Eine harte Prüfung für Valentine - Friederike von Buchner - E-Book

Eine harte Prüfung für Valentine E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Die beliebte Schriftstellerin Friederike von Buchner hat mit dieser Idee ein Meisterwerk geschaffen: Die Sehnsucht des modernen Großstadtbewohners nach der anderen, der ursprünglichen Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und bodenständiger Natur bildet Kern und Botschaft dieser unvergleichlichen Romanserie. Liebe und Gefühle, nach Heimat und bodenständiger Natur bildet Kern und Botschaft dieser unvergleichlichen Romanserie. Es war ein heißer Sommertag in den Bergen gewesen. Toni war mit seiner Frau Anna und den Kindern Franziska und Sebastian zum Einkaufen nach Kirchwalden gefahren. Auf dem Rückweg besuchten sie Tonis Eltern, Meta und Xaver Baumberger, die in Waldkogel ein Wirtshaus mit einer Pension betrieben. Sie aßen dort zu Abend. Die Hitze hielt die Menschen in den Häusern. Die Wirtsstube ›Beim Baumberger‹ war leer. So saßen Toni, Anna und Tonis Eltern am Tisch und redeten. Dazu hatten sie sonst wenig Zeit. Toni und Anna wohnten und arbeiteten ja oben auf der Berghütte und Tonis Eltern unten in Waldkogel. Außerdem war den ganzen Sommer über immer viel zu tun. Im Herbst wurde es ruhiger, bis zum Winter hin der erste Schnee fiel und die Skifahrer Waldkogel bevölkerten. Zum Glück konnte sich Bürgermeister Fritz Fellbacher im Gemeinderat von Waldkogel immer durchsetzen. Er wollte keine Seilbahn und keinen Schlepplift in Waldkogel haben. Fritz Fellbacher war der Meinung, daß das nur die Berge verschandele und die falschen Bergliebhaber nach Waldkogel bringen würde. Trotzdem bemühten sich die Waldkogeler, auch im Winter ihren Besuchern viel zu bieten: zum Beispiel Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Bergsee, Eisstockschießen oder Ausfahrten mit dem Pferdeschlitten. Besonders beliebt waren Mondscheintouren durch die verschneiten Wälder rund um Waldkogel. »Toni, so verträumt? Was grübelst du?« fragte Anna. »Entschuldige, ich war ganz in Gedanken.

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Toni der Hüttenwirt Classic – 48 –

Eine harte Prüfung für Valentine

Nutze die zweite Chance!

Friederike von Buchner

Es war ein heißer Sommertag in den Bergen gewesen. Toni war mit seiner Frau Anna und den Kindern Franziska und Sebastian zum Einkaufen nach Kirchwalden gefahren. Auf dem Rückweg besuchten sie Tonis Eltern, Meta und Xaver Baumberger, die in Waldkogel ein Wirtshaus mit einer Pension betrieben. Sie aßen dort zu Abend.

Die Hitze hielt die Menschen in den Häusern. Die Wirtsstube ›Beim Baumberger‹ war leer. So saßen Toni, Anna und Tonis Eltern am Tisch und redeten. Dazu hatten sie sonst wenig Zeit. Toni und Anna wohnten und arbeiteten ja oben auf der Berghütte und Tonis Eltern unten in Waldkogel. Außerdem war den ganzen Sommer über immer viel zu tun. Im Herbst wurde es ruhiger, bis zum Winter hin der erste Schnee fiel und die Skifahrer Waldkogel bevölkerten.

Zum Glück konnte sich Bürgermeister Fritz Fellbacher im Gemeinderat von Waldkogel immer durchsetzen. Er wollte keine Seilbahn und keinen Schlepplift in Waldkogel haben.

Fritz Fellbacher war der Meinung, daß das nur die Berge verschandele und die falschen Bergliebhaber nach Waldkogel bringen würde.

