Todtsteltzers Schicksal - Simon R. Green - E-Book

Todtsteltzers Schicksal E-Book

Simon R. Green

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Ex-Piratin Hazel d’Ark ist nicht nur eine offizielle Heldin der großen Rebellion, sie ist auch Owen Todtsteltzers große Liebe - und sie wurde entführt! Owen reist ins Obeah-System, um Hazel zu retten, und entdeckt: Die Blutläufer, Hazels heimtückische Entführer, haben die Angelegenheiten des Imperiums weitaus stärker beeinflusst, als irgendjemand ahnte ... Doch es gibt noch eine weitaus größere Gefahr, die die Existenz der gesamten Menschheit bedroht!

"Abenteuer, Raumschlachten, Heldentum und exotische Schauplätze - Green mischt alle Zutaten zu einer außergewöhnlichen Space Opera." (Booklist)

Simon R. Greens große SF-Serie um Owen Todtsteltzer, die ihm den Durchbruch brachte - jetzt endlich wieder erhältlich, erstmals als eBook!

Die Legende von Owen Todtsteltzer: 1. Der Eiserne Thron, 2. Die Rebellion, 3. Todtsteltzers Krieg, 4. Todtsteltzers Ehre, 5. Todtsteltzers Schicksal, 6. Todtsteltzers Erbe, 7. Todtsteltzers Rückkehr, 8. Todststeltzers Ende

Sowie die Romane aus dem Todtsteltzer-Universum (ab Herbst 2020):

Nebelwelt, Geisterwelt, Höllenwelt

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 811

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

KAPITEL 1: BLUTSCHULD

KAPITEL 2: ALTE WAHRHEITEN FALLEN AUF DIE URHEBER ZURÜCK

KAPITEL 3:

ZERO ZERO

KAPITEL 4: VOM UNTERBEWUSSTSEIN ZUR ÜBERSEELE

KAPITEL 5: SOGAR LEGENDEN STERBEN

KAPITEL 6: EINE KÖNIGLICHE HOCHZEIT

KAPITEL 7: DER LETZTE TODTSTELTZER

Weitere Titel des Autors

Die Legende von Owen Todtsteltzer:

Der Eiserne Thron

Die Rebellion

Todtsteltzers Krieg

Todtsteltzers Ehre

Todtsteltzers Schicksal

Über dieses Buch

Die Ex-Piratin Hazel d’Ark ist nicht nur eine offizielle Heldin der großen Rebellion, sie ist auch Owen Todtsteltzers große Liebe – und sie wurde entführt! Owen reist ins Obeah-System, um Hazel zu retten, und entdeckt: Die Blutläufer, Hazels heimtückische Entführer, haben die Angelegenheiten des Imperiums weitaus stärker beeinflusst, als irgendjemand ahnte … Doch es gibt noch eine weitaus größere Gefahr, die die Existenz der gesamten Menschheit bedroht!

Über den Autor

Simon R. Green (*1955) kommt aus Bradford-on-Avon, England. Während seines Literatur- und Geschichtsstudiums an der Leicester University begann er mit dem Schreiben und veröffentlichte einige Kurzgeschichten. Doch erst 1988, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, verkaufte er seine ersten Romane. Seinen Durchbruch erlangte er Mitte der Neunziger mit der SF-Weltraumoper-Saga um Owen Todtstelzer: Eine Serie, die – wie er selbst sagt – irgendwie außer Kontrolle geraten ist, da er eigentlich nur drei Bücher schreiben wollte … Mittlerweile umfasst Simon R. Greens Werk weit über 40 Romane, das neben Science Fiction auch verschiedene Subgenres der Fantasy von Dark bis Funny, von High bis Urban abdeckt.

Simon R. Green

Todtsteltzers Schicksal

Deathstalker – Buch 5

Aus dem Englischen von Thomas Schichtel

Science Fiction

beBEYOND

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1999 by Simon R. Green

Titel der englischen Originalausgabe: »Deathstalker Destiny«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Todtsteltzers Schicksal. Über das abentheuerliche Leben des Owen Todtsteltzer. Der Legende fünfter Theil.«

Textredaktion: Uwe Voehl / Stefan Bauer

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler, Leipzig

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-7525-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Owen Todtsteltzer: »Ich weiß seit jeher, dass ich von geborgter Zeit lebe.«

Hazel D’Ark: »Ich habe nie behauptet, dich zu lieben, Owen.«

Jakob Ohnesorg: »Politiker. Sie sind alle schmutzig. Hängt sie alle.«

Ruby Reise: »Der Frieden war nur ein Traum.«

Die Prophezeiung eines jungen Espers: »Ich sehe Euch, Todtsteltzer. Die Bestimmung hält Euch in den Klauen, so sehr Ihr Euch auch wehren mögt. Ihr werdet ein Imperium stürzen, das Ende von allem erleben, woran Ihr glaubt, und Ihr tut dies alles für eine Liebe, die Ihr nie erfahren werdet. Und wenn es vorüber ist, werdet Ihr allein sterben, weit entfernt von Freunden und jedem Beistand.«

Das ist das Ende der Geschichte. Und es beginnt an dieser Stelle.

KAPITEL 1

BLUTSCHULD

Nach wie vor regnete es auf Lachrymae Christi. Die Tränen Gottes. Owen Todtsteltzer hingegen hatte nicht eine einzige Träne vergossen, seit die Blutläufer Hazel D’Ark entführt hatten. Zu weinen hätte bedeutet, sich seiner Angst und Verzweiflung zu ergeben, und er konnte sich nicht erlauben, schwach zu werden. Er musste stark sein und sich bereithalten, jede Gelegenheit zu nutzen, die ihn von diesem verdammten Planeten führte und auf Hazels Spur brachte. Er brauchte seine Stärke für Hazel. Also sperrte er die Verzweiflung in sich ein und hielt sie mit nie endender Arbeit schwer unter Kontrolle, und nicht ein einziges Mal erlaubte er sich, dem Gedanken nachzuhängen, Hazel D’Ark könnte bereits tot sein.

Seit zwei Wochen war Hazel jetzt fort, und Owen hatte seither kaum geschlafen. Er saß erschöpft auf dem kahlen Freiplatz der Missionsstation. Er ließ den Kopf hängen, und Schweiß tropfte ihm vom Gesicht. Seit Anbruch des Morgens hatte er hart gearbeitet und sich abgelenkt, indem er sich dem schlichten alltäglichen Problem widmete, die verwüstete Station wieder aufzubauen. Heutzutage war er jedoch nur noch ein normaler Mensch, und sein Körper ertrug Belastungen nur bis an eine bestimmte Grenze, ehe er ihn zwang, sich auszuruhen. Und dann saß er jeweils da, brütete vor sich hin und presste die Augen zusammen, um die Visionen auszusperren, die sein Bewusstsein heraufbeschwor – Visionen von dem, was die Blutläufer womöglich mit Hazel anstellten. Er tat dies so lange, bis er es nicht mehr ertrug und sich wieder in die Arbeit stürzte, um sich abzulenken, ob er nun bereit dazu war oder nicht.

Ein Leprakranker näherte sich ihm zögernd, eine anonyme Gestalt im üblichen grauen Umhang mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze. Er reichte Owen einen Becher Wein, und die Hand im grauen Handschuh zitterte nur ein klein wenig. Owen nahm den Wein mit einem Nicken entgegen, und der Leprakranke wich rasch zurück, wobei er sich respektvoll verneigte. Die überlebenden Kranken der Mission hatten miterlebt, wie Owen eine Armee angreifender Grendels wegfegte wie Blätter im Sturm, nur mit der Kraft seines Geistes. Sie hatten gesehen, wie er übermächtigen Kräften standhielt und sich weigerte zurückzuweichen. Er war ihr Retter, und sie alle empfanden große Ehrfurcht vor ihm.

Sie wussten nicht, dass er jetzt nur noch Mensch war. Sie wussten nicht, dass er, nur um sie zu retten, all die Kräfte verausgabt hatte, die ihm vom Labyrinth des Wahnsinns verliehen worden waren.

»Du musst langsamer machen, Owen«, murmelte ihm Oz ins Ohr. Die KI klang eindeutig besorgt. »Du kannst dich nicht weiter dermaßen antreiben. Du bringst dich um.«

»Die Arbeit muss getan werden«, sagte Owen lautlos, damit es die Menschen nicht hörten, die rings um ihn weiterarbeiteten. »Die Hadenmänner und die Grendels haben aus dieser Station wirklich die Scheiße herausgeprügelt. Die halbe Palisade liegt am Boden, die meisten Häuser lehnen sich aneinander, um nicht einzustürzen, und das Dach hat an hundert Stellen Lecks. Die Leprakranken bekommen das nicht allein wieder hin. Viele von ihnen gehören sowieso ins Krankenbett.«

»Das ist nicht der Grund für deine Schufterei«, erklärte ihm Oz. »Du kannst niemanden täuschen, weißt du? All diese Plackerei bis zum Umfallen – das dient nicht der Missionsstation. Du bestrafst dich selbst, weil du geduldet hast, dass die Blutläufer Hazel entführten.«

»Ich war nicht da, als sie mich brauchte«, sagte Owen und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen. »Wäre ich schneller gewesen, hätte ich vielleicht ... irgendetwas ...«

»Du hattest deine besonderen Fähigkeiten verloren. Du warst nur ein Mensch. Du hättest nichts ausrichten können.«

»Arbeit tut gut«, sagte Owen. »Einfache Probleme mit einfachen Lösungen. Sie hindert mich daran, nachzudenken und mich zu erinnern. Falls ich Pause mache, um nachzudenken und mich zu erinnern, werde ich verrückt.«

»Owen ...«

»Sie haben sie jetzt seit zwei Wochen in der Gewalt. Vierzehn Tage und Nächte in den Obeah-Systemen auf der gegenüberliegenden Seite des Imperiums, um sie zu quälen und zu foltern, wie es ihnen gefällt. Und ich sitze hier fest, habe meine Kräfte verloren und kann nicht mal auf ein Schiff hoffen, das mich hier abholt und in die Lage versetzt, Hazel zu folgen. In vierzehn Tagen und Nächten können die Blutläufer viel getan haben.«

Nach der Entführung Hazels durch die Blutläufer war Owen eine Zeit lang regelrecht verrückt geworden. Er aß oder schlief tagelang nicht und stolzierte blicklos durch die verwüstete Missionsstation, wobei ihm die entsetzten Leprakranken stets hastig den Weg freigaben. Er schrie und tobte und rief Hazels Namen, stieß fürchterliche Drohungen aus und heulte wie ein Tier, das Schmerzen litt. Schließlich war er schwach genug, dass Schwester Marion ihn niederringen und am Boden festhalten konnte, während Mutter Beatrice ihm eine Industriepackung Beruhigungsmittel verabreichte. Er träumte daraufhin von scheußlichen Dingen, und als er erwachte, hatte man ihn auf einem Bett in der Krankenstation festgeschnallt.

