Todtsteltzers Rückkehr - Simon R. Green - E-Book

Todtsteltzers Rückkehr E-Book

Simon R. Green

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Beschreibung

Die verzweifelte Suche nach der Rettung - gegen alle Widerstände ...

Nachdem er sich in die Braut des Königs verliebte, wurde Lewis Todtsteltzer zum Gesetzlosen erklärt - wie sein berühmter Ahne Owen. Die Gelegenheit für den ehemaligen Paragon Finn Durandal, dem König die Kontrolle zu entziehen und sich als die Macht hinter dem Thron zu installieren.

Aber Durandal ist nicht die größte Gefahr für das Imperium. Der Schrecken, der gemäß der alten Prophezeiungen die Menschheit vernichten wird, rückt näher. Die Prophezeiungen sagen auch, dass nur eine Legende den Schrecken aufzuhalten vermag, eine Legende, die vor mehr als zweihundert Jahren verschwand: Owen Todtsteltzer. Lewis will nicht glauben, dass der Retter der Galaxis tot ist. So begibt er sich in die dunkelsten Winkel des Universums, um seinen verlorenen Vorfahren zu finden. Ein Vorhaben, das Finn Durandal als existenzielle Bedrohung ansieht ...

"Abenteuer, Raumschlachten, Heldentum und exotische Schauplätze - Green mischt alle Zutaten zu einer außergewöhnlichen Space Opera." (Booklist)

Simon R. Greens große SF-Serie um Owen Todtsteltzer, die ihm den Durchbruch brachte - jetzt endlich wieder erhältlich, erstmals als eBook!

Die Legende von Owen Todtsteltzer: 1. Der Eiserne Thron, 2. Die Rebellion, 3. Todtsteltzers Krieg, 4. Todtsteltzers Ehre, 5. Todtsteltzers Schicksal, 6. Todtsteltzers Erbe, 7. Todtsteltzers Rückkehr, 8. Todtsteltzers Ende

Weitere Romane aus dem Todtsteltzer-Universum: Nebelwelt - Geisterwelt - Höllenwelt

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors:

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

KAPITEL EINS:

IN DEN FUSSSTAPFEN LEGENDÄRER HELDEN

KAPITEL ZWEI:

BRÜDERLICHE LIEBE UND ANDERE GESICHTSPUNKTE

KAPITEL DREI:

MEIN ROTER HIMMEL

KAPITEL VIER:

GEZEITENWECHSEL

KAPITEL FÜNF:

RAUBTIERE UND IHRE OPFER

KAPITEL SECHS:

DER TOD VON PRINZEN UND VON KÖNIGEN

KAPITEL SIEBEN:

HINTER DEM BLEICHEN HORIZONT

KAPITEL ACHT:

FINN TRIUMPHIERT – GRÖSSTENTEILS

KAPITEL NEUN:

DIE GRAUENHAFTE WAHRHEIT

Weitere Titel des Autors:

Die Legende von Owen Todtsteltzer:

Der Eiserne Thron

Die Rebellion

Todtsteltzers Krieg

Todtsteltzers Ehre

Todtsteltzers Schicksal

Todtsteltzers Erbe

Todtsteltzers Ende

In den Schatten des Imperiums:

Geisterwelt

Höllenwelt

Nebelwelt

Über dieses Buch

Nachdem er sich in die Braut des Königs verliebte, wurde Lewis Todtsteltzer zum Gesetzlosen erklärt – wie sein berühmter Ahne Owen. Die Gelegenheit für den ehemaligen Paragon Finn Durandal, dem König die Kontrolle zu entziehen und sich als die Macht hinter dem Thron zu installieren.

Aber Durandal ist nicht die größte Gefahr für das Imperium. Der Schrecken, der gemäß der alten Prophezeiungen die Menschheit vernichten wird, rückt näher. Die Prophezeiungen sagen auch, dass nur eine Legende den Schrecken aufzuhalten vermag, eine Legende, die vor mehr als zweihundert Jahren verschwand: Owen Todtsteltzer. Lewis will nicht glauben, dass der Retter der Galaxis tot ist. So begibt er sich in die dunkelsten Winkel des Universums, um seinen verlorenen Vorfahren zu finden. Ein Vorhaben, das Finn Durandal als existenzielle Bedrohung ansieht …

Über den Autor

Simon R. Green (*1955) kommt aus Bradford-on-Avon, England. Während seines Literatur- und Geschichtsstudiums an der Leicester University begann er mit dem Schreiben und veröffentlichte einige Kurzgeschichten. Doch erst 1988, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, verkaufte er seine ersten Romane. Seinen Durchbruch erlangte er Mitte der Neunziger mit der SF-Weltraumoper-Saga um Owen Todtstelzer: Eine Serie, die – wie er selbst sagt – irgendwie außer Kontrolle geraten ist, da er eigentlich nur drei Bücher schreiben wollte … Mittlerweile umfasst Simon R. Greens Werk weit über 40 Romane, das neben Science Fiction auch verschiedene Subgenres der Fantasy von Dark bis Funny, von High bis Urban abdeckt.

Simon R. Green

Todtsteltzers Rückkehr

Deathstalker – Buch 7

Aus dem Englischen von Thomas Schichtel

Science Fiction

beBEYOND

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2004 by Simon R. Green

Titel der Originalausgabe: »Deathstalker Return«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Todtsteltzers Erbe«

Textredaktion: Uwe Voehl / Stefan Bauer

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter- Bille

unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler, Regensburg

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-9137-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

KAPITEL EINS:

IN DEN FUSSSTAPFEN LEGENDÄRER HELDEN

Lewis Todtsteltzer und seine Mitrebellen waren inzwischen schon zwei Tage lang mit der entführten Jacht Herwärts unterwegs. Sie hatten noch nicht einmal die Grenze der Kernplaneten erreicht und brüteten schon über detaillierten Plänen, wie sie sich gegenseitig am besten umbringen konnten. Gelegentlich nahmen sie sich Zeit für weniger wichtige Probleme, zum Beispiel wohin zum Teufel sie eigentlich fuhren oder wie man am besten Finn Durandal stürzte, die verlorenen Helden Owen Todtsteltzer und Hazel D’Ark fand, wie man den Schrecken aufhielt, ehe er alles Existierende vernichtete, oder wie man das Imperium wieder ins Goldene Zeitalter zurückführte; aber das Wichtige zuerst.

Das Problem war nur: Die Herwärts stellte im Grunde ein Vergnügungsschiff dar, dazu entworfen, den Kapitän und ein paar sehr enge Freunde in Luxus und Bequemlichkeit zu befördern. So fanden es die vier Gesetzlosen und ihr zweieinhalb Meter großer reptilartiger Gefährte ein wenig beengt, ganz zu schweigen von entschieden klaustrophobisch. Lewis saß zusammengesunken im Kapitänssessel auf der Brücke und schwenkte diesen hin und her, nur um etwas zu tun. Die Schiffs-KI Ozymandias kümmerte sich um alles Bedeutsame, und die erstklassigen Sicherheitsanlagen der Herwärts sorgten dafür, dass man schon einen Sternenkreuzer brauchte, um sie aufzuspüren, außer durch Zufall. Da die jüngsten Gespräche eine Tendenz gezeigt hatten, sehr rasch zu Schreiwettkämpfen zu eskalieren, herrschte derzeit angespannte Stille auf der Brücke. Und so schwenkte Lewis seinen Sessel langsam hin und her und musterte nacheinander seine widerwilligen Partner.

Jesamine Blume saß neben ihm auf dem einzigen weiteren Sitz und musterte finster den Proteinwürfel und den Becher destillierten Wassers, die derzeit die Hauptmahlzeit des Tages bildeten. Sie war groß, blond, herzerwärmend schön und auf sinnliche Weise glamourös, denn ihre Rolle als führender Star und erste Diva des Imperiums verlangte dies; nach all dieser Zeit, die sie jetzt von ihren Kosmetikern und Stylisten entfernt war, zeigten sich jedoch die Belastungen. Sie sah immer noch wundervoll aus, aber einfach nicht mehr wie eine Göttin. Lewis machte sich nichts daraus, Jesamine hingegen schon. Es lag lange zurück, dass sie sich damit hatte begnügen müssen, nur wundervoll zu sein. Immerhin hatte sie es aufgegeben, ein Superstar zu sein, die angebetete und verehrte künftige Königin, um an ihrer wahren Liebe festzuhalten, an Lewis. Sie hatte alles für ihn aufgegeben, und er hatte geschworen, dass sie es nie bereuen würde.

Obwohl er sie von ganzem Herzen liebte, fragte sich Lewis doch immer noch, was sie eigentlich in ihm erblickte. Lewis war kein Gott. Er sah nicht einmal gut aus. Das Gesicht war breit und von rauen Zügen geprägt. Vielleicht voller Charakter, aber nichtsdestoweniger auf fast trotzige Weise hässlich. Er hätte es richten lassen können, aber er sah einfach keinen Sinn darin. Er war nun mal, wer er war, innerlich wie äußerlich. Er war auch klein, stämmig und muskulös, weil seine alten Jobs als Paragon und Champion dies verlangt hatten; außerdem war seine Brust so mächtig, dass er aus der Ferne oft ebenso breit wie groß aussah. Das schwarze Haar trug er kurz, damit er sich weiter nicht damit herumplagen musste, und er rasierte sich nur deshalb regelmäßig, weil Jesamine darauf bestand. Seine blauen Augen wirkten überraschend sanft, und wenn er mal lächelte, was selten geschah, wirkte es gutherzig. Er war ein Todtsteltzer – ein Krieger, der sich seine Laufbahn selbst gewählt hatte, und ein Gesetzloser, den grimmige Umstände dazu gemacht hatten.

Er und Jesamine teilten sich die Kapitänskajüte. Sie bot alles an Komfort, was man nur erwarten konnte, und mehr, aber Jesamine fand trotzdem reichlich Anlass, sich zu beklagen. Sie versuchte, dies auf humorvolle Art zu tun, aber letztlich ermangelte es den Scherzen zunehmend an Witz, während sie an Spitzen zulegten.

