Was kann Julian denn dafür? - Friederike von Buchner - E-Book

Was kann Julian denn dafür? E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Die beliebte Schriftstellerin Friederike von Buchner hat mit dieser Idee ein Meisterwerk geschaffen: Die Sehnsucht des modernen Großstadtbewohners nach der anderen, der ursprünglichen Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und bodenständiger Natur bildet Kern und Botschaft dieser unvergleichlichen Romanserie. Liebe und Gefühle, nach Heimat und bodenständiger Natur bildet Kern und Botschaft dieser unvergleichlichen Romanserie. Die kleine Franziska Bichler betrat die Küche durch die Hintertür. »Grüß dich, Franzi! Wie war's in der Schule! Bist alleine? Wo ist der Basti?« Franzi setzte sich an den Küchentisch. Sie nahm ihren Schulranzen nicht ab. Meta Baumberger hielt in ihrer Arbeit inne. Sie stellte die Pfanne mit den Rösti zur Seite und sah die kleine Franziska prüfend an. Das Mädchen, das zusammen mit ihrem Bruder bei Toni auf der Berghütte lebte, war ihr wie ein eigenes Enkelkind ans Herz gewachsen. »Hast Ärger gehabt in der Schule? Hast eine schlechte Note bekommen?« »Naa, Großmutter Meta!« Meta Baumberger ging einen Augenblick hinaus zu ihrem Mann. Xaver stand hinter dem Tresen und zapfte ein Bier. Die Wirtsstube des Wirtshauses und der Pension Baumberger war voll. »Mit der Franzi stimmt was net! Des Madl ist so seltsam. Du, ich glaube, des hat einen Kummer! Kannst du mich einen Augenblick in der Küche ablösen?«

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Toni der Hüttenwirt Classic – 50 –

Was kann Julian denn dafür?

Ein kleiner Junge sehnt sich so sehr nach einer Familie

Friederike von Buchner

Die kleine Franziska Bichler betrat die Küche durch die Hintertür.

»Grüß dich, Franzi! Wie war’s in der Schule! Bist alleine? Wo ist der Basti?«

Franzi setzte sich an den Küchentisch. Sie nahm ihren Schulranzen nicht ab.

Meta Baumberger hielt in ihrer Arbeit inne. Sie stellte die Pfanne mit den Rösti zur Seite und sah die kleine Franziska prüfend an. Das Mädchen, das zusammen mit ihrem Bruder bei Toni auf der Berghütte lebte, war ihr wie ein eigenes Enkelkind ans Herz gewachsen.

»Hast Ärger gehabt in der Schule? Hast eine schlechte Note bekommen?«

»Naa, Großmutter Meta!«

Meta Baumberger ging einen Augenblick hinaus zu ihrem Mann. Xaver stand hinter dem Tresen und zapfte ein Bier. Die Wirtsstube des Wirtshauses und der Pension Baumberger war voll.

»Mit der Franzi stimmt was net! Des Madl ist so seltsam. Du, ich glaube, des hat einen Kummer! Kannst du mich einen Augenblick in der Küche ablösen?«

»Des geht schon, Meta! Die meisten Gäste haben ihr Essen schon. Nur der Tisch dahinten wartet noch!«

Während Xaver sich um Rösti, Würstl und Sauerkraut kümmerte, setzte sich Meta Baumberger zu Franzi an den Tisch.

»Magst einen Schokoladenpudding?«

»Naa, ich hab’ keinen Hunger!«

»Mei, keinen Schokoladenpudding? Madl, du wirst doch net krank werden?«

Meta Baumberger legte ihre Hand auf die Stirn des Kindes.

»Fieber scheinst net zu haben.«

Meta legte den Arm um Franziska.

»So, Madl! Jetzt sagst mir, was los ist. Dich bedrückt doch etwas!«

Franziska lehnte den Kopf an die Schulter von Meta Baumberger.

»Ich hab’ mich mit dem Basti gestritten!«

»Mei, des ist alles? Des ist net schlimm! Weißt, der Toni, der hat sich auch oft mit seiner Schwester gestritten. Wenn die Ria mal wieder zu Besuch kommt, dann mußt dir des mal von ihr erzählen lassen.«

Meta Baumberger dachte einen Augenblick mit Wehmut an ihre Tochter Maria, die liebevoll Ria gerufen wurde. Sie hatte in die Stadt geheiratet und lebte dort jetzt glücklich mit ihrer Familie. Sicherlich waren Meta und Xaver Baumberger froh, daß ihr Madl glücklich war. Aber leider sahen sie sie nicht oft.

