Todtsteltzers Ehre - Simon R. Green - E-Book

Todtsteltzers Ehre E-Book

Simon R. Green

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Beschreibung

Nach seiner Rebellion gegen die Tyrannei der Kaiserin Löwenstein XIV ist Owen Todtsteltzer mehr als ein Held: Er ist eine Legende. Doch er und seine Freunde haben nicht viel Zeit, sich über ihren Sieg zu freuen. Erneut werden sie in einen erbitterten Konflikt verwickelt - diesmal um die Nachfolge der entthronten Herrscherin. Owen und seine Gefährtin Hazel versuchen, sich aus dem politischen Intrigenspiel herauszuhalten. Doch bald entdecken sie, dass der Menschheit sehr viel ernstere Probleme drohen. Denn der Krieg ist noch lange nicht vorbei - im Gegenteil: Er hat gerade erst begonnen ...

"Abenteuer, Raumschlachten, Heldentum und exotische Schauplätze - Green mischt alle Zutaten zu einer außergewöhnlichen Space Opera." (Booklist)

Simon R. Greens große SF-Serie um Owen Todtsteltzer, die ihm den Durchbruch brachte - jetzt endlich wieder erhältlich, erstmals als eBook!

Die Legende von Owen Todtsteltzer: 1. Der Eiserne Thron, 2. Die Rebellion, 3. Todtsteltzers Krieg, 4. Todtsteltzers Ehre, 5. Todtsteltzers Schicksal, 6. Todtsteltzers Erbe, 7. Todtsteltzers Rückkehr, 8. Todststeltzers Ende

Sowie die Romane aus dem Todtsteltzer-Universum (ab Herbst 2020):

Nebelwelt, Geisterwelt, Höllenwelt

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1078

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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Wenn letzten Endes alles andere scheitert, bleibt die Ehre.

KAPITEL 1: DAS HAUS DER GEBEINE

KAPITEL 2: EIN TAG WIE JEDER ANDERE IM PARLAMENT

KAPITEL 3:

SHUB

KAPITEL 4: WILLKOMMEN AUF NEUHADEN

KAPITEL 5: ALTER HASS UND NEUE RACHE

KAPITEL 6: DER STURM ZIEHT AUF

Weitere Titel des Autors

Die Legende von Owen Todtsteltzer:

Der Eiserne Thron

Die Rebellion

Todtsteltzers Krieg

Todtsteltzers Ehre

Todtsteltzers Schicksal

Über dieses Buch

Nach seiner Rebellion gegen die Tyrannei der Kaiserin Löwenstein XIV ist Owen Todtsteltzer mehr als ein Held: Er ist eine Legende. Doch er und seine Freunde haben nicht viel Zeit, sich über ihren Sieg zu freuen. Erneut werden sie in einen erbitterten Konflikt verwickelt – diesmal um die Nachfolge der entthronten Herrscherin. Owen und seine Gefährtin Hazel versuchen, sich aus dem politischen Intrigenspiel herauszuhalten. Doch bald entdecken sie, dass der Menschheit sehr viel ernstere Probleme drohen. Denn der Krieg ist noch lange nicht vorbei – im Gegenteil: Er hat gerade erst begonnen …

Über den Autor

Simon R. Green (*1955) kommt aus Bradford-on-Avon, England. Während seines Literatur- und Geschichtsstudiums an der Leicester University begann er mit dem Schreiben und veröffentlichte einige Kurzgeschichten. Doch erst 1988, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, verkaufte er seine ersten Romane. Seinen Durchbruch erlangte er Mitte der Neunziger mit der SF-Weltraumoper-Saga um Owen Todtstelzer: Eine Serie, die – wie er selbst sagt – irgendwie außer Kontrolle geraten ist, da er eigentlich nur drei Bücher schreiben wollte … Mittlerweile umfasst Simon R. Greens Werk weit über 40 Romane, das neben Science Fiction auch verschiedene Subgenres der Fantasy von Dark bis Funny, von High bis Urban abdeckt.

Simon R. Green

Todtsteltzers Ehre

Deathstalker – Buch 4

Aus dem Englischen von Thomas Schichtel

Science Fiction

beBEYOND

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1998 by Simon R. Green

Titel der englischen Originalausgabe: »Deathstalker Honor«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Todtsteltzers Ehre. Über das abentheuerliche Leben des Owen Todtsteltzer. Der Legende vierter Theil.«

Textredaktion: Uwe Voehl / Stefan Bauer

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler, Leipzig

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-7524-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Wenn letzten Endes alles andere scheitert, bleibt die Ehre.

Sie waren schließlich offizielle Helden der großen Rebellion:

Owen Todtsteltzer, ausgestoßener Aristokrat und widerstrebender Krieger.

Hazel D’Ark, Ex-Klonpascherin und Ex-Piratin.

Jakob Ohnesorg, der legendäre Berufsrevolutionär.

Ruby Reise, die berüchtigte Kopfgeldjägerin.

Gemeinsam kämpften sie im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit gegen unmögliche Widerstände an und triumphierten ein ums andere Mal. Sie stellten eine Armee der Kühnen und Tapferen auf, der Geknechteten und Verzweifelten, und führten sie zum Sieg. Und im großen Stahl- und Messingpalast der Heimatwelt Golgatha stürzten sie die Imperatorin Löwenstein XIV und vernichteten endgültig den Eisernen Thron des Imperiums.

Sie hätten gefeiert und geehrt werden und auf allen Planeten höchste Ehrungen erfahren sollen.

Sie hätten glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben sollen.

Leider ist das Leben nicht so.

KAPITEL 1

DAS HAUS DER GEBEINE

An Bord der guten Sonnenschreiter II:

»Kopfgeldjäger!«, sagte Hazel D’Ark angewidert. »Nach allem, was wir geleistet haben, was wir durchgemacht haben, sind wir letztlich nichts weiter geworden als bessere Kopfgeldjäger!«

»Immer noch besser als das, was wir bislang getan haben«, versetzte Owen sanft. Der hochgewachsene und langgliedrige Mann mit dem dunklen Haar und den noch dunkleren Augen lümmelte schlaff im bequemsten Sessel des Salons. »Die Jagd auf Kriegsverbrecher ist eine wichtige Aufgabe. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich finde es viel nervenschonender, der Jäger zu sein als der Gejagte. Obendrein müsste es für Euch mal eine nette Abwechslung bedeuten, auf der Seite des Gesetzes zu stehen.«

»Es geht ums Prinzip!«, schnauzte Hazel. »Wir waren schließlich wer! Wir haben Armeen geführt! Wir haben das Imperium gestürzt! Haben immer wieder riskiert, dass uns jemand die Ärsche wegballert, und trotzdem finden wir uns wieder, wie wir für das Parlament die Drecksarbeit tun. Am liebsten würde ich kotzen.«

Owen sah sich für einen Moment aus dem Konzept gebracht. Eigentlich hätte er gutes Geld darauf verwettet, dass Hazel ein Prinzip nie als solches erkannt hätte, selbst wenn sie auf dem Rückweg von der Toilette darüber stolperte. Er raffte sich jedoch tapfer auf und beendete die Diskussion mit einem treffenden, wenn auch nicht gänzlich taktvollen Einwurf.

»Wenn ich mich recht entsinne, war das ohnehin alles Eure Idee.«

Hazel bedachte ihn mit einem finsteren Blick und wandte sich ab, um das nächste Schott anzufunkeln. Sie hatte wieder eine ihrer Launen und war nicht bereit, sich von simpler Logik umstimmen zu lassen. Owen seufzte, besaß jedoch ausreichend gesunden Menschenverstand, es ganz leise zu tun. Um die Wahrheit zu sagen: Auch er empfand es als eine Art Abstieg, jetzt als Kopfgeldjäger loszuziehen, aber alle Alternativen wären schlimmer ausgefallen. Während er noch in der Rebellion kämpfte, hatte er nie richtig darüber nachgedacht, was er mal tun wollte, wenn es vorbei war. Vor allem deshalb nicht, weil er die meiste Zeit zu sehr damit beschäftigt war, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber auch, weil er nie ernsthaft damit gerechnet hatte, noch in seiner Lebenszeit das Ende der Rebellion zu erleben. Die meisten Leute, die sich zum Widerstand aufrafften gegen Imperatorin Löwenstein XIV, auch die Eiserne Hexe genannt, landeten frühzeitig im Grab. Oft mit fehlenden Körperteilen. Aber schließlich hatte sich in Owens Leben noch nie etwas so entwickelt, wie er es erwartet hatte.

Wenn er zurückblickte, so schien er die meiste Zeit seines Lebens von einer Krise in die nächste gestolpert zu sein, oft mehr von den Umständen getrieben als aufgrund eigener Pläne und Wünsche handelnd. Überall um ihn herum spannen Intriganten und Verschwörer ihre Netze, von denen er meist nicht mehr mitbekam als den Schatten, den sie beiläufig auf sein Leben warfen. Und letztlich fand er, dass es trotz seiner Absichten und seiner kühnen Gefährten und der geheimnisvollen Kräfte, die ihm das Labyrinth des Wahnsinns verliehen hatte, die eigene schiere Sturheit gewesen war, die ihn gegen den Eisernen Thron geführt hatte, und die Weigerung, sich ungünstigen Chancen zu beugen, die einen Mann mit mehr Vernunft abgeschreckt hätten.

Er war zum Helden und zum Retter der Menschheit geworden, und niemanden hatte das mehr überrascht als ihn selbst.

Er hatte erwartet zu scheitern. Zu sterben, und zwar qualvoll. Stattdessen stürzte er ein Imperium, das über ein Jahrtausend Bestand gehabt hatte, setzte die Herrscherin ab, vernichtete ihren Thron und erlebte das Ende praktisch jeder sozialen und politischen Struktur mit, an die er glaubte. Und damit begannen die Probleme erst richtig.

