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Ich, also Dr. med. Wolfgang Kanter, versuche Ihnen mein Problem zu erklären. Es wird nicht leicht zu erfassen sein, denn ich bin etwas Besonderes - wie jeder in Wirklichkeit etwas Besonderes ist. Bei mir ist es jedoch anders. Ich versuche perfekt zu sein, keine Fehler zu machen und ein vorbildlicher Kollege zu sein. Doch es gibt Situationen, da gelingt dies mir nicht wirklich. Ich muss mir herbe Kritik und Demütigungen anhören und könnte dann entweder augenblicklich aus der Situation verschwinden oder den Verursacher der Kritik und Demütigung töten. Letzteres passierte dann auch immer wieder. Ihr versteht es nur in Gänze, wenn ihr euch in mich hineinversetzt. Begleitet mich auf meine Rachetouren, welche meine Kränkungen kompensieren und meinen inneren Frieden wiederherstellen.
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Seitenzahl: 54
Veröffentlichungsjahr: 2021
Ich danke meiner Frau Daniela für die geduldige Unterstützung, die Motivation sowie die professionelle Durchsicht und Korrektur.
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Ich war eigentlich nie ein aggressiver Mensch, nur heute gingen mir die Autofahrer ziemlich auf die Nerven. Ok – vielleicht bin ich heute ein wenig gereizt, sozusagen die Vorfreude dessen, was ich für heute geplant habe, aber meine Lichthupe war noch nicht im Spiel des heutigen „Autobahn Grand-Prix“. PS-stärkere Fahrzeuge, welche mich in knappen Abständen überholten, lösten in mir ein zwiespältiges Gefühl aus. Zum einen sehe ich gerne hubraumkräftige schnelle Autos, zum anderen – und das Gefühl ist irgendwie neu in mir – brachte es mich zu sehr bösen Gedanken, wenn jemand schneller an mir vorbeifuhr. Ich stellte mir manchmal vor, wie der Fahrer oder die Fahrerin an einem LKW oder einem Baum zerschellte. Jetzt will ich mich aber nicht mehr von solchen trivialen Gegebenheiten ablenken lassen.
Jetzt ist es schon sechs Monate her. Ich ging nochmal alles durch. Um mein Vorhaben mit höchster Qualität abzuschließen, konzentrierte ich mich noch einmal, wie ich es auch in meinem beruflichen Alltag machen würde. Von den Symptomen über die Diagnostik zur Therapie. Um alles in Ruhe zum letzten Mal durchzudenken, fuhr ich auf einen Rastplatz und entspannte eine Weile. Ich nahm einige Schlucke Kaffee aus meiner Thermotasse und fing an, meinen inneren Film abzuspulen.
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Es fing alles an einem sonnigen Freitagmorgen an. Das ganze Ärzteteam war gut gelaunt – die meisten Kollegen hatten ja auch Wochenendfrei – und das Pflegeteam war ebenfalls fröhlich und sehr kooperativ. Unsere Ambulanz war voll. Es war gegen 11:00 Uhr, wir waren drei ärztliche Kollegen, um die Patienten im Tagesgeschäft abzuarbeiten.
Ich spielte gerade mit dem Gedanken, länger als ein halbes Jahr an diesem Ort zu arbeiten. Auch wenn es meine Planung in Sachen Freiheit und Ortsveränderung unter Umständen durchkreuzen würde. Ich hatte mir vorgenommen, etwa zehn Jahre an verschiedenen Orten ärztlich tätig zu sein, um dann – wenn es sich ergibt – an einem schönen Ort die letzten Berufsjahre zu verbringen. Mein Work-Life-Index war klar definiert. Arbeiten nur an Orten, an denen es sich – landschaftlich schön anzusehen – gut leben lässt.
Nachdem ich nach meiner Facharztprüfung als Chirurg und Notfallmediziner noch weitere acht Jahre als Oberarzt in einer süddeutschen Großstadt gearbeitet hatte, reichte es mir mit der Eintönigkeit und der gefühlten Abhängigkeit von egozentrischen Vorgesetzten und so machte ich mich als sogenannter ‚Free-Lancer’ auf den Weg, um an verschieden Orten eine Zeit lang zu arbeiten. Meine aktuelle Stelle war die eines normalen Facharztes in der Notaufnahme einer mittelgroßen Akutklinik in einer Kreisstadt im Schwarzwald. Da ich hier schon fünf Monate arbeitete und sämtliche Motorradstrecken der Region kannte, liebäugelte ich bereits mit einer Klinik am östlichen Ufer des Bodensees.
