Chantals Reise ins Liebesglück - Friederike von Buchner - E-Book

Chantals Reise ins Liebesglück E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Es war früher Abend. Toni und Anna kamen von einem Großeinkauf aus Kirchwalden und hielten vor dem Wirtshaus mit der kleinen Pension von Tonis Eltern. Die Eingangstür stand offen. Ein lautes Stimmengewirr drang ins Freie. Toni schmunzelte. »Mei, da geht es hoch her. Na ja, heute ist Stammtischabend.« Sie gingen hinein. Sofort spürten sie, dass Streit in der Luft lag. Das Gemurmel verstummte und alle Augenpaare richteten sich auf Toni und Anna. Toni lachte. »Grüß Gott! Was schaut ihr mich so an?« »Dich net, Toni«, brüllte es vom Stammtisch her. »Die Anna, die hat des Ganze losgetreten. So ein Schmarrn!« »Grüß Gott, Maierhofer«, rief Anna und lächelte. »Brauchst net so schön zu tun, Anna! Des ist eine Schande, wie du die Weiber aufgewiegelt hast.« Auf Tonis Stirn entstand eine steile Falte. Jeder sah ihm an, dass er sich über Sepps Bemerkung ärgerte. »Pass auf, was du sagst, Sepp«, brüllte Toni laut. »Du, ich warne dich! Meine Anna hat nix losgetreten und schon gar niemand aufgewiegelt. Wenn du so stur bist, dann ist dir nimmer zu helfen. Ich stehe hinter der Anna und allen Mädchen, die eine eigene Fußballabteilung haben wollen. Du wirst nachgeben müssen, Sepp.« »Nix werde ich, das ist ein Schmarrn. Fußball ist ein harter Sport. Da wird um den Ball gekämpft, da kann es zu üblen Verletzungen kommen. Deshalb ist des eben nix für Madln. Des ist meine Meinung und davon gehe ich net ab!« »So, denkst du? Da stehst aber alleine! Wirst schon sehen, wohin du mit deiner Einstellung kommst, Sepp. Nun gib nach«, forderte ihn Toni auf und

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Toni der Hüttenwirt –134–

Chantals Reise ins Liebesglück

Ein Tagebuch weist ihr den Weg

Roman von Friederike von Buchner

Es war früher Abend. Toni und Anna kamen von einem Großeinkauf aus Kirchwalden und hielten vor dem Wirtshaus mit der kleinen Pension von Tonis Eltern.

Die Eingangstür stand offen. Ein lautes Stimmengewirr drang ins Freie. Toni schmunzelte.

»Mei, da geht es hoch her. Na ja, heute ist Stammtischabend.«

Sie gingen hinein. Sofort spürten sie, dass Streit in der Luft lag. Das Gemurmel verstummte und alle Augenpaare richteten sich auf Toni und Anna.

Toni lachte.

»Grüß Gott! Was schaut ihr mich so an?«

»Dich net, Toni«, brüllte es vom Stammtisch her. »Die Anna, die hat des Ganze losgetreten. So ein Schmarrn!«

»Grüß Gott, Maierhofer«, rief Anna und lächelte.

»Brauchst net so schön zu tun, Anna! Des ist eine Schande, wie du die Weiber aufgewiegelt hast.«

Auf Tonis Stirn entstand eine steile Falte. Jeder sah ihm an, dass er sich über Sepps Bemerkung ärgerte.

»Pass auf, was du sagst, Sepp«, brüllte Toni laut. »Du, ich warne dich! Meine Anna hat nix losgetreten und schon gar niemand aufgewiegelt. Wenn du so stur bist, dann ist dir nimmer zu helfen. Ich stehe hinter der Anna und allen Mädchen, die eine eigene Fußballabteilung haben wollen. Du wirst nachgeben müssen, Sepp.«

»Nix werde ich, das ist ein Schmarrn. Fußball ist ein harter Sport. Da wird um den Ball gekämpft, da kann es zu üblen Verletzungen kommen. Deshalb ist des eben nix für Madln. Des ist meine Meinung und davon gehe ich net ab!«

»So, denkst du? Da stehst aber alleine! Wirst schon sehen, wohin du mit deiner Einstellung kommst, Sepp. Nun gib nach«, forderte ihn Toni auf und schlug im Tonfall versöhnlichere Töne an.

