Tödliche Inspiration - Stefan Ramaker - E-Book

Tödliche Inspiration E-Book

Stefan Ramaker

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Beschreibung

Daniel hat genug von seinem geistlosen Job als Werbetexter und kündigt. Er plant, ein neues Leben anzufangen, einen Bestseller-Roman zu schreiben und erfolgreicher Autor zu werden. Als Daniel merkt, dass er besser und realistischer schreibt, wenn er selbst seine Geschichten erlebt, beginnt eine Reise in eine düstere Welt. Kommissar Weber, ein alter Hase bei der Hamburger Polizei und Hobby-Comedian, versucht Licht ins Dunkel zu bringen. Mit seiner Mischung aus unkonventionellen Methoden und ungewöhnlichem Humor eckt er dabei intern ein ums andere Mal an.

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Seitenzahl: 448

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Tödliche Inspiration

Stefan Ramaker

© 2021 Stefan Ramaker

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg.

ISBN

Paperback ISBN:           978-3-347-30009-5

Hardcover ISBN:           978-3-347-30010-1

e-Book ISBN:                 978-3-347-30011-8

Lektorat:

Monika Bier

Marion Oguntolu

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Die Abfindung

Das erste Kapitel

Maik und die Drogen

Peters Jubiläum

Das erste Opfer

Die Waffe

Die Suspendierung

Die Spielhölle Dulsberg

Abendbrot

Rauchen ist tödlich

Hausdurchsuchung

Der Bauernhof

Explosion in Stade

Das letzte große Ding

Wer ist Barbara?

Ausnahmezustand

Das Verhör

Die Cap San Diego

If you are lying in your Bettgestell

and the horror is your Sleepgesell

and you have no Valium under the Kissen

dann bist Du ganz schön in den Arsch gekniffen

Aus: »Nimm doch einen Joint, mein Freund«,

Witthüser & Westrupp, Trips und Träume, 1971

Die Abfindung

Daniel war mehr als nur zufrieden, als er den Brief seines Anwaltes öffnete. Der Streit mit der Firma war zu seinen Gunsten ausgegangen. Sein ehemaliger Arbeitgeber hatte der außergerichtlichen Einigung zugestimmt. Daniel sollte sein Gehalt für ganze sechs Monate weiter beziehen und darüber hinaus eine Abfindung in Höhe von zwanzigtausend Euro erhalten. Dafür würde er im Gegenzug eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen.

Der Rechtsverdreher hatte gute Arbeit geleistet, aber etwas anderes hatte Daniel auch nicht erwartet. Er besaß einige nette Fotos von der Geschäftsleitung, geschossen auf der letzten Weihnachtsfeier, die nicht nur den Geschäftsführer in Unterhosen zeigten, sondern auch einige der besten Kunden, volltrunken mit einem Joint in der Hand, einer Reihe leerer Bierflaschen auf dem Tisch, dazu leicht bekleidete Damen, die auf demselbigen tanzten. Diese Feier hatte der Firma am Ende langfristige Verträge gesichert. Daniel schickte seinem Chef diese Fotos, als er wegen der vielen Krankheitstage gefeuert worden war. Er hatte in seiner Mail unverbindlich gefragt, ob er die Bilder von seinem Computer löschen solle oder ob sie Abzüge möchten. Daniel musste immer noch schmunzeln beim Gedanken, wie der alte Schmitt wohl aus der Wäsche geschaut haben mochte, als er die Schnappschüsse gesehen hatte.

Dieses kleine Druckmittel in den Verhandlungen gab nur den letzten Ausschlag, denn die Kündigung wegen Krankheit wäre ohnehin nicht zulässig gewesen. Es lief insgesamt gut für Daniel, der von diesem beschissenen Laden, den ganzen Werbe-Tussis und aufgeblasenen Managern ohnehin bis obenhin die Schnauze voll hatte.

Ja, er hatte die Nase voll davon, Werbetexte für Produkte zu schreiben, die voll mit Gift waren, oder für Bankkredite, die für überschuldete Kunden sorgten. Er hatte keine Lust mehr, von überdimensionierten Geländewagen zu schwärmen, die reine Dreckschleudern waren und den Besitzern als Penisverlängerung im Straßenverkehr dienten, als Zeichen von angeblicher Macht und Wohlstand, gepaart mit einem absurden Outlaw- und Outdoor-Gefühl, das er mit seinen Slogans so blumig heraufbeschwor. Was für eine verdammte Verschwendung von Zeit und Talent.

Nein. Daniel hatte etwas anderes vor. Er hatte vor, einen Bestseller zu schreiben. Einen Krimi, der natürlich von einem renommierten Verlag verlegt und später verfilmt werden würde. Diesen Plan hatte er bereits vor Monaten gefasst. Seine Krankentage kamen zusammen, weil er es selbst auf eine Kündigung angelegt hatte. Die Vorfälle der Weihnachtsfeier passten dabei einfach nur perfekt in sein Buchkonzept, in seinen Exit-Plan.

Daniel wollte raus aus dem geistlosen Job und ein Jahr an dem Werk schreiben. Er hatte vor vier Wochen seine Lebensversicherung gekündigt, um weitere Mittel freizumachen. Er würde dadurch Geld verlieren, das war ihm klar. Die Versicherung hatte sich dann auch gefreut, einen alten Vertrag mit guten Zinskonditionen auflösen zu können.

Den Bescheid der Versicherung hatte Daniel heute ebenfalls mit der Post erhalten. Es war Zahltag!

Er rechnete emsig zusammen. Da waren die Lohnfortzahlung, die Abfindung und die Lebensversicherung, alles zusammen waren das gut fünfzigtausend Euro. Daniel hatte weitere fünfzehntausend auf seinem Sparkonto. Das sollte genügend Geld sein, um sein Buch in aller Ruhe schreiben zu können. Auch wenn es mehr als ein Jahr dauern würde und vielleicht ein weiteres halbes Jahr, bis die ersten Einnahmen hereinkommen würden. Was sollte ihm passieren? Er hatte sich befreit von der ganzen Last der letzten Jahre. Darauf wollte er jetzt anstoßen und sich alsbald an die Arbeit machen.

Daniel war auf alle Fälle nach einer Party zumute und er würde nicht allein feiern wollen. Nur, wen konnte er anrufen? Seine Ex-Freundin Maya, mit der seit vier Wochen Schluss war? Er würde gerne wieder eine Nacht mit ihr verbringen. Aber seit der letzten Auseinandersetzung war er skeptisch, ob Maya Lust darauf hätte, mit ihm zu feiern, geschweige denn mit ihm im Bett zu landen. Vielleicht hatte sie schon einen neuen Freund.

Daniel hatte nicht viele echte Freunde vorzuweisen, solche, die er häufiger traf, und keinen, mit dem er persönliche Dinge besprach. Auch so ein beschissener Effekt seiner Arbeit. Als Werbetexter hatte er in den letzten Jahren nie Zeit für andere Menschen gefunden. Daniel schlug das Adressbuch auf.

Sein Bruder Arne Alberts stand zuoberst im Adressbuch. Arne hatte bereits ein Kind und war längst bodenständig geworden. Nein, das würde keine Party werden, wenn Arne am Ende von Mama anfangen würde. Je mehr Namen Daniel in den Seiten nachschlug, umso mehr wurde ihm klar, dass er mit seinen dreißig Jahren ziemlich allein dastand, wenn es um eine durchzechte Nacht auf dem Kiez ging. Dann fiel ihm Peter ein. Peter war ein ehemaliger Schulfreund. Der Einzige, der von den alten Bekannten keine Beziehung hatte und keinen Beruf. Er war seit ewig schon arbeitslos und meldete sich immer mal, wenn er Geld brauchte. Peter war darüber hinaus ein lustiger Vogel. Der Richtige für eine großartige Nacht. Und es war Freitag.

Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke, das war es!

Daniel zögerte nicht lange und wählte die Nummer. Er hatte Peter das letzte Mal vor einem Jahr gesehen, aber er wusste, Peter war die passende Begleitung für eine Feier zum Start in ein neues Leben. Das Telefon klingelte am anderen Ende der Leitung und jemand hob tatsächlich ab.

»Hallo?«, kam es verschlafen von der anderen Seite.

»Peter? Ich bin es, Daniel. Alter Schwede, ist alles klar bei dir?«

Einen Moment herrschte Stille in der Leitung. Man konnte Peter regelrecht denken hören.