Trotzdem bemühten sich die Waldkogeler, auch im Winter ihren Besuchern viel zu bieten: zum Beispiel Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Bergsee, Eisstockschießen oder Ausfahrten mit dem Pferdeschlitten. Besonders beliebt waren Mondscheintouren durch die verschneiten Wälder rund um Waldkogel.

»Toni, so verträumt? Was grübelst du?« fragte Anna.

»Entschuldige, ich war ganz in Gedanken. Des heiße Wetter, des läßt mich vom Winter träumen.«

»Der kommt schneller als man denkt«, sagte Tonis Vater. »Des Wetter ist wirklich schon seit Wochen schlimm. Alles ist so trocken. Schönes Wetter zum Heumachen, des ist gut, doch jetzt haben wir des reinste Wüstenklima.«

»Des stimmt«, rief Basti vom Nebentisch hinüber.

Dort saß er mit seiner Schwester. Sie lasen in den neuen Büchern, die Toni und Anna ihnen in der Stadt gekauft hatten.

»Toni, ich hab’ gehört, daß einige Bauern im Nachbartal Kamele angeschafft haben. Die bieten jetzt Kamelausritte an. Toni, des wäre doch was. Wenn’s jetzt so warm bleibt, dann werden die Kamele net krank. Wir könnten auf der Oberländer Alm eine Kamelstation eröffnen. Die Tiere brächten dann die Leut’ zu uns auf die Berghütte. Wir nennen des dann ›BB-Kamel-Shuttle-Service‹.«

»Basti, was hast du für Ideen!« lachte Toni.

»Da sieht man, daß der Bub älter wird und sich Gedanken macht, Toni! Weißt nimmer, wie des bei dir in dem Alter war?«

Toni lachte.

Er erzählte Anna, daß er nach einem Besuch in einem Selbstbedienungslokal in Kirchwalden der Meinung war, seine Eltern sollten das in ihrem Wirtshaus auch so machen.

»Toni, des mit dem ›Kamel-Shuttle-Service‹, also des kapier’ ich. Aber was heißt denn ›BB‹?«

»Mei, Großmutter Meta! Kannst dir des net denken? Des heißt Baumberger-Bichler! Ich arbeite natürlich mit! Du doch auch, Franzi?«

Franziska Bichler schaute kurz von ihrem Mädchenbuch auf und blickte ihren Bruder an.

»Basti, ich denke, daß du deppert bist! Du liest zu viele Abenteuerbücher. Kamele in Waldkogel? Schmarrn!«

Dann las sie weiter. Ihr Bruder grinste nur.

»Davon verstehst du nichts, Franzi! Des ist Männersache!«

Die kleine Franziska Bichler ließ sich von ihrem Bruder nicht weiter beim Lesen stören. Dazu war das Buch zu spannend.

»Nun, ihr beide! Packt zusammen! Wir brechen auf! Wir wollen vor Einbruch der Nacht noch oben auf der Berghütte sein.«

Gehorsam packten Franziska und Sebastian die Bücher in ihre Rucksäcke. Der Abschied von den Großeltern dauerte dann doch noch etwas länger. Meta holte noch allerlei Leckerbissen aus der Vorratskammer, die sie ihnen mitgeben wollte.

Doch binnen Minuten verfinsterte sich der Himmel. Eine kalte Böe fegte durch Waldkogel. Die geöffneten Fensterflügel der Wirtsstube schlugen hin und her.

»Toni, hilf mir die Fenster zu schließen! Die Läden machen wir auch gleich zu! Das ist ein Wettersturz!« rief Tonis Vater.

Anna, ihre Schwiegermutter und die Bichler Kinder liefen durch das Haus und schlossen alle Fenster.

Die ersten Blitze gingen nieder. Dann brach der Sturm los. Die Gewitterwolken waren urplötzlich über die Berge gekommen und entluden sich genau über Waldkogel. Zwischen den Blitzen war es dunkel wie in der tiefsten Nacht.

