Toni der Hüttenwirt 112 – Heimatroman - Friederike von Buchner - E-Book

Toni der Hüttenwirt 112 – Heimatroman E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt.Toni, der Hüttenwirt liebt es ursprünglich. In Anna hat er seine große Liebe gefunden. Für ihn verzichtete Anna auf eine Karriere als Bänkerin im weit entfernten Hamburg. Jetzt managt sie an seiner Seite die Berghütte. Den ganzen Tag hatte eine große schwarze Wolke über dem Gipfel des ›Höllentor‹ gestanden. Besorgt blickten die Waldkogeler immer wieder zum Himmel. Toni und Anna saßen am Vormittag einen Augenblick auf der Terrasse und genossen ihre wohlverdiente Ruhepause, die sie sich jeden Tag gönnten. Der alte Alois saß bei ihnen am Tisch. "Der Himmel ist so wunderschön blau, Toni. Es weht ein warmer Wind. Alles könnte so friedlich aussehen, wenn diese schwarze Wolke dort nicht wäre. Findest du auch, dass sie von Stunde zu Stunde größer wird, Toni?" Toni legte den Arm um seine Frau. Er schaute hinüber zum Unheilsberg.

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Toni der Hüttenwirt –112–

Wo er einmal glücklich war...

Roman von Friederike von Buchner

Den ganzen Tag hatte eine große schwarze Wolke über dem Gipfel des ›Höllentor‹ gestanden. Besorgt blickten die Waldkogeler immer wieder zum Himmel. Toni und Anna saßen am Vormittag einen Augenblick auf der Terrasse und genossen ihre wohlverdiente Ruhepause, die sie sich jeden Tag gönnten. Der alte Alois saß bei ihnen am Tisch.

»Der Himmel ist so wunderschön blau, Toni. Es weht ein warmer Wind. Alles könnte so friedlich aussehen, wenn diese schwarze Wolke dort nicht wäre. Findest du auch, dass sie von Stunde zu Stunde größer wird, Toni?«

Toni legte den Arm um seine Frau. Er schaute hinüber zum Unheilsberg.

»Ja, sie ist viel größer geworden, seit den frühen Morgenstunden. Da braut sich etwas zusammen. Des lässt sich net leugnen.«

»Toni, rufe deine Eltern an. Sebastian und Franziska sollen nach der Schule bei ihnen bleiben und übernachten. Ich habe Angst, das Unwetter könnte losbrechen, während sie den Weg von der Oberländer Alm heraufkommen.«

»Musst dich net sorgen, Anna. So schnell geht es net. Des Unwetter wird erst gegen Abend oder heute Nacht losbrechen. Erfahrungsgemäß ist so ein Unwetter unten im Tal schlimmer als hier oben. Meistens ballen sich die Wolken zusammen und hängen tiefer über dem Tal. Wirst sehen, hier auf der Berghütte wird’s net so schlimm werden, Anna!«

Anna kräuselte die Stirn. Alois legte seine Zeitung zusammen.

»Der Toni hat Recht! Musst dir keine Sorgen machen, Anna. Außerdem sind die Almwiesen schon wieder so trocken, dass ein schöner Regenguss nix schadet. Des sieht schlimmer aus, als es ist.«

Anna konnte ihren Blick kaum von der schwarzen Wolke lösen. Es machte sie unruhig.

»Auf jeden Fall hat so eine schwarze Wolke auch gewisse Vorteile. Es wird heute ruhiger bei uns werden. Bei solchen Aussichten bleiben die Wanderer und Bergsteiger eher im Tal. Da ist es net ratsam, Bergtouren zu machen. Und gegen einen ruhigeren Tag hab ich keine Einwände.«

»Das stimmt auch wieder, Toni. Dann habe ich Zeit, in Ruhe zu bügeln. Ich habe auch noch Näharbeiten zu machen.«

Anna lächelte. Sie tranken ihren Kaffee aus und gingen an die Arbeit.

Als die Kinder am Nachmittag heil auf der Berghütte ankamen, atmete Anna auf. Alle Beteuerungen hatten sie nicht beruhigen können.

