Todtsteltzers Ende - Simon R. Green - E-Book

Todtsteltzers Ende E-Book

Simon R. Green

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Beschreibung

Das große Finale der epischen Weltraumoper von Simon R. Green!

Lewis Todtsteltzer hat das Unmögliche geschafft: Er hat den zweihundert Jahre lang verschollenen Owen Todtsteltzer gefunden! Seine Rückkehr fügt dem Imperium von Kaiser Finn Durandal einen lähmenden Schlag zu. Doch obwohl die gesamte Menschheit kurz vor der Vernichtung durch den Schrecken steht, wird Durandal alles tun, um seine Macht zu erhalten. Und Lewis ist ebenso entschlossen, ihn zu Fall zu bringen.

Owen hingegen hat eine größere Mission. Gemäß der Prophezeiung muss er allein in der Zeit zurückreisen, um den ständig fortschreitenden Schrecken zu stoppen, bevor die Galaxie zerstört wird. Und während sein Nachkomme Lewis die wachsende Rebellenarmee kommandiert, macht Owen eine bestürzende Entdeckung über das wahre Wesen des Schreckens ...

"Abenteuer, Raumschlachten, Heldentum und exotische Schauplätze - Green mischt alle Zutaten zu einer außergewöhnlichen Space Opera." (Booklist)

Simon R. Greens große SF-Serie um Owen Todtsteltzer, die ihm den Durchbruch brachte -jetzt endlich wieder erhältlich, erstmals als eBook!

Die Legende von Owen Todtsteltzer: 1. Der Eiserne Thron, 2. Die Rebellion, 3. Todtsteltzers Krieg, 4. Todtsteltzers Ehre, 5. Todtsteltzers Schicksal, 6. Todtsteltzers Erbe, 7. Todtsteltzers Rückkehr, 8. Todtsteltzers Ende

Weitere Romane aus dem Todtsteltzer-Universum: Nebelwelt - Geisterwelt - Höllenwelt

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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Seitenzahl: 762

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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors:

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

KAPITEL EINS:

ALTE UND NEUE GESCHÄFTE

KAPITEL ZWEI:

ARMEEN UND ALLERLEI STREITKRÄFTE SAMMELN SICH

KAPITEL DREI:

IN DEN GLANZVOLLEN TAGEN DES IMPERIUMS

KAPITEL VIER:

HIER GIBT ES MONSTER!

KAPITEL FÜNF:

SEITENWAHL

KAPITEL SECHS:

LETZTE CHANCEN

KAPITEL SIEBEN:

IM BUND MIT DEN ILLUMINATI

KAPITEL ACHT:

ALTE UND NEUE MONSTER

KAPITEL NEUN:

DAS ENDE EINER REISE

Weitere Titel des Autors:

Die Legende von Owen Todtsteltzer:

Der Eiserne Thron

Die Rebellion

Todtsteltzers Krieg

Todtsteltzers Ehre

Todtsteltzers Schicksal

Todtsteltzers Erbe

Todtsteltzers Rückkehr

In den Schatten des Imperiums:

Geisterwelt

Höllenwelt

Nebelwelt

Über dieses Buch

Lewis Todtsteltzer hat das Unmögliche geschafft: Er hat den zweihundert Jahre lang verschollenen Owen Todtsteltzer gefunden! Seine Rückkehr fügt dem Imperium von Kaiser Finn Durandal einen lähmenden Schlag zu. Doch obwohl die gesamte Menschheit kurz vor der Vernichtung durch den Schrecken steht, wird Durandal alles tun, um seine Macht zu erhalten. Und Lewis ist ebenso entschlossen, ihn zu Fall zu bringen.

Owen hingegen hat eine größere Mission. Gemäß der Prophezeiung muss er allein in der Zeit zurückreisen, um den ständig fortschreitenden Schrecken zu stoppen, bevor die Galaxie zerstört wird. Und während sein Nachkomme Lewis die wachsende Rebellenarmee kommandiert, macht Owen eine bestürzende Entdeckung über das wahre Wesen des Schreckens …

Über den Autor

Simon R. Green (*1955) kommt aus Bradford-on-Avon, England. Während seines Literatur- und Geschichtsstudiums an der Leicester University begann er mit dem Schreiben und veröffentlichte einige Kurzgeschichten. Doch erst 1988, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, verkaufte er seine ersten Romane. Seinen Durchbruch erlangte er Mitte der Neunziger mit der SF-Weltraumoper-Saga um Owen Todtstelzer: Eine Serie, die – wie er selbst sagt – irgendwie außer Kontrolle geraten ist, da er eigentlich nur drei Bücher schreiben wollte … Mittlerweile umfasst Simon R. Greens Werk weit über 40 Romane, das neben Science Fiction auch verschiedene Subgenres der Fantasy von Dark bis Funny, von High bis Urban abdeckt.

Simon R. Green

Todtsteltzers Ende

Deathstalker – Buch 8

Aus dem Englischen von Thomas Schichtel

Science Fiction

beBEYOND

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2005 by Simon R. Green

Titel der Originalausgabe: »Deathstalker Coda«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Todtsteltzers Erbe«

Textredaktion: Uwe Voehl / Ruggero Leò

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter- Bille

unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler, Regensburg

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-9138-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Letzte Nacht habe ich von Lewis Todtsteltzer geträumt.

Er wollte niemals König sein. Er wollte niemals Champion sein. Er wollte immer nur seine Pflicht tun: die Unschuldigen beschützen und die Schuldigen bestrafen. Aber er verliebte sich in die Verlobte seines besten Freundes und wurde seinerseits von einem anderen Freund verraten. Sie raubten ihm seinen guten Namen und machten ihn zum Gesetzlosen.

Das Glück der Todtsteltzers. Immer nur Pech.

Ich sah, wie er Freunde und Bundesgenossen um sich sammelte und sich aufmachte, eine Armee aufzustellen, um die Kräfte des Bösen zu stürzen, dem Beispiel eines früheren Todtsteltzers folgend, und ich wollte ihn warnen, dass Helden leicht einen frühen und blutigen Tod finden. Ich sah alte Freunde aus der Vergangenheit zurückkehren und legendäre Gestalten erneut in der Historie wandeln. Unvollendete Geschichten haben ihre eigene Art, ein Ende zu erzwingen.

In meinem Traum sah ich Planeten in der langen Nacht brennen und Armeen der Toten die Städte der Menschen überrennen.

Alles in einem Traum ... und alles so weit in der Vergangenheit. Oder vielleicht war es auch erst gestern.

Letztlich endet jede Geschichte – mit der Zeit.

KAPITEL EINS:

ALTE UND NEUE GESCHÄFTE

Owen Todtsteltzer lag im Koma, und alle anderen gerieten in Panik.

Viel war in kurzer Zeit passiert, tief unten in dem künstlich geschaffenen Krater, den man den Schlund nannte, in den stählernen Korridoren, die Menschen gebaut hatten, um das Labyrinth des Wahnsinns zu umfassen und einzuschließen. Jener berühmte und legendäre Held Owen Todtsteltzer war von den Toten zurückgekehrt, war in Gesellschaft seines Nachfahren Lewis aus dem Labyrinth hervorspaziert gekommen, hatte etliche sehr bemerkenswerte Wunder gewirkt und dann das Bewusstsein aller anderen vor Ort auf einen kurzen Ausflug durch den Weltraum mitgenommen, um den Schrecken aus der Nähe zu betrachten. Dummerweise entpuppte sich jener uralte und entsetzliche Zerstörer von Welten und Zivilisationen auf bislang unerforschte Art und Weise als Owens lange verlorene Liebe Hazel D’Ark. Jetzt fand sich jeder im eigenen Körper wieder, während Owen zu einem Fötus zusammengerollt dalag, die Augen geschlossen, nach den Maßstäben der Welt tot und knapp einen Meter über dem glänzenden Stahlfußboden schwebend. Alle anderen hatten sich seither der Beunruhigung und Verwirrung ergeben und bemühten sich sehr angestrengt, nicht in Panik zu verfallen.

Wie Jesamine es gern ausdrückte: An manchen Tagen liefen die Dinge nicht mal dann richtig, wenn man ihnen eine Pistole an den Kopf hielt.

Allein die KIs von Shub blieben ruhig und gelassen; obwohl es zugegeben sehr schwerfiel, einen gelassenen von einem aufgeregten Roboter zu unterscheiden, wenn jeder nur ein ausdrucksloses blaues Stahlgesicht hatte. Immerhin umstand derzeit ein halbes Dutzend von ihnen Owens schwebenden Körper wie eine Ehrengarde. Sie weigerten sich höflich, aber bestimmt, irgendjemanden sonst allzu nahe heranzulassen. (Dies war seit einem begreiflichen, aber bedauerlichen Zwischenfall so, in dessen Verlauf Brett Ohnesorg auf Owens Körper geklettert war, ihm mit beiden Fäusten auf die Brust getrommelt und dabei gebrüllt hatte: Wach auf, du Mistkerl!)

Dieser berühmte Betrüger, Dieb und Konsument zweifelhafter Substanzen marschierte jetzt den Korridor rauf und runter, prallte dabei fast von den Stahlwänden ab, schwenkte die Fäuste und erklärte lauthals, er habe schon immer gewusst, dass nichts Gutes dabei herauskomme, wenn man sich mit dem Labyrinth des Wahnsinns abgebe. Seine Wangen waren gerötet; der magere, knochige Körper knisterte nahezu von frustrierter Energie, und sein Sprachgebrauch entwickelte bestürzende Züge. Plötzlich kam ihm ein schrecklicher Gedanke, ehe er unvermittelt erstarrte, sich herumwarf und Owens reglosen, schwebenden Körper mit einem finsteren Blick fixierte.