Toni und sein Vater kamen wieder herein, sie hatten auch noch die Türen an den Nebengebäuden gesichert. Alles, was der Sturm vor sich hertreiben konnte, hatten sie in Sicherheit gebracht. Sie waren naß bis auf die Haut.

Toni ging auf das Zimmer, das Anna und er immer noch bei den Eltern hatten und zog sich um. Es dauerte nicht lange, dann kam er wieder herunter. Die Bichler Kinder saßen wieder am Tisch und lasen. Das Licht flackerte und ging sogar manchmal kurz aus. Basti schimpfte: »Immer, wenn es spannend wird, muß des Licht ausgehen!«

»Deine Sorgen möcht’ ich haben, Basti!« belehrte ihn Toni. »Des ist ein gewaltiger Sturm, wie wir ihn schon lange nimmer hatten.« Toni griff zum Handy. Er rief auf der Berghütte an. Der alte Alois war alleine oben. Sie sprachen nur kurz miteinander. Dann riß die Verbindung ab.

»Oben ist nix, Anna, sagt der Alois. Die Wolken hängen tiefer. Es schaut aber von oben auch net gut aus. Der Alois meint, des wird nix mehr mit dem Aufstieg heute abend, wir sollen hier bleiben.«

»Das ist wohl das Beste! Da richte ich schon mal die Betten für die Kinder!« Meta Baumberger stand auf und ging die Stiege hinauf, die in der Nähe des Tresens nach oben führte.

Das Licht flackerte und blieb ganz aus. Toni und sein Vater holten Lampen.

So vergingen die nächsten Stunden. Es blitzte und donnerte, als wollte sich der Weltuntergang ankündigen. Der Donner hallte zwischen den Bergmassiven wider und wurde noch verstärkt. Der Regen prasselte immer schlimmer hernieder. Es waren keine einzelnen Tropfen mehr. Es war eine Wand aus Wasser und Hagel, so groß wie Taubeneier. Der Hagel türmte sich binnen Minuten bis zu zehn Zentimeter auf.

Meta Baumberger ging in die Küche und holte die schwarze Gewitterkerze aus dem Schrank. Anna half ihr, sie auf einem der breiten Fensterbrettern aufzustellen. Meta Baumberger murmelte ein Gebet. Alle bekreuzigten sich.

Sebastian und Franziska legte die Bücher fort und setzten sich zu den Erwachsenen an den Tisch. Ihnen war bange.

»Wird uns schon nix passieren, Franzi. Wir sind hier sicher! Oben auf der Berghütte ist schönes Wetter. Da wird nix geschehen.«

Toni zog die zehnjährige Franzi auf seinen Schoß. Er spürte, wie das Mädchen leicht zitterte.

»Mußt keine Angst haben, Franzi!« versuchte er sie zu trösten.

Tonis Mutter ging in die Küche und kochte den beiden Kindern einen Becher heißen Kakao. Das Unwetter hielt zwei Stunden an. Dann ließ es langsam nach und es wurde auch wieder heller. Es gab auch wieder Elektrizität und Licht.

Sie öffneten die Fensterläden und schauten hinaus. Der Abendhimmel leuchtete südlich von Waldkogel über den Bergen schon wieder hell. Die ersten Sonnenstrahlen der rotgoldenen Abendsonne drangen durch die Lücken in der Wolkendecke.

»So, jetzt müßt ihr nimmer Angst haben! Gute Nacht! Ins Bett mit euch!«

»Ich hatte keine Angst, Toni!« protestierte Sebastian.

Anna brachte die beiden Bichler Kinder hinauf. Es dauerte eine Weile, bis sie wiederkam.

»Ich bin noch etwas bei Franzi am Bett gesessen, bis sie eingeschlafen war. Ich denke, sie hatte große Angst.«

»Vor einem Sturm muß man keine Angst haben. Ich werde mit der Franzi reden, Anna!«

Anna gab Toni zu bedenken, daß der Grund für Franziskas Angst wohl tiefer liege. Die beiden Bichler Kinder hatten bei einem Erdrutsch ihre Eltern verloren. Später hatten sie bei Toni und Anna ein neues Zuhause gefunden, aber alles, was bedrohlich war, machte der kleinen Franziska Angst. Sie fürchtete einfach, durch ein weiteres Unglück wieder eine Heimat zu verlieren.

