Toni der Hüttenwirt 121 – Heimatroman - Friederike von Buchner - E-Book

Toni der Hüttenwirt 121 – Heimatroman E-Book

Friederike von Buchner

0,0

Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt.Toni, der Hüttenwirt liebt es ursprünglich. In Anna hat er seine große Liebe gefunden. Für ihn verzichtete Anna auf eine Karriere als Bänkerin im weit entfernten Hamburg. Jetzt managt sie an seiner Seite die Berghütte. Toni fuhr im Geländewagen die Hauptstraße von Waldkogel entlang. Er war auf dem Rückweg von seinem Einkauf in Kirchwalden und hatte Franziska und Sebastian von der Schule abgeholt. Jetzt waren sie auf dem Weg zu Tonis Eltern, um bei ihnen Mittag zu essen. Toni verlangsamte das Tempo und hupte kurz, als er sich Bürgermeister Fellbacher näherte, der die Straße entlangging. Toni und die Kinder winkten. "Der hat uns überhaupt nicht gesehen", bemerkte die kleine Franziska.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 134

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Toni der Hüttenwirt –121–

Angelina bedeutet Engelchen

Roman von Friederike von Buchner

Toni fuhr im Geländewagen die Hauptstraße von Waldkogel entlang. Er war auf dem Rückweg von seinem Einkauf in Kirchwalden und hatte Franziska und Sebastian von der Schule abgeholt. Jetzt waren sie auf dem Weg zu Tonis Eltern, um bei ihnen Mittag zu essen. Toni verlangsamte das Tempo und hupte kurz, als er sich Bürgermeister Fellbacher näherte, der die Straße entlangging. Toni und die Kinder winkten.

»Der hat uns überhaupt nicht gesehen«, bemerkte die kleine Franziska.

Sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn, drehte sich im Auto um und schaute nach dem Bürgermeister, bis sie ihn nach der Kurve nicht mehr sehen konnte.

»Ist der böse mit uns, Toni?«, fragte Franzi.

Toni, der den Bürgermeister von Waldkogel im Rückspiegel des Geländewagens beobachtet hatte, fand dessen Unaufmerksamkeit ebenfalls etwas sonderbar.

»Die Frage kann ich dir nicht beantworten, Franzi. Einen Grund wird er schon haben, dass er so verschlossen die Straße entlanggeht. Er wird in Gedanken sein. Aber sicherlich hat das nichts mit uns zu tun, Franzi. Mit uns und besonders mit euch beiden, ist er nicht böse.«

»Mei, Franzi, der Fellbacher ist Bürgermeister von Waldkogel und da wird es schon mal Stunk geben«, belehrte sie ihr älterer Bruder Sebastian. »Des ist net einfach, Bürgermeister zu sein. Jeder will etwas von ihm und jeder zieht ihm den Rockzipfel in seine Richtung.«

Toni schmunzelte.

»So, so, was du alles weißt, Basti. Wie bist denn zu dieser Erkenntnis gekommen?«

»Ich rede mit dem Alois drüber, Toni.«

»So, so«, bemerkte Toni erneut und nahm sich vor, mit dem alten Alois auf der Berghütte zu sprechen.

Sie kamen auf dem Hof des Wirtshauses, mit der kleinen Pension, an, die Tonis Eltern Xaver und Meta Baumberger gehörte.

»Ihr beide geht schon rein und esst schon mal. Ich schaue nach dem Fellbacher. Sagt der Großmutter Meta, dass ich mich in der Stadt mit dem Leonhard von der Bergwacht getroffen habe und wir zusammen eine Brotzeit im Biergarten eingenommen haben.«

Franziska und Sebastian ließen ihre Schulranzen im Auto und liefen hinten durch den Garten direkt in die Küche. Toni zog seinen Hut mit dem Gamsbart auf und ging die Hauptstraße von Waldkogel zurück.

Bald traf er auf Fellbacher.

