Tödliche Tiefe - U.S.S. Shark - Patrick Robinson - E-Book

Tödliche Tiefe - U.S.S. Shark E-Book

Patrick Robinson

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Beschreibung

Der amerikanische Geheimdienst macht eine beunruhigende Entdeckung: Die chinesische Marine transportiert offensichtlich Seeminen an die Straße von Hormus. Durch die geht ein Großteil des internationalen Ölhandels.

Tatsächlich explodieren wenig später mehrere Tanker. Die US-Regierung muss sofort reagieren...

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Das Buch

Es ist die letzte Fahrt des dreißigjährigen Atom-U-Boots U.S.S. Shark, ehe es außer Dienst gestellt wird. Da China mit einem Seeminen-Feld die internationalen Öl-Transporte blockiert, sollen SEAL-Kampftaucher im Golf von Iran eine chinesische Raffinerie zerstören. Die U.S.S. Shark hat den Auftrag, die Taucher sicher zur Küste und wieder zurück zum Standort zu bringen. Als die SEALs in einen Hinterhalt geraten und Hilfe benötigen, verbietet Commander Reid seinem ersten Offizier Dan Headley, zum vereinbarten Treffpunkt zu fahren. Headley beugt sich dem Kommando, und einer der Männer stirbt. Als die Anweisungen des Commanders immer seltsamer werden, verweigert Headley den Befehl.

Der Autor

Patrick Robinson, geboren in Kent/England, schrieb zahlreiche Sachbücher zum Thema Seefahrt und schaffte mit seinem Aufsehen erregenden Debüt Nimitz Class auf Anhieb den Durchbruch als Romanautor. Mit den folgenden U-Boot-Thrillern, die zu internationalen Erfolgen wurden und alle bei Heyne erschienen sind, konnte er sich im Genre Militärthriller etablieren. Patrick Robinson lebt heute in Irland und den USA. Außerdem liegen vor: Barracuda 945/Gefährlicher Einsatz – Kilo Class – Tödliche Flut/Scimitar SL-2 – Unter Beschuss/U.S.S. Seawolf

Inhaltsverzeichnis

Über den AutorPERSONEN DER HANDLUNGPROLOGKAPITEL EINS KAPITEL ZWEI KAPITEL DREI KAPITEL VIER KAPITEL FÜNF KAPITEL SECHS KAPITEL SIEBEN KAPITEL ACHT KAPITEL NEUN KAPITEL ZEHN KAPITEL ELF KAPITEL ZWÖLF KAPITEL DREIZEHN EPILOG ANMERKUNGEN/DANKSAGUNGCopyright

Dieses Buch ist voller Respekt jenen gewidmet,die sich gegen Kürzungen des Budgets derUS-Seestreitkräfteaussprechen, insbesondere den Politikern, diediesen Prozess umkehren wollen.

PERSONEN DER HANDLUNG

Oberste Militärführung

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (Oberster Befehlshaber der US-Streitkräfte)

Vice-Admiral Arnold Morgan (Nationaler Sicherheitsberater)

Bob MacPherson (Verteidigungsminister)

Harcourt Travis (Außenminister)

General Tim Scannell (Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs)

Jack Smith (Energieminister)

Oberkommando der U.S. Navy

Admiral Alan Dickson (Chef der Marineoperationen [CNO])

Admiral Dick Greening (Oberbefehlshaber der Pazifikflotte [CINCPACFLT])

Rear-Admiral Freddie Curran (Oberkommandierender der Unterseebootflotte Pazifik [COMSUBPAC])

Rear-Admiral John Bergstrom (Oberbefehlshaber des Special War Command [SPECWARCOM])

USSShark

Commander Donald K. Reid (Kommandant)

Lt. Commander Dan Headley (Erster Offizier)

Lt. Commander Jack Cressend (Waffensystemoffizier)

Lt. Commander Josh Gandy (Sonaroffizier)

Lt. Commander Paul Flynn (technischer Offizier)

Master Chief Petty Officer Drew Fisher (Seemännische Nummer eins)

Lieutenant Shawn Pearson (Navigationsoffizier)

Lieutenant Matt Singer (Offizier der Wache)

Lieutenant Dave Mills (ASDV-Steuermann)

Lieutenant Matt Longo (ASDV-Navigator)

USS John F. Kennedy

Admiral Daylan Holt (Kommandant des Flugzeugträger-Gefechtsverbands)

Lt. Commander Chris Russ (Waffensystemoffizier)

U.S. Navy SEALs

Commander Rick Hunter (Einsatzoffizier, Führer/Stoßtrupp zwei)

Commander Russell »Rusty« Bennett (taktischer Einsatzoffizier/Stoßtrupp eins)

Lt. Commander Ray Schaeffer (Führer/Stoßtrupp eins)

Lieutenant Dan Conway (stellvertretender Führer/Stoßtrupp eins)

Lieutenant John Nathan (Sprengstoffexperte/Stoßtrupp eins)

Chief Petty Officer Rob Cafiero (Chef des Basislagers/Stoßtrupp eins)

Petty Officer Ryan Combs (Maschinengewehrschütze/Stoßtrupp eins)

Combat SEAL Charlie Mitchell (Elektrikexperte/Stoßtrupp eins)

Lieutenant Dallas MacPherson (stellvertretender Führer und Sprengstoffexperte/Stoßtrupp zwei)

Lieutenant Bobby Allensworth (persönlicher Leibwächter von Commander Hunter)

Chief Petty Officer Mike Hook (Assistent von Lieutenant MacPherson)

Petty Officer Catfish Jones (Assistent von Lieutenant Allensworth)

SEAL Riff »Rattlesnake« Davies (Maschinengewehrschütze/Stoßtrupp zwei)

SEAL Buster Townsend (Stoßtrupp zwei)

National Security Agency, Fort Meade

Admiral David Borden (amtierender Direktor)

Lieutenant Jimmy Ramshawe (Nachrichtenoffizier)

Mitglieder des Kriegsgerichts

Captain Cale »Boomer« Dunning (Vorsitzender)

Captain Sam Scott (Chef der Militärjustiz)

Captain Art Brennan (beobachtender Kriegsgerichtsrat)

Lt. Commander David »Locker« Jones (Ankläger)

Lt. Commander Al Surprenant (Verteidiger)

Chinesisches Oberkommando

Admiral Zhang Yushu (Oberster Stellvertreter der Zentralen Militärkommission)

Admiral Zu Jicai (Oberbefehlshaber der Marine der Volksbefreiungsarmee)

Öltanker-Kapitäne

Commodore Don McGhee (Global Bronco)

Kapitän Tex Packard (Galveston Star)

»Verlobte«

Kathy O’Brien (von Admiral Morgan)

Jane Peacock (von Lieutenant Ramshawe)

PROLOG

Sommer 1987 Hunter Valley Farms Lexington, Kentucky

Es war einfach zu heiß, um Baseball zu spielen. Nur eine leichte Brise strich über die ausgedörrten Blue-Grass-Koppeln des weitläufigen Gestüts, das sich entlang der alten Straße zum Eisenwerk nahe dem Dorf Paris zog. Auf dem Gestüt wurden ausschließlich Vollblutpferde gezüchtet.

Dan Headley konnte Rick Hunters blitzschnell geworfenen Ball einfach nicht treffen. »Mach mal halblang, Ricky. Nimm etwas Schwung raus, sonst erwische ich die Bälle nicht.« Aber immer wieder kamen die Bälle herangejagt, zu tief oder zu weit weg, und schlugen kurz vor der roten Scheune hinter dem Schlagmann auf.

Der riesige sechzehnjährige Werfer brüllte jedes Mal vor Lachen, wenn sein bester Kumpel mit dem Schläger ausholte, um den Ball dann doch wieder nicht zu treffen. »Konzentrier dich halt, Danny.«

»Worauf denn?«

»Auf den Baseball, du Dummkopf.«

»Wie das denn, wo ich den doch noch nicht einmal sehe. Das ist einfach unmöglich.«

»Pete Rose könnte das schon«, sagte Rick feierlich. Er bezog sich dabei auf die frühere Legende der Cincinnati Reds.

