Totenwache: Ein Fall für Maria Wern - Band 2 - Anna Jansson - E-Book
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Totenwache: Ein Fall für Maria Wern - Band 2 E-Book

Anna Jansson

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Beschreibung

Echter Nervenkitzel braucht keine actionreichen Verfolgungsjagden: Der schwedische Kriminalroman „Totenwache“ von Anna Jansson als eBook bei dotbooks. Er wollte nur zu einem Geschäftsessen fahren. Am nächsten Tag fehlt jede Spur von ihm. Die schöne Rosemarie Haag ist außer sich vor Sorge um ihren Mann, aber niemand in dem kleinen schwedischen Ort Kronköping will ihr glauben, dass Clarence Opfer eines Verbrechens wurde. Kriminalinspektorin Maria Wern beginnt trotzdem zu ermitteln – und stößt auf die Leiche eines Mannes, den ein dunkles Geheimnis mit Clarence verbindet. Doch bevor sie dem nachgehen kann, wir sie in eine Falle gelockt und überwältigt. Als Maria zu sich kommt, hat man sie in ein Gefängnis gesperrt, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint – und in dem sie nicht allein ist … „Spätestens seit Mari Jungstedt trauen wir nicht mehr dem beschaulichen Frieden der schwedischen Insel Gotland. Aber nicht nur Jungstedt, auch Anna Jansson beschwört glaubhaft Intrige und Mord auf die Ferieninsel. Ein spannender, gehaltvoll geerdeter Krimi.“ berlinkriminell.de Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Totenwache“ von Anna Jansson ist der zweite Fall ihrer skandinavischen Spannungsreihe um Maria Wern, die alle Fans von Viveca Sten und Johanna Mo begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 454

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Über dieses Buch:

Er wollte nur zu einem Geschäftsessen fahre. Am nächsten Tag fehlt jede Spur von ihm. Die schöne Rosemarie Haag ist außer sich vor Sorge um ihren Mann, aber niemand in dem kleinen schwedischen Ort Kronköping will ihr glauben, dass Clarence Opfer eines Verbrechens wurde. Kommissarin Maria Wern beginnt trotzdem zu ermitteln – und stößt auf die Leiche eines Mannes, den ein dunkles Geheimnis mit Clarence verbindet. Doch bevor sie dem nachgehen kann, wir sie in eine Falle gelockt und überwältigt. Als Maria zu sich kommt, hat man sie in ein Gefängnis gesperrt, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint – und in dem sie nicht allein ist …

Über die Autorin:

Anna Jansson, geboren 1958 auf Gotland, ist gelernte Krankenschwester und begann 1997, Kriminalromane, Sach- und Kinderbücher zu schreiben. Zahlreiche ihrer Krimis um die Kommissarin Maria Wern wurden verfilmt und in Deutschland unter dem Serientitel »Maria Wern, Kripo Gotland« ausgestrahlt. Anna Jansson lebt mit ihrer Familie in Örebo.

Bei dotbooks ermittelt Maria Wern in folgenden Kriminalromanen: »Und die Götter schweigen« »Totenwache« »Tod im Jungfernturm« »Schwarze Schmetterlinge« »Das Geheimnis der toten Vögel«

***

eBook-Neuausgabe Februar 2018

Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Alla de stillsamma döda« bei Bokförlaget Prisma, Stockholm

Copyright © der Originalausgabe 2001 by Anna Jansson

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Stefano Termanini und shutterstock/schaukz

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-111-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anna Jansson

Totenwache

Ein Fall für Maria Wern – Band 2

Aus dem Schwedischen von Eckehard Schultz

dotbooks.

Fragst du, Bruder, nach den Sterbenden, deren Hütten zerfallen. Rund um die feurige Insel des Lebens branden kühlende Wogen.

Über der verpesteten Zelle des Gefangenen glühen klar leuchtende Sterne. – Dort sehe ich im funkelnden Glitzerschaum alle die stillen Toten ...

Willst du wissen, wohin die Reise geht, antworte ich auf deine Frage: dort wo es keine Fragen mehr gibt dämmern die tanzenden Wogen dahin.