Löwensteins Leichnam war noch nicht erkaltet, als schon die Geier herabstießen. Noch während die letzten Gefechte tobten, setzte zwischen den diversen Gruppierungen der Rebellen ein heftiger Streit darüber ein, was genau an die Stelle des alten Systems treten sollte. Selbst die wenigen, die am Ende persönlich beteiligt waren, konnten zu keiner Übereinkunft gelangen. Owen hätte am liebsten gehabt, dass die Dinge weitgehend so blieben wie bisher, dass nur ein paar politische Reformen durchgeführt und ein paar Ungerechtigkeiten bestraft wurden. Hazel hätte am liebsten das ganze System niedergerissen und die Familien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor das Kriegsgericht gebracht. Jakob Ohnesorg beharrte auf Demokratie für alle, einschließlich aller Klone und Esper und sonstiger Unpersonen. Ruby Reise wollte die Beute sehen, die man ihr versprochen hatte.

Bald schlossen sich ihnen bei Hofe Vertreter der Klon- und Esper-Bewegung an sowie politischer Randgruppen aller Formen und Schattierungen und mehr religiöser Gruppierungen, als man überhaupt zählen konnte. Alle erpicht darauf, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Zum Glück waren alle zu müde, um sofort einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen. Der Streit entwickelte sich zu einer Sackgasse, und alle stampften in unterschiedliche Richtungen auseinander, um neue Pläne und Intrigen zu schmieden. Im Moment besorgte das Parlament die Alltagsgeschäfte des Imperiums, weil das ja irgendjemand tun musste, und die Abgeordneten hatten wenigstens Erfahrung auf diesem Gebiet. Niemand traute ihnen auch nur so weit, wie er spucken konnte, aber das wiederum war nichts Neues.

Männer und Frauen, die einmal miteinander verbündet gewesen waren, darauf eingeschworen, sich bis in den Tod und darüber hinaus zu verteidigen, bekämpften einander nun heftig über dogmatische Punkte und Fragen der Vorrangstellung. Owen vermutete, dass ihn das nicht hätte überraschen dürfen. Er war schließlich Historiker. Alles, was die diversen Rebellengruppen gemein gehabt hatten, war ein gemeinsamer Feind. Und obwohl sie alle mit Begriffen wie Gerechtigkeit und Freiheit um sich warfen, bedeuteten sie für unterschiedliche Leute auch Verschiedenes.

Und dann war da noch das Abkommen, das Ohnesorg inmitten des verzweifeltsten Kampfes geschlossen hatte – nämlich die aristokratischen Familien zwar abzusetzen, aber nicht zu vernichten. Als sich die großen Häuser mit einer zunehmend siegreichen Armee konfrontiert sahen, die nach ihrem kollektiven Blut schrie, schlossen sie sich zusammen und boten an, auf Macht und Privilegien zu verzichten, falls man ihnen dafür erlaubte, als rein ökonomische Mächte zu überleben. Das war das Zuckerbrot. Die Peitsche bestand in ihrer Drohung, die wirtschaftliche Basis des ganzen Imperiums zu zerstören und jede zivilisierte Welt in die Barbarei zurückzuschleudern. Niemand bezweifelte, dass sie dazu fähig waren. Und so traf Ohnesorg das Abkommen, um Milliarden das Leben zu retten, aber niemand dankte ihm dafür. Der Mann auf der Straße sah sich um seine Rache betrogen; die Rebellen warfen ihrem geliebten Helden vor, er hätte seine politischen Überzeugungen verkauft; und die Familien hassten ihn, weil sie ihren hochgeschätzten Adelsstand verloren hatten. Ohnesorg musste eine Sekretärin einstellen, nur um sich um die Hassbriefe und Morddrohungen zu kümmern.

Und als wäre die Lage noch nicht kompliziert genug gewesen, tauchte der Schwarze Block aus den Schatten auf, um die Familien zu einigen und zu beherrschen und alle anderen zu Tode zu erschrecken. Der Schwarze Block war die Geheimwaffe der Familien, ein Mittel der letzten Verteidigung gegen die Imperatorin, sollte sie je die Macht und den Status der Clans ernsthaft bedrohen. Die jüngsten Söhne und Töchter aller Häuser wurden dem Schwarzen Block übergeben, ausgebildet und dazu konditioniert, den Familien bis in den Tod loyal zu bleiben. Leider stellte sich heraus, dass der Schwarze Block ganz eigene Pläne hatte.

In verborgenen Schulen lehrten gesichts- und namenlose Ausbilder die jüngeren Söhne und Töchter, von denen ohnehin niemand Titel oder Reichtum geerbt hätte, dass die Familien als Klasse viel wichtiger waren als jedes einzelne Haus. Und dass die Loyalität zum Schwarzen Block demzufolge schwerer wog als die Loyalität zu einem einzelnen Clan. Sie lehrten ihre Schützlinge auch andere Dinge, manche davon unbeschreiblich, aber das blieb weiterhin geheim. Zunächst.

Sie waren es gewesen, die Jakob Ohnesorg das Abkommen vorgeschlagen hatten, und jetzt, wo sie ohne zu blinzeln ins grelle Licht der Öffentlichkeit getreten waren, bildeten sie auch die Gruppierung, die das Abkommen durchsetzte. Die Clans sahen, was sie ahnungslos geschaffen hatten, und fürchteten sich. Und so beugten sich alle dem Schwarzen Block und behielten ihre Wut und ihre Pläne für eine blutige Vergeltung für sich.

Owen, Hazel, Jakob und Ruby waren sich einig in ihrem Entsetzen über die Büchse der Pandora, die sie da geöffnet und deren Füllung aus Problemen sie freigesetzt hatten. Allerdings konnten sie sich nicht entscheiden, was sie in dieser Hinsicht unternehmen sollten. Ohnesorg eilte von einer Konferenz zur nächsten, verzweifelt bemüht, die Lage unter Kontrolle zu halten. Dabei half ihm, dass die meisten Leute wenigstens bereit waren, ihm zuzuhören. Alle respektierten den legendären Jakob Ohnesorg. Selbst wenn sie ihn inbrünstig hassten. Seine restliche Zeit verwandte er darauf, genau die Streitkräfte wieder aufzubauen, gegen die er bis vor kurzem gekämpft hatte. Schließlich wollte er auf Angriffe durch die zahlreichen Feinde des Imperiums vorbereitet sein. Die abtrünnigen KIs von Shub, die wiedergeborenen Hadenmänner und potentiell gefährliche Fremdwesen ohne Zahl waren allesamt durchaus fähig, ein Imperium anzugreifen, das durch interne Zerwürfnisse abgelenkt wurde.

Ruby Reise nutzte derweil jede Gelegenheit, alle auszuplündern, die schwächer waren als sie, darunter etliche Konzerne. Auch verlor sie keine Zeit dabei, es sich in der Art Luxus gemütlich zu machen, an die sie sich schon immer hatte gewöhnen wollen. An Politik war sie nicht interessiert. Falls man etwas nicht angreifen oder ausplündern konnte, wusste Ruby meist nicht weiter. Also hielt sie sich aus den laufenden Verhandlungen heraus, und alle Welt seufzte tief erleichtert.

Und Owen und Hazel waren Kopfgeldjäger geworden und machten Jagd auf geflohene Kriegsverbrecher. Offiziell hieß es, sie sollten die Schurken zurückbringen, um ihnen öffentlich den Prozess zu machen, aber insgeheim stimmten alle Seiten darin überein, dass es besser wäre, wenn bestimmte Parteien auf der Flucht erschossen wurden. Owen und Hazel nickten ernst, als man ihnen das erklärte, und entschieden dann, dass sie sich eine eigene Meinung zu dem Thema bilden würden, sobald es nötig wurde. Sollte es jemals Hoffnung geben, dass die neue Ordnung, an der Jakob gerade arbeitete, irgendeine Form von Stabilität aufwies, dann mussten die wirklich üblen Gesellen bestraft werden, und zwar öffentlich. Leute wie Valentin Wolf zum Beispiel, die verachtete rechte Hand der Imperatorin und Schlächter von Virimonde. Man konnte nicht irgendeine beliebige Person hinter einem so gefährlichen und verschlagenen Schurken wie dem Wolf herschicken, also kamen an diesem Punkt Owen Todtsteltzer und Hazel D’Ark ins Spiel. Schließlich waren sie die gefährlichsten Menschen, die man im Imperium je erlebt hatte.

Dabei hatte sich Owen nie etwas sehnlicher gewünscht, als wieder sein früheres Leben führen zu können, aber fast von dem Augenblick an, als die Rebellion offiziell für siegreich erklärt wurde, schien ihm, dass Krethi und Plethi sich darum stritten, ein Stück von dem legendären Helden Todtsteltzer zu ergattern. Jede politische Partei wollte ihn als Galionsfigur haben. Vertreter sämtlicher Anliegen wollten seinen Namen und sein Schwert in den Dienst ihrer Sache stellen. Manchmal kam es vor seiner Tür zu Duellen, um zu klären, wer ihn zuerst sprechen durfte.

Dazu kamen noch die Holonachrichtensender, die endlose Interviews führen wollten, und Agenten, erpicht auf die Exklusivrechte an seiner Lebensgeschichte. Alle verlangten nach Bildern und Zitaten und Antworten auf zunehmend persönliche Fragen. Ganz zu schweigen von Produktempfehlungen und Buchverträgen und Vermarktungsrechten. Verdammt, ein Unternehmen wollte sogar eine Reihe von Action-Figuren auflegen, die auf ihm und Hazel und Jakob und Ruby beruhten. Owen wünschte jedoch nur, seinen Frieden zu haben, und tat dies immer lauter kund, ohne dass jemand zugehört hätte. Und so flüchtete er schließlich mit der Sonnenschreiter II von Golgatha und stürzte sich in etwas, was sich als der erste von vielen Einsätzen als besserer Kopfgeldjäger entpuppte, bevollmächtigt und bezahlt vom Parlament, um die gefährlicheren Schwierigkeiten des Imperiums zu beseitigen.