»Daniel Alberts?«, sagte Peter verwirrt.

»Ja klar, wer denn sonst, du alte Socke? Hör mal. Ich habe meinen Job geschmissen und wollte darauf anstoßen. Hast du Lust auf eine Party auf dem Kiez?«

Peter hustete. »Ich war gestern schon auf einem Konzert im Grünspan und bin heute ziemlich im Arsch.«

Daniel versuchte es mit Motivation. »Hey Kollege, so kenn ich dich ja gar nicht. Wir gehen was essen und dann schauen wir mal im Irish Pub vorbei. Ich bezahle den ganzen Abend.«

Peter dachte anscheinend wieder nach. Dann antwortete er: »Na okay, von mir aus.«

Daniel grinste. »Wir treffen uns um neun im Steakhaus auf der Reeperbahn, okay?«

»Alles klar, Mann!«, sagte Peter und beendete das Gespräch.

Daniel machte sich ein Bier auf und ging an den Schreibtisch. Er hatte noch ein paar Stunden und wollte die ersten Seiten seines Romans schreiben. Er erstellte ein Officedokument und speicherte es unter dem Namen bestseller_daniel.doc ab.

Nein, bescheiden war Daniel nicht. Er war jetzt frei.

Das weiße Dokument blickte ihn an. Wo sollte er anfangen? Es sollte ein Krimi werden, mit jeder Menge Action, so viel war klar. Über mehr hatte er sich keine Gedanken gemacht. Er hatte es als Arbeit angesehen, die er technisch und strategisch angehen würde. Er, der Texter, hatte das Handwerkszeug dafür.

Dann schrieb er den ersten Satz:

Maik war ein beinharter Typ, dem die Frauen zu Füßen lagen.

Hm, irgendwie hörte sich das zu pathetisch an. Er löschte den Satz und fing noch einmal an:

Es war Freitag und Maik wollte heute einen draufmachen.

Genau, das war es. Er würde mit einer Party anfangen, mit so einer, wie er sie heute selbst erleben würde. Also schrieb er von einem Abendessen und von Bars, in denen sein Protagonist herumhängt.

»Hey Baby, ich kann hellsehen … heute Nacht, da schläfst du bei mir!«

»Du bist so cool«, antwortete die Blondine mit der großen Oberweite.

Mist! Was war das für eine bescheuerte Konversation, die er dort niederschrieb. Die ganzen ersten vier Seiten waren viel zu gequält, konstruiert, an den Haaren herbeigezogen und einfach ohne Leben. Daniel ärgerte sich und löschte die Seiten bis auf den ersten Satz, der ihn verloren anstarrte. Was war mit ihm los? Sonst sprühte er über vor Geschichten. Als Werbetexter hatte er flotte Sprüche für Energiedrinks geschrieben, bei denen allein schon der Zuckergehalt für lang anhaltende Hyperaktivität sorgte. Ein Roman bestand aber nicht aus einer Aneinanderreihung von Sprüchen. Es brauchte eine plausible Handlung, die der Leser nachvollziehen konnte. Es musste lebendig werden.

»Bleib cool, entspann dich!«, sagte er laut zu sich selbst.

Daniel schaute auf die Uhr und merkte, dass es bereits nach acht Uhr war. Es war langsam an der Zeit zu gehen. Er würde morgen weiterschreiben und den heutigen Abend erst einmal genießen. Von seiner Altbauwohnung in Ottensen war es nicht weit bis zum Kiez. Er nahm die S-Bahn und fuhr eine Station von der Königsstraße zur Haltestelle Reeperbahn. Das Steakhaus lag auf der anderen Seite der Reeperbahn und so lief Daniel die komplette Meile hinunter. Er kam fast pünktlich an. Vor dem Gebäude stand schon Peter mit hochgeklapptem Mantelkragen. Er sah wirklich fertig aus, hatte eine Zigarette in der Hand und zitterte etwas. Es ging auf den Oktober zu und es wurde kalt in der Stadt.

»Peter, alte Filzlaus, wartest du schon lange?«

Peter wippte von einem Bein auf das andere und schnippte seine Zigarette auf den Bürgersteig.

»Hey Daniel. Ne, ich bin auch gerade angekommen. Du, ich muss dir ehrlich sagen, ich bin völlig blank, ich kann nichts zahlen.«

Daniel grinste. »Mann Junge, mach dir mal keinen Kopf. Ich habe doch gesagt, ich bezahl alles. Jetzt lass uns mal reingehen und was essen.«

Sie bekamen einen Tisch an der Fensterfront und konnten sehen, wie die Meute langsam die Reeperbahn bevölkerte. Daniel und Peter hatten sich lange nicht gesehen und irgendwie wussten sie nicht so richtig, worüber sie reden sollten. So schwiegen sie eine Weile, während ihnen die Speisekarten gebracht wurden.

»Hast du Bock auf ein Bier?«, fragte Daniel, während er die Karte studierte.

»Wer, ich?«, antwortete Peter überrascht. »Vielleicht sollte ich lieber mit einer Cola starten.«

»Nun komm mir nicht so, Kollege. Ich will einen draufmachen.« Daniel schüttelte den Kopf und verzog verächtlich den Mund.

»Jaja, ist schon okay. Also dann ein Bier.«

Daniel orderte: »Bringen Sie uns zwei große Holsten.«

»Alles klar, gerne«, antwortete der Kellner.

»Hey, und Strafe muss sein. Bringen Sie uns zwei Tequilas dazu. Mit Salz und Zitrone.«

Die Getränke kamen und die beiden gaben die Bestellung fester Nahrung auf. Daniel nahm ein T-Bone-Steak mit Backkartoffel, dazu einen Coleslaw und verschiedene Saucen. Peter beschränkte sich auf einen XXL-Burger mit Pommes.

»Und was machst du jetzt so, Alter?«, fragte Peter, während er in den Burger biss. Der Ketchup lief ihm die Wange herunter.

»Ich habe meinen Job geschmissen. Hatte keinen Bock mehr auf den Mist. Ich werde jetzt erst mal eine Weile chillen und an einem Buch schreiben.«

Daniel kam in Fahrt und erzählte von seinen Plänen und dem neuen Leben, das er ab sofort beginnen würde.

»Aber du hattest doch einen guten Job. Den hast du einfach so hingeschmissen?«

Peter klang vernünftiger, als es Daniel vermutet hätte. Es schien, dass Peter im Alter anfing, mit seinem verkorksten Leben zu hadern.

»Peter, so spießig kenn ich dich ja gar nicht. Wo ist der coole Typ hin, mit dem ich früher um die Häuser gezogen bin? Ne, das war schon die richtige Entscheidung. Ich mache jetzt das, was ich wirklich will. All diese Arschlöcher können mich mal.«

Daniel gefiel sich in seiner Rolle. Er redete in einer Tour über die frühere Agentur, auf die er kotzen könnte, und wie er nun alles ändern würde. Er bedauere nur, nicht viel früher Schluss gemacht zu haben. Während Daniel schwadronierte, bestellte er die nächste Runde Bier und Tequila. Gegen halb elf waren sie fertig mit dem Essen; Daniel bezahlte alles und legte einen Fünfer als Trinkgeld drauf. Mittlerweile waren die beiden auf Betriebstemperatur und gingen aus dem Restaurant vor die Tür.

»Riechst du das?«, fragte Daniel.

»Was denn?«, antwortete Peter verdutzt.

»Das ist der Geruch der Freiheit.« Daniel klopfte Peter auf die Schulter.

»Komm, wir gehen erst einmal in den Irish Pub und heben einen.«

Peter stöhnte und stieß hörbar seinen Atem aus. Er wusste, dass Widerstand zwecklos war.

»Also von mir aus, lass uns gehen.«

Sie nahmen Kurs auf das Hans-Albers-Eck und der Abend nahm seinen unheilsamen Lauf. Im Molly Malone war es, wie immer zu dieser Zeit, überfüllt und die beiden schafften es gerade so, von den Türstehern durchgelassen zu werden. Peter kannte einen der beiden Gorillas und konnte ihn überreden, sie reinzulassen. Der Weg war frei. Im Pub spielte ein Typ mit Gitarre die Top 50 der letzten vierzig Jahre. Das war das Standardprogramm am Wochenende und funktionierte bereits seit Jahrzehnten mit wechselnden Musikern.

