Im Bann der Erinnerungen - Friederike von Buchner - E-Book

Im Bann der Erinnerungen E-Book

Friederike von Buchner

0,0

Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Franziskas Gesicht war immer noch anzusehen, dass sie nachts stundenlang geweint hatte. Lukas Meininger hielt auf dem Parkplatz des Hotels in Kirchwalden, in dem Franziskas Bruder Sebastian arbeitete. Lukas überlegte. Es wäre Franziska wahrscheinlich peinlich, so das Hotel zu betreten und den Nachtportier zu bitten, ihren Bruder zu rufen. »Franziska, du hast doch Sebastians Handynummer gespeichert. Gib mir dein Handy, und ich rufe ihn an!« Franziska kramte in ihrer Handtasche, die die Form eines kleinen Rucksacks hatte. Sie gab Lukas ihr Handy. Er stieg aus dem Auto, damit er in Ruhe mit Sebastian sprechen konnte. Franziska blieb auf dem Beifahrersitz sitzen und schwieg. Lukas ließ es klingeln. Es dauerte lange, bis sich Sebastian meldete. »Franziska, was gibt es? Es ist mitten in der Nacht«, sagte er mit verschlafener Stimme. »Grüß Gott, ich bin's, Lukas!« »Ist etwas mit Franziska?«, fragte Sebastian, der schlagartig hellwach war. »Ich bin mit ihr auf dem Parkplatz vorm Hotel. Sie wollte zu dir.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 130

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Toni der Hüttenwirt – 270 –

Im Bann der Erinnerungen

Ein offenes Wort unter Männern hilft

Friederike von Buchner

Franziskas Gesicht war immer noch anzusehen, dass sie nachts stundenlang geweint hatte. Lukas Meininger hielt auf dem Parkplatz des Hotels in Kirchwalden, in dem Franziskas Bruder Sebastian arbeitete.

Lukas überlegte. Es wäre Franziska wahrscheinlich peinlich, so das Hotel zu betreten und den Nachtportier zu bitten, ihren Bruder zu rufen.

»Franziska, du hast doch Sebastians Handynummer gespeichert. Gib mir dein Handy, und ich rufe ihn an!«

Franziska kramte in ihrer Handtasche, die die Form eines kleinen Rucksacks hatte. Sie gab Lukas ihr Handy.

Er stieg aus dem Auto, damit er in Ruhe mit Sebastian sprechen konnte. Franziska blieb auf dem Beifahrersitz sitzen und schwieg.

Lukas ließ es klingeln. Es dauerte lange, bis sich Sebastian meldete.

»Franziska, was gibt es? Es ist mitten in der Nacht«, sagte er mit verschlafener Stimme.

»Grüß Gott, ich bin’s, Lukas!«

»Ist etwas mit Franziska?«, fragte Sebastian, der schlagartig hellwach war.

»Ich bin mit ihr auf dem Parkplatz vorm Hotel. Sie wollte zu dir. Sebastian, Franziska hatte einen Nervenzusammenbruch.«

»Einen Nervenzusammenbruch? Franziska? Was ist passiert? Ich komme sofort! Geh vom Parkplatz aus auf die Rückseite des Hotels. Dort gibt es eine kleine blaue Tür. Das ist der Personaleingang zum Wohntrakt. Ich bin gleich unten.«

Lukas ging zurück zum Auto. Franziska war eingeschlafen. Leise schlich er davon.

Es dauerte nicht lange, dann trat Sebastian aus der Tür und wollte losrennen. Lukas hielt ihn fest.

»Stopp! Ich habe gerade nach ihr geschaut. Sie ist eingeschlafen. Schlaf tut ihr gut.«

»Was ist passiert?«, schrie Sebastian.

»Komm!«, flüsterte Lukas. »Wir setzen uns auf die Mauer, und ich erzähle dir alles. Von dort aus haben wir das Auto im Blickfeld, falls Franziska aufwacht und aussteigt.«

Wenig später saßen Lukas und Sebastian nebeneinander auf dem niederen Mäuerchen, das den Parkplatz begrenzte.

»Nun rede schon!«, herrschte Sebastian Lukas ungeduldig an.

