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Überraschend taucht der alte Jori Jespersen auf Gut Poggenpool auf und beansprucht sein Erbe. Zur gleichen Zeit belästigt ein Pensionsgast Joris Enkelin Lefke. Es kommt zum Streit der beiden alten Männer - und am nächsten Tag ist einer tot.
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Seitenzahl: 330
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Totenhain
Ein Fall für Käthe und Knut
Kriminalroman
Silvia Nagels
Fehnland-Verlag
Erstausgabe
Alle Rechte beim Verlag
Copyright © 2019
Fehnland-Verlag
26817 Rhauderfehn
Dr.-Leewog-Str. 27
Coverentwurf und -Design: Nina Döllerer
Lektorat: Michael Kracht
Gedruckt in Polen
9783947220458
Im Oldenburger Münsterland, der Heimat von Käthe und ihren Freunden, wird gerne und gut gegessen. Wir haben die Autorin gebeten, uns und Ihnen ein paar besondere Rezepte aufzuschreiben; Sie finden sie am Ende des Buches.
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Die Rezepte
Silja Jespersens Spargeltorte (Kapitel 1)
Käthes Buchweizenpfannkuchen (Kapitel 2)
Swantje Petersens Buttercremetorte (Kapitel 3)
Antje Dierksens Schichtsalat (Kapitel 4)
Käthes Krautsalat (Kapitel 7)
Knut Sörensens Blutballen (Kapitel 10)
Gulaschsuppe ›Klippkroog‹ (Kapitel 11)
Kater Hansens Räucherlachs (mit Kartoffelsuppe und Schnittlauch) (Kapitel 13)
Peter Hansens Sonntagskuchen (Kapitel 14)
Daniel Winklers Rotwein-Stärkungstrank (Kapitel 17)
»Bin ich zu spät oder geht deine Uhr falsch?« Käthe Hansen beugte sich aus dem Küchenfenster ihres reetgedeckten Fachwerkhauses und winkte Knut Sörensen, ihrem Nachbarn und besten Freund zu, der sein Rad an den Gartenzaun lehnte.
Der winkte zurück und öffnete die Gartenpforte. »Nee, ich hab Hunger, wollte aber zuhause nichts mehr essen. Auf Poggenpool gibt es bestimmt das ein oder andere Leckerchen.«
»War klar.« Käthe schmunzelte. »Warte, ich komm raus, dann können wir sofort los.«
»Ich hol schon mal dein Rad aus dem Schuppen«, meinte Knut, bevor Käthe das Fenster schließen konnte, und ging auf das blaugestrichene Gartenhäuschen zu. Als er den Riegel zurückschob, hörte er seine Nachbarin fluchen. Kurz darauf raste Hansen, Käthes rotgetigerter Kater, durch den Garten und verschwand zwischen den Hecken in Richtung Sörensenhof.
»Konnte er wieder mal nicht schnell genug rauskommen? Vermisst wohl seine Angebetete«, bemerkte er, als Käthe ihm kopfschüttelnd entgegenkam.
Sie nahm ihm das Rad ab und seufzte. »Jo, irgendwann brech ich mir noch alle Knochen. Na komm, vergessen wir die Katzen. Lass uns endlich fahren, damit du was in den Magen kriegst und der aufhört zu knurren.«
Knut grinste. »So laut ist der doch gar nicht.« Er hielt Käthe die Pforte auf, ging zu seinem Rad und schwang sich in den Sattel.
»Laut genug, dass ich ihn höre«, gab Käthe zurück und folgte ihm.
Wenig später verließen sie Barkenholt, das kleine Dorf in der Nähe von Oldenburg, und erreichten die Straße, die sie am Moor vorbei zum Gutshof Poggenpool brachte.
»Ich bin gespannt, wie die Zimmer geworden sind«, sagte Knut, als sie an dem Birkenwald vorbeiradelten, dem Barkenholt seinen Namen verdankte.
»Bestimmt gemütlich mit all den Gardinen und Deckchen, die wir bei den Landfrauentreffen gehäkelt haben«, antwortete Käthe.
»War garantiert eine Heidenarbeit.«
»Nicht so anstrengend wie die, die ihr hattet. Toll, dass wieder alle angefasst und den Jespersen beim Umbau geholfen haben.«
»Kennen wir doch nicht anders, oder?«
»Nee, zum Glück nicht.« Käthe lachte leise. »Sonst wäre so manches Mal einiges schief gegangen, meinst du nicht?«
Knut nickte. »So sieht’s aus.«
Käthe warf ihm einen Blick zu und wusste, dass ihr bester Freund wie sie an den Mordfall dachte, den sie vor einigen Monaten mithilfe der anderen Barkenholter aufgeklärt hatten. Nur der tatkräftigen Unterstützung der Dorfgemeinschaft hatte sie es zu verdanken, dass sie jetzt neben Knut zum Gutshof fahren konnte – und natürlich ihrem Kater, der sich in den Nacken des Mörders gekrallt hatte, als der versuchte, Käthe anzugreifen.
Mit einem Schnaufen wischte sie die Erinnerung fort. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten – und am Ende ihres Weges lag Gut Poggenpool, wo heute gefeiert wurde, was das Zeug hielt. Ein Grund mehr, sich nicht mit den Vorfällen aus dem letzten Herbst zu beschäftigen.
Lefke Jespersen stützte die Hände in die Hüften und warf einen Blick durch den Raum. Es war das Letzte der Zimmer, die sie im Westflügel für Feriengäste umgestaltet hatten, um dem angeschlagenen Gut Poggenpool wieder auf die Beine zu helfen.
Ohne die Hilfe der Dorfgemeinschaft, die im Guten und im Schlechten wie Pech und Schwefel zusammenhielt, wäre ihnen das nicht pünktlich zum Saisonbeginn gelungen.
»Lefke, wie weit bist du? Wir warten auf dich!«
Die Stimme ihrer Mutter klang ungeduldig und sie lief eilig die Treppe hinunter.
Wibke Jespersen stand am Treppenabsatz und schüttelte den Kopf, als sie ihre Tochter betrachtete.