»Nix tue ich! Und ich lass’ mich net weiter zum Buhmann machen. Ich bekomme hier ja net einmal mehr ein Bier.«

Toni und Anna schauten sich überrascht an. Sie blickten zu Tonis Eltern, Meta und Xaver Baumberger, die hinter dem Tresen standen. Tonis Vater grinste. Meta stemmte die Arme in die Seite und sagte laut:

»Des stimmt, Sepp. Hier bekommst nix. Des hab’ ich so entschieden und dabei bleibt es! Wenn du so stur bist und meiner Enkelin den Spaß verderben und die Freud’ net gönnen willst, dann kannst sehen, wo du deine Maß trinkst.«

»He, Xaver, du stehst wohl ganz schön unter dem Pantoffel, wie? Ist dir des net peinlich? Ich dachte immer, dass du der Wirt bist? Scheinst ein echter Waschlappen zu sein.«

»Sepp«, brüllte Toni durch den Wirtsraum. »Pass auf, was du sagst! Sonst bekommst du es mit mir zu tun!«

»Wie ist es? Bekomme ich bei dir auf der Berghütte ein Bier?«

Toni sah Sepp in die Augen.

»Naa, ich denke, net! Ich zapfe dir kein Bier. Ich denke, bei der Anna bist auch an der falschen Adresse und beim Alois wirst ebenfalls auf Granit stoßen. Am besten du machst, dass du fortkommst, Sepp.«

»Hier bleibe ich auch net länger! Des ist ›Mobbing‹, wie man modern sagt. Des ist eine Hetze. Du hast des angezettelt, Anna.«

Toni wollte etwa sagen, aber Anna hielt ihn zurück.

»Toni, lass’ mich mit ihm reden«, sagte sie leise.

Dann ging Anna durch den Raum zum Stammtisch.

»Maierhofer, ich habe nichts angezettelt. Dass dir niemand ein Bier gönnt, das hast du dir selbst zuzuschreiben. Maierhofer, ich sage dir etwas: Wir Frauen und Madln hier in Waldkogel, wir werden unseren Weiberfußball, wie du es nennst, bekommen. Wenn du dich nicht bald umstellst, dann werden wir Maßnahmen ergreifen. Dann wirst du sehen, zu was wir Weiber fähig sind«, sagte Anna laut und deutlich.

»Willst mir drohen?«

»Nein, Maierhofer, ich habe es nicht nötig, dir zur drohen. Ich will dir nur ans Herz legen, nochmal darüber nachzudenken und uns keine weiteren Steine in den Weg zu legen. Sage ja, und meine Schwiegermutter bringt dir auch dein Bier.«

Sepp Maierhofer lief vor Wut rot im Gesicht an. Er fühlte sich kaltgestellt, denn alle nickten Anna zu. Toni legte seinen Arm um Anna und schmunzelte.

»Sepp, nun sei net so stur und stelle dich net weiter gegen eine Mädchenfußballabteilung.«

»Nie, Toni, niemals!«

Sepp Maierhofer sprang vom Stuhl auf, stülpte seinen Hut auf den Kopf und verließ mit großen Schritten den Wirtsraum.

Alle schüttelten den Kopf.

Am Stammtisch saßen Bürgermeister Fellbacher, Pfarrer Zandler und Doktor Martin Engler.

»Setz dich zu uns, Toni!«

»Danke, heute net, Martin! Wir waren in Kirchwalden einkaufen. Des Zeugs muss rauf zur Berghütte. Wir wollten nur die Kinder abholen.«

Franziska und Sebastian waren nicht bei den Großeltern. Sie waren zum Forsthaus gegangen und spielten mit ihren Freunden Ulla und Paul, den Kindern des Försters.

Toni und Anna verabschiedeten sich und fuhren zum Forsthaus.

Unterwegs fragte Toni:

»Anna, wie wird es jetzt weitergehen? Was wollt ihr machen? Der Maierhofer lässt sich wohl nicht umstimmen.«

Anna lächelte.

»Lass’ dich überraschen, Toni! Er wird nachgeben, er wird müssen! Nachdem wir ihn nicht umstimmen konnten, als wir bei ihm waren, haben wir uns etwas ausgedacht.«

Anna schmunzelte. Toni stellte keine weiteren Fragen, obwohl er sehr neugierig war.

*

Chantal Mönch ging durch den langen Flur des Universitätsinstituts. Schon von Weitem sah sie eine Ansammlung von Studenten vor dem Schwarzen Brett stehen. Dort hingen die Ergebnisse der medizinischen Zwischenprüfung. Während die einen die Arme hochrissen und sich in die Arme fielen, suchten diejenigen, die nicht bestanden hatten, Halt an der Wand und konnten die Tränen nicht weiter zurückhalten.

