Toni der Hüttenwirt 193 – Heimatroman - Friederike von Buchner - E-Book

Toni der Hüttenwirt 193 – Heimatroman E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt.Toni, der Hüttenwirt liebt es ursprünglich. In Anna hat er seine große Liebe gefunden. Für ihn verzichtete Anna auf eine Karriere als Bänkerin im weit entfernten Hamburg. Jetzt managt sie an seiner Seite die Berghütte. Ihre Serie hat Geschichte geschrieben. Die Idee dahinter hat exemplarischen Charakter. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Erfolgreiche Romantitel wie "Wenn das Herz befiehlt", "Tausche Brautkleid gegen Liebe" oder besonders auch "Irrgarten der Gefühle" sprechen für sich – denn sie sprechen eine ganz eigene, eine unverwechselbare Sprache.

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Toni der Hüttenwirt – 193–

Warum sind wir uns begegnet?

Zwei Herzen wehren sich gegen die Liebe

Friederike von Buchner

»Guten Morgen, Herr Bürgermeister«, rief Gina aus der Teeküche des Rathauses. »Ich bringe gleich den Kaffee.«

Bürgermeister Fellbacher ging in seine Amtsstube. Dort war in der Besprechungsecke für zwei gedeckt. Auf dem Tisch stand eine Platte mit Kuchen. Fellbacher stutzte. Habe ich einen wichtigen Termin vergessen? Er rieb sich die Stirn, konnte sich aber nicht erinnern. Er schaute in seinem Terminkalender nach. Dort stand nichts drin.

»Gina, hast du vergessen, mir etwas zu sagen? Wer kommt denn heute?«, rief er laut.

Gina kam lächelnd herein, sie trug eine Kanne Kaffee.

»Ich will es mal so sagen: Ich habe den Termin kurzfristig eingeschoben. Setzen Sie sich, Herr Bürgermeister! Ich schalte nur noch den Anrufbeantworter ein und schließe die Tür ab.«

Jetzt verstand Fellbacher überhaupt nichts mehr.

»Gina, was soll das? Warum sperrst du zu, wenn jemand kommen will?«

Gina lachte laut. Ihr italienisches Temperament kam zum Vorschein. »Weil niemand hereinkommen muss! Ich bin doch hier, oder?«

Sie schenkte Kaffee ein und setzte sich. Bürgermeister Fellbacher nahm Platz und schaute Gina prüfend an.

»Ich muss in aller Ruhe mit Ihnen reden, Herr Bürgermeister. Also dachte ich mir, ich zwinge Sie dazu, mir zuzuhören. Nicht dass Sie die Angelegenheit wieder verschieben. Diese ewige Vertrösterei habe ich satt! Damit ist jetzt Schluss!«

Bürgermeister Fellbacher machte große Augen. Für einen Augenblick wurde es ihm heiß. Er hatte sogar Angst, Gina würde kündigen.

Als könnte sie seine Gedanken lesen, sagte sie: »Also, kündigen will ich nicht, damit Sie es wissen. Noch nicht, und das gilt auch nur, wenn sich jetzt etwas ändert.«

Bürgermeister Fellbacher wollte etwas einwenden. Aber seine Gemeindesekretärin hob die Hand und schnitt ihm das Wort ab.

»Jetzt rede ich! Es ist so, dass mir meine Arbeit gefällt. Ich mache sie wirklich gern. Ich vergesse Ihnen auch nicht, dass Sie das Spielzimmer eingerichtet haben und ich mein Kind mitbringen kann, wenn ich niemand habe, der aufpassen kann. Aber es ist viel Arbeit und außer mir gibt es niemanden für den ganzen Schreibkram. Dazu kommen die Briefe und die ganzen Kontakte mit den Partnergemeinden. Wie gesagt, das mache ich gern. Aber mehr geht nicht. Ich kann mich nicht auch noch um die Betreuung von Notfällen kümmern. Sicher bin ich nicht allein. Helene Träutlein unterstützt mich, aber als Haushälterin unseres guten Pfarrers Zandler hat sie genug eigene Aufgaben. Deshalb kann sie auch nicht immer einspringen, wenn mal wieder eine der Frauen absagt, obwohl sie versprochen hat mitzuhelfen. Dann muss ich Ersatz suchen oder selbst anpacken. Das geht einfach nicht mehr. Im Augenblick gibt es so viele Familien, die Hilfe brauchen. Martin und seine Frau tun auch schon eine ganze Menge. Aber es muss jemand her, des alles hauptberuflich erledigt. Warum verstehen Sie des net?«