»Jetzt sieh dich mal an, Kind! Unsere Gäste kommen gleich und du läufst immer noch in Jeans und T-Shirt herum! Und deine Haare! Komm, ich flechte dir den Zopf neu.«
Sie wollte nach den blonden Locken greifen, aber Lefke duckte sich und huschte unter dem ausgestreckten Arm ihrer Mutter hindurch.
»Mama, lass das! Ich bin kein kleines Kind mehr! Himmel, wir warten auf unsere Freunde und nicht auf den König von was-weiß-ich. Warum sollte ich mich da aufbrezeln?«
Ihre Mutter seufzte. »Komm schon, Lefke. Wenigstens die Haare. Ich könnte dir eine neue Frisur machen, zur Probe. Wenn unsere ersten Pensionsgäste morgen kommen, kannst du auch nicht so rumlaufen. Sie denken doch, dass sie auf einem Gut Urlaub machen. Da müssen wir etwas Vernünftiges anziehen. Sieh mal …« Sie drehte sich um die eigene Achse und befühlte vorsichtig ihre Frisur. »Ich war sogar extra in Oldenburg beim Friseur. Wie findest du den Schnitt?«
Lefke krauste die Stirn und betrachtete den modischen Bob ihrer Mutter.
»Nicht schlecht, Mama. Ich hab schon immer gewusst, dass kastanienbraun deine Farbe ist. Besser als die fürchterlichen grauen Strähnen. Du bist noch nicht mal fünfzig. Jetzt siehst du viel frischer aus, eher wie Mitte dreißig.«
Ihre Mutter drohte ihr mit erhobenem Zeigefinger und zwinkerte belustigt.
»Jetzt aber raus mit dir, sonst müssen alle auf uns warten.«
Wibke folgte ihrer Tochter. Wie hatte ihre Familie sich verändert, seitdem die Jespersen aus Oldenburg bei ihnen lebten und neuen Lebensmut, frischen Wind und neue Ideen mitgebracht hatten. Angst und Duckmäuserei waren mit dem Großvater ihres Mannes beerdigt worden. Ihr Mann Gerit hatte sich mit einer Begeisterung in die Hofarbeit gestürzt, die sie lange vermisst hatte. Lefke blühte auf, verlor ihre Schüchternheit – nicht nur, weil sie sich in Jannes Jespersen verliebt hatte.
Und ich werde nicht länger wie eine Dienstmagd behandelt. Auch wenn man nicht schlecht über Tote reden soll, aber Haukes Tod war das Beste, was uns im vergangenen Jahr passiert ist.
Sie trat hinaus in die Frühlingssonne und blinzelte.
Die weitläufige Einfahrt des Gutshofs füllte sich langsam mit Gästen. Die Männer hatten Stehtische und Stoffpavillons aufgebaut, für die älteren Dorfbewohner gab es Sitzecken mit Korbstühlen in der Nähe des kalten Buffets.
Wibke gesellte sich zu Lefke. »Sieh mal, da kommen Käthe und Knut. Zeig ihnen doch, wo sie ihre Räder abstellen können.«
Lefke nickte, lief auf das ältere Paar zu und begleitete die Zwei zu den Stallungen. Als sie wenig später zurückkehrten, begrüßten sie Wibke herzlich.
»Wie schön, dass ihr schon da seid.« Sie zwinkerte Knut zu. »Ich vermute, der Rest deiner Familie kommt später vorbei, oder? Jaja, das Zusammenleben mit einem Säugling kann ganz schön kräfteraubend sein.«
Knut lachte. »Oh ja, was meinst du, warum wir so früh hier sind?«
Käthe stupste ihm den Ellenbogen in die Seite. »Ich dachte, du hast Hunger? Dein Enkel ist also der wahre Grund?« Sie schmunzelte, als Knut errötete, sich räusperte und einen Blick über den Hof warf.
»Alles auf Hochglanz poliert«, lenkte er ab. »Ihr habt tolle Arbeit geleistet. Ich bin schon gespannt, wie die Zimmer aussehen.«
Käthes sah sich ebenfalls um und nickte. »Da hat Knut recht. Wibke, du kannst stolz auf deine Familie sein.«
»Bin ich, Käthchen.« Sie hakte sich bei der älteren Frau ein und zog sie mit sich zum Buffet. »Du musst unbedingt probieren, was Silja gezaubert hat. Spargeltorte mit Spargel aus unserem Garten. Ein Gedicht, sag ich dir.«
»Spargel? Was hör ich da?« Knut folgte ihnen. »Ihr glaubt doch wohl nicht, das ohne mich probieren zu können. Spargel – mein Leib- und Magengericht.«
Käthe kicherte. »Also doch der Hunger – und du gibst dem kleinen Tammo die Schuld.«
Wibke konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die zwei Barkenholter neckten sich nur zu gern, und konnten doch nicht ohne einander. Unzertrennlich waren sie, vor allem seit ihre Ehepartner verstorben waren. Aber eine Heirat kam für die beiden wohl nicht in Frage. Sie waren gute Freunde, verstanden sich blind und wussten, wie sie miteinander umzugehen hatten.
Aber wer weiß, vielleicht ändern sie ihre Meinung eines Tages, dachte Wibke, als sie bei Silja am Buffet ankamen.
Jannes’ Mutter grinste, sie schien Käthes letzten Satz gehört zu haben. Sie strich sich eine Strähne ihres grauen Pagenkopfs hinter das Ohr und griff nach einem Teller.
»Was darf’s denn sein, Knut?«
»Och, weißt du …« Er räusperte sich. »Wibke sagte was von Spargel.«
»Und da kann er nicht widerstehen. Ist das deine Spargeltorte?« Käthe deutete auf einen runden Blätterteigkuchen.
Silja nickte und schnitt ein großzügiges Stück ab, legte es auf den Teller und reichte ihn Knut. Der griff nach einer Gabel und stopfte sich ein Stück in den Mund. Er schluckte schwer, als er merkte, dass die drei Frauen ihn aufmerksam beobachteten.
»Und?«, fragte Käthe, als er den Mund leer hatte.