Der schwere Regen hörte auf. Sie konnten aufatmen, das Unwetter war überstanden.

*

Toni Baumberger und sein Vater gingen vor das Haus und schauten sich um. Sie suchten nach Sturmschäden. Doch Haus und Hof waren verschont geblieben.

»Dem Himmel sei Dank!« sagte Xaver Baumberger leise.

»Toni! Xaver! Es brennt!« schrie Meta in dem Moment aus einem der oberen Fenster.

Sie deutete wild gestikulierend in eine Richtung.

»Des muß der Kronberger Hof sein! Warum läutet denn dort niemand die Feuerglocke? Himmel! Herrgott! Hoffentlich ist da nix passiert!«

Jeder der abgelegenen Höfe rund um Waldkogel verfügte noch über eine alte Feuerglocke. Das war eine sinnvolle Einrichtung, wie der Stromausfall gezeigt hatte. Brannte es, so verbreitete die Feuerglocke die Nachricht weit über Tal und Berge. Sie rief Hilfe herbei.

Toni griff zum Handy. Es funktionierte wieder. Er alarmierte die Feuerwehr.

»Am besten, wir fahren auch hin!« rief Toni.

Sie besprachen sich kurz. Tonis Mutter blieb daheim bei den Kindern. Toni, sein Vater und Anna sprangen in Tonis Geländewagen und fuhren los. Der Hagel auf der Straße knirschte unter den breiten Reifen.

Unterwegs mußte Toni an den Straßenrand fahren und die Freiwillige Feuerwehr von Waldkogel vorbeilassen. Danach reihte er sich in eine Kolonne von Geländefahrzeugen ein, die alle den beiden Feuerwehrautos folgten. Fast von jedem Hof in Waldkogel war ein Fahrzeug dabei. In Waldkogel hielt man zusammen, jeder war bereit, zu helfen.

Das große schwere Feuerwehrauto hatte Mühe, den steilen Weg am Hang zum Kronberger Hof hinaufzukommen. Regen und Hagel hatten den Weg fast unpassierbar für das große schwere Fahrzeug gemacht. Die freiwilligen Helfer fuhren über die Wiese.

Als sie beim Hof ankamen, sahen sie sofort, daß kaum noch etwas zu retten war. Das Wohnhaus, die angrenzende Scheune und die Stallungen standen in Flammen. Das Dach war zum Teil schon eingestürzt.

»Wo ist der Bauer? Wo ist die Tine?« fragten alle durcheinander und schauten sich um. Sie suchten.

Toni kam auf die Idee, in dem etwas abgelegenen Heuschober unterhalb des Hofes auf der Wiese nachzusehen. Zusammen mit Anna und seinem Vater rutschten sie mehr die nassen Wiesen hinab, als sie gehen konnten. Unterwegs fanden sie einen Frauenschuh. Anna hob ihn auf. Er war naß. Einige Meter weiter fanden sie den anderen Schuh.

Der Heuschober war ein zweistöckiges Gebäude aus Balken, außen mit groben Brettern verschalt. Das Dach war weit heruntergezogen. Dort lagerten die Bauern zusätzlich Heu. Gleichzeitig bot es dem Vieh auf der Weide Schutz.

Toni und sein Vater sahen sofort, daß das große Tor von innen verriegelt war. Ein Blick zwischen den Männern genügte und sie traten gemeinsam mit großer Wucht gegen die Tür.

Einmal!

Zweimal!

Dann gab der Riegel innen nach und sie konnten das Tor aufdrücken. Eine Kuh, ein Schwein, eine Ziege und zwei Hühner drängten ins Freie.