»Okay, das war so...« Lukas seufzte tief. »Ronja, meine liebe kleine Nervensäge von Schwester, kam zu mir ins Schlafzimmer und weckte mich. Ihr Zimmer liegt zur Hofseite. Es seien Fremde auf dem Hof, sagte sie. Sie habe Schritte gehört und die Angeln des Scheunentors hätten gequietscht. Du hast wieder mal schlecht geträumt, sagte ich zu ihr, geh wieder ins Bett! Wenn jemand deine kostbaren Turopolje-Ferkel klaut und sie als Spanferkel verkauft, antwortete sie, dann kannst du mir keine Vorwürfe machen. Ich habe dich gewarnt. Da war ich sofort wach.«

Sebastian verstand. Er wusste, mit welcher Mühe und Hingabe Lukas mit der Zucht dieser alten Freilandrasse begonnen hatte. Franziska unterstützte ihn dabei.

»Ich zog mich an, um sicherheitshalber nachzusehen. Meine kleine Schwester hatte recht. Das Scheunentor stand zur Hälfte offen. Ich hatte es persönlich zugemacht, wie jeden Abend. Ich mache abends immer meinen Rundgang.«

Sebastian forderte Lukas' detaillierter Bericht viel Geduld ab. Ihn interessierte nicht, ob Ronja nicht schlafen konnte, das Scheunentor offen war oder ob die Schweine in Gefahr waren. Er brannte darauf zu erfahren, was mit Franziska los war. Doch er wusste, dass es besser war zuzuhören, als jemanden zu bedrängen. Außerdem konnten die Details vielleicht doch wichtig sein.

»Ich schaute durch das offene Scheunentor. Franziskas Handtasche, dieser kleine bunte Rucksack, lag neben der großen Leiter, die auf den Heuboden führte. Dann hört ich, dass jemand heulte und schluchzte. Das kann nur Franziska sein, dachte ich. Ich kletterte hinauf auf den Heuboden. Dort lag sie zusammengekrümmt im Heu und weinte.«

»Warum?«, stieß Sebastian hervor. »Franziska und ich haben am spätenAbend miteinander telefoniert. Da war noch alles in Ordnung. Sie wollte zur Berghütte, damit sie Anna morgen Früh helfen konnte. Toni ist wandern gegangen.«

Lukas nickte.

»Nach dem, was ich aus ihrem Gestammel und Geschluchze heraushören konnte, hatte sich Franziska auch auf den Weg gemacht. Sie war aber nur bis zum ›Erkerchen‹ gegangen. Dann ist sie umgekehrt, wenn ich sie richtig verstanden habe, Sebastian.«

»Dort muss etwas passiert sein, Lukas. Warum ist sie nicht weitergegangen? Die Berghütte war doch näher. Der Rückweg auf den Bichler Hof ist länger. Das macht für mich keinen Sinn«, rätselte Sebastian.

Lukas zuckte mit den Schultern.

»Diese Frage kann ich dir nicht beantworten. Ich bot ihr an, auf der Berghütte anzurufen und sie hinzubringen. Das wollte sie nicht. Ja, sie schrie mich an, dass sie nie mehr die Berghütte betreten werde. Nie mehr!«

Sebastian war erschüttert. Konnte Franziskas Nervenzusammenbruch etwas damit zu tun, dass die Berghütte für Übernachtungsgäste geschlossen war?

»Was ist da nur passiert, auf dem Weg von euch, bis zur Berghütte?«, fragte Sebastian.

»Bis zum ›Erkerchen‹«, korrigierte ihn Lukas und zuckte mit den Schultern. »Sie hat es mir nicht erzählt. Ich sagte ihr, ich werde ihr helfen, was immer auch geschehen sei. Sie lehnte ab, weinte nur. Ich war etwas enttäuscht. Ich dachte, dass mich Franziska als einen guten, vertrauenswürdigen Freund ansieht. Ich mag sie nämlich sehr gut leiden. Du verstehst?«

Sebastian schmunzelte und rempelte Lukas freundschaftlich an.

»Lukas, ich habe Augen im Kopf. Ich habe längst bemerkt, wie du meine Schwester ansiehst. Aber das ist ein anderes Thema und das hat Zeit. Wir müssen herausfinden, was passiert ist.«

»Nur du kannst dahinterkommen, was passiert ist, Sebastian. Mir sagt sie nichts. Ich war schon froh, als sie mich bat, sie zu dir zu bringen.«

»Danke, dass du dich Franziskas angenommen hast! Dann bleibst du am besten hier. Ich gehe zum Auto und versuche mit ihr zu reden. Oder noch besser, ich bringe dich ins Foyer. Ich rede mit dem Kollegen, der Nachtdienst hat. Dort ist es bequemer und du kannst Kaffee bekommen.«

Sebastian brachte Lukas ins Foyer des Hotels und ließ ihm Kaffee bringen, eine ganze Kanne Kaffee.