»Wenn der Sebastian später kommt, soll ich dann mal mit ihm reden?«

»Der kommt net! Der ist schon auf dem Weg rauf zur Oberländer Alm. Er nimmt den Fußweg.«

»Was du net sagst? Da muß es aber schlimm gewesen sein. Du willst mir nicht erzählen, warum ihr euch gestritten habt?«

Franziska schüttelte den Kopf.

Xaver Baumberger hatte das Essen serviert und kam zurück in die Küche.

»Des wird schon wieder, Franzi! Willst net doch was essen?«

»Naa!«

Franzi stand auf.

»Ich gehe dann auch! Mußt mich net rauf zur Oberländer Alm fahren. Ich will auch laufen!«

Meta Baumberger und ihr Mann wechselten Blicke.

»Nun gut! Dann lauf, Franzi! Aber nimm dir aus der Keksdose noch ein paar Süßigkeiten als Wegzehrung mit.«

Jetzt huschte ein kurzes Lächeln über Franzis Gesicht.

Das Mädchen stopfte sich die Taschen voll. Es umarmte zum Abschied Meta und Xaver.

»Ihr dürft dem Toni und der Anna net verraten, daß wir uns gestritten haben. Bitte!«

»Naa, des machen wir net! Nun, lauf schon und grüß’ uns Basti!«

Franziska eilte davon. Meta und Xaver traten ans Fenster der Wirtsstube, von dem sie die ganze Straße überblicken konnten. Der Milchpfad, der hinauf zu Oberländer Alm führte, zweigte auf der anderen Straßenseite ab. Etwas weiter oben, kurz vor der erste Kurve, begann der Fußweg, der an den Almen vorbei bis ganz hinaufführte.

Xaver sah den sorgenvollen Blick seiner Frau.

»Mach’ dir keine Gedanken, Meta! Des wird wieder! Es sind eben Kinder. Du weißt doch, wie des beim Toni und der Ria war. In einem Augenblick haben sie sich gestritten und im nächsten wieder versöhnt. Am besten, wir halten uns da raus!«

Meta Baumberger nickte.

Trotzdem rief sie Toni auf der Berghütte an und erzählte ihm, was vorgefallen war. Toni beunruhigte es zunächst nicht. Er tröstete seine Mutter und versprach ihr, sie sofort anzurufen, wenn die beiden angekommen wären.

Auch Anna machte sich keine Gedanken.

»Im Grunde verstehen sich die beiden gut, Toni! Deine Mutter macht sich bestimmt unnötige Sorgen! Wir sollten uns in den Geschwisterstreit auch nicht übermäßig einmischen.«

Toni stimmte seiner Frau zu.

Endlich kamen Sebastian und Franziska über das Geröllfeld. Sie liefen einträchtig nebeneinander her. Toni und Anna standen auf der Terrasse.

»Schön, daß ihr da seid! Großmutter Meta hat angerufen.«

»Was hat sie gesagt?« fragte Franziska sofort.

»Nur, daß ihr nicht mit dem Auto zur Oberländer Alm gebracht werden wolltet und es somit länger dauert, bis ihr da seid.«

»Wir haben Wiesenblumen und Kräuter gesammelt für die Schule.«

Sebastian hielt Anna einen Strauß hin.

»Die lege ich jetzt in ein altes Telefonbuch und tue Steine drauf legen. Die Lehrerin hat gesagt, daß sie dann schön glatt werden.«

Toni rieb sich das Kinn.

»Wir haben aber hier kein altes Telefonbuch auf der Berghütte. Aber redet mal mit dem Alois. Der hat einige alte Bücher. Vielleicht könnt ihr die benutzen.«

Die Kinder nickten und gingen hinein.

Nach einiger Zeit kamen sie in die Küche. Anna hatte ihnen den Tisch gedeckt. Sie setzten sich.

»Willst du deine Sonnenbrille nicht abnehmen, Basti?«

»Naa! Sonnenbrillen sind modern!« brummte Sebastian.

Anna schmunzelte. Sebastian kommt in die Pubertät, da suchen Kinder ihren eigenen Stil, dachte sie. Anna entschied, nichts weiter zu sagen. Die Kinder aßen. Da sie nicht wie sonst bei Tonis Eltern zu Mittag gegessen hatten, waren sie sehr hungrig.

Anschließend verschwanden sie in ihren Zimmern. Sie wollten ihre Hausaufgaben machen.