Daniel bestellte zwei Wodka-O-Saft und die nächsten Tequilas. Der Typ auf der Bühne war schon bei Country Road angelangt und die Menge vor der kleinen Bühne tobte. Es ging auf Mitternacht zu und es folgten einige Drinks. Daniel und Peter standen an der Bar und Daniel versuchte sich daran, eine Blondine aufzureißen. Er war aber nicht im Training und das Mädchen zeigte wenig Interesse. Daniel versuchte es mit einer Runde Sambuca mit Kaffeebohnen.

Neben Daniel stand Peter. Er hatte anscheinend ebenfalls jemanden abbekommen. Die Tussi war aufgedonnert bis zum Gehtnichtmehr, hatte dunkle Netzstrümpfe an und ein bauchfreies Top. Daniel hätte diese abgetakelte Tussi niemals angemacht, aber Peter schien seine Freude zu haben. Sie flüsterte Peter in einer Tour etwas zu und Peter strahlte über beide Ohren. Dann machte die Alte Peter ein Zeichen und Peter nickte kurz, während er sich Daniel zuwandte.

»Hey Mann, die ist echt heiß auf mich. Ich bin mal kurz draußen und in zehn Minuten zurück.«

Daniel machte große Augen.

»Alter, du willst doch jetzt nicht so einfach türmen und mich zurücklassen? Wenn du die flachlegst, dann bist du doch in fünf Stunden noch nicht zurück.«

Peter hob abwehrend die Hände. »Nein, nein, Alter. Die Tussi will mir einen blasen. Hier um die Ecke. Ich bin gleich wieder da.«

Daniel musste lachen, während er Peter mit der geschminkten Schabracke in Stöckelschuhen davontraben sah. Das blonde Mädchen, das gerade eben noch neben ihm gesessen hatte, war verschwunden. Er sah sie vor der Bühne stehen, wo sie mit einer Flasche Bier in der Hand ausgelassen zur Musik tanzte. Daniel war allein an der Bar und blickte hinter den Tresen, wo zwei Mädels der Bedienung miteinander tuschelten und Daniel dabei anschauten. Sie amüsierten sich sichtlich. Daniel lächelte zurück. Die beiden waren um die zwanzig. Die eine flüsterte der anderen etwas ins Ohr und diese fing an laut zu prusten, während sie die Hand vor den Mund hielt. Daniel wurde von der Bedienung regelrecht angestarrt.

Ihm wurde es zu dumm, er wurde ungehalten und zeigte dies auch. Warum glotzten die beiden ihn nur so doof an? Die Mädels schienen zu bemerken, dass sie Daniel verärgert hatten, und die eine, die der Freundin ins Ohr geflüstert hatte, kam zu Daniel herüber.

»Habe ich irgendwas im Gesicht? Gibt es einen Grund, warum ihr über mich lacht?«, fragte Daniel.

»Überhaupt nicht«, antwortete die Bedienung, während sie sich über den Tresen beugte, um gegen die Musik anzukommen.

»Es geht um deinen Freund und seine Bekanntschaft.«

»Ja und? Was ist mit ihm? So hässlich war die Tussi nun auch nicht, oder was gibt es da zu lachen?«

Die Bedienung grinste über beide Wangen. »Darum geht es eigentlich auch gar nicht. Aber die Tussi da ist keine Tussi, das ist ein Typ.«

»Verdammte Scheiße!«, rief Daniel, während ihm klar wurde, was das bedeutete.

Die Bedienung fuhr fort: »Der hat immer die gleiche Masche. Ich kenne ihn. Ist eigentlich ein netter Kerl. Aber heute hat es nun mal deinen Freund getroffen. Und die beiden sind ein lustiges Paar. Darum haben wir gelacht, nicht wegen dir.«

Daniel brach in brüllendes Gelächter aus und konnte sich vor Lachen nicht mehr halten. Jetzt machte alles einen Sinn. Welche Frau würde den heruntergekommenen Peter auf der Stelle mündlich beglücken wollen? Das war ihm schon recht merkwürdig vorgekommen.

»Bring mir noch einen Wodka-O!«, rief Daniel der Bedienung heiter zu, während der Musiker auf der Bühne bei Living next door to Alice angekommen war.

»Who the fuck is Alice?«, brüllte die Menge.

Als nach einer Viertelstunde Peter und seine Begleitung zurückkamen, strahlte Peter über das ganze Gesicht. Er stellte sich wieder an die Bar neben Daniel und die Tussi hielt einen Meter Abstand. Sie oder, besser gesagt, er unterhielt sich mit dem nächsten Pub-Besucher.

Die Bedienung ging in die Knie vor Lachen. Peter merkte es nicht und trat näher an Daniel heran.

»Alter, das war wie Ostern und Weihnachten zusammen. Die Schlampe hat mich gerade richtig verwöhnt.«

Daniel hatte einen Schluck Wodka-O genommen und musste sich beherrschen, diesen nicht über den Tresen zu verteilen.

»Peter, wir sollten uns lieber verpissen.«

Peter protestierte: »Kommt gar nicht in Frage. Ich schleppe die Alte heute ab. Wir haben uns schon verabredet für später.«

»Mein Junge«, meinte Daniel, »ich möchte dir nicht die Illusion nehmen, aber die Tussi, die dir gerade deine Nudel bedient hat, ist anders, als du denkst.«

Peter protestierte weiter.

»Das ist mir doch scheißegal, wie die ist. Mann, ich habe schon seit Monaten nicht mehr gevögelt.«

Jetzt war es zu spät und Daniel prustete den Wodka-O quer über den Tresen. Auch die Mädels hinter der Bar hielten sich gegenseitig in Lachkrämpfen umklammert.

»Peter, die Tussi ist ein Typ!«, rief Daniel, als er sich wieder eingekriegt hatte. Peter schaute immer fragender aus der Wäsche. Man konnte den Groschen förmlich fallen hören.

Peter blickte sich um und schaute entsetzt den Transvestiten an. Der hatte mittlerweile mitbekommen, dass Peter die Wahrheit kannte. Er lächelte und warf ihm eine Kusshand zu.

»Ich will hier raus«, sagte Peter humorlos. »Sofort!«

Sie gingen nach draußen, flankiert von dem Gelächter hinter dem Tresen und vorbei an dem Transvestiten, der schon am nächsten Lover arbeitete.

Peter war nicht nach Scherzen zumute und vor der Tür brach es aus ihm heraus:

»Daniel, wenn du jemals irgendjemand davon erzählst, dann …, ja dann …«

Irgendwie fehlte es Peter an Druckmitteln.

»Dann ist es aus mit unserer Freundschaft!«

Daniel vermied es, Öl ins Feuer zu gießen, und sagte ernst: »Hey Peter, mach dir keinen Kopf. Von mir erfährt niemand was. Aber dafür gehen wir noch in die Lilly-Bar auf einen Absacker, okay? Deal?«

Peter schien skeptisch, aber er hatte wohl keinen anderen Plan.

»Okay«, sagte er knapp.

Daniel konnte sich eine letzte Bemerkung nicht verkneifen:

»Hey, aber als du zurückgekommen bist, sah es aus, als wenn es dir gefallen hätte.«

»Halt einfach die Fresse!«, sagte Peter.

In der Lilly-Bar war es entspannter und es wurde Lounge-Musik gespielt. An der Bar sahen sie einen jungen Typen mit zwei hübschen Mädels. Daniel hielt Kurs auf die Gruppe, positionierte sich daneben und gab seine Bestellung auf:

»Zwei Holsten und zwei Tequilas.« Dann schaute er zur Seite.

»Hey Mädels, Bock auf eine Runde Tequila?«

Die Mädchen waren gerade erst volljährig, aber schon recht betrunken. Sie tanzten und warfen johlend die Arme hoch.

»Ja, klar doch. Schaff ran das Zeug!«

Der Junge, der sie begleitete, sah eher nüchtern aus. Wie zum Beweis hatte er eine Limonade vor seiner Nase stehen. Er trug Designerklamotten auf lässig gemacht und schien eher der höheren Bildungskaste zugehörig.

»Jacqueline, Diana, ich habe eurer Mutter versprochen, euch vor halb eins zurückzubringen.«

Die Mädels verzogen das Gesicht und machten dem Jungen klar, dass er eine echte Spaßbremse war.