»Lecker, sehr lecker.« Knut schoss erneut das Blut ins Gesicht. »Aber du stellst mich hin, als ob ich ein Vielfraß und Nimmersatt wäre.«
»Mach ich doch gar nicht. Ich kenne nur deine geheime Schwäche.« Käthe zwinkerte ihm zu. »Kannst du mir später das Rezept geben, Silja, damit ich Knut Zuhause verwöhnen kann?«
»Klar, kein Problem. Aber wollt ihr euch nicht schon mal die Zimmer ansehen? Wenn nachher alle gegessen haben, wird es im Westflügel bestimmt voll, weil alle auf einmal gucken wollen.«
»Gute Idee, kommt mit.« Wibke deutete zum Haus und ließ den beiden den Vortritt.
Knut stellte den Teller ab und nahm Käthe am Arm. Sie gingen durch die doppelflügelige Eingangstür in den Flur und die Treppe hinauf zu der kleinen Galerie, die in den westlichen Anbau des Gutshauses führte.
Wibke warf einen Blick durch eines der Fenster auf den Hof hinunter und blieb stehen, als sie den VW-Bus von Hannes sah, der in der Einfahrt hielt. Der Wirt des ›Klippkroog‹ stieg aus, ging um den Bus herum und öffnete die Schiebetür, um seine Fahrgäste aussteigen zu lassen.
»Willst du lieber hinunter, um sie zu begrüßen?«, hörte sie Käthe fragen.
Wibke drehte sich zu den beiden. »Wenn es euch nichts ausmacht?«
»Geh nur, wir kommen schon zurecht.« Käthe legte ihr die Hand auf die Schulter und schob sie in Richtung Galerie.
Wibke zwinkerte Knut zu. »Haltet euch nicht zu lange im Brautzimmer auf. Nicht dass einer von euch noch auf den Geschmack kommt.«
»Nu aber raus mit dir!« Käthe drohte ihr scherzhaft mit dem Finger.
Wibke kicherte und beeilte sich, zu ihrer Tochter zu kommen, um sie zu unterstützen.
»Weg ist sie, denn man los, mien Leev. Gehen wir zuerst in das berüchtigte Brautzimmer?«
»Knut, ehrlich, wir sind doch viel zu alt für so etwas.« Käthe bemühte sich, das Kichern zu unterdrücken, das ihr die Kehle hinaufstieg. »Komm, Jung. Gucken wir uns die Zimmer schön eins nach dem anderen an.«
Nachdem sie alle Räume gebührend bewundert hatten, gesellten Käthe und Knut sich zu den anderen Barkenholtern, die zwischenzeitlich auf dem Gut eingetroffen waren.
Während Knut seinen Sohn Hartmut begrüßte und jedem, dem er begegnete, stolz seinen ersten Enkel präsentierte, schlenderte Käthe zu ihrer Schulfreundin Swantje Petersen, die sich angeregt mit Jens Martins unterhielt. Die Apfelbäckchen der fülligen Besitzerin des Tante Emma-Ladens glühten, wie jedes Mal, wenn sie mit dem mittlerweile sesshaft gewordenen Landstreicher sprach. Ihre Zuneigung zu dem hageren, großgewachsenen Mann war im ganzen Dorf bekannt und immer wieder Zielscheibe für liebevolle Spötteleien.
Nach den Vorfällen im vergangenen Herbst, als Jens fälschlicherweise des Mordes verdächtigt wurde, hatte er Hartmuts Angebot angenommen, auf dem Hof zu arbeiten. Zusammen mit Knut hatten die Beiden die kleine Hütte hergerichtet, die zum Sörensenhof gehörte. Dort wohnte Jens, einfach und für sich allein, so wie er es am liebsten mochte, aber trotzdem bequemer als in dem alten Bauwagen am Angelsee. In den hatte er nicht zurückkehren wollen, nachdem ihm der wahre Mörder dort aufgelauert hatte.
Käthe schmunzelte, als sie daran dachte, wie glücklich Swantje darüber gewesen war, hatte sie damals gedacht, Jens so besser an Land ziehen zu können.
Wie enttäuscht sie war, als er sich mit Händen und Füßen gewehrt hat, aber jetzt hat sie anscheinend verstanden, dass es keinen Sinn macht, ihn zu etwas zu zwingen. Jens ist und bleibt eben ein Einzelgänger.
Käthe unterhielt sich eine Weile mit den beiden, dann ging sie zu Silja und ließ sich von ihr das Rezept für die Spargeltorte geben.
»Du verwöhnst Knut wirklich, wo du kannst.«
»Das mach ich nur, um Anni ein wenig zu entlasten. Die hat genug mit dem Baby und Hartmut zu tun. Dann noch die Hofarbeit … du weißt doch, wie das so läuft«, antwortete Käthe und zwinkerte.
»Klar.« Silja lachte, dann fuhr sie fort: »Ich glaub, wir zeigen den anderen mal die Zimmer. Es sind doch mehr gekommen, als ich gedacht habe.«
»Das hätte ich dir vorher sagen können. Alle waren schon ganz hibbelig, weil sie sehen wollten, was ihr aus dem Westflügel gemacht habt. Und ich muss sagen, die Zimmer sehen klasse aus.«
»Ohne eure Hilfe hätten wir es aber nie rechtzeitig geschafft. Dann mache ich mal den Fremdenführer, bis später.« Sie nickte ihr zu, dann trat sie in die Mitte des Hofs und rief die Barkenholter zusammen.
Nach der Besichtigung zeigten sich die anderen von dem Umbau ebenso begeistert wie Käthe und Knut. Nachdem das Buffet am späten Nachmittag bis auf den letzten Krümel geräumt war, verließen die Dorfbewohner nach und nach den Gutshof und kehrten nach Hause zurück.
Knut und Käthe waren die Letzten, die sich von der Familie Jespersen verabschiedeten. Sie holten ihre Räder hinter dem Kuhstall hervor und schüttelten Gerit die Hand, als ein alter Golf auf den Hof gefahren kam.
»Nanu, wer ist das?« Wibkes Mann betrachtete erstaunt den Wagen.
»Erwartet ihr eure Gäste nicht erst morgen?«, fragte Knut, als sich die Fahrertür öffnete und ein großgewachsener Mann mit Bauchansatz und schütterem Haar ausstieg.
Gerit nickte. Käthe fiel auf, dass er kreidebleich wurde, und betrachtete den Besucher genauer. Sie zuckte leicht zusammen und warf einen besorgten Blick zu Wibke hinüber, die Gläser einsammelte. Sie hatte in dem Neuankömmling ebenfalls ihren Schwiegervater erkannt, stellte das Tablett auf den Tisch, sackte auf einen Stuhl und beobachtete ihn mit weit aufgerissenen Augen.