»Bauer? Bauer, bist hier?« rief Xaver Baumberger. »Kronberger, antworte!«

Kein Antwort.

»Tine! Valentine! Wo bist du?« rief Toni.

Es war dunkel. Sie sahen in dem großen Raum kaum etwas. Toni ging nach draußen und rief um Hilfe.

»Bring einer mal eine Lampe runter! Wir brauchen hier Licht!«

Ein Nachbar kam mit einer großen Stablampe. Systematisch leuchteten sie zuerst die Deckenbalken ab.

»Nichts!«

Der Nachbar kletterte die Leiter hinauf auf den Heuboden.

»Hier ist auch niemand!«

Er kam wieder runter.

»Himmelsherrgott! Es muß aber jemand da sein! Ein Tor verschließt sich net von alleine von innen! Des ist net nur ins Schloß gefallen, der Riegel wurde innen vorgeschoben. Es muß jemand da sein!« sagte Toni erregt.

Er griff nach der Stablampe und begann den ebenerdigem Raum zu untersuchen. Dabei kletterte er auf die in der Mitte aufgeschichteten Heuballen. Der Lichtkegel der Stablampe kreiste.

»Da!« schrie Toni.

In der hintersten Ecke des Heuschobers hockte eine Frauengestalt. Toni sprang von den Ballen herunter. Alle stürzten hin.

In der Ecke saß zusammengekauert Valentine Kronberger. Sie war völlig durchnäßt und trug keine Schuhe. Ihre Augen starrten ins Leere. Sie war leichenblaß und zitterte am ganzen Körper. Entsetzen stand den Helfern ins Gesicht geschrieben.

»Laßt mich das machen!« flüsterte Anna leise. »Holt ihr eine Trage!«

Anna kniete sich neben Valentine auf den Boden. Sie sprach sie leise an und streichelte ihr die Wange. Anna fuhr ihr über das nasse lange Haar. Dann legteg sie ihr ihr eigenes Schultertuch um die Schultern.

»Tine! Tine hörst du mich? Ich bin’s, die Anna Baumberger! Die Anna, die Frau vom Toni! Die Anna von der Berghütte!«

Langsam, ganz langsam löste sich Valentine aus ihrer Erstarrung. Es war, als käme sie aus einer anderen Welt zurück. Die Bäuerin schaute Anna in die Augen. Dann füllten sich diese mit Tränen. In einem Weinkrampf brach die Frau zusammen. Anna nahm sie in den Arm und redete beruhigend auf sie ein. Wie ein Kind hielt Anna sie fest.

Bald kam Toni mit einer Trage zurück. Er hatte seinen Freund Dr. Martin Engler, den Hausarzt der Waldkogeler, mitgebracht. Martin kniete neben Tine nieder. Ihm genügte ein Blick. Er öffnete seinen Arztkoffer und zog eine Spritze auf. Die gab er Valentine in den Oberarm. Bald wurde sie ruhiger.

Nach einer Weile hörte sie auf zu schluchzen. Mit schweren Lidern lag sie still in Annas Armen.

»Tut dir was weh, Tine? Hast Schmerzen?« fragte Martin.

Nach einigen Sekunden schüttelte Valentine Kronberger den Kopf. Dann versuchte sie, sich aufzurichten. Anna und der Doktor halfen ihr. Sie legten sie auf die Trage, die Tonis Vater und der Nachbar bereithielten. Sie breiteten die Decken über ihr aus.

»Was ist mit dem Vieh?«

Das waren die ersten Worten, die Valentine hervorbrachte.

»Den Tieren, die hier im Stall waren, geht es gut. Sie sind draußen.«

Valentine schloß die Augen und seufzte.

»Des ist alles, war mir geblieben ist!«

Dann füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen.

»Sie muß ins Bett – irgendwo – oder nach Kirchwalden ins Krankenhaus«, sagte Dr. Martin Engler.

Pfarrer Zandler, der Geistliche von Waldkogel, war dazugekommen.