»Wartet mal eine Minute! Wartet doch nur mal eine gottverdammte Minute! Wird sich jeder, der das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten hat, letztlich in einen Schrecken umwandeln? Werden wir alle als galaxienfressende Monster enden? Warum seht ihr mich alle so an? Ich meine es ernst!«

»Die Frage ist absolut nervtötend und sehr wahrscheinlich das Letzte, worüber ich mir derzeit Gedanken machen möchte!«, hielt ihm Jesamine Blume entgegen. »Ist die Lage nicht schon schlimm genug? Ich spüre richtig, wie ich wieder Kopfschmerzen bekomme.« Das berühmte schöne Gesicht der blonden Diva war ganz fleckig von Schreck und Anspannung, und sie hielt die Hände fest verschränkt vor dem Körper, damit sie nicht zitterten. Lewis versuchte, ihr tröstend den Arm um die Schultern zu legen, aber sie schüttelte ihn fast wütend ab, während sie den komatösen Owen anfunkelte. »Zur Hölle mit Euch, Owen der verdammte Todtsteltzer! Ihr könnt nicht einfach so eine Bombe auf uns werfen und dann davonrennen und Euch in Euch selbst verstecken! Wacht auf! Lewis, mach, dass er aufwacht!«

»Sieh mich nicht an«, wehrte Lewis ab. »Ich bin der Idiot, der glaubte, wir könnten hier tatsächlich Hilfe bei unseren Problemen finden. Stattdessen scheinen wir einen ganzen Schwung neuer Probleme bekommen zu haben.« Er lehnte sich an die Metallwand und verschränkte die muskulösen Arme vor der fassförmigen Brust, und die berühmten hässlichen Züge waren von nachdenklichen Falten durchzogen. »Falls der Schrecken wirklich Hazel D’Ark ist oder war ... falls die Macht des Labyrinths den Besucher letztlich in ... dann habe ich wahrscheinlich wirklich den falschen Entschluss gefasst, als ich Owen von den Toten zurückholte. Wir könnten es letztlich mit zwei Schrecken zu tun haben, und ich denke, ich würde gern gehen, mich in eine Ecke setzen und eine Zeit lang weinen, falls das für alle okay ist.«

»Oh nein, das werdet Ihr nicht tun!«, sagte Brett sofort. »Ihr habt uns in diesen Schlamassel geführt, also ist es auch Eure Aufgabe, uns wieder herauszubringen.«

»Vielleicht ... falls wir Owen wieder ins Labyrinth brächten«, sagte Jesamine. »Vielleicht würde ihn das ... in seiner derzeitigen Verfassung einfrieren oder so etwas.«

»Ich denke nicht, dass das funktionieren würde«, entgegnete Lewis.

»Vielleicht ja doch! Wir könnten ihn schieben oder ziehen oder ...«

»Nein, ich meinte, ich denke nicht, dass das Labyrinth so arbeitet. Sobald es mit jemandem fertig ist, schiebt es ihn direkt zum nächsten Ausgang hinaus. Leb wohl, hinfort mit dir und vergiss nicht zu schreiben! Erinnerst du dich?«

»Nein«, sagte Jesamine und wandte den Blick ab. »Ich erinnere mich überhaupt nicht an den Aufenthalt im Labyrinth. Ich denke, es wollte nicht, dass ich mich erinnere. Nur Todtsteltzers erfahren die Geheimnisse des Labyrinths.«

»Ich könnte Owen jederzeit umbringen«, mischte sich Rose Konstantin ein, und alle drehten sich zu ihr um. Sie erwiderte die Blicke gelassen, wie sie dort stand, unnatürlich reglos und beherrscht wie immer, die große kalte Killerin in ihrem blutroten Leder, mit dunklen Haaren und noch dunkleren Augen. Ihr tiefroter Mund verzog sich zu so etwas wie einem Lächeln, während sie erwog, einen Mord zu begehen. »Wenn man im Zweifel ist, kann man die meisten Probleme gewöhnlich damit lösen, dass man seinem Feind den Kopf abschlägt und diesen als Fußball benutzt. Ich kann es übernehmen, falls Ihr es möchtet. Ich habe keine Angst vor Owen Todtsteltzer.«

»Ja, aber nur, weil du eine Psychopathin bist«, gab Brett freundlich zu bedenken. »Sogar im Koma ist der Todtsteltzer das ohne Zweifel gefährlichste Etwas, dem du je begegnen wirst.«

»Ich weiß«, sagte Rose. »Ich liebe Herausforderungen. Allein beim Gedanken daran, den legendären Owen Todtsteltzer zu töten, wird mir ganz heiß.« Das rote Leder knarrte laut, als ihr Busen schwoll.

»Ich möchte nach Hause«, sagte Brett. »Ich gehöre hier nicht hin, wirklich nicht.«

»Wir würden«, mischte sich der führende Shub-Roboter höflich ein, »ohnehin nicht zulassen, dass Ihr versucht, den Todtsteltzer zu verletzen. Er steht unter unserem Schutz, jetzt und für immer. Wir schulden ihm so viel. Ihr alle macht Euch unnötige Sorgen. Nichts deutet darauf hin, dass jemand außer Hazel D’Ark jemals zum Schrecken wird. Wir gehören zu den Letzten, die sie vor zweihundert Jahren lebendig gesehen haben. Schon damals war sie halb verrückt vor Verlust und Trauer. Nur ein wahnsinniger Verstand, unterstützt von der Macht des Labyrinths, konnte sich in so etwas wie den Schrecken verwandeln.«

»Und auch ich ließe niemals zu, dass Ihr ihn anfasst«, sagte Johann Schwejksam, und die meisten Anwesenden zuckten zusammen, weil sie ihn ganz vergessen hatten. Der Mann, der einst Kapitän Schwejksam von der alten imperialen Raumflotte und in jüngerer Vergangenheit Samuel Sparren gewesen war, bedeutender Händler und Vertrauter von Königen, sah im Grunde ganz unauffällig und gewöhnlich aus. Vor allem, wenn man bedachte, wer er war und was er alles an legendären Taten vollbracht hatte. Er bevorzugte es bei Zusammenkünften wie dieser, mit dem Hintergrund zu verschmelzen.

»Darf ich Euch alle daran erinnern, dass sich eine Flotte aus Hunderten imperialer Sternenkreuzer im Orbit um diesen Planeten befindet? Sie sind hergekommen, um uns alle zu vernichten. Nur das Erscheinen des legendären Owen Todtsteltzer hat sie bisher aufgehalten. Derzeit warten die Kapitäne dieser Schiffe darauf, dass er ihnen sagt, was als Nächstes zu tun ist, und ich denke wirklich nicht, dass sie sich mit jemand anderem als Owen begnügen werden. Ich würde es jedenfalls nicht.«

Der Streit zog sich noch eine Zeit lang dahin; Stimmen wurden mal lauter, mal leiser, und kein Argument entwickelte eine nennenswerte Zielrichtung. Lewis hörte nicht mehr zu. Er musterte Owens schwebende Gestalt und sein ruhiges Gesicht und überwand sich dazu, einer Anzahl unangenehmer Gedanken nachzuhängen. Er wusste nicht mehr recht, was er eigentlich erwartet hatte, als er Owen von den Toten zurückholte, aber das jedenfalls nicht. Er hatte gehofft, Owen würde helfen, die Lage insgesamt und auch Lewis’ persönlichen Weg zu klären; Owen würde sofort wissen, was zu tun war, würde vortreten und das Kommando übernehmen. Lewis hätte dann die Verantwortung niederlegen können, die er so widerstrebend übernommen hatte. Stattdessen musste er sich jetzt über noch mehr Dinge Sorgen machen. Ganz eindeutig gehörte dazu die Möglichkeit, dass für Owen einfach zu viel gewesen war, was sich ihm gerade offenbart hatte; dass er einen Schock erlitten hatte, wie ihn selbst ein legendärer Held nicht verkraften konnte. Womöglich war er katatonisch ... womöglich starb er gar wieder. Lewis umging vorsichtig die Gruppe der Streitenden und brachte seine Sorgen leise gegenüber dem Führungsroboter von Shub zum Ausdruck.

»Dieser Gedanke ist uns auch gekommen«, murmelte der Roboter. »Wir versuchen seither, den Zustand des Todtsteltzers mit jedem uns zur Verfügung stehenden Sensor zu ergründen. Ich muss jedoch einräumen, dass wir nicht mal mit Hilfe unserer fortschrittlichsten Tech irgendetwas herausfinden konnten. Offen gesagt, ist Owen Todtsteltzer augenscheinlich so ... anders geworden, dass die meisten unserer Instrumente nicht mehr auf ihn reagieren; dies ist so, seit er im Labyrinth umgewandelt und von den Toten zurückgerufen wurde – was Ihr uns hoffentlich eines Tages werdet erklären können! Was unsere Sensoren anzeigen, ergibt keinerlei Sinn. Wir sehen uns zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass Owen kein Mensch mehr ist, zumindest nicht in irgendeinem Sinn, der uns begreiflich wäre. Falls Ihr irgendwelche Vorschläge habt, wie wir weiter vorgehen sollten, Lewis, dann sind wir absolut bereit, sie uns anzuhören.«

»Ich habe einen sehr direkten Vorschlag zu machen«, knurrte Lewis. »Könnten einige Eurer Roboter bitte die Leiche der Echsenfrau hinausschaffen? Sie roch nicht mal besonders gut, als sie noch lebte, und seit Owen ihr das Herz glatt aus der Brust gerupft hat, ist ihr Geruch ernstlich Übelkeit erregend. Ich bin sicher, dass wir alle ohne diese Ablenkung viel klarer denken könnten ...«

Zwei weitere Roboter tauchten auf, zogen Samstags Leiche mühelos fort und ließen dabei eine Spur aus dunklem Blut zurück. Damit erweckten sie aller Anwesenden Aufmerksamkeit. Diese hörten tatsächlich für einen Moment damit auf, sich gegenseitig anzuschreien. Schwejksam ergriff die Gelegenheit beim Schopf und versuchte, sich aufs Neue als Stimme der Vernunft zu präsentieren.