Lewis schwenkte den Sessel langsam weiter, bis sein Blick auf Rose Konstantin fiel – eine blutrote Blume mit mehr Dornen als gewöhnlich, die Wilde Rose der Arena. Sie saß mit gekreuzten Beinen auf dem Stahlboden, den Rücken flach an die Wand gelehnt, und wirkte gänzlich gelöst und entspannt, während sie die Klinge ihres Schwerts mit langen, sinnlichen Strichen polierte. Sie trug nach wie vor ihr Markenzeichen, eng sitzendes purpurrotes Leder – die Farbe frisch vergossenen Blutes, von den glänzenden Schaftstiefeln bis zum engen, hohen Kragen. Rose hielt viel auf Selbstgenügsamkeit. Sie war präzise zwei Meter zehn groß, mit dunklem Haar und blassem Gesicht, auf geschmeidige Weise muskulös, mit vollen Brüsten und durch und durch Furcht einflößend. In einem Goldenen Zeitalter der Vernunft und zivilisierten Verhaltens verkörperte Rose Konstantin den psychopathischen Killer – metzelte Männer, Frauen und Fremdwesen nieder, erlebte das Gemetzel als Sex und den Todesstoß als Orgasmus.

Auf der anderen Seite der Kabine, so weit von Rose entfernt wie nur möglich, saß verkrampft jener höchst bedeutende Dieb, Betrüger und überzeugte Feigling Brett Ohnesorg. Mit seinen mausgrauen Haaren und seiner farblosen Schönheit war er als Gauner liebenswert genug, aber nichts und niemand konnte sich in Sicherheit wiegen, wenn seine unruhigen Hände tätig wurden. Er besaß keine Skrupel und noch weniger Moral, und die Ehrlichkeit war ihm einfach nicht angeboren. Noch nie war er auf ein Problem gestoßen, dem er nicht am besten entrinnen konnte, indem er einfach davonlief. Seine Freunde sagten gern, dass man bei Brett wusste, woran man war – er ließ jeden stets im Stich. Und doch hatte er irgendwie die Willenskraft, falls nicht gar die Charakterstärke aufgebracht, sich von dem Erzverräter Finn Durandal zu befreien und auf die Seite der Engel zu schlagen. Sicherlich überraschte das niemanden so sehr wie ihn selbst. Womöglich hatte es etwas mit seinem Anspruch zu tun, von zweien der größten Helden der alten Rebellion abzustammen: Jakob Ohnesorg und Ruby Reise. Obwohl man vielleicht besser darauf hinwies, dass nur eine Person an diese Herkunft glaubte: Brett Ohnesorg.

Brett war auch ein schwacher Esper, was sich daraus herleitete, dass ihm der Durandal eine extrem gefährliche Esperdroge gewaltsam verabreicht hatte. Er hatte einmal einen kurzen, aber umwerfenden geistigen Kontakt mit Rose Konstantin hergestellt, und sie waren jetzt auf eine Art und Weise miteinander verbunden, die sie beide nicht recht verstanden. Brett war beinahe sicher, dass es sich dabei nicht um Liebe handelte, von der Überlegung ausgehend, dass Rose ihm eine Heidenangst einjagte. Er und Rose schliefen in der einzigen weiteren Kabine an Bord – Rose im Bett und Brett auf dem Fußboden, wenn er mal schlafen konnte. In diesem Augenblick ruhte sein Blick forschend auf einem Sichtschirm in seinen Händen, der ihm den Inhalt eines Datenkristalls aus dem Laderaum zeigte, und er kicherte dabei leise vor sich hin.

Damit blieb nur noch Samstag zu erwähnen, der Echsenmann vom Planeten Scherbe. Lewis brauchte nicht mal den Sitz zu schwenken, um einen Blick auf das Fremdwesen hinter ihm zu werfen. Er spürte richtig Samstags lauernde Präsenz an der Rückseite der Kabine, als tickte dort lautstark eine scharfe Bombe vor sich hin. Samstag (der Echsenmann hatte Probleme mit der menschlichen Vorstellung von Namen; »auf Scherbe wissen wir alle, wer wir sind!«) war zweieinhalb Meter groß, und Schuppen von mattem Flaschengrün bedeckten seine riesige, außerordentlich muskulöse Gestalt, die auf schweren Hinterbeinen ruhte und in einem langen, stachelbewehrten Schwanz auslief. Hoch angesetzt ragten zwei kleine Greifarme mit sehr hässlichen Klauen aus seiner Brust, und in seinem breiten, keilförmigen Kopf fielen zuvorderst zwei tief liegende Augen und ein Mund mit mehr Zähnen auf, als überhaupt möglich schien. Ein Blick auf ihn, und alle Welt verspürte augenblicklich einen atavistischen Drang, auf den nächsten Baum zu klettern. Sein Volk war ein Neuzugang im Imperium. Sie ergötzten sich an der Jagd, bekämpften und töteten einander zum Spaß oder womöglich als Kunstform und waren derzeit von der Vorstellung des Krieges fasziniert, wie Menschen ihn führten. Jeder im Imperium wartete nun darauf, dass auch der zweite Stiefel niederknallte.

Da seine Lebensform anscheinend nicht schlafen musste, verbrachte Samstag seine Nächte allein auf der Brücke und summte glücklich alte Lieder über die Freude daran, einen Feind zu verstümmeln, ehe man ihn tötete und verspeiste; derweil hielt er mit Hilfe der Instrumente Ausschau nach Anzeichen, dass man sie verfolgte – oder eine Kollision drohte, da sie es sich nicht erlauben konnten, einen Flugplan bekannt zu geben. Alles in allem konnte man mit dem Echsenmann gut auskommen, aber Lewis hatte trotzdem beschlossen, ihm allein schon aus prinzipiellen Erwägungen in den Kopf zu schießen, falls er auch nur ein weiteres Mal fragte: »Sind wir schon da?« Er rechnete nicht mit Einwänden, und falls doch welche kamen, konnte er den Betreffenden ja auch gleich erschießen.

Zwei Männer, zwei Frauen und ein Echsenmann beanspruchten den verfügbaren Platz auf der Brücke weitgehend. Die beiden Kabinen waren zu eng und hatten zu dünne Wände, um darin mehr zu tun, als nur zu schlafen, und den Rest der Jacht beanspruchten der überdimensionierte Maschinenraum und der volle Laderaum. Also hockten die Gesetzlosen auf der Brücke zusammen und waren bemüht, einander nicht auf die Nerven zu gehen, vor allem dadurch, dass sie nur dann etwas sagten, wenn es absolut notwendig war. Wenn man etwas sagte, führte das nur zu Streit. Dabei half auch nicht, dass sie im Grunde keine Gemeinsamkeiten mitbrachten, mal davon abgesehen, dass sie Gesetzlose waren und dass Finn Durandal ihnen ans Leben wollte.

Von allen schien Brett derzeit am glücklichsten, denn der Datenkristall, den er sich so konzentriert anschaute, gehörte zu einem ganzen Angebot an Fremdwesenpornos. Tatsächlich war der Laderaum voll mit dem Zeug. Brett hatte sich die Ladeliste auf den Brückenlektronen angesehen und dann mehrere Kristalle direkt in Augenschein genommen, um schließlich zu erklären, dass diese Fremdwesenpornos von allerhöchster Qualität waren und sich durch einen absolut herausragenden Produktwert auszeichneten. Alle anderen waren es zufrieden, ihm das einfach zu glauben.

Lewis bedachte den halb verspeisten Proteinwürfel und den leeren Becher vor ihm. Jesamines Einwand hatte etwas für sich. Dieses Zeug war womöglich nährstoffreich, aber trotzdem kein Ersatz für richtige Speisen. Es schmeckte eigentlich nicht schlecht; das Problem war, dass sowohl Würfel als auch Wasser eigentlich nach überhaupt nichts schmeckten, und deshalb wussten Mund und Zunge absolut nichts damit anzufangen. Das Zeug in sich hineinzuzwängen, das war ein Triumph des Willens über den Instinkt. Leider war der ursprüngliche Kapitän der Herwärts erst kürzlich auf Logres gelandet und hatte noch keine Gelegenheit gefunden, seinen Vorrat aufzufrischen, sodass dieser von sehr grundlegender Art und von eingeschränkter Menge blieb. Selbst mit der wirkungsvollsten Wiederaufbereitung und drastischer Rationierung würden Lewis und seinen Gefährten allzu bald Nahrung und Wasser ausgehen, falls sie keinen Planeten fanden, auf dem sie sicher landen konnten. Und das Imperium bot heutzutage nicht mehr viele Planeten, wo man Gesetzlose willkommen hieß – nicht in der heutigen zivilisierten und gesetzestreuen Zeit.