Verfluchter Jori Jespersen, dachte Käthe. Hätte er nicht bleiben können, wo der Pfeffer wächst? Warum taucht er nach all den Jahren ausgerechnet heute hier auf?
»Was willst du hier?« Gerits Stimme klang zornig über den Hof, als er auf seinen Vater zuging.
Der zog die Augenbrauen zusammen und musterte seinen Sohn grimmig.
»Was glaubst du wohl? Ich trete mein Erbe an. Ab heute herrscht hier wieder Zucht und Ordnung!«
»Dein Erbe? Hast du da nicht etwas vergessen? Großvater Hauke hat dich aus dem Testament gestrichen, nach dem, was damals vorgefallen ist! Du hast kein Recht auf den Hof! Jetzt verschwinde von meinem Grund und Boden, oder muss ich Geert anrufen, damit er dir den Weg zeigt?« Gerit redete sich zunehmend in Rage, sein Gesicht war inzwischen ebenso rot wie das seines Vaters.
»Dein Grund und Boden? Mach die Augen zu, dann siehst du, was deins ist! Jetzt geh mir aus dem Weg, Sohn!« Jori Jespersen wollte sich an ihm vorbeidrängen, aber Gerit griff nach seinem Arm und hielt ihn fest.
»Du verschwindest!«, zischte er. »Knut, hast du dein Handy dabei? Dann ruf Feddersen an und sag ihm, was hier los ist.«
»Hab ich schon gemacht«, antwortete der alte Sörensen und steckte das Telefon zurück in die Hosentasche. Er warf einen Blick hinüber zu Käthe, die zu Wibke gelaufen war, um sie zu beruhigen.
Jori schien erst jetzt zu bemerken, wer sich auf dem Hof aufhielt. Seine Miene verfinsterte sich und er versuchte, sich aus dem Griff seines Sohnes zu befreien.
»Na klar, ihr zwei müsst euch immer noch überall einmischen! Anscheinend habt ihr vergessen, was passiert ist, als ihr das letzte Mal eure Nase in fremde Angelegenheiten gesteckt habt!«
Knut trat zu Vater und Sohn und funkelte Jori wütend an.
»Willst du uns etwa drohen? Erinnere dich an das, was geschehen ist, als du versucht hast, Käthe Angst einzujagen! Ich schätze, die Narben von Hansens Krallen hast du heute noch! Ganz zu schweigen von dem Platzverweis, den Geert dir verpasst hat.«
»Scheiß Katzenvieh, ich hätte ihm den Hals umdrehen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte! Lass mich los, Gerit, sonst kannst du was erleben!« Jori riss sich von Gerit los und wollte ihm einen Faustschlag versetzen, als der Wagen von Polizeihauptmeister Geert Feddersen auf das Grundstück fuhr. Das Auto stand kaum, da riss Inken Hansen die Beifahrertür auf und sprang heraus.
»Aufhören, Jespersen!«, rief sie und kam Knut zu Hilfe, der Jori in den Arm gefallen war.
Ihr Chef, der ihr gefolgt war, baute sich vor Gerits Vater auf, schob die Mütze in den Nacken und kratzte sich die Glatze.
»Sieh an, sieh an. Wenn das nicht unser lieber Jori ist. Kaum tauchst du hier auf, machst du schon wieder Ärger. Hast du in all den Jahren nichts dazugelernt? Du solltest besser in dein Auto steigen und verschwinden, meinst du nicht?«
»Ich werd den Teufel tun! Was geht dich das überhaupt an, Feddersen? Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein«, fauchte Jespersen und wehrte sich gegen Inkens Griff.
Geert lachte auf. »Ich kann dir das auch langsam und zum Mitschreiben erklären. Inken, du setzt ihn wohl besser ins Auto und wir nehmen ihn mit zur Wache.«
»Du kannst mich nicht einfach einsacken! Das ist Freiheitsberaubung!«
»Du widersetzt dich meinem Platzverweis, also nehme ich dich in Gewahrsam. Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Warum kommst du auch hierher, bedrohst deine Familie und willst dir widerrechtlich Zutritt verschaffen …«
»Widerrechtlich? Ich bin der Erbe, das Gut gehört mir! Scheißegal, was mein Vater im Testament bestimmt hat!«
»Jori, es reicht! Darüber können eure Anwälte streiten! Du kommst jetzt erst mal mit uns, bis du dich beruhigt hast!« Geert kam Inken zu Hilfe, als die den sich wehrenden Mann zum Einsatzwagen brachte.
Knut stieß geräuschvoll die Luft aus. »Verdammich, ein Glück, dass die zwei so schnell hier waren. Das hätte auch anders ausgehen können.«
Gerit nickte nur wortlos und sah sich nach seiner Frau um. Sie gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, dass es ihr gut ginge. Käthe, die den Arm um sie gelegt hatte, stand auf und ging zu den Männern. Auch Geert kehrte zu Knut und Gerit zurück, während Inken mit dem alten Jespersen im Wagen wartete.
»So, jetzt erzählt mir mal, was hier passiert ist«, forderte der Polizist sie auf und machte sich Notizen, während die drei berichteten. Dann sah er Gerit an.
»Ich nehm deinen Vater erst mal mit, um ihn ebenfalls zu befragen. Lange kann ich ihn nicht festhalten. Ich muss ihn spätestens morgen wieder laufen lassen. Ihr solltet die Erbsache wirklich über eure Anwälte klären. Vielleicht versteht er ja dann, dass er kein Anrecht auf den Hof hat. Na, dann will ich Inken mal nicht so lang allein mit dem Kerl lassen. Schönen Abend noch.«
Er tippte sich mit zwei Fingern an den Schirm seiner Mütze, dann stieg er zu Inken in den Wagen und fuhr in Richtung Barkenholt davon.
Sie sahen dem Auto noch eine Weile nach, dann seufzte Käthe leise.
