrockenen Tage, an denen Geräusche auch aus großer Ferne hörbar sind. Große Rollen Maschendrahtzaun lagen überall herum, ich weiß nicht wofür. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn aufzurichten. Ich sah sie wieder an und sagte: »Ist ’ne schlimme Sache. Sie wissen nicht zufällig, wo die gerade laufen?«

»Sie würden mich nicht erkennen«, sagte sie. »Damals hatte ich meinen Scheitel anders. Hören Sie, stehen wir hier nicht so herum. Setzen wir uns in den Wagen.«

Sie drehte sich um und ging davon. Nach einem Moment folgte ich ihr. Sie stieg auf der Fahrerseite ein, ich war der Beifahrer, wenn wir denn gefahren wären. Die Sitze waren aus weißem Vinyl und heizten sich schon in der Sonne auf. Sie nahm das Lenkrad, schloss die Augen und ließ den Atem durch die Nase heraus. Dann gab sie dem Lenkrad einen kleinen Klaps und ließ die Hände in den Schoß fallen. »Also. Sie sind Drehbuchschreiber, Schauspieler und Bodyguard. Und Dachdecker sind Sie auch.«

»Ich bin so allerhand.«

Sie sagte: »Ich will jemanden umbringen lassen.«

»Ich bin kein Killer.«

»Das habe ich nicht gemeint. Nicht richtig umbringen. Nur, dass ihm wehgetan wird.«

»Man könnte meinen, das könnten Sie auch selbst erledigen.«

»Oder ihn einschüchtern.«

»Wie ich schon sagte.«

»Es ist mein Ernst. Es gibt da einen Mann, der … der mich in Frieden lassen muss. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich brauche jemanden, der mir hilft.«

»Was tut er?«

»Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich weiß, dass Sie mir helfen.«

»Hat es mit diesen Filmen zu tun?«

»Es hat mit einer Menge Dinge zu tun. Ich kann es Ihnen nicht sagen, bis ich weiß, dass Sie auf meiner Seite sind.«

»Wovon leben Sie?«

»Wie Sie. Dies und das.«

»Was zum Beispiel.«

»Verkäuferin, Rettungsschwimmerin – ich schwimme ganz gut. Ich bin das Mädchen an der Garderobe. Das Mädchen in der Parfümabteilung. Eines dieser Mädchen, die lächelnd mit einer Parfümflasche in Kaufhäusern herumstehen und fragen, ob Sie gern eine kleine Duftprobe hätten. Ich habe mich als Fotomodell versucht, aber die Kleider passen mir nicht.«

»Wo haben Sie diesen Mann getroffen?«

»Als ich das Mädchen an der Garderobe war.«

»Gut verdient?«

»Nein.«

»Netter Wagen.«

»Er hat ihn nicht für mich gekauft, wenn es das ist, was Sie denken. Meine Eltern haben mir etwas Geld hinterlassen, ich bin nach L. A. gekommen, habe mir eine Wohnung besorgt und mir einen Wagen gekauft, weil ich dachte, wissen Sie, dass es hilft, den richtigen Eindruck zu vermitteln. Der Wagen ist alles, was ich noch habe. Ich kann mir nicht einmal mehr leisten, ihn waschen zu lassen.«

»Warum verkaufen Sie ihn nicht?«

»Das habe ich. An ihn. Er ist schon auf ihn überschrieben.«

»Aber er lässt Sie weiter damit fahren.«

»Er sagt, eines Nachts, wenn ich Meilen weit weg bin, wird er an einer Ampel hinter mir stehen bleiben und mich dazu zwingen, auszusteigen und ihm die Schlüssel zu geben. Und dann werde ich zu Fuß nach Hause zurückgehen müssen. In meinen Stöckelschuhen und meinem knappen Kleid. Wenn ich zu Hause ankomme, werden meine Füße bluten und meine Strümpfe zerrissen sein, meine Beine schwarz vom Straßenstaub und mein Gesicht auch, und ich werde nach Schweiß stinken wie Vieh auf einer Farm, wie eine Kuh, denn das ist es ja, was ich bin, und ich werde nicht mehr hübsch sein. Natürlich weiß er, dass ich den Rock schürzen werde, damit mich jemand mitnimmt, äh, sagen wir, Landarbeiter – ja, genau, das passt –, die mich in irgendein Feld mitnehmen und dort vergewaltigen, der ganze Haufen, einer nach dem anderen, wie eine dürre, knochige dreckige Nutte wie ich das verdient.«

»Reizend«, sagte ich.