»Ich schwöre, dass dieses Zeug wahrscheinlich beim Erbrechen besser schmeckt als beim Schlucken«, sagte Jesamine und starrte angewidert auf den kaum angeknabberten Proteinwürfel in ihrer Hand. »Leprakranke, die ihre eigenen Gliedmaßen verzehren, würden die Reste ihrer Nasen über dieses Zeug rümpfen. Und als ich zuletzt so etwas gerochen habe, schwamm es in einem Eimer mit der Aufschrift ›medizinischer Krankenhausabfall‹.«

»Danke, dass Ihr diese Erinnerung mit uns teilt«, sagte Brett, ohne vom Display aufzublicken. »Warum trinkt Ihr nicht ein wenig hübsches destilliertes Wasser, um Euch von dieser Reminiszenz abzulenken? Das Zeug ist schließlich so rein, dass es nach etwas schmeckt, was man schon vor drei Wochen getrunken hat.«

»Ich weiß, dass die Vorräte abscheulich sind, und ich denke ungern daran, wie oft sie schon in anderer Leute Systemen wiederaufbereitet wurden, aber etwas anderes haben wir nun mal nicht da«, sagte Lewis müde. »Es wird uns am Leben halten, bis wir unser Ziel erreicht haben. Versucht, nicht darüber nachzudenken.«

»Ich bin ein Star!«, schimpfte Jesamine. »Mein Gaumen wurde für die kunstvollsten kulinarischen Genüsse geschult und sensibilisiert! Ich bin eine Diva! Ich habe ganze Heerscharen von Fans, die nackt über Glasscherben kriechen würden, um den Wein für mich zu kühlen! Ich bin es nicht gewöhnt, im Schlamm zu wühlen! Gott, ich würde für eine Champagner-Mundspülung morden ...«

»Bitte noch mal um Verzeihung, allesamt«, meldete sich die Schiffs-KI Ozymandias zu Wort. »Es scheint jedoch, dass der frühere Käpten der Jacht sein ganzes Geld in die Verbesserung der Abwehranlagen gesteckt hat, sodass nichts mehr übrig blieb für Luxusgüter wie Technik zur Nahrungsumwandlung. Auf der Habenseite steht verbucht, dass wir schneller sind als die meisten Sternenkreuzer und über Sensoren und Tarneigenschaften verfügen, die Ihr glatt nicht glauben möchtet.«

Lewis betrachtete nachdenklich die Steuerpulte. »Ja, darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. Vielleicht kannst du ja erklären, warum eine schlichte Ausflugsjacht einen Sternenantrieb der H-Klasse aufweist. So etwas ist normalerweise Schiffen der Kriegsflotte und der Friedenshüter vorbehalten.«

Brett blickte vom Bildschirm auf und lächelte Lewis an. »Darauf weiß ich die Antwort: Das Schiff ist aus Gründen der Notwendigkeit so schnell. Der Schmuggel mit Fremdwesenpornos zieht auf vielen Fremdwesenplaneten aus allerlei politischen und religiösen Gründen die Todesstrafe nach sich. Und die imperialen Gerichte sehen dieses Geschäft auch nicht besonders gnädig, weil ... na ja, vor allem, weil sie mit einem Haufen prüder Leute besetzt sind. Aus demselben Grund hat das Schiff solche Kraftfelder und Hochleistungs-Sicherheitsanlagen. Dieser Typ konnte es sich nicht leisten, geschnappt zu werden.«

»Er hat wahrscheinlich Recht, Sir Todtsteltzer«, verkündete Oz mit seiner erbarmungslos munteren Stimme, und Lewis wusste nur zu gut, dass sie ihm alsbald fürchterlich auf die Nerven gehen würde. »Die Entscheidung, die Herwärts zu entführen, kann als klassischer Fall von guter Nachricht, schlechter Nachricht betrachtet werden. Die gute Nachricht lautet dabei: Angesichts unserer Geschwindigkeit wird es dem Imperium schwerfallen, irgendetwas zu finden, was uns einholen kann. Die schlechte lautet: Falls wir auf jemanden stoßen, der weiß, welche Geschäfte mit der Herwärts sonst betrieben werden, wird er uns wahrscheinlich schon aus Prinzip in Stücke schießen wollen.«

Perfekt, dachte Lewis. Einfach perfekt. Ich wette, dass Owen zu Beginn seiner Karriere nicht solche Schwierigkeiten hatte.

»Wisst Ihr«, schwatzte die KI weiter, »für ein Goldenes Zeitalter gibt sich die Menschheit in mancherlei Hinsicht ganz schön langweilig und gehemmt. Zu Owens Zeit bekam man für den richtigen Preis einfach alles. Tatsächlich hätte ich Euch noch vor ein paar Jahrhunderten Liveshows zeigen können, bei denen Ihr mit dampfenden Augäpfeln geklappert hättet.«

Lewis versuchte, nicht mehr ein solch finsteres Gesicht zu machen, denn er bekam allmählich Kopfschmerzen davon. »Oz ...«

»Ja, Sir! Hier bin ich und bereit, Euch jeden Wunsch zu erfüllen, Sir Todtsteltzer!«

»Gott, ich hasse fröhliche KIs!«, sagte Jesamine. »Das hört sich immer an wie die Bandansagen auf den Raumhäfen, wenn sie sich dafür entschuldigen, dass das Schiff Verspätung hat und alle Anschlüsse vermurkst sind. Dabei weiß man, dass es die Mistkerle nicht wirklich ernst meinen. Jedes Mal, wenn ich höre, wie ein Lektronenhirn gute Laune hat, weiß ich einfach, dass schlechte Nachrichten ins Haus stehen.«

»Ich möchte das mal klären, Oz«, sagte Lewis, entschlossen, sich nicht ablenken zu lassen. »Du behauptest, dieselbe KI zu sein, die meinem Ahnen, dem seligen Owen, vor zweihundert Jahren in der Großen Rebellion gedient hat, nicht wahr?«

»Nun, ja und nein«, antwortete Ozymandias. »Ich bin nicht ganz mit ihr identisch. Sie wurde zweimal vernichtet. Zum ersten Mal von Owen und seinen Gefährten, als sie herausfanden, dass der ursprüngliche Ozymandias vom Imperium geheim dazu programmiert worden war, sie auszuspionieren. Den KIs von Shub gelang es, einige Fragmente von der ursprünglichen Ozymandias-Persönlichkeit zu retten, und sie haben auf dieser Grundlage eine neue KI entwickelt. Später vernichteten Owen und Hazel diesen Oz, als sie feststellten, dass er sie im Auftrag von Shub ausspionierte. Keine sehr von Glück verfolgte Persönlichkeit, wenn man es genau nimmt. Ich würde mir glatt Sorgen machen, wäre ich abergläubisch, wozu ich jedoch nicht programmiert wurde. Jedenfalls haben mich die KIs von Shub auf Grundlage der Überreste des zweiten Oz entwickelt. Wenn man es also ganz genau nimmt, bin ich nicht Ozymandias. Ich bin die Kopie einer Kopie. Allerdings komme ich dem Original so nahe, wie Ihr nur erwarten könnt, also nutzt mich nach besten Kräften; schließlich bin ich verdammt gut in dem, was ich tue.«

»Jetzt mal langsam!«, verlangte Lewis. »Möchtest du damit sagen, du wärst Teil von Shub? Nur eine ihrer vielen Stimmen, wie die Roboter, denen ich begegnet bin? Und woher weiß ich nur, dass du ›ja und nein‹ antworten wirst?«

»Ich weiß nicht«, sagte Oz. »Womöglich seid Ihr übersinnlich begabt. Ich bin eine Unterpersönlichkeit – eine ziemlich eigenständige Subroutine mit einem gewissen Maß an Autonomie. Also bin ich ich selbst, aber ich bin von ferne auch Shub. Ich stehe ganz zu Eurer Verfügung, bereit, voller Eifer jeden Eurer Befehle auszuführen, allerdings blickt mir Shub von Zeit zu Zeit über die Schulter. Und falls Euch das verwirrt, denkt mal daran, wie ich mich fühle. Shub hat das Multitasking zu einer Kunstform erhoben.«

»Fantastisch«, fand Rose, ohne von dem Schwert aufzublicken, das sie gerade polierte. »Wir haben das einzige Schiff im Imperium geraubt, das an multipler Persönlichkeit leidet.«

»Und mir sind diese Kleider auch zuwider«, warf Jesamine ein, einer Logik folgend, die nur sie verstand.

Obwohl diese Aussage etwas für sich hatte. Sie und Brett hatten sich umziehen müssen, waren ihre vorherigen Sachen doch im Verlauf der Flucht von Logres mehr als nur ein bisschen zerfleddert und mit Blut bespritzt worden. (Lewis hatte seine Rüstung einfach abgewischt; Rose ignorierte den Zustand ihrer Ledersachen, und Samstag leckte sich das Blut mit einer gewandten Virtuosität von den Schuppen, die die anderen zugleich beeindruckte und beunruhigte.) Die einzigen Sachen zum Umziehen an Bord der Herwärts fand man im Wandschrank des Kapitäns. Zum Glück enthielt dieser ein großes modisches Spektrum. Entweder hatte der frühere Kapitän eine Menge Freunde gehabt, oder er spielte auf langen Reisen gern den Dressman.

Jesamine trug jetzt eine Sammlung einander überlappender Seidenkreationen in blendenden, nicht harmonierenden Farben, alle stark parfümiert. Als sie sich das erste Mal im Spiegel erblickte, verkündete sie ärgerlich, sie sähe nach einer Nutte von Nebelwelt aus. Brett fragte daraufhin, woher sie das wusste, und das Gesprächsniveau sank rapide. Brett selbst trug inzwischen einen Thermoanzug mit eingebauter Tarntechnik, sodass er mit jedem Hintergrund verschmelzen konnte. Das gefiel ihm außerordentlich, eröffneten sich ihm dadurch doch ganz neue Möglichkeiten, jedem Ärger aus dem Weg zu gehen und nicht gefunden zu werden, wenn Gefährliches zu tun war. Brett glaubte fest an das Prinzip, dass Kämpfen etwas für andere Leute war und heroische und wagemutige Taten etwas für Menschen, deren Verstand in Frage stand. Die Gesellschaft von Rose hatte nichts dazu beigetragen, diese Meinung zu ändern.

Lewis wusste einfach, dass dieses Gespräch nirgendwohin führen würde, und zerbrach sich den Kopf nach einer Möglichkeit, es abzubrechen, als Brett auf einmal anfallartig kichern musste. Fast unwillkürlich beugte sich Lewis aus seinem Sessel vor, um sich den Inhalt von Bretts Bildschirm anzusehen. Aus reiner Neugier hatte er sich zuvor einige frühere Beispiele für Fremdwesenpornos angeschaut und dabei festgestellt, dass sie ihm wenig boten. Einige Wechselwirkungen zwischen Mensch und Fremdwesen waren ... interessant, aber das meiste Material, das nur Fremdwesen untereinander behandelte, fand er, offen gesagt, unverständlich.