»Pete Rose hätte auch eine Gewehrkugel gesehen!«

»Okay, noch ’ne Runde?«

»Nee, ich bin völlig kaputt. Ziehen wir uns lieber ’ne Limo rein. Ich schwitze wie ein Bulle.«

Rick Hunter zog den Wurfhandschuh aus, stopfte den Ball in die Tasche seiner Jeans und band sich dann die Ärmel seiner Jacke um die Hüfte. Er sprang über den Einfriedungszaun auf eine weitläufige Koppel, auf der etwa ein halbes Dutzend Stuten mit ihren Fohlen grasten. Dan Headley folgte ihm und schwang dabei seinen Louisville-Slugger-Schläger. Er blickte hinüber zu den Fohlen, Nachwuchsrennpferden aus guter Kentucky-Zucht, von denen die Besten eines Tages vielleicht die Begeisterungsstürme der Zuschauermassen in Belmond Park, Royal Ascot, Saratoga oder Longchamps hören würden. Vielleicht sogar die in Churchill Downs.

»Ich krieg’s wirklich nicht in meinen Schädel, warum du nicht einfach hier bleibst und stinkreich wirst«, sagte Dan. »Die Jährlinge aufziehst, sie für ein Vermögen verkaufst, genauso wie dein Dad. Mensch, Rick! Du kriegst alles auf ’nem Silbertablett serviert!«

»Danny, wir kauen das Thema jetzt schon mindestens drei Jahre durch, aber meine Meinung dazu hat sich nicht einen Millimeter verändert. Ich habe einfach keinen Bock darauf, okay? Außerdem wird der Markt für Vollblüter hier sowieso nicht ewig boomen.«

»Okay, aber er tut es schon die letzten zehn Jahre. Sieht nicht so aus, als würde er bald die Flaggen streichen.«

»Er wird zusammenbrechen, Danny! Boom-Märkte brechen irgendwann immer zusammen. Und genau dann wird es hier eine ganze Reihe mittelloser alter und verbitterter Typen geben, die sich eingebildet haben, sie hätten das Glück für sich gepachtet.«

»Ja, schon, aber mal ehrlich: Du gehst doch eigentlich, weil dich die ganze Chose langweilt, selbst mit dem ganzen Geld im Hintergrund. Nur – warum zum Teufel willst du ausgerechnet Offizier in der Navy werden, statt hier wie ein kleiner Gottkönig herumzureiten – der unumschränkte Herr des Hunter Valley, Weltzentrum der Vollblutzucht. Ehrlich, es will mir einfach nicht in den Schädel.«

»Egal. Du kommst aber trotzdem mit, oder?«

»Klar, Rick, mein Vater ist ja schließlich nur gehobener Stallbursche, im Gegensatz zu deinem alten Herrn. Und du musst nicht mal mit irgendwelchen Geschwistern teilen. Also, wenn ich an deiner Stelle wär, mit dem ganzen Land und all den gottverdammten Edelstuten …«

»Mach ’n Punkt, Danny. Du verstehst von Pferdezucht mehr als ich. Wenn du wirklich wolltest, könntest du ein Riesengeschäft daraus machen. Immerhin besitzt dein Vater selbst ein paar Stuten. Jeder fängt mal klein an.«

»Ricky, ich könnte auch in tausend Jahren nicht das Geld für ein Gestüt wie das hier aufbringen. Ich würde nur als ein weiterer Stallbursche enden. Ist doch klar, dass ich lieber Captain Dan Headley, Kommandant eines US-Schlachtkreuzers, sein will als Danny Headley, Stallbursche im Hunter Valley.«

»Pferde großziehn langweilt dich doch auch, gib’s zu«, feixte Rick. Er war sich absolut sicher, in Dan eine verwandte Seele gefunden zu haben.

»Irgendwie schon. Aber ich habe, wie gesagt, auch nicht deine Startvorteile.«

»Würde nichts an der Sache ändern, glaube ich. Du bist doch auch nur auf Abenteuer aus. Wie ich. Dauert zu lange, um Rennpferde aufzuziehen. Wir haben einfach nicht die Zeit dafür, stimmt’s?«

Dan grinste. Er war nicht so groß wie der hoch aufgeschossene Rick Hunter und musste deshalb einen Schritt schneller gehen, um mit seinem Freund aus Kindestagen mitzuhalten. Sie stapften zügig über das prachtvolle Grasland eine leichte Anhöhe hinauf und beobachteten dabei die Fohlen, die sich neugierig und erwartungsvoll zu ihnen drängten, während die Mähren vorsichtig hinter ihnen aufschlossen.

»Von wem stammt das Fuchsfohlen da?«

»Welches? Das mit dem weißen Stern da vorn?«

»Ja. Wird ’nen Hintern wie ’ne Bardame kriegen, wenn es erst mal groß ist.«

»Könnte auch ein Heckmotor werden. Es stammt von Secretariat ab, kommt aus einer Linie, die halbwegs von einer Tochter von Nashua abstammt.«

»Ein echtes Eigengewächs also. Nashua ganz in der Nähe und Big Horse gleich am Ende der Straße.« Kentuckys Pferdenarren nannten den Gewinner der Triple Crown von 1973 grundsätzlich »Big Horse«, trotz seiner mageren Erfolge als Zuchthengst.

»Die Stute ist eine von Dad. Er schwört Stein und Bein, dass Secretariat zum Ahnherr vieler guter Zuchtpferde wird. Wir werden das Fohlen um jeden Preis behalten.«

»Und was ist mit dem kleinen Braunen da drüben, dem, der die anderen herumjagt?«

»Der stammt von Northern Dancer. Wie der Vater, irgendwie übermütig, aber schmal. Er soll verkauft werden, endet wahrscheinlich bei Mr. O’Brien in Irland. Falls die Araber den bei der Auktion nicht überbieten. Dann würde er in Newmarket enden, was für ihn aber nicht ganz so gut wäre.«

»Und das Dunkelgraue dort stammt bestimmt von Rajah ab, oder?«

»Genau. Von unserem ureigenen Red Rajah. Bart Hunters ganzer Stolz. Der Hengst ist ein richtig heimtückisches Luder! Aber mein Vater mag ihn, außerdem wird deiner mit ihm ja fertig. Bobby Headley, bester Pferdepfleger im Blue-Grass-Land. Das sagt jedenfalls mein Alter.«

»Also, ich kenne Rajah jetzt schon seit fünf Jahren, aber was Bösartiges hab ich an ihm bisher nicht feststellen können.«

»Ich schon, Dan. Er mag einfach keine Fremden. Nur wenn dein Vater bei ihm ist, benimmt er sich wie ein alter treuer Haushund.«

Sie gingen auf den nächsten Zaun zu, kletterten hinüber und landeten auf dem Hof des Gestüts. Sie liefen Bobby Headley in die Arme, der gerade zum Futterhaus ging. Bobby war ein schmaler, mittelgroßer Pferdenarr aus Kentucky mit harten Augen. Sein Äußeres war jedenfalls nicht so unmittelbar einnehmend wie das seines dunkelhaarigen Sohnes. Er hatte eine tiefe, klangvolle Stimme, die allerdings bei einem Mann, dem es so sehr an Masse mangelte, fehl am Platz zu sein schien. »Hallo, Jungs, was treibt ihr so?«, sagte er und blickte auf den Baseballschläger. »Und, immer noch so viel Schmackes drauf, Ricky?«

»Ja, Sir. Aber es wird immer schwieriger. Wenn man nicht aufpasst, macht Danny einem bald den Garaus.«

Bobby Headley gluckste. »Hör mal, Dan, willst du mir einen Gefallen tun? Lauf rüber zu Rajahs Box und hol mir meine Kardätschen. Ich habe sie nach dem Striegeln im Stall vergessen.«

»Klar doch. Rick, ich treff dich dann am Haus.«

»In fünf Minuten, okay?«

Dan Headley spurtete runter zu den drei großen Hengstboxen am hinteren Ende des Hofes, entriegelte die Tür zu dem acht Jahre alten Red Rajah, schlüpfte in den Stall und murmelte sanft: »Hallo, Rajah, alter Junge, wie geht’s dir? Behandeln sie dich auch gut?«

Der gewaltige, eins siebzig große Hengst, der mit den Jahren milchweiß geworden war, trug weder Zaumzeug, noch war er mit einem langen Strang an dem kräftigen Eisenring, der in die Wand eingelassen war, festgebunden. Das war eigentlich ungewöhnlich für einen Hengst aus derart heißblütiger Zucht. Der wuchtige ehemalige Gewinner des Großen Preises von Kalifornien war ein Enkel des feurigen Red God und entstammte mütterlicherseits dem berühmt-berüchtigten englischen Deckhengst Supreme Sovereign. Einem professionellen Pferdekenner musste dies wie das Beispiel einer Züchtung erscheinen, bei der die Hölle selbst Pate gestanden hatte, eine Rezeptur für einen wirklich gefährlichen Burschen. Supreme Sovereigns Verhalten war so wenig voraussehbar, so tödlich für jedermann gewesen, dass man für den Notfall einen Hochdruck-Hydranten in seiner Box installiert hatte.