»Gina, so ist des doch net. Sicher verstehe ich es, und ich bin dir dankbar, dass du des alles so schön machst. Bisher ging es doch reibungslos – und außerdem hilft meine Frau ebenfalls.«

»Ja, das stimmt. Aber Irene ist es auch zu viel. Sie sollten mal mit ihr sprechen.«

»Sie hat mir nichts gesagt«, sagte Fellbacher leise.

»Natürlich hat sie nichts gesagt, Herr Bürgermeister. Sie wird von sich aus auch nichts sagen. Sie denkt, es wäre ihre Pflicht, Sie zu unterstützen. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Entweder die Gemeinde Waldkogel tut sich, in Sachen Betreuung von Alten, Kranken und Familien in Not, mit Kirchwalden zusammen, oder die Gemeinde Waldkogel baut selbstständig eine Gemeindefürsorgestelle auf und stellt jemanden fest ein.«

Fritz Fellbacher aß ein Stück Apfelkuchen. Gina ließ ihm Zeit zum Nachdenken.

»Du hast mir in den letzten Wochen schon öfter gesagt, dass wir uns um Hilfe kümmern sollten. Es ist im Augenblick net einfach. Das gebe ich zu. So viele Leute und Familien, die Hilfe brauchen, gab es schon lange nicht mehr.«

»Das weiß ich. Was machen Sie jetzt, Herr Fellbacher? So kann es jedenfalls nicht weitergehen«, sagte Gina mit strengem Unterton in der Stimme.

Fellbacher rieb sich verlegen das Kinn.

»Mei, ich dachte, es geht schon irgendwie. Es war doch auch so, oder? Die Waldkogeler halten zusammen und packen an, wenn Not am Mann ist. Darauf können alle hier stolz sein.«

»Sicher, aber es kann trotzdem nicht so weitergehen. Es ist nämlich nicht nur ein vorübergehender Engpass, sondern es ist überhaupt kein Ende abzusehen«, sagte Gina entschieden. »Nachbarschaftshilfe ist eine Sache, Leute ständig auszunutzen eine andere, Herr Fellbacher. So kann es nicht weitergehen! Am besten wäre es, wir hätten jemand vor Ort.«

Fellbacher trank einen Schluck Kaffee.

»Also, jemand hier zu haben, der nur für die Waldkogeler da ist, ist die bessere Lösung. Aus Kirchwalden jemanden kommen lassen, des will ich nicht. Außerdem, wie würde des aussehen? Wir haben hier bisher immer alles ohne Hilfe aus der Kreisstadt gelöst.«

Gina nickte und aß ihren Apfelkuchen auf.

»Also gut, Gina, ich kümmere mich darum. Das verspreche ich dir. Natürlich kann ich eine Gemeindehelferin nicht aus dem Hut zaubern. Morgen werden wir noch keine haben und ich vermute, dass es auch nicht so schnell gehen wird. Zuerst muss der Gemeinderat zustimmen. Aber darin sehe ich keine Hürde. Zweitens, und des wird schwieriger, diese Gemeindehelferin muss zu Waldkogel passen. Sie muss etwas können und ein großes Herz haben. Sie muss mit den Waldkogelern klarkommen. Eine Fremde wird es schwer haben.«

»Das glaube ich nicht. Auch ich war eine Fremde, als ich hierherkam und auf dem Rathaus anfing. Wenn sie zupacken kann, dann wird sie schnell akzeptiert werden. Da bin ich voller Zuversicht.«