Als er zum ersten Mal herausfand, welche Ladung die Herwärts beförderte, bestand seine Reaktion in der Erklärung, alles wäre als Beweismittel beschlagnahmt. Brett setzte ihm rasch auseinander, dass er ja kein Paragon mehr war, und Lewis schnitt ein finsteres Gesicht, brummte vor sich hin und sagte schließlich: Oh, verdammt, werfen wir das ganze Zeug einfach in den Weltraum. Wir können den zusätzlichen Platz gut gebrauchen. Brett bekam beinahe einen Herzanfall. Wegwerfen? Seid Ihr verrückt? Wisst Ihr eigentlich, wie viel wir für diesen Mist auf Nebelwelt bekommen? Schaut mal, wenn wir schon die flüchtigen Rebellen spielen, dann brauchen wir auch das nötige Kapital dafür. Lewis willigte schließlich ein, zumindest prinzipiell, war aber nach wie vor nicht glücklich darüber. Jetzt nahm er mal in Augenschein, was Brett so amüsierte, und spürte, wie sich sein Kopfschmerz erzeugendes Stirnrunzeln zurückmeldete.

»Brett – was soll das? Ich meine, diese beiden Was-immersie-sind berühren einander nicht mal! Und selbst falls sie es täten, scheinen sie keine Körperteile zu haben, die daraus ein lohnendes Unterfangen machen würden.«

Brett betrachtete die Szene nachdenklich. »Vielleicht soll das Bild mehr eine Stimmung vermitteln. Wisst Ihr, ganz in der Art, wie sie einander ansehen.«

»Sie haben aber auch keinerlei Augen!«

Brett zuckte die Achseln. »Vielleicht hätte man dabei sein müssen ... Es erinnert mich nur an ein Mädchen, das ich mal kannte, mehr nicht.«

»Frag lieber nicht weiter, Lewis«, warf Jesamine ein. »Glaub mir.«

Brett schaltete den Bildschirm auf eine andere Szene um und richtete sich abrupt auf; ein breites Grinsen lief über seine so variablen Züge. »Aber hallo! Oh, das glaube ich einfach nicht ... Ich habe gerade die Suchfunktion nach berühmten Gesichtern angeworfen, und es scheint, als hätte ich hier ein ziemlich grelles Szenario mit jemandem entdeckt, der keine Million Meilen von dem Platz entfernt ist, auf dem ich gerade sitze.«

Begleitet von seidigem Rauschen, war Jesamine sofort auf den Beinen, stürmte durch die Brücke und warf einen finsteren Blick über Bretts Schulter. Lewis gesellte sich schnell zu ihr und folgte ihrer Blickrichtung. Der Bildschirm zeigte jemanden, der ganz gewiss wie Jesamine Blume in Gesellschaft einer halb nichtmenschlichen Frau aussah; beide pflegten einen überaus freundschaftlichen Umgang in einer Umgebung, in der Kleidung eindeutig optional war, falls nicht gar regelrecht unerwünscht. Lewis spürte, wie seine Wangen heiß wurden.

»Das bin ich nicht!«, erklärte Jesamine entschieden. »Es ist eine Doppelgängerin, wahrscheinlich direkt aus dem Körperladen. Ich habe ganz zu Beginn meiner Laufbahn ein paar ... künstlerische Studien betrieben, aber das waren ganz klar nur Solostellungen für den ernsthaften Sammler und Liebhaber der nackten Gestalt. So etwas habe ich nie getan, nicht mal auf Tour als Klinkenputzerin. Ich habe schließlich meine Maßstäbe, Darling. Und seit ich neunzehn war, ist es mir nicht mehr gelungen, die Fußknöchel so weit hinter die Ohren zu biegen. Wer oder was ist diese Person, mit der sie es treibt?«

»Das ist Nikki Sechzehn«, erklärte Brett glücklich. »Eine alte Bekannte von mir. Sie ist halb N’Jarr und ganz Frau und eine tolle Darstellerin. Los, Mädel, los!«

»Wartet mal eine Minute«, verlangte Lewis. »Ich dachte, die N’Jarr wären diese elastischen kleinen Pilzleute!«

»Das ist das Larvenstadium«, erklärte Brett geduldig. »Die abschließende, erwachsene Gestalt ist weitgehend insektenähnlich. Was Nikkis Eltern aneinander fanden, ist mir immer ein Geheimnis geblieben. Wahrscheinlich ist Liebe letztlich doch blind. Sie heißt Nikki Sechzehn, weil sie eine von sechzehn Brutgeschwistern ist. Sie ist auch das schwarze Schaf der Familie, falls man diesen Begriff auf jemanden mit Antennen, Facettenaugen und sechs Brüsten anwenden kann. Gott, seht Euch nur mal ihre Biegsamkeit an ... Was für eine gesunde, enthusiastische und gelenkige Seele sie doch ist ... Seid Ihr sicher, dass Ihr das nicht seid, Jesamine?«

»Für Euch degenerierten Mistkerl heißt es immer noch Fräulein Blume. Das da bin ich eindeutig nicht, und ich kann es beweisen. Ich habe ein kleines, dunkelrotes Muttermal an ... an mir. Ich decke es immer mit Make-up zu, wenn eine Rolle Nacktheit verlangt. Und außerdem sieht sie mir eigentlich auch gar nicht ähnlich. Meine Brüste sind nicht so groß; die Nase passt überhaupt nicht, und ich würde das da nicht mal für Geld tun. Lewis ... Lewis!«

»Verzeihung«, sagte Lewis. »Ich war abgelenkt.«

»Geh und setz dich wieder in deinen Sessel, Liebster. Und steck die Augen in die Höhlen zurück. Und was Euch angeht, Ohnesorg, so schlage ich nachdrücklich vor, dass Ihr Euch etwas anderes sucht, das Ihr anglotzen könnt, ehe ich diesen Datenkristall aus dem Sichtgerät ziehe und ihn Euch so tief ins linke Nasenloch ramme, dass er aus dem rechten Ohr wieder zum Vorschein kommt.«

»In Ordnung, in Ordnung, ich rufe eine andere Darstellung ab!«, sagte Brett. »Empfindlich, empfindlich ... manche Leute haben einfach keinen Sinn für Humor.«

Jesamine warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu. »Brett Ohnesorg«, sagte sie schließlich, »wisst Ihr, ich bin sicher, dass ich Euch schon früher mal gesehen habe ...«

Brett erstarrte, und seine Gesichtszüge schalteten automatisch in den Unschuldsmodus um, während sämtliche internen Systeme in Panik gerieten. Sein ausgeprägter Verfolgungswahn war schon zu den besten Zeiten nie weit davon entfernt, auf Turbo zu springen. Er lächelte Jesamine gewinnend an, während sich seine Gedanken überschlugen und er sich zu erinnern versuchte, ob er jemals sie oder jemanden aus ihrem Kreis über den Tisch gezogen hatte. Er war sich ziemlich sicher, dass er das nicht getan hatte, aber man konnte nicht bestreiten, dass er auf eine ansehnliche Laufbahn zurückblickte. Und in Anbetracht der schieren Zahl an Betrügereien und Tricks, die er im Verlauf der Jahre gegen zahllose Berühmtheiten durchgezogen hatte, Personen mit mehr Ego als Verstand, die glaubten, ihre Position machte sie unangreifbar ...

»Oh, ich bin sicher, dass ich mich an die Begegnung mit einem so großen Star wie Euch erinnern würde, Fräulein Blume«, sagte er aalglatt. »Ich habe einfach so ein Allerweltsgesicht. Die Leute denken immer, sie würden mich von irgendwoher kennen.«

Jesamine schniefte zweifelnd, ließ es ihm aber durchgehen, statt einen weiteren Streit vom Zaun zu brechen. »Ich begegne wirklich vielen Menschen. Früher zumindest. Ich kann gar nicht glauben, dass mein ganzes Leben so rasch die Toilette hinuntergespült wurde. Und ich glaube, meine Fanbasis wird auf keinen Fall irgendeines der schrecklichen Dinge hinnehmen, die dieser Mistkerl Finn über die Medien von mir verbreiten lässt. Dabei sind es meine Fans! Welchen Sinn haben Fans, wenn sie nicht zu einem halten? Aber einige halten zu mir. Du hast sie gesehen, Lewis, wie sie vor der Halle der Verräter gegen meine Inhaftierung protestierten.«

»Du hast es selbst gesagt, Jes. Die Öffentlichkeit ist zuzeiten sehr wankelmütig. Ich kann auch gar nicht glauben, wie schnell sie sich gegen mich gestellt hat.« Er trommelte nachdenklich die Fingerspitzen aneinander und betrachtete sie dabei finster. »Du kannst darauf wetten, dass Finns beste Propagandafachleute Tag und Nacht daran arbeiten, uns beide zu diskreditieren. Sie werden in unserer Vergangenheit wühlen und jedes Stück Dreck ausgraben, das sie nur finden.«

»Man findet Dreck in Eurer Vergangenheit, Sir Todtsteltzer?«, fragte Brett. »Ich bin schockiert. Schockiert!«

»Haltet die Klappe, Brett.«

»Halte sie sofort, Sir.«

»Was sie nicht finden können, das denken sie sich wohl einfach aus«, fuhr Lewis fort. »Man kann kein ehrlicher Paragon sein, ohne sich Feinde zu machen – Leute, die nur zu gern allerlei Geschichten über einen erzählen, um ihre Rache zu bekommen. Was ist mit dir, Jes? Könnten sie in deiner Vergangenheit viel finden, was gegen dich ins Feld zu führen wäre?«

»Nun, im Grunde eine ganze Menge«, antwortete Jesamine. »Ich habe nie behauptet, dass ich eine Heilige wäre, Darling. Und man erwartet einfach ein gewisses Maß an schlechtem Benehmen von dir, wenn du ein Star bist. Dabei geht es um Herzensangelegenheiten und quasigeheime Stelldicheins, mit denen man dafür sorgt, in den Klatschsendungen zu bleiben. Wie kann man schließlich ein Star bleiben, wenn niemand von einem redet? Ich gebe zu, dass ich zuzeiten eine richtige Schlampe war. Das ist gut fürs Geschäft. Und man muss ab und zu einen Wutanfall in aller Öffentlichkeit bekommen, oder niemand nimmt einen mehr ernst. Man muss den Medien Geschichten liefern, oder sie denken sich selbst welche aus.«

Lewis blickte finster zu Brett hinüber. »Ich vermute, es hätte keinen Sinn, Euch zu fragen, nicht wahr?«

»Überhaupt keinen«, antwortete Brett lebhaft. »Ich bin ein Schurke und stolz darauf. Der liebe Gott hat mich nach Logres geschickt, damit ich die Schafe schere, und ich war ein sehr aktiver Junge. Wo immer sich Gauner und Schurken versammeln, trägt jeder meinen Namen auf den Lippen. Ich bin einer von Ohnesorgs Bastarden, und ich genieße es.«

»Was zum Teufel tut Ihr dann hier, mit dem halben Imperium auf Euren Fersen?«, wollte Rose wissen.