Aus Nils Ferlins Gedichtsammlung»Mit vielen farbigen Lampions«

Kapitel 1

Sie nimmt als Erstes das Grollen des Donners und einen ekelhaften Gestank nach menschlichem Kot wahr. Der Schmerz breitet sich im gleichen Maße in ihr aus, wie das Bewusstsein wiederkehrt. Heftig und stechend zwingt er sie zur Klarheit. Die Dunkelheit ist beinahe undurchdringlich. Über ihrem Kopf tanzt Licht wie ein schmaler Nebelstreifen. Wirklich über ihrem Kopf? Sie ist sich nicht sicher. Es bereitet ihr Schmerzen, sich auf den Lichtstreifen zu konzentrieren. Kriminalinspektorin Maria Wern macht einen Versuch, sich auf dem harten Zement aufzurichten, und übergibt sich. Die Bewegung schmerzt sie wie ein Schlag mit der Axt auf den Hinterkopf. Alles um sie herum dreht sich, bewegt sich wie in einem Blitzlichtgewitter auf und ab. Sie versucht, sich vorsichtiger zu erbrechen, ohne aufstoßen zu müssen. Im Mund brennt bittere Galle. Vorsichtig hebt Maria den Arm und streicht sich über den hämmernden Kopf. Die Hand wird feucht. Sie hält sich den Finger unter die Nase. Erkennt den Geruch des Blutes. Der Magen zieht sich zu einem neuen Krampf zusammen. Der Kopf explodiert, und sie fällt in das schützende Dunkel zurück.

Wie lange war sie bewusstlos? Sie weiß es nicht. Zwei Minuten? Vielleicht stundenlang? Der Regen trommelt laut, aber nur einzelne Tropfen fallen auf ihr Gesicht. Eine feuchte Kühle erfasst ihren Körper. Die Dunkelheit ist jetzt undurchdringlich. Maria reibt ihre Augen. Versucht in der totalen Finsternis, die sie umgibt, Konturen zu erahnen. Der Gestank ist unerträglich. Sie strengt sich an, sich zu erinnern. Das Chaos in ihrem Inneren zu ordnen. Sie weiß nicht, wo sie sich befindet. Angst beschleicht sie und windet sich wie eine glitschige Schlange den Rücken hinauf. Bilder von Krister und den Kindern kommen ihr in den Sinn, lassen sich aber nicht in einen Zusammenhang bringen. Sie werden von der Bedrohung weggewischt. Das Gefühl einer bevorstehenden Katastrophe wächst. Etwas, was sie vielleicht verhindern kann. Aber sie weiß nicht, was es ist.

Maria lässt die Hand über den Boden gleiten. Der fühlt sich kalt und rau an, wie Beton. Krister und die Kinder, wo sind sie? Wo ist sie selbst?

»Hallo! Hilfe, ist dort jemand?« Maria strengt die Stimme bis aufs Äußerste an. Der Ton, ein krächzender Laut, wird von den kalten unnachgiebigen Wänden verschluckt. Wie ist sie in dieses stinkende Gefängnis geraten?

»Hallo!« Vorsichtig streckt Maria ihre rechte Hand in der Dunkelheit aus und stößt gegen eine Wand aus Stein oder Beton. Sie spürt einen starken Druck auf die Blase, schafft es aber nicht aufzustehen. Ihre Hände tasten über ihren Körper, vorsichtig versucht sie festzustellen, ob etwas gebrochen ist. Die Wunde an ihrem Hinterkopf ist klebrig. Das Haar fühlt sich zwischen den Fingern steif an. Sie friert.

»Hilfe! Helft mir doch!« Draußen trommelt der Regen. Wellen brechen sich am Strand. Sie splittern wie Holzstücke an Steinen oder einem Bootssteg. Ruhelos. Das Grummeln des Donners verschluckt ihre Stimme. Krister und die Kinder, sind sie in Sicherheit? Maria kann nichts von dem, was mit ihr geschehen ist, rekonstruieren. Ein Donnerschlag lässt die Luft vibrieren. Ein Blitz flimmert durch einen dreigeteilten Spalt über ihr. Sekundenlang kann Maria ihr Gefängnis sehen. Sie hat das Gefühl, als ob sie sich in einem Bunker befindet. Links neben ihr liegt ein großes schwarzes Bündel auf dem Boden. Ein Mensch? Mit angehaltenem Atem wartet Maria auf den nächsten Blitzschlag. Der Donner entfernt sich immer mehr. Eine Ewigkeit vergeht, bis ein neuer Blitz aufleuchtet, aber er ist viel zu schwach, um den dunklen Raum zu erhellen. Krister? Ist das Krister oder nicht? Maria streckt ihre linke Hand aus. Fühlt den Körper durch den Stoff, tastet nach dem Arm.