»Das stimmt schon, was du sagst. Doch ich kann nicht zaubern. Gina, lass mich und die Leute nicht hängen. Ich verspreche dir, jemanden zu suchen.«

»Sie wissen genau, dass weder ich, noch sonst jemand, Sie hängen lassen wird. Aber es muss wirklich etwas geschehen. Sie sollten sich mit Doktor Martin Engler besprechen. Er kennt vielleicht aus seiner Krankenhauszeit eine Krankenschwester, die dafür infrage käme. Oder seine Frau kennt eine ehemalige Kollegin, die eine neue Aufgabe reizt.«

»Das ist eine gute Idee, Gina. Ich werde mit Martin sprechen. Ich werde ihn gleich besuchen.«

Bürgermeister Fellbacher stand auf. Er ging zu seinem Schreibtisch und rief in der Praxis von Doktor Engler an. Die alte Schwanninger Bäuerin ging ans Telefon. Martin war unterwegs und machte Hausbesuche. Seine Frau besuchte hilfsbedürftige Familien. Fellbacher bat die alte Bäuerin, Martin zu sagen, er möge ihn gleich anrufen, noch vor der Sprechstunde.

Fellbacher setzte sich wieder. Er schaute Gina an.

»Bis wir jemand gefunden haben, bitte ich dich, weiter auszuhelfen. Wir machen des so: Das Büro hier im Rathaus ist nur jeden zweiten Tag am Vormittag geöffnet. In dringenden Fällen haben alle Waldkogeler meine Handy-Nummer. An den Tagen, an denen ich dich bitte hier zu sein, musst du nur zwei Stunden anwesend sein. Dann erledigst du den nötigsten Schreibkram. Wenn es nicht anders geht, dann stelle ich dafür eine Aushilfskraft ein. Es sind Ferien, und es gibt genug junge Madln, die nach dem Abitur nix zu tun haben, bis sie im Herbst zu studieren anfangen. Die können mit dem Computer umgehen und Briefe tippen.«

Gina nickte.

»Ja, das ist eine Lösung. Aber Sie sollten schnell jemanden finden.«

»Mei, Gina, du setzt mich ganz schön unter Druck.«

»Das muss manchmal sein, Herr Bürgermeister. Übrigens, Sie könnten auch mit anpacken.«

Fellbacher schaute Gina verwundert an.

»Wie soll ich das verstehen? Da kenne ich mich nicht aus. Von Haushaltsarbeiten habe ich keine Ahnung. Daheim macht alles meine Irene.«

»Schmarrn! Holz hacken, das Vieh versorgen, die Eier einpacken und nach Kirchwalden bringen, das können Sie auch. Dann tauschen Sie eben mal den feinen Lodenanzug gegen Stallklamotten.«

Fellbacher schaute Gina überrascht an. Er rieb sich das Kinn. Dann grinste er. »Gina, das ist eine gute Idee. Als Bub hab ich meinem Vater immer im Stall geholfen, ausmisten, die Melkmaschine bedienen und das Vieh füttern. Das wird mir bei der nächsten Wahl bestimmt Stimmen einbringen.«

»Sie sind ganz schön berechnend, Herr Fellbacher«, grinste Gina.

»Des kommt darauf an, wie man es sieht. Sicher helfe ich gern. Aber ich bin Politiker und will im Amt bleiben. Du hast doch nix dagegen, wenn ich Bürgermeister bleibe, oder?«

»Wie können Sie annehmen, ich möchte für einen anderen Bürgermeister arbeiten? Dann würde ich kündigen.«

Fellbacher strahlte Gina an.

»Sehr gut! Dann packen wir es zusammen an, Gina. Du machst mir eine Liste, wo ich zupacken kann. Ich fahre heim und ziehe mich um.«

»Das ist doch ein Wort, Bürgermeister«, lachte Gina.

Fellbacher stand auf und trank seine Kaffeetasse aus. Er rieb sich die Hände.