Schon zuvor hatte er die Stimmbänder durch Schreien und Toben überfordert, aber er verfluchte weiterhin alle mit rauer, kratziger Stimme, während Mond still an seiner Seite saß und ihn so gut tröstete, wie er es vermochte. Es dauerte einige Zeit, bis Owen sich wieder in die Gewalt bekam, körperlich und emotionell. Aber zu keinem Zeitpunkt weinte er. Mutter Beatrice besuchte ihn häufig und bot ihm den Trost Gottes an, aber er war nicht bereit, ihn anzunehmen. Sein kaltes Herz bot für nichts mehr Platz als Rettung oder Rache.

Als sie ihm endlich wieder gestatteten, dass er aufstand, verbrachte er den größten Teil eines Tages in der Kommzentrale und rief nach einem Schiff, das ihn abholen sollte. Irgendein Schiff. Er warf seine volle Autorität in die Waagschale, zog sämtliche Fäden, forderte jeden Gefallen ein, an den er sich nur erinnerte, drohte und flehte und versuchte zu bestechen, aber er erreichte gar nichts. Es herrschte Krieg. Im Grunde tobten etliche Kriege zugleich. Das Imperium sah sich Angriffen verschiedener Seiten ausgesetzt, der Hadenmänner, Shubs, der Grendels, der fremden Insektenwesen und schließlich noch der Gefahr durch die Neugeschaffenen. Owen war einfach nicht mehr wichtig genug, als dass es jemandem lohnend erschienen wäre, ein kostbares Raumschiff zum abgelegenen Planeten Lachrymae Christi umzulenken. Er musste einfach warten.

Owen hätte die ganze verdammte Kommzentrale verwüstet, wäre Mutter Beatrice nicht zugegen gewesen, den Blick voller Mitgefühl. Also stolzierte er hinaus und stürzte sich in den Wiederaufbau der Missionsstation. Dabei half, dass es eine Menge zu tun gab. Er zwang sich, regelmäßig zu essen und zu trinken, weil ihm andernfalls Mutter Beatrice oder Schwester Marion auf die Finger gesehen hätten, bis er es tat. Wenn es jeweils zu dunkel wurde, um weiterzuarbeiten, legte er sich aufs Bett und gab vor zu schlafen, wartete derweil mit leerem Herzen darauf, dass ein neuer Tag anbrach.

Der Wiederaufbau erwies sich als langsame und harte Arbeit, jetzt, wo Owen nicht mehr über besondere Kräfte verfügte, da sie in seiner letzten Schlacht gegen die Grendels ausgebrannt waren. Er war nicht mehr stärker oder schneller als irgendjemand sonst, und auch die übrigen Fähigkeiten aus dem Labyrinth waren ihm verloren gegangen wie die Verse eines alten Liedes, die er sich nicht mehr richtig ins Gedächtnis rufen konnte. Manchmal schien es ihm in den langen endlosen Stunden der Nacht, als rührte sich etwas tief in ihm, aber es trat nie an die Oberfläche, und wenn es endlich Morgen wurde, erblickte ihn dieser weiterhin als gewöhnlichen Sterblichen.

Und so verbrachte er seine Tage neben mehr oder weniger arbeitsfähigen Leprakranken, errichtete die Palisade Segment für Segment neu, und auf gewisse Art bot ihm diese Aufgabe Trost – diese Arbeit im Kreis anderer Menschen, ein Mitglied der Menschheit und kein Ausgestoßener. Das Mitglied einer Gruppe und nicht ihr Anführer. Es fühlte sich gut an, sich in geistlosen, sich fortlaufend wiederholenden Tätigkeiten zu vergessen und abends wirklich etwas geleistet zu haben. Das meiste, was an richtiger Arbeit zu leisten war, näherte sich jetzt jedoch dem Ende. Noch ein paar Tage, und die Station war vollständig wiederhergestellt. Dann musste man nur noch auf dem Dach herumklettern und die Lecks stopfen und ähnliche Kleinigkeiten ausführen. Owen wusste nicht, was er dann tun sollte.

Er trank den Wein, den ihm der Leprakranke gebracht hatte, und war zu müde, um über den bitteren Geschmack auch nur das Gesicht zu verziehen. Bestimmt hatten sie wieder Strychnin hinzugegeben, um dem Gesöff mehr Biss zu verleihen.

»Sie könnte überall sein«, sagte er leise, wohl wissend, dass er sich selbst quälte, aber unfähig, damit aufzuhören. »Irgendwo in den Obeah-Systemen. Ich war noch nie dort. Kenne auch niemanden, der es war. Ich weiß nicht mal, auf welchen Planeten sie Hazel dort gebracht haben. Sie könnten einfach alles mit ihr anstellen. Jeder kennt den Ruf der Blutläufer. Sie haben das Leid zu einer Kunst und das Gemetzel zu einer Wissenschaft entwickelt. Hazel liegt womöglich in diesem Augenblick im Sterben, und der große und allmächtige Owen Todtsteltzer kann nichts tun, um sie zu retten.«

»Damit tust du dir keinen Gefallen«, meldete sich Oz. »Sie ist tot. Das muss sie inzwischen einfach sein. Trauere und lasse sie dann los.«

»Das kann ich nicht.«

»Dann hab Geduld. Irgendwann wird ein Schiff kommen.«

»Ich liebe sie, Oz. Ich wäre gestorben, um sie vor den Blutläufern zu retten.«

»Natürlich wärst du das.«

»O Gott ...«

»Still, Owen, still!«

Schreie ertönten auf einmal, und Owens Kopf fuhr hoch. Innerhalb eines Augenblicks stand er auf den Beinen und warf den Weinbecher weg, als er sah, wie sich ein Abschnitt der neu errichteten Palisade aus den Halterungen löste und bedächtig über etwa ein Dutzend Leprakranke neigte, die darunter standen. Das Segment wog etliche Tonnen, und die Sicherungsleinen, die es hätten festhalten oder seinen Sturz abbremsen sollen, rissen eine nach der anderen, und es klang wie eine Folge explodierender Knallkörper. Die Leprösen wandten sich zur Flucht, aber man konnte sehen, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würden, aus dem Einzugsbereich des wie ein Hammer niederkrachenden Palisadensegments zu entkommen.

Owen formulierte sein altes Kodewort Zorn, und neue Kraft und Schnelligkeit brannten in seinen Muskeln, als er zu der stürzenden Wand hinüberstürmte. Alles andere schien wie in Zeitlupe abzulaufen, nachdem sich die gentechnisch erzeugte Gabe des Todtsteltzer-Clans eingeschaltet hatte und Owen für kurze Zeit wieder übermenschlich machte. Er erreichte die kippende Wand in Sekunden und packte mit beiden Händen die letzte intakte Leine. Die Finger schlossen sich wie Stahlklammern um das dicke Tau und hielten es, während es sich spannte. Die Leprakranken liefen langsam an Owen vorbei, während er das Seil festhielt und wütend knurrte. Der raue Hanf schnitt ihm langsam Handflächen und Finger auf. Blut lief ihm über die Handgelenke. Und dann riss das Seil wie alle anderen.

Owen hätte zurückspringen und sich retten können. Die meisten Leprakranken waren aus der Gefahrenzone entkommen, aber einige befanden sich noch im wachsenden Schatten der Wand. Owen sah sich um und entdeckte einen halben Baumstamm, der dort auf dem Boden lag und darauf wartete, zu Planken zersägt zu werden. Das Stück musste mindestens eine halbe Tonne wiegen, aber Owen hob es mit einem explosiven Grunzen hoch, schwenkte es herum und rückte damit entgegen der Fallrichtung des Wandsegments vor, um die Palisade abzustützen. Sie kippte heftig auf den Stamm und spaltete ihn bis auf halbe Länge, aber der improvisierte Keil hielt, und das Wandsegment stoppte zunächst. Sein schieres Gewicht übte jedoch weiter Druck aus, trieb den Baumstamm in die weiche Erde und erweiterte den Spalt Zentimeter für Zentimeter. Owen warf die Arme um den Stamm und drückte ihn fest an sich, hielt ihn damit zusammen, egal was die Wand mit ihrem Gewicht zu tun versuchte. Die Arme schrien förmlich vor Schmerz und er rang nach Luft, aber er hielt den Keil zusammen.