Solche Typen waren für Peter ein gefundenes Fressen. Er hatte früher mal drei Semester Philosophie studiert und fing an, dem Jüngelchen einen Vortrag über Freiheit und Selbstbestimmtheit zu halten. Er sprach über Easy Rider und die Hippie-Bewegung. Der Junge hatte anscheinend auf dem Gymnasium ebenfalls einen Philosophie-Leistungskurs belegt und hielt mit Zitaten und Argumenten dagegen.

Währenddessen beschäftigte sich Daniel mit den Mädchen. Die Schwestern hatten ordentlich getankt und Daniel ließ ein paar blöde Scherze los. Der Alkohol schien der Stimmung zuträglich zu sein. Der Junge, der sich als Freund von Jacqueline herausstellte, war emsig dabei, den Argumenten von Peter etwas entgegenzuhalten, wie ein Klassenbester auf einer Mathematik-Olympiade.

Gut für Daniel. Er hatte freie Bahn und heizte die Mädchen an. Hinter dem Rücken des Freundes wurden Sambucas und Tequilas gekippt. Daniel war stolz auf Peter, der philosophisch auf hohem Niveau argumentierte. Der Junge wollte aber partout nicht nachgeben und hielt mit diversen Denkern dagegen, die er im Leistungskurs kennengelernt hatte.

Daniel kam in dieser absurden Situation eine Idee. Er und Peter, die an Jahren einiges mehr auf dem Buckel hatten, würden dem Jungen eine Lektion fürs Leben erteilen. Und er wusste in diesem Moment, wie das funktionieren würde.

Daniel führte die beiden Mädchen einen Meter weiter weg und fing an, sie anzustacheln.

»Hey, der Typ da ist ja ein echter Langweiler. Habt ihr auch so einen Stock im Arsch?«

Die Mädchen kicherten. Jacqueline übernahm das Zepter:

»Ach, der Jan Kevin ist okay, aber er hat so komische Ansichten. Er möchte am liebsten eine unbefleckte Jungfrau heiraten.«

»Da hat er wohl Pech gehabt«, fiel die Schwester kichernd ein.

»Okay«, sagte Daniel, »ihr seid cool. Ich möchte eure Unterhosen kaufen. Jetzt. Für hundert Euro.«

Die beiden Schwestern fingen an zu lachen.

»Was bist du denn für ein Vogel?«

Daniel lächelte die beiden an. »Was denn? Habt ihr Angst? Ihr geht einfach runter in die Toilette und entledigt euch der Wäsche. Und schon sind hundert Euro in eurer Hand. Nicht mehr und nicht weniger.«

Jacquelines Schwester kicherte, aber Jacqueline wurde langsam forsch.

»Hundertfünfzig Euro für jeden Slip, okay?«

Daniel hob die Hände »Geht klar, Mädels.«

Die Schwestern verschwanden die Treppe hinunter in die Katakomben auf die Toilette und kamen nach nicht einmal fünf Minuten kichernd zurück. Sie übergaben die Slips wie ein Drogenpaket und hielten die Hand auf. Daniel bezahlte und machte Peter ein Zeichen, dass sie gehen würden. Er stellte sich zwischen Peter und den Jungen und zahlte seine Zeche. In der Hand hielt er die Unterwäsche der Mädchen und die Schwestern wurden rot. Der Junge schaute verwirrt, als Daniel die Trophäen hochhielt. Vielleicht roch der Junge sogar sein Mädchen. Dann sprach Daniel den Abschiedssatz:

»Wer zu viel Hochmut zeigt und nur dem unnützen Wissen hinterhereilt, der sollte lieber mal auf die Unterhose seiner Freundin achten. Das sagte zumindest Nietzsche.«

Mit diesen Worten steckte er die beiden Slips in das Limonadenglas des Jungen und wandte sich feierlich Peter zu.

»Komm, wir gehen.«

»Richtig«, sagte Peter, einen eigenen Abschiedssatz findend:

»Nicht jeder, der auf dem hohen Ross sitzt, kann auch reiten.«

Damit gingen sie aus der Bar und ließen den Jungen und die beiden Mädchen zeternd zurück.

Peter schwankte vor der Tür bedenklich, aber er kicherte: »So was soll Nietzsche gesagt haben?«

»Was weiß ich?«, lallte Daniel. »Kann doch sein.«

Beide mussten sich vor Lachen gegenseitig stützen und machten sich weiter auf den Weg durch die Nacht. Es folgten drei weitere Stunden voller irrsinniger Geschichten und Unsinn, den die beiden verzapften. Peter schaffte es, einem Polizisten seine Dienstmütze zu klauen, als dieser sie bei der Festnahme eines Randalierers verloren hatte. Sie schickten einige Touristen anstatt zum Fischmarkt mit der U-Bahn nach Billstedt, einem Stadtteil am anderen Ende der Stadt. Zum Schluss malten sie einem Betrunkenen, der in einer Kneipe komatös schlief, mit einem Filzstift die vorderen Zähne schwarz. Peter weckte den Typen anschließend auf und flüsterte ihm zu, dass die Rothaarige an der Bar ihn mit nach Hause nehmen würde, wenn er nur ein einziges Mal lächeln würde. Der arme Kerl lächelte und die Rothaarige fiel umgehend vor Lachen vom Hocker. Es war ohne Worte, was an diesem Abend alles passierte.

Diese Nacht war ein voller Erfolg. Der Morgen dämmerte bereits, als Peter und Daniel die Segel strichen und sich voneinander verabschiedeten. Daniel fuhr nach Hause und haute sich aufs Ohr.

Das erste Kapitel

Der Kater, den Daniel spürte, als er gegen Mittag aufwachte, war gewaltig. Er schaffte es kaum, die verklebten Augen aufzuschlagen. Die Alkoholfahne, gepaart mit dem pelzigen Geschmack im Mund, bereitete ihm Übelkeit. Er brauchte eine Ewigkeit, um sich aus dem Bett zu wuchten und ins Bad zu finden.

Auf dem Rückweg vom Badezimmer wollte er sich einen starken Kaffee kochen, als das Telefon zu klingeln begann. Daniel verzog bei dem Geräusch gequält das Gesicht. Er ließ den Anrufbeantworter anspringen. Es war sein Bruder Arne.

»Hallo Daniel. Ich bin's. Ich wollte nur sichergehen, dass du das Mittagessen nicht vergisst. Morgen um zwölf Uhr. Mutter kommt auch. Also sei bitte pünktlich.«

+++ beep +++

Daniel war noch nicht in der Lage zu sprechen, geschweige denn mit seinem Bruder. Außerdem würde Daniels Stimme die durchzechte Nacht verraten. Er hatte sie zwar noch nicht ausprobiert, aber sein Allgemeinzustand ließ keinen Zweifel zu, dass er heiser und krächzend klingen würde. Der Kaffee wirkte kleinere Wunder und Daniel schaffte es, sich vollständig anzukleiden und zwei Eier in die Pfanne zu hauen. Während er Toast mit Rührei in sich hineinschaufelte, rief Peter an. Daniel ließ wieder den Anrufbeantworter die Arbeit übernehmen.

+++ beep +++

»Alter, habe ich einen Schädel. Ich wollte noch kurz erzählen: Heute Morgen haben mich die Bullen vor der Tür abgefangen. Mir war kalt auf dem Nachhauseweg und da habe ich die Polizeimütze aufgezogen.

Mann, wo haben wir das Ding denn eigentlich her? Ich kann mich nicht mehr dran erinnern. Na, jedenfalls meinte die Polizei, genau so eine wäre ihrem Kollegen abhandengekommen. Habe denen dann erzählt, dass ich die gefunden habe. Was soll ich sagen? Irgendwie wollten die die ganze Sache wohl lieber kleinhalten, um den Kollegen nicht zu blamieren, der sich seine Mütze hat klauen lassen. Also haben sie das Ding einfach eingepackt und sind abgehauen. Daniel, dieser Abend war echt grenzwertig. Und ich wollte noch mal sagen: Das, was im Irish Pub passiert ist, bleibt unter uns, okay? Alles klar. Danke noch mal und man sieht sich. Halt die Ohren steif, Alter!«

Daniel musste schmunzeln, während er sich den Mund abwischte. Ja, der Abend war krass gewesen. Aber die Geschichten waren Gold wert, denn während er frühstückte, dachte er an sein Buch und an die Stelle, an der er gestern mit dem Schreiben aufgehört hatte. Daniel nahm sich einen Kaffee und setzte sich an den Schreibtisch. Er suchte ein altes Genesis-Album heraus: Selling England by the Pound. Er öffnete das Buch-Dokument und blickte auf den ersten Satz, den er gestern übrig gelassen hatte:

Es war Freitag und Maik wollte heute einen draufmachen.