Chantal schaute der Gruppe über die Schulter. Sie hatte bestanden. Eine Mitstudentin drehte sich nach ihr um.

»Super, du hast auch bestanden, Chantal. Freust du dich nicht? Du siehst so ernst aus.«

»Doch, schon! Bis die Tage«, sagte Chantal leise.

Sie drehte sich um und ging davon. Sie steuerte die Cafeteria an und holte sich einen großen Becher Milchkaffee. Vor dem Gebäude setzte sie sich auf eine niedrige Mauer. Während sie trank, starrte sie vor sich hin und versuchte ihre Gefühle zu ordnen. Sie hatte zwar für die Prüfung gelernt, aber nicht so sehr wie ihre Mitstreiter. Sie hatte die Fragen nur sehr oberflächlich gelesen und mehr wie bei einem Quiz die Kreuzchen gesetzt. Chantal hatte sich so gewünscht durchzufallen. Zwar hätte sie die Prüfung noch einmal machen müssen, aber auch dann hätte sie durchfallen können. Damit wäre der Albtraum Medizinstudium für sie hoffentlich vorbei gewesen. Aber das Schicksal hatte es wohl anders gemeint. Jetzt ging es weiter. Ich kann immer noch durch die Abschlussexamina fallen, tröstete sie sich. Sie wollte keine Ärztin werden, schon gar nicht später einmal die Klinik ihrer Eltern für Plastische Chirurgie übernehmen. Sie wusste, dass ihre Eltern viel Geld mit der Schönheitschirurgie verdienten. Aber es widerstrebte Chantal, dass sie an gesunden Körpern herumoperierten, auch wenn es die Patienten so wollten. Ärztin zu sein, dass bedeutete für sie, zu helfen, wenn wirklich jemand krank war. Chantals Herz wurde schwer, als sie daran dachte, wie ihre Eltern immer wieder versuchten, ihr ihren Idealismus auszureden.

Nach dem Abitur hatte Chantal andere Pläne gehabt. Sie hätte gerne Sport studiert, aber sie kam nicht einmal dazu, ruhig mit ihren Eltern darüber zu reden. Jedes Mal, wenn Chantal davon zu sprechen anfing, wurden ihre Wünsche im Keim erstickt, mit den Worten: »Erst studierst du Medizin, wie es dein Großvater getan hat und ich. Wenn du dann immer noch Sport studieren willst, dann sehen wir weiter. Aber du wirst sehen, wie viel Freude dir die Arbeit als Ärztin machen wird!« Das sagte Chantals Vater.

Chantal hatte nachgegeben und sich im Studienfach Medizin eingeschrieben. Nach außen hin war sie eine fröhliche und sehr hübsche junge Frau. In ihrem Inneren war sie zerrissen und der einsamste Mensch auf Erden. Daheim fehlte es ihr an nichts. Während ihre Eltern in ihrer Privatklinik arbeiteten, kümmerte sich ein Haushälterehepaar um das große Anwesen und um Chantal. Niemand ahnte, was in Chantal wirklich vorging. Schon als kleines Mädchen hatte sie gelernt, sich immer anzupassen.

Chantal holte sich einen zweiten Becher Kaffee. Damit ging sie in den Botanischen Garten der Universität. Sie setzte sich auf eine Bank unter den schönen alten Bäumen.

Ihr Handy läutete. Chantal schaute auf das Display. Dort war die Telefonnummer der Klinik angezeigt. Sie stöhnte und nahm das Gespräch an.

»Chantal, wir gratulieren!«, rief ihr Vater.

»Woher weißt du?«, fragte Chantal, obwohl diese Frage überflüssig war, verfügten ihre Eltern doch über gute Verbindungen innerhalb der Medizinerkreise.

Dann war ihre Mutter am Telefon.

»Wo bist du, Chantal? Wann kommst du heim? Dein Vater und ich haben alle Operationen verschoben, die für heute Nachmittag angesetzt waren. Wir wollen feiern. Komme nicht zu spät, Schatz! Du musst dich noch umziehen und schick machen.«

»Heißt das, wir sind nicht alleine? Kommen Gäste?«

»Natürlich! Wir sind stolz auf dich und du wirst gefeiert werden. Aber es ist nur der engste Freundeskreis. Die Party beginnt um sechs Uhr.«

Chantal schwieg, sie dachte nach. Der Freundeskreis ihrer Eltern war groß. Unbehagen stieg in ihr auf.

