Ich küsse keinen Fremden - Friederike von Buchner - E-Book

Ich küsse keinen Fremden E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Es war schon dunkel. Edgar Schmitt saß im Wohnzimmer und las in einem alten Geschichtsbuch. Das Telefon läutete. »Mei, wer ruft mich um diese Zeit noch an?«, murmelte er vor sich hin. Er stand auf und ging zum Telefon, das im Flur stand. Der Anrufbeantworter sprang an. Edgar lauschte. »Hallo Edgar, Zandler hier! Nimm schon ab! Ich weiß doch, dass du daheim bist.« Edgar griff nach dem Telefonhörer. »Grüß Gott, Herr Pfarrer! Was gibt es? Hat die gute Träutlein wieder Schwierigkeiten mit der neuen Waschmaschine?« Pfarrer Zandler lachte. »Naa, sei unbesorgt, Edgar! Sie hat jetzt verstanden, wie sie sie bedienen muss, damit es nicht mehr zu solchen Pannen kommt.« »Des ist schön«, bemerkte Edgar. »Ich rufe wegen der alten Texte an, die du gefunden hattest. Ich sollte sie mir doch ansehen, ob ich sie lesen kann. Also, ich habe ziemlich alles übersetzt. Das ist ein interessanter Fund, Edgar. Ich dachte mir, ich komme kurz bei dir vorbei, wenn es dir jetzt passt? Oder ist es dir an einem anderen Abend angenehmer? Dann kann ich dir alles in Ruhe sagen.« »Naa, naa«, rief Edgar aufgeregt in den Hörer. »Es passt. Ich freue mich. Bis gleich Herr Pfarrer!« »Dann sehen wir uns in ein paar Minuten!« »Gern, Herr Pfarrer Zandler!« Edgar legte auf. Er rieb sich vor Freude die Hände. Schnell warf er einen Blick in die große Wohnküche, dann schob er einige gefrorene Laugenbrezeln in den Backofen und holte Bier aus dem Keller. Er war kaum damit fertig, als er Schritte vor dem Haus hörte. Edgar eilte hinaus. »Grüß Gott, Herr Pfarrer!« »Grüß Gott, Edgar!« Sie gingen hinein. »Mei, riecht

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Toni der Hüttenwirt – 186–

Ich küsse keinen Fremden

Leonie, vergiss deine Prinzipien!

Friederike von Buchner

Es war schon dunkel. Edgar Schmitt saß im Wohnzimmer und las in einem alten Geschichtsbuch. Das Telefon läutete.

»Mei, wer ruft mich um diese Zeit noch an?«, murmelte er vor sich hin. Er stand auf und ging zum Telefon, das im Flur stand. Der Anrufbeantworter sprang an. Edgar lauschte.

»Hallo Edgar, Zandler hier! Nimm schon ab! Ich weiß doch, dass du daheim bist.«

Edgar griff nach dem Telefonhörer.

»Grüß Gott, Herr Pfarrer! Was gibt es? Hat die gute Träutlein wieder Schwierigkeiten mit der neuen Waschmaschine?«

Pfarrer Zandler lachte.

»Naa, sei unbesorgt, Edgar! Sie hat jetzt verstanden, wie sie sie bedienen muss, damit es nicht mehr zu solchen Pannen kommt.«

»Des ist schön«, bemerkte Edgar.

»Ich rufe wegen der alten Texte an, die du gefunden hattest. Ich sollte sie mir doch ansehen, ob ich sie lesen kann. Also, ich habe ziemlich alles übersetzt. Das ist ein interessanter Fund, Edgar. Ich dachte mir, ich komme kurz bei dir vorbei, wenn es dir jetzt passt? Oder ist es dir an einem anderen Abend angenehmer? Dann kann ich dir alles in Ruhe sagen.«

»Naa, naa«, rief Edgar aufgeregt in den Hörer. »Es passt. Ich freue mich. Bis gleich Herr Pfarrer!«

»Dann sehen wir uns in ein paar Minuten!«

»Gern, Herr Pfarrer Zandler!«

Edgar legte auf. Er rieb sich vor Freude die Hände.

Schnell warf er einen Blick in die große Wohnküche, dann schob er einige gefrorene Laugenbrezeln in den Backofen und holte Bier aus dem Keller.

Er war kaum damit fertig, als er Schritte vor dem Haus hörte.

Edgar eilte hinaus.