Jetzt ergab dieser Satz für Daniel einen Sinn, er klang wie eine Verheißung, und er schrieb drauflos. Er schilderte den gestrigen Abend, den er erlebt hatte, mit einigen Abweichungen und Verfremdungen. Er baute witzige Konversationen ein und schmückte die Geschichten mit örtlichen Gegebenheiten und genauen Charakterbeschreibungen aus. Es floss aus seinen Fingern und Maik, sein Protagonist, wurde endlich zum Leben erweckt. Gegen zwanzig Uhr bestellte Daniel eine Pizza beim Pizzabringdienst und schrieb weiter. Maik, sein Bösewicht, war ebenfalls beim morgendlichen Kater angekommen. Dann klingelte es an der Tür. Der Pizzabote war da und Daniel beeilte sich, dem Boten das abgezählte Geld in die Hand zu drücken. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und las die letzten Seiten, während er sich die Pizzastücke als Akt der reinen Nahrungsaufnahme einverleibte. Einen Moment dachte Daniel darüber nach, was als Nächstes passieren sollte. Er entschied sich dafür, ein neues Kapitel anzufangen und von Maiks Kindheit und Schulzeit zu erzählen. Daniel selbst hatte genügend erlebt, um dieses Kapitel schreiben zu können. Er wollte zeigen, wie sein Maik zum Bösewicht wird. Die Geschichte ging ihm gut von der Hand, aber es fehlten noch die Exzesse der Jugend mit Drogen und Mädchen. Daniel war ein gut aussehender Typ und hatte Erfahrung mit Mädchen. Nur um Drogen hatte Daniel immer einen weiten Bogen gemacht. Sein Vater hatte ihm eingebläut, er würde ihn totschlagen, sollte er jemals welche ausprobieren. Daniel war dies Warnung genug, denn sein Vater hatte ein Talent für das Schlagen. Jetzt war sein alter Herr unter der Erde, aber Daniel hatte nie etwas mit Drogen zu tun gehabt, wenn man vom Alkohol einmal absah, eine Gewohnheit, die er von seinem alten Herrn geerbt hatte.

Dann kam Daniel die Idee, wie er die Geschichte mit Leben würde füllen können. Er schnappte sich das Telefon und wählte die letzte Nummer auf der Anrufliste – Peter. Es klingelte am anderen Ende.

»Hallo?«

Peter klang exakt genauso wie am Abend zuvor.

»Hi Peter, ich bin es, Daniel.«

»Oh Alter, nicht schon wieder!«, antwortete Peter wie aus der Pistole geschossen.

»Nein«, sagte Daniel, »ich will nicht wieder los. Aber du musst mir einen Gefallen tun. Du kennst doch bestimmte Leute, die so Zeug besorgen können.«

Peter unterbrach Daniel: »Pst, Alter, nicht am Telefon! Komm morgen bei mir vorbei, so gegen drei.«

»Alles klar«, sagte Daniel, der mit Drogendeals keine Erfahrung hatte. Das Gespräch blieb kurz und Daniel verabschiedete sich. Er würde die Erfahrung mit den Drogen nachholen, um die Geschichte perfekt erzählen zu können. Natürlich würde er kein Junkie werden wollen, aber zumindest einmal den Rausch erleben, damit alles realistisch blieb bei seiner Romanfigur. Daniel beendete sein Werk für den Tag, machte den Fernseher an und schaute fern, bis er am Abend vor der Kiste einschlief.

Der Tag war ein verbrauchter und gegessener, aber er hatte sein Buch begonnen. Und so schlief er beruhigt und selig.

Am nächsten Tag fuhr Daniel ins Schanzenviertel. Er hatte sich am Schulterblatt in der Nähe der Roten Flora in einem portugiesischen Café mit Peter verabredet. Peter kam zehn Minuten zu spät. Sie standen an einem Stehtisch, tranken den portugiesischen Milchkaffee, den Galão, und bestellten dazu diese leckeren Puddingtörtchen, die Pastéis de Nata.

Peter tat geheimnisvoll.

»Alter, was brauchst du denn?«

Daniel hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, welche Drogen genau er wollte, geschweige denn wie viel.

»Na, was hast du denn so? Ich meine, wie heißt das Zeug denn? Vielleicht etwas Kokain und dieses Haschzeug. Oder ein bisschen Marihuana und Gras. Vielleicht auch LSD und Heroin, wenn der Preis stimmt.«

Den letzten Nebensatz hatte Daniel gesagt, um nicht ganz so dumm und unerfahren zu wirken. Peter blickte sich nach allen Seiten um und fühlte sich sichtlich unwohl.

»Mann, bist du übergeschnappt? Du betest mir hier gerade das gesamte Betäubungsmittelgesetz herunter. Was zum Teufel willst du denn mit dem Zeug?«

Daniel blieb unbekümmert.

»Peter. Ich will nur mal wissen, wie das ist mit den Drogen. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe das in meinen jungen Jahren nie gemacht und nun bin ich einfach neugierig. Das ist alles. Keine Panik! Ich werde schon nicht süchtig.«

Peter runzelte die Stirn, meinte dann aber:

»Okay, gib mir mal hundertfünfzig Euro. Ich muss da erst mal nachfragen. Wir treffen uns in zwei Stunden. Ich komme dann in deine Wohnung.«

Daniel reichte ihm verschwörerisch das Geld hinüber wie in einem schlechten Krimi und beide verschwanden aus dem Café. Er lief in Richtung U-Bahn, als sein Handy klingelte.

»Alberts?«

»Hier auch, du Nase. Sag mal, hast du das Mittagessen mit Mutter vergessen?«

Es war sein Bruder. Daniel verzog das Gesicht. Er hatte das Essen tatsächlich vergessen und er wusste, was jetzt kommen würde: eine Moralpredigt.

»Du, die Verbindung ist ganz schlecht«, log er eiligst. »Ich melde mich später bei dir.«

Dann legte er auf. Er wollte sich jetzt keine Vorträge anhören. Daniel besorgte sich ein Sixpack Bier und fuhr nach Hause.

Er wartete auf Peter und sah sich dabei das bescheuerte Nachmittagsprogramm an. Es gab eine Realityshow, in der miserable Laiendarsteller irgendwelche Familienintrigen spielten. Die Dialoge waren unterirdisch. Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und stand von Zeit zu Zeit auf, um aus dem Fenster zu schauen. Ob diese Drogensüchtigen das auch so machen würden, fragte er sich. So unruhig hin- und herlaufen? Er wollte sich dazu eine Notiz machen. Gegen achtzehn Uhr klingelte es schließlich an der Tür. Peter war spät dran. Er drängte sich an Daniel vorbei in die Wohnung und stieß einen lauten Pfiff aus.

»Mann, du hast aber eine edle Hütte. Wenn ich da jetzt mal an mein Loch denke. Sind das dänische Designermöbel? Echt abgefahren.«

»Hast du das Zeug?«, fragte Daniel hastig.

»Hey, bleib locker«, antwortete Peter und zog einen Plastikbeutel aus der Jackentasche. Er öffnete den Beutel und holte drei Päckchen hervor.

»Das hier ist das Koks«, erklärte er, »das musst du dir durch die Nase ziehen.«

»Klar, das wird mit einem gerollten Geldschein gemacht. Weiß ich. Ich bin ja nicht blöde.« Daniel hatte so was mal in einem Film gesehen.

Peter fuhr mit strengem Blick fort:

»Das hier ist das Heroin. Das kannst du in einem Pfeifchen rauchen oder aufkochen und spritzen. Ich habe dir eine Pfeife mitgebracht. Das schwarze Zeug ist das Haschisch. Das kannst du auch in der Pfeife rauchen. Vorher musst du es aber mit dem Feuerzeug warm machen und zerbröseln. Hast du das alles verstanden oder möchtest du es dir aufschreiben?«

Dann zog Peter seine Brieftasche heraus und wühlte zwischen den nicht vorhandenen Geldscheinen ein drei mal drei Zentimeter großes Papierschnipselchen hervor.