Auch Red Rajah hatte schon mehrfach Menschen angegriffen, aber er war auch ein hochklassiges Rennpferd gewesen, ein ausgezeichneter Kämpfer im Finish. Mit 40 000 Dollar pro Deckung war er nun einer der gewinnbringendsten Zuchthengste des Gestüts.

Rajah fixierte den jungen Headley und trat leise hinter ihn. Er schien keinerlei Erregung zu zeigen, nur wer ihn kannte, hätte bemerkt, dass er die Ohren leicht anlegte und die Augen unruhig zuckten. Er sah Dan an, ohne dabei den Kopf zu bewegen.

Der Junge bückte sich, um die Bürsten aufzuheben. Als er sich wieder aufrichtete, bewegte sich der Hengst fast unmerklich. Dan, der den Stimmungsumschwung des Pferdes bemerkte, reagierte mit seiner lebenslangen Erfahrung im Umgang mit den Tieren, hob den rechten Arm wie ein Verkehrspolizist in die Höhe und murmelte beruhigend: »Was gibt’s, Rajah, guter Junge? Ruhig, alter Kumpel.«

In diesem Augenblick griff Rajah an, völlig überraschend, ohne die Spur einer Warnung. Er warf den Kopf herum, schloss die Zähne über Dannys Bizeps, biss wie ein Krokodil durch die Muskeln hindurch und zerbrach so den großen Knochen des Oberarms. Er ließ nicht los, sondern zwang den Jungen nieder, zog ihn auf das Stroh und bereitete sich auf das von Hengsten bevorzugte tödliche Vorgehen vor: sich auf sein Opfer niederzuknien wie ein Kamel oder ein Elefant, um den unter ihm liegenden Brustkorb zu zerschmettern. Pferdezüchter berichten in der Öffentlichkeit nur ungern von dieser Art von Grausamkeit.

Dan Headley schrie vor Schmerz und Angst laut auf. Sein Schrei gellte über den Hof. Rick Hunter war gerade auf dem Weg hinunter zum Hauptgebäude, als er ihn hörte. Sofort jagten ihm tausend Schreckensvisionen über die wahre Natur von Red Gods Enkel durch den Kopf.

Drinnen im Stall schrie Danny wieder. Im Angesicht des Todes versetzte er dem Hengst einen Tritt, aber es war, als träte er nach einem Kleintransporter.

Rick Hunter rannte inzwischen über das grasbewachsene Hofgeviert in Richtung der Pferdeboxen. Er hörte den zweiten Schrei seines Freundes und lief so schnell, dass er mit den Füßen kaum den Boden berührte. Er steuerte zielstrebig die Box von Rajah an. Dort angekommen, blickte er sich sofort nach einer Waffe um und sah den vertrauten Louisville-Baseballschläger, der an der Stallwand lehnte. Er griff ihn, stieß die Boxentür auf und blickte voller Entsetzen auf die Szene vor ihm: Danny wehrte sich verzweifelt – während das Blut aus dem zerschmetterten rechten Arm strömte – gegen die Attacken des über ihm wütenden Hengstes. Die Bestie wollte sich gerade auf ihn knien. Rick zögerte keine Sekunde, holte mit dem Schläger aus und schmetterte ihn Red Rajah mit einer Wucht in die Rippen, die für einen Menschen mit Sicherheit tödlich gewesen wäre. Für Red Rajah war dieser Schlag aber keineswegs tödlich. Der große Schimmel warf den Kopf zurück, als müsste er jetzt entscheiden, welchen der beiden Jungen er zuerst angreifen sollte. Ricky schlug mit aller Kraft wieder in die Rippen des Hengstes. Und gleichzeitig rief er: »Hau ab, Danny! Hau endlich ab! Schließ die Tür, aber schieb den Riegel nicht vor.«

Dan Headley, halb im Schockzustand und fast verrückt vor Schmerzen, rollte zur Seite und kroch aus der Box. Flach auf dem Boden liegend, trat er von außen die Tür zu und wurde ohnmächtig. Drinnen im Stall sah sich Rick Hunter nun allein der tobenden Bestie gegenüber. Inzwischen stand er in einer Ecke der Box, etwa fünf Schritte von der Tür entfernt, und ließ Rajah, der ein bisschen zurücktänzelte, nicht aus den Augen. Rick hielt den Schläger fest in beiden Händen, wagte aber nicht, damit auszuholen. Falls er den Kopf des Pferdes verfehlte, würde das Tier ihn an der Kehle oder – was sogar wahrscheinlicher war – an den Weichteilen angreifen. Im nächsten Moment stieß der Hengst zu und zielte mit gefletschten Zähnen direkt auf Ricks Gesicht. Rajahs Zähne trafen auf das Holz des Schlägers, den Rick mit beiden Händen vor sich hielt, und ließen ihn wie ein Streichholz zersplittern.

Abermals wich Rajah einen Schritt zurück. Die Ohren hatte er flach angelegt, die bösen, weiß geränderten Augen flackerten hin und her. Ricks Gedanken rasten zurück zu einem Gespräch, das er einst mit einem knallharten Typen aus dem Ort geführt hatte, der ihm damals sagte: »Ich kenn nur eine einzige Möglichkeit, wie man einen Hengst, der einen töten will, aufhalten kann.« Rick Hunter ließ sich auf alle viere nieder, wohl wissend, dass er – falls der Trick schief ging – genau so tot wie Danny sein würde, hätte er nicht rechtzeitig eingegriffen.

Er nahm nun, so gut es ging, die Gestalt des ältesten und gefürchtetsten Feindes der Pferde, des Löwen, an und ahmte die schleichende, Schrecken erweckende Bewegung der großen Katze nach, wenn sie sich sprungbereit macht. Auf diese Weise wollte er die jahrtausendealten unbewussten Ängste in der Seele des Pferdes wecken. Er bohrte die Schuhspitzen in das Stroh und machte auf dem Zement darunter kratzende Geräusche, fauchte mit tiefer Stimme und blickte unbewegt in die Augen des Tieres. Dann streckte er den Kopf vor und ließ immer wieder Gebrüll hören, während er vorwärtskroch.

Red Rajah verharrte auf der Stelle. Dann bewegte er sich einen kleinen Schritt rückwärts. Ein kaum wahrnehmbares Zittern lief durch seine Schultermuskeln. Er ging noch ein Stück weiter zurück und senkte den Kopf, als wollte er seine Kehle schützen. Alles schien rein instinktiv abzulaufen.

Rick brüllte abermals wie ein Löwe, während er gleichzeitig versuchte, die Jacke, die er sich um die Hüfte gebunden hatte, freizubekommen. Jeder Kampfeswille schien Rajah verlassen zu haben, er stand jetzt stocksteif da. So war er auch nicht darauf vorbereitet, dass der Erbe des Hunter Valley plötzlich aufsprang, um ihm die Jacke blitzschnell über Augen und Gesicht zu werfen. Red Rajah war nun von tiefschwarzer Dunkelheit umgeben – und kein Pferd würde es wagen, sich zu bewegen, solange es nichts sieht. Rajah stand einfach nur da, stocksteif, zitternd, blind, mit der Jacke über dem Kopf. Rick schlich vorsichtig zur Tür, öffnete sie leise und schlug sie dann von außen heftig ins Schloss.

Dan war mittlerweile wieder aus seiner Ohnmacht erwacht. Rick gab Alarm und wartete bei seinem Freund, bis wenige Minuten später Hilfe herbeieilte.

Rick blieb mit beider Väter die ganze Nacht über bei Dan im Lexington Hospital, wo zwei Chirurgen mit äußerster Sorgfalt den Muskel zusammenflickten und den gesplitterten rechten Arm eingipsten.

Am Morgen kam Dan im Wachzimmer schließlich aus der Narkose wieder zu sich. Er blinzelte den »jungen Löwen vom Hunter Valley« an und schüttelte dann in stiller Bewunderung vor dem Mut seines Freundes den Kopf, grinste schließlich und sagte: »Herrgott noch mal, Ricky. Du hast mir das Leben gerettet. Ich sag dir was, wir hauen lieber doch zusammen auf einem Kriegsschiff ab.«

»Und ob, Dan«, sagte Rick.