»Grüß Gott, Herr Pfarrer!«

»Grüß Gott, Edgar!«

Sie gingen hinein.

»Mei, riecht das gut!«

»Ja, ich habe frische Brezeln gemacht. Greifen Sie zu!«

»Was du alles kannst, Edgar!«

»Ja, wenn man allein ist, dann muss man selbst ran oder man verhungert. Und immer im Wirtshaus essen, will ich net.«

Edgar bot Pfarrer Zandler den besten Sitzplatz am Tisch am.

»Hier am Kopfende auf der Bank, da sitzt es sich gut«, sagte Edgar.

Pfarrer Zandler ließ es sich schmecken.

»Sag mal, warum bist immer noch allein? Wäre es net an der Zeit, dass du dir ein Madl anlachst?«

»Ich lache viele Madln an, Herr Pfarrer, des können Sie mir glauben. Aber bisher hat keines zurückgelächelt. Doch ich gebe net auf. Irgendwann werd’ ich schon mein Herzmadl finden. Dann erzähle ich es Ihnen sofort.«

Edgar schenkte Bier ein. Er setzte sich und sah den Geistlichen erwartungsvoll an.

»Na, trinken wir zuerst einen Schluck«, sagte Zandler.

Sie hoben die Gläser.

»Edgar, ich möchte auf deinen besonderen Fund anstoßen.«

Edgar strahlte.

»Dann hat mich mein Kribbeln net getäuscht?«

Pfarrer Zander schmunzelte. Sie tranken.

Der Geistliche von Waldkogel nahm die Kopien aus seiner Aktentasche.

»So, dann fangen wir an. Ich habe den Text übersetzt. Er war wirklich in Latein. Aber es waren viele Schreibfehler drin. Derjenige, der das niedergeschrieben hat, der war nicht so fit im Lateinischen. Das war früher oft so. Schau dir an, was ich herausgefunden habe!«

Pfarrer Zandler schob die Blätter mit den Übersetzungen über den Tisch. Edgar schaute sie sich genau an.

»Des muss eine Art amtliches Schreiben sein«, bemerkte Edgar.

»Das denke ich auch. Es ist wahrscheinlich sehr alt. Zeigst du mir die Originale?«

Edgar nickte. Wortlos stand er auf und ging aus dem Zimmer und brachte das Original.

»So, hier ist es. Eine Lupe habe ich auch mitgebracht, damit Sie es ganz genau betrachten können.«

Pfarrer Zandler besah sich die alten Dokumente genau.

»Das habe ich fast vermutet, Edgar.«

»Was?«, rief Edgar voller Aufregung.

»Nach dem Material zu urteilen, ist es tatsächlich sehr alt.«

Pfarrer Zandler lehnte sich zurück.

»Damals, als die frommen Pilger auf dem ›Pilgerweg‹ unterwegs nach Rom waren oder noch ein weiteres Ziel hatten, war es nicht selten, dass sie Passierscheine kaufen mussten, wenn sie durch ein Gebiet wollten.«

»Wie man heute für manche Länder ein Visum braucht?«

»Genau, Edgar, so ähnlich war das. Die Grundherren entlang der Route wollten mitverdienen. Ganz so edel, wie es heute dargestellt wird, war die Pilgerei nicht. Es hatte zwar religiöse Gründe, aber es war auch ein Geschäft. Die Grundherren und die Rasthäuser an der Strecke verdienten nicht schlecht daran, es war eine Art Tourismus. Deine Dokumente belegen, dass auch in der Gegend um Waldkogel Geld verlangt wurde. Ich nehme an, es gab einen großen Grundherrn, dessen Familie auch die örtliche Geistlichkeit stellte, das war damals oft so. Deshalb ging alles Hand in Hand. Es wurden Messen abgehalten für die Pilger. Sie bekamen, natürlich gegen eine angemessene Kollekte, ein solches Dokument, einen Passierschein. Ohne einen Passierschein kamen sie nicht weit. Wer die Passierscheine ausstellte, hat sie auch kontrolliert. Du musst dir das wie Zollstationen vorstellen. Die Pilger zeigen das Dokument vor. Es wurde ein Siegel draufgedrückt. Dann durften sie passieren.«

»Interessant, was es damals nicht schon alles gab«, sagte Edgar.

Pfarrer Zandler schmunzelte.