»Die Kinder sind heute sehr still, Toni. Ich bin doch etwas beunruhigt.«

Toni nahm seine Anna liebevoll in den Arm. Er küßte sie.

»Anna, meine Anna! Du bist den beiden eine gute Mutter.«

»Und du ein guter Vater, auch wenn sie nicht unsere leiblichen Kinder sind. Es macht mich krank, wenn ich denke, daß sie etwas bedrückt.«

»Das verstehe ich, liebe Anna!«

Toni gab Anna noch einen Kuß.

»Du mußt dich nicht sorgen! Die beiden haben Vertrauen in uns. Wenn sie einen Kummer hätten, dann würden sie schon mit uns reden. Vielleicht wollen sie jetzt noch nicht darüber reden. Da ist es sinnlos, zu fragen. Ich erinnere mich noch gut, wie es bei mir und Ria gewesen ist. Basti und Franzi werden größer. Sie versuchen erst einmal alleine klarzukommen. Das ist doch gut.«

»Ja, sie werden größer! Basti spielt im Augenblick wohl den ganz Coolen, wie man modern sagt. Er läuft mit Sonnenbrille rum.«

Toni schmunzelte.

»Laß ihn! Diese Phase geht auch wieder vorbei.«

Toni und Anna widmeten sich wieder den Hüttengästen. Es war ein wunderschöner Sommertag. Es war in den Bergen nicht zu heiß, aber in der Höhe auch nicht zu kühl. Kurz, es herrschte ideales Wanderwetter.

Der Nachmittag verging. Es war schon früher Abend, als Toni und Anna auffiel, daß sich die Kinder nicht sehen ließen. Toni ging nachschauen. Die Zimmertüren standen offen. Mitten in dem kleinen Flur zwischen den beiden Türen hatte sich Bello niedergelassen. Zwischen den Pfoten des jungen Neufundländerrüden lag der rote Ball.

»Na, Bello! Wollen sie heut net mit dir spielen?«

Bello hob nicht den Kopf.

Toni ging in die Hocke und kraulte dem Hund das Fell.

»Mir scheint, du schmollst! Ist es langweilig für dich? Später muß ich noch mal runter zur Oberländer Alm. Bei dem Trubel verbraucht die Anna in der Küche mehr als sonst. Da kommst mit.«

Toni stieg über Bello hinweg, der sich keinen Millimeter bewegte.

»Nun, was ist? Hast so viel Hausaufgaben, Basti?«

Sebastian lag auf seinem Bett und las. Er schaute nicht auf.

»Die Aufgaben habe ich schon längst fertig! Sie liegen auf dem Tisch, wenn du sie mal nachsehen willst.«

»Des muß ich net! Ich weiß, daß du dir immer große Mühe gibst.«

Toni steckte seine Hände in die Hosentaschen und dachte nach. Er betrachtete Basti, wie er mit Sonnenbrille auf dem Bett lag und las.

»Ist des Buch spannend?«

»Ja!« kam die einsilbig Antwort.

Toni verstand, Sebastian wollte nicht gestört werden. Toni verweilte noch einen Augenblick, dann ging er hinaus. Er stieg wieder über Bello und betrat Franziskas Zimmer. Das Mädchen saß auf dem Fußboden und bürstete ihren kleinen Kater Max. Diesem gefiel das sehr. Er schnurrte.

»Der Bello liegt draußen traurig im Flur. Meinst, er ist eifersüchtig, weil du den Max bürstest?«

Franziska sah auf.

»Ich habe den Bello gestern gebürstet, heute ist Sebastian dran. Aber mit dem ist heute nix anzufangen. Spielen will er mit mir auch nicht.«

»Dann gehe du doch hinaus und tobe etwas mit Bello! Schau, er sieht so traurig aus.«

Franziska legte die Bürste zur Seite. Sie hob den kleinen Kater auf ihr Bett. Dann klopfte sie sich die Katzenhaare von ihrer Kleidung.

»Gut, Toni! Ich spiele ein bisserl mit Bello! Er soll net traurig sein.«

Als hätte Bello diese Worte verstanden, kam er schwanzwedelnd in Franziskas Zimmer. Er legte ihr den roten Ball vor die Füße. Dann versuchte er, Franzis Gesicht abzulecken.

»Laß des, Bello! Ich hab mich heute schon gewaschen. Du weißt doch, daß du des net machen sollst.«

Franzi schob Bello von sich fort.