Hazel begleitete ihn. Sie sagte, sie täte es nur, um ein wenig Abenteuer zu erleben und nicht zu verweichlichen, aber Owen dachte sich gern, dass sie sich nur zu Tode langweilte, wenn sie keinen Feind zu bekämpfen hatte. Obwohl man ins Feld führen musste, dass sie nie jemand gewesen war, der es schätzte, herumzusitzen und über die Lilien auf der Wiese zu sinnieren, und sie war gerade deshalb zur Gesetzlosen geworden, um kein friedliches und produktives Leben führen zu müssen. Sie konnte sich nicht mal mehr betrinken und Kneipenschlägereien anzetteln. Alle Welt wusste, wer sie war, und hatte eine Mordsangst, irgendetwas zu sagen, was sie vielleicht erzürnte. Als Ohnesorg ihr also den Auftrag anbot, flüchtige Kriegsverbrecher aufzuspüren und womöglich auch zu exekutieren, überlegte sie nicht zweimal und ging ohne Verzug daran, Owen zu überreden, er möge sich ihr anschließen. Auch wenn sie sich an den umgekehrten Vorgang zu erinnern schien. Aber andererseits war Hazel nun mal so. Nichts machte sie glücklicher, als jemand anderem die Schuld geben zu können.

»Wir sind gerade über Virimonde aus dem Hyperraum gefallen«, flüsterte die KI Ozymandius Owen ins Ohr. »Zurzeit halte ich eine hohe Umlaufbahn und sämtliche Schilde aufrecht. Ich weiß wirklich nicht, warum du hierher zurückkehren wolltest, Owen. Ich meine, es ist ja nicht so, dass du hier noch irgendwelche Freunde hättest. Tatsächlich muss ich sogar feststellen, dass die Gefahr für uns, mit Löchern durchsiebt zu enden, mit jeder Sekunde geometrisch zunimmt, die wir dumm genug sind, hier zu verweilen.«

»Nörgel nörgel nörgel«, wisperte Owen lautlos, damit Hazel es nicht hörte. Sie wäre nicht damit einverstanden gewesen, dass er mit einer KI sprach, die eigentlich tot sein sollte und die niemand sonst verstehen konnte. »Du möchtest nie irgendwohin, wo man Spaß hat, Oz. Hier ist jedoch unsere gegenwärtige Beute an Land gegangen, also ist es auch unser Ziel. Genau in diesem Augenblick hält sich Valentin Wolf irgendwo dort unten auf, gemeinsam mit gewissen aristokratischen Kumpanen; jeden einzelnen davon sähen die gegenwärtigen Behörden liebend gern auf der Anklagebank oder am Strick baumelnd. Vorzugsweise beides. Außerdem ... Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages nach Virimonde heimkehren würde.«

Früher einmal war Owen Todtsteltzer Lord des ganzen Planeten Virimonde gewesen. Dann hatte ihn die Imperatorin Löwenstein zum Gesetzlosen erklärt und ihm alles genommen. Die eigenen Sicherheitsleute versuchten ihn daraufhin umzubringen, um das Kopfgeld einzustreichen, und er musste durch Flucht sein Leben retten. Es wurde knapp. Genau im richtigen Moment tauchte jedoch Hazel auf, um ihm den aristokratischen Hintern zu retten. Sie wurde später nie müde, ihn daran zu erinnern. Beide blieben fortan zusammen. Er verliebte sich in sie. Bis heute wusste er nicht recht, welche Gefühle sie für ihn hegte. Sein Vetter David wurde in seiner Abwesenheit zum Lord berufen, starb aber wenig später bei dem Versuch, den Planeten gegen Löwensteins Truppen zu verteidigen, die unter dem Befehl Valentin Wolfs standen. Der Wolf führte Aufsicht über die Ermordung Millionen schutzloser Menschen und die völlige Zerstörung dessen, was einmal ein echtes ländliches Paradies gewesen war.

Und jetzt war Valentin zurückgekehrt, wie ein Verbrecher, der sich wieder am Tatort einfand, oder ein Hund, der an den eigenen Exkrementen schnüffelte. Auch Owen war erneut hier, um den Zerstörer Virimondes einer verspäteten Gerechtigkeit zuzuführen. Auf die eine oder andere Art.

Er seufzte leise vor sich hin. Auf all seinen Wanderungen als Rebell hatte er sich immer an die heimliche Hoffnung geklammert, er könnte eines Tages heimkehren und sein altes Leben als kleiner Historiker wieder aufnehmen, der für niemanden außer sich selbst von wirklicher Bedeutung war. Er hatte sich jedoch so stark verändert und in so vieler Hinsicht, dass er sich selbst nicht mehr recht wiedererkannte. Und wenn man die Berichte von der völligen Verwüstung bedachte, die ihn dort unten erwartete, war er sich nicht mal sicher, ob überhaupt noch ein Zuhause vorhanden war, in das er zurückkehren konnte.

»Führe eine Sensormessung durch«, wies er die KI lautlos an. »Suche meine alte Burg und sieh mal nach, mit welchen Mitteln sie geschützt ist.«

»Bin dir wie üblich weit voraus«, schniefte die KI. »Eine Armee von recht ansehnlicher Größe lagert rings um die Burg. Schenkt man den Funksprüchen Glauben, die ich abhöre, wird die Festung gerade von Valentin und seinen Kumpanen bewohnt. Typisch. Nur das Beste für den lieben Valentin. Und den Informationen zufolge, die wir vor dem Aufbruch von Golgatha erhielten und auf die du sicher nicht mal einen Blick geworfen hast – da wette ich gutes Geld drauf –, ist dort unten auch eine höllische Menge wissenschaftlicher Ausrüstung vorhanden, ebenso die Wissenschaftler, die sie bedienen. Obwohl scheinbar niemand weiß, was oder wozu.«

»Werd nicht hochnäsig, Oz. Sag mir einfach, was ich wissen muss.«

»Tyrann.«

Owen hatte keine rechte Vorstellung davon, woran er bei Oz war. Der ursprüngliche Ozymandius war die Familien-KI gewesen, die Owens verstorbener Vater an ihn vererbt hatte. Es stellte sich heraus, dass sie versteckte imperiale Programme enthielt und für Löwenstein spionierte. Schließlich griff sie sogar Owen an und versuchte, ihn mit Kontrollwörtern zu versklaven, die sie in seinem Unterbewusstsein implantiert hatte. Owen war nichts anderes übriggeblieben, als seine Labyrinthkräfte einzusetzen, um die KI zu vernichten. Nur dass Oz irgendwann später zurückkehrte. Oder eine Stimme in seinem Kopf, die nur er hören konnte und die behauptete, sie wäre die KI Ozymandius. Sicherlich war sie genauso kenntnisreich und provokant wie das Original. Owen akzeptierte diese Situation zunächst und gedachte dabei zu bleiben, solange sich die KI als nützlich erwies. Und weil er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er die Stimme wieder loswerden sollte.

Außerdem vermisste er Oz.

»Soll ich jetzt den Anflug einleiten oder nicht?«, fragte Oz forsch. »Wir sind umfassend getarnt, aber niemand weiß, wie lange selbst Schilde der Hadenmänner den Sicherheitssystemen standhalten, die Valentin dort installiert hat. Das, was früher normale Satelliten zur Wettersteuerung waren, ist mit echt heftigen Sensoren aufgebessert worden und dazu mit stärkerer Bewaffnung als der durchschnittliche Flottenkreuzer. Wenn der Wolf ›Bitte nicht stören‹ sagt, meint er es ernst.«

»Bleib im Orbit«, sagte Owen nachdrücklich. »Ich möchte erst eine wirklich gute Vorstellung von dem haben, was mich auf dem Planeten erwartet, ehe ich mich auf eine Landung festlege. Setze die Sensoren auf das Gebiet um die Burg an, in einem Radius von fünfzehn Kilometern, und gib die Lage der örtlichen Bevölkerung durch.«

»Owen ... Das habe ich schon getan. Eine örtliche Bevölkerung gibt es nicht mehr.«

»Was?«

»Ich habe die Umgebung sondiert, so weit meine Sensoren reichen. Auf Hunderte von Kilometern gibt es keine lebende Seele mehr. Es tut mir leid, Owen.«

Owen schüttelte langsam den Kopf. Er hatte die Meldungen über die Zerstörung Virimondes durch Valentin gelesen, hatte sich Tobias Shrecks Filmaufnahmen davon und Interviews mit den wenigen Überlebenden angesehen, die sich vom Planeten hatten retten können, hatte aber stets vermutet, dass es Übertreibungen waren. Niemand konnte nur zum Spaß anordnen, die Bevölkerung eines ganzen Planeten zu ermorden. Nicht einmal Valentin Wolf. Tief im Herzen hatte sich ein Teil Owens verzweifelt danach gesehnt, nach Hause zurückzukehren, umjubelt von seinem Volk, das voller Freude war, den rechtmäßigen Lord endlich wiederzuhaben. Er hatte sich gewünscht, sich dafür zu entschuldigen, dass er nicht zugegen gewesen war, um die Menschen zu beschützen. Hatte ihnen versprechen wollen, dass jetzt, wo er wieder daheim war, alles anders werden würde. Er würde für ihre Sicherheit sorgen, sie beschützen, jedes Ungemach von ihnen wenden. Niemand würde ihnen je wieder weh tun, nur weil er sich gerade andernorts als Held der Rebellion herumtrieb. Er hatte so viel sagen wollen und müssen. Er hatte nicht glauben wollen, dass sein ganzes Volk tot war.