»Im Geldeinnehmen war der Mensch zu jeder Zeit sehr fantasievoll, Edgar. Gier ist keine Erfindung unserer Zeit. So, jetzt weiß, du, was Sache ist. Ich hoffe, ich konnte helfen, Edgar.«

»Das haben Sie, Herr Pfarrer, das haben Sie sicherlich. Es ist nur schade, dass das genaue Datum nicht angegeben ist.«

Pfarrer Zandler stimmte zu.

»Ein Datum steht nicht drauf. Aber ich denke, am Inhalt kann man den Zeitraum gut eingrenzen. In den Papieren war vermerkt, dass der Pilger zum Geburtstag eines Heiligen in Rom sein wollte.«

Sie tranken einen Schluck Bier.

»Was wirst jetzt damit machen, Edgar?«, fragte Pfarrer Zandler.

»Ich mache es wie immer. Ich lege es sorgfältig ab und erfreue mich daran. Sie wissen, dass ich keins meiner Fundstücke versilbere.«

»Hm – ich denke, das Dokument ist älter als die älteste Kirchenurkunde, die ich habe. Weißt du, was das bedeutet?«, fragte Zandler.

Edgar schüttelte den Kopf.

Zandler trank noch einen Schluck Bier. Er schaute Edgar an.

»Edgar, was ich dir jetzt sage, des behältst du erst für dich. Ich habe einen Verdacht. Aber da muss ich noch ein bisserl recherchieren.«

Edgar nickte.

»Gut, also höre mir genau zu. Aus der Tatsache, dass dieses uralte Dokument höchst wahrscheinlich Waldkogel darstellt, schließe ich, dass unser Waldkogel viel älter ist, als wir bisher angenommen haben. Ich will noch deutlicher werden. Dein Fund könnte von erheblicher geschichtlicher Bedeutung für uns sein, Edgar!«

Edgar war sprachlos. Er stand auf, holte den Obstler und schenkte ein. Sie tranken.

»Wie geht es jetzt weiter, Herr Pfarrer? Ich will net, dass bekannt wird… Sie wissen schon…«

Pfarrer Zandler schmunzelte.

»Ja, ich verstehe. Du hast Angst, dass Fragen gestellt werden, woher du das wertvolle Dokument hast.«

Edgar nickte. Sein Hals war ganz trocken. Er trank das Bier aus und holte eine weitere Flasche.

»Mei, des ist eine schwierige Kiste, Herr Pfarrer. Wenn ich beauftragt werde, mich um alte Häuser zu kümmern, dann soll ich mit dem alten Zeugs machen, was ich will. Die Bauherrn gehen davon aus, dass es drin nix mehr gibt, was wertvoll ist.«

Edgar rieb sich die Stirn und stöhnte.

»Du meinst, dass der Eigentümer doch Anspruch erheben könnte?«, fragte der Pfarrer.

»Ja, ganz wohl ist mir nie, wenn ich etwas an mich nehme, was einen Wert hat. Sie verstehen?«

»Ich verstehe, Edgar. Es ist eine Gratwanderung. Damit kennen wir uns hier in den Bergen sehr gut aus. Entweder man bewältigt den Grat, der zum Gipfel führt, oder man stürzt ab. Deshalb ist es gut, wenn es eine verlässliche Seilschaft gibt, die Schutz bietet.«

Edgar schaute den Geistlichen an. Pfarrer Zandler lächelte und blinzelte ihm zu.

»Sie haben eine Idee?«

»Ja, Edgar, die habe ich. Ich biete dir Schutz. Die Kirche ist deine Seilschaft.«

»Sie meinen, ich soll die Dokumente der Kirche schenken?«, fragte Edgar.

»Das will und werde ich nicht von dir fordern. Das kannst du eines Tages entscheiden, wenn du willst. Du kannst sie auch der Gemeinde Waldkogel schenken. Fellbacher würde darüber genauso erfreut sein. Aber das lassen wir jetzt einmal außer Acht.«

Pfarrer Zandler machte einen Vorschlug. Er werde mit dem Bürgermeister ein Vieraugengespräch führen und ihm Kopien der Dokumente zeigen.

»Ich werde sagen, die Kopien sind mir anvertraut worden. Mich wird niemand fragen, wer der Eigentümer ist. Jeder weiß von meiner Schweigepflicht.«

Bürgermeister und Pfarrer müssten unbedingt über die Angelegenheit sprechen. Sollte sich nämlich herausstellen, dass Waldkogel viel älter ist, als bisher angenommen, dann müsse die Geschichte korrigiert werden.