»Bello, nimm den Ball!«

Der junge Neufundländer Hund schnappte sich den Ball und lief hinaus.

Toni legte Franziska den Arm um die Schulter. Sie gingen zusammen hinaus auf das Geröllfeld.

»Sag mal, Franzi, stimmt etwas net mit dem Basti? Der scheint mir heute etwas wortkarg. Hattet ihr Streit?«

»Naa! Des habe ich nur so zu Großmutter Meta gesagt. Ich weiß, daß des gelogen ist. Aber ich wollte net, daß sie sich Sorgen macht.«

Toni wurde hellhörig.

»Sorgen? Sorgen weshalb?«

»Der Sebastian hat sich auf dem Schulhof schlimm geprügelt. Aber er hat gewonnen. Der neue Bub in Bastis Klasse hat viel mehr abbekommen. Den hättest sehen müssen! Heulend ist er davongelaufen und alle haben ihn ausgelacht. Der beschimpft den Basti nie mehr. Jetzt ist endlich Ruh’. Die ganze Zeit hat er Basti geärgert.«

»Der Sebastian hat nix erzählt! Mei, Franzi! Wenn ihr Sorgen habt, dann könnt ihr doch mit uns reden.«

»Ich weiß, Toni! Aber der Basti wollte nix sagen. Des würde euch weh tun, dir und Anna! Außerdem geht des nur uns etwas an.«

Jetzt war Toni doch erstaunt. Die Kinder hatten also Geheimnisse.

»Also, Franzi! Ich gehe jetzt zum Holzplatz hinter die Berghütte. Wenn du reden magst, dann komm. Dort kann uns der Basti net sehen.«

Franziska gab keine Antwort. Verlegen schob sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Dann spielte sie mit Bello.

Toni mußte nicht lange auf Franziska warten. Sie kam bald. Nach und nach erfuhr Toni alles. In Sebastians Klasse gab es seit wenigen Wochen einen neuen Mitschüler.

»Des ist ein ganz eingebildeter Zugereister!« beschrieb Franziska ihn.

Der Junge spielte sich auf. Er hänselte die anderen Buben wegen ihrer Lederhosen und Haferlschuhen. Er selbst kam nur in Designerjeans in die Schule. Er trug immer die neuesten Kleider.

»Er macht, als sei er was Besseres, Toni. Dabei kennt er sich in den Bergen net aus. Vor jedem Viehzeug hat er Angst. Vor einer Ameise oder einem Käfer läuft er fort. Spinnen, die sind ihm ein Graus.«

Toni erfuhr, daß die Buben in Sebastians Klasse sich manchen kleinen Scherz mit dem Neuen geleistet hatten. Toni mußte schmunzeln. Es erinnerte ihn an seine Schulzeit.

»Der Basti hat da net so richtig mitgemacht. Aber der Neue gibt Basti an allem die Schuld.«

»Hat sich Basti deshalb mit ihm geprügelt?«

Franzi schüttelte den Kopf. Dann erzählte sie, daß der Neue schlimme Dinge über Toni und Anna gesagt hatte. Sie hätten Franziska und Sebastian nur aufgenommen, weil des Jugendamt dafür Geld zahlen würde. Außerdem habe Basti nix zu sagen, da er ja keine Eltern habe. Der Basti sei ja Waise und gehöre eigentlich in ein Kinderheim. Und Kinder im Kinderheim, die seien immer schlimm und böse und dumm. Sebastian hatte sich diese Reden einige Tage angehört. Dann war es ihm genug.

»Heute nach der Schule, hat er ihn dann verprügelt.«

»Des war sehr tapfer vom Basti! Es gibt eben Sachen, da muß man sich wehren.«

»Der Basti hat jetzt ein blaues Auge! Deshalb hat er die Sonnenbrille auf! Du darfst aber net verraten, daß du des von mir weißt. Ich mußte dem Basti versprechen, nix zu sagen.«

»Da kannst beruhigt sein! Ich sage nix! Aber das Auge muß der Sebastian der Anna doch mal zeigen. Vielleicht muß der Martin sich des genauer anschauen.«

Franzi zuckte mit den Schultern. Toni schickte Franziska wieder zum Spielen. Dann ging er hinein und beredete die Angelegenheit mit Anna und dem alten Alois. Alois sagte, daß er sich um Sebastian kümmern werde.