Wie Toni vorausgesagt hatte, brach das Unwetter am Abend los. Binnen Minuten zogen sich die Wolken über Waldkogel zusammen und versperrten den Ausblick von der Berghütte ins Tal. Darüber wölbte sich ein wunderschöner Abendhimmel, der die Oberseite der Wolkendecke und die Berge in rosarotes Licht tauchte. Hinter den Bergen im Westen ging die Sonne langsam unter. Es war ein schönes Bild. Die wenigen Hüttengäste genossen den Anblick. Sie schwiegen ehrfurchtsvoll und lauschten dem Donnergrollen und Rauschen des Unwetters, das offensichtlich mit Macht tief unten über Waldkogel hereingebrochen war.

Toni rief seine Eltern an. Er erfuhr, dass es hagelte und die Hagelkörner größer als Taubeneier waren. Das Licht flackerte immer wieder. Die Hauptstraße von Waldkogel hatte sich in einen rauschenden Bach verwandelt und spülte allerlei Unrat mit sich. Blumenstöcke, die nicht in Sicherheit gebracht worden waren, holte der Sturm von den Fensterbrettern. Äste und Zweige wurden abgerissen.

Zusammen mit Anna und den Kindern zündete Toni eine schwarze Gewitterkerze auf der Berghütte an, auch wenn das Gewitter unten im Tal wütete. Es war ein alter Brauch und er vermittelte ihnen Trost, Zuversicht und Stärke.

Das Unwetter hielt über Stunden an. Es wurde dunkel. Doch niemand auf der Berghütte legte sich schlafen. Sebastian und Franziska mussten auch nicht schlafen gehen. Sie saßen mit dem alten Alois am Kamin. Er erzählte ihnen Geschichten von früher. Bello, der junge Neufundländer, lag zu ihren Füßen.

Es war schon Mitternacht, als das Unwetter langsam nachließ. Blitz und Donner hörten langsam auf. Es regnete noch eine Weile, dann riss der Himmel auf und Mond und Sterne waren zu sehen.

»So, des war es! Also allen eine ›Gute Nacht‹«, sagte Toni laut.

Die Hüttengäste nickten und zogen sich in ihre Kammern und auf den Hüttenboden zurück. Anna brachte die Kinder ins Bett.

Toni rief noch einmal seine Eltern an. Bei ihnen war kein Schaden entstanden. Tonis Vater erzählte, dass es einige Glasschäden bei Nachbarn gegeben hätte, aber es war niemand zu Schaden gekommen. Toni war beruhigt. Morgen würde der Himmel wieder klar sein und keine schwarze Wolke mehr über dem Höllentor hängen.

Beruhigt ging er auch schlafen.

Toni fuhr am nächsten Morgen die Kinder von der Oberländer Alm aus zur Schule. Auf dem Rückweg hielt er am Rathaus. Bürgermeister Fellbacher stand auf der Hauptstraße mit einigen Handwerkern zusammen.

»Grüß Gott, Bürgermeister! Mei, des schaut net gut aus!«

Toni stemmte die Hände in die Seite und ließ seinen Blick über die Hauswand des Waldkogeler Rathauses gleiten.

»Ja, des hat ganz schön gescheppert! Alle Scheiben in meinem Amtszimmer hat es erwischt. Und reingeregnet hat es. Schlimm schaut es aus. Der schöne Holzfußboden ist beschädigt. Es wird eine Weile dauern, bis ich mein Amtszimmer wieder nutzen kann. Des war ein schlimmes Wetter. Doch zum Glück gab es nur Sachschäden und niemand ist verletzt werden.«

»Ja, da haben die Engel vom ›Engelssteig‹ Waldkogel beschützt«, sagte Toni mit Blick hinauf zum Gipfelkreuz des ‘Engelssteigs’.

»Ja, das haben sie. Ich möchte net wissen, wie ihre Flügel aussehen. Sie werden vielleicht ein bisserl zerzaust sein, denke ich mir.«

Die Männer schmunzelten.

Toni stieg ins Auto und fuhr zuerst zu seinen Eltern, dann später nach Kirchwalden zum Einkaufen.

*

Als Toni am frühen Nachmittag aus Kirchwalden zurückkam, saßen seine Mutter, Franzi und Basti am Küchentisch.

»Grüß dich, Toni! Die Kinder wollten auf dich warten. Hausaufgaben haben sie schon gemacht!«

»Grüß Gott, alle zusammen! Was macht ihr denn da?«

Meta Baumberger sah ihren Sohn kurz an.