Danach ging Sebastian zu Lukas’ Auto und setzte sich auf den Fahrersitz, neben Franziska.

Bewusst schloss er laut die Tür und Franziska wachte auf.

Als sie Sebastian sah, warf sie sich an seine Schulter und weinte. Liebevoll streichelte er seiner jüngeren Schwester über ihr blondes Haar. Er bedrängte sie nicht. Er wartete geduldig, bis die Tränen langsam versiegten.

Dann reichte er ihr ein Taschentuch.

»Was ist passiert?«, fragte er leise. »Franziska, sage es mir! Du musst keine Angst haben. Was immer es auch ist, wir beide halten zusammen. Es gibt immer einen Ausweg.«

Franziska wischte sich die Augen und schnäuzte die Nase. Sie sah ihn mit großen Augen an.

»Ich will weg aus Waldkogel. Am besten, wir verlassen beide Waldkogel. Du bist volljährig, und ich werde es nächste Woche. Dann kann ich machen, was ich will. Ich will fort, weit fort. Hast du etwas Geld?«

Sebastian war überrascht. Er überlegt kurz.

»Franziska, ich habe etwas Geld gespart. Auf dem Treuhandkonto, auf dem die Pachterträge des Bichler Hofes liegen, ist eine schöne Summe. Du kannst bald genauso darüber verfügen wie ich. Aber warum gefällt es dir in Waldkogel nicht mehr? Es ist unsere Heimat. Wir sind hier aufgewachsen. Unser Hof ist hier. Unsere Eltern sind hier beerdigt.«

»Waldkogel ist unsere Heimat, aber nicht die Berghütte!«, stieß Franziska heftig hervor.

Sebastian hörte Bitternis in ihrer Stimme.

Langsam wurde Franziska lebhaft.

»Ich habe es mir genau überlegt. Ich werde mir einen Anwalt nehmen, gleich nach meiner Volljährigkeit, und ihn bitten, meine Adoption rückgängig zu machen. Ich will nicht mehr Baumberger heißen. Dir empfehle ich das auch. Und rechne nicht damit, dass du einmal Tonis Nachfolge auf der Berghütte antreten kannst. Du wirst nur ausgenutzt. Die Berghütte übernimmt später mal jemand ganz anderes, das weiß ich genau.«

Franziskas Worte überraschten Sebastian sehr. Er konnte sich darauf keinen Reim machen.

»Wie kommst du darauf? Ich habe mit Toni und Anna alles geregelt. Im nächsten Sommer arbeite ich als feste Kraft auf der Berghütte. Später machen sie mich zum Teilhaber. Und wenn sie sich aufs Altenteil zurückziehen, werde ich der Hüttenwirt.«

»Vergiss es, Sebastian! Blut ist dicker als Wasser. Wir sind nur Adoptivkinder.«

»Franziska, ich verstehe dich nicht. Was redest du da für einen Unsinn? Sicher, Tonis Neffe Roman, der Bub seiner Schwester, interessiert sich ebenfalls für die Gastronomie. Das hat er mir gesagt. Aber er wird sein Abitur machen, ein Jahr ins Ausland gehen und dann studieren wie sein Vater. Außerdem steht Roman Toni und Anna nicht so nahe wie wir. Das weiß ich bestimmt.«

»Roman? Ich rede nicht von Roman. Es geht um Wendy«, schrie Franziska ihren Bruder an.

»Wendy Hansen? Die Wendy, die bei Hilda und Wenzel auf der Oberländer Alm ist?«

»Genau!«, sagte Franziska laut und deutlich.

Sebastian rieb sich die Stirn.