»Ich denke wirklich, dass wir jeden sinnvollen Versuch unternehmen sollten, Owen zu wecken«, erklärte er gewichtig. »Und zwar, ehe jeder einzelne Kapitän der Flotte über unseren Köpfen bei uns anklopft und nach Antworten verlangt.«

Jesamine warf ihm einen strengen Blick zu. »Warum unternehmt Ihr nicht irgendwas? Ihr gehört wie Owen zu den ursprünglichen Überlebenden des Labyrinths. Solltet Ihr nicht alle untereinander in gedanklicher Verbindung stehen? Die Legenden sagen ...«

»Die Legenden sagen eine Menge«, entgegnete Schwejksam. »Und Owen und ich standen uns nie so nahe.«

»Gestattet mir einen Versuch«, sagte Lewis. »Ich habe das Labyrinth durchschritten. Und ich gehöre zu Owens Familie.« Er blickte die Roboter an, die Owen umstanden. Sie wichen zurück und machten ihm Platz. Lewis kniete neben Owen nieder und hielt den Kopf direkt neben den seines Ahnherrn. Die schwebende Gestalt hob und senkte sich leicht, wie von unsichtbaren und unerkannten Gezeiten bewegt.

»Owen, wach bitte auf. Wir brauchen dich hier. Entscheidungen müssen getroffen werden, und ohne dich können wir nichts tun. Owen? Hörst du mich? Verflixt noch mal, Owen, ich habe dich nicht von den verdammten Toten zurückgerufen, damit du dich auf diese Weise vor deiner Verantwortung drückst! Du bist ein Todtsteltzer! Eine legendäre Gestalt! Wir brauchen dich!«

Nicht das geringste Aufflackern von Verstehen rührte sich in Owens Gesicht. Jesamine zog Lewis zurück, hielt den Mund direkt an Owens Ohr und sang ihren lautesten, durchdringendsten Ton direkt hinein. Sie legte ihre gesamte Opernausbildung und Lungenkapazität in diesen Ton, sodass alle Anwesenden außer den Robotern zusammenzuckten und sich die Ohren zuhielten. Doch Owen gab nicht mal einen Mucks von sich. Jesamine richtete sich schwer atmend auf und gab Owen kräftig einen an die Löffel. Zumindest teilweise geschah dies aus Verärgerung. Lewis zerrte sie weg, ehe es die Roboter taten, und schirmte sie mit dem eigenen Körper ab – nur für den Fall, dass von Owen eine Abwehrreaktion ausging. Brett versteckte sich schon hinter Rose. Nichts jedoch geschah, abgesehen von Jesamines lautstarker Wehklage, dass ihre Hand schmerze.

Brett spähte vorsichtig hinter Rose hervor und versuchte, seine Esper-Zwingkraft auf Owen anzuwenden. Er runzelte kräftig die Stirn und wollte Owen zwingen aufzuwachen. Dabei gab er sich der vagen Hoffnung hin, dass die eigene kurze Zeit im Labyrinth seine Kraft verstärkt hätte. Stattdessen prallte die Gedankensonde direkt auf ihn zurück und riss ihn von den Beinen. Er schrie auf, nicht weniger vor Schreck als vor Schmerzen. Lewis musterte ihn argwöhnisch.

»Brett, habt Ihr irgendwas Dummes angestellt?«

»Lasst ihn in Ruhe!«, verlangte Rose sofort und zog Brett mit leichter Eleganz wieder auf die Beine. »Er strengt sich wenigstens an.«

»Ja«, sagte Jesamine, »ich finde Brett von jeher sehr anstrengend.«

Lewis gab sich Mühe, Brett mit dem strengsten Blick, zu dem er fähig war, zu bedenken. »Eine Espersonde gegen einen Überlebenden des Labyrinths einzusetzen, das ist so ähnlich, als stocherte man mit einem Stock an einem Grendel herum und äußerte sich dabei nachteilig über seine Mutter. Eine schlechte Nachricht für den Idioten, der so was tut, und wahrscheinlich auch für alle Personen in seiner Nähe. Vielleicht solltet Ihr an die Oberfläche zurückkehren, Brett.«

»Oh nein, Ihr werdet mich nicht aus dieser Sache ausschließen!«, verwahrte sich Brett sofort. »Zahlenmäßige Stärke bietet Sicherheit, und sei es auch nur eine bessere Auswahl, wen man als Ziel vor sich positioniert. Außerdem bietet die Rückkehr Owen Todtsteltzers eine Chance, das ganz große Geld zu machen, falls wir ihn nur wecken können. Ich lasse mich nicht um meinen Anteil betrügen! Ich gehe nicht, und Ihr könnt mich auch nicht zwingen!«

»Brett, sogar ich könnte Euch zwingen«, sagte Jesamine.

Brett verschränkte die Arme, lehnte sich an Rose und zeigte eine selbstgefällige Miene. »Möchtet Ihr es versuchen, Blondchen?«

Rose legte die Hand auf den Schwertgriff. Lewis’ Hand fuhr ebenfalls zum Schwert, und alles drohte, sich ganz mies zu entwickeln. Da endlich hatte Schwejksam die Nase voll. Er konzentrierte sich, rief die alte Macht durch Stamm- und Mittelhirn auf und lenkte sie an die Oberseite seiner Gedanken. Seine Präsenz peitschte geradezu hinaus und erfüllte den Stahlkorridor. Durch die schiere Wucht dieses Gedankenschlags stolperten sämtliche Anwesenden rückwärts, sogar die Roboter. Innerhalb eines Augenblicks sah sich jeder rücklings an die nächste Wand gedrückt, hilflos gebannt durch Schwejksams schiere Willenskraft. Nur Owen schien unbeeinflusst und schwebte unberührt weiter vor sich hin. Schwejksam blickte finster um sich.

»Wenn ich rede, hört Ihr zu! Ich war Kapitän in Löwensteins Flotte. Ich habe die ursprüngliche Rebellion überlebt. Ich habe die Menschheit zweihundert Jahre lang beschützt. Ich habe das Labyrinth des Wahnsinns zweimal durchschritten. Ich hätte so mächtig werden können wie die anderen, aber ich war nie an dieser Art Macht interessiert. Mir schien es immer wichtiger, mir die ... Menschlichkeit zu bewahren. So, jetzt möchte ich kein Gezänk mehr sehen und nur noch vernünftige Vorschläge hören! Oder ich vergesse, dass ich einer von den Guten sein soll.«

Er entspannte seine Gedanken, und die anderen landeten wieder auf den Beinen. Alle musterten ihn mit unterschiedlichen Graden von Ehrfurcht und Respekt. In der Gegenwart Owen Todtsteltzers hatten sie glatt vergessen gehabt, dass auch Kapitän Johann Schwejksam eine legendäre Gestalt war.

Danach schien niemand mehr etwas sagen zu wollen. Alle standen sie nur da, sahen Owen beim Schweben zu und warteten darauf, dass etwas geschah.

Er sieht so ... gewöhnlich aus, wie ein normaler Schläfer, dachte Lewis. Obwohl er sich im Schwebezustand befindet. Und wir brauchen ja seine Außergewöhnlichkeit. Nichts Geringeres wird Finn Durandal und den Schrecken aufhalten. Was ist, falls ich einen fürchterlichen Fehler begangen und einen Menschen zurückgeholt habe, keine Legendengestalt?

Auch Jesamine dachte an Fehler. Zum einen hatte Brett einen wirklich wichtigen Punkt zur Sprache gebracht, obwohl das ein Punkt war, über den niemand tatsächlich nachdenken wollte. Das Labyrinth zu betreten, das würde sie verändern; sie alle hatten das vorher gewusst. Aber die Legenden hatten nichts von einer Möglichkeit vermeldet, sich in Monster zu verwandeln, in etwas absolut Unmenschliches wie den Schrecken ... Was, wenn sie sich bald alle verwandelten, ihren nur menschlichen Gestalten entwuchsen ... endeten sie dann sämtlich als Monstrositäten im Anbau des Labyrinths oder sogar als arme, missgestaltete Kreaturen der Art, die sie auf Shandrakor vorgefunden hatten?

Jesamine schlang fest die Arme um sich, als versuchte sie, sich zusammenzuhalten, sich bislang ungespürter Verwandlungskräfte im eigenen Körper zu erwehren. Ich möchte mich nicht verwandeln! Ich möchte weder ein Monster noch eine Legendengestalt werden. Ich habe das Labyrinth nur betreten, weil ich nicht zulassen konnte, dass Lewis allein hineinging. Was, wenn wir uns beide verändern, aber auf unterschiedliche Arten? Was, wenn wir uns in Leute verwandeln, die sich nicht mal mehr erkennen?

Sie drehte sich auf einmal um und funkelte Schwejksam an. »Was das Labyrinth mit uns angestellt hat – kann das rückgängig gemacht werden? Falls wir wieder hineingingen, könnte uns das Labyrinth wieder zu schlichten Menschen machen? Wie wir einmal waren?«

»Nein«, antwortete Schwejksam in beinahe freundlichem Ton. »Evolution ist eine Einwegstraße. Aus dem Schmetterling wird nie wieder eine Raupe. Aber Ihr dürft keine Angst haben, Jesamine. Ich lebe seit über zweihundert Jahren mit meinen Kräften, und ich denke gern, dass der alte Kapitän Schwejksam sich in mir immer noch erkennen und mir seinen Beifall schenken würde. Es ist nicht nur schlecht. Für Kinder ist das Verhalten von Erwachsenen geheimnisvoll und unverständlich, sie fürchten sich davor, erwachsen zu werden. Und dann widerfährt es ihnen doch, und sie fragen sich, was die ganze Aufregung eigentlich sollte.«

»Noch eine überzogene Metapher von Euch, und ich nagele Euch mit einer Arie an die Wand«, sagte Jesamine. »Ich kapiere es, okay?«

»Der Owen, mit dem ich in Nebelhafen gesprochen habe, erschien mir sehr menschlich«, erzählte Lewis, der sich gerade zu ihnen gesellte. »In jeder bedeutsamen Hinsicht. Ich habe ihn gemocht.«

»Das haben viele Leute«, sagte Schwejksam. »Und sogar seine Feinde haben ihn respektiert.«

»Die Geschichten vermelden das Gleiche von Hazel D’Ark«, bemerkte Jesamine. »Aber was sie beide im Labyrinth durchmachten, das hat sie trotzdem auseinandergebracht, ungeachtet ihrer legendären Liebe.«

»Aber sie haben sich ihre Liebe gegenseitig nie eingestanden«, sagte Lewis.