»Vergiss den ganzen Rennpferdescheiß. Wäre ziemlich blöd, hier draufzugehen. Dann lieber unter Beschuss. Annapolis, wir kommen!«

KAPITEL EINS

23. Januar 2007 Weißes Haus, Washington, D.C.

Admiral Arnold Morgan befand sich allein in seinem Büro und dachte intensiv über die zwei wesentlichen Probleme seines Lebens nach, die ihn an diesem besonderen Mittag beschäftigten. Das erste war seine Entscheidung, noch ein weiteres Jahr Nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten zu bleiben – obwohl es völlig seinem gesunden Menschenverstand zuwiderlief. Das zweite war ein Roastbeef-Sandwich, gewaltig wie eine Wagner-Oper, durch schwere Majonäse und Senf in ein Festessen verwandelt, das er sich nie zu bestellen gewagt hätte, wäre seine Sekretärin und zukünftige Frau, die hinreißende Kathy O’Brien, auch nur in der Nähe des Grundstücks 1400 Pennsylvania Avenue gewesen. Glücklicherweise hatte sie bis vier Uhr nachmittags frei.

Der Admiral grinste zufrieden und umrundete seinen Schreibtisch wie ein Berglöwe, der sich jede Sekunde auf sein Opfer stürzt. Er sah das Sandwich als eine hochverdiente lukullische Belohnung dafür an, dass er wochenlang von einigen der mächtigsten Persönlichkeiten der amerikanischen Politik und des Militärs bearbeitet, bedrängt, beschwatzt und schließlich überredet worden war, in seinem Amt auszuharren.

Die Entscheidung zu bleiben war ein neunwöchiger Gewissenskampf gewesen. Die Entscheidung, sich ein Roastbeef el grando zu bestellen, bevor Ms. O’Brien zurück ins Büro kam, war wesentlich weniger qualvoll gewesen und entschieden schneller gefallen. Der Admiral, inzwischen 61 Jahre alt, war immer noch – erstaunlicherweise – bei bester Gesundheit und keine acht Pfund schwerer als damals vor 27 Jahren, als er Kommandant eines Atom-Unterseebootes gewesen war. Da er einen untadelig maßgeschneiderten Anzug trug – mit einer kastanienrot-golden gemusterten Hermès-Krawatte, die ihm Kathy zu Weihnachten geschenkt hatte –, stopfte er sich erst eine weiße Stoffserviette in den Hemdkragen und biss dann genießerisch in das Sandwich. Durch die Fenster sah er, dass es fürchterlich schneite. Der Präsident weilte gerade – schlitzohrig, wie er sein konnte – im südlichen Kalifornien, wo die Temperaturen bei Sonnenschein bis zu 30 Grad erreichen konnten. Hier im Westflügel des Weißen Hauses schien absolut nichts zu passieren, was das Interesse des so sehr gefürchteten und zugleich bewunderten Militärstrategen hätte hervorrufen können.

»Keine Ahnung, was zum Teufel ich hier eigentlich tue«, knurrte er. »Die gottverfluchte Welt ist ruhig, zumindest momentan, und ich sitze hier wie ein gottverfluchter Wachhund rum und warte darauf, dass unser hochgeschätzter und abgeschlaffter Häuptling sich aus einem beschissenen Beverly-Hills-Pool quält.« Abgeschlafft. Ein kompletter Schlaffi. Genau diese Worte waren im Zusammenhang mit dem Präsidenten bei seinem letzten Treffen mit Admiral Scott Dunsmore, dem klugen und fast schon unanständig reichen ehemaligen Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, in dessen Haus immer wieder gefallen. Arnold Morgan verstand den ganzen Wirbel um ihn nicht. Unzählige andere Sicherheitsberater waren vor ihm schon zurückgetreten, nur ihm wurde dieses menschliche Grundrecht offensichtlich verweigert.

Herr im Himmel, alle hatten sie sich versammelt gehabt, ohne ihm vorher einen Wink zu geben. Er hatte einen Raum betreten, in dem nicht nur General Scannell saß, der gegenwärtige Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, sondern gleich auch noch zwei ehemalige Vorsitzende plus der Chef der Marineoperationen und der Kommandant der U.S. Marines. Der Verteidigungsminister war natürlich auch da gewesen nebst zwei Mitgliedern des einflussreichen Senatsausschusses für die Streitkräfte, darunter der überaus erfahrene Senator Ted Kennedy, dessen unerschütterlicher Patriotismus und ständige Besorgnis für seines Land ihn in einer solchen Runde zur natürlichen Führungspersönlichkeit machten. Alles in allem waren vier Mitglieder des gegenwärtigen Sicherheitsrates anwesend. Ihre gemeinsame Aufgabe war einfach gewesen: Admiral Morgan davon zu überzeugen, sein Rücktrittsgesuch zurückzuziehen und im Amt zu bleiben, bis die zweite Wahlperiode des republikanischen Präsidenten beendet war. Nur wenige Wochen zuvor hatte der Präsident anlässlich einer äußerst gefährlichen verdeckten Marineoperation in China eine derartig schockierende Selbstherrlichkeit und derart mangelndes Urteilsvermögen an den Tag gelegt, dass man ihm nicht mehr hatte abnehmen können, dass er allein im Interesse der USA handelte.

Die Welt war gegenwärtig ein zerbrechliches Gebilde, daran musste Admiral Morgan niemand erinnern. Aber der Mann im Oval Office neigte neuerdings dazu, Jasager auf einflussreiche Positionen zu hieven. Jetzt, in den zwei letzten Jahren seiner Amtszeit, dachte er offensichtlich vor allem an sich selbst und an sein Bild in der Öffentlichkeit. Ohne Admiral Morgans Granitmauer aus Realitätssinn und Urteilskraft, so waren sich die Männer an jenem Tag in Admiral Dunsmores Haus einig, könnten schreckliche und kostspielige Fehler gemacht werden.

Zurückblickend konnte sich Arnold Morgan nicht mehr genau erinnern, wer die bisher unausgesprochene Beobachtung, der Präsident sei ein »gottverdammter Schlaffi – und es wird immer schlimmer mit ihm«, in Worte gefasst hatte. Aber er erinnerte sich daran, dass viele dabei mit dem Kopf nickten und dass keiner lachte. Ihm fiel auch ein, dass sich ihr Gastgeber Admiral Dunsmore an den Senator von Massachusetts mit den Worten gewandt hatte: »Das Vertrackte ist, dass er sich zwar durchaus für militärische Angelegenheiten interessiert – wir ihm aber nicht trauen können. Sprechen Sie mit Arnold, Teddy. Sie können es besser sagen als jeder andere hier.« Er hatte es dann getan. Am Ende einer kurzen, aber bewegenden Ansprache der redegewandten Legende von Hyannisport hatte Admiral Morgan genickt und kurzerhand verkündet: »Ich ziehe mein Rücktrittsgesuch zurück.«

Nun war er also wieder »im Geschäft« und zerbrach sich den Kopf über die Friedhofsruhe, die den vergangenen Monat über an den sonst kritischen Brennpunkten der Welt geherrscht hatte. Im Nahen Osten war es im Augenblick ruhig. Die Terroristen schienen alle noch im Weihnachtsurlaub zu sein. Indien und Pakistan hatten zur Zeit ihre gegenseitige Bedrohung eingestellt, und um China, den »Großen Tiger«, war es seit dem vergangenen Herbst sehr still geworden. Satellitenaufnahmen zeigten, dass das Land zur Abwechslung mal keine Flottenübungen in der Nähe Taiwans durchführte. Und das neue ISBM-Unterseeboot der Chinesen, die Xia III, machte derzeit offensichtlich keine Anstalten, ihren Liegeplatz in Schanghai zu verlassen.

Das einzige halbwegs interessante Dossier, das seit Weihnachten auf Morgans Schreibtisch gelandet war, kam von der Russland-Sektion der CIA. Nach den Berichten eines ihrer Agenten in Moskau hatte eine der Roswuroshenie-Fabriken, die sich gleich außerhalb der Stadt befand, plötzlich damit begonnen, große Mengen Ankerminen zu produzieren. Das war insofern ungewöhnlich, weil die Firma eigentlich als Spezialist für die Herstellung von Seeminen galt, die der MDM-Serie, insbesondere die tödlichen eindreiviertel Tonnen schweren Schiffskiller MDM-6, die durch die Torpedorohre eines Unterseebootes ausgelegt werden können. Roswuroshenie stellte jetzt allem Anschein nach jede Menge verbesserte, spezialangefertigte PLT-3-Minen her, verankerte Eintonner, die sowohl von Torpedorohren aus als auch von Überwasserschiffen gelegt werden konnten. Der CIA-Agent vor Ort hatte keine Ahnung, wohin die Minen gehen sollten, aber er war sich sicher, dass sich hier eine ungewöhnliche Entwicklung abzeichnete. Die meisten Minen »Made in Russia« waren derzeit allein für den Export bestimmt.