So kam es dann auch. Der alte Alois, der wie ein Urgroßvater für die beiden Kinder war, fand die richtigen Worte. Sebastian ging dann selbst zu Toni und Anna und erzählte alles. Anna fand, daß Basti am nächsten Tag nach der Schule bei Martin vorbeigehen sollte. Der Freund von Toni und Anna war der beliebte Hausarzt in Waldkogel und genoß jedermanns Vertrauen. Er würde schon wissen, ob Basti doch nach Kirchwalden zum Augenarzt müßte.

Darüber hinaus nahm sich Toni vor, mit Bastis Lehrerin zu sprechen und wenn es sein mußte, auch die Eltern des Neuen aufzusuchen.

*

Viktor Winterhuber wartete bei seinem schicken offenen Sportwagen vor dem Haus. Er schaute auf die Uhr und warf immer wieder einen Blick auf die Haustür des mehrstöckigen Mietshauses.

Endlich ging die Haustür auf. Gloria lief ihm entgegen.

»Tut mir leid, Liebling! Ich bin heute erst später von der Arbeit losgekommen. Die Kinder brauchten heute länger im Badezimmer. Die haben scheinbar ein Gespür dafür, wann ich pünktlich Feierabend machen will.«

Viktor sah seine Verlobte liebevoll an und küßte sie auf den Mund.

»Das zeigt mir nur, daß sie dich mögen und festhalten wollen. Du wirst eines Tages eine wunderbarer Mutter sein. Da bin ich ganz sicher.«

Gloria errötete tief. Sie wandte sich von Viktor ab und stieg ins Auto.

»Habe ich etwas Falsches gesagt?«

»Nein! Ich will nur schnell fort! Vielleicht kommen die kleinen Racker noch auf Ideen!«

Viktor stieg ein und startete den Motor.

»Dann muß sich ihre Mutter um sie kümmern!«

Gloria sagte nichts. Sie schloß für einen Augenblick die Augen. Der Fahrtwind spielte mit ihren langen blonden Haaren. Viktors Stimme drang an ihr Ohr. Sie hörte ihm aber nicht zu. In Gedanken war sie weit fort.

Viktor berührte an der nächsten Ampel sanft Glorias Hand.

»Liebling! Hallo! Ich bin hier! Wo bist du mit deinen Gedanken?«

Gloria erschrak.

»Entschuldige! Hast du etwas gesagt?«

»Ja, aber du zuerst! An was denkst du? Du bist ganz in Gedanken!«

»Ni... Ni... Nichts! Ich war in Gedanken nur noch bei den Kindern!«

Die Ampel sprang auf Grün. Viktor fuhr weiter. Ohne Gloria anzusehen, sagte er:

»Schatz! Es sind nicht deine Kinder! Du bist da nur eine Angestellte! Es ehrt dich, daß du so gewissenhaft bist. Doch jetzt hast du Feierabend.«

Gloria nahm all ihr Kraft zusammen. Sie lächelte Viktor an.

»Sicher, Liebling! Jetzt bin ich aber ganz hier! Was wolltet du mir erzählen?«

»Wir fahren zu meinen Eltern. Sie haben uns zum Abendessen eingeladen!«

»Davon hast du mir nichts gesagt, Viktor!« Glorias Stimme klang vorwurfsvoll. »Dann mußt du vorher noch einmal bei mir daheim vorbeifahren. Ich muß mich umziehen! So kann ich nicht zum Abendessen bei deinen Eltern erscheinen!«

Viktor sah sich Gloria an.

»Wieso? Das bunte Sommerkleid steht dir gut! Du siehst wunderbar darin aus! Außerdem, wem willst du gefallen? Mir oder meinen Eltern?«

Gloria schwieg. Sie gab nach. Obgleich sie sich vor den tadelnden Blicken ihrer zukünftigen Schwiegermutter etwas fürchtete. Frau Winterhuber, Viktors Mutter, war die Korrektheit in Person. Sie galt in den höheren Kreise der Stadt als die

bestangezogenste Frau. Gloria hatte von ihr regelrecht Unterricht bekommen.

Noch immer klangen Gloria ihre Worte im Ohr:

»Schätzchen, wir – die Winterhubers – haben eine angesehene Stellung. Du gehörst zu Viktor, also erwartet man von dir, daß du mehr Stil zeigst. Ich mache dir keinen Vorwurf. Viktor liebt dich. Mein Mann und ich sind auch mit der Wahl unseres Sohnes einverstanden. Aber an deinem Äußeren mußt du arbeiten. Ich mache es dir nicht zum Vorwurf, daß du in Stilfragen nicht so bewandert bist. Das mußt du aber lernen.«