»Was ist los?«, erkundigte sich Hazel. »Gibt es ein Problem?«

»Nein«, sagte Owen. »Ich habe nur nachgedacht. Darüber, wie es früher hier ausgesehen hat.«

»Tu das nicht«, sagte Hazel. »Das war schon immer dein Problem, Todtsteltzer. Dass du in der Vergangenheit lebst.«

»Ich kenne mich aus mit der Vergangenheit«, versetzte Owen. »Damals ging es einfacher zu. Ich kannte meine Welt und mein Imperium und meinen Platz darin. Oder glaubte es zu tun. Inzwischen habe ich erlebt, wie alles zerstört wurde, woran ich je glaubte, habe alles verloren, woraus ich mir je etwas machte. Und jetzt stelle ich fest, dass mir die Heimkehr versagt bleibt. Weil Valentin Wolf alles niedergebrannt und auf die Asche gepinkelt hat. Virimonde ist tot.«

»Das wissen wir erst sicher, wenn wir gelandet sind und selbst nachgeschaut haben«, sagte Hazel. »Berichte können übertrieben ausfallen; Sensoren kann man falsch deuten. Es ist ein großer Planet, Owen. Valentin kann nicht jeden umgebracht haben.«

»Und falls doch? Falls er alles getan hat, was ihm nachgesagt wird?«

»Dann schneiden wir ihm das schwarze Herz heraus, werfen es auf den Boden und trampeln darauf herum. Und das Gleiche tun wir mit allen, die ihm geholfen haben.«

Owen musste leise lächeln. »Das Leben war für Euch immer so einfach, nicht wahr, Hazel? Die Guten und die Bösen und eine direkte, kraftvolle Lösung für jedes Problem. Aber Ihr habt ja den Mann bei der Einsatzbesprechung gehört. Immer noch gibt es Mächtige, die wollen, dass Valentin für einen Schauprozess lebend zurückgebracht wird. Wenn auch nur, um für ein kleines Vermögen die Holorechte zu verhökern.«

»Ich halte mich über alles auf dem Laufenden«, entgegnete Hazel. »Und ich wette, dass ich für jede Gruppierung, die den Wolf lebend haben möchte, zehn andere nennen kann, die ihn viel lieber von Fliegen umschwärmt heimkehren sehen würden. Nicht zuletzt die Klon- und Esper-Bewegungen. Sollte je durchsickern, dass Valentin Wolf einmal aktiver Mitarbeiter und Förderer der Untergrundbewegungen gewesen ist, verlieren sie auch noch das wenige, was sie an öffentlicher Unterstützung und Popularität genießen. Und um dem Fass die Krone aufzusetzen, findet man jede Menge Leute, die früher zweifelhafte Geschäfte mit ihm getätigt haben und nicht möchten, dass das jetzt herauskommt, wo sie sich als treuherzige Förderer der Rebellion neu herausgeputzt haben.«

»Und genau deshalb werden wir den Mistkerl lebend zurückbringen«, sagte Owen in entschiedenem Ton. »Nicht unbedingt in einem Stück, aber definitiv lebendig. Ich bin niemandes Marionette, auch nicht die irgendeiner Organisation. Ich muss deutlich machen, dass mich niemand unter Druck setzen kann. Und ich werde ihn nicht einfach nur deshalb umbringen, weil ich es möchte.«

»Du und dein verdammtes Gewissen«, sagte Hazel. »In Ordnung, wir versuchen also, ihn lebend festzunehmen. Was ist mit seinen Gefolgsleuten?«

»Meinetwegen massakriert ruhig den ganzen Haufen.«

»Das lässt sich schon eher hören!«, meinte Hazel.

Owen lehnte sich zurück, verschränkte die Hände und starrte nachdenklich darauf. »Er war nicht immer ein Monster, wisst Ihr? Valentin. Als Kinder haben wir uns gekannt, in denselben Kreisen verkehrt, dieselben Parties besucht. Er kam mir damals ... ganz normal vor. Nichts Ungewöhnliches. Keine Spur von dem Psychopathen, zu dem er mal werden sollte. Nur ein Junge wie alle anderen, vielleicht ein bisschen ruhiger als die meisten. Mir sehr ähnlich. Wir waren nie richtige Freunde, aber ich kann mich an schöne Zeiten erinnern, die wir gemeinsam verlebten. Dann sind wir unterschiedlicher Wege gegangen, um als Wolf und als Todtsteltzer ausgebildet zu werden, und ich habe ihn jahrelang nicht wiedergesehen. Und manchmal ertappe ich mich bei der Frage, wie zwei einander so ähnliche Kinder zu so verschiedenen Erwachsenen werden konnten.«

»Leute verändern sich nun mal«, gab Hazel zu bedenken. »Ob sie es wollen oder nicht. Das Leben schreibt unseren Text, und wir erhalten nur hin und wieder Gelegenheit, improvisierte Zeilen einzubauen.«

Owen sah sie an. »Aber Hazel, das war ja beinahe tiefsinnig.«

»Sprich nicht von oben herab mit mir, Todtsteltzer. Ich habe einen Verstand. Ich habe das eine oder andere Buch gelesen. Wenn ich nichts anderes zu tun hatte. Ich wollte nur sagen, dass das Universum uns verändert, selbst während wir dabei sind, das Universum zu verändern. Sieh dich mal an: Du bist nicht der Mensch, der du früher warst, nicht mal der von vor wenigen Jahren. Gott sei Dank. Der Owen Todtsteltzer, den ich dort unten vor dem sicheren Tod gerettet habe, unterscheidet sich erheblich von dem offiziellen Helden, der ein Imperium gestürzt hat.«

»Ich weiß«, sagte Owen. »Genau das ist es, was mir Kummer macht.«

»Gräme dich nicht darüber«, empfahl ihm Hazel. »Er war wirklich ein hochnäsiger kleiner Schnösel.«

Owen zog eine Braue hoch. »Warum seid Ihr dann bei ihm geblieben?«

Hazel lächelte. »Ich glaubte, gute Anlagen in ihm zu entdecken.«

Owens Mundwinkel zuckten. »Ich hatte ähnliche Gedanken, was Euch angeht.« Und er runzelte erneut die Stirn.

»Ach verdammt, Owen, was ist denn jetzt? Ich schwöre, dass du mehr Möglichkeiten hast als jeder andere, dich selbst zu deprimieren.«

»Ich musste nur an Finlay Feldglöck denken. Wir hätten ihn zu dieser Fahrt mitnehmen sollen.«

»Darüber haben wir uns doch schon unterhalten, Owen. Er ist ein Besessener. Er hat geschworen, an Valentin Rache zu nehmen. Hat beim eigenen Blut und der eigenen Ehre den Eid abgelegt, ihn umzubringen. Falls wir uns dort unten Möglichkeiten offenhalten möchten, können wir uns nicht leisten, den Feldglöck irgendwo in der Nähe zu haben. Er war schon immer ... unberechenbar. Man hat versucht, ihn als Kopfgeldjäger einzusetzen, aber er hat die Leute immer nur tot zurückgebracht. Manchmal in Einzelteilen. Zuletzt habe ich gehört, dass seine Freundin Evangeline Shreck versuchte, sein Interesse an der Politik zu wecken. Gott stehe dem Parlament bei, mehr fällt mir dazu nicht ein.«

»Er hat an unserer Seite gekämpft. Er war ein Held der Rebellion, genau wie wir. Und Valentin hat seine ganze Familie ausgelöscht. Für mein Gefühl ist es nicht richtig, ihn aus dieser Sache auszuschließen.«

»Owen, wir kennen den Mann kaum. Du bist es doch, der Valentin lebendig zurückbringen möchte. Wäre der Feldglöck dabei ...«

»Ja, ich weiß. Aber falls wir Geheimnisse haben vor Leuten, die angeblich unsere Kameraden sind, was enthalten sie dann uns vor?«

»Ach verdammt«, sagte Hazel geringschätzig, »jeder hat Geheimnisse.«

Wie sich das anhörte, bemerkte sie erst, als die Worte heraus waren, und sie hielt für einen Moment die Luft an, bis Owen brummte und sich abwandte, um die Sensorenergebnisse auf dem Hauptbildschirm zu studieren. Hazel ließ die Luft langsam heraus, damit Owen es nicht hörte, und versuchte sich zu entspannen. Selbst heute noch enthielt sie ihm das eine oder andere vor, teils, weil sie ihn nicht aufregen wollte, teils, weil sie nach wie vor an das Prinzip glaubte, die eigenen Angelegenheiten für sich zu behalten. Seit sie zum ersten Mal das Labyrinth des Wahnsinns auf der Wolflingswelt durchschritten hatte und für immer verändert worden war, machten ihr Träume zu schaffen. Zunächst waren es nur beunruhigende Bilder gewesen, aber heute verfolgten sie die Träume immer hartnäckiger bis in die wache Zeit, und sie wurde den Gedanken einfach nicht los, dass sie etwas zu bedeuten hatten. Etwas Wichtiges. Inzwischen träumte sie jede Nacht klar und deutlich, und sie wusste nicht, ob sie die Vergangenheit oder die Zukunft sah. Es hatte den Anschein, als entwirrte sich die Zeit in Hazels Kopf, in den dunkelsten Stunden der Nacht, wenn sie am wenigsten geschützt war. Etwas in ihrem Verstand zeigte ihr Dinge und ließ einfach nicht zu, dass sie sich davon abwandte.