»Er ist wirklich verrückt, aber er hat ein Geschäft, und ich nehme an, er mag es nicht, wenn ihm dort jemand in die Quere kommt, also muss es einen Weg geben, ihn zu packen. Wissen Sie nicht, wie man so etwas macht? Mattie scheint Ihnen das zuzutrauen. Er soll mich in Ruhe lassen. Er soll aufhören, mich zu bedrohen. Wo ich gerade anfange, es zu etwas zu bringen, endlich so etwas wie ein normales Leben habe.«

»Sie hätten sich einen anderen Käufer für Ihren Wagen suchen können.«

Sie ließ ihren Kopf nach hinten gegen den Sitz fallen. »Na ja. Sie wissen schon. Er war mal sehr nett.« Sie streckte die Hand aus und boxte mich leicht mit dem Knöchel gegen die Brust. »Ich habe auch schon ein paar Tiefschläge eingesteckt«, sagte sie.

Ihre Augen waren riesig, hell und standen weit auseinander unter einer breiten, niedrigen Stirn. Ihr Kinn war spitz, aber ihr Mund mit den herrlichen Lippen war breit. Eigentlich war in ihrem Gesicht gar kein Platz für diesen Mund, genauso wenig wie an ihrem mageren Körper Platz war für diese unglaubliche Oberweite. Ihre Arme und Beine waren zu lang. Wie sie so hinter dem Steuer saß, wirkte sie, als hätte sie ihre Gliedmaßen irgendwie falsch eingeklappt, wie wenn man eine Straßenkarte verkehrt herum zusammenfaltet. Mir wurde klar, warum sie beim Film kein Glück hatte. Sie hatte etwas an sich, das einen aufwühlte. Zehntausend Typen hatten versucht, bei ihr zu landen, aber keiner von ihnen konnte sich dabei vorgemacht haben, dass es eine gute Idee war. Ich rieb mir das Gesicht und sagte: »Sehen wir mal, was wir haben. Da ist ein Mann, von dem Sie mir lieber nicht sagen wollen, wer er ist, und Sie wollen, dass ich ihn dazu bringe, mit etwas aufzuhören, von dem Sie mir lieber nicht sagen, was es ist. Ihn kaltmachen, einschüchtern, was genau, verraten Sie mir lieber nicht. Und auch nicht Ihren richtigen Namen. Und Sie sind pleite.«

Sie öffnete ihre Handtasche, nahm heraus, was drin war und gab es mir.

Ich zählte es. »Viel ist es nicht«, sagte sie.

»Nein«, sagte ich.

»Aber Sie nehmen es?«

Weit draußen auf dem Freeway hörte ich eine Autohupe, sehr schwach. Dort verlor gerade jemand die Nerven. Dann flüsterte der Verkehr wieder flüssig vorbei. Die Sonne auf meinem Gesicht fühlte sich gut an. Ich konnte den heißen Vinylsitz riechen und das Mädchen, das neben mir saß, die Fäuste im Schoß, und wartete. Sie benutzte kein Parfüm, nur einfache Seife. Ich zog mein Portemonnaie heraus und verstaute ihr Geld darin.

»Tun sie das nicht immer?«, sagte ich.