Brett zog verdrossen eine Schnute. »Ein kurzer Auftritt des Gewissens in einem ansonsten makellosen Leben, und schon ist meine Karriere gelaufen. Ich könnte kotzen. Ich möchte nicht mal daran denken, was meine alten Kameraden sagen, sobald sie herausfinden, dass ich mich mit Euch zusammengetan habe.«

»Ich habe nichts getan, dessen ich mich schämen würde«, wandte Rose ein.

»Ja, aber das ist ein weites Feld«, sagte Brett. »Manches, was Ihr für den Durandal getan habt ...«

»Ja, unbedingt«, bestätigte Jesamine. »Reden wir mal darüber. Ihr wart nur allzu bereit, über Euch und Eure zahlreichen Triumphe in den vergangenen Tagen zu sprechen, aber Ihr habt dabei kaum Eure Beziehungen zu Finn dem verdammten Durandal erwähnt.«

Oh Scheiße, dachte Brett und verlor den Mut.

»Nur heraus damit, Ohnesorg«, sagte Lewis. »Ich möchte alles erfahren, was Ihr über den Mann wisst: was er getan hat und was er Euch aufgetragen hat. Und alle seine Pläne. Helft mir zu verstehen, warum einer meiner ältesten und vertrauenswürdigsten Freunde und Kollegen zum größten Schurken des Goldenen Zeitalters wurde.«

»Ich vermute, ich fange am besten mit dem Aufstand der Neumenschen vor dem Parlament an«, sagte Brett widerstrebend. »Bis zu dem Zeitpunkt war alles nur Gerede gewesen – es ging darum, Pläne zu schmieden und Unterstützung zu organisieren. Finn war für alles verantwortlich, was bei dem Aufruhr geschah. Er hatte es geplant und von Anfang bis Ende inszeniert. Er schleuste Provokateure in den Zug der Neumenschen und die Zuschauermenge ein, um die Sache erst in Gang zu bringen und dann außer Kontrolle geraten zu lassen. Einer der Provokateure schoss den Paragon Veronika Mae grausam auf Finns Befehl nieder und leitete damit das ganze anschließende Gemetzel ein. Auf diese Weise sollten das Parlament eingeschüchtert und die Paragone in Misskredit gebracht werden. Auch Ihr hättet an jenem Tag sterben sollen. Ich habe Euch vom Zentrum der Aktion weggelockt, damit Rose Euch aufs Korn nehmen konnte.«

»Ihr habt mich niedergeschossen«, sagte Lewis. »Ich half Euch, und Ihr habt geschossen.«

»Ich hatte meine Befehle«, wandte Brett matt ein. »Von Finn. Und man schlägt Finn keinen Wunsch ab. Jedenfalls ist Samstag aufgetaucht und hat Euch gerettet ...«

»Ja«, pflichtete ihm Rose bei. »Das ärgert mich immer noch.«

Sie blickte Samstag an und lächelte. Keine Spur von Freundlichkeit zeigte sich um die dunkle Rosenknospe ihres Mundes – nur die Verheißung späterer Rache. Der riesige Echsenmann erwiderte ihren Blick interessiert und beugte geistesabwesend die entsetzlichen Klauen seiner Hände.

Brett fuhr eilig mit seinem Bericht fort und schilderte, wie Finn sich methodisch als Strippenzieher hinter einer weit reichenden Intrige etablierte, deren Ziel der Sturz des Goldenen Zeitalters war, mit allen Mitteln, die dazu erforderlich waren. Wie er Menschen auf beiden Seiten des Gesetzes bestach, auf seine Seite zog und einschüchterte, um seine geheime Armee aufzubauen, angeführt von spezialisierten Verbrechern, die er aus dem berüchtigten Slum rekrutierte. Brett versuchte auch, seine Begegnung mit den entsetzlichen Überespern der Spinnenharfen in ihrem Leichenhauspalast tief unter Parade der Endlosen zu schildern, aber das verstörte ihn immer noch zu stark.

»Er schließt Abkommen mit der Esper-Liberationsfront?«, fragte Lewis und schüttelte langsam den Kopf. »Er muss den Verstand verloren haben.«

»Ich denke nicht«, sagte Brett. »Ich denke, er war innerlich schon immer so. Er fand zuvor nur nie einen Grund, es herauszulassen.«

»Aber ... was möchte er denn?«, wollte Jesamine wissen. »Wozu all das? Möchte er sich zum König machen?«

»Vielleicht«, überlegte Rose. »Oder vielleicht möchte er einfach nur alles niederbrennen, damit er in der Asche tanzen kann. Der Durandal ist ein außergewöhnlicher Mann. Er hat eine Zielstrebigkeit in sich und ein Gespür für das Schicksal, die ... rein und ungehemmt sind. Eine Willenskraft, gänzlich unverdorben durch Gnade oder Mitgefühl. Mir gefällt das bei einem Mann.«

Jesamine rümpfte die Nase. »Falls Ihr so heiß auf den kleinen Scheißer seid, Süße, was macht Ihr dann hier bei uns?«

»Ich bin mitgekommen, um mit Brett zusammen zu sein«, antwortete Rose. »Oder vielleicht auch, weil es zu leicht gewesen wäre, für den Durandal zu kämpfen. Ich liebe es so sehr, eine richtige Aufgabe zu haben! Leichte Beute niederzumetzeln, das macht überhaupt keinen Spaß.«

»Oh, wie sehr ich Euch da beipflichte!«, mischte sich Samstag ein. »Ich bin auch deshalb mitgekommen, weil ich auf Eurer Seite die beste Chance finde, zu metzeln und gewaltige Blutbäder anzurichten.«

»Ich kotze womöglich gleich«, sagte Brett. »Wirklich, das meine ich nicht im Scherz!«

Ich wette, dass Owen nie solche Probleme hatte, dachte Lewis. Laut sagte er: »Versuchen wir doch alle, beim Thema zu bleiben. Ihr habt die meiste Zeit mit Finn verbracht, Brett. Er muss mit Euch geredet haben. Wie konnte er so schnell zu einem so schlechten Menschen werden? Er war der größte lebende Paragon, verdammt! Es gab bald keine Auszeichnungen mehr, die ihm für Mut und Heldentum über dienstliche Erfordernisse hinaus noch nicht verliehen worden waren. Er wurde im ganzen Imperium bewundert und angebetet. Und jetzt ist er ein Verräter und Mörder, der allen seinen alten Freunden in den Rücken fällt? Nur, weil ich an seiner statt Champion wurde? Das scheint mir doch ein etwas dürftiger Grund für solch ... billigen Verrat, dafür, so schnell so tief zu fallen.«

»Ich denke, für ihn war es nur ein Weckruf«, sagte Brett langsam. »Weil er im Grunde nie ein Held war. Er spielte nur einen, bis sich ihm eine interessantere Aufgabe bot. Ihr habt an seiner Seite gearbeitet, Sir Todtsteltzer. Sind Euch seine ... extremeren Tendenzen nie aufgefallen?«

Lewis rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. »Ich weiß nicht. Mir bereitet Kummer, dass ich sie womöglich bemerkt, ihnen aber keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt habe, weil er so gut darin war, Schurken einzufangen. Aber wir haben auch Freizeit gemeinsam verbracht, Finn und Douglas und ich. Wir haben uns unterhalten und gemeinsam getrunken und hatten eine schöne Zeit. Ich hätte mich jederzeit darauf verlassen, dass mir Finn den Rücken freihält, und er hat mich nie im Stich gelassen. Bis jetzt.«

»Ich habe ihm nie getraut«, warf Jesamine ein. »Er war immer zu hübsch und zu perfekt. Wenn solche Leute brechen, dann aber gleich richtig.« Sie funkelte Brett an. »Zumindest kann Finn die Ausrede geltend machen, dass er verrückt ist. Warum seid Ihr ihm gefolgt, obwohl Ihr wusstet, wer er war?«

Brett duckte sich unter der Last ihres verächtlichen Blicks. »Heh, ich hatte schließlich keine Wahl! Er sagte, er würde mich umbringen, falls ich nicht mitmachte, und ich hatte jeden Grund, ihm zu glauben. Ich habe ihn Sachen sagen hören ... Ich bin kein Heiliger, meine Dame, Sir Todtsteltzer, ich bin Berufsverbrecher und stolz darauf, aber ... er geht so weit über jede Grenze hinaus, dass er sie von seinem heutigen Standort aus gar nicht mehr sehen kann. Wie Rose sagte: Es gibt nichts, wozu er nicht fähig wäre, keine Gräueltat, vor der er zurückschreckte, um zu erhalten, was er haben möchte. Und sehr zu meiner eigenen Überraschung fand ich letztlich eine Grenze, über die nicht einmal ich hinausgehen wollte. Und nach dem, was ich in seinen geheimen Dateien fand, musste ich Euch einfach helfen zu fliehen. Und ... ich bin schließlich ein Ohnesorg. Meine Ahnen und Eure waren Freunde, Kameraden. Vielleicht ... war es uns bestimmt zusammenzukommen.«

»Oh, bitte«, sagte Jesamine. »Erspart mir das. Lewis war ein Paragon und ich ein Star, aber selbst wir sind nicht der Stoff, aus dem Legenden entstehen. Ihr seid nichts weiter als ein gewöhnlicher Dieb, der sich übernommen hatte und in Panik geraten war, und Ihr werdet nie mehr sein.«