Auf Nebelwelt hatte sie von der imperialen Invasion geträumt, nur Stunden, ehe sie tatsächlich passierte.

Vergangene Nacht hatte sie drei Träume gehabt, einen nach dem anderen. Der erste handelte von den Blutläufern, den üblen Bewohnern der dunklen Obeah-Welten, weit draußen am Abgrund, wo niemand sonst hinfuhr. Die Blutläufer hatten einmal versucht, Hazel für ihre nie endenden Experimente über die Natur des Leidens und der Existenz zu entführen. Damals rettete Owen Hazel, griff mit seinen Gedanken über zahllose Lichtjahre hinaus und streckte den Anführer nieder. In dem Traum hatten die Blutläufer sie mit wissenden, grausamen Augen gemustert, mit entsetzlicher Geduld auf sie gewartet. Sie hielten etwas in der Hand. Etwas Scharfes.

Dann träumte sie von der Burg der Familie Owens auf Virimonde. Dort folgte sie den leeren Steinkorridoren, die ihr mühelos vertraut waren, obwohl sie nie zuvor dort gewesen war. Es war bitterkalt, kalt wie in einem Grab, und Blut rieselte von den Wänden und verschmutzte die uralten Wandbehänge und die vorzüglichen Teppiche. Etwas lauerte hinter der nächsten Ecke und tief unter ihr, etwas Furchtbares.

Und schlussendlich träumte sie, sie stünde allein auf der Brücke der Sonnenschreiter II, während ringsherum die Hölle ausbrach. Von allen Seiten griffen Schiffe an, mehr als man zählen konnte, überwältigten ihre Abwehreinrichtungen, obwohl Hazel heftigen Widerstand leistete. Sämtliche Alarmsirenen heulten, und die Geschütze der Sonnenschreiter II feuerten unaufhörlich. Nirgendwo entdeckte Hazel eine Spur von Owen.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vielleicht. Aber waren es Vorhersagen oder nur Warnungen? Bedeuteten sie, dass Hazel eine Chance hatte, etwas zu ändern, die Geschichte umzuschreiben, dem Schicksal zu trotzen? Oder wurde sie einfach nur verrückt wie alle anderen?

Früher einmal hatte ihr die verbotene Droge Blut geholfen, mit vielem fertigzuwerden, einschließlich der Träume, aber darüber war sie hinweg. Körperlich war sie so weit transformiert worden, verglichen mit ihrem früheren Selbst, dass sie Zweifel hatte, ob Blut heute überhaupt noch die leiseste Wirkung auf ihre Körperchemie gehabt hätte. Außerdem war die Droge stark suchterzeugend, und Hazel wollte verdammt sein, wenn sie es irgendetwas oder irgendjemandem je erlauben würde, wieder Herrschaft über sie auszuüben, und das galt auch für die eigenen Schwächen.

»Was denkst du, führen Valentin und seine Kumpane da unten im Schilde?«, fragte sie plötzlich, entschlossen, auf andere Gedanken zu kommen.

»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüsste«, sagte Owen, der weiterhin die Daten studierte, die auf dem Bildschirm an ihm vorbeiwanderten. Sie liefen viel zu schnell, als dass normale Augen ihnen hätten folgen können, aber keiner der beiden erwähnte es. Kleine Veränderungen dieser Art waren sie gewöhnt. »Er hat die Schilde der Burg verstärkt. Ich empfange nichts, was verwertbar wäre. Was an sich eine bedeutsame Information darstellt. Er dürfte eigentlich nichts zur Verfügung haben, was stark genug ist, um Hadenmänner-Sensoren auszusperren. Wer versorgt ihn mit Tech?«

»Wir werden ihn fragen müssen«, sagte Hazel. »Sobald wir dort sind.«

»Zu viele Fragen«, meinte Owen und schaltete schließlich den Bildschirm aus. »Zu viele Unbekannte. Warum ist er hierher zurückgekehrt? Warum hat er meine alte Burg übernommen? Was hofft er hier zu erreichen? Was ist ihm wichtig genug, um das Risiko einzugehen, dass ich ihn verfolge?«

»Er verfolgt eine besondere Absicht«, behauptete Hazel. »Es muss so sein, andernfalls hätte er nicht so viele Leute dazu überreden können, ihm hierher zu folgen. Und jemand muss die ganzen tollen Sachen bezahlt haben, die er da wohl hat. Wenn du mich fragst, hat es was mit Drogen zu tun. Alles, womit sich Valentin befasst, hat letztlich mit Drogen zu tun.«

»Oder mit Rache. Er ist schließlich ein Wolf. Und Oz sagt, Valentins Sicherheitssysteme wären viel fortschrittlicher als alles, worauf er eigentlich Zugriff haben sollte.«

Hazel musterte Owen scharf. »Du hörst immer noch Stimmen, nicht wahr?«

»Ich wünschte wirklich, Ihr würdet es nicht so ausdrücken. Und es ist nur eine Stimme.«

»Soll mich das vielleicht beruhigen? Wenn du so weitermachst, wirst du bald behaupten, du hättest das Imperium nur gestürzt, weil der Teufel es von dir verlangt hat. Das wird der Öffentlichkeit wirklich gut schmecken.«

»Es ist nur meine alte KI!«

»Warum höre ich sie dann nicht über mein Komm-System? Warum hört niemand sonst ihre Stimme? Und du hast sehr deutlich gesagt, du hättest das verdammte Ding umgebracht, nachdem es uns auf der Wolflingswelt verriet.«

»Ich hielt sie für tot. Heute bin ich mir in vieler Hinsicht nicht mehr so sicher wie früher. Schließlich haben auch wir beide eine Menge durchgemacht, was uns eigentlich hätte umbringen sollen. Hat es das?«

Hazel fiel keine schnelle Antwort darauf ein. Also starrten sie einander eine ganze Weile lang unbehaglich und schweigsam an, bis sie plötzlich von den Warnsirenen der Jacht unterbrochen wurden, die alle gleichzeitig losheulten. Das Deck schaukelte unter ihren Füßen, als etwas wirklich Machtvolles wie ein Hammer auf das Schiff einschlug.

»Oz!«, schrie Owen. »Was zum Teufel ist da los?«

»Du kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt«, antwortete die KI ruhig. »Valentins Sicherheitssysteme konnten unsere Tarnschilde schließlich durchdringen, und die bewaffneten Satelliten schießen mit allem auf uns, was sie haben. Was wirklich beträchtlich ist. Die Hauptschilde halten stand. Vorläufig. Habe ich deine Erlaubnis, das Feuer zu erwidern?«

»Verdammt, natürlich hast du sie! Puste die nächstgelegenen Satelliten vom Himmel und bringe uns dann nach unten, so schnell du kannst.«

»Welche Landekoordinaten?«

»Nicht zu weit von der Burg. Die Entfernung eines Fußmarsches.«

»Wird aber auch Zeit, dass du dir gesunde Bewegung verschaffst«, erklärte die KI beifällig. »Du hast in letzter Zeit zugenommen.«

»Nun?«, erkundigte sich Hazel. »Was geht da vor?«

»Valentin weiß, dass wir da sind. Und die Stimme in meinem Kopf hält sich jetzt für meine Mutter. Ich bringe das Schiff schnell hinunter. Haltet Euch irgendwo fest und betet um eine weiche Landung.«

»Zur Hölle damit«, erwiderte Hazel. »Ich möchte erst selbst ein paar Treffer landen.«

»Wozu die Mühe? Die Feuerleitlektronen des Schiffs sind durchaus in der Lage ...«

»Gott, du bist manchmal wirklich ein Waschlappen, Todtsteltzer. Es geht ums Prinzip!«

Und da ging sie auch schon, hinauf zur Brücke, um sich in die Feuerleitsysteme einzustöpseln. Owen ließ sie ziehen. So war nun mal Hazel. Immer dann am glücklichsten, wenn sie irgendeine Art Schusswaffe in der Hand hatte, mit der sie Verwüstungen anrichten und jemandem den Tag verderben konnte. Er schnallte sich auf seinem Platz an und wartete geduldig ab. Zumindest war die Sonnenschreiter II mit anständigen Geschützen ausgestattet. Die ursprüngliche Sonnenschreiter war die meiste Zeit ihres kurzen Daseins von einem Planeten zum nächsten gehetzt worden, oft beschossen und in Brand gesetzt, bis sie schließlich in den tödlichen Dschungeln von Shandrakor eine Bauchlandung hinlegte. Als Owen die neue Jacht rings um die geborgenen Maschinen der alten bauen ließ, bestand er darauf, dass die Hadenmänner so viele Waffensysteme modernsten Zuschnitts einbauten, wie überhaupt möglich war. Er fand keinen Gefallen daran, fliehen zu müssen. Es entsprach nicht seinem Naturell.

Und da schlingerte das Schiff wieder, als etwas wirklich Übles durch die Energieschilde knallte und auf den verstärkten Rumpf prallte. Die Beleuchtung flackerte kurz, und Owen spannte sich an, wartete auf das schrille Warnsignal eines Rumpfbruchs. Dazu kam es nicht, aber Owen entschied schließlich doch, dass sein Platz auf der Brücke war. Verteidigungslektronen gelangten irgendwo an ihre Grenzen. Er rannte auf ganzer Strecke, hatte aber am Ziel trotzdem noch genügend Luft, um Hazel zu fragen, was zum Teufel hier vor sich ging.