Schweiß strömte ihm erneut übers Gesicht. Der Rücken stand in Flammen vom Schmerz misshandelter Muskeln. Owen riskierte einen Blick über die Schulter und sah, dass die letzten paar Leprakranken fast schon in Sicherheit waren. Er musste nur noch ein paar Sekunden durchhalten. Das sich spaltende Holz drehte sich in seinen Armen wie ein boshaftes, verärgertes Lebewesen. Die raue Rinde schrammte ihm die Haut auf. Und dann rief ihm Mond zu, dass die letzten Kranken in Sicherheit waren, und Owen ließ den Baumstamm los und lief um sein Leben. Innerhalb einer Sekunde zersprang der Stamm gänzlich in zwei Hälften, und das Wandsegment kam herunter wie ein Abgrund der Vernichtung und verfehlte die Fersen des flüchtenden Owen nur um Zentimeter.

Er stolperte ein paar Schritte weiter und musste sich auf einmal setzen, und Kraft und Atem flossen aus ihm heraus, als er den Zorn abschaltete. Die Zeit stürzte rings um ihn wieder in den normalen Fluss zurück, und plötzlich rannten aus allen Richtungen Leprakranke auf ihn zu und bejubelten seinen Rettungseinsatz in letzter Sekunde. Der Hadenmann Mond tauchte rasch an seiner Seite auf, um zu verhindern, dass Owen überrannt wurde, aber für einen Moment schien es, als würden von überall her gleichzeitig Hände zu ihm ausgestreckt, die ihm auf den Rücken klopften oder die Hand zu schütteln versuchten. Er lächelte und nickte und bemühte sich darum, ein Gesicht zu machen, als wäre das alles nicht der Rede wert. Sie wussten nicht, dass er gar kein Übermensch mehr war. Niemand wusste es mit Gewissheit, abgesehen von Mond, der selbst noch über alle seine Fähigkeiten verfügte.

Endlich wurden es die Leprakranken leid, Owen zu erklären, wie fantastisch er war, und gingen nach und nach an die Arbeit zurück. Ein Trupp aus kräftigeren Arbeitern machte sich daran, das umgestürzte Wandsegment wieder aufzurichten, und hämmerte in schier jedem Winkel lange Nägel hinein, um sicherzustellen, dass das verdammte Ding diesmal stehen blieb. Mond setzte sich neben Owen.

»Wisst Ihr, ich hätte rechtzeitig eintreffen können, und meine aufgerüsteten Muskeln sind viel besser geeignet, eine solche Last zu tragen.«

»Aber Ihr seid nicht eingetroffen. Außerdem fühle ich mich gern nützlich.«

»Wie geht es Euren Händen und Armen?«

Owen achtete darauf, gar nicht hinzusehen. »Sie tun verteufelt weh, aber sie heilen schon wieder. Gehört zu den Vorteilen des Zorns.«

»Ihr könnt nicht weiter so tun, als wärt Ihr immer noch übermenschlich. Der Zorn nützt in dieser Hinsicht auch nur begrenzt. Und Ihr wisst ja, unter welchen Nachwirkungen Ihr jedes Mal leidet.«

»Ich kann nicht einfach daneben stehen, Tobias. Das konnte ich noch nie.«

»Selbst wenn es Euch das Leben kostet?«

»Wartet keine Arbeit auf Euch, Mond?«

»Kommt Ihr wieder in Ordnung?«

»Geht weg, Tobias. Bitte.«

Der Hadenmann nickte einmal, stand elegant auf und entfernte sich ohne Eile. Owen seufzte langsam. Niemand durfte erfahren, wie tief er gesunken war. Er hätte nicht zu allem Überfluss auch noch Mitleid ertragen können. Und Owen Todtsteltzer hatte sich eine Menge Feinde gemacht. Er konnte sich nicht erlauben, dass bekannt wurde, wie ... verwundbar er jetzt war.

»Mond hat Recht, weißt du?«, meldete sich Oz.

»Und du darfst auch den Mund halten.«

»Beherrsch dich. Auch deine Ausdrucksweise. Sankt Bea kommt herüber.«

Owen hob den schmerzenden Kopf, und sein Mut sank noch ein wenig mehr, als er die Oberste Mutter Beatrice auf sich zukommen sah, die schlichte Nonnenrobe gebauscht wie Segel. Sankt Bea meinte es gut; das tat sie stets, aber er war nicht in Stimmung für eine Vorlesung, wie mitfühlend auch immer. Er wollte schon aufstehen, aber Mutter Beatrice bedeutete ihm mit gebieterischer Geste, sich wieder zu setzen, und Owens Muskeln gehorchten, ehe er überhaupt bemerkte, was er tat. So wirkte Sankt Bea nun mal auf Menschen. Sie raffte ihre Gewänder um sich und setzte sich neben ihn, und sie überraschte Owen, indem sie ihn nicht ohne Verzug zur Schnecke machte. Stattdessen saß sie eine Zeit lang schweigend neben ihm, blickte ins Leere und summte leise etwas Unbestimmtes und Wehmütiges. Owen ertappte sich dabei, wie er sich unwillkürlich ein wenig entspannte.

»Wisst Ihr«, sagte sie schließlich, »Ihr seht wirklich beschissen aus, Todtsteltzer. Ich bringe meine Tage damit zu, die Kranken und die Sterbenden zu pflegen, und ich erkenne eine beschissene Verfassung, wenn ich sie erblicke. Ihr habt stark abgenommen, und Euer Gesicht zeigt mehr Knochen als sonst etwas. Und Eure Augen liegen so tief, dass sie wie Pinkellöcher im Schnee wirken. Ich bin Euretwegen besorgt, Owen. Wir haben hier Sterbende, die besser aussehen als Ihr.«

Owen lächelte leise. »Nur keine Hemmungen, Bea. Sagt mir, was Ihr wirklich denkt.«

Mutter Beatrice schüttelte langsam den Kopf. »Ihr seid wie ein Kind, Owen; ist Euch das eigentlich klar? Ihr hört einfach nichts, was Ihr ums Verrecken nicht hören möchtet. Trotzdem habt Ihr eben eine wirklich eindrucksvolle Figur gemacht. Danke, dass Ihr wieder mal den Helden gegeben habt. Warum nehmt Ihr Euch jetzt nicht ein paar Stunden frei? Ruht Euch etwas aus.«

»Ich finde keine Ruhe«, sagte Owen.

»Schlaft Ihr überhaupt?«

»Manchmal. Ich habe schlechte Träume.«

»Ich könnte Euch etwas geben, mit dessen Hilfe Ihr Schlaf fändet.«

»Ich habe schlechte Träume.«

Mutter Beatrice wechselte die Taktik. »Ich habe endlich doch ein paar gute Nachrichten für Euch. Die Kommzentrale hatte gerade Verbindung mit einem imperialen Kurierschiff, das hierher unterwegs ist. Sie haben unser kirchliches Versorgungsschiff requiriert, nur um Euch zu erreichen. Irgendjemand dort draußen glaubt immer noch an Euch. Versucht, Euch zusammenzureißen, bis sie hier eintreffen. Ich möchte nicht, dass man sich an diese Mission als den Ort erinnert, wo der große Owen Todtsteltzer Trübsal geblasen hat, bis es ihn ins Grab brachte.«

Owen lächelte kurz. »Ich verspreche es. Ich warte ja die ganze Zeit schon auf ein Schiff.«

»Hazel ist womöglich schon tot«, gab Mutter Beatrice leise zu bedenken. »Ihr dürft diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen.«

»Doch, das darf ich.«

»Selbst wenn Ihr den Ort findet, wohin die Blutläufer sie gebracht haben, bleibt dort für Euch womöglich nichts mehr zu tun.«

»Stets bleibt noch die Rache«, sagte Owen.

In seinem Tonfall schwang etwas mit, wobei es Sankt Bea schauderte. Sie nickte kurz, stand mit einem Brummen auf und entfernte sich. Auf manche Dinge fand nicht mal eine Heilige eine Antwort. Owen blickte ihr nach, und hinter seiner gefassten Miene wirbelten die Gedanken durcheinander. Ein Kurierschiff bedeutete eine Nachricht des Parlaments. Sie benötigten ihn wohl für eine dringende Aufgabe. Etwas, das für jeden anderen zu schwierig oder zu gefährlich war. Aber sobald er an Bord war und den Planeten hinter sich gelassen hatte, würde er direkten Kurs auf die Obeah-Systeme nehmen, und zur Hölle mit allem, was das Parlament von ihm wünschen mochte. Seine geistigen Kräfte waren dahin, einschließlich der Gedankenverbindung mit Hazel, aber er wusste trotzdem, in welcher Richtung er die Obeah-Systeme fand. Schon einmal hatte sein Bewusstsein über eine unermessliche Entfernung des Weltalls hinausgegriffen, um den Blutläufer Scour in Gedanken ausfindig zu machen und zu töten, und Owen wusste noch, wohin sich seine Gedanken damals bewegt hatten. Er musste sich nur konzentrieren und konnte den Weg zur Heimatwelt der Blutläufer spüren, wie er sich vor ihm erstreckte und nach ihm rief. Er brauchte nur noch ein Schiff. Falls Hazel noch lebte, würde er sie retten, und er würde den Blutläufern einen Preis in Blut und Feuer dafür abverlangen, dass sie sie entführt hatten. Und falls sie tot war ...

Dann gedachte er, die ganzen verdammten Obeah-Systeme in Brand zu stecken, damit sie als Hazels Totenfeuer für immer in der Dunkelheit loderten.