2

Kette

Ich sah ihrem Wagen nach, bis er außer Sichtweite war, kletterte dann wieder auf das Dach und verlegte die Reihe zu Ende. Ich wollte die Arbeit nicht so halb fertig liegen lassen. Um mir die Zeit zu vertreiben, dachte ich nach, was gelegentlich vorkommt. Ich hänge Gedanken nach wie: Was, wenn es mein Haus wäre,an dem ich da arbeite. Ich male mir aus, wie ich das Dach fertig mache oder die Einfahrt oder was auch immer, und wie ich mir dann einen Laster besorge und mit ein paar netten Möbeln dort einziehe, ein paar Gardinen aufhänge und ein paar Bilder, und wie ich Geschirr in die Schränke räume und was zu essen in den Kühlschrank, und wie es dann fertig wäre, mein Haus, und wie ich und mein Frauchen dort einziehen und unser Leben leben. Ich habe mir nicht ausgemalt, wie ich dort mit Rebecca einziehe, während ich die letzte Reihe verlegte. So bescheuert war ich nicht, noch nicht. Diese kleine Ehefrau hatte also kein Gesicht und war namenlos, aber ich musste zugeben, dass ich sie mir doch eher groß gewachsen vorstellte. Als ich fertig war, stapelte ich die losen Dachziegel für den Nächsten auf, wenn denn einer kam, und wischte meine Werkzeuge einzeln mit einem ölverschmierten Lumpen ab, bevor ich sie verstaute. Ich habe es gern, wenn mein Werkzeug in Ordnung ist. Ich schloss den Werkzeugkasten und kletterte wieder runter, die Leiter ließ ich stehen. Eigentlich sollte hier für solche Sachen jeden Abend ein Laster die Runde machen. Ich stellte den Werkzeugkasten in den Kofferraum meines Wagens und fuhr los, um dem Boss Guten Tag zu sagen.

Ortiz & Son hatten ein kleines Büro in Inglewood. Eigentlich war es nur ein Schotterparkplatz mit einem Stacheldrahtzaun drum herum, groß genug für ein paar Betonmischer und Fahrzeuge, und in der Ecke des Grundstücks stand ein Schuppen mit zwei Räumen. Einer war dafür da, dass die Arbeiter irgendwo auf den Laster warten konnten. Der andere war für Nestor Ortiz. Wie man so hört, war der alte Ortiz immer ein Stehaufmännchen gewesen, aber nun war er von uns gegangen, und wenn irgendeiner ein gutes Wort für seinen Sohn übrighatte, hatte er es mir nicht gesagt. Nestor Ortiz trug immer einen flotten kleinen Porkpie-Hut, die vordere Krempe heruntergeklappt wie bei einem Fedora. Er war ein adretter kleiner Kerl, der jeden Mann auf jeder seiner Baustellen mit Namen kannte und auch wusste, wie seine Angehörigen hießen. Er machte immer wieder die Runde und fragte die Jungs: »Hey, wie geht’s deiner Familie?« Ich habe keine Familie, bei mir zog das nicht. Als ich die Tür öffnete, breitete er die Hände aus und sagte: »Mein Freund! Mein Freund, ich weiß Bescheid. Ich bin so was von im Bilde.«

»Hallo Nestor«, sagte ich.

»Raymond, mein Freund«, sagte er, »ich weiß Bescheid, und es ist schrecklich. Ich stehe hier vor dir und schäme mich in Grund und Boden.«

»Das geht schon drei Wochen so, Nestor.«

»Ich weiß, es ist schrecklich. Wirklich schrecklich. Alle kommen sie zu mir, lauter gute Männer wie du, die hart arbeiten, und fordern ihren Lohn, und was kann ich ihnen sagen? Was? Ich kriege kein Geld rein, ich kann dir keins geben, und ich kann dir keinen Vorwurf draus machen, wenn du kündigst.«

»Ich kündige, Nestor.«

»Ich kann dir keinen Vorwurf draus machen.«

»Ich brauche trotzdem noch mein Geld.«

»Und du wirst es kriegen, auf den Cent. Aber momentan musst du noch etwas Geduld haben, die Dinge stehen nicht gut. Ich kann dich nicht auszahlen, bevor ich nicht das Geld von Olindas Siedlungsbau bekomme. Und wo ist Olindas? Zahlen die? Sie zahlen nicht.«

»Nestor, Sie sind Olindas. Ihnen gehören vierzig Prozent von Olindas.«

»Nur vierzig Prozent«, sagte er. »Mein Freund, ich versichere dir, dass ich so, wie ich jetzt vor dir stehe, absolut und komplett und ganz und gar pleite bin.«

»Ich hab gesehen, wo Sie wohnen, Nestor. Haben Sie gesehen, wo ich wohne?«

»Ich versichere dir, dass es mir zum momentanen Zeitpunkt unmöglich ist, jeden auszuzahlen, der kommt und mich darum bittet.«