»Gell, da staunst du?«

»Franziska, ich staune nicht, ich verstehe dich nicht. Was hast du dir da bloß zusammenphantasiert?«

»Sebastian, ich habe mir nichts zusammengereimt. Ich habe es gehört. Toni und Anna waren beim ›Erkerchen‹. Sie hatten einen schlimmen Streit. Anna war sehr ärgerlich. Sie warf Toni vor, ihr viele Wochen verschwiegen zu haben, dass Wendy sein Madl ist.«

»Sein Madl? Tonis Freundin? Naa, das glaube ich net.«

»So meine ich das nicht. Ich meine Madl im Sinne von Tochter, verstehst du?«

Sebastian schaute Franziska mit großen Augen an. »Du musst du etwas missverstanden haben.«

»Das habe ich nicht! Ich weiß, was ich gehört habe! Wendys Mutter hieß Jette. Sie ist gestorben. Wie, das weiß ich nicht. Toni wusste es auch nicht. Jedenfalls war diese Jette sein Herzensmadl, während er als junger Bursche in Norwegen Urlaub machte. Damals muss er so alt gewesen sein wie du jetzt. Und Wendy Hansen ist das Ergebnis dieser Liebe. Kapierst du?«

»Das glaube ich nicht. Toni soll ein Kind haben? Wendy soll seine Tochter sein?«

Sebastians Stimme klang unsicher.

»So ist es. Und das ist der Grund, warum Wendy nach einer Arbeit in Waldkogel oder Umgebung gesucht hat. Es passt zusammen. Und bedenke, wie verdreht, nervös, unleidlich und gestresst Toni in den letzten Wochen war. Genauer gesagt, seit Wendy hier ist.«

»Mm«, brummte Sebastian.

Er umfasste das Lenkrad und trommelte mit beiden Daumen darauf. In seinem Inneren tobte ein Sturm. Sich widersprechende Gefühle rissen ihn hin und her.

»Mm, so gesehen, könnte natürlich etwas dran sein, aber ich kann mir das nicht vorstellen. Es muss ein Irrtum sein.«

Jetzt wurde Franziska wütend.

»Sebastian, die Sache ist ernst! Glaubst du, ich bin so verrückt, mir diese Geschichte aus den Fingern zu saugen? Ich weiß, was ich gehört habe.«

»Ja, ja, ich glaube dir ja, Franziska. Trotzdem kann ich es nicht fassen. Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Das würde bedeuten, dass wir eine ältere Schwester haben.«

Franziska lachte laut. Es klang höhnisch.

»Sebastian, komme zu dir! Das heißt, dass wir Kinder zweiter Ordnung sind. Sicher, Anna ist nicht Wendys Mutter, aber Toni ist der Vater und damit kommt Wendy an erster Stelle. Darüber mache ich mir keine Illusionen. Du weißt, dass sich Toni und Anna eigene Kinder gewünscht haben.«

»Das stimmt. Aber dann haben sie uns adoptiert und waren glücklich. Sie haben uns doch nie spüren lassen, dass sie uns nur adoptiert haben.«

Wendy seufzte.

»Okay, das muss ich zugeben, Sebastian. Aber das wird sich jetzt alles ändern. Erstens ist Wendy älter als wir. Zweitens ist sie Tonis leibliches Kind. Begreife doch, Sebastian! Toni braucht uns nicht mehr. Er braucht dich nicht mehr.«

Franziska schenkte den Rest Kaffee aus der Thermoskanne in den Becher. Die Geschwister tranken abwechselnd, bis der Becher leer war. Sie schwiegen dabei. Jeder hing seinen Gedanken nach.

»Also, wenn es wirklich so ist, wie du es sagst, dann verstehe ich, dass es ein großer Schock für dich war«, durchbrach Sebastian die Stille.

»War und ist, Sebastian! Es ist alles so ungerecht. Erst kommen unsere Eltern bei dem Bergrutsch am ›Höllentor‹ ums Leben. Okay, Toni und Anna haben uns vor dem Waisenhaus bewahrt, und wir wollten auch von ihnen adoptiert werden. Es passte, sie waren lieb zu uns. Sie hatten keine Kinder und wir keine Eltern mehr. Aber jetzt gibt es Wendy.«

»Und das hat Toni Anna beim ›Erkerchen‹ gebeichtet?«

»Ja, sie müssen schon eine Weile dort gewesen sein, als ich kam.«

»Haben sie dich bemerkt?«

»Nein! Ich habe mich versteckt und gelauscht.«

»Der Himmel stehe uns bei! Erinnere dich bitte, Franziska. Erzähl´s mir, Wort für Wort. Ich will alles ganz genau wissen.«

Franziska berichtete ihrem Bruder. Dabei liefen ihr wieder die Tränen über das Gesicht.