»Jesses, ich hätte nicht gedacht, Jori noch mal wiederzusehen.«
Gerit schüttelte den Kopf. »Damit hat wohl niemand von uns gerechnet. Entschuldigt mich, ich sollte mich jetzt besser um meine Frau kümmern und die anderen unterrichten. Wir müssen einiges erledigen.« Er fuhr sich mit der Hand durch den blonden Bürstenschnitt. »Warum konnte er nicht wegbleiben?«
Mit schweren Schritten und hängendem Kopf ging er aufs Haus zu, streckte Wibke im Vorbeigehen die Hand entgegen und zog sie mit sich. Als die Haustür sich hinter den beiden geschlossen hatte, sahen Knut und Käthe sich an.
»Es ist so ungerecht!«, stellte sie fest. »Wie lange ist es her, dass Jori sich aus dem Staub gemacht hat? Vier oder fünf Jahre. Ausgerechnet heute muss er auftauchen und alles zerstören, was Gerit und Wibke sich erarbeitet haben.«
»Mach dir nicht so viele Sorgen. Noch hat er gar nichts kaputtgemacht. Die Jespersen werden schon einen Weg finden, um ihn an der Rückkehr zu hindern. Jetzt lass uns nach Hause fahren, ich könnte einen starken Tee vertragen.«
»Ich hoffe, du hast recht. Dann los, Knut, rauf mit dir auf deinen Drahtesel.«
Während sie zurück nach Barkenholt radelten, dachte Käthe unablässig über den Vorfall auf Poggenpool nach. Knut warf ihr hin und wieder einen besorgten Blick zu. Schließlich hielt er ihr Schweigen nicht mehr aus.
»Einen Pfennig für deine Gedanken, Deern.«
»Du kennst mich zu gut, oder?« Trotz der Sorgen, die sie sich um die Jespersen machte, musste sie lächeln. »Ich hab mich gefragt, ob hinter der Geschichte mit Jori mehr steckt, als wir bisher wussten.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ist dir aufgefallen, wie schnell Geert da war? Und wie bereitwillig er Jori auf die Wache mitgenommen hat?«
»Jo, aber vielleicht liegt es daran, dass wir alle wissen, wie leicht er an die Decke geht. Wäre Hansen damals nicht gewesen, als du den Streit mit Jori hattest, wer weiß, was dann alles hätte passieren können. Und ich bin mir sicher, wenn er sich dir gegenüber schon so aggressiv verhält, wird es ihm bei seiner Familie noch leichter fallen.«
Käthe verriss den Lenker und konnte im letzten Moment einen Sturz verhindern. Sie sah ihren Nachbarn an.
»Du meinst, er hat sie misshandelt? Mir hat keiner von den Jespersen etwas in der Art erzählt. Das hätten wir doch auch bemerkt!«
»Ach Käthchen, glaubst du wirklich, Wibke oder Lefke hätten dir gesagt, dass Jori sie schlägt? Na also, du schüttelst auch den Kopf. Und glaub mir, Leute, die ihrer Familie so etwas antun, wissen genau, wo sie treffen müssen, damit man nichts sieht.«
Die beiden erreichten den Dorfeingang und bogen ab zu Käthe. Hansen war in den üppig blühenden Bauerngarten vor dem weiß gekalkten Fachwerkhaus zurückgekehrt und jagte durch das halbhohe Gras. Als er sein Frauchen erkannte, bremste er ab und rannte auf die beiden zu, scharwenzelte um sie herum, während sie die Räder zum Schuppen schoben.
»Himmel, Hansen! Sieh zu, dass du Land gewinnst. Ich fahr dir gleich über den Schwanz«, fluchte Knut, als der Kater sich im letzten Moment mit einem Sprung außer Reichweite brachte.
»Je älter er wird, desto verrückter wird er«, stimmte Käthe zu. »Morgens ist es ganz schlimm. Als ob er seit Wochen nix zu fressen bekommen hätte. Nu komm rein, bekloppter Kerl.«
Sie schloss die Haustür auf und Hansen flitzte an ihr vorbei, bog links ab in die Küche, wo er sich wartend vor den alten Küchenschrank hockte. Knut hängte seine Bauernmütze an die Garderobe und folgte Käthe, rutschte auf die Eckbank und zog seinen Tabaksbeutel aus der Hosentasche. Während er die Pfeife stopfte, setzte Käthe Teewasser auf und gab Hansen seine Leckerli, die er in Windeseile verputzte. Nachdem sie die Kanne vorbereitet hatte und der Tee durchzog, holte sie einen Schreibblock aus der Schublade, setzte sich zu Knut an den Tisch und kritzelte auf dem Papier.
»Was machst denn da?«, fragte Knut und schielte neugierig auf das Blatt.
»Das Rezept für die Spargeltorte aufschreiben, bevor ich es vergesse.« Käthe zwinkerte ihm zu, als er sich mit einem zufriedenen Grinsen zurücklehnte und die Arme verschränkte. »Und ja, ich mache sie die Tage für uns. Mir hat sie auch geschmeckt.«
Sie stand auf, pinnte den Zettel an den Kühlschrank und warf einen prüfenden Blick auf den Tee.
»Großen Pott?«, fragte sie, und holte, als ihr Nachbar nickte, zwei blau-weiße Teepötte aus dem Schrank, gab Milch, Zucker und Tee hinein und kehrte zum Tisch zurück.
Hansen hüpfte auf die Fensterbank, putzte sich ausgiebig und rollte sich anschließend zur Kugel zusammen. Knut zog an seiner Pfeife und sah dem Rauch nach.
»Ich hoffe, Geert und Inken bringen Jori zur Vernunft«, bemerkte er nach einer Weile. »Ich hab mich immer wieder gefragt, warum er damals verschwunden ist. Vielleicht hängt das alles zusammen. Es hat niemals jemand darüber gesprochen, wo er hingegangen ist und warum Hauke ihn enterbt hat. Was ist?«
Er bemerkte, dass Käthe ihre Teetasse unruhig hin und her drehte.