»Und das ist das LSD. Das legst du auf die Zunge und nach einer Weile schluckst du es runter.«

»Super«, antwortete Daniel. »Hey, ist das auch gutes Zeug?«

Das war wieder so ein Spruch, mit dem er versuchte, cool zu wirken.

»Das wird dir die Rübe weghauen«, lachte Peter.

»Okay, alles klar«, sagte Daniel. »Und womit fang ich an? Soll ich alles zusammen nehmen oder lieber nacheinander?«

Peter sprang vom Sofa auf und machte große Augen.

»Bist du bescheuert? Willst du dich ins Nirwana befördern? Natürlich nicht! Eins nach dem anderen bitte. Fang am besten mit dem Hasch an. Aber sei vorsichtig! Das Zeug ist echt der Hammer. Mach keinen Scheiß! Nur ein Ding am Tag, mehr nicht. Sonst gehst du zu sehr ab.«

»Alles klar, Mann. Ich hab es ja verstanden. Bleib ganz entspannt!«, sagte Daniel und nickte.

Er bedankte sich bei Peter, der kurz darauf die Wohnung verließ. Daniel kehrte zum Sofa zurück und schaute auf die Drogen, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen. Seine Rauscherfahrungen konnten nun beginnen. Er war ein wenig aufgeregt und holte sich ein weiteres Bier. Dann fing er an, das Hasch zu zerbröseln, so, wie Peter es ihm gezeigt hatte. Das Zeug war klebrig und roch süß. Er legte eine Portion auf die Pfeife und zündete die erste Haschpfeife seines Lebens an. Er zog den Rauch in seine Lunge und musste alsbald husten. Daniel lehnte sich zurück und wartete, während im Fernsehen eine dicke Laienschauspielerin erfolglos versuchte, ihren schmächtigen Freund zum Beischlaf zu überreden. Zehn Minuten später merkte Daniel immer noch nichts. Hatte Peter ihn vielleicht betrogen? Das Zeug wirkte nicht. Oder hatte er zu wenig genommen? Daniel bereitete eine zweite Pfeife vor und dann eine dritte. Das Hasch war nun zur Hälfte weg. Daniel saß auf dem Sofa und wartete auf irgendeine Wirkung.

Nach einer Viertelstunde bemerkte er, dass die dicke Frau im Fernsehen eine Warze im Gesicht hatte. Er fing an zu kichern, ohne wirklich zu wissen warum. Er stellte sich vor, wie die Frau auf ihrem dünnen Freund liegen und dieser rhythmisch zum Auf und Ab seiner Freundin die Zunge aus dem Hals strecken würde. Er bekam einen hemmungslosen Lachflash. Er kringelte sich vor Lachen und dicke Tränen liefen über seine Wangen. Alles um ihn herum wirkte jetzt auf einmal bunt. Er bemerkte zum ersten Mal, wie abgefahren seine Tapete aussah. Das Muster war der absolute Wahnsinn. Es trat fast aus der Wand heraus und Daniel fragte sich, ob der Tapetenhersteller das mit Absicht gemacht hatte. Er sprühte über vor Ideen. Das Zeug würde ihm helfen, einen Roman zu schreiben, der für den Nobelpreis vorgeschlagen werden würde. Daniel sah sich auf der Bühne neben dem schwedischen König stehen und die Medaille entgegennehmen. Er dachte sich eine beeindruckende Rede aus. Aber Moment! Erst musste der Roman geschrieben werden. Sein Romanheld würde eine der spektakulärsten Geschichten der jüngeren Literaturhistorie verpasst bekommen und diese bahnbrechende Story manifestierte sich in rasender Geschwindigkeit in seinem Hirn.

Sein Held Maik war nämlich eigentlich vom Planeten Klong. Die Klongonen waren Wesen der dritten Ebene. Das mit den drei Ebenen würde er in seinem Buch ausführlich erklären. Die Menschen waren übrigens Wesen der ersten Ebene. Die Klongonen konnten mit ihrem Geist die Materie und die Zeit kontrollieren. Sie besaßen Raumschiffe, die mit reiner Gedankenkraft bewegt wurden und Wurmlöcher erzeugten. So konnten sie Reisen über Lichtjahre hinweg unternehmen. Maik war auf der Erde gelandet, wo er aufgrund der Anstrengungen der Reise eine Amnesie erlitt. Sein Vater war der Klongonen-Herrscher Karomir Namnam, der ihn ausgesandt hatte, neue Welten zu erforschen. Die Klongonen konnten Planeten erschaffen, indem ihre Frauen ein bestimmtes Lied sangen. Sie tranken gerne Orangensaft und ernährten sich von Vanillepudding.

»Mhmm, Vanillepudding«, dachte Daniel, »da habe ich jetzt auch Bock drauf. Und auf Schokolade.« Daniel durchsuchte die gesamte Küche nach Süßigkeiten. Er räumte die Schränke aus, fand aber nichts außer einer Flasche Cola. Er schraubte sie eiligst auf und trank. Die Cola schmeckte einfach nur köstlich.

»Man müsste mal einen Cola-Pudding erfinden«, dachte Daniel blitzartig und war sich sofort darüber im Klaren, dass ein solches Patent wahrscheinlich Millionen einbringen würde. Warum ist noch niemand darauf gekommen? Cola-Pudding. Er würde seine Erfindung »Copu« nennen. Cool. Er würde gleich morgen früh das Rezept aufschreiben und patentieren lassen und den Markennamen würde er unbedingt schützen lassen. Er wollte sich jetzt nicht damit aufhalten, den Pudding zu kochen, jetzt, wo er diesen kreativen Schub hatte. Das würde er später erledigen. Dann entdeckte Daniel im obersten Küchenregal die Chips-Tüte.

»Geil!«, rief er, »Chips und Cola, das ist die perfekte Kombi.«

Er riss die Tüte auf und setzte sich wieder aufs Sofa.

»Immer abwechselnd. Erst einen Chip und dann einen kleinen Schluck Cola«, sagte er zu sich selbst. Er konzentrierte sich darauf, die Chips und Schlucke genau so aufzuteilen, dass beim letzten Chip noch ein Schluck übrig war. Und es funktionierte. Er musste nur einen Chip durchbrechen, damit es aufging, doch das fand er vollkommen legitim. Es stand nirgendwo geschrieben, dass dies bei dem Spiel verboten war. Die Tüte war nach zehn Minuten leer.

Im Fernsehen lief jetzt eine kitschige Arztsendung. Daniel analysierte die Geschichte und hatte sofort mehrere Verbesserungsvorschläge für die Story. Er würde sich Notizen zu den einzelnen Figuren der Sendung machen und diese an den Sender schicken. Er glaubte, dass noch niemand diese Beobachtungen gemacht hatte und sie ihm dankbar sein würden. Trotzdem würde er sich dagegen entscheiden, eine Kariere als Serienautor zu machen. Vielleicht als Supervisor für Arztserien.

Plötzlich hörte Daniel von draußen eine Sirene. Die Sirene wurde immer lauter. Oder bildete er sich das nur ein? Er erschrak bei einem bestimmten Gedanken, der jetzt zutage trat, und sein Hals schnürte sich zu.

»Die Bullen! Die Polizei hat Peter verfolgt und nun sind die hinter mir her. Vielleicht ist Peter sogar ein Spitzel und hat sich gestern nur zum Schein auf die Kneipentour eingelassen. Aber da hat der doch noch gar nicht wissen können, dass ich Drogen will.«

Daniel hatte laut gesprochen und fand nichts daran, mit sich selbst zu reden. Er stand auf und bewegte sich in Richtung Fenster. Die Sirene war verstummt. Jetzt drang das Blaulicht in sein Zimmer, der Wagen stand anscheinend vor der Tür. Daniel kroch auf allen vieren ans Fenster, weil er Angst hatte, die Polizei könnte eine Video-Drohne einsetzen und ihn sehen. Nur langsam richtete er sich auf und sein Herz pochte wie wild. Mit größter Vorsicht schaute er auf die Straße. Unten stand ein Rettungswagen und holte gerade eine Person aus dem Haus gegenüber ab. Sie schoben die Rettungsliege in das Auto und verschlossen eilig die Tür. Das Blaulicht drehte sich immer noch.

Ein Rettungswagen?