»Die Kinder haben die Fotoalben entdeckt. Dann sind wir auf dem Speicher gewesen und haben die Kartons mit den alten Fotos gesucht. Mei, da hat sich in den Jahren eine Menge angesammelt.«

Toni nahm einen Kaffee und setzte sich mit an den Küchentisch. Vergessen war, dass er schnell wieder auf die Berghütte wollte. Lächelnd schwelgte er in Erinnerungen. Immer wieder kreisten einzelne Fotos um den Tisch.

»Schau mal, Toni! Das ist ein schönes Bild. Da bist du drauf, zusammen mit dem Adrian und der Jenny. Hier sind noch mehr von diesen Fotos. Erinnerst du dich, Toni?«

Toni nahm seiner Mutter die Fotos aus der Hand. Er lachte.

»Und wie ich mich erinnere. Der Adrian und die Jenny! Mei, waren die beiden damals verliebt, zumindest für einen Sommer. Wie lange ist das jetzt her?«

Meta Baumberger überlegte kurz. Sie rechnete nach.

»Des ist bestimmt zwölf oder dreizehn Jahre her. Damals war der Adrian kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag.«

»Ich erinnere mich! Er rechnete die Stunden aus. Denn er hatte die Führerscheinprüfung schon bestanden und wartete darauf, dass er den Lappen ausgehändigt bekam. Des war ein richtiger Autonarr, der Adrian.«

»Deshalb hat er sich auch so gut mit der Jenny verstanden. Ihre Eltern sagten immer, sie sei als Madl aus der Art geschlagen. Sie sagten, an Jenny sei ein Bub verloren gegangen.«

Toni schmunzelte.

»Ich erinnere mich! Die Jenny hat lieber im Schuppen an Motoren herumgeschraubt, als etwas im Haus getan. Jenny und Adrian lagen tagelang unter irgendwelchen Autos und steckten ihre Köpfe unter die Motorhauben von Erntemaschinen.«

Toni betrachtete die Fotos.

»Was aus dem Adrian wohl geworden ist?«, sagte er leise.

Meta Baumberger zuckte mit den Schultern.

»Schwer zu sagen! Er wollte Abitur machen und dann an der Technischen Hochschule studieren, Maschinenbau oder so. Nach diesem Sommer sind sie nicht mehr oft gekommen. Dann schlief der Kontakt ein.«

»Schade ist des schon. Ich hoffe, der Adrian hat sein Ziel erreicht. Er wollte immer an der Entwicklung von Fahrzeugmotoren arbeiten. Himmel, wenn ich an das Moped denke, dass er gebaut hatte. Er hatte es aus Einzelteilen vom Schrottplatz zusammengebaut. Es sah schon sehr eigenwillig aus, aber er bekam dafür die Zulassung. Stolz war er damals auf seinem Vehikel Marke ›Adrian‹ hierher gefahren. Er war schon talentiert, der Adrian.«

»Vielleicht sollten wir ihm eines dieser Fotos schicken. Was meinst du, Toni? Vielleicht freut er sich?«

»Des ist eine gute Idee! Hast seine Adresse, Mutter?«

Meta Baumberger holte eines der alten Adressbücher. Darin hatte sie die Heimatanschriften aller Pensionsgäste über Jahrzehnte sorgfältig notiert. Sie blätterte.

»Kaufmann! Da ist die Adresse! Markus und Dagmar Kaufmann sind Adrians Eltern!«

Meta Baumberger las die Adresse laut vor.

»Meinst, die Adresse stimmt noch, Baumberger Großmutter?«, fragte Franzi.

»Möglich, dass sie noch stimmt. Sie wohnten bei Stuttgart. Wenn die Adresse nicht mehr stimmt, dann kommt der Brief zurück. Des ist dann auch nicht schlimm. Hier, Franzi, du darfst ein Foto aussuchen. Welches sollen wir nehmen?«

Franzi schaute sich die Bilder an. Ihr älterer Bruder Sebastian blickte ihr dabei über die Schulter.

»Wenn ihr dem Burschen ein Bild schickt, dann muss des Madl auch ein Foto bekommen«, erklärte er.

»Gefällt dir das Madl?«, fragte Toni.

»Mei, übel ist sie net!«, sagte Basti und errötete.