»Krister!« Sie findet seine Hand. Drückt sie ganz fest. »Krister, wo sind die Kinder? Wo sind Emil und Linda?« Die Hand ist so kalt. »Du musst aufwachen, Krister!« Maria versucht angestrengt, sich näher an ihn heranzuschieben. Versucht sich aufzurichten und mit der Hand über sein Gesicht zu streichen, ihn zu wecken. Er muss aufwachen! Muss aufwachen und erzählen, was geschehen ist. Die Kopfschmerzen sind unerträglich, lassen sie an nichts anderes denken. Zwingen sie, sich wieder mit der Wange auf den kalten Boden zu legen. Der Brechreiz drückt im Hals, kriecht unter die Haarwurzeln. Maria bekommt etwas zwischen die Finger. Es knirscht, wenn sie den Zeigefinger gegen den Daumen drückt, sie spürt ein Krabbeln am Hals und auf der Kopfhaut. Irgendwelche Insekten, vielleicht Asseln oder Ohrwürmer? Es kratzt sie am Rücken. Maria schüttelt sich angeekelt, sieht aber ein, dass sie es nicht schafft, den Arm noch einmal zu heben.

»Krister, du musst aufwachen! Ich liebe dich.« Seine Hand liegt schlaff in der ihren. Maria versucht sich mit letzter Kraft aufzurichten und verliert wieder das Bewusstsein.

Ein schwacher Lichtschein hat sich durch die zugenagelten Luken des Bunkers vorgetastet. Der Regen fällt immer noch und sammelt sich in den Vertiefungen des Bodens. Der Sturm knickt die Glockenblumen, Margeriten und knospenden Mädesüß, die zu Boden gedrückt auf der Strandwiese vor dem Betonbunker, einem Relikt aus dem letzten Krieg, liegen. Immer wieder fährt er über das Strandgras, das sich ungeschützt und ohne Möglichkeit zu entkommen den wütenden Windstößen beugen muss. Der Strand liegt einsam und leer vor dem dunkelgrünen dichten Fichtenwald.

Maria erwacht in jämmerlichem Zustand. Ihre Blase ist zum Bersten gefüllt. Im Kopf hämmert es. Kristers Hand ist so kalt und steif. Vorsichtig schlägt sie die Augen auf und blinzelt ins Licht. Starrt auf die Hand in ihrer Hand und den toten Mann neben sich. Mitten in ihrem entsetzten Schrei ist sie gezwungen, den Slip herunterzureißen und zu pinkeln. Instinktiv sucht sie die niedrigste Stelle und hockt sich dort hin, um nicht das Rinnsal auf dem Fußboden vor sich zu haben. Dicht an der Tür ist eine Vertiefung. Die ist schon vorher zum gleichen Zweck benutzt worden, ist voller Kot und Erbrochenem, und der Schmutz verbreitet einen fürchterlichen Gestank. Immer noch in der Hocke, versucht Maria die Stahltür aufzudrücken. Aber die Tür bewegt sich nicht. Sie ist mit dem Toten zusammen eingeschlossen. Die Wände kommen auf sie zu und bewegen sich auf allen Seiten nach innen. Die Luft bleibt ihr weg. Es besteht kein Zweifel, dass der Mann tot ist.