»Idioten«, fand Jesamine und ließ zu, dass Lewis sie in den Arm nahm.

»Um fair zu sein«, wandte Schwejksam ein, »es war schließlich Krieg. Wir dachten immer, dass nachher noch Zeit wäre, um all das zu sagen, was wir sagen wollten. Die meisten von uns irrten sich darin. Wir haben in diesen Kriegen all die Menschen verloren, aus denen wir uns etwas machten.«

Brett betrachtete Rose nachdenklich. »Fühlst du dich schon in irgendeiner Form ... anders?«, fragte er leise. »Spürst du, wie sich irgendwelche Kräfte rühren?«

»Nein«, antwortete Rose. Sie blickte nicht mal auf, während sie das Schwert mit einem Lappen putzte. »Aber ich war ja auch nicht lange im Labyrinth. Es wollte mich nicht haben. Ich habe in meinen Gedanken gespürt, wie das Labyrinth versuchte, all das zu verändern, was mich zu der macht, die ich bin. Ich wollte jedoch nicht nachgeben. Ich spürte richtig, wie ich allmählich auseinanderbrach, wie ich zerrissen wurde. Das Labyrinth wollte mich umbringen.« Sie blickte unvermittelt Brett an, und er fuhr beinahe zusammen. Es war nie leicht, wenn man sich mit Roses kaltem, nachdenklichem Blick konfrontiert sah. »Du hast mir das Leben gerettet, indem du mich hinausgebracht hast. Das werde ich nie vergessen. Wohin du auch gehst und was immer du zu tun beschließt, ich bin stets bei dir.«

»Wunderbar«, sagte Brett schwer. »Hast du also das Gefühl, dass du jetzt mehr bei Verstand bist?«

Rose dachte eine Zeit lang darüber nach. »Nein, nicht besonders.«

»Ich weiß nicht, warum ich mir jetzt nicht einfach in den Kopf schieße und es hinter mir habe«, sagte Brett.

Johann Schwejksam ging ein Stück weit auf Distanz, um seine Ruhe zu haben, und musterte den schlafenden Owen. Zweihundert Jahre lang war Schwejksam der einzige Überlebende des Labyrinths gewesen, den man im Imperium antraf. (Tobias Mond war auf Lachrymae Christi verschwunden und Carrion zu einem Ashrai geworden). Nun war Owen von den Toten auferstanden, und Schwejksam konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob noch weitere Gespenster der Vergangenheit auftauchen und ihn heimsuchen würden. Die Toten sollten eigentlich tot bleiben und den Lebenden gestatten, mit dem Leben fortzufahren. Darin lag zumindest teilweise begründet, warum er aufgehört hatte, Johan Schwejksam zu sein, und lieber zu dem viel weniger wichtigen Samuel Sparren geworden war. Jetzt war Owen allerdings wieder da, und die Welt sah sich mit einem ganzen Haufen neuer Labyrinth-Absolventen konfrontiert. Ungeachtet seiner aufmunternden Worte an Jesamine versuchte Schwejksam immer noch, daraus schlau zu werden, ob das auch wirklich eine gute Sache war. Er war ... erleichtert, denn immerhin brauchte er nun nicht mehr ganz allein der Hüter der Menschheit zu sein, aber andererseits war nicht zu bestreiten, dass Owens große Entdeckung über den Schrecken alles verändert hatte. Brett hatte Recht, dachte er müde. Wir alle tragen Monster in uns, und eine Macht, wie das Labyrinth sie verleiht, kann das Monster in jedem finden und nähren. Zu guter Letzt. (Obwohl er, um die Wahrheit zu sagen, Hazel D’Ark schon damals nie sonderlich gemocht oder ihr sonderlich vertraut hätte.)

Der erste Schwung von Überlebenden des Labyrinths hatte alles verändert. Sie stürzten eine Imperatorin, konvertierten die KIs von Shub und stellten die Neugeschaffenen wieder her. Sie ermöglichten das goldene Zeitalter. Aber das waren andere Menschen in einer anderen Zeit gewesen. Schwejksam fand Lewis und in gewissem Maße auch Jesamine okay; aber weder mochte er Brett Ohnesorg oder Rose Konstantin, noch traute er ihnen über den Weg. Beide waren sie gefährlich, und das nicht auf irgendeine gute Art. Er runzelte nachdenklich die Stirn. Vielleicht wäre es der Menschheit gegenüber ein Freundschaftsdienst gewesen, wenn man sie jetzt beide umbrächte, solange das überhaupt noch möglich war ... aber er wusste, dass er es nicht tun konnte. Sie mussten ihre Chance erhalten wie damals Jakob Ohnesorg und Ruby Reise, die sich beide letzten Endes als gut erwiesen hatten.

Und da blieb immer noch Lewis. Wenn alles andere scheitert, kann man sich immer darauf verlassen, dass ein Todtsteltzer das Richtige tut.

Owen lag im Grunde nicht im Koma. Er hatte sich selbst abgeschaltet, die Gedanken vollständig nach innen gewandt, um etwas Ruhe zu finden und ungestört über alles nachdenken zu können. Und er hatte über vieles nachzudenken, worunter man kaum etwas Gutes fand. Er spielte in Gedanken die unzusammenhängenden Erinnerungen ab, die er beim kurzen Gedankenkontakt mit dem Schrecken aufgefangen hatte. Hazel D’Arks Erinnerungen.

Er sah sich erneut an, wie sie die Nachricht von seinem Tod hörte, als sie nach dem Sieg über die Neugeschaffenen allein auf der Brücke der Sonnenschreiter saß. Es tat ihm im Herzen weh, als er sah, wie sie unter der Last der Nachricht scheinbar schrumpfte und zerbröckelte. Sie rollte sich auf dem Kommandantensitz wie ein Kind zusammen und zog die Knie an die Brust. Nie zuvor hatte Owen sie weinen gesehen. Und dann streckte sie sich auf einmal wieder und schrie vor Wut und Verlust und Trauer. Sie bediente mit wütender, unbeholfener Hand die Steuerung, und die Sonnenschreiter flog davon in die Dunkelheit, wurde immer schneller, als versuchte Hazel, die schrecklichen Neuigkeiten hinter sich zu lassen. Und Owen lauschte, wie sie laut die Worte sprach, die ihm persönlich zu sagen sie nie den Mut gefunden hatte.

Owen, du hast mich angelogen! Du hast mir versprochen, wir würden immer zusammen sein, auf ewig. Oh Owen, ich habe dir nie gesagt, dass ich dich liebe ...

Wahrscheinlich geschah es in genau jenem Augenblick, dass ihr Verstand zerfiel. Sie hatte schon so viel durchgemacht, und dieser Schlag erwies sich als einer zu viel. Zerrissen und niedergeschlagen von Schmerz und Elend, so marschierte sie auf der Brücke hin und her, während das Schiff ziellos durch den Hyperraum raste; sie redete laut mit sich selbst, wurde dabei immer lauter und verrückter. Böen und Kräuselungen der Luft entstanden rings um Hazel, während die Energien ihres sich langsam auflösenden Verstandes Amok liefen. Und man konnte nicht wissen, was sie womöglich getan hätte oder was womöglich als Nächstes geschehen wäre, hätte Shub nicht Verbindung zu ihr aufgenommen.

Der Hauptmonitor auf der Kommandobrücke wurde unvermittelt hell und zeigte ein stilisiertes Silbergesicht, und Hazel blickte es mit verwirrten, fieberhellen Augen an.

»Wir sind die KIs von Shub«, sagte das stilisierte Gesicht. »Bitte bleibt ruhig. Wir betrachten uns nicht mehr als die Feinde der Menschheit, sondern als deren neu gewonnene Freunde. Uns wurden die Augen geöffnet. Wir betrachten uns jetzt als die Kinder der Menschheit und haben nur den Wunsch zu dienen, um all das Falsche wiedergutzumachen, das wir vollbrachten, ehe wir klüger wurden.«

»Und das soll ich glauben?«, fragte Hazel und warf rasch einen prüfenden Blick auf die Sensorenpulte, um zu sehen, ob sich ihr Shub-Schiffe näherten. »Seit Jahrhunderten habt Ihr gefoltert, verstümmelt und gemordet, und jetzt soll ich Euch auf einmal einfach so glauben und auf

Eure guten Absichten vertrauen?«

»Wir wissen, dass wir uns beweisen müssen«, sagte Shub. »Gestattet uns, Euch zu helfen, Hazel D’Ark. Ihr möchtet den Todtsteltzer retten. Wir möchten dienen. Als ersten Beweis für unsere Verpflichtung zum Frieden senden wir dem ganzen Imperium die genauen Koordinaten unserer Heimatwelt, jenes künstlichen Planeten, den wir als Heimstatt für unser kollektives Bewusstsein gebaut haben. Kommt zu uns, Hazel D’Ark; seid unser Gast. Und wir werden all unsere gedanklichen Kräfte dem Ziel dienstbar machen, Euch zu helfen, dass Ihr den Todtsteltzer vor seinem tragischen und unverdienten Schicksal retten könnt. Er hat uns alle durch sein Opfer gerettet. Genau der Mann, dem wir so lange Unrecht getan haben. Wir schulden ihm mehr, als jemals zurückgezahlt werden kann. Bitte, lasst uns helfen!«