»Ich war nie ein gewöhnlicher Dieb!«, entgegnete Brett hitzig. »Ich war ein Spitzendieb! Ich könnte Euch um alles betrügen, was Ihr Euer Eigen nennt, einschließlich der Kleider, die Ihr am Leibe tragt, und würde dabei so geschickt zu Werke gehen, dass es Euch erst auffiele, wenn die Windrichtung wechselt.«

»Wir haben den Durandal aus freien Stücken verlassen«, sagte Rose Konstantin. »Brett aus eigenen Gründen, und ich ... weil Finn sich meiner nicht würdig erwies. Er hat Ehrgeiz, aber keinen Geschmack. Für ihn ist Töten einfach nur Töten. Ich erwarte an Eurer Seite eine viel höhere Qualität des Mordens, Sir Todtsteltzer! Ich rechne mit Plänen, die dem Tode trotzen, mit überwältigend schlechten Chancen und Selbstmordeinsätzen und all den anderen Dingen, die das Leben lebenswert machen. In Gesellschaft eines Todtsteltzers wird immer ordentlich getötet. Diese Leute ziehen Blut förmlich an. Es ist Eure Bestimmung. Führt mich einfach in die Schlacht und lasst mich auf Eure Feinde los. Das ist alles, was ich von Euch verlange.«

Ich möchte nach Hause!, dachte Lewis kläglich. Ich möchte in eine Zeit zurückkehren, in der mein Leben noch einen Sinn hatte und ich nicht von Verrückten umgeben war.

»Danke, Rose«, sagte er schließlich, weil er ja irgendetwas sagen musste. »Seid versichert: Falls wir je in die Lage geraten, wo einer von uns zu einer letzten verzweifelten Schlacht antreten muss, damit die anderen fliehen können, dann denke ich zuerst an Euch, versprochen.«

Rose musterte ihn nachdenklich. »Wie kommt es, Sir Todtsteltzer, dass ein Krieger mit Euren legendären Fähigkeiten nie in der Arena angetreten ist? Es wäre mir eine Freude und eine Ehre gewesen, das Schwert mit Euch zu kreuzen.«

»Ich töte nur, wenn es die Pflicht verlangt«, erwiderte Lewis steif. »Wenn keine andere Möglichkeit mehr besteht, eine Aufgabe auszuführen. Niemals zum Vergnügen.«

Rose rümpfte die Nase und wandte den Blick ab. »Langweilig«, fand sie und schien jedes Interesse an Lewis zu verlieren. Er wusste nicht recht, ob er sich beleidigt oder erleichtert fühlen sollte.

»Wagt es ja nicht, Menschen wie uns derart den Rücken zuzukehren!«, brauste Jesamine sofort auf angesichts dieser Kränkung von Lewis. »Da wir über Eure Karriere im blutigen Sand sprechen, möchtet Ihr uns womöglich erläutern, wie eine komplette Psychopathin überhaupt einen Platz in der Arena gefunden hat? Angeblich müssen Kandidaten, die Gladiatoren werden wollen, eine ganze Reihe psychologischer Tests bestehen, und diese Tests sollen ausdrücklich so gestaltet sein, dass Leute wie Ihr ausgeschlossen bleiben! Wie zum Teufel habt Ihr es also geschafft, Aufnahme zu finden?«

Rose drehte sich erneut um und zeigte Jesamine ein Lächeln mit den humorlosen Scharlachlippen. »Das war leicht. Die Eigentümer der Arena manipulieren die Tests. Das tun sie von jeher. Vor langer Zeit schon bemerkten sie, dass Leute wie ich, geborene Mörder, die besten Kämpfer abgeben – Stars, die der Menge geben, wonach sie schreit, und sie bewegen, ein ums andere Mal zurückzukommen, um mehr davon zu erleben. Normale Menschen halten nicht lange im blutigen Sand durch. Entweder werden sie sorglos, oder sie brennen zu schnell aus. Kommt schon – welche vernünftige, gut angepasste Person würde sich überhaupt wünschen, in der Arena zu kämpfen, sich immer und immer wieder der Gefahr des Schmerzes und der Verstümmelung und sogar des Todes auszusetzen? Die Arena ist der Ort, den wir aufsuchen, um unseren uralten Durst nach Blut zu stillen. Ich habe mir oft gedacht, dass man lieber die Zuschauer testen sollte ... aber damit würde das Spiel ruiniert, nicht wahr?«

»Die Arena ist der Ort, um Kühnheit, Geschicklichkeit und Standhaftigkeit zu demonstrieren«, behauptete Lewis. »Ein Testgelände, um Helden hervorzubringen.«

Rose lachte rauchig, ein düsterer, verstörender Klang. »Blut, Todtsteltzer. Es geht dort von jeher nur um Blut. Wenn Ihr zivilisierten Männer und Frauen die Arena aufsucht, dann, um dort Leute wie mich zu sehen. Um zu genießen, was wir tun. Und danach zu träumen, wie ich zu sein. Unter aller Kultur und Feinheit Eures kostbaren Goldenen Zeitalters lauern nach wie vor die alten Gelüste, unterdrückt, jedoch nicht vergessen. Wieso, denkt Ihr, wurden die Reine Menschheit und die Militante Kirche so schnell populär?«

»Nein«, sagte Lewis, »das glaube ich nicht. Ich möchte es nicht glauben. Menschen sind besser. Das haben sie bewiesen, als sie Löwenstein stürzten und das Goldene Zeitalter begründeten. Wir haben unsere dunkle Seite, unsere primitiveren Instinkte, aber von jeher ist es der Triumph der Menschheit, dass sich die meisten von uns darüber erheben.«

»Natürlich glaubt Ihr das«, sagte Rose. »Ihr seid ein Todtsteltzer. Ihr seid der Beste von uns. Aber Ihr braucht trotzdem jemanden wie mich, genau wie der selige Owen seine Ruby Reise brauchte.«

»Verzeihung«, mischte sich Samstag ein. »So faszinierend Euer Gespräch zweifellos für diejenigen ist, die sich für derlei Dinge interessieren, so habe ich doch eine Frage. Wie kommt es, dass Ihr und ich einander nie in der Arena gegenübergetreten sind, Rose Konstantin?«

»Weil wir Stars waren«, erklärte Rose geduldig. »Und die Eigentümer der Arena wollten keinen von uns in Gefahr bringen, solange sie noch Geld aus uns herausschlagen konnten. Ihr würdet nicht glauben, was sie allein am Merchandising verdienen. Letztlich hätten sie Euch mir vorgeworfen. Sobald sie so viel Geld an Euch verdient hätten, wie sie nur konnten.« Die blasse Spitze ihrer Zunge fuhr kurz über die dunklen Lippen. »Ich hatte mich darauf gefreut.«

»Ich bin sicher, das wäre sehr ergötzlich geworden«, sagte der Echsenmann höflich.

Brett musterte Rose angewidert. »Tagelang war Euch kaum ein Wort zu entlocken, und jetzt könnt Ihr gar nicht mehr aufhören zu reden. Eine ganz neue philosophische Ader wird an Euch erkennbar, und sie ist zur Gänze absolut deprimierend. Warum könnt Ihr zur Abwechslung nicht mal was Nettes sagen?«

»Verzeihung«, sagte Rose, »aber das gelingt mir ohnehin nicht.«

»Ich kann nicht glauben, was ich hier höre«, sagte Jesamine. »Eine solche Verderbnis und ... Niedertracht, direkt im Herzen von Logres! Das klingt ja wie aus Löwensteins Zeiten!«

»Die Menschen möchten nun mal ihre primitiven Gelüste stillen«, sagte Brett, aufs Neue in seinen Privatbildschirm vertieft. »Und solange sie das tun, werden andere Menschen bereit sein, es ihnen zu bieten. Für den richtigen Preis.«

Lewis funkelte ihn an. »Gott, Ihr deprimiert mich! Früher habe ich Drecksäcke wie Euch hochgenommen. Psychokiller in der Arena, Fremdwesenpornos ... warum wünschen sich Menschen überhaupt solchen Dreck?«

Brett seufzte und blickte vom Bildschirm auf. »Weil, Sir Todtsteltzer, Sir Paragon, sich die Menschen stets wünschen, wovon andere Menschen denken, sie sollten es sich nicht wünschen; Dinge, die sie nicht haben können, weil andere Leute sagen, dergleichen dürfte nicht erlaubt sein. Vielleicht besonders in einem Goldenen Zeitalter. Zivilisiert zu sein, das ist harte Arbeit. Je höher wir aufsteigen, desto mehr Spaß macht es, sich wieder fallen zu lassen. Ehre und Tugend sind ja sehr schön, aber sie befriedigen weniger stark als eine gute alte Rolle im Schlamm. Ihr und Fräulein Blume solltet das eigentlich verstehen. Sie wurde mit Eurem besten Freund verlobt. Ihr wart der Champion, und sie sollte Königin werden. Aber Ihr beide habt das weggeworfen, um zusammen sein zu können. Und so seid Ihr hier, Sir Todtsteltzer, auf der falschen Seite des Gesetzes und in Gesellschaft von Drecksäcken wie mir. Wie fühlt sich das an? Hattet Ihr schon irgendwelche guten Einsichten?«

»Was wir getan haben«, sagte Jesamine mit fester Stimme, »haben wir aus Liebe getan.«

»Oh, Liebe!«, sagte Brett. »Na ja, das rechtfertigt nun alles, nicht wahr?«

»Man muss gegen Finn Durandal kämpfen«, sagte Lewis. »Man muss ihn aufhalten. Nichts anderes ist von Belang. Und wenn ich dabei mit schwachem Material wie Euch arbeiten muss, Brett, dann tue ich es halt. Ich mache entweder einen Helden aus Euch oder bringe Euch bei dem Versuch um.«

»Genau was ich befürchtet hatte«, knurrte Brett und wandte sich ostentativ wieder dem Bildschirm zu.