»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüsste«, sagte Hazel lebhaft, den Blick auf die Lektronenschalttafeln vor ihr geheftet. »Ich bin noch nie auf eine derartige Feuerkraft gestoßen. Zumindest keine, die auf einen Menschentech zurückginge.«

Owen plumpste auf den Sitz neben ihr und studierte rasch die taktischen Anzeigen. Die Hauptschilde hielten noch, steckten aber höllisch viel ein. Am Rumpf lagen einige Außenschäden vor, aber nur oberflächlicher Art. Die Hadenmänner verstanden sich darauf, Schiffe zu bauen. »Das dürfte eigentlich nicht passieren«, sagte er schließlich. »Die Hadenmänner haben mir versichert, wir könnten jedem Gegner standhalten, einschließlich eines imperialen Sternenkreuzers.«

»Du hättest dir das schriftlich geben lassen sollen, mein Hengst«, sagte Hazel und lächelte kurz, als einer von Valentins Satelliten unter ihrem Beschuss explodierte. »Vielleicht hat auch Valentin ein Abkommen mit den Hadenmännern geschlossen. Oder vielleicht hat er sich mit Shub unterhalten. Oder sogar den Fremdwesen. Die ganze Menschheit für simplen persönlichen Gewinn zu verhökern ist genau das, was man von Valentin Wolf erwartet. So oder so – wir stecken bis über beide Ohren im Schlamassel und sinken rasch. Vorschläge praktischer Art sind dringend erwünscht. Gebete ebenfalls.«

»Zur Hölle mit einer Entscheidung in der Schlacht«, versetzte Owen. »Bring so viel Energie wie möglich in die Schilde und lande rasch, Oz. Hoffentlich sind die Satelliten nur darauf programmiert, Ziele in einer bestimmten Zone anzugreifen. Sobald wir unter ihre Reaktionshöhe gesunken sind, müssten sie uns in Ruhe lassen. Und dann wollen wir alle hoffen, dass Valentin nicht auch in eine Bodenabwehr investiert hat.«

»Hört sich für mich nach einem guten Plan an«, stellte Hazel fest. »Kann ich die Landung durchführen?«

»Nein«, entgegnete Owen mit Bestimmtheit. »Oz soll es machen. Ich habe Eure Landungen schon erlebt, Hazel.«

»Spielverderber.«

Die Sonnenschreiter II stürzte kreischend und flammenumhüllt durch die Atmosphäre, bis sie schließlich außer Reichweite der Satelliten war und der Angriff eingestellt wurde. Owen und Hazel wappneten sich für einen möglichen Beschuss vom Boden aus, aber nichts dergleichen geschah. Anscheinend war Valentin davon ausgegangen, dass nichts außer seinen frisierten Satelliten nötig war, um Besucher abzuschrecken. Bei jedem anderen Schiff hätte er wahrscheinlich recht behalten. Oz ging schließlich in eine flachere Anflugbahn über und suchte nach einem Landeplatz, der nicht zu weit von der Burg entfernt lag. Owen entspannte sich ein bisschen.

»Es hat glatt den Anschein, dass Valentin mächtige neue Bundesgenossen gewonnen hat«, sagte er nachdenklich. »Ich frage mich, was er noch an Überraschungen für uns bereithält.«

»Zweifellos etwas Scheußliches«, meinte Hazel. »Wenn man Valentin kennt. Aber wir werden damit fertig.«

»Werdet nur nicht großspurig«, sagte Owen. »Valentin hat nicht so lange überlebt, indem er irgendwas dem Zufall überließ. Seit er sich hier eingerichtet hat, muss er wissen, dass ich kommen würde, um ihn zu holen. Er muss ... Vorbereitungen getroffen haben.«

»Er kann nichts auf uns werfen, was wir nicht direkt auf ihn zurückwerfen könnten«, sagte Hazel ruhig. »Ich wäre letztlich mit den Satelliten fertiggeworden, hättest du nicht gekniffen. Nichts kann uns mehr verletzen, Owen. Nicht nach all dem, was wir durchgemacht haben.«

»Großspurig«, entgegnete Owen. »Eindeutig großspurig. Das wird alles schlecht ausgehen ...«

Er hätte mehr gesagt, aber die Navigation läutete diskret und informierte ihn darüber, dass sich die Sonnenschreiter II dem Landeplatz näherte. Owen und Hazel studierten sorgfältig die Anzeigen der Nah- und Fernsensoren, aber das Schiff setzte ohne Zwischenfall auf. Oz ließ sie warten, während er seine Landungscheckliste durchging.

»Luftqualität hinnehmbar. Kalt für die Jahreszeit, aber in akzeptablen Grenzen. Keine Lebenszeichen. In Ordnung, jetzt ist es offiziell sicher, auszusteigen. Alter Zeiten zuliebe bin ich an genau der Stelle gelandet, wo Hazel dir zum ersten Mal begegnet ist, Owen. Nenn mich ruhig töricht und sentimental.«

»Halt die Klappe, Oz.«

Sie gingen zur Luftschleuse hinunter, und dort wartete Owen geduldig, während Hazel sich mit ein paar weiteren Waffen und Munitionsgürteln bepackte. All ihren Ansprüchen zum Trotz, unverwundbar zu sein, ging sie nie wirklich gern in die Öffentlichkeit, solange sie nicht mehr Waffen mit sich herumschleppte als der typische bewaffnete Patrouillentrupp. Owen lehnte sich ans Stahlschott und dachte an die Umstände zurück, unter denen er Hazel D’Ark anfänglich kennengelernt hatte.

Er war gerade vor den eigenen Sicherheitsleuten geflüchtet, hatte stark verletzt und verzweifelt einen beschädigten Flieger gesteuert. Nur wenige Kilometer von seiner Burg schossen sie ihn ab. Stolpernd entfernte er sich vom brennenden Wrack. Er blutete stark und lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum in der Nähe, damit er seine letzte Schlacht aufrecht schlagen konnte.

Und da tauchte Hazel aus dem Nichts auf und rettete ihn vor seinen Feinden, die sie niederstreckte wie eine glorreiche, wenn auch etwas von ihrer Arbeit verschmutzte Walküre. Gemeinsam flüchteten sie mit der ersten Sonnenschreiter von Virimonde. Owen war seitdem nicht wieder hier gewesen. Er hatte es immer geplant, aber die Rebellion ließ ihm nie genug Zeit. Schon die Kindheit hatte er auf einem Dutzend verschiedener Planeten verbracht, während der Vater im Zuge seiner endlosen Intrigen kreuz und quer durchs Imperium zischte. Virimonde hatte jedoch Owen allein gehört, seine Zuflucht vor der Familie und dem Schicksal eines Kriegers, das er sich nie gewünscht hatte. Der einzige Ort, den er je als Zuhause betrachtet hatte.

»Komm schon, du Hengst, bringen wir die Show in Gang. Ich habe schon seit Stunden niemanden umgebracht, und langsam werde ich nervös.«

Und da hatte er Hazel, lebensgroß und doppelt so gefährlich, mit genug Waffen bepackt, um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Owen musste lächeln.

»Was ist denn so komisch?«, fragte sie argwöhnisch.

»Oh, nichts. Nur dass wir laut Oz an genau der Stelle gelandet sind, wo Ihr und ich uns zuerst begegnet sind.«

»Du warst schon immer nostalgischer, als gut für dich ist, Todtsteltzer. Knacke doch bitte diese Luftschleuse, damit wir uns endlich die Füße schmutzig machen können. Ich bin nicht den ganzen Weg gekommen, um nur herumzustehen.«

»Ihr habt keine Spur Sentimentalität im Leib, nicht wahr, Hazel?«

»Wofür ich dem lieben Gott täglich danke. Rührseligkeit behindert nur bei der Arbeit.«

Owen seufzte und öffnete die Luftschleuse. Die Luft des Planeten wehte herein, und er holte tief Luft, wobei er mit den altvertrauten Gerüchen von Gras und Erde und wachsenden Dingen rechnete. Stattdessen musste er kräftig husten, als sich die Lungen mit heißer, trockener Luft voller Staub füllten. Owen und Hazel blickten sich gegenseitig an, und dann trat Owen vorsichtig auf den Planeten hinaus, der ihm einmal gehört hatte. Der Himmel war düster und bewölkt, das Licht grau und leblos. Wo sich einmal grüne Felder und das reiche Laubwerk weitläufiger Wälder ausgebreitet hatten, entdeckte er in allen Richtungen nur noch aufgewühlten Schlamm, so weit er blicken konnte. Weder Felder noch Getreide noch niedrige Grenzmauern, nur der Schlamm, dunkel und grobkörnig von festgetretener Asche.

Einen Augenblick lang glaubte Owen, er wäre auf dem falschen Planeten gelandet. Nirgendwo hatte die ländliche Idylle von Virimonde jemals so ausgesehen. Aber natürlich sah sie jetzt so aus. Genau so, wie er es tief im Herzen die ganze Zeit gewusst hatte.

»Verdammt«, sagte Hazel leise. »Es tut mir leid, Owen.«

»Ich denke, die Bäume standen dort drüben«, erklärte er. Er versuchte, dorthin zu zeigen, aber der Arm war so schwer. »Gleich da drüben. Jetzt sind sie aber weg. Alles ist weg. Alles. Nichts verrät mehr, dass sie und wir jemals hier waren. Diese Leute haben mir sogar die Vergangenheit geraubt. Und es ist alles meine Schuld.«

»Wie zum Teufel kommst du nur auf diese Idee?«, fragte Hazel.