»Chantal, bist du noch dran?«

»Ja, Mama! Muss das sein, die vielen Leute?«

»Ja, das muss sein. Das wird von uns erwartet, das heißt, auch von dir. Du wirst sehen, es wird nett werden. Sei bitte spätestens um fünf Uhr daheim.«

»Ja, Mutter!«

Ihre Mutter verabschiedete sich und legte auf. Chantal schaltete das Handy aus und steckte es in die Tasche. Sie streckte sich auf der Bank aus und legte die Beine auf die Armlehne. Sie seufzte laut und legte den Unterarm über die Augen.

»Geht es dir nicht gut?«

Eine männliche Stimme drang an Chantals Ohr. Sie klang weich und sanft, fast liebevoll. Chantal spürte, wie ihr Herz schneller klopfte. Zuerst blinzelte sie. Dann sah sie ihn an. Er hatte tiefschwarzes lockiges Haar und große blaue Augen, die von langen Wimpern umrahmt waren. Chantal spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg.

»Bist nicht in Ordnung, wie? Du siehst nicht so gut aus.«

Chantal setzte sich auf. Sie hielt einen Augenblick die Hände vor das Gesicht und versuchte, ihr Herzklopfen zu bekämpfen.

»Ist das eine neue Art eines Flirtversuchs?«

»Nein, das ist es nicht. Ich habe dort drüben unter dem Baum gelegen und dich gesehen. Ja, ich gebe es zu, ich habe dich beobachtet. Du hast einen unangenehmen Anruf bekommen. Richtig?«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Chantal und nahm die Hände vom Gesicht. Sie schaute ihn an.

Er lächelte.

»Als du dein Handy ausgemacht hast, hatte ich für einen Augenblick den Eindruck, du wolltest es in die Büsche werfen.«

Ein Lächeln huschte über Chantals Gesichtszüge.

»Guter Beobachter! Studierst du Psychologie?«

»Bewahre! Mit den Seelenflickern habe ich nichts zu tun. Nein, ich habe Biologie und Chemie belegt. Ich halte mich lieber an handfeste Fakten. Und du?«

Chantal sah ihn an.

»Nichts, im Augenblick tue ich nichts. Ich sitze hier und versuche zu entspannen.«

»Oh, das klingt, als wolltest du alleine sein. Dann störe ich dich wohl?«

»Wie man es nimmt.«

Chantal wühlte in ihrer Umhängetasche.

»Was suchst du?«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu.

»Ich müsste noch ein Stück Schokolade haben …, irgendwo hier drin.«

Er öffnete seine Tasche und packte zwei Müsliriegel aus.

»Bitte!«

»Danke!«

»Siehst schon besser aus!«

»Danke!«

Er rieb sich verlegen die Wange, überlegte kurz und stand auf.

»War schön, dich kennengelernt zu haben. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag«, sagte er mit Wehmut in der Stimme und fügte leise hinzu. »Schade, das war es wohl, leider.«

Vielleicht sehe ich dich mal wieder, dachte er, wagte es aber nicht zu äußern. Es ist der falsche Tag, der falsche Ort und der völlig falsche Zeitpunkt. Sie ist mit etwas anderem sehr beschäftigt, dachte er. Er lächelte ihr kurz zu. In seinem Herzen war die Hoffnung, dass man sich im Leben immer zweimal sieht, wie die alte Weisheit lautete. Hoffentlich bald, sagte er sich. Hoffentlich bald und unter besseren Vorzeichen.

Er ging davon. Sie sah ihm nach. Dabei spürte sie wieder, wie ihr Herz klopfte. Sie gestand sich sofort ein, dass er ihr sehr gefallen hatte. Er war so anders als die jungen Männer, die sich sonst um sie bemühten.

Chantal legte die Hand auf ihr Herz, als könnte sie es so festhalten. Es raste. Sein sanfter Blick hatte ein Beben in ihrem Inneren ausgelöst. Seine Augen waren voller Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gewesen, wie Chantal es noch nie bei einem Mann gesehen hatte. Da war keine Berechnung, keine List, kein unaufrichtiges Eroberungsgetue. Seine Augen sagten nur, du gefällst mir, du bist wunderbar.