Wachs bleich und erschlafft ruht sein Kopf auf dem Boden. Die farblosen Lippen spannen sich über den Zähnen. Der Mund ist weit geöffnet, die Augen sind halb offen. Der Blick ist ins Unendliche gerichtet. Auf dem weißen Oberhemd liegt ein grüner Zweig. Maria reibt vorsichtig die schmalen Blätter zwischen ihren Fingern. Rosmarin. »Hier ist Rosmarin, der stärkt das Gedächtnis«, sagt Ophelia zu Hamlet. Die Frau in dem Kräutergarten taucht aus dem Nebel auf, namenlos. Hat sie es nicht so gesagt? »Hier ist Rosmarin, der stärkt das Gedächtnis.«

Rosmarin zur Erinnerung an die Toten, so war das doch. Maria zwingt sich, den Toten anzusehen. Lachen und Schluchzen steigen zugleich aus ihrer Kehle. Vor Schreck und Erleichterung darüber, dass es nicht Krister ist, der da neben ihr liegt. Wie lange hat sie die Hand des Toten gehalten? Maria blickt auf ihre Hand, als ob sie ein fremder Gegenstand sei. Angstvoll klammert sie sich an Details, um die ganze Wahrheit verdrängen zu können. Das schüttere Haar des Mannes. Die braunen Sandalen. Der seidene Schlips nachlässig gebunden. Die schwarze staubige Hose. Sie steht auf und versucht mit aller Kraft gegen die Bretter zu treten, mit denen die drei Luken zugenagelt sind. Ganz unten gibt es einen beinahe zehn Zentimeter breiten Spalt. Wenn es ihr gelingt, die Bretter wegzudrücken, könnte sie sich durch eins der Löcher hindurchzwängen. Wieder ruft sie um Hilfe. Ihr Kopf zerspringt fast bei jeder Anstrengung. Das Schwindelgefühl nimmt zu. Ihre Stimme wird matt. Es ist sinnlos, gegen den Sturm anzuschreien. Der Mund fühlt sich herb und trocken an. Wie lange ist es her, dass sie etwas getrunken hat? Maria friert trotz der Fleecejacke. Noch einmal versucht sie die Tür aufzustoßen, ohne Erfolg. Der Platz, den sie sich mit dem Toten teilen muss, ist höchstens vier Quadratmeter groß. Sie zwingt sich wieder, dem Mann ins Gesicht zu sehen, und meint ihn zu erkennen. Vage kann sie sich erinnern, ihn früher schon einmal gesehen zu haben. Aber sein Name fällt ihr beim besten Willen nicht ein.

Langsam kommt die Dämmerung und verwischt die Gesichtszüge des Toten. Die Ecken des Bunkers verschwinden in der Dunkelheit. Maria Wern sucht fieberhaft in ihrem Gedächtnis, um ihre aussichtslose Situation zu verstehen: zusammen mit einem toten Mann in einem Bunker eingesperrt. Wer hat ihr auf den Hinterkopf geschlagen? Warum ist die Tür verschlossen? Warum lebt sie, nicht aber der Mann? Vielleicht muss der Mörder sie gar nicht selbst töten. Wie lange kann ein Mensch ohne Wasser durchhalten? Drei Tage? Wohl kaum mehr. Bei Wärme kürzere Zeit. Ebenso, wenn man sich erbricht. Sie setzt sich auf den Boden. Versucht ihre Kräfte zu sammeln. »Hier ist Rosmarin, der stärkt das Gedächtnis.« Die Frau in dem Kräutergarten. Maria strengt ihr Gedächtnis bis aufs Äußerste an, sucht nach Assoziationen und Bildern. Ein Donnerstag taucht aus dem Unterbewusstsein auf. Der Donnerstag, an dem sie Rosmarie Haag getroffen hat.

Kapitel 2

Sie hatten bereits zwei Monate in dem Haus in Kronviken gewohnt. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass da so viel Arbeit hineingesteckt werden musste. Im ersten Moment des Entzückens, als sie nur die guten Seiten und die Möglichkeiten gesehen hatten, war kein Platz für realistische Beurteilungen gewesen.