Admiral Morgan knurrte vor sich hin: »Wer zum Teufel braucht eigentlich diese verdammte Riesenladung PLT-3-Minen, hä?« Er hätte es laut gebrüllt, hätte er den Mund nicht voller Roastbeef und Majonäse gehabt. So blieb ihm nichts, als zu kauen und still nachzudenken. Aber seine Gedanken gefielen ihm ganz und gar nicht. Wenn die gottverdammten mittellosen Russen einige Hundert teure Minen bauen, hat irgendjemand sie bestellt. Und wenn jemand sie bestellt hat, plant er auch, sie auszulegen, richtig? Sonst hätte man sie gar nicht erst zu bestellen brauchen. Und wo? Das ist es, was wir rauskriegen müssen. Wer plant, ein kleines, nettes Minenfeld als Überraschungsei zu legen?

Er beendete sein Sandwich, schlürfte den Kaffee und blickte missmutig drein. Sobald Kathy wieder da war, musste sie unbedingt bei der CIA in Langley, Virginia, anrufen, um dafür zu sorgen, dass die Jungs dort sich dringlichst mit der russischen Minenproduktion befassten. Sollte die Luftaufklärung größere Minenverschiffungen aus irgendeinem russischen Hafen feststellen, dann wollte er darüber Bescheid wissen, und zwar möglichst schon vorgestern. Ich will einfach nicht, dass irgend so ein Scheißmogul mit Turban plötzlich zu viel Ehrgeiz entwickelt. Der Admiral starrte auf das Bild General MacArthurs, das er in seinem Büro aufgehängt hatte. Ich werde sie beobachten, Douglas. Okay? Jederzeit beobachten.

23. Januar 2007, 0900 (Ortszeit) Renmin Dahuitang, Große Halle des Volkes Platz des Himmlischen Friedens, Peking

Das ausgedehnteste Regierungsgebäude der Welt, das auch den Nationalen Volkskongress beherbergte, war an diesem Dienstagmorgen verschlossen, verriegelt und abgesperrt. Jeder einzelne Quadratzentimeter. Alle Aktivitäten im Gebäude waren eingestellt worden, die Öffentlichkeit war ausgesperrt und mehr bewaffnete Militärwachen patrouillierten auf der schneebedeckten Westseite des Platzes, als man hier seit dem Massaker an den protestierenden Studenten im Jahre 1989 gesehen hatte.

Im Gebäude selbst waren weitere Wachen, welche die endlosen Gänge kontrollierten. Sechzehn Mann standen reglos mit geschulterten Gewehren auf einem quadratischen Platz, der den einzigen Fahrstuhl umgab, welcher zu dem hell erleuchteten Meridian-Tor führte, dem beeindruckenden, einst nur dem Kaiser vorbehaltenen Eingang. Der Platz des Himmlischen Friedens selbst lag unter einer dicken weißen Schneedecke. Die völlige Abwesenheit der vielen Tausend Regierungsangestellten gab dem Herzen von Peking das Aussehen von Verlassenheit. Es war zugig, totenstill, leer gefegt wie ein großes Stadion, nachdem das Spiel vorüber war.

Innerhalb des Befehlszentrums der Großen Halle des Volkes herrschte dagegen eine Atmosphäre höchster Spannung. Am hinteren Ende des Raumes, direkt neben einem beleuchteten drei Meter großen Bildschirm, war die massive Gestalt von Admiral Zhang Yushu zu sehen, der erst kürzlich als Oberbefehlshaber der Marine der Volksbefreiungsarmee zurückgetreten war und nun auf persönlichen Wunsch des obersten Machthabers als erster stellvertretender Vorsitzender des vierköpfigen allmächtigen Militärrats der VBA installiert worden war. Vor acht Wochen hatte Admiral Zhang sich deutlich über die anderen drei hocherfahrenen Mitglieder dieses Gremiums hinweggesetzt und besaß nun eine derart autoritätsgebietende Position, dass er allein dem Staatspräsidenten, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei und dem Vorsitzenden der zentralen Militärkommission Rechenschaft über sein Tun ablegen musste – und das war jeweils die dieselbe Person. Es gab nicht wenige, die sich vorstellen konnten, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Admiral Zhang selbst in diese Stellung hineinwachse.

Der Admiral begrüßte nun seine Zuhörer, sprach sie wohl überlegt an und hieß sie alle zu dem vertraulichsten Treffen in der 48-jährigen Geschichte der Großen Halle des Volkes willkommen. Es war ein so geheimes Zusammenkommen, dass man für einen Tag alle Regierungsgeschäfte ausgesetzt hatte, um etwaige Augenzeugen auszuschließen.

Anwesend waren Admiral Zhangs drei ältere Kollegen im Militärrat, alles ehemalige Armee-Kommandanten, der neue Oberbefehlshaber der Marine der Volksbefreiungsarmee, Admiral Zu Jicai, und Admiral Yibo Yunsheng, der neue Befehlshaber der starken Nordflotte. Der mächtige Politkommissar der Marineeinheiten, Vizeadmiral Yang Zhenying war schon in der vorausgegangenen Nacht aus Schanghai kommend eingetroffen. In seiner Begleitung befand sich Vizeadmiral Sang Ye, Chef des Marinestabes. Der einflussreichste Vertreter der chinesischen Flottenkommandanten, Admiral Zhi-Heng Tan, saß gleich neben Zhang am Kopfende des breiten Mahagonitisches. Hinter ihm hing ein meterhohes gerahmtes Bild von Mao Zedong an der Wand, dem großen Revolutionsführer, dessen sehnlichster Wunsch es gewesen war, ein überlegenes China möge ohne fremde Hilfe dem imperialistischen Westen die Stirn bieten. Der Druck war die Reproduktion eines gigantischen Porträts von Mao, der vom Tor des Himmlischen Friedens mit frösteln machender Gleichgültigkeit über den großen Platz blickt. Heute diente das Porträt den versammelten Militärführern in dem hell erleuchteten Raum dazu, sie eindringlich daran zu erinnern, wer sie eigentlich waren.

Die drei restlichen Männer im Raum waren Iraner, der älteste unter ihnen, dessen Name nicht genannt wurde, ein bärtiger Ajatollah in schwarzem Gewand. Die zwei Seeoffiziere, die den heiligen Mann begleiteten, waren Konteradmiral Hossein Shafii, Leiter des Strategischen Oberkommandos in Bandar Abbas, und Konteradmiral Mohammed Badr, Kommandant der iranischen Unterseebootflotte.

Admiral Zhang war mit seinen eins achtzig mit Abstand der längste und auch schwerste der anwesenden Chinesen. Aber er sprach sanft, mit einem für ihn untypischen einschmeichelnden Säuseln in der Stimme und einem freundschaftlichen Lächeln auf dem breiten, gelassenen Gesicht. Er redete seine Gäste auf Englisch an, eine Sprache, die alle drei Iraner fließend beherrschten. Seine Worte wurden von Vizeadmiral Yang, der in seiner Jugend vier Jahre lang an der Universität von Kalifornien studiert hatte, ins Chinesische zurückübersetzt.

»Meine Herren«, begann Admiral Zhang Yushu, »wie Sie alle wissen, wird die neue chinesisch/iranische Pipeline von den großen Ölfeldern in Kasachstan in wenigen Wochen betriebsbereit sein. Tausende von Barrel Rohöl werden täglich aus Russland fließen, quer durch Ihr großes Land und dann in den Süden zu der neu gebauten chinesischen Raffinerie an der Küste der Straße von Hormus. Dies, meine Herren, signalisiert einen neuen Aufschwung für uns alle. Einen gewaltigen Aufschwung für den Iran und glücklicherweise auch ein Ende der endlosen chinesischen Abhängigkeit von der westlichen Versorgung mit Treibstoff. Die Allianz der vergangenen zehn Jahre zwischen unseren beiden überragenden Nationen wurde wahrhaftig im Himmel geschlossen.«

Admiral Zhang machte eine Pause und breitete die Arme weit aus. Er ging auf die rechte Seite des riesigen Tisches und blieb strahlend vor den Männern aus der Wüste stehen. Der Ajatollah erhob sich als Erster, ergriff beide Hände des Admirals und wünschte jedermann den immer währenden Segen Allahs. Dem schlossen sich die beiden Offiziere aus Bandar Abbas an und umarmten dann ebenfalls den legendären einstmaligen chinesischen Flottenchef.