»Grüß Gott, Toni! Ich war gerade auf dem Weg zu deinen Eltern. Ich wollte fragen, ob ich ein warmes Mittagessen haben kann. Ich weiß ja, dass sie zu Mittag eigentlich geschlossen haben. Aber ich will nicht heim. Ich habe mich geärgert. Dann bin ich meiner Familie kein guter Tischgenosse. Da ist es besser, ich esse auswärts.«

»Grüß dich, Fellbacher! Jetzt verstehe ich. Ich bin eben an dir vorbeigefahren, habe sogar gehupt, aber du hast nicht reagiert.«

»Das tut mir leid, entschuldige, ich war eben in Gedanken.«

»Des konnte ich sehen. Deshalb war ich auf dem Weg zu dir. Was gibt es? Kann ich dir irgendwie helfen?«

»Danke, Toni! Es wird schon wieder. Ich habe mich nur jetzt schon zum dritten Mal über die Agnes geärgert. Ich könnte des Weibsbild in der Luft zerreißen!«

Toni schmunzelte.

»Des wird net helfen. Du würdest dir selbst schaden. Dann müsstest du am Ende den ganzen Büro-schreibkram alleine machen.«

»Pah, Toni«, lachte der Bürgermeister. »Des muss ich doch jetzt schon! Es ist kein Verlass auf sie! Sie schaltet auf stur. Du kannst dir des net vorstellen, Toni!«

Toni und der Bürgermeister waren beim Wirtshaus angekommen. Toni, der einen Schlüssel zu seinem Elternhaus besaß, schloss die Vordertür auf und sie betraten den leeren großen Wirtsraum. Fellbacher setzte sich gleich an den Stammtisch. Toni ging in die Küche, redete kurz mit seinen Eltern und bat Franziska und Sebastian, in der Küche zu bleiben. Dann zapfte er zwei Bier und schenkte zwei Obstler ein.

Toni setzte sich zu Fellbacher. Sie prosteten sich zu und tranken den Obstler.

»So, was ist mit deiner Vorzimmerdame? Ich dachte, du hältst so große Stücke auf sie, Fellbacher. Die Agnes ist immer freundlich. Sie kam mir auch tüchtig vor. Was ist mit euch?«

»Stimmt schon, Toni! Sie ist sehr tüchtig und loyal ist sie auch. Aber nur, wenn sie bei mir im Amt erscheint. Weiß der Geier, was in ihrem Kopf vor sich geht? Sie kann mich doch nicht einfach so hängen lassen. Ich kenne mich mit dem Computerzeugs nicht aus. Sicherlich, wenn sie mal einige Tage in Urlaub war, dann konnte ich es überbrücken, indem ich die Sachen einfach liegen ließ, bis sie wieder da war. Aber jetzt geht ihr Urlaub in die siebte Woche. Ihren ganzen Jahresurlaub hat sie genommen. Und jetzt wollte sie noch unbezahlten Urlaub haben!«, bemerkte Fellbacher mit ärgerlichen Tonfall.

»Ja, Himmel, was soll das?«, entfuhr es Toni.

»Genau das frage ich mich auch. Erst waren es zwei Wochen, dann wurden drei, vier, fünf, sechs Wochen daraus. Jetzt rief sie an und sagte, dass sie unbezahlten Urlaub haben will, mindestens vier Wochen. Das musst du dir auf der Zunge zergehen lassen, Toni, mindestens vier Wochen!«

»Warum? Hat sie einen triftigen Grund?«

Bürgermeister Fellbacher zuckte mit dem Schultern und legte die Stirn in Falten. Er zog seine Jacke aus. Tonis Mutter Meta brachte Fellbacher einen großen Teller gebackener Leber, mit Apfelstückchen und Zwiebeln garniert. Dazu gab es luftig geschlagenen Kartoffelbrei und Salat. Fellbacher fing an zu essen. Währenddessen erzählte er weiter.

»Mei, Toni, die Agnes ist über fünfzehn Jahre bei mir auf dem Amt. Sie war immer zuverlässig und prompt zur Stelle, wenn ich sie brauchte, gleich ob es Tag oder Nacht, Sonntag oder ein Feiertag war. Auf Agnes konnte ich mich immer verlassen. Mit dem Bazi vom Ruppert Schwarzer, diesem windigen Franz Huber, wird sie gut fertig. Den hat sie im Griff. Ich hatte also nie Grund zur Klage.«

Fellbacher und Toni prosteten sich zu und tranken Bier.

»Hat sie dir denn keinen Grund genannt?«, fragte Toni.