Jetzt, da er gegangen war, bereute sie zutiefst, dass sie ihn so abblitzen ließ. Chantal, du bist so dumm gewesen, beschimpfte sie sich. Der Tag war schon schwierig gewesen, aber jetzt war ihr, als breche ihre Welt zusammen. Da kam jemand wie aus dem Nichts, wie von einem anderen Stern – und sie hatte die Chance vorübergehen lassen.

Sie trank den Kaffee aus und warf den Pappbecher in den Papierkorb unweit der Bank.

Sie ärgerte sich sehr über sich selbst. Ich weiß nicht, wie er heißt, kenne seine Handynummer nicht. Genauso wenig kennt er meinen Namen, dachte sie.

Chantal öffnete vorsichtig die Umhüllung des Müsliriegels. Sie nahm die gepresste Süßigkeit heraus und aß sie. Das Papier strich sie glatt und steckte es in ihren Geldbeutel. Sie wollte wenigstens eine Erinnerung an ihn besitzen. Dann stand sie auf. Sie hängte die Tasche über die Schulter und schlenderte los. Es war noch viel zu früh, um heimzugehen. Ihre Mutter würde alles für die Party vorbereiten und ihr nur in den Ohren liegen, welche Gäste wichtig waren, wer Söhne im heiratsfähigen Alter hatte und wer davon eine ganz besonders gute Partie war. Chantal seufzte hörbar, als sie zwischen den Blumenbeeten und den Sträuchern ziellos umherschlenderte.

Sie wünschte sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen wie im Märchen. Ich habe es verbockt. Ich könnte jetzt noch auf der Bank sitzen und mich mit ihm unterhalten.

Dabei wurde Chantal immer klarer, dass dieser fremde junge Mitstudent, der einzige Mensch auf der großen weiten Welt war, der sie im Augenblick interessierte. Sie überlegte, ob sie das Gebäude aufsuchen sollte, in dem die Naturwissenschaften untergebracht waren. Dort gab es auch ein Café.

Vielleicht sehe ich ihn wieder, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Herz geriet für einen Augenblick aus dem Takt.

Als würde sie von einer mächtigen Kraft gedrängt, beschleunigte Chantal ihre Schritte. Sie durchquerte das Universitätsgelände, bis sie in die Nähe des Cafés kam.

Ist er vielleicht dort?

Chantal stellte sich auf eine kleine Mauer und betrachtete die Gäste, die unter den Sonnenschirmen im Freien saßen. Sie sah ihn nicht.

Er wird im Labor sein, tröstete sie sich und schaute auf die Uhr. Es war noch früh am Nachmittag. Obwohl ihr klar war, dass die Chancen gering waren, wollte sie auf ihn warten.

Sie setzte sich an einen Tisch und bestellte eine Limonade. Sie schob die Sonnenbrille über die Augen und wartete. Die Tür des gegenüberliegenden Gebäudes hielt sie immer fest im Blick.

So vergingen die Stunden. Schweren Herzens gab Chantal um halb fünf Uhr ihren Beobachtungsposten auf. Sie zahlte und machte sich auf den Weg zu ihrem Auto. Sie war betrübt. Obwohl sie versuchte, das Gefühlschaos in ihrem Inneren zu ordnen, gelang es ihr nicht. Das Gefühl blieb, das Gefühl, dass sie etwas Wichtiges, etwas Wertvolles verloren hatte. Es war ein Schmerz, der ihr Herz zusammenzog. Noch nie hatte sie so empfunden.

»Kind, was hast du?«, fragte sie abends ihr Vater. »Du bist so ernst. Schau, alle freuen sich mit dir. Es ist eine wunderbare Gesellschaft. Tanze doch noch ein wenig!«

Chantal nippte an ihrem Glas.

»Keine Sorge, mir geht es gut. Du weißt doch, wie das ist, wenn plötzlich die große Anspannung nach­lässt. Dann kann es sein, dass man erst einmal in ein tiefes Loch fällt. Ja, es ist ein sehr schönes Fest. Danke! Mama hat sich große Mühe gegeben.«

»Vielleicht hätte sie damit noch etwas warten sollen. Aber du kennst sie, Chantal. Sie ist sehr, sehr stolz auf dich. Genau wie ich!«

»Brixius, jetzt überlässt du Chantal mir!«

Irma Mönch, die Mutter von Chantals Vater trat hinzu und legte beschützend den Arm um die Schulter ihrer einzigen Enkelin.