Zhang ging zurück und nahm wieder seinen Platz am Kopf des Tisches ein. Er warf einen kurzen Blick auf seine Notizen, erlaubte sich die Andeutung eines Stirnrunzelns, lächelte dann aber wieder und fuhr mit seinen Ausführungen fort: »Es ist wohl nicht nötig, irgendjemand der hier Anwesenden an die enormen Kosten zu erinnern, die der Bau der tausend Meilen langen Pipeline und die Errichtung der Raffinerie verursacht haben. Sie betragen mehrere Milliarden US-Dollar. Es gibt jedoch gegenwärtig eine tiefschwarze Wolke am Horizont unserer Erwartungen – und das ist der außerordentlich geringe Preis für ein Barrel Rohöl auf dem Weltmarkt. Letzte Nacht fiel er auf dreizehn Dollar; er nähert sich einem Zehnjahrestief. Die arabischen Nationen können wir wegen ihrer bekannten Abhängigkeit von den amerikanischen Schutz- und Handelsinteressen nicht beeinflussen. Was uns wiederum zwingt, das Öl zum halben, ja sogar zu einem Drittel des wahren Wertes zu verkaufen. Nun, der Iran verdient zwanzig Prozent an jedem Barrel, das die neue Raffinerie erreicht, und das sind gegenwärtig weniger als drei Dollar. Das aber bedeutet, dass Ihrem Land jeden Monat Millionen und Abermillionen an Gewinn verloren geht. Ich frage Sie, meine Herren, wie könnte eine Lösung dieses Problems aussehen? Rufen Sie sich ins Gedächtnis, dass wir es hier mit einem teuflischen Anschlag zu tun haben, mit einer Verschwörung des Westens, um unsere großen Volkswirtschaften niederzuringen, damit man uns beherrschen kann. Wie der Westen es schon immer versucht hat.«

Admiral Zhangs Stimme war während seiner Ausführungen lauter geworden, doch nun fiel er wieder in den ruhigen, freundlichen Tonfall seiner Begrüßungsworte zurück. »Wir haben die Lösung, meine Freunde. Es ist eine Lösung, die wir schon zuvor einmal diskutiert haben und von der ich glaube, dass sie die große Zustimmung unserer beiden Regierungen finden wird.«

Der Ajatollah schien ehrlich überrascht zu sein und blickte fragend auf.

Admiral Zhang lächelte zurück und fuhr ohne weitere Floskeln fort: »Ich schlage vor, wir legen ein Minenfeld weit in die historisch zum islamischen Staat Iran gehörenden Gewässer. Quer über die Straße von Hormus.«

Admiral Badr blickte abrupt auf und erwiderte unmittelbar: »Mein Freund Yushu, China hat sich als erprobter und vertrauenswürdiger Freund meines Landes erwiesen. Aber ich glaube, ich muss Sie daran erinnern, dass wir schon viele Male eine Blockade der Straße von Hormus in Erwägung gezogen haben. Aus drei Gründen sind wir jedes Mal davor zurückgeschreckt: Erstens, die gegenüberliegende Seite gehört dem Oman, einem Land, das völlig unter dem Einfluss der amerikanischen Marionetten in London steht. Zweitens, wir wären niemals schnell genug in der Lage, ein Minenfeld zu legen, ohne dass wir von amerikanischen Aufklärungssatelliten entdeckt würden, was uns dann mit Sicherheit die Rache des Pentagons auf den Hals brächte. Und drittens, nun, die Amerikaner würden das Minenfeld räumen und uns als gesetzlose Außenseiter brandmarken, als Feinde aller friedlich Handel treibenden Staaten dieser Welt. Daraus könnte nichts Gutes resultieren, jedenfalls nicht von unserem Standpunkt her gesehen.«

Admiral Zhang nickte und bat die Versammlung um Nachsicht. »Mohammed«, sagte er. »Alle Ihre Gründe sind einleuchtend. Aber jetzt haben sich die Zeiten geändert. Der Einsatz ist viel höher. Sie und ich verkaufen und gebrauchen unterschiedliches Öl. Aber wir haben auch ein unerschütterliches gemeinsames Interesse: unsere Ölrouten vom Golf in den Fernen Osten. Sie, Mohammed, haben die uneingeschränkte Unterstützung unserer Volksbefreiungsarmee. Zusammen könnten wir ein ausreichendes Minenfeld legen, solange wir beide unsere Unterseeboote und Überwasserschiffe einsetzen. Und das können wir so schnell, dass keiner auch nur die leiseste Ahnung hat, wer für die ganze Sache verantwortlich ist.«

»Aber die Amerikaner werden es doch mit Sicherheit herausfinden.«

»Sie werden es nicht! Sie werden es allenfalls vermuten. Aber sie werden nicht schnell genug sein. Weil eines Tages einer der gigantischen westlichen Tanker auf eine der Minen treffen und hochgehen wird. Und für ein Jahr werden die Ölpreise ins Astronomische steigen – unsere ausgenommen. Das Öl, das wir dann verkaufen, wird ein Vermögen wert sein, während gleichzeitig die Tanker auf beiden Seiten des Minenfelds davor zurückschrecken werden, da hindurchzufahren. Für eine ganze Weile wird sich der Weltmarkt für Treibstoff nahezu ausschließlich in unseren Händen befinden.«

Admiral Badr lächelte, schüttelte aber dennoch den Kopf. »Das ist ein kühner Plan, Yushu. Das gestehe ich Ihnen zu. Er könnte sogar funktionieren. Aber mein Land und meine Marine haben schon einmal den Zorn des Pentagons ertragen müssen. Und ich möchte das nicht noch einmal durchmachen.«

»Auch wir haben diese Erfahrungen gemacht, Mohammed. Aber die Gegner sind nicht unbesiegbar. Letzten Endes sind sie nur ein gottloser Haufen, allein am Geld interessiert. Sie werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Tankerrouten zum Golf wieder freizubekommen, aber ich gehe davon aus, dass sie es in erster Linie als ein Wirtschaftsproblem ansehen werden und nicht als Grund für einen bewaffneten Konflikt. Außerdem können sie sich keinen Krieg in der Golfregion wünschen, weil das die Ölversorgungsprobleme nur vergrößern, die Preise noch höher jagen und die heiligen Wall-Street-Kurse noch tiefer fallen lassen würde.«

»Aber, Yushu, wenn sie China hinter all dem vermuten, könnten sie sehr, sehr wütend werden.«

»Sehr richtig, Mohammed. Sehr wahr. Aber nicht ausreichend wütend, um einen Krieg gegen uns zu führen. Das würde ihre kostbaren Börsenkurse ins Bodenlose fallen lassen. Nein, meine Freunde, die Amerikaner werden das Minenfeld räumen, die Tankerrouten wieder öffnen und ihre Muskeln spielen lassen, indem sie Kriegsschiffe entsenden. Aber bis dahin werden wir beide Riesenprofite gemacht und hoffentlich viele neue Freunde und Kunden gewonnen haben, die es vielleicht in Zukunft vorziehen, mit uns im Geschäft zu bleiben. Ein kleines Minenfeld, Mohammed, und wir öffnen das Tor in eine gemeinsame glänzende Zukunft.«

Hauptquartier der National Security Agency Fort Meade, Maryland

Lieutenant Jimmy Ramshawe lud an diesem Dienstagnachmittag zum x-ten Mal vertrauliche Informationen auf seinen Computer herunter. Seine Aufgabe als wachhabender Sicherheitsoffizier schloss mit ein, Printouts an ausgewählte Offiziere im ultrageheimen Labyrinth der US-Militäraufklärung zu verschicken. Der Ort war als so wichtig eingestuft worden, dass in seine Mauern Kupferplatten eingebaut waren, um jeden elektronischen Abhörversuch unmöglich zu machen.