Außerhalb der Mission blühte der scharlach- und purpurrote Dschungel. Bäume mit schwarzer Rinde ragten aus einem Meer sich ständig bewegender Vegetation auf, die durchgängig in diversen Rotschattierungen gefärbt war, von glänzendem Purpur bis zu beunruhigend organisch wirkendem Rosa. Der Dschungel auf Lachrymae Christi war lebendiger als üblich, wobei die Pflanzen unterschiedliche Grade an Bewusstsein aufwiesen und ständig miteinander in Fehde lagen (von der Brunftzeit abgesehen). Trotzdem zogen sich alle Stacheln und Dornen zurück, als Tobias Mond vorbeikam. Er war ihr einziger echter Geliebter und Freund, der Einzige in der Missionsstation, der eine mentale Verbindung zu dem einzelnen Riesenbewusstsein herstellen konnte, das vom Ökosystem des gesamten Planeten erzeugt wurde: dem Roten Hirn. Das hätte eigentlich gereicht, um praktisch jedermann zu Kopfe zu steigen, aber Mond war ein Hadenmann und ein Überlebender des Labyrinths des Wahnsinns, und so wurde er spielend damit fertig. Falls er überhaupt darüber nachdachte, betrachtete er sich als Gärtner, wenn auch in etwas größerem Maßstab als üblich.

Zurzeit überwachte er das Fällen von Bäumen, die als Bauholz für die Reparaturen an der Missionsstation dringend benötigt wurden. Das Rote Hirn hatte der Gemeinschaft der Menschen erlaubt, sich das Nötige zu nehmen, und gab sich Mühe, die Arbeiten zu erleichtern, indem es die gefährlichere und hinderlichere Vegetation aus dem betroffenen Gebiet zurückzog. Mond kümmerte sich so weit wie möglich um die Arbeiten, nur um Missverständnisse zu vermeiden, aber bislang lief alles glatt. Er besprach sich mit dem Roten Hirn, erteilte die Befehle, welche Bäume gefällt werden sollten, und Schwester Marion wanderte steifbeinig hin und her und achtete darauf, dass diese Anweisungen buchstabengetreu befolgt wurden. Niemand legte sich mit Schwester Marion an. Sie war eine Ruhmreiche Schwester, eine Kriegernonne und völlige Psychopathin, und ihre stockdürre Gestalt tauchte scheinbar überall zugleich auf. In ihrem langen schwarzen, in Fetzen hängenden Kleid und den smaragdgrünen Abendhandschuhen gab sie eine formidable Erscheinung ab und war sich dessen bewusst. Das Gesicht war unter grellweißem Makeup versteckt, wovon sich das Wangenrouge und die grünen Lippen abhoben. Dem Ganzen die Krone auf setzte ein hoher schwarzer Hexenhut, komplett mit flatternden Purpurbannern. Wo immer sich einer der Leprakranken mal von der Arbeit drückte oder gar davonstahl, um sich irgendwo in Ruhe hinzusetzen und heimlich eine zu rauchen, da dauerte es nur Sekunden, bis Schwester Marions heisere Stimme ihm ins Ohr plärrte und ihn mit schrecklichen Flüchen und Lästerungen zurück an die Arbeit scheuchte. Irgendwie klang das umso überzeugender, als es von einer Nonne kam.

Viel Zeit und harte Arbeit waren nötig, um die großen, dicken Bäume zu fällen, und der ständige Regen machte alles noch schlimmer. Trotzdem krachten die großen dunklen Stämme langsam und regelmäßig zu Boden. Niemand wusste, ob die Grendels oder Hadenmänner vielleicht wieder auftauchten, aber allen war klar, dass sie sich viel sicherer fühlen würden, wenn erst mal die Station wieder aufgebaut war. Und so plagten sich die Leprakranken Tag für Tag im strömenden Regen. Die Äste mit den roten Blättern wurden mühselig weggeschnitten, und dann rückte die Vegetation der Umgebung heran und besorgte den Transport der schweren Stämme dorthin, wo sie gebraucht wurden. Das Rote Hirn zeigte sich fast mitleiderregend bemüht, seinen neuen Freunden behilflich zu sein. Es war so furchtbar lange allein gewesen, bis Mond den Kontakt herstellte.

Owen bahnte sich seinen Weg durch den scharlach- und purpurroten Dschungel und gesellte sich zu Mond. Owen wirkte konzentriert und nachdenklich und schien den strömenden Regen nicht einmal zu bemerken. Die Leprakranken nickten und verneigten sich, wenn er vorbeiging, und blickten ihm anschließend nach. Neue Kraft und Entschlossenheit zeigten sich in ihm, und das spürten sie. Mond spürte es ebenfalls. Er musterte Owen mit den schwach leuchtenden goldenen Augen und zog eine Braue hoch.

»Irgendein Schiff ist also unterwegs?«

»Kurz und präzise, Tobias. Trifft morgen früh hier ein. Ihr müsst mir einen Gefallen tun.«

»Falls ich kann. Was schwebt Euch vor?«

»Kehrt durch den Dschungel zur Absturzstelle der Sonnenschreiter II zurück, baut den Hyperraumantrieb aus und bringt ihn her.«

Mond senkte die Braue und dachte nach. »Habt Ihr eine Verwendung für einen ausgebauten Hyperraumantrieb?«

»O ja! Die Sonnenschreiter II war mit dem neuen Antrieb aus der Produktion der Fremdwesen ausgestattet. Egal in welches Schiff ich ihn einbaue, es wird danach eines der schnellsten Schiffe im Imperium sein. Und ich brauche diesen Vorteil, um Hazel rechtzeitig zu erreichen. Tut es für mich, Tobias. Ich brauche es.«

»Wann soll ich aufbrechen?«

»Jetzt gleich wäre gut.«

Mond überlegte. Alle Arbeiten waren zum Erliegen gekommen, denn die Leprakranken warteten auf seine Antwort. Mond zuckte schließlich die Achseln. Er bekam die Geste noch nicht ganz richtig hin, aber sie war erkennbar. »Die Holzfällerarbeiten sind weitgehend abgeschlossen. Meine Leute werden mit dem Rest allein fertig. Sehr gut; ich stelle eine kleine Gruppe zusammen und hole Euch Euren Hyperraumantrieb, Owen. Aber seid Euch bitte über eins im Klaren: Wenn Ihr von hier fortgeht, tut Ihr das allein. Ich teile Eure Sorgen um Hazel, aber ich kann die Menschen hier nicht im Stich lassen. Zurzeit bin ich noch ihre einzige Verbindung zum Roten Hirn. Ich trage hier ... Verantwortung.«

»Das ist in Ordnung«, sagte Owen. »Ich habe Verständnis dafür. Ich habe schon immer gewusst, was Pflicht bedeutet.«

Sie lächelten einander an und wussten beide, dass sie in diesem Augenblick womöglich zum letzten Mal zusammen waren. Die Leprakranken nahmen ihre Arbeit wieder auf, dieses eine Mal nicht durch Schwester Marions Zunge angetrieben. Owen blickte sich nach der Nonne um und entdeckte sie schließlich; sie saß auf einem Baumstumpf und starrte müde zu Boden, die Hände ordentlich im Schoß gefaltet. Sie ließ die Schultern hängen, als trüge sie darauf eine schwere Last, und ihr Kopf hing nach vorn, als wäre er zu schwer für die Halsmuskeln. Sogar die Bänder an ihrem Hut hingen schlaff herunter.

»Sie sieht nicht allzu gut aus«, fand Owen.

»Sie stirbt«, stellte Mond fest. »Sie befindet sich in den letzten Stadien der Krankheit und verliert Tag für Tag mehr Kraft.«

»Das wusste ich nicht!«, sagte Owen ehrlich erschrocken. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass die unbesiegbare Kriegernonne von etwas anderem geschlagen wurde als einem Schwertstoß oder Disruptorschuss. Er wusste, dass sie Lepra hatte, war aber stets vage davon ausgegangen, dass sie zu stur war, um sich der Krankheit zu beugen. »Wie lange geht es ihr schon so?«

»Schon einige Zeit. Fühlt Euch nicht übertrieben schuldig, weil Ihr es nicht bemerkt habt. Ihr hattet Eure eigenen Probleme. Ihr hättet ohnehin nichts tun können. Der Zeitpunkt ist für sie einfach gekommen. Lepra ist eine zu hundert Prozent tödliche Krankheit. Niemand übersteht sie lebend. Schwester Marion besteht darauf, hier draußen zu helfen, um das meiste aus der ihr verbliebenen Zeit zu machen, ehe sie die letzten Tage auf der Krankenstation verbringen muss. Das wird ihr nicht gefallen – einfach nur dazuliegen und sich in niemandes Belange einmischen zu können. Ich fragte sie, ob sie ihren Frieden mit Gott gemacht hätte, aber sie lachte nur und sagte: Wir hatten nie Streit. Ich denke, ich nehme sie mit zur Sonnenschreiter II. Ein letztes Abenteuer für sie.«

»Aber Tobias«, sagte Owen. »Ich denke wirklich, dass Ihr sentimental werdet.«

»Ich arbeite daran«, sagte der Hadenmann.

Der Marsch durch den Dschungel zum abgestürzten Sternenschiff erwies sich als viel einfacher, als der umgekehrte Weg gewesen war. Diesmal zog sich die dunkelrote Vegetation schlängelnd zurück und gab einen breiten Weg frei für Mond und Schwester Marion und das halbe Dutzend Leprakranker, die sie mitgenommen hatten, um bei Bedarf Dinge zu holen und zu tragen. Der Regen prasselte schnurgerade und heftig hernieder, durchnässte die grauen Gewänder der Kranken und klatschte Schwester Marions Purpurbänder flach an den Hut. Mond machte der ständige lauwarme Regen überhaupt nichts aus, aber er war inzwischen vernünftig genug, um solche Feststellungen für sich zu behalten. Er stellte eine kurze Verbindung zum Roten Hirn her, und breite Purpurblätter fächerten über dem Weg aus und hielten einen Teil des Regens ab. Die Schuhe quatschten auf dem Boden, und das hineinlaufende Regenwasser gab in den Schuhen die gleichen Laute von sich. Niemand hatte viel zu reden. Hätte nicht der Todtsteltzer selbst um diese Expedition gebeten, dann hätte nicht mal die Anwesenheit Monds und Schwester Marions verhindern können, dass die Leprakranken rebellierten und umkehrten; für Owen taten sie jedoch alles.