Lewis lehnte sich im Kapitänssessel zurück und tat so, als betrachtete er die Steuerpulte vor sich. Ungeachtet seiner angeblichen Zuversicht kam er sich verloren vor, verlassen und ganz allein. So vieles von dem, woran er geglaubt hatte, erwies sich als auf Sand gebaut. Oder Blut. Die Menschen, die zu beschützen er geschworen hatte, sagten sich von ihm los und verrieten sein Vertrauen in sie, indem sie sich den Wahnsinn und das Böse zu Eigen machten. Er hatte sich so sehr darum bemüht, in ihrem Dienst vollkommen zu werden. Sicherlich gab ihm das doch ein Recht, das Gleiche von ihnen zu erwarten? Und jetzt saß er hier, ein widerstrebender Rebell gegen genau die Obrigkeit, die er einst so stolz repräsentiert hatte.

Tief im Herzen fragte er sich immer wieder, wie es sich wohl anfühlte, ein Gesetzloser zu sein wie sein seliger Vorfahre, der Owen. Allein und heldenhaft gegen ein böses Imperium zu streiten. Er hegte stille, geheime Fantasien davon, sich selbst der abschließenden Prüfung zu unterwerfen. Ein echter Todtsteltzer zu sein. Na ja, jetzt lebte er seine Träume, und sie erwiesen sich als Albträume. Nun war er ein Rebell, aber er hätte sich nie erträumt, dass der Preis dafür so hoch war. Sein Treueschwur gegenüber König und Imperium. Die Ehre, ein Paragon zu sein und der Imperiale Champion. Er hatte letztlich die große Liebe seines Lebens gefunden, aber er konnte schier nicht glauben, wie viel er dafür opfern musste. Er hatte seinen besten, engsten Freund, König Douglas, verraten und verloren. Lewis sah Jesamine an.

Ich habe so viel für dich aufgegeben, meine Liebe. Lass nicht zu, dass ich es jemals bedauern muss!

Jesamine warf den Rest ihres Proteinwürfels weg. Er traf die Kabinenwand und prallte davon ab. Dann warf sie den Becher weg und verschränkte die Arme. »Das war widerlich. Gott allein weiß, wie oft das alles schon wieder aufbereitet wurde! Lieber verhungere ich. Auf Gefängnisplaneten trifft man verurteilte Massenmörder an, die Besseres zu essen bekommen!«

»Was ist denn los, Diva?«, erkundigte sich Rose. »Nicht daran gewöhnt, Euch zusammen mit echten Menschen im Dreck zu wühlen?«

»Die Nahrung ist enttäuschend«, warf Samstag sanft ein. »Welchen Sinn hat schon ein Lebensmittel, das nicht strampelt und quiekt?«

Alle blickten ihn an. »Kann ich einfach sagen, dass ich gleich kotze?«, fragte Jesamine. »Und auch Arrgh! und Würg!? Jemand wechsle bitte sofort das Thema!«

»Und können wir bitte von etwas anderem reden als Gefängnissen?«, jammerte Brett. »Diese überbesetzte Blechbüchse erinnert mich einfach zu lebhaft an meinen einsamen unglückseligen Aufenthalt in gesiebter Luft. Das macht mich richtig nervös.«

»Wir wissen alle, warum Ihr nervös seid«, sagte Jesamine hart. »Der Grund lautet, dass Ihr gestern den Arzneischrank geplündert und jede Pille und jeden Trank eingenommen habt, den Ihr nur in die Finger bekamt. Es ist ein Wunder, dass Eure Gehirnzellen nicht geschmolzen und zu den Ohren hinausgetropft sind.«

Brett schnaubte abschätzig. »Wenn man die Qualität und Dosierungen des Stoffs bedenkt, wie ich ihn früher eingenommen habe, so hat mein Körper diesmal kaum reagiert. Außerdem brauchte ich es. Ich werde sehr nervös. Wirklich. Ihr habt ja keine Ahnung. Und drangsaliert mich nicht! Ich erlebe eine schwere Zeit. Ich könnte glatt in Tränen ausbrechen.«

»Lasst den Ohnesorg in Frieden«, verlangte Rose gelassen. »Er ist vielleicht klein und nutzlos, aber er gehört mir.«

»Oh Gott!«, sagte Brett. »Es wird einfach immer schlimmer ...«

Jesamine warf ihren Sitz herum und funkelte Lewis an. »Du hast diese aufgedonnerte Kuh gehört, Lewis! Sie hat mich bedroht! Unternimm etwas!«

Lewis fragte sich sehnsüchtig, ob man die Herwärts mit Schlafgas fluten konnte, damit endlich alle mal die Klappe hielten und er Gelegenheit fand, ernsthaft nachzudenken.

»Alle beruhigen sich jetzt auf der Stelle!«, verlangte er und legte seine ganze Paragonautorität in den Tonfall. »Wir haben immer noch nicht entschieden, welches Ziel wir ansteuern. Ich gewinne immer deutlicher die Vorstellung, dass wir die Suche nach Owen und Hazel so lange aussetzen sollten, bis wir uns um all die offenen Fragen gekümmert haben, die wir auf Logres zurückließen.«

»Auf keinen Fall kehre ich nach Logres zurück«, sagte Brett sofort. »Zu viele Menschen dort möchten mich tot sehen, darunter eindeutig Finn Durandal. Verdammt, er möchte uns alle tot sehen! Vorzugsweise auf langsame, erfinderische und sehr blutige Art und Weise. Warum zum Teufel sollten wir nach Logres zurückkehren wollen?«

»Einige von uns haben dort Freunde zurückgelassen«, sagte Lewis. »Ich sorge mich um Emma Stahl. Sie weiß nicht über Finn Bescheid. Und sie ist vielleicht der einzige echte Beschützer, den Logres noch hat.«

»Du hast selbst gesagt, sie wäre ein erstklassiger Paragon«, sagte Jesamine und legte ihm tröstend die Hand auf den Arm. »Sie kann auf sich aufpassen. Und sie hat schließlich Unterstützung in Stuart Lennox, deinem offiziellen Ersatzmann von Virimonde. Du hast gesagt, er wäre ein guter Kerl.«

»Ich habe ihn verletzt und blutend auf den Landeflächen des Raumhafens zurückgelassen«, sagte Lewis. »Auch wieder Blut, das ich Finn schulde. Selbst falls sich Stuart vollständig erholt, so fängt er als Paragon doch gerade erst an. Zu jung und zu vertrauensselig. Ich habe ihn womöglich den Wölfen vorgeworfen.«

»Das sind aber nicht die Menschen, um die du dich wirklich sorgst«, behauptete Jesamine. »Du sorgst dich um Douglas.«

»Ja«, sagte Lewis. »Er ist der König, und wir haben ihn allein und ungeschützt zurückgelassen, umgeben von politischen und religiösen Fanatikern, die nur auf die Chance warten, ihn zu stürzen. Und auch er ist nicht über Finn informiert.«

»Er hat Anne«, erinnerte ihn Jesamine. »Wir alle waren Freunde seit ...«

»Ich traue ihr nicht mehr«, sagte Lewis.

»Oh Lewis«, sagte Jesamine zärtlich. »Du kannst dich nicht einfach um jeden sorgen, Süßer. Das ist ein sehr liebenswerter Zug an dir, aber auch ein sehr unpraktischer. Sorge dich lieber um uns.«

»Oh, das tue ich«, entgegnete Lewis. »Vertraue mir. Was können wir überhaupt erreichen? Ein entehrter Paragon, eine in Ungnade gefallene Diva, eine mörderische Irre, ein Fremdwesen, das gerne strampelnde, quiekende Dinge isst, und Brett. Das erfüllt einen im Grunde nicht mit Zuversicht, nicht wahr?«

»Heh, wartet mal eine Minute!«, beschwerte sich Brett. »Ich denke, dass mir das nicht gefällt. Ich verfüge über nützliche Talente jeder Art. Nicht besonders nette vielleicht, aber doch ...«

»Erzählt ihnen von dem Datenkristall, den Ihr aus Finns Geheimakten gestohlen habt«, forderte Rose ihn auf.

Brett bemühte sich darum, ihr einen finsteren Blick zuzuwerfen, aber es kam dabei eher ein Schmollmund heraus. »Danke, Rose. Das hatte ich mir eigentlich für den Fall aufgespart, dass ich mal etwas als Verhandlungsmasse brauchte. Erinnert mich daran, mal mit Euch ein Schwätzchen über dieses wundervolle neue Konzept zu führen, das man Vorausplanung nennt. Aber da Ihr das Thema nun mal zur Sprache gebracht habt ...« Er sah Lewis unglücklich an. »Das wird Euch wirklich nicht gefallen, Sir Todtsteltzer, aber gebt bitte nicht dem Sendboten die Schuld an der Nachricht. Ich ... stieß zufällig auf bestimmte Dateien in Finns Lektronen, von denen er glaubte, sie hinter wirklich überlegenen Sicherheitsvorkehrungen versteckt zu haben. Darin sind einige seiner Pläne in ansehnlichem Detail erläutert. Ich gebe Euch den Datenkristall, damit Ihr ihn später studieren könnt, aber das unerfreulichste Vorhaben des Durandal ... besteht darin, alle Paragone in Hinterhalte zu locken, während sie auf ihrer großen Suche nach Owen Todtsteltzer sind. Anscheinend besteht die Taktik darin, sie mit überlegenen Kräften anzugreifen, sobald sie voneinander getrennt und weit von jeder Hoffnung auf Hilfe entfernt sind. Finn möchte die Paragone aus dem Spiel haben. Wahrscheinlich, weil er sie als die einzig verbliebene echte Gefahr für seine langfristigen Ziele betrachtet. Oder vielleicht, weil er sie schon immer gehasst hat. Weil sie das waren, was zu sein er immer nur vorgegeben hatte.«

»Das reicht«, sagte Lewis. »Keine weitere Auseinandersetzung. Ich wende dieses Schiff auf der Stelle. Wir kehren nach Logres zurück. Die Paragone müssen gewarnt werden!«