»Gina, ich brauche bei der nächsten Wahl mehr Stimmen, viel mehr Stimmen. Ich will net, dass der Franz Huber, dieser Bazi und Strohmann vom Ruppert Schwarzer, wieder in den Gemeinderat gewählt wird.«

»Wer will das schon?«, lachte Gina. »Ich sehe schon Rot, wenn er während der Woche kurz vorbeikommt. Dabei liegt eigentlich nichts an. Er will nur schnüffeln.«

»Da hat er bei dir keine Chance. Du lässt ihn gekonnt abblitzen, Gina.«

»Das tue ich mit Vergnügen. Aber er ist zäh, der gute Franz Huber.«

»Der ist net zäh, Gina. Der wird vom Schwarzer hergeprügelt. Huber ist im Grunde ein armer Tropf. Aber wie heißt es? ›Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen‹, das heißt, er müsste sich selbst aus der Abhängigkeit vom Schwarzer befreien.«

»Des passiert nie und nimmer, Herr Fellbacher. Wie steht es in der Bibel? ›Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr‹. Huber bleibt immer der Handlanger vom Schwarzer.«

»Also muss er ganz demokratisch bei der nächsten Wahl verlieren«, schmunzelte Fellbacher.

Er machte sich sofort auf den Weg.

*

Es war schon spät am Abend. Die Sonne stand tief über München. Markus Thalers Handy klingelte. Auf dem Display erschien der Name Paul. Markus nahm das Gespräch an.

»Grüß dich, Paul«, rief Markus. »Was gibt es zu so später Stunde?« Markus und Paul waren nicht nur enge Freunde, sondern auch Geschäftspartner. Sie betrieben eine Beratungsfirma. »Hattest du etwas vergessen? Du bist heute Abend geradezu aus dem Büro gerannt. Ich frage mich, was heute mit dir los war. Du warst irgendwie abwesend und seltsam verschlossen.«

Paul seufzte hörbar.

»Du bist ein guter Freund, Markus. Du kennst mich so gut, dass ich schwerlich etwas vor dir verbergen kann.«

»Das stimmt. Aber ich weiß auch, dass es keinen Zweck hat, dich zu bedrängen. Aus Erfahrung weiß ich, dass du nur etwas sagst, nachdem du alles abgewogen hast.«

»Ich bin so, wie ich bin, Markus. Doch jetzt stoße ich an meine Grenzen. Ich sitze hier im Biergarten. Es ist keine Lösung, seinen Kummer in Bier zu ertränken. Nach dem Brummschädel sind die Fragen nicht gelöst und die Sorgen immer noch da.«

»Theoretisch ist das richtig. Allerdings bin ich verwundert, Paul. Unserer Firma geht es glänzend. Die Auftragsbücher sind voll. Was für Sorgen quälen dich? Über was machst du dir Gedanken?«

»Es ist nix Geschäftliches, Markus. Dann hätte ich längst mit dir gesprochen. Es ist etwas Privates.«

»Etwas Privates? Seit wann hast du ein Privatleben?«, lachte Markus laut. »Oder hast du wieder ein Madl ins Visier genommen und bist abgeblitzt? Hast du Liebeskummer?«

Paul hatte einige gescheiterte Beziehungen hinter sich. Sein Beruf kam an erster Stelle, und irgendwann wollten die Madln nicht mehr die zweite Geige spielen. Sie gingen.

»Schmarrn! Na, des ist es nicht.« Paul zögerte etwas. »Markus, kannst du herkommen? Ich muss mit jemandem reden. Du bist mein ältester Freund. Mich zerreißt es innerlich fast.«

Markus war überrascht von den Untertönen in Pauls Stimme.

»Tut mir leid, Paul. Ich kann nicht fort. Meine Schwester ist mit ihrem Mann ins Kino gegangen. Ich spiele Babysitter für meine Nichte und meinen Neffen. Sie schlafen endlich. Es dauert noch, bis ihre Eltern kommen und sie holen.«

»Kann ich zu dir kommen?«, fragte Paul.