Owen selbst war in der Missionsstation geblieben. Er wollte sofort am Landeplatz sein, wenn das Kurierschiff aufsetzte.

Schwester Marion taumelte plötzlich, als der schlammige Boden unter ihr nachgab. Mond streckte die Hand nach ihr aus, um zu helfen, zog sie aber rasch wieder zurück, als die Schwester ihn nur böse anblickte und sich das Gesicht zum hundertsten Male mit einem zerlumpten Taschentuch abwischte, das sie aus einem zerrissenen Ärmel zog.

»Ich hasse den Dschungel! Baumstämme, so schwarz wie Kohle, und Pflanzen in den Farben des Blutes und der Organe. Und er stinkt auch noch.«

»Vegetation, die am Boden verfault, bildet den Mulch, aus dem neues Leben entsteht«, erklärte Mond.

Schwester Marion schnaubte. »Na klar. Selbst die hübscheste Rose wurzelt in Mist. Das wusste ich schon immer. Regen und Gestank und ein Dschungel, der wie ein lebendes Schlachthaus aussieht! Kein Wunder, dass man uns hierhergeschickt hat; niemand sonst wäre scharf auf diesen Planeten.«

»Wir haben die Absturzstelle fast erreicht«, sagte Mond. »Es ist nicht mehr weit.«

»Habe ich danach gefragt?«, raunzte Schwester Marion.

»Ich dachte, es könnte Euch interessieren. Es ist die Lichtung direkt voraus.«

»Ich hasse den Regen«, knurrte die Nonne und blickte zu Boden. »Ich habe Regen noch nie gemocht.«

Als sie schließlich auf die Lichtung hinaustraten, blieben alle gleich hinter der Umrandung stehen. Nachdem sie sich eine Zeit lang verwirrt umgesehen hatten, bedachten die Leprakranken Mond mit harten Blicken. Die Lichtung unterschied sich nicht von allen anderen, über die sie sich schon geschleppt hatten, war überwuchert von purpur- und scharlachroter Vegetation und ohne die Spur von einem abgestürzten Raumschiff. Schwester Marion drehte sich mit drohender Miene langsam zu Mond um.

»Falls Ihr bekannt geben möchtet, dass Ihr Euch verirrt habt, finde ich es vielleicht nötig, Euch den aufgerüsteten Hintern bis zwischen die Ohren hinauf zu treten, dass alles in Euch klappert – nur zum Wohle Eurer Seele.«

»Nicht nötig, dass Ihr Euch ärgert«, versetzte Mond. »Wir sind hier richtig. Wir können das Schiff nur nicht sehen, weil der Dschungel es verschlungen hat.«

»Dann hoffen wir lieber, dass er es nicht auch verdaut hat.« Schwester Marion brach plötzlich ab. Sie wollte die Hand an den Kopf heben, brach die Bewegung aber bewusst ab. Die Hand zitterte unübersehbar, aber niemand äußerte sich dazu.

»Es wird einige Zeit dauern, das Schiff freizulegen«, sagte Mond vorsichtig. »Warum sucht Ihr Euch nicht einen Platz, der relativ trocken ist, und setzt Euch für eine Weile, Schwester? Ihr seid müde.«

»Ich sterbe, Hadenmann. Ich bin immer müde.« Sie schüttelte langsam den Kopf und setzte sich vorsichtig auf einen halb verfaulten Baumstamm. Mond gab den anderen Leprakranken mit einem Wink zu verstehen, sie sollten sich ein Stück entfernen, damit er und die Schwester unter sich sein konnten. Die Nonne seufzte leise. »Was wird nur aus der Welt, wenn die einzige Person, mit der ich reden kann, ein verdammter Hadenmann ist? Mutter Beatrice ist zu beschäftigt, der Todtsteltzer hat seine eigenen Probleme, und die übrigen Kranken ... fürchten sich zu sehr vor mir. Damit bleibt nur Ihr.«

»Ihr könnt immer mit mir reden«, sagte Mond. »Alle Informationen, mit denen ich programmiert wurde, stehen zu Eurer Verfügung.«

Schwester Marion starrte lange auf die Lichtung hinaus; der Regen prasselte weiter lautstark auf sie und die Umgebung herunter. »Mir ist klar, dass ich nicht verbittert sein sollte«, sagte sie schließlich. »Aber ich kann nicht anders. So viel bleibt hier zu tun, und ich werde nicht mehr da sein und darauf achten können, dass alles richtig gemacht wird. Wer sieht nach Bea, wenn ich nicht mehr da bin, und hindert sie daran, sich zu Tode zu schuften?«

»Ich bin noch da«, gab Mond zu bedenken. »Ich gebe auf sie Acht. Aber Ihr dürft nicht klein beigeben, Schwester. Ihr seid eine Kämpferin. Eine Ruhmreiche Schwester.«

»Ich habe Lepra. Und ich wusste schon immer, dass das ein Todesurteil ist. Ich dachte nur ... Ich hätte gern mehr Zeit. Wir alle hier sterben, Mond. Ihr dürft Euch nicht schuldig fühlen, nur weil Ihr uns nicht retten könnt, wie Ihr die Missionsstation gerettet habt.«

»Ich fühle mich nicht schuldig«, entgegnete Mond. »Das ist Owens Aufgabe.«

Sie beide brachten darüber ein leises Lächeln zustande.

»Es erscheint mir unfair«, sagte Mond. »Wir haben Armeen von Hadenmännern und Grendels abgewehrt, aber wir können Euch nicht vor einer dummen Krankheit retten.«

»Ja, nun, so ist nun mal das Leben. Oder eher der Tod. Gott hat uns hinausgeschickt und ruft uns wieder zurück. Macht nun weiter, Mond, und findet Euer verdammtes Schiff. Macht Euch nützlich.«

Mond fühlte sich unsicher. Er hätte sie gern getröstet, hatte aber keine Ahnung wie. Owen hätte ihm geraten, seinen Instinkten zu folgen, aber Mond wusste nicht recht, ob er welche hatte. Statt also womöglich das Falsche zu sagen, nickte er nur, drehte sich um und musterte die große Lichtung, die sich vor ihm ausbreitete. Er wusste genau, wo die Sonnenschreiter II nach ihrem Absturz schließlich zur Ruhe gekommen war. Mond erinnerte sich stets an alles und irrte sich dabei nie. Im Gegensatz zu Menschen konnte er nie etwas vergessen, obwohl er manchmal dachte, dass er bestimmte Dinge lieber nicht im Gedächtnis behalten hätte, wäre es ihm nur möglich gewesen.

Er legte den Gedanken für spätere Kontemplationen auf die Seite, tastete mit seinem labyrinthverstärkten Bewusstsein nach draußen und nahm Verbindung mit dem Überbewusstsein auf, das man Rotes Hirn nannte. Es war, als tauchte er in einen gewaltigen kühlen Ozean voller unzähliger Lichtpunkte – eine Milliarde Pflanzen, verschmolzen zu einem einheitlichen Geist von einer Dimension, dass sogar Mond sich beim Umgang damit unbehaglich fühlte. Früher war er selbst Bestandteil des Massenbewusstseins der Hadenmänner gewesen, aber das Rote Hirn war größer und wilder und beinahe erschreckend frei, und nur der gletscherhaft langsame Ablauf seiner Gedanken ermöglichte es Mond, mit ihm zu kommunizieren, ohne überwältigt zu werden. Mond und das Rote Hirn traten gemeinsam in Aktion, verbunden und doch weiterhin getrennt, wie ein einzelner Wal, der seine Lieder einem empfindungsfähigen Meer vorsang. Und als der Hadenmann das Rote Hirn bat, die Sonnenschreiter II zurückzugeben, erfüllte ihm das Massenbewusstsein nur zu gern diesen Wunsch.

Mond fiel in den eigenen Körper zurück, und nicht zum ersten Mal fiel ihm auf, wie klein und zerbrechlich er ihm vorkam. Er hatte das Gefühl, aus ihm herauszuwachsen wie aus einem Satz Kinderkleider. Er schob auch diesen Gedanken zur Seite, während die Lichtung vor ihm erbebte. Der Boden wackelte unter seinen Füßen, und die roten Pflanzen schwankten heftig hin und her. Gelassen rief Mond den Leprakranken zu, sie sollten sich wieder zu ihm und Schwester Marion gesellen, und sie verschwendeten keine Zeit, dem Folge zu leisten. Im Zentrum der Lichtung wölbte sich plötzlich die Erde und zerplatzte zu erratisch verlaufenden Rissen. Pflanzen wurden durch den Aufwärtsdruck des Erdbodens entwurzelt und flogen zur Seite, aber sie waren nur winzige Bestandteile des Massenbewusstseins und wurden leichthin geopfert. Die Erde knurrte und grollte, als zwängte sich etwas, was tief darin vergraben gewesen war, allmählich ans Tageslicht. Die Pflanzen auf der Lichtung, die ausreichend beweglich waren, taten ihr Bestes, um zu entkommen, während sich die große Spalte öffnete, auseinandergezwängt von der wieder auftauchenden Sonnenschreiter II. Das Schiff schwankte etwas und kam zur Ruhe. Der Erdboden und die Vegetation beruhigten sich wieder. Mond nahm das abgestürzte Raumschiff kritisch in Augenschein. Es sah schlimm aus.