»Ich war der Lord dieser Welt. Dieser Planet und alle seine Bewohner waren mir anvertraut und meinem Schutz unterstellt worden. Aber ich bin fortgegangen und habe sie im Stich gelassen, schutzlos, als die Wölfe des Imperiums über sie herfielen. Ich war nicht hier, als sie mich brauchten.«

»Das ist jetzt aber wirklich Quatsch«, meinte Hazel. »Sie haben dich davongejagt! Deine eigenen Sicherheitsleute haben sich gegen dich gewandt. Man hat dich zum Gesetzlosen erklärt. Und du kannst verdammt sicher sein, dass es hier niemanden gab, der dich nicht unverzüglich und begeistert verraten und verkauft hätte, um das Kopfgeld einzustreichen. Dein Vetter David war nach dir Lord und konnte sich nicht mal selbst retten, als die imperialen Truppen kamen. Verdammt, er war einer von ihnen, und sie haben ihn trotzdem umgebracht!«

»Ihr habt recht«, sagte Owen. »Aber es hilft nicht. Ich hätte hier sein sollen.«

»Dann wärst du jetzt auch tot. Möchtest du das?«

»Manchmal. Mein altes Ich ist tot. Ich habe es irgendwo auf der langen Straße der Rebellion verloren, die mich an Löwensteins Hof führte. Ich vermisse es. Es hat mir viel besser gefallen als die Tötungsmaschine, zu der ich geworden bin.«

»Fang nicht wieder damit an. Veränderung ist nicht gleich Tod.«

»Es geschah für Virimonde. Dieser Planet diente einmal der Nahrungsproduktion. Was wir hier an Getreide und Vieh zogen, hat Menschen überall im Imperium ernährt. Wer gibt ihnen jetzt zu essen? Seht Euch nur um, Hazel. Sie haben diese Welt getötet.«

»Du könntest neu anfangen. Pumpe genug Mikroorganismen in die Erde, bringe die richtige Saat aus, und diese Welt könnte wieder blühen. Mit der Zeit.«

»Vielleicht. Aber es wäre nicht dasselbe. Es wäre nicht die Welt, die ich gekannt habe.«

Hazel schüttelte ärgerlich den Kopf. »Alles läuft immer auf dich hinaus, was, Todtsteltzer? Typischer Aristo, der alles selbstbezogen betrachtet. Virimonde ist nicht der einzige Planet, der nach den Launen der Imperatorin Prügel bezogen hat. Wegen solcher Dinge haben wir die Rebellion ausgefochten, erinnerst du dich?«

Owen bemühte sich ihr zuliebe um ein Lächeln. »Ich weiß. Ich habe nur Selbstmitleid. Eigentlich habe ich nicht das Recht dazu, schätze ich. Mein Volk hat alles verloren. Aber ich kann es wenigstens rächen. Valentin wird für das bezahlen, was er hier angerichtet hat. Ich werde zusehen, wie er stirbt, wie er langsam stirbt, und zur Hölle mit den Konsequenzen.«

Hazel versetzte ihm einen kräftigen Klaps auf die Schulter. »Das gefällt mir schon besser. Wenn schon nichts sonst, bleibt immer die Rache.«

»Ihr seid eine Frau, die die einfachen Freuden schätzt, Hazel.«

»Das denkst du wohl, du Hengst.« Sie lächelte Owen an, und er konnte nicht umhin, das Lächeln zu erwidern.

Sie standen eine Zeitlang zusammen, genossen den Augenblick der Gemeinsamkeit. Die Welt war ganz still, und nicht einmal das Flüstern einer Brise störte die Leichenruhe. Owen und Hazel blickten sich langsam um, und nichts blickte zurück. Hazel runzelte plötzlich die Stirn.

»Was ist?«, fragte Owen.

»Ich hasse es, wenn ich morbide klinge ... aber müssten hier nicht verdammt viele Leichen herumliegen? Oder Leichenteile oder ... irgendwas? Aber ich sehe auf Kilometer hinaus nur Schlamm.«

»Das hat etwas für sich«, sagte Owen langsam. »Es wirkt ein wenig ordentlich, oder? Ich wusste gar nicht, dass jemand schon einen Trupp zum Aufräumen geschickt hat. Wartet mal eine Minute.« Er wandte sich an seine KI. »Oz, wo sind all die Toten?«

»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüsste, Owen. Den Berichten zufolge fand genau hier eine größere Schlacht zwischen den Bauern und den Invasionstruppen statt.«

»Untersuche mal die Gegend, Oz. Finde ein paar Leichen für mich.«

»Bin schon dabei. Das ist aber interessant. Ich entdecke da ein paar verweste tierische Überreste, die in den Schlamm hineingemischt sind, aber nirgendwo eine Spur von menschlichen Überresten in irgendeiner Form. Ich kann mir das nicht erklären.«

»Also was zum Teufel ist mit den Toten passiert? Könnte Shub zu Besuch gekommen sein, um Rohmaterial für seine Geistkrieger zu suchen?«

»Unwahrscheinlich«, antwortete die KI. »Auch wenn man bedenkt, wie verstreut die imperiale Flotte zurzeit ist, wäre ein solcher Besuch kaum unbemerkt geblieben. Und was eine Aufräummannschaft angeht, das kannst du vergessen. Zurzeit gibt es nicht mal genügend Personal, um für die Bedürfnisse der Lebenden zu sorgen, geschweige denn die der Toten. Es sei denn ... Valentin hätte sie entfernen lassen.«

»Warum sollte er das tun?«

»Um zu demonstrieren, dass es ihm leidtut? Um Wiedergutmachung zu leisten?«

Hazel mischte sich ein und wollte wissen, was Oz sagte. Owen erklärte es ihr, und sie schnaubte geringschätzig. »Das kannst du vergessen. Valentin hat sich noch nie im Leben für irgendwas entschuldigt.«

»Aber ich wette, er weiß, was hier passiert ist«, sagte Owen. »Das wäre genau die Art Vorfall, über die er informiert sein möchte. Also schätze ich, werden wir uns nur durch den Schlamm zu meiner alten Burg schleppen, ihn am Kragen hervorzerren und fragen müssen.«

»Klingt für mich nach einem guten Plan«, sagte Hazel. »Ist es okay, wenn ich ihm meine Knarre ins Ohr stecke, während du ihn verhörst?«

»Seid mein Gast.«

Owen machte sich auf, das Meer aus aufgewühltem Schlamm in der Richtung zu durchschreiten, in der er seine alte Burg vermutete. Ein grauer Schleier von grimmiger Rätselhaftigkeit täuschte den Sinn für Entfernungen. Laut Oz lag Owens altes Zuhause nur wenig über drei Kilometer entfernt, so dass er und Hazel sich unmittelbar außerhalb der Burgsensoren befanden. Es sei denn, Valentin hatte sie auch hochfrisiert. Owen lächelte humorlos. Es bedeutete einen Dreck, wenn Valentin es getan hatte. Sollte er ruhig wissen, dass sich ihm der Tod näherte. Vielleicht standen Owen und Hazel zu zweit gegen eine unbekannte Zahl von Feinden, aber Owen war es egal. Selbst eine Armee konnte ihn jetzt nicht mehr aufhalten. Als ihm dieser Gedanke kam, blieb er abrupt stehen und machte ein finsteres Gesicht. Immer häufiger ertappte er sich bei Gedanken, die ihm Angst machten. Er fragte sich, was aus ihm wurde. Die Veränderungen, die das Labyrinth des Wahnsinns in ihm ausgelöst hatte, schienen sich glatt noch zu beschleunigen. Zuerst hatten sie ihm nur mehr Biss verliehen, dann zu einem Mann mit unbekannten ESP-Fähigkeiten gemacht, aber seit langem schon war er nicht mehr nur ein Mensch. Er ließ die menschliche Natur hinter sich und war sich dessen bewusst, und es machte ihm Angst. Vielleicht klammerte er sich deshalb so verzweifelt an die alten, menschlichen Vorstellungen von Ehre und Gerechtigkeit.

Er seufzte müde. Er hatte sich weit entfernt von dem kleinen Historiker, als der er früher hier gelebt hatte. Aber er hatte schließlich alles verloren, als man ihn zum Gesetzlosen erklärte, und keine andere Wahl mehr gehabt, als sich zu dem Krieger zu entwickeln, den sich sein Clan immer gewünscht hatte. Er hatte etwas verkörpern müssen, was er am meisten verachtete, um nicht zu sterben. Er erreichte viel auf diesem Weg, bestrafte Übeltaten und übte Gerechtigkeit in großem wie in kleinem Maßstab, aber am Ende hatte ihm einfach Blut an den Händen geklebt ... Meist von Menschen, die den Tod verdient hatten, aber eben nicht nur. Auf jeden eindeutigen Schurken, der von seiner Hand gestorben war, kamen hundert Menschen, die einfach nur als Soldaten Befehlen gehorcht und getan hatten, was sie für das Richtige hielten. Die ein korruptes Imperium verteidigten, weil ihnen alle Alternativen als noch schlimmer erschienen. Tapfere Kämpfer, die starben, weil sie das Pech hatten, zwischen Owen Todtsteltzer und seiner Bestimmung zu stehen. So viele Tote ohne Gesichter. Zuzeiten träumte er von ihnen.

Da war ein Kind, das er auf den schmutzigen Seitenstraßen von Nebelhafen verstümmelt und getötet hatte. Ein Unfall. Und das Mädchen hatte obendrein in diesem Moment versucht, ihn umzubringen. Aber nichts davon bedeutete etwas. Er hatte im Kampfesrausch blindwütig zugeschlagen, und das Ergebnis war ein junges Mädchen, das im blutbespritzten Schnee lag. Das hatte er sich nie vergeben, und er würde es sich auch nie vergeben. Falls der Krieger, zu dem er geworden war, irgendeinen Sinn hatte, dann den, das System zu beseitigen, das solche Kinder hervorbrachte. Und vielleicht, Menschen wie sie vor Leuten wie ihm zu schützen.

Genau diese Bedeutung hatte es, ein Todtsteltzer zu sein.