Toni und seine Mutter warfen sich Blicke zu. Sie waren sich auch ohne Worte einig, dass Sebastian langsam in ein Alter kam, in dem Buben sich die Madln genauer anschauten.

»Hast Recht, Basti! Wenn wir dem Adrian ein Foto zukommen lassen, dann muss die Jenny auch eines bekommen. Bei ihr ist es einfacher, ihr Elternhaus ist hier in Waldkogel.«

»Das stimmt, Toni!«, sagte Meta Baumberger. »Aber die Jenny ist selten daheim. So viel ich weiß, lebt sie jetzt in München. Aber ich kann ein Bild bei ihren Eltern abgeben.«

»Des mache ich, Mutter!«, sagte Toni.

Er sagte es aus einem Instinkt heraus, sein Bauchgefühl riet es ihm. Toni stand auf und suchte im Telefonbuch von Waldkogel die Nummer von Jennys Eltern heraus.

»Meisner!«, meldete sich eine Frauenstimme.

»Grüß Gott, Meisnerbäuerin! Baumberger Toni hier!«

»Mei, der Toni! Grüß Gott! Des ist ja ein Überraschung! Aber Meisnerbäuerin, des stimmt schon lange nimmer. Wir haben die Landwirtschaft ganz aufgegeben. Aber des ist ein anderes Thema. Warum rufst an, Toni?«

»Ich will die Jenny sprechen. Aber wie ich vermute, ist sie wohl net daheim. Wann kommt sie?«

»Die Jennifer wohnt in München. Meistens kommt sie übers Wochenende heim. Aber gerade gestern ist sie nach Amerika geflogen. Sie kommt erst in vier Wochen wieder.«

»Des ist ein langer Urlaub!«

»Ja, schon! Aber es muss sich auch lohnen. Die Jennifer trifft sich dort mit einigen Motorradbegeisterten. Sie wollen die ›Route 66‹ abfahren.«

»Mei, des macht ihr bestimmt Freude!«

»Also, ich kann daran nix finden, Toni. Ich versteh net, was des Madl an Motoren und Motorrädern so begeistert. Aber da kann man nix machen. Ich habe schon lange aufgegeben, das Madl in dem Punkt verstehen zu wollen. Es ist wirklich ein Kreuz, so ein Madl zu haben!«

Toni schmunzelte und überging die Kritik an Jenny. In diesem Augenblick war er froh, dass es noch kein Bildtelefon gab.

»Dann sag ihr bitte schöne Grüße, wenn sie wieder da ist. Sag ihr, dass ich mich freuen würde, wenn sie uns mal auf der Berghütte besuchen würde.«

»Das mache ich, Toni! Was willst von der Jennifer? Was hast mit ihr zu bereden?«

Toni überlegte kurz. Er erinnerte sich, dass ihre Eltern damals von der Jugendfreundschaft mit Adrian nicht begeistert gewesen waren. So sagte er:

»Na, sie ist ja Motorexpertin, da will ich sie etwas fragen! Des ist nämlich so …«

»Toni, sei mir net bös’, aber über Motoren, da kannst mit mir net reden. Davon verstehe ich nix und will auch nix verstehen. Ich gebe der Jennifer deine Nachricht, sobald sie nach ihrem Urlaub herkommt.«

»Des ist lieb von dir! Danke und Pfüat di!«

»Grüß mir die Anna, deine Kinder und den Alois! Pfüat di, Toni!«

»Des mache ich!«

Toni legte auf.

»Die Jenny macht Urlaub in Amerika!«, sagte Toni.

Er steckte einige der Fotos ein.

»Kinder, die Anna wartet! Wir müssen gehen!«

»Hast du uns was aus Kirchwalden mitgebracht, Toni?«, fragte die kleine Franzi.

»Ja, das habe ich! Aber das bekommt ihr erst auf der Berghütte.«

Franziska und ihr Bruder warfen sich Blicke zu. Sie beeilten sich, zum Auto zu kommen. Toni verabschiedete sich von seiner Mutter und draußen auch von seinem Vater, der im Schuppen aufräumte. Dann stieg Toni in den Geländewagen und fuhr hinauf auf die Oberländer Alm.