»Nun, was sagst du dazu?«, fragte Franziska, als sie damit geendet hatte.

»Lass mich einen Augenblick nachdenken«, sagte Sebastian.

Franziska wartete.

»Also, Anna hat Toni aufgefordert, die Sache zu klären. Das heißt, es ist nicht einhundertprozentig sicher«, fasste Sebastian zusammen.

Er nahm die Hand seiner Schwester.

»Franziska, egal was passiert, wir werden zusammenhalten. Ich verstehe dich. Ich gebe dir sogar Recht, wenn du denkst, es könnte sich manches ändern. Sollte es so sein, dann ist es so. Dann müssen wir uns damit abfinden. Weißt du, es ist oder wäre nicht schlimm für mich, wenn Wendy, als Tonis Tochter, als seine Erstgeborene, die Berghütte … du weißt schon …«

Seine Stimme war leiser geworden und er war ins Stottern gekommen.

»Das ist doch nur materielles Zeug«, sagte er leise.

«Aber der Gedanke schmerzt mich. Es ist so, als würden wir Toni und Anna verlieren«, sagte Franziska.

Sebastian nickte und fügte fast flüsternd hinzu: »Die Gefahr besteht, da muss ich dir Recht geben. Aber wir haben uns, Franziska, und wir haben unsere eigentliche Heimat, den Bichler Hof.«

»Ich will nicht mehr zur Berghütte zurück, Sebastian. Ich fühle mich jetzt schon wie das fünfte Rad am Wagen.«

Sebastian rückte etwas zu Franziska hin und legte den Arm um ihre Schultern. Er lächelte sie an.

»Das ist übertrieben. Ich zweifele nicht an, dass du es so fühlst. Das ist der Schock. Es wird sich alles klären, Franziska. Ich mache dir einen Vorschlag. Du bleibst bei mir und schläfst dich aus. Lukas kann allein zurückfahren. Er hat gesagt, dass du ihm nicht verraten hast, was passiert ist.«

Franziska nickte.

»Meinst du, er sollte es wissen?«

Sebastian seufzte.

»Lukas ist dein Freund. Er mag dich. Irgendwann solltest du mit ihm sprechen.«

»Wo ist er?«

»Er wartet im Foyer. Aber jetzt ist nicht der geeignete Augenblick, mit ihm darüber zu sprechen. Zuerst müssen wir mit Toni und Anna reden.«

»Du vielleicht, Sebastian, ich nicht. Nächste Woche habe ich Geburtstag. Dann ziehe ich aus. Wenn du auf die Berghütte gehst, kannst du mir meine Sachen holen? Ich bleibe auf dem Bichler Hof. Ich rede mit Simon und Eva. Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich es mir im Altenteil gemütlich mache. Allerdings müssen wir ihnen dann eine Ermäßigung der Pacht gewähren. Kannst du mit ihnen darüber sprechen?«

»Das kann ich«, sagte Sebastian.

Er wollte Franziska nicht widersprechen, da sie immer noch sehr aufgewühlt war.

Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Sebastian: »Es wird schon hell, Franziska. Ich bringe dich in mein Zimmer. Dann schicke ich Lukas heim.«

Franziska nickte.

»Lukas wird dich fragen, was los war.«

»Das wird er.«

»Und was sagst du?«

»Die Wahrheit, was sonst.«

Franziska riss die Augen auf. »Das will ich nicht!«

»Franziska, die Wahrheit ist, dass es Streit gab, Familienärger, verstehst? Glaubst du, Lukas streitet nicht mit seinen Eltern?«

Da huschte ein Lächeln über Franziskas Gesicht.

»Oh doch! Lukas und sein Vater hatten sich wochenlang gestritten, weil Lukas diese Schweinezucht anfangen wollte. Sein Vater erklärte ihm, dass das nicht infrage käme. Er sagte, diese exotischen Viecher kämen ihm nicht auf den Hof. Außerdem würde Lukas im Herbst nach München zum Studieren gehen. Dann hätte er keine Zeit, sich darum zu kümmern, da er nur an den Wochenenden kommen könnte. Aber dann haben sie sich doch geeinigt. Am Anfang hat Simon Lukas' neue Ideen nur geduldet. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass er Lukas gern scheitern sähe. Aber dann wurde alles anders, und jetzt ist Simon Meininger sehr stolz auf Lukas.«