Das Bad hatte keine Duschkabine, nur eine entzückende blaue Badewanne auf vier Beinen, mit einem Gummischlauch, der behelfsmäßig an einen Wasserhahn angeschlossen werden konnte, wenn man duschen wollte. Aus den Hähnen kam entweder kochend heißes oder eiskaltes Wasser, man musste selbst nach Bedarf mischen. Höchst gefährlich im Hinblick auf die Kinder. Sämtliche Hähne brauchten neue Dichtungen. Alle achtzehn Fenster, auch die an der Veranda, hatten Innenfenster mit Watterollen dazwischen. Zum Putzen wurden sie herausgehoben und auf den Fußboden gestellt. Anschließend mussten sie wieder eingehängt, mit Bolzen und Schrauben befestigt und schließlich mit langen Streifen aus Papier verklebt werden, die vorher mit Wasser anzufeuchten waren. Maria konnte sich nicht erinnern, so etwas jemals vorher gesehen zu haben. Jedenfalls hatte sie sich nie Gedanken gemacht, welchen Aufwand das Putzen solcher Fenster erforderte.

In ihrer Phantasie hatte sie unbegrenzt Zeit und viel Geld gehabt, die sie in das Traumhaus investieren konnte. Neue Tapeten, neue Fußböden, ein neues Badezimmer. Eine Waschküche. Nicht mal eine Waschmaschine war vorhanden! Lediglich zwei Waschzuber hinter einem Vorhang und eine Wäscheleine draußen im Garten. Als sie damals den Kauf perfekt machten, hatte sie sich nicht träumen lassen, wie das einmal werden würde. Nein, sie hatte sich kopflos in das Haus verliebt, völlig überrumpelt von dem Kachelofen und der Glasveranda, dem alten Holzherd in der Küche mit dem gemauerten Abzug und dem kleinen Treibhaus draußen gleich neben dem Kücheneingang. Krister hatte lange verschwiegen, dass er einen Feuchtigkeitsschaden im Keller entdeckt hatte. Er wollte seine Frau nicht mit solchen Kleinigkeiten belasten, wenn sie nun endlich richtig glücklich war, sagte er. Und weil sie das Haus so billig erstanden hatten, wollte er deswegen auch keinen Streit anfangen. Mit der Folge, dass sie alles aufgraben und die Drainage umlegen lassen mussten, und danach war das Geld alle. Also wirklich restlos aufgebraucht. Außerdem war der Heizkessel uralt und konnte jederzeit seinen Geist aufgeben.

Kurz vor Mittsommer war die Schwiegermutter erschienen und hatte ein Geschirr überreicht, das sie für das neue Heim gekauft hatte. Mehrmals wies sie darauf hin, dass das Geschirr i6 000 Kronen gekostet hatte, es war für eine Familie mit Kindern völlig nutzlos, konnte aber nicht umgetauscht werden. »Jedenfalls nicht, wenn man es sich nicht völlig mit ihr verderben will«, darauf wies Krister mit Nachdruck hin. Und dabei blieb es. »Ihr kommt doch an Mittsommer zu uns?«, hatte die Schwiegermutter gefragt, als Maria das Paket öffnete. Das Geschenk war offenbar nicht selbstlos gemacht worden, sondern als Bestechung. »Nein, wir haben uns vorgenommen, nach Uppsala zu fahren.« Und das hatten sie auch getan. Am Montag nach dem Mittsommerwochenende hatte die Schwiegermutter angerufen und war völlig außer sich gewesen. »Hier habe ich mit all den schönen Sachen sinnlos herumgesessen, Omeletts und Aufläufen, Torten und Keksen. Aber ihr seid nicht gekommen. Ihr vergesst uns alte Leute einfach.« Maria hatte sie darauf hingewiesen, dass sie ganz deutlich gesagt hatte, sie würden nicht kommen. »Gesagt und gesagt! Ich habe mir einfach nicht vorstellen können, dass ihr so rücksichtslos seid und uns am Mittsommerabend einfach sitzen lasst!« Gefühlsmäßige Erpressung nannte man so etwas! Das wäre Maria beinahe herausgerutscht, trotzdem hatte sie irgendwie ein schlechtes Gewissen.

Den ganzen Mittwochabend hatten sie bis zum Anbruch der Dunkelheit versucht, die Beete um das Haus herum nach dem Verlegen der Drainage wieder in Ordnung zu bringen. Maria Wern, Mitte dreißig, starrte kritisch auf ihre Nägel. Es war schwer, sie wieder sauber zu bekommen, wenn man am Abend vorher wie ein Maulwurf in der Erde gewühlt hatte. Sie trank einen ordentlichen Schluck Kaffee und überflog eine Anweisung der Polizeiverwaltung, in der es um problemorientiertes und strukturiertes Arbeiten ging. Um sechs Uhr hatte der Wecker geklingelt, nach knapp vier Stunden Schlaf. Um sieben hatte sie das Haus verlassen, um die Kinder in den Kindergarten zu bringen. Linda war im Auto schlecht geworden, und sie hatte sich auf den Rücksitz des Wagens erbrochen.