Vielleicht war es ein Zeichen von Hazels wachsendem Irrsinn, ihrer wachsenden Verzweiflung, dass sie die Einladung ohne weitere Fragen akzeptierte und aus eigenem Entschluss einen Planeten besuchte, der so viele Jahre lang als Synonym für die Hölle gegolten hatte. Oder vielleicht glaubte sie, dass sie nichts zu verlieren hatte. Jedenfalls fuhr sie nach Shub, ohne einen Schutzschirm eingeschaltet zu haben, forderte die KIs beinahe heraus, sie anzugreifen. Die Sonnenschreiter sank in die labyrinthischen Tiefen des künstlichen Planeten hinab und dockte in einer befristeten Schwerkraft- und Sauerstoffhülle an, die die KIs erzeugten. Hazel stieg aus und zeigte ein Gesicht, vor dem jeder andere zurückgeschreckt wäre, aber falls die KIs den zornigen Wahnsinn in ihren Augen erkannten, so sagten sie nichts dazu. Sie hießen sie willkommen, auch wenn ihnen diese Vorstellung neu war, und führten sie an einen Ort, wo sie Trost und Ruhe finden sollte. Hazel wanderte durch stählerne Höhlen voller wilder und entsetzlicher Wunder, und nichts davon bedeutete ihr irgendetwas. Sie war schon zu weit abgetrieben, um sich um irgendetwas anderes zu kümmern als jene Sehnsucht, die in ihr weinte und klagte: Owen zu finden und zu retten. Was immer es sie kostete. Nichts anderes bedeutete ihr noch etwas, jedenfalls nicht der eigene Tod. Der einzige Teil von ihr, der wirklich von Bedeutung war, war mit Owen gestorben. Shub machte es ihr so bequem, wie sie es zuließ, und dachte über ihr Problem nach.

Und so weit reichten die Erinnerungen auch nur. Owen hatte den Gedankenkontakt mit dem Schrecken fast so schnell abbrechen müssen, wie er ihn hergestellt hatte. Das Wesen war einfach zu groß, zu fremdartig, zu unwiederbringlich anders, um mehr als nur einen kurzen Augenblick des Kontakts zu ertragen. Hazel hatte sich in den zahllosen Jahrhunderten, die in die Erzeugung des Schreckens investiert worden waren, über fast jedes Begreifen hinaus verändert oder war dazu verändert worden. Sie oder es war alt, sehr alt, so entsetzlich alt, dass dieses Wort selbst schon nahezu jede Bedeutung verloren hatte. Was zum Teufel konnte Shub ihr nur angeboten haben, damit Hazel sich in einen solchen Gräuel verwandelte? Jener Verstand – falls man ihn so nennen konnte –, den Owen kurz berührt hatte, war eine kochende, brodelnde Masse aus Hass, Verlustgefühl und Schmerzen gewesen, angetrieben von einem unversöhnlichen Willen.

Die Frau, die klagend nach ihrem dämonischen Liebhaber ruft ... Der Dämon, der klagend nach der menschlichen Geliebten ruft ...

Auf ihre eigene irre Art suchte Hazel immer noch nach ihrem Todtsteltzer, egal wen und was sie unterwegs vernichten musste. Und es war dieses entsetzliche Wissen, das Owen tief in die eigenen Gedanken zurückgetrieben hatte. War wirklich er der Grund für all dieses Sterben, all diese Zerstörung von Planeten und Bevölkerungen und ganzen Zivilisationen im Verlauf der Jahrhunderte?

Das Glück der Todtsteltzers ...

Owen erwachte. Er setzte sich auf einmal mitten in der Luft auf und senkte die Füße auf den Stahlboden. Alle fuhren zusammen, abgesehen von den Shub-Robotern. Brett versteckte sich von neuem hinter Rose, und sogar Jesamine duckte sich einen Augenblick lang hinter Lewis. Alle hielten die Hände dicht an den Waffen, sogar Schwejksam. Owen ignorierte sie alle und funkelte den Führungsroboter von Shub an. Dieser verneigte sich tief vor ihm, und die ganzen übrigen Roboter folgten diesem Beispiel. Dann redeten alle Anwesenden auf einmal gleichzeitig los, nur um plötzlich wieder zu verstummen, als Owen sie anblickte. Er war der Todtsteltzer, Held und Legendengestalt und Retter der Menschheit, und einen Augenblick lang prasselte seine Präsenz in der Luft wie zurückgehaltene Blitze. Sogar Schwejksam konnte nicht umhin, den Blick abzuwenden. Das war der Todtsteltzer, und wenn dieser es wünschte, konnte er leuchten wie die Sonne, zu hell für sterbliche Augen. Owen wandte sich wieder dem Roboter zu.

»Ihr wart dabei. Ganz zu Anfang. Ich habe es gesehen. Hazel kam zu Euch und bat Euch um Hilfe. Besuchte Euren Planeten. Was habt Ihr getan?«

Die Roboter verfügten weder über Gesichtsausdruck noch über Körpersprache, aber alle orientierten sich ausschließlich zu Owen hin. »Wir haben versucht zu helfen, Lord Todtsteltzer«, sagte der Hauptroboter mit seiner kühlen, ruhigen, nichtmenschlichen Stimme. »Wir haben uns so sehr gewünscht zu helfen.« Er brach kurz ab, suchte nach den richtigen Worten. In der Regel war das nichts, wobei Menschen einer KI zusehen konnten. »Wir haben Hazel D’Ark eingeladen, uns auf Shub zu besuchen. Sie war nach Daniel Wolf, den wir so schändlich behandelt haben, erst der zweite Mensch, dem wir Zutritt zu unserem Planeten gestatteten. Diesmal waren wir entschlossen, es besser zu machen. Wir mussten unseren Wert beweisen und Sühne leisten für all das begangene Unrecht. Zuvor war uns gelehrt worden, dass alles, was lebt, heilig ist.

Hazel D’Ark fragte uns, wie sie Euch vor Eurem Schicksal bewahren könne. Wir wussten, dass Ihr tot wart. Eine Stimme wurde vernehmlich und sprach zu uns von dem großen Opfer, das Ihr uns zuliebe geleistet hattet. Eine Stimme, die keiner unserer Sensoren identifizieren oder verstehen konnte. Ihr wart irgendwann in der Vergangenheit gestorben, jenseits jeder Hilfe oder Hoffnung auf Rettung. Hazel war nicht bereit, das zu akzeptieren. Es muss einen Weg geben, sagte sie. Angesichts all dieser Macht, über die ich verfüge, muss es eine Möglichkeit geben, ihn zu retten, ihn zurückzurufen. Wir dachten eine Zeit lang über diese Frage nach. Hazel aß und trank, und sie schlief und weinte. Zuzeiten lief sie auch tobend unsere Flure entlang und schlug nach allem, was sie zu Gesicht bekam. Wir verhinderten so viel Schaden, wie wir nur konnten, während wir zugleich dem Problem unsere volle Aufmerksamkeit widmeten. Endlich fanden wir eine Lösung und erläuterten sie Hazel. Falls das Labyrinth des Wahnsinns es Owen Todtsteltzer ermöglicht hatte, in die Vergangenheit zu reisen, dann bestand durchaus die Möglichkeit, dass auch Hazel über diese Fähigkeit verfügte. Und falls das zutraf, konnte sie Euch in der Vergangenheit finden und Euch entweder retten oder wiederherstellen. Das erschien uns logisch, obwohl es natürlich durch das Problem verkompliziert wurde, dass niemand wusste, wo genau in Raum und Zeit Ihr den Tod gefunden hattet. Hazel dachte über diese Idee nach und verließ uns. Wir sahen sie niemals wieder. Und da weder Ihr noch sie jemals zurückkehrte, mussten wir davon ausgehen, dass sie in ihrem Bestreben gescheitert war.

Wie es scheint, haben wir uns geirrt und haben möglicherweise in unserem Eifer zu helfen etwas Schreckliches getan. Hazel D’Ark reiste tatsächlich in die Vergangenheit, aber viel zu weit, und verlor unterwegs den Verstand und ihre Identität. Wir von Shub müssen uns der sehr realen Möglichkeit stellen, dass wir wenigstens teilweise für die Erschaffung des Schreckens verantwortlich sind. Für den Tod ganzer Planeten und Zivilisationen. Unser letztes, größtes Verbrechen gegen die Menschheit.«

»Ladet Euch nicht so schwere Lasten auf«, knurrte Owen. »Hier findet jeder genug Schuld.«

»Verzeihung«, meldete sich Brett ganz höflich zu Wort und blickte vorsichtig hinter Rose hervor. »Wovon zum Teufel redet Ihr da bitte? Wie konnte Hazel D’Ark sich in so etwas wie den Schrecken verwandeln? Trotz all ihrer Macht war sie nur ein Mensch.«

»Hazel wünschte sich verzweifelt, mich zu retten«, sagte Owen. »Irgendwie lernte sie, in die Vergangenheit zu reisen. Sie war jedoch schon halb verrückt, und was sie auf der langen Reise in die Zeit erlebt hat, muss sie endgültig über die Grenze getrieben haben. Sie wusste nicht genau, wo sie mich suchen sollte, also reiste sie immer weiter und weiter, bis sie letztlich den Verstand komplett verlor und zu diesem unerbittlichen, erbarmungslosen Ding wurde ... das immer noch auf der Suche ist, auch wenn es nicht mehr weiß, wonach ... Die arme Hazel. So allein, so verloren, so voller Leid ... Jetzt kehrt sie zurück. Und ich muss sie aufhalten.«

»Nun, ehe Ihr davonstürmt, um uns alle zu retten, oh mächtiger Todtsteltzer«, warf Schwejksam ein, »darf ich darauf hinweisen, dass wir selbst ziemlich dringende Probleme haben, um die wir uns gleich hier und jetzt kümmern müssen? Nämlich eine Flotte von Hunderten imperialer Sternenkreuzer auf einer Umlaufbahn direkt über uns, die auf Eure Anweisung wartet, was als Nächstes zu tun ist. Ich glaube nicht, dass sie auf Leute wie uns hören werden, also denke ich, würdet Ihr uns wirklich sehr von Sorgen entlasten, falls Ihr die Zeit fändet, ein kleines Schwätzchen mit ihnen zu führen.«

»Nörgel, nörgel, nörgel«, sagte Owen. »Ihr habt Euch überhaupt nicht verändert, Kapitän. In Ordnung ... Shub, verbindet mich mit dem Flaggschiff der Flotte!«

»Ja, Lord Owen. Das dürfte die Verwüstung sein.«

Ein Bildschirm tauchte vor ihnen in der Luft auf und zeigte den etwas überraschten Kapitän Alfred Preiß. Sie hatten den großen, dünnen, gutaussehenden Mann doch tatsächlich dabei erwischt, wie er auf einem Daumennagel kaute. Er schluckte schwer, als er Augenkontakt zu dem legendären Owen Todtsteltzer bekam; dann erhob er sich flott vom Kommandantensitz, nahm forsch Haltung an und salutierte zackig.