»Sicher, da musst du doch net fragen.«

»Danke, Markus! Ich zahle und bin in einer halben Stunde bei dir.«

Markus bat Paul, nicht zu klingeln, damit die Kinder nicht aufwachen. Paul versprach es. Er wollte Markus eine SMS schicken, sobald er vor der Tür stand.

Eine Dreiviertelstunde später saß Paul bei Markus im Wohnzimmer. Die Tür zum Garten stand offen. Ein warmer Nachtwind bewegte die hellen Gardinen.

Sie prosteten sich mit Bier zu.

»Mei, nun red’ endlich! Spuck es aus!«, forderte Markus den Freund auf.

Paul seufzte.

»Du weißt, dass mein Vater vor einem Jahr starb. Es war eine Erlösung für ihn. Es gibt etwas, über das ich nie gesprochen habe. Ich bin nicht nur sein Alleinerbe, er hat mir noch etwas Besonderes hinterlassen. Doch darum sollte ich mich erst ganz zum Schluss, nach der Trauerzeit, kümmern. Das musste ich ihm versprechen. Ich habe mein Versprechen gehalten. Bis gestern …«, fügte Paul leise hinzu, dabei sah er Markus nicht an.

Paul schwieg einen Augenblick. Er seufzte. Dann sagte er leise und ganz langsam, damit die Bedeutung seiner Worte Nachhall hatte: »Emil und Rosi Thaler waren nicht meine Eltern.«

Markus schaute Paul überrascht an. Er konnte kaum glauben, was er eben gehört hatte.

»Wie, nicht deine Eltern? Wieso sollten sie nicht deine Eltern sein, Paul?«, fragte Markus.

»Darauf gibt es eine einfache Antwort. Sie sind nicht meine Eltern. Sie haben mich adoptiert und es mir verschwiegen. Okay, meine Mutter, also jetzt muss ich wohl meine Adoptivmutter sagen, an sie erinnere ich mich kaum. Ich war noch ganz klein, als sie bei dem Unfall umkam. Wie du weißt, hat mich mein Vater, also mein Adoptivvater, allein großgezogen. Er war ein wunderbarer Mensch. Ich liebte ihn sehr. Er war für mich Vater, Bruder und Freund in einer Person. Er war so geduldig. Ich glaube, er blieb wegen mir all die Jahre allein und hatte sich nie wieder gebunden.«

»Hast du ihn nicht einmal gefragt, warum er nicht wieder geheiratet hat?«

»Sicher habe ich das, als ich älter war. Doch er gab mir nur eine unbefriedigende Antwort. Er sagte, er hätte keine Frau gefunden, die ihn hatte haben wollen. Ich kann das nicht glauben. Er war so ein lieber Mensch. Wahrscheinlich hat ihn das Geheimnis um mich so belastet, dass er sich nicht mehr hatte binden wollen.«

Markus sah Paul an.

»Er war dir ein guter Vater.«

»Ja, das war er. Aber warum war er nicht ehrlich zu mir? Warum hat er es mir nicht gesagt? Warum hat er mich mein ganzes Leben lang belogen?«

»Er hat dich nicht belogen, er hat dir etwas verschwiegen«, sagte Markus. »Das ist ein Unterschied.«

»Sei still, auf Spitzfindigkeiten lege ich keinen Wert!«, zischte Paul ärgerlich. »Für mich ist das eine Lebenslüge. Warum hat er nichts gesagt?«

»Vielleicht hatte er Angst?«

Paul zuckte mit den Schultern.

»Möglich, jedenfalls ist das die einzige Erklärung für mich. Wahrscheinlich wollte er so umgehen, dass ich ihm Fragen nach meinen Eltern stelle. Ich kann mir nur vorstellen, dass er Angst hatte, mich zu verlieren.«

»Das ist doch Unsinn. Wieso sollte er dich verlieren? Ihr habt euch gut verstanden. Außerdem wusste er bestimmt nicht, wer deine leiblichen Eltern sind. Sind Adoptionen nicht immer anonym?«