Aber es war auch eine verflucht harte Landung gewesen. Der dreckverschmierte Rumpf war an mehreren Stellen aufgerissen, und die Achtersektion war zum größten Teil abgerissen. Mond erblickte die Spuren umfangreicher Brandschäden sowohl außen wie im Innern des Schiffes, und die meisten Sensorenstacheln fehlten. Was genau der Grund war, warum Owen ihn nur geschickt hatte, um den Hyperraumantrieb zu bergen – den einzigen Teil des Schiffes, der wahrscheinlich intakt geblieben war. Mond dachte an das anfliegende Kurierschiff; jemandem stand eine gehörige Überraschung bevor. Mond lächelte leise und wandte die Aufmerksamkeit wieder dem Wrack zu. Er brauchte nur wenige Augenblicke, um die Baupläne in Gedanken aufzurufen und einen ausreichend breiten Spalt im Rumpf ausfindig zu machen, der nicht allzu weit von der Triebwerkssektion entfernt war. Mit ein bisschen Glück und einem gewissen Maß an brutaler Gewalt müsste er den Hyperraumantrieb einigermaßen leicht erreichen können. Er blickte zu Schwester Marion zurück.

»Ich steige allein ins Schiff ein. Achtet darauf, dass alle anderen auf Distanz bleiben, solange ich nicht nach ihnen rufe. Der Hyperraumantrieb beruht auf fremdartiger Technologie, die noch kaum verstanden wird, und strahlt Kräfte und Energien aus, die menschlichem Gewebe hochgradig abträglich sind. Das Triebwerk müsste sicher in seinem Gehäuse stecken und damit theoretisch ungefährlich sein, aber niemand weiß, wie stark das Gehäuse vielleicht beim Absturz gelitten hat.«

»Was, wenn das Gehäuse Risse hat?«, fragte Schwester Marion.

»Dann wäre es absolut tödlich, sich der Strahlung länger auszusetzen. In diesem Falle ... müssten wir unser Unternehmen aufgeben. Der Dschungel kann das Schiff wieder vergraben, tief genug, damit niemand mehr in Gefahr gerät, der Strahlung ausgesetzt zu werden. Aber denken wir lieber positiv. Owen braucht dieses Triebwerk.«

»Falls die Strahlung so gefährlich ist, solltet Ihr überhaupt nicht hineingehen«, sagte Schwester Marion scharf.

»Ich bin ein Hadenmann«, hielt ihr Mond entgegen. »Und ich habe das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten. Somit bin ich nur sehr schwer umzubringen.«

»Und verflucht zu großspurig, als gut für Euch ist. Passt da drin auf Euch auf!«

»Ja, Schwester. Falls etwas schiefgeht, dürft Ihr und Eure Leute mir nicht an Bord folgen. Unter keinen Umständen! Kehrt dann zurück und holt Owen. Ist das klar?«

»Oh, macht schon! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

»Ja, Schwester.«

Mond suchte sich vorsichtig einen Weg über die Lichtung, durch die zerfetzte Vegetation und aufgeworfene Erde, um das abgestürzte Schiff zu erreichen. Früher war es eine schöne Jacht gewesen. Jetzt ging es jedoch nur noch als ein Haufen Schrott durch, mit vielleicht einer letzten wertvollen Beute, die man darin machen konnte. Mond ging vorsichtig an der Flanke des Fahrzeugs entlang und spähte durch die breiten Risse ins Innere. Seine körpereigenen Sensoren meldeten geringfügige Strahlung, nichts, worüber er sich hätte Sorgen machen müssen. Die Luftschleuse war unpassierbar. Endlich erreichte er den breiten Riss neben der Triebwerkssektion. Das Strahlungsniveau stieg alarmierend an, aber Mond war überzeugt, es lange genug aushalten zu können, um sein Vorhaben zu verwirklichen. Auch andere Kräfte waren hier aktiv, von denen er keine erkannte, aber damit hatte er gerechnet. Er griff erneut auf sein Lektron zu und benutzte den ins linke Handgelenk eingebauten Disruptor, um einen kleinen, unumgänglichen Eingriff am Innenleben des Schiffs hinter der Spalte vorzunehmen. Er steckte den Kopf hinein und durchdrang die Dunkelheit mit seinen leuchtenden goldenen Augen. Die Triebwerkssektion lag nicht weit entfernt, war aber noch hinter mehreren Schichten Isoliermaterial verborgen. Dieses mit dem Disruptor zu durchschneiden hätte Stunden gedauert, und Mond glaubte nicht, dass selbst er eine solche Strahlenbelastung ohne Schaden ausgehalten hätte. Was ihm nur eine Möglichkeit offen ließ.

Er konzentrierte sich auf das eigene Innere und trennte und bündelte gewisse Bilder, die sich in ihm bewegten. Seit er sein Labyrinth-Erbe und seine menschliche Natur akzeptiert hatte, traten ständig neue Fähigkeiten an die Oberfläche. Ein Ergebnis bestand in seiner Fähigkeit, das Rote Hirn zu orten und mit ihm zu kommunizieren. Auch andere Kräfte hatten sich gemeldet, und er rief jetzt die jüngste davon auf. Etwas wogte aus seinem Unterbewusstsein hoch und füllte ihn aus, bis er es nicht mehr umfassen konnte. Er funkelte den aufgebrochenen Schiffsrumpf an, und der Riss weitete sich plötzlich, schälte sich vor dem Druck seines Blickes zurück. Die Ränder wölbten sich auf, sodass er vor den scharfen Kanten geschützt war und schließlich hindurchsteigen konnte. Sobald er an Bord war, spalteten sich die inneren Schichten vor ihm auf, unfähig, seinem labyrinthverstärkten Bewusstsein zu widerstehen.

Mond nahm direkten Kurs auf die Triebwerkssektion, und das Schiff entfaltete sich vor ihm wie eine metallene Blüte. Von Zeit zu Zeit musste er stehen bleiben, um die Sicherheitsmaßnahmen abzuschalten, die auf den Bauplänen vermerkt waren. Es war Absicht, dass man den Hyperraumantrieb nur schwer erreichen konnte. Als er schließlich den matt schimmernden Behälter vor sich sah, der das Triebwerk vom Rest des Schiffes isolierte, blieb Mond stehen und nahm ihn einige Zeit lang nachdenklich in Augenschein, und das aus einer Distanz, von der er hoffte, dass sie ihm Sicherheit bot. Der Behälter war kleiner, als er erwartet hatte, gerade drei Meter lang und einen und ein Drittel Meter breit. Erstaunlich klein für etwas so Starkes. Er schien intakt, aber aus dieser Nähe spielten Monds körpereigene Sensoren richtig verrückt bei dem Versuch, die seltsamen Energien einzuordnen, die den Behälter umgaben. Owen hatte ihn ermahnt, äußerst vorsichtig zu sein. Die bloße Montage des von Fremdwesen entwickelten Antriebs entfesselte Energien, tödlich für die Klone, die die Arbeit taten.

Mond musterte mit seinen leuchtenden Augen den Hyperraumantrieb, und das Triebwerk erwiderte direkt den Blick. Mond nahm Wellenlängen wahr, für die er normalerweise keine Verwendung hatte, und studierte die ungewöhnlichen Energien, die rings um den Stahlbehälter auftraten. Nichts davon war Strahlung im engeren Sinn, aber Mond zweifelte nicht daran, dass es gleichermaßen gefährlich war. Je mehr er die Energien erforschte, desto mehr dachte er, dass sie womöglich außerdimensional waren. Im Grunde wusste niemand, wie der fremdartige Antrieb seine Effekte erreichte, aber er war so ungeheuer nützlich, dass man ihn einfach einsetzen musste.

Die Energien umgaben den Triebwerksbehälter eher, als dass er sie ausgestrahlt hätte – so als platzten sie von irgendwo sonst in die Wirklichkeit hinein, nur um wieder dorthin zu verschwinden. Lange blieben sie nicht. Vielleicht erhielt oder duldete diese Wirklichkeit sie nur für kurze Zeit. Mond stellte erschrocken fest, dass er sich das Phänomen viel zu lange angesehen hatte, und wandte sich wieder dem Problem zu, wie er den Behälter sicher zu Owen bringen konnte. Die sechs Leprakranken, die er mitgebracht hatte, um das Triebwerk zu schleppen, konnten nicht annähernd so viel von den Energien verkraften wie er. Immerhin, eins nach dem anderen. Zunächst den Behälter aus der Halterung lösen und mal sehen, wie schwer er war. Vielleicht konnte Mond ihn allein tragen.

Eine sorgfältige Untersuchung zeigte, dass nur einige große Stahlschrauben den Behälter auf dem Boden festhielten. Mond hatte kein Werkzeug dabei, also packte er einfach die Schraubenköpfe mit den kräftigen Fingern und drehte sie heraus. Die letzte Schraube war die widerspenstigste, also riss er sie einfach heraus und zerstörte dabei das Gewinde. Er warf sie zur Seite, beugte sich über den Triebwerksbehälter und versuchte ein Ende anzuheben. Er gab kein bisschen nach. Mond probierte einen festeren Griff um die Mitte, und das war es, womit alles fürchterlich schiefging.

Das Triebwerk war unmöglich schwer, viel schwerer, als die Größe erahnen ließ. Es war, als versuchte Mond, einen Berg anzuheben. Er wappnete sich und versuchte, seine Labyrinth-Kräfte wachzurufen. Der Rücken knackte, und die Arme vermittelten das Gefühl, sie würden gleich aus den verstärkten Gelenken gerissen. Der Behälter verschob sich langsam und gemächlich. Mond spannte sich gegen das unmögliche Gewicht an, und der Schweiß lief ihm über das unbewegte Gesicht. Das Triebwerk hob sich allmählich vom Boden, und die Energien, die es einhüllten, drehten durch. Sie flammten strahlend und blendend auf, und Mond wich unwillkürlich zurück. Mit einem Fuß rutschte er auf dem glatten Metallboden aus, und er verlor für einen Sekundenbruchteil das Gleichgewicht. Und mehr war nicht nötig. Der Behälter mit dem Triebwerk wälzte sich mit der Unausweichlichkeit einer Lawine auf ihn zu, und er konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten. Der Behälter prallte auf ihn, riss ihn von den Beinen und rollte die Beine hinauf, drückte ihn zu Boden, bis er sich nicht mehr rühren konnte. Monds Lippen dehnten sich vor Schmerz. Er hatte das Gefühl, als ruhte die ganze Welt auf seinen Beinen. Er hämmerte mit den Fäusten auf den Stahlbehälter, konnte ihn aber keinen Zentimeter weit verschieben. Mond saß fest. Er heulte vor schierer Frustration auf.