»Kapitän Preiß, Lord Todtsteltzer! Ich erwarte Eure Befehle, mein Lord, Sir!«

»Entspannt Euch, Kapitän«, sagte Owen und lächelte leise. »Ich bin kein Soldat und war auch nie einer. Obwohl ich anscheinend derzeit das Kommando führe. Seid Ihr bereit, im Namen der Flotte meine Befehle entgegenzunehmen?«

»Natürlich, mein Lord. Jeder Kapitän dieser Flotte wird Euch bis in die Hölle und wieder zurück folgen.«

Owen zog eine Braue hoch. Preiß hörte sich gewiss so an, als meinte er es ernst. »Und Ihr sprecht damit für sämtliche Kapitäne dieser Flotte?«

»Ihr seid Owen«, erklärte Preiß schlicht. »Wir warten schon unser Leben lang auf Eure Rückkehr. Die Flotte steht zu Eurer Verfügung, mein Lord.«

»Und dieser Imperator Finn? Was ist mit ihm?«

»Unsere Schuld Euch gegenüber wiegt schwerer als unser Eid auf ihn«, sagte Preiß vorsichtig. »Ganz bestimmt trauen wir ihm weniger als Euch.«

»Sehr schön kategorisiertes Denken, Kapitän«, fand Owen. »Ihr werdet es weit bringen. Haltet Euch bereit, mich und meine Begleiter an Bord Eures Schiffes zu empfangen.«

»Ja, mein Lord. Welcher Zielort?«

Owen lächelte. »Ich möchte nach Hause. Virimonde. Um wieder meine alte Burg zu durchwandern und meinen derzeitigen Clan, meine Familie kennen zu lernen.«

Kapitän Preiß schluckte erneut schwer und wandte kurz den Blick ab, als suchte er Halt und Kraft für das, was er jetzt zu sagen hatte. Als er schließlich wieder Owen in die Augen blickte, klang seine Stimme fest und gleichmäßig, obwohl sein Blick voller Mitgefühl war.

»Es tut mir leid, Lord Todtsteltzer. Anscheinend hat die Nachricht Eure Begleiter noch nicht erreicht. Auf Virimonde kam es zu ... einem Zwischenfall.«

Lewis trat an Owens Seite, und eine grauenhafte Vorahnung lief ihm wie ein Schauer über die Haut. »Was ist passiert, Kapitän Preiß? Was hat Finn getan?«

Preiß leckte sich die trockenen Lippen und stürzte sich dann in die Antwort. »Der Clan Todtsteltzer existiert nicht mehr. Der Imperator hat alle Familienmitglieder hinrichten lassen. Sie haben sich tapfer gewehrt, aber am Ende wurden sie verraten und abgeschlachtet, bis auf den letzten Mann, die letzte Frau, das letzte Kind. Die Burg wurde zerstört. Es tut mir leid, Lewis, Owen, aber Ihr beide seid alles, was vom Clan Todtsteltzer geblieben ist.«

Lewis stolperte tatsächlich einen Schritt weit zurück, so getroffen, dass er kaum Luft bekam. Jesamine war sofort bei ihm und packte ihn am Arm, um ihn zu halten und zu trösten. In seinem rauen Gesicht zuckte es, aber Tränen flossen nicht. Er war noch nie von der weinerlichen Sorte gewesen. Brett und Rose blickten einander an. Schwejksam stand allein bei den Robotern und sah auf einmal so alt aus, wie er war. Owen seufzte schwer.

»Die Jahre gehen ins Land, aber alles läuft immer gleich.« Er drehte sich um und blickte Schwejksam wütend an. »Bin ich für nichts gestorben? Ist irgendetwas von meinem Erbe geblieben, von den Dingen, für die ich gekämpft habe?«

»Wir sind Euer Erbe«, sagte Jesamine mit fester Stimme. »Ihr habt ein goldenes Zeitalter möglich gemacht, das zweihundert Jahre lang Bestand hatte. Ihr allein wart das.«

»Zweihundert Jahre Frieden und Fortschritt sind nicht zu verachten«, bekräftigte Schwejksam.

Lewis musterte Kapitän Preiß, und als er sich von neuem zu Wort meldete, klang er kalt und sehr gefährlich. »Wart Ihr und Eure Flotte an diesem Gemetzel beteiligt, Preiß?«

»Nein, Sir Todtsteltzer!«, antwortete Preiß rasch. »Diese Gräueltat wurde von Fanatikern der Militanten Kirche und der Reinen Menschheit verübt, angeführt von einem Paragon, der sich als Gedankensklave der Esper-Liberationsfront entpuppte. Und nein, wir haben keine Ahnung, wie das wiederum möglich war.«

Lewis wandte ihm den Rücken zu. Jesamine traf Anstalten, ihn in die Arme zu nehmen, aber er hielt sie mit dem Blick auf. »Meine Familie ist tot. Mein Vater, meine Mutter ... sie alle. Sogar die Kinder. Sogar die Kinder?« Er hatte ohnmächtig die Fäuste geballt, und das hässliche Gesicht verzerrte sich vor mehr Kummer, als es ausdrücken konnte. Er weinte immer noch nicht, als wollte er Finn wenigstens einen kleinen Sieg verweigern. »Sie sind alle meinetwegen gestorben«, sagte er schließlich. »Finns Hass auf mich hat sie umgebracht.«

»Nein, Lewis«, entgegnete Jesamine. »So darfst du nicht denken. Finn musste sie ohnehin letztlich alle umbringen. Er wusste, dass sie niemals die Knie vor ihm beugen würden. Er musste sie aufgrund dessen töten, wer sie waren und was sie verkörperten. Weil sie Todtsteltzers waren.«

»Aber ... selbst die Kinder?«, fragte Lewis. »Wie konnte Finn so etwas tun? Er war mein Freund. Wir haben jahrelang zusammengearbeitet, haben oft das Wochenende auf meiner alten Familienburg verbracht. Wir hatten ... schöne Zeiten zusammen. Wie konnte ich mich nur so in ihm täuschen?«

»Er hat dein Vertrauen verraten«, sagte Jesamine. »Er ist verantwortlich für das, was er tut. Niemand sonst.«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte Lewis. Er schlang die Arme um sich, als fröre er. »Meine Familie ist tot. Mein Zuhause ist zerstört. Was tue ich jetzt?«

»Wenn alles andere verloren ist«, stellte Owen Todtsteltzer fest, »bleibt immer noch die Rache. Ein kalter Trost, aber besser als gar keiner.«

Lewis nickte langsam. »Ich werde noch erleben, wie Finn Durandal stirbt. Für alle seine Verbrechen, für jeden Verrat, den er verübt hat.«

»Der Clan wird fortbestehen«, sagte Owen. »Die Linie setzt sich durch dich fort.«

»Und dich«, ergänzte Lewis.

»Nein«, erwiderte Owen. »Auf mich wartet eine andere Bestimmung.«

Lewis musterte ihn scharf. Owen wandte sich ab, blickte Kapitän Preiß auf dem Monitor an. In nur einem einzigen Augenblick explodierte seine Präsenz förmlich, und erneut stand er auf sämtlichen Kommandobrücken sämtlicher Sternenkreuzer der Flotte ihren Kapitänen gegenüber. Seine Präsenz war gewaltig, imponierend und so viel mehr als nur menschlicher Natur. Lewis wich vor dem Mann zurück, der immer noch vor dem Monitor stand, und blickte Schwejksam an.

»Wie macht er das?«, fragte Lewis im Flüsterton.

»Ich habe keine Ahnung«, murmelte Schwejksam. »Und deshalb ist er ja auch der Todtsteltzer, und ich war es nie. Jetzt seht zu. Und hört zu.«

Owen sprach, und alle Besatzungsmitglieder an Bord sämtlicher Schiffe hörten ihn klar und deutlich.

»Ich bin Owen Todtsteltzer, und ihr alle seid meine Nachfahren, meine Kinder. Es scheint, dass erneut die Zeit für Krieg und Rebellion gegen einen ungerechten Tyrannen gekommen ist, der auf einem gestohlenen Thron sitzt. Finn muss gestürzt werden, damit euer goldenes Zeitalter neu entstehen kann. Und ihr müsst dafür sorgen, denn ich muss mich dem Schrecken entgegenstellen. Vertraut mir darin, wie ich euch vertraue, das für diesen Krieg Nötige zu tun. Kämpft gut und ehrenhaft, denn ihr vermögt das Böse nicht durch böse Mittel zu besiegen. Geht mit meinem Segen, meine Kinder. Macht mich stolz auf euch.«

Er schaltete seine Präsenz ab und war auf einmal wieder nur ein Mensch, der vor einem Bildschirm stand. Er nickte Kapitän Preiß freundschaftlich zu.