»Ach, ich mach mir Vorwürfe, dass mir nichts aufgefallen ist. Ich hätte öfter nachhaken sollen. Stattdessen hab ich mich damit zufriedengegeben, wenn Wibke oder Lefke sagten, es wäre alles in Ordnung.«
»Lass gut sein, mien Leev. Ich denke, jeder hier weiß, dass du hilfst, wenn es nötig ist. Manche Dinge muss man erst mit sich selbst ausmachen, bevor man sie nach außen trägt und andere bleiben besser bei denen, die es etwas angeht.«
»Du hast ja recht. Ich hoffe, es wendet sich alles zum Guten für Gerit und seine Familie. Wenn ich daran denke, dass Jori alle wie seine Sklaven behandelt hat. Ich bezweifle, dass es Geert und Inken gelingt, ihn zu beruhigen. Lass uns lieber über etwas anderes reden: Gehen wir denn gleich noch zum Klippkroog? Die Lust, mich jetzt mit der Organisation unseres Dorffests zu beschäftigen, ist mir eigentlich vergangen.«
»Das kannst du nicht machen, Käthe. Es gibt noch einiges zu klären. Außerdem lenkt es dich von Jori ab.«
»Ach ja.« Käthe seufzte und stand auf, um die leeren Tassen wegzuräumen. »Dann mache ich uns noch schnell ein paar Brote, bevor wir gehen. Hoffentlich wissen die Gäste auf Poggenpool unser Fest auch zu würdigen. Die sind bestimmt großartigere Veranstaltungen gewohnt.«
»Mach dir man keinen Kopf, das wird schon. Ich bin jedenfalls froh, dass wir statt Kirchenliedern momentan Shantys mit dem Chor üben. Wie gut, dass Hannes Kontakte zu dem Shantychor in Oldenburg hat. Unser guter Herr Pastor war ja Feuer und Flamme, als er davon hörte.«
Käthe kicherte, als sie die belegten Brote auf den Tisch stellte.
»Der wird bestimmt wie ein waschechter Seebär aussehen, wenn er so in Fischerhemd und Käppi vor uns steht. Ich bin aber auch auf die Volkstanzgruppe gespannt. Meinst du nicht, die Tänze und Kostüme sind zu antiquiert?«
»Tüünkraam, Deern. Die Leute finden es bestimmt toll. Denk mal daran, wie viele die alten Brauchtümer gar nicht mehr kennen. Wird Zeit, ihnen das alles näherzubringen, bevor es ganz in Vergessenheit gerät. Wäre schade um unsere Traditionen, oder etwa nicht?«
»Da hast recht. Nu iss dein Brot, wir müssen gleich los.«
Das Treffen des Schützenvereins oder besser des Organisationskomitees, wie Knut es neuerdings nannte, war wie immer feucht-fröhlich und lang gewesen. Dementsprechend übermüdet stand Käthe am Samstag auf, stellte die Waschmaschine an und kochte Tee, während sie auf Knut wartete.
Käthe warf einen Blick auf die Uhr, nachdem sie Hansen sein Fressen gegeben hatte.
»Ob wohl schon die ersten Gäste auf Poggenpool angekommen sind?«, fragte sie den Kater, der den Kopf in den Napf steckte und geräuschvoll schlabberte. »Hoffentlich konnten die Jespersen gut schlafen. Knut scheint jedenfalls keine Probleme damit zu haben. Wo bleibt der nur?«
Hansen hatte genug gefressen und begann, sich zu putzen, während Käthe den Frühstückstisch deckte.
»Keine Chance, mein Dicker.« Sie kicherte, als sie den aufmerksamen Blick der Katze bemerkte. »Du kannst nach draußen gehen und deine überflüssigen Pfunde abtrainieren. Los, ab mit dir.«
Sie scheuchte Hansen zur Haustür und öffnete sie in dem Moment, als Knut klopfen wollte. Der Tigerkater jagte zwischen ihren Beinen hindurch nach draußen und sprang über den Gartenzaun.
»Moin, mien Leev, da hat es aber jemand eilig.« Knut gab seiner Nachbarin einen Kuss auf die Wange und trat ein.
»Ihr bringt mich eines Tages noch ins Grab.« Käthe legte die Hand auf die Brust und versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. »Ich glaub, ich brauch doch ein Fenster in der Tür, damit ich sehe, ob jemand davorsteht. Moin Knutchen, Tee ist fertig. Hast du Brötchen mitgebracht?«
Knut nickte, legte die Tüte auf den Tisch und rutschte auf die Bank. »Hab ich doch versprochen. Übrigens hab ich Geert und Jori gesehen, als ich bei Swantje aus dem Laden bin. Sah so aus, als ob sie Richtung Poggenpool fahren.«
»Was wollen sie denn da? Wo heute die Gäste ankommen. Geert wird doch sicherlich nicht verlangen, dass sie sich gerade heute aussprechen, oder?«
Knut zuckte mit den Schultern und schnitt die Brötchen auf. »Vielleicht holen sie auch nur Joris Auto, keine Ahnung. Nu hau rein, Deern, denk dran, wir wollten heute den Garten machen.«
Käthe verzog das Gesicht. »Ja, ich weiß. Und ich muss Kuchen backen, weil die Oldenburger morgen kommen. Soll mal einer sagen, Rentnerleben wäre langweilig. Also, ich kann mich nicht beklagen. Im Gegenteil, manchmal könnte mein Tag auch 48 Stunden haben. Sag mal …«
»Oho, den Ton kenne ich.« Knut runzelte die Stirn. »Was hast du dir jetzt schon wieder überlegt, um dich vor der Gartenarbeit zu drücken?«
»Nix.« Käthe machte großen Augen, dann zwinkerte sie. »Ich dachte nur, wir könnten vielleicht bei Inken auf der Wache vorbeifahren. Du weißt schon …«
»Fehlt nur noch, dass du mit den Wimpern klimperst.« Knut konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. »In Herrgotts Namen, aber das Unkraut bleibt dir nicht erspart.«
Nach dem Frühstück fuhren sie mit den Rädern zur kleinen Polizeiwache am südlichen Dorfrand. Auf dem Weg dorthin wurden sie kurz vor dem Dorfplatz von Geert und dem Polizeiwagen überholt. Ihm folgte Jori, der am Steuer seines Golfs saß.
Käthe sprang vom Rad und sah ihnen nach. Die Autos hielten vor dem ›Klippkroog‹, der Polizist stieg aus und wartete auf den alten Jespersen. Nachdem Jori eine Reisetasche aus dem Kofferraum geholt hatte, betraten die beiden Männer die Dorfkneipe.