»Ich verlange von Ihnen auch gar nicht, jeden auszuzahlen«, sagte ich und versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu kriegen. »Ich bitte Sie, mich auszuzahlen. Siebzehn Dollar pro Tag, mal dreizehn Tage. Nein, heute habe ich früher Schluss gemacht. Sagen wir zwölf Tage. Zweihundertvier Dollar. Das ist nicht das erste Mal, dass Sie versuchen, mich zu linken, Nestor.«

»Ich verstehe dich ja«, sagte er geduldig. »Verstehst du auch, was ich dir sage?«

»Ich habe die Arbeit gemacht, Nestor. Ich will meinen Lohn.«

»Ist das alles, was du sagen kannst? Immer nur das eine Ding, immer wieder? Ich hab dich schon verstanden, deinen Lohn. Ich versuche, mit dir zu reden wie mit einem zivilisierten Menschen. Denkst du, das ist möglich?«

»Nestor«, sagte ich.

Wenn du das erste Mal mit einem Presslufthammer arbeitest, sind deine Hände abends so geschwollen, dass du es nicht mehr schaffst, eine Faust zu machen. Du schaffst es kaum noch, eine Gabel vom Tisch zu nehmen. Genau so fühlte sich in diesem Moment mein ganzer Kopf an. So ist das immer bei mir. Als ob mir der Vorderteil meines Gehirns anschwillt und sich verschließt. Alles, was ich denken konnte, war: Ich will mein Geld. Ich willmein Geld. Ich konnte es Nestor nicht verübeln, dass er es nicht mehr hören konnte. Es kam mir ja selbst schon zu den Ohren raus. Ich befahl mir, mich einfach umzudrehen und zu gehen. Ich hörte nicht auf mich. Ich stützte mich auf die Hände, beugte mich vor und holte Luft. Nestor sah unbeeindruckt zu mir hoch. Ich sagte: »Nestor.«

»Also hör mal, was willst du eigentlich?«, sagte er. »Denk mal drüber nach, was du wirklich willst. Willst du, dass ich hier die Bullen rufe, willst du das?«

»Jep, als ob du die Bullen hier haben willst, Nestor. Du hast sie wohl wirklich nötig. Nestor, ich sag’s dir noch einmal. Gib mir mein gottverdammtes Geld, okay?«

»Und ich sag dir, du bist nichts als ein verdammter Schwachkopf, cabrón. Und du wirst sehr lange auf dein Geld warten. Wie gefällt dir das?«

In Ordnung. Jetzt lag es nicht mehr bei mir. Oder jedenfalls sage ich mir das in solchen Fällen. Der Raum war vollgestopft mit Teerpapperollen, Drahtrollen, Kartons voller Badezimmerfliesen. Auf der Ecke von Nestors Schreibtisch lag eine schwere Kette, etwa einen halben Meter lang, im letzten Kettenglied war ein offenes Vorhängeschloss eingehakt. Ich machte es ab, nahm die Kette vom Tisch und kam um den Schreibtisch herum. »Oh, jetzt kommt die Nummer mit dem großen harten Burschen«, sagte er. »Jetzt machst du mir aber Angst, du harter Bursche. Jetzt jagst du mir aber wirklich Angst ein.« Ich hob ihn wie einen nassen Sack aus seinem Stuhl, klatschte ihn mit einer Hand gegen die Wand und schlang ihm die Kette um den Hals. Sein kleiner Hut fiel auf den Boden. Ich fuhr mit den Fingern zwischen die Kette und seinen Hals, packte die Kette und drehte. Nestor machte ein quiekendes Geräusch in der Kehle, und dann machte er gar kein Geräusch mehr, außer dem hektischen Scharren seiner Füße auf dem Boden und dem Klacken seiner Zähne, wenn er die Kiefer auf- und zuklappte. Seine hervorquellenden Augen wichen nicht von meinen. Sie schienen nach einem Zeichen zu suchen, dass ich doch irgendwie nur Spaß machte. Ich lockerte die Kette und sagte: »Ich will mein Geld, Nestor.«

»Du hast sie ja nicht alle!«, krächzte er. Seine Stimme pfiff hinten im Hals. »Du bist verrückt!«

Wieder zog ich die Kette an, und er war ruhig. Er starrte mir in die Augen, und dann starrte er an ihnen vorbei. Sein kleiner Bauch hob und senkte sich krampfhaft, und seine Finger kratzten an meiner Brust. »Ich will mein Geld«, sagte ich. Wieder lockerte ich die Kette.