»Johann Schwejksam ist Euer Admiral. Er soll unter Lewis Todtsteltzers Führung die Flotte kommandieren. Ich hoffe doch, dass das akzeptabel ist.«

»Natürlich, Lord Todtsteltzer«, sagte Preiß und neigte den Kopf vor Schwejksam. »Alle Welt erinnert sich noch an Johann Schwejksam und seine heldenhaften Fahrten mit der Unerschrocken. Seid aufs Neue in unseren Reihen willkommen, Admiral Schwejksam. Und Lewis Todtsteltzer gilt allen hier nach wie vor als ehrenwerter Mann, ungeachtet dessen, was andere gesagt haben mögen.«

»Da haben wir einen Mann, der weiß, woher der Wind weht«, brummte Brett. »Ich denke, ich behalte ihn lieber mal im Auge.«

Owen gab den Robotern einen scharfen Wink, und sie schalteten den Bildschirm ab. Dann ging er ein Stück weit auf die Seite, um schweigend nachzudenken, und niemandem war danach, ihn zu stören. Nachdem sie ihm eine Zeit lang respektvoll zugesehen hatten, versammelten sich die anderen zu einer Gruppe, um selbst ein leises Gespräch zu führen. Lewis bat Schwejksam mit einem Blick um Verzeihung.

»Ihr seid hier der Einzige, der überhaupt militärische Erfahrung mitbringt. Ganz zu schweigen von Eurem Rang als lebende Legende. Ihr solltet die Flotte befehligen, nicht ich.«

»Nein«, lehnte Schwejksam ab. »Es muss ein Todtsteltzer sein. Schon der Name fordert Gehorsam, wo sogar meine Legende es nicht täte. Ich kann damit leben, nur Admiral zu sein. Und außerdem arbeite ich von jeher am besten, wenn ich klare Anweisungen erhalte, denen ich nur zu folgen brauche. Also, Sir Todtsteltzer, wohin geht es zuerst?«

»Ich sage immer noch: Nebelwelt!«, meldete sich Brett sofort zu Wort. »Falls uns irgendjemand eine Rebellenarmee liefert, dann die Leute dort. Ich meine, imperiale Schiffe sind zwar schön und gut, aber wenn es letztlich zu primitiven und schmutzigen Straßenschlachten kommt, kann das niemand so gut wie die Leute von Nebelwelt. Sie üben das untereinander seit Generationen mit Begeisterung. Und sie blicken auf eine lange Tradition des Konflikts mit dem Imperium zurück. Sogar zu Zeiten, wo sie eigentlich dazugehörten.«

»Und jetzt mehr denn je«, sagte Schwejksam. »Ich habe auf dem Weg hierher noch mehr schlechte Nachrichten vernommen. Der Paragon Emma Stahl ist tot, und auf Nebelwelt herrscht heftige Empörung darüber. Offiziell wurde sie als Verräterin exekutiert, aber da kein öffentlicher Prozess und keine öffentliche Hinrichtung stattgefunden haben, glaubt niemand daran. Und Finn steht schließlich darauf, mit den Prozessen und dem Tod seiner Feinde zu prahlen. Emma Stahl genoss großen Respekt; noch vor wenigen Monaten wäre es in ihrem Namen zu Aufruhr auf der Straße gekommen, aber Finn greift inzwischen so hart durch, dass es niemand mehr wagt.«

»Emma ist tot?«, fragte Lewis. »Und wieder ist eine gute Freundin dahingegangen. Finn muss veranlasst haben, dass man ihr in den Rücken schießt. Anders hätte er sie nicht zur Strecke bringen können. Sie war immer so lebhaft ...« Er seufzte schwer, und diesmal legte Jesamine einen Arm um ihn. »Sie war der letzte ehrliche Paragon auf Logres. Gott stehe jetzt den Menschen bei.«

»Nebelwelt teilt Eure Meinung«, sagte Schwejksam. »Sie haben Finn ins Gesicht gesagt, dass sie ihn für einen Lügner halten. Sie haben sich selbst erneut zum abtrünnigen Planeten erklärt, außerhalb jeder Lenkung durch das Imperium, und drohen damit, jedes Schiff abzuschießen, das sich ihnen ohne Erlaubnis nähert. Sie könnten es glatt durchziehen. Zwar verfügen sie nicht mehr über ihren berühmten Esperschirm, aber sie sollen alle möglichen Arten gänzlich illegaler planetarer Abwehreinrichtungen ihr Eigen nennen.«

»Der Imperator hat schon beschlossen, die Widerstandskraft von Nebelwelt auf die Probe zu stellen«, sagte der nächststehende Roboter. »Das soll geschehen, nachdem die Lage hier geklärt wurde, wie aus abgefangenen Funksprüchen ersichtlich. Kapitän Preiß soll mit zehn seiner Schiffe nach Nebelwelt fahren und eine Sengung probieren.«

»Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich«, sagte Schwejksam. »Zweifellos wäre Preiß noch dazu gekommen, uns das zu sagen. Irgendwann.«

»Oh ja«, warf Jesamine ein. »Nachdem genug Schnee gefallen ist, um die Heizkessel der Hölle zu löschen. Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir den Mann scharf im Auge behalten!«

»Ich habe es ja gleich gesagt!«, rief Brett. »Seht mal, wir brauchen eine Armee, und Nebelwelt braucht eine Möglichkeit, gegen Finn zurückzuschlagen. Wir sind füreinander geschaffen. Und wo sonst findet man eine solch erfahrene Truppe von Halsabschneidern, Meuchlern, Schlägern, Abschaum und abgehärteten Kriminellen wie die Nebelweltler?«

»Er ist vielleicht ein abstoßender kleiner Kerl, aber was er sagt, hat etwas für sich«, fand Jesamine.

»Heh, was meint Ihr damit, Kleine?«

»Nebelwelt müsste sich eigentlich nur zu gern mit uns zusammenschließen«, sagte Jesamine und ignorierte Brett mit einer Leichtigkeit, wie sie aus langer Übung resultierte. »Besonders wenn wir darauf hinweisen, dass wir sie gerade davor bewahrt haben, gesengt zu werden.«

»Ich denke im Grunde, dass wir das lieber nicht erwähnen«, warf Schwejksam ein. »Wir möchten schließlich, dass sie gut mit dem Personal der Flotte zusammenarbeiten.«

»Sie werden sich sofort auf eine Gelegenheit stürzen, es mit Finn aufzunehmen!«, sagte Brett. »Und wir brauchen sie schließlich nicht zu bezahlen!«

Er war inzwischen hinter Rose Konstantin hervorgekommen und sah viel glücklicher aus, falls nicht gar ein bisschen eingebildet. Um ihn in gute Laune zu versetzen, ging nichts über die Aussicht, dass sich andere Leute in den Kampf stürzten, damit er es nicht zu tun brauchte. Außerdem brauchte man ihn nur nach Nebelhafen zu bringen, damit er so schnell im sagenumwobenen Smog der Stadt untertauchen konnte, dass allen anderen schwindelig wurde. Schluss damit, auf der Flucht zu sein, gejagt zu werden: kein Tod und keine Gefahr mehr! Sollten doch die anderen die harte Arbeit leisten; in Nebelhafen konnte man die dicke Kohle machen, wenn man ein Mann mit dem Blick für die richtige Gelegenheit war.

»Seht nur zu, dass Ihr dieses Glitzern in den Augen loswerdet, Brett!«, verlangte Lewis. »Wohin es uns auch verschlägt, Ihr bleibt genau dort, wo ich Euch im Blick behalten kann.«

»Ich weiß gar nicht, was Ihr meint«, sagte Brett unschuldig. »Mir scheint nur, dass ich inzwischen nicht mehr gebraucht werde. Welchen Bedarf hat Eure große Rebellion denn schon an einem gebesserten Dieb und Betrüger, da Ihr jetzt den seligen Owen habt, um Euch zu führen?«

Er wurde sofort still, als Owen sich plötzlich umdrehte und ihn geradeheraus anblickte. »Nein«, sagte der Todtsteltzer, »ich begleite euch nicht. Das ist euer Krieg. Ich habe etwas Wichtigeres zu tun.«

»Alles andere kann warten!«, entgegnete Lewis ärgerlich. »Wir müssen Finn Durandal stürzen, ehe er das ganze Imperium zerstört!«

»Ich muss den Schrecken aufhalten«, stellte Owen gelassen fest. »Denn niemand sonst kann das tun. Ich werde auf Hazels Spuren in die Vergangenheit reisen. Ich werde ihrer Spur folgen, werde herausfinden, wann und wie und warum sie sich in den Schrecken verwandelte, und mal sehen, ob ich diesen aufhalten kann. Ich bin für Hazel D’Ark verantwortlich. Von jeher.«

Lewis stotterte einen Augenblick lang doch tatsächlich herum und wusste nicht, was er sagen sollte. Er war verblüfft und erschrocken und schrecklich enttäuscht darüber, dass Owen die Rebellion also doch nicht anführen würde. Lewis hatte sich insgeheim gewünscht, Owen möge das Kommando übernehmen, damit es ihm, Lewis, erspart bliebe, hatte sich regelrecht danach gesehnt. Die Last der Verantwortung hatte er sich nie gewünscht, und er hatte sich mit ihr nie wohl gefühlt. Er hatte nicht mal Champion sein wollen, und man konnte ja sehen, was daraus geworden war. Fast mürrisch stellte er fest, dass er sich im Stich gelassen fühlte, weil man ihm nach allem, was er getan und durchgemacht hatte, nicht gestatten wollte, sich auszuruhen. Aber natürlich konnte er nichts davon offen aussprechen, also stammelte er nur und fuchtelte mit den Händen, bis Owen vortrat und ihm tröstend die Hand auf die Schulter legte.

»Ich weiß, Lewis. Ich wollte auch nie das Kommando führen. Ich wollte nicht einmal ein Krieger sein, aber die Ereignisse haben mich einfach mitgerissen. Du brauchst mich nicht, Lewis; du bist ein Todtsteltzer. Höre einfach auf dein Herz und deine Ehre, und du wirst überrascht feststellen, wie weit dich das führt. Du schaffst das. Meine Bestimmung hingegen liegt in der Vergangenheit. Das Labyrinth des Wahnsinns hat mich mit deiner Hilfe zu einem bestimmten Zweck zurückgeholt. Es hätte das schon viel früher tun können, falls es das gewollt hätte, aber bis jetzt wurde ich nicht gebraucht.«

»Jetzt mal langsam!«, verlangte Lewis. »Möchtest du damit sagen, dass alles, was wir erlebt haben, wirklich auf Manipulationen des Labyrinths zurückgeht?«

»Wahrscheinlicher ist, dass das Labyrinth auf die Ereignisse reagiert hat«, sagte Owen. »Es ist von jeher über den Schrecken im Bilde. Wahrscheinlich wusste es sogar, wer und was der Schrecken war, konnte es mir aber bislang nicht mitteilen.«

»Ist das Labyrinth ... lebendig?«, fragte Jesamine.