»Nanu, lässt der Kerl sich etwa bei Hannes häuslich nieder?«
Knut, der ebenfalls gehalten hatte, stieg wieder auf sein Rad.
»Scheint so, aber jetzt komm endlich weiter.«
Käthe folgte ihm langsam. Als sie vor der Wache hielten, musterte Knut seine Nachbarin aufmerksam.
»So schweigsam? Was geht dir durch den Kopf?«
»Nichts«, murmelte Käthe und klopfte an die Tür der Wache. Inken öffnete ihnen.
»Nanu, was führt euch denn her?«
Knut machte die Bewegung des Unkrautjätens. Inken warf einen Blick in das Gesicht ihrer Tante und grinste.
»Ich verstehe. Na, dann kommt mal rein, ihr Drückeberger.«
Sie führte sie in das kleine Büro, das sie sich mit Geert teilte, setzte sich hinter ihren Schreibtisch und musterte ihre Tante. »Nu rück schon raus mit deinen Fragen. Ich seh’s dir an der Nasenspitze an, dass du mehr wissen willst.«
»Ich?« Käthe zog sich einen Stuhl heran. »Unfug, niemals. Abgesehen davon darfst du mir sowieso nichts sagen.«
»Stimmt, aber ich kann dir mitteilen, dass Jori sich einverstanden erklärt hat, die Jespersen in Ruhe zu lassen. Mein Chef hat gestern noch so einige Telefonate geführt. Jedenfalls kümmern sich jetzt Anwälte um die Angelegenheit und Jori hat sich im ›Klippkroog‹ einquartiert, bis alles geregelt ist.«
Knut hatte sich ebenfalls gesetzt. Er nickte. »Das haben wir gesehen. Seid ihr sicher, dass er sich ruhig verhält?«
Inken fuhr sich mit der Hand durch den kurz geschnittenen Blondschopf. »Wenn nicht, hat er ein Problem mit uns. Aber ich denke schon, dass er das tun wird. Sonst verspielt er seine letzte Möglichkeit, nach Poggenpool zurückzukehren.«
»Was soll das denn heißen?«
»Die Jespersen könnten sich gütlich einigen und versuchen, das zerrüttete Verhältnis zwischen ihnen zu beseitigen. Noch mal neu anfangen, versteht ihr?«
»Nach dem, was gestern vorgefallen ist? Das glaubst du doch selbst nicht«, meinte Knut.
»Zugegeben, es war nicht sehr schlau von Jori, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.«
»Reichlich untertrieben.« Käthe schnaubte. »Es hat nicht viel gefehlt, und er hätte Gerit verprügelt.«
»Ich sag’s ja, unklug. Vor allem, wenn man wegen so etwas schon mal verurteilt wurde.« Inken schlug sich die Hand vor den Mund. »Verdammt, das hätte ich euch nicht sagen dürfen.«
»Was? Jori saß im Gefängnis?« Knut setzte sich auf. »Dann war er deswegen auf einmal wie vom Erdboden verschwunden. Und ihr habt das die ganze Zeit gewusst?«
Inken stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Ich Idiot! Das bleibt unter uns, klar? Kein Wort zu niemandem, dass ihr das wisst. Verflucht, ich komm sonst in Teufels Küche!«
Käthe beugte sich vor und strich ihrer Nichte beruhigend über den Rücken.
»Suutje, Deern. Warum sollten wir jemandem etwas davon sagen? Aber willst du uns nicht auch den Rest erzählen? Bevor wir uns in wilden Vermutungen verzetteln – Inken, du kennst mich doch, ich kann nicht anders, als mir darüber Gedanken zu machen.«
»Ich weiß.« Ihre Nichte hob den Kopf und sah sie an. »Na gut, die groben Stichpunkte. Details wirst du nicht erfahren. Jori hat vor fünf Jahren erfahren, dass sein alter Herr ihn aus dem Testament gestrichen hat, weil er sich und seine Aggressionen nicht im Griff hatte. Daraufhin ist die Situation eskaliert, er wollte seinen Vater mit vorgehaltenem Messer zwingen, die Änderung rückgängig zu machen. Wibke rief uns zu Hilfe und Jori wurde anschließend verurteilt.«
Käthe sackte auf ihren Stuhl. »So schlimm war es? Herr im Himmel, und wir haben nichts geahnt.«
Inken schüttelte den Kopf. »Keiner der Jespersen wollte das an die große Glocke hängen. Das kann ich ihnen auch nicht verübeln. Jeder im Dorf hätte sie mitleidig gemustert und darüber getuschelt. Ich weiß, niemand hätte es böse gemeint, aber so sind die Menschen nun mal. Jedenfalls zog Jori nach seiner Haft nach Nienburg und absolvierte eine Aggressionstherapie. Vor Kurzem sah er die Anzeige über die Eröffnung der Pension auf Poggenpool in einer Zeitung und da kam die alte Wut wieder in ihm hoch. Den Rest kennt ihr.«
»Ich hoffe wirklich, er bekommt sich in den Griff«, sagte Käthe, als die Tür der Wache geöffnet wurde. Inken legte den Zeigefinger an die Lippen und setzte ein Lächeln auf.
»Da bist du ja wieder«, begrüßte sie ihren Chef, als er das Büro betrat. »Alles glatt gelaufen?«
Geert schnaubte, warf seine Mütze auf seinen Schreibtisch. »Wie man’s nimmt. Jori hat sich im ›Klippkroog‹ eingerichtet und versprochen, sich dem Gut nicht zu nähern. Ich hoffe, seine friedfertige Stimmung hält auch an, wenn er seinen Verwandten im Dorf begegnet. Was macht ihr denn hier? Neuigkeiten auskundschaften?«, wandte er sich an Knut und Käthe.
Die beiden sahen sich an und standen auf.
»Wir waren in der Gegend und haben nur kurz vorbeigeschaut«, antwortete Knut. »Keine Sorge, wir wollten gerade gehen, ich hab Käthe versprochen, ihr im Garten zu helfen.«
Der Polizist quetschte seine kräftige Gestalt in den Schreibtischstuhl und grinste.