Der Leutnant hatte sich, seit er mittags die Routinearbeit, sich durch ganze Romane von Botschaften, Berichten und Meldungen des weltweiten Überwachungsnetzes hindurchzufressen, erledigt hatte, ziemlich gelangweilt. Aber die zwei letzten Dokumente, die frisch von der Russlandabteilung der CIA hereingeschneit kamen, fesselten seine Aufmerksamkeit doch außerordentlich:

Ungewöhnliche Aktivität in der Roswuroshenie-Minenfabrik außerhalb Moskaus. Drei voll beladene schwere Militärtransporter wurden beim Verlassen der Anlage beobachtet. Sie wurden zwei Stunden später wieder am Flughafen Sheremetjewo II, Moskau, gesichtet. Dann wieder, als sie – diesmal leer – den Flughafen um 1400 Ortszeit verließen. Zielort unbekannt.

Die andere Meldung war 34 Minuten später von der gleichen Quelle gekommen. Sie enthielt sich jeden Kommentars, lieferte nur die nackten Fakten:

Russische Antonow 124 verlässt Moskau um 2300, offensichtlich in östlicher Richtung. Nur mit Bordbesatzung plus schwerer Ladung. AN-124 brauchte 3000 Meter bis zum Abheben. Start war im Flugplan nicht vorgesehen. Nachforschungen werden fortgesetzt.

Für Jimmy Ramshawe war dies Balsam auf die Seele – ein komplexes, halbwegs bedrohliches Problem, das untersucht, wenn nicht sogar gelöst werden wollte. Er wusste, dass die riesigen Antonow-Transportflugzeuge – auch bekannt als »Ruslan«, benannt nach einem mythologischen Giganten – gewaltige 120 Tonnen Fracht in einer Höhe von 35 000 Fuß transportieren konnten. Er besaß genügend Vorstellungskraft, um sich auszumalen, wie 120 große Seeminen mit 550 Knoten Geschwindigkeit durch die Stratosphäre jagten, um in irgendeinem fernen Ozean der US-Flotte lästig zu werden.

Die Navy hatte ihn, kaum war er achtundzwanzig, zum Dienst im Nachrichtendienst abkommandiert. Der hoch aufgeschossene, dunkelhaarige Offizier besaß nämlich einen ausgeprägt analytischen Verstand. Er konnte »um die Ecke denken«, war ein genauer Beobachter von verschlungenen Pfaden, komplizierten und fein verknüpften Vorgängen. Als Kommandant eines Kriegsschiffes hätte er sich in einen lebendig gewordenen Albtraum verwandelt. Keine noch so gute Mannschaft hätte ihn mit wirklich ausreichenden Informationen versorgen können, damit er wichtige Entscheidungen fällen konnte. Aber er verfügte über einen überragenden Intellekt, den höchsten IQ seines Jahrgangs auf der Kadettenakademie Annapolis. Seinen Vorgesetzten war er schon sehr früh aufgefallen. Lieutenant Ramshawe war wie geboren für den Geheimdienst auf höchster Ebene. Während die anderen Offiziersanwärter von ihrer Karriere als zukünftige Kommandanten auf Überwassereinheiten und Unterseebooten träumten, wurde der schlaksige, athletische Jimmy in die elektronische Hochburg von Amerikas höchst sensiblen und schwerst bewachten Geheimdienst versetzt, wo er – um den Admiral zu zitieren, dem er seine Aufnahme dort zu verdanken hatte – »ausreichend Möglichkeiten hätte, um seine herausragenden Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.«

Er war insofern ein eher ungewöhnliches Mitglied des Fort-Meade-Teams, weil er wie ein Australier aussah und auch so klang. Als Kind eines Diplomaten aus Sydney, der seinen fünfjährigen Dienst als Militärattaché in der beeindruckenden australischen Botschaft an der Massachusetts Avenue ableistete, war er in Washington, D.C., zur Welt gekommen. Die Familie war danach gerade einmal für zwei Jahre nach New South Wales zurückgekehrt, als sein Vater eine Führungsaufgabe bei der australischen Fluggesellschaft Quantas übernahm, die seine ständige Anwesenheit in New York verlangte.

Jimmy, durch seine Geburt in den Vereinigten Staaten Besitzer eines US-Passes, ging in Connecticut zur Schule, glänzte drei Jahre lang als Baseball-Werfer (das Äquivalent zu einer australischen Kricket-Karriere) und folgte dann dem Beispiel seines Vaters, indem er den blauen Rock der Navy anzog – in diesem Fall allerdings der amerikanischen. Er gehörte jetzt schon seit zehn Jahren dazu, doch erst vor wenigen Wochen hatte er dem schwermütigen Gesicht des NSA-Direktors, Admiral George Morris, ein Lächeln abringen können, als er ankündigte: »Heute ist der große Tag, Sir. Ich nehme Ihr Angebot an. Geben Sie mir zwei Stunden zum Packen.«

Ramshawe hörte sich zwar immer wie Banjo Patterson oder irgendein anderer aus der australischen Folkszene an, aber er war durch und durch Amerikaner. Admiral Morris schätzte ihn außerordentlich, genauso wie seine langjährige Freundschaft mit Ramshawe senior, dem ehemaligen Diplomaten und Seeoffizier. Das Problem war nur, dass der Admiral mit Verdacht auf Lungenkrebs in das Bethesda-Marinekrankenhaus eingeliefert worden war und sein Stellvertreter, Rear Admiral David Borden, ein distanzierter, eher förmlicher Zeitgenosse war, der keinen unmittelbaren Zugang zu den Gedankengängen des jungen Lieutenants besaß. Das konnte durchaus für beide zum Problem werden: für den gegenwärtigen Stelleninhaber, weil er einiges nicht verstehen würde, und für Jimmy, weil man ihm nicht mit der nötigen Sorgfalt zuhören würde.

Ramshawe starrte momentan also auf die zwei Botschaften, die vor ihm lagen, und ging das Problem an wie immer – sofort den schlimmstmöglichen Ernstfall anzunehmen. In diesem Fall: Irgendwelche fremden Spinner haben gerade einige Hundert Seeminen von den verdammten Russen gekauft, um diese Höllenhunde irgendwo auszulegen, wo sie ungestört sein wollen.

Lieutenant Ramshawe runzelte die Stirn. Es war unwahrscheinlich, dass die Russen die Minen selbst einsetzen wollten. Es gab da nichts zu verminen, und außerdem produzierten sie kaum noch Hardware für die Marine, es sei denn für den Export. Also, für wen zum Teufel haben sie die Dinger gemacht? Jimmy ging im Kopf rasch die Liste potenzieller Kunden durch. Für einen dieser verrückten Hunde in der Golfregion? Für Gaddhafi? Die Ajatollahs? Die Iraker? Keiner hatte wirklich einen Grund, obwohl die Iraner mehr als einmal mit einem Minenfeld gedroht hatten. Aber dann wäre die AN-124 in Richtung Süden geflogen, nicht nach Osten. Oder die Minen wären auf dem Landweg transportiert worden. China? Nein – die produzieren ihre eigenen Minen …, glaube ich zumindest. Nordkorea? Möglicherweise. Aber auch die stellen selbst welche her.

Lieutenant Ramshawe war davon überzeugt, dass das Puzzle eine eingehende Untersuchung verdiente. Er nahm die zwei Blätter an sich und murmelte vor sich hin: »Die Sache sollte ich lieber nicht verbocken. Wenn irgendwo im Fernen Osten oder sonst wo Schiffe in die Luft fliegen, werden wir nämlich dafür verantwortlich gemacht. Besonders, wenn es sich um unsere handelt. Dann wär die Kacke am Dampfen!« Er verließ den Computerplatz, strich sich sein ungebändigtes schwarzes Haar aus der Stirn und ging dann entschlossen aus der Informationsebene in die Chefetage.