Er kämpfte den Aufstand der Gefühle nieder und war wieder der kalte, logische Hadenmann. Er musste sich einen Ausweg überlegen. Es gab immer einen Weg, wenn man nur gründlich genug nachdachte. Der Behälter war zu schwer für ihn, um ihn allein mit den Händen verlagern zu können; vielleicht half es, wenn er auch Hebelkraft einsetzte. Owen hatte einmal gesagt: Gib mir einen ausreichend großen Hebel, und ich prügele damit das Problem, bis es nachgibt. Mond blickte sich nach einem geeigneten Hebel um, entdeckte aber in Reichweite nichts, und er konnte sich keinen Zentimeter weit vom Fleck rühren. Er spürte die Beine schon nicht mehr und glaubte, die gedämpften Geräusche zu hören, die seine Beinknochen erzeugten, während sie unter der unerträglichen Last brachen. Es musste einen Weg geben ...

Er hörte etwas von der Seite her, drehte den Kopf und erblickte Schwester Marion, wie sie vorsichtig der Passage folgte, die er vorhin erzeugt hatte. Sie blieb stehen, um ein Stück von ihrem Gewand loszuzerren, das sich an einer scharfen Kante verfangen hatte, und Mond rief eindringlich nach ihr.

»Kommt nicht näher, Schwester! Geht zurück! Ihr könnt nichts ausrichten. Für Menschen ist es hier drin nicht sicher!«

»Ich habe Euren Schrei gehört«, antwortete Schwester Marion gelassen und kam näher. »Dachte mir, dass Ihr womöglich in Schwierigkeiten steckt.«

»Ich stecke fest. Das Hyperraumtriebwerk ist viel schwerer, als es aussieht. Ich bin ein Hadenmann, der außerdem vom Labyrinth umgeformt wurde, und nicht mal ich kann es bewegen.«

Schwester Marion blieb stehen und dachte darüber nach. »Sollen wir nach dem Todtsteltzer schicken?«

»Ich denke nicht, dass ich so lange überleben würde«, sagte Mond. »Die Energien des Triebwerks sind noch gefährlicher, als wir dachten.«

»Dann braucht Ihr wirklich meine Hilfe«, erklärte die Schwester, ging weiter und gesellte sich zu ihm. Sie nahm in dem beengten Raum den Hut ab und legte ihn vorsichtig auf die Seite, ehe sie sich über den Triebwerksbehälter beugte, um ihn in Augenschein zu nehmen und zu sehen, wie er Mond festhielt. Sie achtete sorgsam darauf, nichts anzufassen. »Hmm«, sagte sie schließlich. »Vielleicht könnten wir eine Art Hebevorrichtung oder Winde improvisieren und das Ding damit von Euch herunterheben.«

»Ich fürchte, er ist für alles zu schwer, was Ihr bauen könntet«, sagte Mond. »Ich glaube, der größte Teil seiner Masse ist außerdimensionaler Natur. Bitte, Schwester! Ihr müsst sofort von Bord gehen. Hier wirken Kräfte, die Euch umbringen.«

»Ich kann Euch nicht so zurücklassen«, erklärte Schwester Marion rundweg. »Außerdem habe ich eine Idee. Ich habe für alle Fälle etwas Sprengstoff mitgebracht. Es sind durchweg Richtungsladungen. Wenn ich sie an der Unterseite des Behälters montiere, müssten sie ihn von Euch wegsprengen. Keine Ahnung, was die Detonation mit Euren Beinen anstellt, aber ich habe schon gesehen, wie bei Überlebenden des Labyrinths unmögliche Verletzungen wieder geheilt sind. Möchtet Ihr es versuchen?«

Mond dachte kühl über das Problem nach. Er war sich ziemlich sicher, dass er die Sprengung in irgendeiner Form überleben würde, und ihm fiel selbst nichts Besseres ein. Er hoffte nur, dass Owen zu würdigen verstand, was es ihn gekostet hatte, ihm dieses Triebwerk zu bringen. »Nur zu«, sagte er schließlich. »Achtet aber darauf, genug Zeit einzuplanen, damit Ihr Euch auf sichere Entfernung zurückziehen könnt.«

»Ach, erklärt lieber Eurer Großmutter, wie man Eier aussaugt«, entgegnete Schwester Marion, was Mond doch etwas verblüffte. Er nahm die Sprengsätze von ihr entgegen, nachdem sie sie aus ihren voluminösen Taschen hervorgekramt hatte, und gemeinsam montierten sie sie an der Unterseite des Triebwerksbehälters. Die Zeitschaltung stellten sie auf fünf Minuten ein. Schwester Marion schüttelte den Kopf, als machte sie sich über irgendetwas Sorgen, und mehr als einmal verlor sie die Konzentration. Endlich brach sie ab und lehnte sich an den Behälter, eine Hand auf der Stirn.

»Lichter«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich sehe Lichter in meinem Kopf. Und höre einen Laut ...«

»Es liegt an den Energien des Schiffes«, erklärte Mond. »Reicht mir den letzten Sprengsatz und verschwindet dann von hier. Rasch, solange Ihr noch könnt!«

Schwester Marion schüttelte wütend den Kopf, und ihre Augen wurden wieder klar. »Fast fertig. Nur noch ein paar ... O verdammt, die Schaltuhren! Etwas ist mit den Schaltuhren passiert!«

Mond erkannte, was geschehen war, und riss die Arme hoch, um das Gesicht zu schützen, als alle Sprengsätze auf einmal detonierten; die Triebwerksenergien hatten die Schaltuhren umgestellt. Der kombinierte Explosionsdruck hob das Triebwerk von Monds Beinen und rammte Mond selbst mit dem Rücken an die Wand hinter ihm. Er spürte, wie in ihm allerlei zerriss und brach. Die Explosionswelle packte Schwester Marion und schleuderte sie durch die komplette Metallpassage und aus dem Schiff hinaus, wie eine Stoffpuppe in einem Wirbelsturm. Sie hatte nicht mal Zeit für einen Schrei. Das Triebwerk rollte langsam wieder auf Mond zu. Seine untere Körperhälfte war völlig taub und nutzlos, aber er schleppte sich mit Hilfe der Arme über den Boden aus dem Weg. Er kroch weiter durch die Metallpassage, und die zerschmetterten Beine zogen eine dicke Blutspur hinter sich her. Die körpereigenen Sensoren bombardierten ihn mit Schadensmeldungen, aber da nichts davon unmittelbar lebensbedrohend war, missachtete er sie ebenso wie den Schmerz und konzentrierte sich nur darauf, aus dem Schiff zu kommen, damit er sah, was aus Schwester Marion geworden war.

Vor dem Schiff hatten sich die Leprakranken um ein zerfetztes blutiges Etwas versammelt. Mond kroch durch den Riss im Schiffsrumpf und stürzte auf die Lichtung hinunter. Zwei der Leprösen kamen zu ihm herüber, und er bat sie, ihn zu den Überresten Schwester Marions zu bringen. Sie war noch am Leben, aber Mond erkannte mit einem Blick, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Die gebrochenen Gliedmaßen hingen kaum noch am Körper; der Atem ging rau, und jeder Zug war eine Mühsal. Mond wies die beiden Leprakranken an, ihn neben ihr abzusetzen. Sie drehte die Augen und sah ihn an. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, wirkte sie auf ihn klein und zerbrechlich und sehr menschlich.

»Es tut mir leid, Schwester«, sagte Mond. »Es tut mir so leid.«

»Ihr braucht keine Schuldgefühle zu haben, mein Sohn. Ich lag ohnehin im Sterben. Besser so, als was mich sonst erwartet hätte.«

»Liegt still. Ich schicke die anderen, um Hilfe zu holen.«

»Ich werde lange tot sein, ehe sie zurückkehren. Ihr seid angeblich schon drüben gewesen, Tobias. Wie ist es, wenn man tot ist?«

»Friedvoll.«

»Scheiße«, sagte Schwester Marion. »Ich werde es verabscheuen.«

Sie hörte auf zu atmen, und so einfach war es vorbei. Keine letzten Todeszuckungen oder Krämpfe, nichts Dramatisches. Nur eine tapfere Seele, die zu ihrem Schöpfer ging, wahrscheinlich, um ihm einige gezielte Fragen zu stellen. Mond stellte erstaunt fest, dass er weinte, und die Tränen vermischten sich mit dem Regen, der ihm übers Gesicht lief. Endlich verstand er, wozu Tränen da waren, und verfluchte dieses Wissen. Er streckte die Hand aus und schloss die starren Augen der Schwester.