»Verrückt! Verrückt!«, flüsterte er.

»Zweihundertvier Dollar«, sagte ich und zerrte ihn an der Kette zum Schreibtisch hinüber. Er wühlte hektisch in einer Schublade und zog ein Scheckbuch hervor. Ich nahm es und warf es zurück in die Schublade. »Schecks können gesperrt werden, Nestor.«

Er zog seine Brieftasche aus dem Jackett, warf sie auf den Schreibtisch und begann, mich mit seiner pfeifenden, gebrochenen Stimme zu verfluchen. Ich zog die Kette etwas an, und er hörte auf. »Zähl es für mich«, sagte ich.

Er hatte hundertdreizehn Dollar. Die steckte ich ein. »Alles, was ich habe!«, kreischte er. »Ist alles, was ich habe!«

»Fehlen noch einundneunzig, Nestor. Die Hälfte hätten wir. Wo ist die Barkasse?«

Er riss eine Schreibtischschublade auf und warf eine kleine Geldkassette auf den Tisch. Er zog einen kleinen Schlüssel hervor, schloss sie mit zitternden Fingern auf und warf mir die Kassette entgegen. Sie schlitterte vom Schreibtisch, ihr Inhalt ergoss sich auf den Boden.

»Aufheben«, sagte ich zu ihm.

Er ging auf alle viere und begann, das Geld aufzuklauben und es auf den Tisch und den Stuhl zu werfen, wobei er mich die ganze Zeit auf Spanisch und Englisch und vielleicht noch ein paar anderen Sprachen verfluchte. Er hatte eine Heidenangst vor mir, konnte aber offenbar trotzdem nicht aufhören, mich zu beschimpfen. Ich wusste, wie ihm zumute war. Ich ließ die Kette los, sie glitt zu Boden und landete mit einem Klirren. Ich sah keine Eindollarscheine auf dem Tisch, also nahm ich mir vier Zwanziger und drei Fünfer und steckte sie ein. »Okay«, sagte ich. »Jetzt sind wir quitt.«

Er saß einfach nur da zwischen seinen zerstreuten Geldscheinen, hielt sich den Hals und weinte. Unter dem Hut hatte ich eine kahle Stelle erwartet, aber er hatte hübsches, volles Haar. Ich setzte ihm seinen Hut wieder auf. »Mach’s gut, Nestor.«

Er sah mich nicht an, als ich ging. Er war zu sehr mit Weinen beschäftigt. Ich bin mir gar nicht sicher, ob er überhaupt noch wusste, dass ich da gewesen war. Ob er sich überhaupt daran erinnerte, was ihn so verletzt hatte.

3

Reece

Damals wohnte ich im Harmon Court Motel auf der Harmon draußen, auf Höhe der Paige. Der Laden war genau hinter der Sun-Glo-Reklamewand, die hier so was wie eine lokale Sehenswürdigkeit war. Das Sun-Glo-Mädchen war über zwanzig Meter lang und lag den lieben langen Tag seitlich auf den Ellbogen gestützt. Ihr Job bestand darin, dazuliegen, zu lächeln und sich das Haar nach hinten zu streichen. Von vorne sah das Mädel unglaublich gesund aus, aber von meinem Fenster aus war nur ihr Sperrholzrücken zu sehen, gestützt von eisernen Streben. Trotzdem war es immer noch ein recht knackiges Profil. Normalerweise war das Motel halb leer, aber es zu betreiben kostete nicht viel, und ich schätze, das Ding abzureißen war mehr Arbeit, als jemand Lust hatte, auf sich zu nehmen. Mein Zimmer war das letzte hinter dem Pool. Es war eines von zwei Luxuszimmern mit Kochnische, und gegen Reparaturarbeiten bekam ich ein paar Prozente Mietnachlass. Zumindest theoretisch.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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