»Und wenn das jetzt nur Tarnung ist? Wenn die Polizei den Rettungswagen und diese Aktion inszeniert hat, um mich in Sicherheit zu wiegen. Sie können jeden Moment die Tür stürmen und mich festnehmen«, dachte Daniel laut.

Er schaute auf die Drogen und blieb auf der Stelle mucksmäuschenstill stehen. Er versuchte flach zu atmen und konzentrierte sich darauf, irgendwelche Bewegungen auf dem Flur wahrzunehmen. Aber da war nichts.

Nach ewig langen fünf Minuten kam der Rettungswagen in Bewegung und fuhr davon. Die Sirene setzte wieder ein und Daniel zuckte zusammen. Er ging eilig an die Tür und schaute durch den Türspion. Entwarnung! Das waren nicht die Bullen. »Aber sie hätten es sein können«, dachte er und bekam sofort das Gefühl, dass er die Drogen unbedingt verstecken sollte. Daniel lief durch die Wohnung und suchte nach einem todsicheren Versteck. Er fand circa ein Dutzend Plätze, die alle irgendeine Schwachstelle hatten. Am Ende kam ihm die perfekte Idee. Er würde die Drogen mit Tesafilm an der Decke befestigen. Die Kügelchen waren weiß und würden sich nicht von der Decke abheben. Und keiner schaut an die Decke. Genial! Den Rest vom dunklen Hasch spülte Daniel die Toilette hinunter. Weil es sich vom Deckenweiß abhob, hätte er das Haschkügelchen vorher anmalen müssen. Aber dafür war jetzt keine Zeit mehr. Nach einigen Minuten waren die Drogen an der Decke befestigt und Daniel fühlte sich endlich wieder sicher.

Er musste mental herunterkommen. Er wollte sich entspannen und beruhigen. Am besten würde er versuchen zu meditieren. Daniel legte sich auf das Sofa und schaltete den Fernseher aus. Er machte die Stereoanlage an und wählte ein Album von Andreas Vollenweider. Mit Kopfhörer auf dem Kopf schloss er die Augen. Die Musik traf ihn durch die Ohren direkt ins Herz und nahm ihn mit auf eine Reise. Die Harfe erschuf vor seinem inneren Auge eine Blumenwiese, über der Daniel befreit schwebte. Er war unfähig, sich zu regen. Diese Welt wäre zerstört, wenn er auch nur den kleinen Zeh bewegen würde. Wärme stieg in Daniel auf und er atmete gleichmäßig und ruhig, bis er schließlich nach dem letzten Stück auf dem Album erschöpft einschlief.

Gegen Mitternacht erwachte Daniel. Er war wieder klar im Kopf und wunderte sich, dass er durch das Zeug überhaupt keinen Kater verspürte. Es war einfach vorbei, sein Haschisch-Erlebnis war abgeschlossen. Er ging in die Küche, nahm einen Schluck Leitungswasser und schaute dabei die Tapete an, die nun wieder nichts anderes war als eine langweilige Blumentapete. Daniel war jetzt wach und etwas verwirrt. Er setzte sich aufs Sofa, wo er die Aufzeichnungen fand, die er vor ein paar Stunden für die Buchgeschichte hingekritzelt hatte.

Klongonen. Wichtig: Wesen der dritten Ebene.

Frauen können mit Gesang Planeten erschaffen.

Wurmlochtechnologie. Unbedingt ausarbeiten!!!

Was war das für ein gequirlter Mist? Die Sätze machten keinen Sinn mehr. Seine Fantasie wurde nicht angeregt und insgesamt war er der Meinung, dass sein Held auf gar keinen Fall ein Außerirdischer sein sollte. Er wollte doch einen Krimi schreiben und keine Science-Fiction-Story. Daniel knüllte das Papier zusammen und warf die Aufzeichnungen in den Müll. Er schob sich eine Tiefkühlpizza in den Ofen und machte das Nachtprogramm an. Gegen drei Uhr morgens ging er wieder ins Bett und schlief bis um elf Uhr.

Als er erwachte, packte ihn das schlechte Gewissen. Er rief seinen Bruder an und erzählte, dass er einem Freund habe helfen müssen, der ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Daher war er nicht zum Essen mit der Mutter erschienen. Um die Wogen zu glätten, schlug er ein Treffen am nächsten Wochenende vor.

»Übrigens, Lena hat den ersten Preis im Kostümwettbewerb der Kita gewonnen. Ich habe Fotos geknipst. Soll ich dir die schicken?«

»Das ist ja super.« Daniel versuchte, echt begeistert zu klingen. »Ja, klar. Schick mal rüber.«

Das Gespräch war gut verlaufen und Daniel ging um die Ecke in das Café, um ein spätes Frühstück einzunehmen. Er musste erst einmal seinen Kopf klar bekommen.

Gegen dreizehn Uhr war er wieder zurück in seiner Wohnung. Er schaute an die Decke und erkannte die Drogen, die er gestern dort angeklebt hatte. Der Deckenstrahler beschien den Tesafilm und dieser glänzte wie eine Silbermünze. »Was für ein bescheuertes Versteck!«, dachte Daniel. Kein Polizist würde in die Wohnung kommen ohne Durchsuchungsbefehl. Warum in aller Welt klebte er Drogen an die Decke? Die Aktion kam ihm jetzt absurd vor. Er stellte sich auf den Stuhl und holte die Kügelchen von der Decke.

Er hatte die Drogenerfahrungen noch nicht abgeschlossen. Er wollte den nächsten Schritt gehen. Er wusste jetzt, was die Kiffer so an dem Zeug fanden, aber er wollte mehr. Er wollte wissen, wie die harten Drogen wirkten. Übrig war noch das Heroin, das Kokain und das LSD. Was sollte er nun ausprobieren? Er entschied sich für das Heroin. Im Internet fand er einige Webseiten, die den Gebrauch erklärten. Er entschied sich für das Rauchen. Er wusste ohnehin nicht, wo er jetzt eine Spritze herbekommen und wie er sich diese setzen sollte. In einem Video hatte jemand das Heroin auf einem Stück Alufolie angeheizt und den Rauch über ein Glasröhrchen eingeatmet. Daniel improvisierte und schraubte einen Kugelschreiber auseinander. Alufolie hatte er vorrätig.

Er hatte alles penibel vorbereitet und saß wieder auf dem Sofa, bereit, den nächsten Rausch zu erleben. Daniel hielt das Feuerzeug unter die Alufolie und das Heroin fing an zu blubbern, bis es schließlich den Rauch freigab. Daniel beeilte sich, die Kugelschreiberhülse über den Rauch zu bringen, und begann zu inhalieren, bis das Heroin zu einem schwarzen Fleck verdampft war.

Gestern beim Haschisch hatte es sehr lange gedauert, bis die Wirkung eintrat. Diese Droge war anders. Sie übernahm sofort nach dem Inhalieren die Kontrolle über Daniel. Er sank in die Polster des Sofas zurück und fühlte umgehend eine alles einnehmende Wärme in sich aufsteigen. Es war keine Wärme im eigentlichen Sinne, sondern eher ein wohliges Gefühl. Daniel grinste über das ganze Gesicht. Die Welt war schön. Das Buch, das er schreiben würde, sein Bruder, seine Mutter oder die Ex-Freundin, der bisherige Job oder irgendein Job waren so weit von ihm entfernt, wie sie es nur sein konnten. Er war einfach vollkommen glücklich im Hier und Jetzt. Das Glücksgefühl war überwältigend. Er konnte sich nicht erklären, weshalb ihn jemals Probleme runtergezogen hatten. Er fühlte sich wie in Watte gepackt. Und er spürte keinerlei Bedürfnis, sich vom Sofa wegzubewegen. Er war schläfrig und schloss die Augen, ohne wirklich zu schlafen. Er dämmerte in dieser Wärme nur dahin und genoss das vollkommene Glück. Niemand konnte ihm in dieser Situation etwas anhaben.

Während er beim Hasch die verrücktesten Ideen entwickelt hatte und seine Umwelt für ihn zu einem großen Spielfeld mutiert war, brachte diese Droge ihn in andere Welten. Sie machte ihn einfach nur glücklich und zufrieden, und das so vollkommen, dass alles andere nebensächlich und unbedeutend wurde.