Die Leprakranken bauten aus loser Vegetation eine Trage für Mond. Er spürte, dass die Heilung in ihm eingesetzt hatte, aber er hatte keine Ahnung, wie lange sie dauern würde oder wie viel von seinem Körper wiederhergestellt werden konnte. Statt darüber nachzudenken, überlegte er sich lieber, wie er das Triebwerk befördern sollte, und fand schließlich eine Lösung. Er verband sich erneut mit dem Roten Hirn, und gemeinsam nutzten sie die langsame, unerbittliche Kraft des umgebenden Dschungels, um in das Wrack zu langen und das Triebwerk zentimeterweise herauszuzerren. Die Explosion hatte dem Behälter nicht mal Kratzer verpasst. Der Dschungel wickelte ihn in einen dichten Pflanzenkokon und transportierte ihn langsam zur Missionsstation, indem er die Last von einer Pflanzenmasse an die nächste weiterreichte. Die Leprakranken lösten sich an Monds Trage ab.

Sie ließen die Leiche Schwester Marions dort zurück, wo sie lag.

In der Missionsstation hatte die Oberste Mutter Beatrice die Hände voll mit etwas Widerlichem. Sankt Bea sezierte einen der toten Grendels. Owen sah ihr aus respektvoller Entfernung zu und tat sein Bestes, das Abendessen dort zu behalten, wo es hingehörte. Er hatte sich nie für zartbesaitet gehalten, aber die bunten Formen, die eng gepackt in der scharlachroten Siliziumpanzerung eines Grendels zu finden waren, hatten etwas besonders Abstoßendes an sich. Das verdammte Ding war seit zwei Wochen tot, und Teile seines Innenlebens zuckten immer noch. Als Sankt Bea mit einem sorgfältig im richtigen Winkel angesetzten Disruptorstrahl die erste Öffnung vorgenommen hatte, hatte Owen sogar halb erwartet, ein Strang fauliger grüner Innereien würde daraus hervorschießen und Sankt Bea erwürgen. Stattdessen lag das Ding einfach da und stank ekelhaft. Owen hoffte, dass das, was er zum Abendessen hatte, was immer es gewesen war, beim Hochkommen nicht genauso schlimm schmeckte wie beim Hinunterschlucken.

»Hier«, sagte Sankt Bea und reichte Owen etwas, das viel zu blau und glitschig aussah, um bekömmlich zu sein. »Haltet dies für einen Augenblick, ja?«

»Nicht eine Sekunde lang!«, wehrte sich Owen entschieden. »Der Herrgott hat die Innereien aus sehr guten Gründen im Körperinneren untergebracht.«

»Der Herrgott hatte nichts mit der Erschaffung von so etwas zu tun«, sagte Mutter Beatrice und warf die blauen Teile in einen nahe stehenden Eimer, wo sie klagende Sauggeräusche von sich gaben. »An den Grendels ist nichts Natürliches. Sie wurden gentechnisch hergestellt.«

Owen beugte sich vor, war unwillkürlich fasziniert. »Seid Ihr sicher?«

»Soweit das mit meinen begrenzten Mitteln feststellbar ist. Ich habe das Innenleben von einem Dutzend teilweise zerstörter Grendels studiert, und diese Sezierung bestätigt nur, was ich vermutet habe. Die Zeichen sind überall die gleichen. Alle Systeme sind mehrfach redundant; das Verhältnis zwischen Masse und Energie ist erschreckend effizient, und man findet Organe von mindestens einem halben Dutzend verschiedener, untereinander nicht verwandter Lebensformen, zusammengehalten von biotechnisch gefertigten Verbundmaterialien. Diese Kreatur hat sich nicht entwickelt; sie wurde konstruiert. Und falls ich meine Instrumente korrekt ablese, dann hat dieses Ding seine Laufbahn als Angehöriger einer anderen Spezies begonnen und wurde in einem späteren Stadium in das umgewandelt, was Ihr jetzt seht.«

Owen runzelte die Stirn und ging noch einmal seine Erinnerungen an den Planeten Grendel und die Gewölbe der Schläfer durch. »Kein Wunder, dass wir nie eine Spur von den ursprünglichen Bewohnern des Planeten gefunden haben. Sie müssen sich alle in Schläfer verwandelt und dann die Gewölbe hinter sich verschlossen haben. Um darauf zu warten ... dass irgendein Feind kommt und sie findet.« Owen betrachtete Sankt Bea. »Was könnte so gefährlich sein, so furchterregend, dass sich eine ganze intelligente Lebensform selbst in geistlose Killermaschinen verwandelt?«

»Es können weder die Hadenmänner noch Shub gewesen sein«, meinte Sankt Bea, während sie mit beiden Händen in den Innereien des Grendels herumwühlte. »Die Gewölbe sind Jahrhunderte älter als diese beiden Lebensformen. Und die Fremdinsekten würden den Grendels keine fünf Sekunden standhalten. Wer bleibt also übrig?«

»Die Neugeschaffenen?«, fragte Owen.

»Wer immer oder was immer das ist.« Sankt Bea richtete sich auf und zog die tropfenden Hände mit einem lauten, schmatzenden Geräusch zurück. Sie wischte sie an einem Tuch ab und warf dieses zu den Innereien in den Eimer. »Ich habe die Grendels schon immer für zu schlimm gehalten, um wahr zu sein. Das da ... verhöhnt Gottes Schöpfung. Sie haben nur im Namen des Überlebens ihren eigenen Sinn für Moral zerstört, ihre Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.«

»Vielleicht hatten sie keine Wahl«, überlegte Owen. »Vielleicht wollten sie nur andere Lebensformen schützen, die ihnen nachfolgten, und sich für das Allgemeinwohl opfern. Beurteilt sie nicht zu streng, Mutter Beatrice. Wir kennen weder die Art noch die Tiefe des Bösen, dem sie gegenüberstanden. Harte Zeiten erfordern harte Entscheidungen.«

Sankt Bea schnaubte. »Es muss weit gekommen sein, wenn Ihr mir schon Vorträge über Toleranz haltet.«

Owen musste lächeln. »Nun, danke, dass Ihr mich zu Eurer lehrreichen Vorführung eingeladen habt, Mutter Beatrice. Es war wirklich abstoßend. Lasst es uns nicht eines schönen Tages wiederholen.«

Sankt Bea zuckte die Achseln. »Es hat Euch ein bisschen abgelenkt, nicht wahr?«

»Das kann man wohl sagen. Ich denke, alles in allem würde ich mich lieber schlecht fühlen.«

Die Tür hinter ihnen flog krachend auf, und ein Leprakranker kam hereingeschwankt, wie immer versteckt in einem grauen Umhang mit zugeklappter Kapuze. Diese Gestalt war kaum eins fünfzig groß und zeigte eine Gangart, als hätte irgendein inneres Gyroskop einen irreparablen Schaden erlitten. Eine Hand mit nur drei verbliebenen Fingern und schiefergrauer Haut tauchte aus dem grauen Umhang auf und grüßte Owen, ehe sie rasch wieder darunter verschwand. Die Gestalt hustete und spuckte, und etwas Saftiges spritzte unter der Kapuze hervor und platschte auf den Boden der Krankenstation. Als sich die Gestalt zu Wort meldete, war die Stimme eine merkwürdige Mischung von Akzenten und Timbres.

»Lord Owen der Große, in der Kommzentrale liegt eine Nachricht für Euch bereit, eine höchst dringliche und gebieterische und auch eine entscheidende. Es heißt, ich Euch habe zu bringen sofort in die Zentrale, damit Ihr Einzelheiten erfahrt und angeschrien werdet. Ihr kommt sofort, oder ich Euch verwandele in ein kleines hüpfendes Ding. Wieso Ihr noch da stehen?«

Owen blinzelte ein paar Mal und sah Sankt Bea an, die der kleinen streitsüchtigen Gestalt gelassen zunickte. »Danke, Vaughn. Direkt auf den Punkt, wie stets. Begleitet ihn oder sie, Owen. Ich denke, Ihr werdet diese Nachricht hören wollen.«

Die Gestalt in dem Umhang nieste feucht und erzeugte gurgelnde Geräusche, während sie die ganze Zeit ungeduldig hin- und herschwankte.

»Ihn oder sie?«, fragte Owen.

»Vaughn hat diese Information bislang nicht herausgerückt«, berichtete Sankt Bea. »Und bislang war niemand ausreichend motiviert, der Sache näher auf den Grund zu gehen. Jetzt aber ab in die Kommzentrale, alle beide! Hurtig wie die Hasen!«

»Ich nicht laufe wie ein Hase«, entgegnete Vaughn hochmütig. »Ich meine Würde habe zu bedenken, ganz zu schweigen von fehlenden Zehen. Macht schon, Todtsteltzer, oder ich zeige Euch, wo ich überall Warzen habe.«

»Geht nur voraus«, sagte Owen. »Ich folge Euch auf den Fersen. Na ja, vielleicht nicht direkt auf den Fersen, aber ich werde Euch von meiner Position aus sehen können.«

»Eine Menge Leute behaupten das«, sagte Vaughn.

Als sie schließlich die Kommzentrale erreichten, wartete dort eine Nachricht auf Owen, die vom Kapitän des anfliegenden Kurierschiffes stammte. Wie es schien, hatte er eine äußerst dringliche Nachricht des Parlaments für den Todtsteltzer. Das Schiff würde in wenigen Stunden landen, und Owen war angewiesen, sich gleich auf dem Landeplatz bereitzuhalten. Vielleicht war der Kapitän klug beraten gewesen, als er jede darüber hinausgehende Mitteilung verweigert hatte. Owen schäumte über den herrischen Unterton des Befehls, zwang sich aber, lieber an die Möglichkeit zu denken, dass er endlich von Lachrymae Christi fortkam. Er traktierte das Personal der Kommzentrale mit Fragen nach Einzelheiten über Schiff und Besatzung, aber die Leute wussten nur den Namen des Kapitäns, Gottfroh Rottsteiner, sowie den des Schiffes: Moabs Waschzuber.

Owen bedachte den Kommoffizier mit hartem Blick. »Moabs Waschzuber? Was zum Teufel ist denn das für ein Name bei einem Schiff?«