Nun wieder zurück in die Ambulanz. Ein Kollege bat mich in diesem Moment, einen Patienten zu übernehmen, welcher an seinem Arbeitsplatz plötzlich mit starken Bauchschmerzen zusammengebrochen sei und danach über einer Stunde mit Durchfall auf der Toilette gesessen habe. Ich holte ihn in eine Behandlungskabine und befragte ihn nach seinem medizinischen Problem. Währenddessen legte eine Krankenschwester einen venösen Zugang in den linken Arm des Patienten und leitete eine Infusion mit Natrium und Kalium ein. Ich bat noch um ein krampflösendes Mittel, welches ich dazu injizieren wollte. Der Patient maulte mich daraufhin in einem barschen Ton an, ob ich nicht wüsste, was zu tun sei und ob ich nicht erst einmal eine richtige Diagnostik betreiben wollte. In ruhigem Ton antwortete ich ihm, dass ich wüsste, was ich tat und es zunächst reichen sollte, erst einmal die Symptome zu lindern – zumal der Herr mir erzählte, dass er gestern Abend mit Freunden nach einem ausgedehnten Dinner in einer Cocktailbar gewesen sei und dort mehrere Longdrinks zu sich genommen habe.
Nach einer ausführlichen Anamnese – also das Abfragen von möglichen (Vor-)Erkrankungen – untersuchte ich den Patienten körperlich im Hinblick auf eine Lebensmittelvergiftung oder einen Magen-Darm-Infekt. Ein deutlicher Hinweis darauf waren die – schon ohne Stethoskop hörbaren – Darmgeräusche. Als ich dem Patienten meine Verdachtsdiagnose erklärte, wurde er noch unverschämter. Ich würde mich vertun. Dort, wo er regelmäßig essen und trinken ginge, sei ihm so etwas noch nie passiert und das, was ich sagte, alles Blödsinn wäre. Dann forderte er mich auf, dass ich ihn sofort für einen stationären Aufenthalt vorbereiten sollte. Als der unsympathische Herr – ich nenne ihn hier ‚Vollpfosten‘ – immer lauter wurde und mich immer weiter als unfähigen Arzt titulierte, wurde es mir zu bunt und ich wies ihn daraufhin an, dass die Behandlung hier beendet sei und er nach Hause gehen oder fahren solle. Ich sah keine medizinische Notwendigkeit, ihn in der Klinik zu behalten. Er machte auch keinen ausgetrockneten Eindruck, als ob er eventuell sehr viel Flüssigkeit verloren hätte. Ich hatte kein schlechtes Gewissen. So sagte ich ihm auch nochmals vehement, dass er die Ambulanz verlassen solle und ich mit seiner Art des kommunikativen Umganges nicht übereinkäme. Er brüllte noch einmal asozial laut um sich, dass er sich bei der Geschäfts- und Krankenhausführung über mich beschweren wolle und er noch nie so einen wortwörtlich ‚beschissenen‘ Arzt gesehen habe. Zum krönenden Abschluss schaute er mir ins Gesicht und sagte: „Und…man sieht sich immer zweimal im Leben!“ Jetzt hatte er mich getriggert. Ich sagte: „Garantiert!“ – damit war sein Todesurteil gefällt.
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Ich bereitete mich momentan auf dieser Raststätte also genüsslich auf meinen eigenen Auftrag vor. Während der Zeit, in der ich noch im Schwarzwald arbeitete, holte ich mir Informationen über diesen Patienten. In kurzer Zeit wusste ich nebst seiner Adresse, wo er arbeitete und wie und wo sein Alltag ablief. Ich wusste nach ein paar Tagen, wo er einkaufte, wo er ins Sportstudio ging und mit wem und wo er seine sehr unterdrückt wirkende Ehefrau betrog. Er ging immer montags, mittwochs und freitags zum Tennisspielen. Alle 14 Tage traf er sich allerdings mittwochs auf einem abgelegenen Parkplatz nahe dem Tennisplatz mit seiner Liebhaberin. Diese Frau und die Umstände herum waren mir komplett egal. Ich plante nur diesen Ort als Hinrichtungsstätte aufzusuchen. Ich wusste, dass der ‚Vollpfosten‘ immer ca. 15 Minuten vor seiner Liebhaberin vor Ort war. Dies war sein Schicksal.