Er blickte kurz zu Hazel hinüber, die entschlossen neben ihm ausschritt. Das lange, verfilzte rote Haar fiel ihr rings um das scharf gezeichnete und spitze Gesicht. Vielleicht nicht hübsch im konventionellen Sinn, aber andererseits glaubte Hazel D’Ark nicht an das Konventionelle, wenn sie es vermeiden konnte. Owen fand sie hübsch, aber er war schließlich voreingenommen. Er liebte sie still und insgeheim. Sie war überhaupt nicht die Art Frau, von der er einmal geglaubt hatte, er würde sich in sie verlieben, und sicherlich nicht die Art Frau, die zu heiraten man von ihm erwartete, um die jahrhundertealte Todtsteltzerlinie fortzusetzen, aber trotzdem liebte er sie. Ungeachtet all der genannten Überlegungen, oder vielleicht aufgrund von ihnen. Hazel war gescheit und witzig, auch ehrlich, wenn es ihr passte, und die tapferste Frau, die er je kennengelernt hatte. Ganz zu schweigen davon, dass sie teuflisch gut mit jeder Waffe umgehen konnte, die einem nur einfiel. Er bewunderte sie enorm, achtete aber darauf, es für sich zu behalten. Sie hätte es nur ausgenutzt. Sie war zuversichtlich, wenn er verzagte, vorsichtig, wenn er es zu sein vergaß, und sie vergaß niemals, wofür sie kämpften. Und er wusste: Falls er je das Wort Liebe erwähnte, würde sie ihn glatt verlassen. Hazel hatte bei mehr als einer Gelegenheit deutlich gemacht, dass sie an solche Dinge wie die Liebe nicht glaubte. Sie schränkten ein, machten verwundbar und führten zu Themen wie Verpflichtung und Vertrauen und Offenheit, von denen keines in Hazels Leben einen Platz hatte. Also nahm Owen einfach an, was sie ihm zu eigenen Bedingungen an Wärme und Freundschaft anbot, und hoffte weiter. Sie waren zusammen, und wenn das alles war, was er erhalten konnte, dann war es immer noch mehr, als er je zuvor gehabt hatte.

»Warum gehen wir eigentlich zu Fuß?«, fragte Hazel plötzlich. »Ich habe dafür gesorgt, dass man Gravschlitten an Bord brachte, ehe wir gestartet sind.«

»Schlitten würden auf den Ortungsgeräten der Burg erscheinen«, erläuterte Owen geduldig. »Wir selbst haben uns allerdings als für die meisten Abtaster unsichtbar erwiesen, seit wir das Labyrinth durchquerten. Eine weitere nützliche Nebenwirkung, die niemand erklären kann. Also gehen wir zu Fuß und schlüpfen hoffentlich unbemerkt durch Valentins Abwehrsysteme.«

»Ich hasse es zu laufen«, sagte Hazel finster. »Dabei tut mir immer der Rücken weh. Hätte Gott gewollt, dass wir zu Fuß gehen, hätte er uns nicht die Antischwerkraft geschenkt.«

»Genießt die Landschaft«, schlug Owen vor.

»Haha! Als ich letztes Mal so was durchquert habe, hatten alle Feldtoiletten gleichzeitig versagt.«

»Laufen soll sehr gesund sein.«

»Das gilt genauso für die richtige Ernährung und für Enthaltsamkeit, und ich hasse das auch. Ich möchte dich warnen, Todtsteltzer: Ich sollte auf deiner Burg lieber Gelegenheit finden, eine Menge Leute umzubringen, oder es gibt Ärger!«

»Oh, ich denke, das kann ich garantieren«, sagte Owen. »Wenn Ihr Euch einer Sache sicher sein könnt, dann, dass wir keinerlei Freunde auf der Todtsteltzer-Festung haben.«

Die Todtsteltzer-Burg war eine große steinerne Feste auf einer Bergspitze. Das blassgraue Gestein war hier und da von Schäden und Brandflecken durch Energiewaffen gezeichnet. Sie rührten von der Belagerung durch das Imperium her, als dieses den Lord David Todtsteltzer gefangen nehmen wollte. Jetzt erduldete das Anwesen die Besetzung durch Lord Valentin Wolf und seine Kumpane. Der Wolf war mit ganz persönlichen Zielen nach Virimonde gekommen, und die anderen waren ihm gefolgt, weil ihnen keine Wahl blieb. Der Wolf bot ihnen die einzige Hoffnung darauf, die Rebellion zu besiegen und sie selbst wieder an die Macht zu bringen. Sie verlangten nicht nach dem geringeren Glanz, wie ihn Handel und Einflusspolitik boten. Sie wollten Herren und Meister sein und konnten nicht anders.

Sie waren auch deshalb hier, weil Valentin ihr Leben in der Hand hatte, obwohl sie bemüht waren, nicht daran zu denken, solange sie sich nicht genötigt sahen. Nichts anderes jedoch hätte derartige aristokratische Machtmenschen dazu bewegen können, sich so eng mit dem berüchtigten Valentin Wolf zu verbünden. Er war wahnsinnig, böse und eine gefährliche Bekanntschaft, aber er verfügte über etwas – über eine Waffe von potentiell solcher Macht, dass sie nicht riskieren konnten, sie zu verlieren. Also schlossen sie sich mit dem verachteten Wolf zusammen und verwetteten ihr Leben darauf, dass es ihnen irgendwann einmal gelingen würde, ihn auszumanövrieren. Was zeigte, wie verzweifelt sie waren.

Valentin saß ungezwungen auf dem Stuhl des Lords im großen Speisesaal dessen, was einmal die Todtsteltzer-Burg gewesen war, und verfolgte tolerant mit, wie seine Spießgesellen alles zerstörten. Sie waren zum Teil betrunken, hatten zu viele Flaschen Wein zu einer guten Mahlzeit genossen, und sie lachten jetzt, während sie mit Lebensmitteln um sich warfen und Möbel umstürzten. Lord Silvestri warf mit seinen Messern nach den Familienportraits an den Wänden, auf denen man die Todtsteltzers aller Zeiten erblickte. Er zielte auf die Augen und traf meistens. Lord Romanow hatte einen kostbaren Wandbehang heruntergerissen und trug ihn als Schal, während er Brandy aus der Flasche trank. Lord Kartakis stampfte auf dem Tisch hin und her, bewegt von der kühnen Überzeugung, er tanzte im Takt des zotigen Liedes, das er voll Trotz falsch sang. Valentin lächelte auf sie herab wie auf unartige Kinder und gönnte ihnen ihren Spaß. Sie hatten sonst nicht viel zu tun und waren schon lange in der Burg zusammengepfercht. Und Valentin sah es so gern, wie den kostbaren Habseligkeiten des Todtsteltzers Gewalt angetan wurde, wie er den Mann selbst eines Tages vernichten würde.

Valentin Wolf saß auf einem Stuhl, der viel zu groß für ihn war; er hatte eines seiner langen Beine über der Armlehne hängen und den anderen Fuß auf dem Tisch liegen. Wie immer trug er Schwarz; das blasse weiße Gesicht war von den langen dunklen Locken des geölten und parfümierten Haares umrahmt, der Mund ein scharlachroter Spalt, die Augen schwer von Wimperntusche. So vermittelte er das Abbild genau des absoluten Schurken, der zu sein er sich bemühte. Und die Drogen, die herrlichen Drogen randalierten in seinem Körper, wie sie es immer getan hatten. Von Valentin hieß es wahrheitsgemäß, dass er noch nie auf eine Chemikalie gestoßen war, die er nicht mochte, und wenn man etwas rauchen, schlucken, injizieren oder sich dort hinstecken konnte, wo die Sonne nicht schien, tauchte Valentin gleich an vorderster Front auf, bereit, es einmal zu probieren. Er betrachtete den eigenen chemisch verstärkten Verstand als Kunstwerk und bemühte sich, es ständig zu verbessern. Der absolute Rausch wartete nach wie vor irgendwo auf ihn, und Valentin suchte unablässig danach.

Zu diesem Zweck hatte er auch die seltene und augenblicklich suchterzeugende Esperdroge eingenommen, wohl wissend, dass sie einen kleinen, aber bedeutsamen Teil aller Menschen umbrachte, die sie zu sich nahmen. Valentin überlebte natürlich. Wahrscheinlich deshalb, weil man seine radikal veränderte Körperchemie durch nichts anderes mehr beeinträchtigen konnte als durch rauchende Salpetersäure. Die Esperdroge verlieh ihm geringfügige telepathische Fähigkeiten sowie die völlige Beherrschung des autonomen Nervensystems, und seine Gedanken folgten nun fremden und unvertrauten Pfaden. Er nahm eine Droge nach der anderen und wahrte durch schiere Willenskraft ein komplexes Gleichgewicht. Valentin betrachtete sich als ersten Vertreter einer neuen Art Menschen, wie die Hadenmänner eine waren – einen alchemistischen Schritt nach vorn auf der Evolutionsleiter, oder vielleicht zur Seite.

Er sah zu, wie Carlos Silvestri ein ums andere Mal die Messer warf und dabei großen Männern die Augen ausstach, nur weil er es tun konnte, um allen zu beweisen, dass er den mächtigen Owen Todtsteltzer nicht fürchtete. Silvestri war groß und dünn, bestand ganz aus langen Gliedern und unerwarteten Winkeln. Er kleidete sich in Rotschattierungen, die traditionellen Farben seines Clans. Es passte nicht zu ihm. Das Gesicht war rund und geschwollen, als hätte es sich noch nicht entschieden, wie es einmal werden wollte, obwohl der Mann mindestens vierzig war. Er trug den Schädel kahlrasiert und rupfte sich die übrigen Haare aus. Er konnte gut mit dem Messer und noch besser mit dem Schwert umgehen. Er hätte sich als großer Schwertkämpfer und Duellant erweisen können, hätte er nur den Mut seiner Überzeugungen aufgebracht.