Meta Baumberger holte Briefpapier und setzte sich hin, um an die Familie Kaufmann in Stuttgart zu schreiben und ihnen eines der alten Fotos zu schicken. Es wurde ein längerer Brief. Sie schrieb von Toni, der inzwischen Anna geheiratet hatte. Sie berichtete voller Stolz von den beiden Kindern, Sebastian und Franziska, die Toni und Anna adoptiert hatten und die ihr wie leibliche Enkelkinder ans Herz gewachsen waren. Meta Baumberger schrieb von ihrer jüngeren Tochter Maria, die glücklich mit Rolf verheiratet war und von den beiden Enkelkindern Roman und Elke.

Zum Schluss fragte sie an, ob die Kaufmanns nicht einmal wieder Urlaub in Waldkogel machen wollten. Es würden sich alle darüber freuen. Meta legte eines der alten Fotos dazu. Es zeigte Adrian Kaufmann, wie er mit Jenny Meisner stolz neben einem Auto stand, dessen Motorhaube geöffnet war.

Meta klebte den Brief zu und brachte ihn sofort zur Post. Jetzt hieß es warten. Sie war gespannt, ob der Brief ankommen würde und hoffte auf einen Anruf oder gar auf einen Antwortbrief.

*

Adrian Kaufmann schleppte sich an Achselstützen durch den elterlichen Vorgarten zum Auto. Seine Freundin Beatrix hielt ihm die Tür auf und half ihm beim Einsteigen. Sie legte die Krücken auf den Rücksitz und sie fuhren los. Adrian hatte einen Termin in der orthopädischen Klinik.

»Vielleicht findet der Professor heraus, woher deine Schmerzen kommen«, sagte Beatrix, während sie an einer Ampel wartete.

Adrian gab keine Antwort. Er biss die Zähne zusammen. Die Schmerzen in seinen Beinen waren heute nicht so stark wie an anderen Tagen. Aber dafür schmerzte ihn etwas anderes. Neben ihnen wartete eine Gruppe von Motorradfahrern darauf, dass die Ampel auf Grün sprang. Adrian tat es sehr weh, die Männer auf ihren Maschinen zu sehen. Es war jetzt ein Jahr her, dass er einen schweren Motorradunfall hatte. Es war kein Trost für ihn, dass er vorsichtig gefahren war und am Unfall keine Schuld hatte. Es war an einer Verkehrsampel geschehen. Adrian war bei Grün über die Kreuzung gefahren. Da kam aus der Querrichtung ein Auto herangerast. Der Fahrer saß völlig betrunken am Steuer, er merkte gar nicht, dass er bei Rot mit überhöhter Geschwindigkeit über die Kreuzung raste.

Alles, an was sich Adrian noch erinnern konnte, war, dass er das große Auto kommen sah und versucht hatte auszuweichen. Dann war er im Krankenhaus im Streckverband aufgewacht. Er hatte einen Beckenbruch und mehrere Beinbrüche. Wochenlang lag er regungslos auf den Rücken. Dann lernte er mühsam wieder gehen, wenn man das überhaupt gehen nennen konnte.

Seither war Adrians Leben verändert. In seiner Reha-Kur war ihm erst Hoffnung auf eine Besserung gemacht worden, aber es hatte keine Besserung gebracht. Auch die zweite Kur nicht. Stattdessen war Adrian immer mehr in Selbstmitleid und Traurigkeit versunken. Der Unfall hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Die Hochzeit mit seiner Verlobten Beatrix, die kurz bevorstand, musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Auch in seinem Beruf als Testfahrer konnte Adrian nicht mehr arbeiten. Er ging mit Beatrix nicht mehr aus. Tanzen und Motorradtouren waren ihre gemeinsamen Hobbys gewesen. Als Paar hatten sie im Tanzsportclub sogar Preise gewonnen. Jetzt tanzte Beatrix mit einem anderen Partner. Das hatte Adrian zwar so gewollt, aber es schmerzte ihn doch.

Sie erreichten die Klinik. Beatrix holte einen Rollstuhl und fuhr Adrian ins Wartezimmer. Dort saßen sie und schwiegen. Im Laufe des vergangenen Jahres hatten sie immer weniger miteinander geredet. Beatrix konnte Adrians Gejammer nicht mehr ertragen. Immer ging es nur um den Unfall und die Folgen. Alles sah er negativ und wehrte jeden sinnvollen Vorschlag ab.