Er studierte immer noch die Nachrichten, als er in den »heiligen Hallen« ankam, in denen einst Arnold Morgan selbst Chef gewesen war. Gedankenverloren durchquerte er sie, immer noch lesend, klopfte an die Tür zum Allerheiligsten, stieß sie auf und ging – wie er es immer tat – hinein. »Hallo, Herr Admiral«, sagte er, »hier gibt’s was, von dem ich glaube, wir sollten da mal genauer hinsehen.«

David Burden sah auf. Der Ausdruck seines Gesichtes spiegelte große Überraschung wider. »Lieutenant«, sagte er, »ich frage mich, ob es Ihnen möglich ist, mir auch nur ein Minimum an Höflichkeit entgegenzubringen, indem Sie anklopfen, bevor Sie mein Büro betreten.«

»Sir? Ich dachte, ich hätte das gerade gemacht.«

»Und dann vielleicht warten, bis ich Sie hereinbitte.«

»Sir? Es handelt sich hier nicht um einen Höflichkeitsbesuch. Ich habe hier eine verdammt dringende Sache, über die Sie meiner Meinung nach sofort informiert werden sollten.«

»Lieutenant Ramshawe, in der U.S. Navy werden immer noch gewisse Grundregeln der Etikette beachtet, auch wenn die in Ihrem Land längst aufgehoben sein mögen.«

»Sir, dies ist mein Land!«

»Natürlich. Aber Ihr Akzent klingt wie der keines anderen US-Offiziers, dem ich jemals begegnet bin.«

»Tja, dafür kann ich nichts. Aber da wir wichtige Zeit vergeuden und ich nicht möchte, dass Sie sich durch mich auf den Schlips getreten fühlen, gehe ich jetzt wieder raus, und wir fangen ganz von vorn an. Okay?« Bevor Rear Admiral Borden überhaupt reagieren konnte, war Jimmy Ramshawe schon hinausgegangen und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

Dann klopfte er, und der Direktor, der sich etwas dämlich vorkam, rief: »Kommen Sie rein, Lieutenant!«

»Himmel, ich bin froh, dass wir damit durch sind«, sagte Jimmy mit abgeklärtem Aussie-Grinsen. »Trotzdem: Tag, Herr Admiral. Ich habe hier etwas, von dem ich glaube, wir sollten es genauer unter die Lupe nehmen.«

Er überreichte die beiden Nachrichten, und David Borden sah sie sich an. »Ich sehe nichts, was hier anbrennen könnte«, sagte er. »Erst mal wissen wir überhaupt nicht, ob die Minen an Bord des russischen Flugzeugs waren. Und falls doch, haben wir nicht die geringste Vorstellung, wohin sie gehen könnten. Wo immer das auch sein mag, es braucht eine lange Zeit, sie zu entladen, zu transportieren und dann im Meer auszusetzen. Dann aber werden unsere Satelliten sie zur Kenntnis nehmen. Wenn ich Sie wäre, würde ich also keine weitere Zeit damit verschwenden.«

»Jetzt erst mal stopp, Sir! Wir haben hier vermutlich einige Hundert brandneuer Seeminen, die mit größter Wahrscheinlichkeit in den Bauch des gewaltigsten Frachtflugzeugs der Welt verstaut wurden und geradewegs nach Osten in Richtung China fliegen. Vielleicht auch Indien, vielleicht Pakistan, Nordkorea oder Indonesien. Brandneue Minen, speziell geordert und hergestellt. Und Sie meinen, wir sollten die verdammten Witzbolde, die sie gekauft haben, nicht aufspüren?«

»Genau, Lieutenant. Ich glaube, wir finden das früh genug raus, ohne unsere wertvollen Ressourcen und – vor allem – ohne Ihre Energie zu vergeuden.«

»Nun, wenn Sie meinen, Sir. Aber es ist nun mal ’ne Menge Sprengstoff und irgend so ’n Scheißkerl braucht ihn für einen ganz bestimmten Zweck. Ich glaube, Admiral Morris würde der Sache schon ganz gern nachgehen. Könnte die ›Große Nummer‹ im Weißen Haus ziemlich hellhörig machen.«

»Lieutenant, Admiral Morris ist momentan nicht im Dienst. Sie sollten also meiner Einschätzung der Lage vertrauen. Vergessen Sie die Minen. Die werden sich schon rechtzeitig an der Wasseroberfläche melden.«

»Hoffe nur, nicht zusammen mir einem Berg blutiger Schiffswracks. Das wär’s dann wohl.« Lieutenant Ramshawe grüßte knapp, drehte sich auf den Hacken um und ging hinaus, während er eine alte australische Redensart vor sich hin murmelte: »Eine Promenadenmischung verrät sich unter Rassehunden doch immer wieder.«

Abend Kommandozentrale, Große Halle des Volkes

Der riesige Bildschirm war jetzt ausgeschaltet. Die iranische Delegation fuhr entlang dem Jichang Lu in nordöstlicher Richtung zum Beijing International Airport. Admiral Zhang sprach mit Zu Jicai. Alle anderen waren bereits gegangen. Die beiden alten Freunde schlürften Tee, den Yushu eine der Wachen hatte aufbrühen lassen, weil sonst kein Personal in der Großen Halle anwesend war. Schmeckt wie ein Überbleibsel aus einer Thermoskanne von Maos Langem Marsch anno 1935, dachte er.

»Ich bin immer noch etwas verwundert, Yushu. Glauben Sie wirklich, in eine weltweite Ölkatastrophe verwickelt zu werden bringt uns Vorteile?«

»Ach, Jicai. Sie sind der ewige Taktiker, der ewige Stratege. Immer nur Schlachtenlenker. Sie sehen die Dinge immer deutlich vor sich – den unmittelbaren Zusammenstoß, das unmittelbare Nachbeben.«

»Nun, Sie nicht?«

»Als ich noch Oberbefehlshaber der Marine war, dachte ich üblicherweise auch so. Doch nun muss ich politisch denken, und das hat meine Sichtweise verändert. Ich versuche, das große Ganze zu sehen.«

»Ich glaube, mein lieber Yushu, Sie werden tatsächlich eine ganze Menge sehen, wenn erst einmal ein amerikanischer Tanker in der Straße von Hormus auf eine der russischen Minen läuft.«

Admiral Zhang lächelte, nippte an seinem Tee, verzog das Gesicht und sagte sehr sanft: »Was glauben Sie, haben die meinen Plan geschluckt? Wird Hossein uns die Zustimmung seiner Regierung signalisieren?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ihn akzeptiert haben. Sie können auf Menschen, die überzeugt werden wollen, sehr glaubwürdig wirken.«

»Das ist Teil meiner Strategie, Jicai. Ich weiß, dass tief in der Brust eines jeden iranischen Offiziers das Herz eines Revolutionärs schlägt. Oh ja, bei einer weltweiten Ölkrise würde ein Riesengewinn für sie herausspringen, das schon – aber in Wirklichkeit wollen sie nichts anderes, als einen vernichtenden Schlag gegen den ›Großen Satan‹ führen. Vor allem einen, der das Potenzial hat, Chaos in das alltägliche Leben der Amerikaner zu bringen.«

»Ich muss schon sagen, Sie haben sie voll und ganz durchschaut, Yushu, und Ihr Plan wird bestimmt aufgehen. Das Minenfeld wird gelegt werden. Ich fürchte mich nur vor den Konsequenzen. Die Amerikaner werden vermutlich mit Militäraktionen am Golf antworten, möglicherweise gegen unsere eigenen Kriegsschiffe. Und wahrscheinlich sind wir dort für sie kein ernsthafter Gegner.«

»Ganz wie ich Sie kenne, mein guter Jicai, besorgt wegen des unmittelbaren Zusammenpralls. Bald schon werde ich Ihnen jedoch die Augen öffnen. Noch ist aber nicht die Zeit dafür. Nicht bevor wir die endgültige Zustimmung der Iraner haben. Danach werde ich Ihnen alles enthüllen.«

»Ich sehe dem mit höchster Spannung entgegen, Yushu, aber nachdem wir jetzt schon fast zwölf Stunden in diesem Raum sind – ich glaube, wir sollten endlich essen gehen.«

Die zwei Männer fuhren mit dem Fahrstuhl auf die Zentralebene der Großen Halle, wo eine acht Mann starke Militäreskorte sie zum Hauptausgang begleitete, hinter dem der dunkle, bitterkalte Platz des Himmlischen Friedens lag. Ein langer schwarzer Mercedes erwartete sie dort bereits mit laufendem Motor. Die Eskorte verblieb in Habachtstellung, bis das Knirschen der Reifen auf dem frisch gefallenen Pulverschnee verklang. Der Wagen mit den zwei ranghohen Kommandeuren fuhr entlang der Westseite des Platzes in nördlicher Richtung zur Verbotenen Stadt, der alten Hüterin des Drachenthrons und in den Augen der meisten Westler noch immer das Symbol für Chinas Macht.

ENDE DER LESEPROBE

Die Originalausgabe THE SHARK MUTINY erschien bei Harper Collins Publishers Inc., New York

Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 02/2007 Copyright © 2001 by Patrick Robinson Copyright © 2002 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagillustration: © Martin Macrae/nb illustration Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

eISBN: 978-3-641-18402-5

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