Maria zwirbelte ihren blonden Zopf mit der Hand und wickelte ihn zu einem Dutt zusammen. Die Augen brannten, als sie versuchte, sich auf den Text des Blattes vor ihr zu konzentrieren, die Buchstaben an ihren Plätzen zu lassen und daraus einen sinnvollen Zusammenhang zu lesen.

»Du hast Besuch«, knisterte es aus dem Haustelefon. »Rosmarie Haag. Sie hat offenbar bereits mit Örjan Himberg telefoniert, möchte aber mit jemand anderem reden.« Darüber wunderte sich Maria überhaupt nicht. Das wollten alle, die mit Örjan Himberg gesprochen hatten. Bei der Kriminalpolizei war er ebenso beliebt wie eine Steuernachzahlung. Aber seit Jesper Ek nach einem Messerstich in den Bauch für längere Zeit krankgeschrieben worden war, hatte man sich gezwungen gesehen, jemanden von der Schutzpolizei auszuleihen. Und wen kommandierten sie ab? Natürlich Örjan! Örjan selbst war nicht gerade erfreut darüber, dass er seiner Lieblingsbeschäftigung nicht mehr nachgehen durfte: Autofahrer anzuhalten und deren Wagen zu kontrollieren. Schulmeisterlich und herrisch beschuldigte er seine Mitmenschen wegen schmutziger Nummernschilder, vermeintlichen Fahrens unter Alkoholeinfluss, eventuell zu schnellen Fahrens, nicht sauberer Scheinwerfer und nicht genehmigter Sonderausstattung. Jungen um die achtzehn ließ er niemals ohne genaue Untersuchung weiterfahren. Über die machte er sich mit einem Eifer her, der das gesamte übrige Rechtswesen in den Schatten stellte. Kristers Neffe war ihm in die Hände gefallen und imitierte gern, wie Örjan seinen Führerschein misstrauisch und ausführlich studiert hatte, wie bei einer Passkontrolle während des Krieges. Die jungen Leute hatten Örjan Himberg den Spitznamen Himmler verpasst.

Maria wurde in ihren Überlegungen durch ein vorsichtiges Klopfen an der Tür unterbrochen, und Arvidsson erschien mit ihrem Besuch. Die Frau, die in das Zimmer trat, stellte sich als Rosmarie Haag vor. Sie hielt sich kerzengerade. Das volle wellige rote Haar war mit einer Lederspange zum einem Knoten gebunden. Sie hatte große graue Augen, rund wie die einer jungen Katze. Das elegant geschnittene Kleid aus naturfarbenem Leinen hob auf diskrete Art und Weise ihre gutgeformte Figur hervor. Aber es sah warm aus, hatte lange Ärmel und war bis zum Hals zugeknöpft. Das sorgfältig geschminkte Gesicht wies die Tönung der ganzen braunroten Skala auf. Sicher wäre Örjan Himberg entgegenkommender gewesen, wenn er dieser Erscheinung Auge in Auge gegenübergestanden hätte, überlegte Maria zynisch.

»Mein Mann ist seit gestern Nacht verschwunden. Polizeiinspektor Himberg wollte mir einreden, dass Clarence unterwegs gewesen und gefeiert hätte und danach im falschen Bett gelandet ist. Das kann ich mir nicht vorstellen. Als ich zum dritten Mal anrief, wurde Polizeiinspektor Himberg unfreundlich. Ich habe ihn zu Hause angerufen, denn seine Schicht war heute Nacht um ein Uhr zu Ende. Ich weiß natürlich auch, dass das ungewöhnlich ist, aber ich wollte Klarheit haben, was geschehen ist. Himberg sagte, er würde mich in die spezielle Datei eintragen.« Maria kniff die Augen zusammen und holte tief Luft. Hoffentlich blieb es ihr erspart, der Frau zu erklären, dass diejenigen, die in die spezielle Datei eingetragen wurden, Menschen waren, die nicht unbedingt die Hilfe der Polizei brauchten, sondern eher eine andere Form von Beistand: ängstliche Trottel, die meinten, die Heizkörper in ihren Wohnungen strahlten giftige Gase ab, den einen oder anderen, der sich von außerirdischen Wesen belästigt fühlte, oder solche Mitbürger, die regelmäßig die Polizei anriefen und anzeigen wollten, dass die neunzigjährige im Rollstuhl sitzende Dame, die im Haus gegenüber wohnte, ein Bordell betrieb. Der Blitz sollte Örjan Himberg zur Strafe für seine Instinktlosigkeit treffen.