»Sie müsste privat etwas regeln, sagt sie. Was das auch immer heißt. Ich habe auch schon einmal vorsichtig ihren Bruder und dessen Familie ausgehorcht, drüben in Marktwasen. Aber die scheinen auch nichts zu wissen und machen sich allmählich Sorgen.«

»Was machst du jetzt, Fellbacher? Hast ihr den Urlaub gegeben?«

»Toni, was soll ich machen? Sicher habe ich ihr den unbezahlten Urlaub gegeben. Aber dann ist Schluss, habe ich ihr gesagt. Unmiss­verständlich habe ich es ihr gesagt, heute Morgen. Da sind wir aneinander geraten, wie man sagt. Sie wollte mir den Grund nicht sagen, nur so viel, dass es sehr wichtig für sie sei. Ich sagte, dass sie mich nicht so hängen lassen könnte. Da sagte sie, entweder so oder ich solle mir jemand anderen suchen. Das musst du dir mal vorstellen, Toni! Was sagst dazu?«

»Das ist mir ein Rätsel, Fellbacher. Ich kann mir des bei der Aggi nicht vorstellen.«

»So ist es aber! Was kann sie für persönliche Angelegenheiten zu regeln haben? Außer ihrem Bruder und dessen Familie hat sie keine Angehörigen. Sie ist ledig und hat immer nur für ihren Beruf gelebt. Ihre Stelle auf dem Rathaus war ihr ganzer Lebensinhalt. Jetzt scheint ihr alles gleichgültig zu sein. Das verstehe ich net. Will sie, dass ich sie hinauswerfe? Vielleicht hat sie irgendwo in der freien Wirtschaft eine Stelle aufgetan, während ihres Urlaubs, meine ich. Was denkst du, Toni?«

Toni trank einen Schluck Bier.

»Wie alt ist die Agnes?«

Bürgermeister Fellbacher rechnete nach.

»Aggi muss gegen Ende Dreißig sein. Was hat ihr Verhalten mit dem Alter zu tun?«

»Torschlusspanik, Midlife crisis, wie man sagt! Im Urlaub steigen aus der Tiefe der Seele oft Sehnsüchte und Hoffnungen empor, die man im hektischen Alltag verdrängt hatte. Vielleicht ist sie wirklich in einer Krise und denkt nach, ob sie den Absprung von Waldkogel machen soll. Das wäre eine Möglichkeit. »

Fellbacher sah Toni überrascht an.

»Was ist die andere Möglichkeit, Toni?«

»Nun, die Aggi könnte einen Burschen gefunden haben. Mir war es immer ein Rätsel, dass sie alleine war. Sie ist ein fesches Madl. Andere sind in ihrem Alter schon längst verheiratet.«

Bürgermeister Fellbacher starrte Toni einen Augenblick ungläubig an, dann brach er in lautes Lachen aus.

»Die Aggi und ein Bursche? Des kann ich mir beim besten Willen net vorstellen. Mei, da könnte ich dir Geschichten erzählen. Da sind schon einige Burschen gewesen, aber die Aggi hat sie alle abblitzen lassen.«

»Das mag ja so sein, Fellbacher. Dann war eben der richtige Bursche net dabei. Jetzt könnte sie ihn gefunden haben. Das ist so meine Idee.«

»Dann müsste sie ihn im Urlaub kennengelernt haben. Die Agnes und eine Urlaubsbekanntschaft? Das kann ich mir nicht vorstellen, Toni. Das könnte sie doch auch hier in Waldkogel haben.«

Toni schüttelte den Kopf.

»Himmel, Fellbacher, sei net so vernagelt! Als könnten es sich zwei aussuchen, wann und unter welchen Umständen sie sich begegnen und verlieben? Wenn sich die richtigen Herzen finden, dann spielen doch Zeit und Ort keine Rolle! Sollte es so sein, dann braucht Agnes die Zeit, um sich Klarheit zu verschaffen.«

»Wenn sie sich verliebt hat, dann könnte sie es doch sagen, Toni«, kommentierte Fellbacher. »Daraus muss sie doch kein Geheimnis machen. Dafür hätte ich doch Verständnis.«

»Mei, du hast gut reden, Bürgermeister. Die Aggi ist kein junges Madl mehr. In ihrem Alter nimmt man die Liebe ernster und trägt sein Glück nicht vor sich her und schreit es in die Welt hinaus. Außerdem würde so etwas nicht zu ihrem Charakter passen. Jedenfalls denke ich, dass es etwas mit Liebe zu tun haben könnte, dass sie sich so ungewöhnlich verhält.«

Toni schaute Bürgermeister Fellbacher in die Augen.