Nach zwei Stunden verschwand die Wirkung und Daniel kehrte in die Wirklichkeit zurück, ohne wirklich aus ihr herausgekommen zu sein. Er hatte keine Halluzinationen oder verrückten Ideen gehabt. Er war lediglich in einem perfekten Glückszustand gewesen, den er bereits in dem Moment vermisste, als dieser sich langsam zurückzog. Daniel erkannte intuitiv die Gefahr von Heroin und schwor sich, nie mehr in seinem Leben Gebrauch davon zu machen. Er fühlte sich, als wenn er aus dem Paradies vertrieben worden wäre. Er verspürte eine Leere im Kopf und in seiner Seele. Das musste er erst mal verdauen. So umfassend dieses Glück gewesen war, so sehr fehlte es jetzt, und er fühlte, dass diese Droge den Konsumenten auf schnellstem Wege zerstören konnte. Das Glück war nicht real, es war die Droge, und der Absturz war hart und gnadenlos.

Es war erst früher Abend und so ging Daniel vor die Tür und lief eine Weile in Ottensen herum. Er ging in eine Pizzeria, wo er einen Teller mit Antipasti und einen halben Liter Chianti bestellte. Auf dem Weg nach Hause schaute er auf und sah als Einzigen den Polarstern am Abendhimmel des ansonsten von Licht überfluteten Hamburg. Er genoss die leichte Kühle und die frische Luft und ging nach Hause, wo er sich bald ins Bett begab, ausgelaugt und seelisch entkräftet von seinen Drogenerfahrungen.

Am nächsten Morgen fühlte sich Daniel schon wesentlich besser. Er machte sich Frühstück und las die Zeitung. Es hatte wieder einen Überfall auf einen türkischen Supermarkt gegeben und ein Auto war in die Elbe gefahren. Der Fahrer hatte blind dem Navigationsgerät vertraut.

Gegen elf Uhr überlegte er, was er als Nächstes tun sollte. Er hatte noch zwei Drogen zum Ausprobieren. Welche sollte er zuerst nehmen? Er konnte sich nicht zwischen dem Kokain und dem LSD entscheiden und warf schließlich eine Münze. Der Euro kam mit der Zahl nach oben zu liegen.

Also LSD. Daniel hoffte, dass es diesmal nicht so deprimierend sein würde, wenn die Wirkung der Droge nachließ.

Er besah das kleine Stückchen Papier. Auf dem Blättchen war Micky Maus abgebildet. Es sah harmlos aus. Daniel legte das Papier auf seine Zunge und saugte daran, wie es ihm Peter erklärt hatte. Nach einer Minute weichte das Papier auf und Daniel schluckte es herunter. Dann passierte erst einmal nichts. Er wusste aber jetzt, dass die Wirkung auf sich warten lassen konnte, wie beim Haschisch. Er wartete auf dem Sofa auf den Trip. Zwischenzeitlich wurde ihm langweilig und er kochte sich einen Kaffee und schaltete den Fernseher ein. Irgendwann musste es doch mal losgehen, dachte er sich.

Nach einer halben Stunde schaute Daniel gedankenverloren auf die Blumentapete, die er bei seinem Haschischrausch noch so sehr bewundert hatte. Es waren Kornblumen. Er konnte den Blick nicht von der Tapete wenden und schließlich setzte die Wirkung ein. Die Kornblumen fingen an, sich wie durch ein laues Lüftchen sanft zu wiegen. Sie ragten aus der Wand heraus und wehten ihren Duft in Daniels Richtung. Es war, als hätte jemand eine Blumenwiese an der Wand angebracht.

Daniel musste unwillkürlich lachen. Er fühlte sich keineswegs ängstlich. Im Gegenteil. Das Schauspiel faszinierte ihn, er war wie ein Beobachter. Zwischen den Blumen konnte er kleine Bienen erkennen, die den Nektar der Tapetenblumen sammelten.

Was für ein merkwürdiges Erlebnis.

An der Zimmerdecke schwebten kleine Schäfchenwolken, die in Richtung Wand zogen und in ihr nach und nach verschwanden. Daniel saß mit verschränkten Armen auf dem Sofa. Er blickte auf seine Beine, die auf dem grünen Teppich ausgestreckt waren.

Moment mal. War der Teppich nicht rot?

Es kam ihm so vor, als wären seine Beine mindestens zwei Meter lang, mit steigender Tendenz. Der grüne Teppich war zur Wiese geworden. Es war surreal, was er erlebte, und es wurde noch viel wilder. Unter dem Teppich gab es ein geschäftiges Treiben. Kleine Hügel taten sich auf und wanderten unter dem Teppich. Eine der Erhebungen kam schließlich an das Ende des Teppichs und hob ihn an. Ein kleines Männchen mit roter Kappe schaute scheu und interessiert in die Welt. Es kroch hervor und putzte sich die Hose ab. Das Männchen war ein Gartenzwerg. Er hatte eine Harke in der Hand und begann sofort mit einem leisen Murmeln, die Teppichwiese zu bearbeiten.

Der Gartenzwerg war nur die Vorhut, denn in der nächsten Phase kamen weitere Zwerge mit Schubkarre und Schaufel hervor. Weibliche Zwerge mit gewaltigem Vorbau und langen Kleidern. Daniel hatte Spaß an diesem Treiben und schaute dabei zu, wie die Zwerge fleißig auf dem Teppich für Ordnung sorgten.

Der Trip war bereits seit mehr als zwei Stunden im Gange. Daniel genoss jede Sekunde, in der die Tapetenblumen sanft vom Wind gewiegt wurden und die Zwerge die Teppichwiese bevölkerten. Ein Zwerg hatte eine winzige Spitzhacke und versuchte damit, den großen Zehennagel von Daniels rechtem Fuß zu bearbeiten. Daniel fühlte ein Kitzeln und musste kichern, während der Zwerg sich den Schweiß von der Stirn wischte.

Dann erklang ein Horn. Der Klang ließ den Raum erschüttern. Die Kornblumen an der Wand zitterten und die Zwerge schauten sich verunsichert um. Daniel versuchte seine Ohren zu schützen, als das Horn ein weiteres Mal ertönte. Nun merkte Daniel, dass es seine Türklingel war. Jemand stand vor der Tür. Ohne groß nachzudenken, stand er auf. Die Zwerge schauten zu ihm auf, während sie mit den Achseln zuckten.

Daniel hielt den Finger vor den Mund und zischte: »Pst!«

Die Zwerge nickten sich zu und verschwanden wieder unter dem Teppich, wo sie vor zwei Stunden herausgekommen waren.

Daniel lief zur Tür und schaute durch den Türspion. Draußen stand ein Typ mit einem Brief in der Hand. Ein Postbote. Der Typ sah normal aus, wenn man davon absah, dass der Junge einen Hundekopf hatte und seine Zunge weit heraushing. Er sah aus wie ein Dackel auf Fuchsjagd. Daniel öffnete die Tür.

»Ich habe ein Einschreiben für Sie. Bitte unterschreiben Sie hier«, hechelte der Bote.

Der Junge mit dem Hundekopf hielt Daniel das Schreiben unter die Nase. Der Dackelbriefbote schien nicht bissig zu sein. Er tat geschäftig, war aber lieb und brav. Daniel setzte seine Unterschrift unter den Block, den ihm der Typ entgegenhielt. Dann nahm er das Einschreiben entgegen, schloss die Tür und ging zurück zum Sofa. Der Teppich war wieder rot und die Blumentapete fing an zu welken. Die Zwerge waren verschwunden.

Wieder erklang das Horn. Von der Wand rieselten Blütenblätter und die Wand zitterte. Daniel hielt sich gequält die Ohren zu und bekam Panik. Das Horn erklang noch zwei Mal und wurde jedes Mal lauter. Der Raum erzitterte. Was Daniel nicht wusste, war, dass der Postbote vergessen hatte, einen weiteren Brief abzugeben. Da er schon mal da war, kam er zurück und klingelte erneut. Daniel klopfte das Herz und er wusste wirklich nicht warum. Der Postbote gab am Ende auf und warf den Brief durch den Briefschlitz der Wohnungstür. Dabei rief er: »Blödes Arschloch!«

Daniel blickte entsetzt auf den Brief, der auf dem Boden landete.

Aus dem Brief drangen verschiedene Stimmen heraus. Erst leise und dann immer lauter. Es war eine Audio-Botschaft.

»Daniel, pass auf! Pass auf, Daniel! Die Zwerge kommen zurück. Pass auf, Daniel!«