»Bitte setzen Sie sich. Wir wollen das einmal gründlich durchsprechen. Wie heißt Ihr Mann mit Nachnamen?«

»Haag. Er wollte gestern Abend zu einem Geschäftsessen fahren. Zwanzig Minuten nach sieben ist er mit dem Auto in die Stadt gefahren. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.« Rosmarie wich ihrem Blick aus und biss sich auf die Unterlippe.

Es erstaunte Maria, dass die Frau eine so tiefe Stimme hatte. Sicher und wohlartikuliert, wie die Stimme einer ausgebildeten Fernsehreporterin, füllte sie den Raum bis in den letzten Winkel, ohne die Lautstärke eines normalen Gesprächs zu übersteigen. Mit solcher Stimme kann man alles behaupten und es glaubwürdig klingen lassen, überlegte Maria mit einem Anflug von Eifersucht. Wenn der feuchte Handschlag und das hastige, beinahe nervöse Lächeln nicht gewesen wären, hätte die Frau nach außen hin so unberührt vom Verschwinden ihres Mannes wirken können, als ob es sich um einen entflogenen Kanarienvogel handelte. Obwohl sie Himberg dreimal angerufen hatte! Eigenartig. Die Worte und die Körpersprache der Frau stimmten nicht mit ihrem Verhalten überein. Unter der ruhigen Oberfläche verbarg sich eine große Unsicherheit.

»Was ist Ihr Mann von Beruf?«

»Clarence ist Immobilienmakler. Er hat eine eigene Firma: ›Haags Immobilien‹, falls Sie davon schon mal gehört haben? Er wollte sich mit einem Kunden in der Goldenen Traube treffen. Es ging um eine wichtige Investition, hat er gesagt. Ich habe ein Foto mitgebracht.« Rosmarie grub in der zum Kleid passenden Handtasche. Die Hand zitterte leicht, als sie Maria die Fotografie zeigte. Maria fielen die Fingernägel auf, unter denen Erde war, und sie fand es sympathisch, dass die perfekte Fassade einen Sprung bekam. Willkommen im Kreis der Maulwürfe. Der rothaarige Mann auf dem Bild lächelte ihnen entgegen. Ein halb vergoldeter Zahn gab dem Gesicht ein leicht robustes Aussehen. Ein interessanter Kontrast zu dem eleganten braun gestreiften Anzug und der Brille mit dem goldenen Gestell. »Diesen Anzug trug er gestern Abend«, ergänzte Rosmarie.

»Hat er gesagt, wann er wieder zu Hause sein wollte?«

»Nein. Aber um Mitternacht bin ich unruhig geworden und habe ein Taxi runter zur Goldenen Traube genommen. Die hatten bereits zwei Stunden vorher zugemacht. Alles war verschlossen und dunkel. Ich habe herumtelefoniert, ob eins der anderen Lokale am späten Sonntagabend noch aufhatte. Aber das Park-Restaurant schloss an diesem Abend um elf, und dort war er nicht gewesen. Vielleicht ist er mit dem Kunden zu ihm nach Hause gefahren? Er wollte sich eindeutig mit einem Mann treffen! Das hat er gesagt«, betonte Rosmarie nachdrücklich. »Ich habe natürlich in seinem Kalender nachgesehen. Dort stand kein Name. Nur ›Goldene Traube 19 Uhr‹. Weder sein Kompagnon noch seine Sekretärin wissen, mit wem er sich treffen wollte. Die Goldene Traube macht heute nicht vor elf auf, und ich habe den Besitzer zu Hause nicht erreichen können. Es scheint so, als ob er den Telefonstecker herausgezogen hat. Sie müssen mir helfen.« Die runden Augen wurden noch runder und nun auch feucht. Mit den Tränen wurde das Bild der Frau klarer.