»Hör mal, die Aggi, die hat selten ihren ganzen Urlaub genommen, immer war sie für dich da. Also, bist du jetzt ein bisserl großzügig!«

»Mmm, ja!«, brummte Fellbacher, »das bin ich doch auch. Es ist nur so, dass ich auf dem Amt nimmer ein noch aus weiß. Ich kenne mich mit der Computertechnik nicht aus.«

Toni lächelte Fellbacher an.

»Ich rede mit Anna. Vielleicht kann sie dir wenigstens einige Stunden in der Woche unter die Arme greifen, bis deine Perle zurück ist.«

»Das ist ein ganz liebes Angebot, Toni. Aber du brauchst die Anna doch dringend auf der Berghütte, schließlich ist Hochsaison.«

»Das stimmt schon, Fellbacher. Aber unter Freunden lässt man sich nicht im Stich. Außerdem könnte Anna die Aggi mal anrufen, sozusagen aus amtlichen Gründen, weil sie eine Nachfrage hat. Dabei findet sie vielleicht heraus, warum Aggi so viel Urlaub will, verstehst?«

Bürgermeister Fellbacher war etwas getröstet. Er aß zu Ende, trank sein Bier aus und ging zum Rathaus. Toni hatte ihm versprochen, dass Anna am nächsten Vormittag zum Rathaus kommen würde, nachdem sie die Kinder zu Schule gebracht hatte.

*

Tagelang hatte eine fast unerträgliche Hitze über der Stadt gelegen. Jetzt entlud sich die Schwüle in einem langen, sehr heftigen Regenschauer. Stundenlang hatte es gewittert, jetzt prasselte nur noch Regen wie in langen Schnüren herunter. Molly stand hinter dem Fenster und schaute hinaus. In der Ferne leuchteten immer noch Blitze. Langsam ließ der Regen nach. Sie öffnete das Fenster und atmete die Kühle. Immer wieder drangen die Sirenen von Polizei und Feuerwehr an ihr Ohr. Das war ein Sturm, dachte sie. Sicherlich hat es überschwemmte Keller und umgeknickte Bäume gegeben.

Sie ging in die Küche und holte sich aus dem Tiefkühlschrank ein Eis.

Es läutete an der Haustür des Mehrparteienhauses.

»Nanu, mitten in der Nacht. Wer kann das sein?«, sagte Molly laut zu sich selbst.

Sie schaute zur Küchenuhr. Es war kurz nach zwei Uhr nachts. Sie ging zur Tür, sagte aber nichts und lauschte.

»Molly, ich bin es, Gina. Bitte mach auf! Bitte!«

Molly betätigte mit einer Hand den Öffner und riss mit der anderen die Wohnungstür auf. Durch das Treppenhaus des alten Hauses drangen Geräusche. Molly hörte, wie, Gina die Haustür ins Schloss warf und die Treppenstufen heraufhastete, als wäre der Teufel hinter ihr her.

»Um Himmels willen, Giovanna, wie siehst du aus?«, rief Molly der Freundin entgegen.

Sie packte Giovanna, die Gina gerufen wurde und zog sie in die Wohnung. Gegenüber auf der Etage wohnte eine alte einsame Dame, die etwas sehr neugierig war.

Die praktisch veranlagte Molly erkannte sofort, dass sie so keine schlüssige Erklärung erwarten konnte. Gina schien nicht nur nass bis auf die Haut zu sein, sie zitterte am ganzen Körper, und ihr Gesicht war verquollen. Molly griff nach der Hand der Freundin und zog sie hinter sich her ins Badezimmer.

»Ausziehen! Du nimmst jetzt ein schönes warmes Bad!«, sagte Molly streng.

Molly ließ Wasser ein und goss fast eine halbe Flasche duftendes Schaumbad in die große geschwungene Wanne der Altbauwohnung.

»Ich hole dir etwas Trockenes zum Anziehen und mache dir einen schönen Kaffee.«

»Nein, besser eine heiße Schokolade, wenn du kannst, Molly!«

Molly lächelte.