»Du bist ein echter Waldkogeler Bub, Edgar. Alle deine Vorfahren sind von hier. Deshalb denke ich, wird dir daran gelegen sein, dass deine Heimat ein bisserl Ruhm ernten kann.«

»Wie meinen Sie des, Herr Pfarrer?«

»Fellbacher wird besser wissen, was das bedeutet. Bist du einverstanden, wenn ich mit ihm rede?«

»Ja, das bin ich.«

»Gut, dann packst du deinen wertvollen Schatz jetzt fort. Ich nehme die Ausdrucke wieder mit. Vom übersetzten Text habe ich mir eine Durchschrift gemacht.«

Edgar war es nicht ganz wohl bei der Sache. Er hätte lieber gehabt, dass es ein Geheimnis geblieben wäre. Pfarrer Zandler versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müsse.

»Niemand wird erfahren, dass du dahintersteckst.«

Sie tranken ihr Bier aus. Dann fuhr Pfarrer Zandler zurück ins Pfarrhaus. Dort legte er die Ausdrucke und die Übersetzungen in das dicke Buch, in dem so viel über das Leben der Heiligen stand. Er legte alles zwischen die Doppelseiten, die vom Heiligen Laurentius berichteten, dem Schutzpatron der Bibliothekare und Archivare.

»Das ist ein guter Platz«, flüsterte Pfarrer Zandler. »Der Heilige Laurentius wird aufpassen und alles in gute Bahnen lenken.«

Er stellte das Buch zurück ins Bücherregal.

Der nächste Schritt war das vertrauliche Gespräch mit Bürgermeister Fellbacher. Doch bis dahin wollte Pfarrer Zandler noch einige wichtige Recherchen machen.

Die Dokumente waren so lange verschollen gewesen. Niemand hatte etwas von ihnen gewusst. Jetzt kam es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht an, dachte Zandler. Wichtig war, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und gründlich nachzuforschen. Wenn alles stimmte, dann war seine Kirche die Nachfolgerin eines älteren Gotteshauses. Das war sehr spannend und würde ihn so lange nicht in Ruhe lassen, bis er Gewissheit hatte.

*

Es war der Tag der Einschreibung an der altehrwürdigen Universität von Göttingen. Die jungen Leute reihten sich in einer langen Schlange auf, die sich in vielen Windungen langsam zum Büro des Studentensekretariats zu bewegte. Mittendrin stand Kerstin. Lange bemerkte sie nicht, dass der junge Mann hinter ihr nur noch Augen für sie hatte. Dann fiel ihr der Kugelschreiber auf den Boden. Sie bückte sich im gleichen Augenblick wie der junge Mann, um ihn aufzuheben. Dabei knallten sie mit den Köpfen zusammen.

»Entschuldige! Das habe ich nicht mit Absicht getan«, sagte der junge Mann.

»Kann ich mir denken!«

»Tut es sehr weh?«, fragte er. »Soll ich dir eine kalte Kompresse besorgen?«

Sie lachte.

»Es geht schon. Ich habe einen ziemlichen Dickschädel. Ich kann schon etwas aushalten.«

Er lächelte.

»Meine Schwester sagt, ich hätte einen Sturkopf und könnte glatt mit dem Kopf durch die Wand gehen.«

»Den Spruch kenne ich.«

Sie lachten. Er reichte ihr die Hand.

»Ich heiße Tino.«

»Kerstin!«

Seine Hand fühlte sich warm und weich an. Der Händedruck dauerte länger. Keiner wollte die Hand des anderen loslassen. Er gefiel ihr. Er hatte eine wunderbare Ausstrahlung.

»Welches Fach?«, fragte Tino.

»Geschichte und Deutsch! Und du?«

»Geschichte und Französisch!«

»Oh, dann werden wir uns noch öfter über den Weg laufen. Wir sollten überlegen, ob wir nicht besser in Zukunft Schutzhelme tragen.«

»Ich schlage vor, wir nehmen Helme, wie sie im Mittelalter bei Turnieren getragen wurden«, sagte Tino und lachte.

»An sich keine schlechte Idee, allerdings nicht besonders schick für eine Burgjungfer.«

»Das stimmt.«

Sie kamen ins Plaudern. Langsam rückte die Schlange der Wartenden vor. Nach einer weiteren Stunde hatte Tino erfahren, dass Kerstin einem Verein angehörte, der das Mittelalter nachspielte. Er war begeistert. Kerstin lud ihn ein, einmal mitzukommen.