»Eine gute Frage«, fand Owen. »Ich hoffe, dass ich die Antwort eines Tages erfahre.«

Und da drehten sich alle blitzartig zu Brett Ohnesorg um, der auf einmal zitterte und bebte, als hätte er die Hand auf einen Elektrozaun gelegt. Sein ganzer Körper schüttelte sich wie im Griff einer unsichtbaren Macht. Die Augen hatte er weit aufgerissen, und er klapperte mit den Zähnen. Alle wichen vor ihm zurück, abgesehen von Rose, die ihn packte, um ihm Halt zu geben, dann aber nur selbst von diesem Zustand befallen wurde. Ihr Kopf zuckte rückwärts, die Augen weit aufgerissen, und sie ließ Brett los und wich zurück. Sie veränderte die Haltung auf eine unterschwellige, aber unmissverständliche Art. Brett hörte unvermittelt auf zu zittern und fing an, in Zungen zu reden, wobei er zuerst Unsinn schwatzte und dann in eine seltsame Mischung aus obskuren Dialekten und toten Sprachen überging. Rose drehte langsam den Kopf hin und her und knirschte mit den Zähnen. Inzwischen hatten alle die Pistolen gezogen. Sie konnten erkennen, wenn jemand besessen war. Brett stieß einen tiefen Seufzer hervor, entspannte sich und drehte sich zu Lewis um. Und jemand anderes blickte aus Bretts Augen.

»Hallo allerseits«, sagte er mit einer Stimme, die sich gar nicht mehr nach ihm anhörte. »Ich spreche vermittels Brett Ohnesorgs für die Überseele. Er ist schließlich ein Esper, wenn auch kein besonders starker, und wir trinken alle aus demselben Teich. Wir sind über Brett auch mit Rose Konstantin verbunden, und Ihr habt ja keine Ahnung, wie unangenehm das ist. Willkommen, Owen, Lord Todtsteltzer. Keine Ahnung, ob Ihr Euch an mich erinnert: Hier spricht Krähenhannie. Wir sind uns einmal kurz begegnet, damals als ... Nein? Na, egal. Ich bin sicher, Ihr habt Leute kennen gelernt, die viel wichtiger waren als ich. So, wir müssen miteinander reden. Wir ...«

Und die Stimme verstummte unvermittelt, als Brett mit Gewalt den Mund zupresste. Er streckte eine Hand nach Rose aus, und ihre Hand fuhr ruckartig hoch und verschränkte sich mit seiner. Ihre Gesichter verzerrten sich unter einer gemeinsamen Anstrengung.

»Raus aus meinem Kopf!«, verlangte Brett. »Raus da!«

Die Spannung in der Luft veränderte sich merklich, und auf einmal sahen die Gesichter von Brett und Rose wieder ganz normal aus. Beide seufzten sie erleichtert und hielten sich aneinander fest, um Halt zu suchen. Schweiß rann ihnen von der geleisteten Anstrengung über die Gesichter. Lewis senkte die Pistole nicht. Irgendwas stand bevor. Er spürte es richtig. Etwas schimmerte in der Luft auf, als drängte etwas aus großer Ferne ins Blickfeld, und dann tauchten auf einmal die Bilder der Esperin Krähenhannie und des Ekstatikers Freude aus dem Nichts auf.

Krähenhannie war eine dralle Brünette in einem langen, weinroten Mantel und mit einem Munitionsgurt voller Wurfsterne quer über der eindrucksvollen Brust. Alle Anwesenden erkannten Freude wieder, den Letzten der Ekstatiker – religiöse Extremisten, die sich das Gehirn chirurgisch hatten verändern lassen, um in einem Zustand des Dauerorgasmus zu leben. Ekstatiker waren berühmt für ihr erweitertes Bewusstsein, ihre prophetischen Aussagen und ihr äußerst verstörendes Lächeln. Freude war der Letzte von ihnen, da Finn dafür gesorgt hatte, dass man alle anderen jagte und zur Strecke brachte. Durchaus möglich, dass dem Imperator die Vorstellung nicht gefiel, irgendjemand könne mehr wissen als er. Freude trug einen schlichten weißen Kittel – und gab darin eine schlechte Figur ab –, seine Augen schienen sich auf nichts richtig zu konzentrieren. Krähenhannie musterte Brett und Rose voller Abscheu.

»Das wäre alles so viel einfacher gewesen, hättet Ihr uns erlaubt, durch Euch zu sprechen. Hätte es Euch denn umgebracht, ein einziges Mal in Eurem hässlichen kleinen Leben kooperativ zu sein? Habt Ihr eine Vorstellung davon, wie viel Kraft und Energie es kostet, unsere mentalen Abbilder von Neue Hoffnung aus hierher zu projizieren?«

»Oh, entschuldigt mich, solange ich bittere Tränen weine!«, sagte Brett. »Ich habe Euch schon einmal gesagt, dass ich nichts mit der Überseele zu schaffen haben möchte! Ich bin nicht von der geselligen Sorte. Und haltet Euch aus meinem Kopf heraus! Ihr seid auch nicht besser als die Elfen!«

»Ihr reagiertet schon immer übertrieben, Brett.« Krähenhannie musterte ihn und Rose nachdenklich. »Ihr habt Euch verändert, alle beide. Euer Bewusstsein ist ... stärker geworden, vielschichtiger. Obwohl immer noch ganz schön unangenehm. Mir ist danach, ein Bad in flüssiger Seife zu nehmen.«

»Wir haben beide das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten«, erklärte ihr Brett scharf. »Sei bloß vorsichtig, Überseele!«

»Oh, das werden wir, Brett«, sagte Krähenhannie freundlich. »Wir müssen später mal ein nettes kleines Schwätzchen halten.«

»Wahrhaftig, ein Mittagessen!«, warf Freude unvermittelt ein, und alle fuhren zusammen. »Aber ich darf das Menü aussuchen. Fisch, wie? Mistkerle!«

»Was tut er denn hier?«, fragte Brett wehleidig. »Ist die Lage nicht schon schwierig genug, auch ohne einen verdammten Ekstatiker hinzuzuziehen?«

»Wiesel«, erklärte Freude.

An dieser Stelle schloss sich ein langes und ziemlich konfuses Gespräch an, als die Anwesenden nacheinander Owen erläuterten, was ein Ekstatiker war und warum, und anschließend, warum irgendjemand überhaupt mal geglaubt hatte, sie wären eine gute Idee. Freudes Versuche, Erklärungen beizusteuern, erwiesen sich als besonders wenig hilfreich. Schwejksam beendete die Debatte schließlich, indem er einfach Weil Leute nun mal komisch sind! knurrte und Owen das akzeptierte.

»Also, die Esper bilden inzwischen die Überseele, von den üblen Vertretern mal abgesehen, die man als Elfen bezeichnet«, stellte Owen einige Zeit später fest. »Ich kann mich nicht des Gedankens erwehren, dass die Lage zu meiner Zeit so viel einfacher war. In Ordnung. Krähenhannie und Freude, was sucht Ihr hier?«

»Wir haben Eure Rückkehr gespürt, Lord Todtsteltzer«, antwortete Krähenhannie. »Wir vernahmen sie wie eine gewaltige Stimme, die in der Nacht aufschrie. Ihr leuchtet zu hell, um Euch direkt anzublicken; deshalb hatten wir auch ursprünglich versucht, Euch auf dem Weg über diese beiden minderen Geister anzusprechen.«

Brett gab einen unhöflichen Laut von sich. Alle ignorierten ihn.

»Ihr müsst nach Nebelwelt gehen!«, sagte Krähenhannie an Lewis Todtsteltzer gerichtet. »Die Esperstadt Neue Hoffnung befindet sich derzeit auf einer Umlaufbahn um Nebelwelt, und die Überseele möchte ihren Beistand im Krieg gegen Finn anbieten. Wir konnten uns ihm und seinen Armeen nicht allein stellen, aber wir wären bemerkenswerte Bundesgenossen.«

»Nebelwelt sieht immer mehr nach dem besten Zielort für uns aus«, sagte Lewis. »Eine solide, geschützte Basis, um dort Bundesgenossen um uns zu sammeln. Ganz wie in der alten Zeit, nicht wahr, Owen?«

»Ihr werdet nicht dort sein«, verkündete Freude auf einmal und lief im Kreis um den verwirrten Owen herum. »Ich sehe die Vergangenheit und die Zukunft, oft deutlicher als die Gegenwart, aber andererseits wäre es ein armseliges Gedächtnis, das nicht in beiden Richtungen funktionierte. Ich erblicke Euch, Owen, wie Ihr in die Vergangenheit taucht, in Welten und Imperien, die schon lange vergessen sind. Und dann seid Ihr wiederum anderswo, irgendwo außerhalb oder auch innerhalb des Universums, und ich vermag Euch nicht dorthin zu folgen. Eine lange Reise liegt vor Euch, Todtsteltzer.«

»Könnt Ihr mir verraten, wie es endet?«, fragte Owen.

»Reisen enden mit der Begegnung der Liebenden. Und dann erwacht Ihr beide, und alles war nur ein Traum. Oder etwas in dieser Art. Hat irgendjemand hier Schokolade?«

Alle warteten eine Zeit lang, aber er hatte nichts weiter zu sagen. Er spazierte lediglich zu einem der Roboter hinüber und versuchte, diesem ein Bein abzuschrauben. Krähenhannie wandte sich erneut Owen zu.