»Bringt sie ins Pfarrhaus! Die Helene und ich werden uns um sie kümmern. Seelischen Beistand braucht sie ohnehin, des arme, arme Menschenkind!«

Alle nickten dem Pfarrer zu. Das war eine gute Lösung. Gemeinsam trugen sie Valentine Kronberger den Hang hinauf und schoben die Trage in den großen Geländewagen des Doktors. Pfarrer Zandler stieg vorne dazu. Anna kauerte sich hinten neben Tine.

Es war gut, daß das Medikament jetzt voll wirkte. Valentine bekam nichts mit. Der Hof brannte ab. Die Feuerwehr konnte nichts mehr retten. Sie hatten aufgehört zu löschen und sicherten nur die Brandstelle.

»Fellbacher, ist der Bauer schon gefunden?« fragte Toni leise.

Der Bürgermeister zuckte mit den Schultern.

»Naa, bis jetzt net!«

Die Männer schauten sich ernst an.

Das Feuer ließ nach einer Stunde nach. Die Feuerwehr löschte mit einem letzten Wasserschwall die Flammen, die noch einzeln züngelten. Den Kronberger Hof gab es nicht mehr. Es war nur Schutt und Asche übrig geblieben. Der gemauerte Kamin stand wie ein Mahnmal mittendrin und streckte sich wie ein Finger in den Abendhimmel. Dann krachte er in sich zusammen.

Der Leiter der Feuerwehr kam auf den Bürgermeister zu.

»Wir haben einen Leichnam gefunden! Ich habe schon angerufen. Er muß gerichtsmedizinisch untersucht werden. Die Kripo kommt auch mit.«

»Müßt ihr wegen eines Blitzeinschlags so ein Aufhebens machen! Nun laß die Kirche im Dorf. Die arme Tine leidet schon genug!«

Der Leiter der Feuerwehr schaute dem Bürgermeister tief in die Augen.

»Wir alle von der Feuerwehr sind keine Sachverständigen, aber wir verstehen unser Handwerk. Fellbacher, so ein Feuer kann net von einem Blitzeinschlag kommen – oder nur von einem Blitzeinschlag! Des muß ich melden!«

Bürgermeister Fellbacher nickte nur. Wirklich überrascht war er nicht. Er hatte sich dazu auch schon seinen Teil gedacht. Bei einem Blitz­einschlag gab es einen Hauptfeuerherd, von dem sich das Feuer ausbreitete. Doch hier hatten die Flammen auf voller Breite verteilt gebrannt. Das war nur so, wenn Brandbeschleuniger verteilt worden waren.

Die Feuerwehr rollte die Schläuche ein. Die Männer waren schweigsam und bedrückt. Die Gerichtsmediziner kamen und bargen die Überreste einer Person. Gewolf Irminger und der Bürgermeister machten Angaben zum Hergang und den Personen, die auf dem Kronberger Hof daheim gewesen waren. Bürgermeister Fellbacher bat, Valentine erst nach Rücksprache mit Dr. Engler zu vernehmen. Das wurde ihm zugesichert.

Der Bürgermeister sorgte auch dafür, daß man sich um das Vieh kümmerte. Einige Bauern teilten die Tiere unter sich auf und nahmen sie mit auf ihre Höfe.

Die Sonne war hinter den Berggipfeln versunken, als alle nach Waldkogel aufbrachen. Xaver Baumberger lud die Helfer auf ein Bier und einen Schnaps ein, den sich alle verdient hatten. So setzte sich die Autokolonne in Bewegung.

*

Es war lange nach Mitternacht, als sich die Männer trennten und heimgingen. Alle waren aufgewühlt von dem Erlebten. Sie saßen ›Beim Baumberger‹ zusammen und redeten über den Brand. Es gab nur drei Fragen, die immer und immer wieder erörtert wurden.

War es Brandstiftung oder Blitz-einschlag?

Wo war der Adam Kronberger, der Bauer?

Ist er das Opfer?