»Na dann, viel Spaß dabei. Ist auch besser, wenn ihr euch von Jori fernhaltet, nur so als gut gemeinten Rat. Wir müssen ihn ja nicht noch mehr provozieren.«
»Würde ich niemals tun«, murmelte Käthe so leise, dass nur Knut sie hören konnte, als sie die Wache verließen. Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu, als sie auf die Räder stiegen und zu Käthes Häuschen zurückfuhren.
»Was würdest du nie tun? Jori provozieren oder dich von ihm fernhalten?«, fragte er.
»Ach du, ich werd doch kein Öl ins Feuer gießen.«
Sörensen nickte. »Besser ist das.«
Den Rest des Tages verbrachten die beiden gemeinsam im Garten. Knut jätete das Unkraut in den Beeten entlang des Gartenzauns, Käthe mähte den Rasen. Zwischendurch hängte sie die Wäsche auf und buk Schokokuchen, den ihr Sohn Peter so gerne mochte. Zum Mittag machte sie Knut, der inzwischen bei der Hortensie unter dem Küchenfenster angekommen war, Buchweizenpfannkuchen mit Speck. Sie deckte den Tisch unter dem Apfelbaum, ihrem Lieblingsplatz, scheuchte Hansen fort, der den Braten anscheinend gerochen hatte und ließ sich aufatmend auf die Bank fallen.
»Junge, nu lass doch die Blumenkästen. Das können wir nachher auch zusammen machen. Wasch dir lieber die Hände und komm essen, bevor alles kalt wird.«
Knut richtete sich stöhnend auf und schnupperte. Käthe lachte.
»Jetzt siehst du aus wie Hansen, wenn er Leckerli wittert. Ab mit dir, sonst futter ich die alle auf.«
»Untersteh dich, Käthe Hansen! Sonst kannst du den Rest des Gartens allein fertigmachen.« Er zwinkerte seiner Freundin zu, verschwand im Haus und tauchte wenig später mit zwei Flaschen Bier wieder auf.
»Hier, Deern. Ich glaub, das haben wir uns verdient.«
Nachdem sie gegessen hatten, nahm Käthe die Wäsche ab und überzog den Kuchen mit Schokoglasur, während Knut die Blumenkästen bepflanzte und vor die Fenster von Küche und Stube hängte.
»Du solltest doch warten«, schimpfte Käthe gutmütig, als sie den Kopf aus dem Fenster streckte und bemerkte, dass er schon fertig war. »Dann koch ich Tee und du bekommst zur Belohnung ein Stück Kuchen.«
»Hast du schon wieder zwei gebacken?«
Käthe kicherte. »Ich weiß eben, was du magst. Den Rest kannst du mit nach Hause nehmen. Strothmann ist doch auch so ein Leckermaul.«
»Jens«, brummelte Knut. »Käthchen, ob du es jemals schaffst, den Jung Jens zu nennen? Ich weiß gar nicht, wann er das letzte Mal einen Schnaps getrunken hat.«
Er hängte den letzten Kasten in die Halterung und räumte die Gartengeräte in den Schuppen.
»Willst du eigentlich die Sitzgarnitur wieder unter dem Küchenfenster haben? Dann stell ich sie raus«, rief er zum Haus hinüber, als ein fröhliches »Moin« ihn zusammenzucken ließ.
»Anni, Herrgott noch mal! Musst du mich so erschrecken?«
Seine Schwiegertochter schob den Kinderwagen mit Tammo über den Rasen. Sie hatte den kleinen Trampelpfad zur hinteren Gartenpforte genommen, die Abkürzung vom Sörensenhof zu Käthe.
»Ich dachte, ich drehe eine kleine Runde bei dem schönen Wetter. Hartmut ist mit Jens und Hein Zäune kontrollieren. Habt ihr schon die Gäste von Poggenpool gesehen?«
Anni schob den Kinderwagen ums Haus und setzte sich auf die Bank unter dem Apfelbaum. Knut kam zu ihr, nachdem er einen Blick auf seinen schlafenden Enkel geworfen hatte.
»Nö, wir haben gebuddelt«, antwortete er und kramte den Tabaksbeutel hervor.
»Du willst doch jetzt nicht etwa rauchen?« Käthe kam mit einem Tablett aus dem Haus und stellte es auf den Tisch. »Moin Anni, trinkst du einen Tee mit uns? Dann hol ich noch ein Gedeck.«
Knut brummelte und steckte die Pfeife wieder ein, dann rappelte er sich auf und deckte den Tisch. Während sie Tee tranken und Kuchen aßen, erzählte Anni, dass sich Pensionsgäste auf den Sörensenhof verirrt hatten.
»Wir haben sie dann auf den richtigen Weg geschickt. Der Opa war ganz verwirrt, er dachte, er hätte die richtige Straße genommen.« Anni schüttelte den Kopf. »Find ich klasse, er macht mit seinen Enkeln und Urenkeln Urlaub. Er sträubt sich nicht so mit Händen und Füßen wie du, Knut.«
Knut schnaubte. »Fängst du schon wieder damit an? Ich dachte, wir hätten das Thema oft genug durchgekaut. Fahr du man mit Hartmut und dem Kleinen an die Ostsee und mach dir keinen Kopp um den Hof. Jens und ich werden das Kind schon schaukeln. Und Hein ist auch noch da. Genießt einfach die Auszeit, ihr habt es euch verdient.«
»Außerdem vergisst du Swantje und mich. Wir haben sie immer im Blick und lassen die Männer nicht verhungern. Wann fahrt ihr denn?«, fragte Käthe und schenkte Tee nach.
»Montag früh. Ich bin froh, dass Inken uns das Zimmer bei ihren Eltern besorgen konnte. Vielleicht wird Hartmut endlich auch ruhiger, wenn er sich mal zwei Wochen nicht um den Hof kümmern muss.«
»Dann grüß Frauke und Sven lieb von mir.« Käthe spürte, wie das schlechte Gewissen sich regte. Sollte sie Anni vor ihrer Schwägerin warnen? Frauke war lieb und nett, hatte nur zwei große Nachteile – sie war eine Ordnungsfanatikerin und redete ohne Punkt und Komma. Das war der Hauptgrund, warum sie selbst es vermied, den Bruder ihres verstorbenen Mannes und seine Frau öfter als nötig zu treffen. Sven war in Ordnung, ähnelte Fiete in seiner ruhigen Art sehr, aber Frauke?