»Schön, reden kannst du also noch. Das ist ein gutes Zeichen. Was ist bloß mit dir? Du siehst aus, als … Ich finde keine Worte. Aber das wirst du mir später alles erzählen. Nun mach, dass du die nassen Sachen runter bekommst!«

Gina nickte. Sie brachte auch kein Wort hervor, stattdessen quollen dicke Tränen aus ihren Augen.

Molly sah sie ernst an, sagte aber nichts. Sie reimte sich einiges zusammen. Sie wird schon noch alles erzählen, sagte sie sich. Sie holte Unterwäsche und einen warmen Hausanzug, sowie ein paar dicke Socken und brachte alles ins Badezimmer. Dort lag Gina bereits mit geschlossenen Augen im Schaumbad. Dann machte Molly ihr eine heiße Schokolade und stellte sie auf dem Hocker neben der Badewanne ab. Sie lehnte die Tür nur an, als sie hinausging.

Die beiden jungen Frauen kannten sich seit ihrer Kindheit, seit sie zusammen in den Kindergarten gegangen waren. Sie hatten immer zusammengehalten, vielleicht auch deshalb, weil beide die italienische Kultur in sich trugen. Ginas Mutter war Italienerin und hatte den Deutschen Gernot Falkner geheiratet. Mollys Vater war Italiener und hatte eine Deutsche geheiratet. Molly war inzwischen seit zwei Jahren selbst verheiratet. Ihr Mann war Fernfahrer, ebenfalls Italiener. Sie hatten noch keine Kinder.

Molly hatte das Temperament ihres italienischen Vaters geerbt. Doch wenn es darauf ankam, handelte sie sehr praktisch, ganz ruhig und durchdacht, wie es ihre Mutter tat.

Es dauerte eine Weile, dann kam Giovanna mit dem leeren Becher aus dem Badezimmer. Sie kuschelte sich auf die große Polstercouch. Molly nahm eine Flauschdecke und deckte die Freundin zu.

Die beiden Frauen sahen sich an.

Wieder hingen Tränen an Giovannas Wimpern.

»Danke, dass du mir aufgemacht hast. Ich wusste nicht, wohin. Ich habe ihm wütend den Schlüsselbund vor die Füße geworfen … Da war mein Autoschlüssel dran und mein Wohnungsschlüssel.«

Molly überlegte kurz und zählte eins und eins zusammen.

»Du bist den ganzen Weg quer durch die Stadt gelaufen? Und das bei diesem Unwetter? Du bist verrückt!«

Gina nickte.

»Bei dem Wetter war kein Taxi zu bekommen. Wenn es zu heftig wurde, habe ich mich untergestellt«, schluchzte sie.

»Darauf, dass du mich hättest anrufen können, darauf bist du nicht gekommen?«

»Molly, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Du hättest ihn sehen müssen. Er war so abweisend, so eiskalt. Er verlangte den Schlüssel. Die Sachen, die ich bei ihm habe, würde er mir zustellen lassen. Da habe ich ihm mein ganzes Schlüsselbund wütend vor die Füße geworfen.«

»Sonst nichts?«

»Dann bin ich gegangen! Gerannt! Ich wollte nur fort – fort – fort!«

»Ich wäre auch gegangen, aber erst nachdem ich seine kostbare Wohnungseinrichtung …« Molly lachte laut. »Nun, sagen wir es so, nachdem ich mich des Inventars angenommen hätte.«

»Ich bin nicht so temperamentvoll wie du, Molly. Ja, das hätte ich tun sollen. Das hätte ihn geschmerzt, wenn seine kostbaren Vasen und Kunstgegenstände in Tausenden von Scherben am Boden gelegen hätten. Aber ich war wie von Sinnen.«

»Im Klartext, ihr habt euch getrennt? Oder anders gesagt, er hat dich rausgeworfen, nachdem du das gewisse Thema angeschnitten hattest. War es so?«

»Ja, genauso war es«, würgte Gina unter Tränen hervor.

Bei Molly gewann für eine Weile das geerbte Temperament ihres italienischen Vaters die Oberhand. Sie brüllte zweisprachig los und schimpfte.

»Mascalzone! Pezzo di merda! So wäre er mir nicht davongekommen.«

Molly stand auf und ging wütend im Wohnzimmer auf und ab. Abwechselnd stieß sie weiterhin die übelsten Verwünschungen aus.