Endlich waren sie fertig.

»Puh«, stöhnte Kerstin. »Jetzt brauche ich einen Kaffee.«

»Ich lade dich ein. Ich habe das Universitätsgelände schon in den letzten Tagen erkundet und ein kleines Bistro gefunden, das nicht so voll ist. Dort kann man draußen sitzen.«

Er lächelte sie an.

»Darf ich dir, holde Maid, meinen Arm bieten?«

»Oh ja, mein galanter Ritter«, lachte Kerstin. »Geleite mich zur Quelle, aus der duftender Kaffee sprudelt.«

Tino verbeugte sich galant und bot ihr seinen Arm. Kerstin unterrichtete ihn über die höfische Etikette.

»Der Mann hob seine Hand in Brusthöhe und die Maid legte ihre Hand darauf. So schritt man nebeneinander her.«

Tino hob seine Hand und Kerstin legte ihre darauf. Zuerst gingen sie so eine Strecke nebeneinander her, dann griff er nach ihrer anderen Hand. Sie schauten sich in die Augen und lächelten. Es bedurfte keiner Worte. Der Blitz hatte eingeschlagen.

Seit diesem Tag waren sie ein Liebespaar. Sie studierten zusammen und bezogen gemeinsam eine Studentenbude.

Nach dem Studium beschlossen sie, zu heiraten.

Doch die Hochzeitsplanungen erwiesen sich als sehr kompliziert. Kerstin und Tino wollten im Stil des Mittelalters feiern. Ihre Eltern waren dagegen. Sie hatten kein Verständnis für den Wunsch des jungen Paares.

»Das ist doch keine Kostümveranstaltung, kein Maskenball«, schimpfte Kerstins Vater.

»Eine Hochzeit ist eine ernste Angelegenheit und soll würdig gefeiert werden. Wir sind gegen einen Klamauk wie an Rosenmontag«, meckerten Tinos Eltern.

So mussten die jungen Leute einen Kompromiss eingehen. Sie wollten allein zum Standesamt gehen und anschließend nach ihren Vorstellungen eine mittelalterliche Hochzeit feiern. Eine Woche später sollten die kirchliche Trauung und das Fest mit Familie und Verwandten stattfinden.

Kerstin und Tino mieteten ein kleines Burghotel, das Trauungen anbot und auch mittelalterliche Hochzeiten organisierte. Alles lief wunderbar. Selbst der Bürgermeister, der die standesamtliche Trauung vornahm, trug ein Mittelalterkostüm. Anschließend wurde im Burghof gefeiert. Ein Spaßmacher, wie er an Höfen im Mittelalter üblich war, unterhielt die Feiernden. Der Hofnarr hatte im Mittelalter Narrenfreiheit und durfte vieles ungestraft tun. Der moderne Hofnarr stand seinen Vorbildern in keiner Weise nach und machte teilweise recht derbe Späße.

Er organisierte Spiele mit den unverheirateten Gästen, die sehr zur Belustigung beitrugen. Immer wieder stellte er neue Paare zusammen, die gemeinsam eine Aufgabe bewältigen mussten oder gegeneinander in einem Wettbewerb antraten.

Zu einem Spiel brachte er Leonie und Niels zusammen. Es war ein lustiger Wettbewerb zwischen den Geschlechtern. Leonie verlor. Niels durfte als Gewinner eine Karte aus einem Hut ziehen. Darauf stand die Aufgabe, die Leonie zu erfüllen hatte.

»Oh, liebe Leute, das ist etwas Besonderes. Schaut alle her! Jetzt bekommt ihr ein Schauspiel zu sehen. Leonie, die holde Maid, wird aufgefordert, den Ritter Niels zu küssen. Ein Küsschen in Ehren, kann niemand verwehren«, rief der Spaßmacher.

Mit Leonies Freude war es von einer Sekunde zur anderen vorbei. Sie errötete tief.

»Nein, nein, nein, das geht zu weit!«, schrie Leonie erregt.

»Oh, die holde Jungfer ziert sich. Sie braucht Ermutigung«, rief der Hofnarr.

Er forderte alle auf, Leonie zu ermutigen und anzufeuern. Unter rhythmischem Klatschen schallte es durch den Burghof:

»Küssen! Küssen! Küssen!«

Niels stand dabei und sah Leonie an.

»Tun wir ihnen den Gefallen«, sagte er leise zu Leonie.