»Nein!«, rief Jesamine sofort und packte Lewis’ Arm, als er nach der Steuerung griff. »Denk doch erst mal eine Minute lang nach, Lewis. Bitte! Selbst falls wir wirklich umkehrten – wer würde schon auf uns hören? Wer würde uns glauben? Und diese Fragen stellen sich ohnehin nur dann, wenn sie uns nicht alle sofort erschießen, sobald sie unserer ansichtig werden. Du kannst gutes Geld darauf setzen, dass Finn absolut nicht vorhat, irgendjemandem von uns einen Auftritt vor Gericht zu gönnen. Wir wissen zu viel über ihn. Wir können unsere Köpfe nicht wieder in den Rachen des Löwen stecken, Lewis! Unsere Mission ist wichtiger. Sie muss an erster Stelle stehen.«

»Tolle Mission«, fand Lewis, aber er meinte es nicht wirklich ernst. Er wusste, dass sie Recht hatte. »Mal angenommen, wir können überhaupt die Spur möglicher Überlebender aus dem Zeitalter der Helden aufgreifen – wer möchte schon sagen, ob sie nach all dieser Zeit noch in der Verfassung sein werden, uns zu helfen?«

»Sie besitzen womöglich den Schlüssel, um Owen zu finden«, gab Jesamine zu bedenken. »Oder vielleicht sogar die vermisste Hazel D’Ark. Sie müssen uns einfach helfen! Wir brauchen sie jetzt mehr als je zuvor, sowohl um den anrückenden Schrecken aufzuhalten als auch Finn den verdammten Durandal.«

Lewis sagte nichts und dachte an die trockenen grauen Worte zurück, die er auf den Staubigen Ebenen der Erinnerung vernommen hatte. Owen war tot. Er starb vor langer Zeit auf einer schmutzigen Nebenstraße auf Nebelwelt. Abgesehen davon ... dass man ihn lebendig in der Zukunft erblickt hatte. Lewis wusste nach wie vor nicht recht, ob er das glauben sollte oder nicht.

»Also«, sagte er dann, um nichts anderes sagen zu müssen, »wohin wenden wir uns als Erstes? Welchen Planeten suchen wir uns als Ziel aus? Wir müssen bald in den Hyperraum wechseln; je länger wir im Normalraum bleiben, desto größer ist die Gefahr, dass irgendein Verfolger durch Zufall auf uns stößt.«

»Wir haben keine große Auswahl an Zielorten in diesem deprimierend ehrlichen Imperium«, wandte Brett ein.

»Da bleibt immer noch deine Heimatwelt Virimonde«, schlug Jesamine zaghaft vor. »Ich meine, bestimmt glaubt man dort doch nicht die Lügen, die Finn über dich verbreitet?«

»Meine Familie nicht«, bestätigte Lewis. »Aber Virimonde ist ein armer Planet und schlecht verteidigt. Selbst wenn mein Clan den Planetenrat überreden könnte, uns Zuflucht zu gewähren, könnten sie einer Strafexpedition des Imperiums nicht standhalten. Und du kannst darauf wetten, dass man dort Elemente findet, die unsere Anwesenheit ans Imperium verraten würden – sei es für Geld oder Gönnerschaft oder einfach, weil sie der Überzeugung sind, dass es das Richtige wäre.«

»Er hat Recht«, sagte Brett. »Heutzutage findet man überall Drecksäcke.«

»Ich sage: Fliegen wir schnurstracks nach Haden«, mischte sich Samstag ein. »Ins Labyrinth des Wahnsinns. Ihr seid ein Todtsteltzer, Lewis. Euer Schicksal ist unauflöslich mit dem Labyrinth verwoben. Sogar wir auf Scherbe kennen die Geschichte von Owens Reise durch das Labyrinth des Wahnsinns. Wie es ihn zu so viel mehr als zu einem Menschen machte. Falls wir alle das Labyrinth durchliefen, welch machtvolle Wesen könnten wir werden? Wir könnten es mit dem ganzen Imperium aufnehmen und es in einem Meer aus Blut und Innereien auf die Knie zwingen!«

»Ich mag ihn«, sagte Rose.

»Ich frage mich, ob ich im Arzneischrank nicht etwas übersehen habe ...«, sagte Brett.

»Entschuldigt mal!«, mischte sich Jesamine lautstark ein. »Hallo! Vernunft an alle! Das ist wirklich keine gute Idee, Leute. Nicht ohne Grund heißt das Ding Labyrinth des Wahnsinns, und nicht ohne einen noch besseren Grund hat man schon so lange niemandem mehr den Zutritt gestattet. Muss ich wirklich alle hier daran erinnern, dass die letzten Zehntausend, die das Labyrinth betreten haben, erst den Verstand und dann ihr Leben verloren? Jeder Einzelne von ihnen ist schreiend gestorben. Ich würde das Labyrinth nicht mal betreten, wenn ich völlig verzweifelt wäre. Verdammt, ich bin völlig verzweifelt und trotzdem nicht bereit, ihm auch nur nahe zu kommen! Nein, Leute, das Labyrinth nehmen wir uns vor, wenn wir alles andere probiert haben, auch beten und die Augen schließen und hoffen, dass alles nur ein schlimmer Traum war. Nächster Vorschlag.«

»Dürfte ich Nebelwelt vorschlagen?«, fragte Brett. »Stets ein guter Platz, wenn man gesucht wird. Immer noch weitgehend unabhängig vom Rest des Imperiums und auch noch stolz darauf. Ein ganzer Planet voller Gauner, Freidenker und völlig Bekloppter. Sogar Finn würde sich einen Versuch, Nebelwelt mit Gewalt zu besetzen, zweimal überlegen. Und der Schwung Fremdwesenpornos, den wir an Bord haben, bringt uns in Nebelhafen Riesengewinne. Mehr als genug, um uns ein richtiges Schiff zu kaufen, auf dem man Platz zum Herumlaufen und anständige Waffensysteme hat. Wahrscheinlich bleibt sogar genug übrig, um eine stattliche Söldnertruppe anzumieten. Auf Nebelwelt findet man die besten Verbindungen im Imperium – mal vorausgesetzt, Emma Stahl hat sie nicht alle stillgelegt, ehe sie dort fortging.«

»Kein schlechter Plan«, fand Jesamine. »Und verlockend. Aber ich bin schon auf Nebelwelt aufgetreten und erkläre jetzt hier und heute, dass es sich um das Arschloch des Imperiums handelt. Keinerlei zivilisierter Komfort, kälter als eine Hexentitte und mehr Kopfgeldjäger auf den Quadratkilometer als auf jedem anderen Planeten des Imperiums. Ihr habt die Sendung selbst gesehen; man sucht uns tot oder lebendig, verbunden mit einem höllischen Kopfgeld. Auf Nebelwelt würden sie Schlange stehen, um es damit zu versuchen.«

»Genau«, pflichtete Lewis ihr bei. »Ich würde es knapp vor Haden ansiedeln, aber wirklich nur knapp.«

Brett schmollte. Er hatte schon einen richtig cleveren Plan ausgetüftelt, die Fremdwesenpornos in Nebelhafen zu verhökern und dann mit dem ganzen Geld im gleichen Augenblick zu verschwinden, in dem ihm die anderen den Rücken zukehrten. Er hegte eigene Vorstellungen von der Zukunft, und ganz eindeutig gehörte dazu nicht, ein Held zu werden. Oder in Gesellschaft Rose Konstantins zu bleiben. Ihm kam ein Gedanke. Man hatte ihn vielleicht überstimmt, aber er hatte immer noch ein verstecktes Ass im Ärmel. Als Finn ihm die Esperdroge hinunterzwängte, hatte Brett Ansätze telepathischer Fähigkeiten entwickelt und auch eine begrenzte, aber nützliche Fähigkeit, andere zu bewegen, dass sie ihm seinen Willen taten. Er setzte sie nicht oft ein, weil er davon mörderische Kopfschmerzen bekam, aber wenn einem der Teufel schon auf die Schuhe kotzte, bestand nun mal ein Notfall. Ganz vorsichtig tastete er sich in die Gehirne ringsherum vor und fädelte seine Zwangssteuerung sorgsam in die Gedanken darin ein.

»Nebelwelt ...«, sagte Jesamine verträumt.

Lewis runzelte die Stirn. »Der Planet hat tatsächlich starke Verbindungen zu Owen und Hazel ...«

»Hat irgendjemand gerade etwas gehört?«, wollte Rose wissen.

Samstag drehte den mächtigen Kopf und blickte Brett geradeheraus an. Der Gauner schaltete die Gedankensonde rasch ab und richtete seine stärksten Geistesschilde auf. Vermutlich hätte es ihn nicht überraschen dürfen, dass Rose etwas spürte, denn sie hatten sich geistig schon einmal berührt, aber Samstag ... Verfügte der Echsenmann auch über eine Art außersinnlicher Wahrnehmung? Brett schauderte es innerlich. Als wäre die verdammte Echse noch nicht gefährlich genug ... Brett hockte sich hinter seine Abwehrschilde und legte seine unschuldigste Miene an den Tag. Rose betrachtete ihn nachdenklich. Brett spürte, wie ihm kalte Schweißperlen auf die Stirn traten.

»Nein, vergiss Nebelwelt«, sagte Lewis. »Schlechte Idee.«

»Mir scheint naheliegend, dass wir zunächst Lachrymae Christi ansteuern«, sagte Jesamine. »Das ist der Planet, wo wir mit Sicherheit einen lebenden Helden aus der Großen Rebellion vorfinden. Tobias Mond hält sich immer noch dort auf, obwohl ihn seit Zeitaltern niemand mehr leibhaftig gesehen hat. Der letzte überlebende Hadenmann ... Oh, ich wollte schon immer mal einem Hadenmann begegnen! Sie geben solch tolle Schurken in diesen alten Serien ab, in denen sie gegen Julian Skye und all die anderen Videohelden kämpfen. Falls irgendjemand weiß, was aus Owen und Hazel geworden ist, dann Tobias Mond.«