»Wir versuchen es nochmal am Telefon. Wenn er sich nicht meldet, schlage ich vor, dass wir zu ihm nach Hause fahren. Wir können im Auto weitersprechen.« Ein Lächeln erhellte Rosmaries Gesicht. Und schlagartig hatte sich ihre Erscheinung verändert. Mit ihren Lachgrübchen und den Sommersprossen sah sie aus wie ein kleines Schulmädchen.

Der Eigentümer der Goldenen Traube wohnte in einem der herrschaftlichen Häuser am Fluss nicht weit vom Stadtpark entfernt, die aus der Zeit der Jahrhundertwende stammten. Als sie über die Brücke fuhren, konnten sie kurz die riesige Terrasse mit eigenem Anleger und Segelboot sehen. Die große gepflegte Rasenfläche lag in der Sonne. Die Pergola war von zahlreichen Blumenkübeln und Kletterrosen eingerahmt und setzte sich mit einem weißen Zaun bis zum eingefriedeten Pool fort.

»Hat Ihr Mann besondere Kennzeichen, einen Leberfleck, Muttermale oder etwas anderes Spezielles?«

»Nein, Muttermale hat er nicht. Als Erstes wird man wohl auf den Goldzahn aufmerksam.«

»Wie ist er dazu gekommen?«

»Das war wohl eine Schlägerei, aber es ist lange her. Er hat sich den Zahn aus Gold ausgesucht, fand wohl, dass das chic aussieht.«

»Was könnte Ihrer Meinung nach geschehen sein? Wo kann er hin sein? Haben Sie schon darüber nachgedacht?«

»Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier«, antwortete Rosmarie mit ruhiger und sachlicher Stimme.

»Nein, natürlich nicht. War Ihr Mann schon mal nachts unterwegs, ohne von sich hören zu lassen?«

»Nein. Oder doch, als einmal ein Flugzeug verspätet war. Aber damals habe ich vom Flugplatz bestätigt bekommen, dass es sich um eine Verspätung handelte. Und letzten Herbst, aber das war nur ein dummes Missverständnis. Ich hatte mich im Tag geirrt. Darüber hinaus ist es in den fünf Jahren, in denen wir jetzt verheiratet sind, niemals vorgekommen. Ich habe auch bei der Notaufnahme im Krankenhaus angerufen, aber dort wurde kein Mann im Alter von fünfundvierzig Jahren eingeliefert. Wir müssen ihn finden. Es ist eine Qual, nicht zu wissen, wo er ist!«

»Ja, das ist es«, bestätigte Maria und merkte, wie ihr das Atmen schwerer fiel. Es war erst ein halbes Jahr her, dass ihre Tochter Linda verschwunden gewesen war. Kriminalinspektorin Maria Wern wusste sehr wohl, was Ungewissheit bedeutete.

Der Besitzer der Goldenen Traube, der auch der Oberkellner war, trug einen Pyjama, als er seine Haustür öffnete. Auf seiner behaarten Brust prangte eine dicke goldene Kette. Das lockige braune Haar mit den leicht silberfarbenen Schläfen war zurückgekämmt. Ein Duft von Old Spice schlug ihnen entgegen. Damit nicht genug. Ehe Maria sich versah, wurde ihr die Hand geküsst. Beinahe wäre sie vor Schreck rückwärts durch die Tür gestolpert. Für Rosmarie war das offenbar ganz alltäglich. Sie streckte höflich die Hand aus, und das wurde gebührend gewürdigt.

Mit einem unterwürfigen Lächeln wies der Oberkellner die Damen in seine Musterküche. Maria fiel ein uralter James-Bond-Film ein, den sie zusammen mit Krister gesehen hatte, nachdem er endlich zugegeben hatte, dass Liebesfilme ihn langweilten. Mr. Bond hatte überall in seiner Küche Kupfertöpfe, hohe und flache, reihenweise frisch geputzte und blitzende Kochtöpfe, Kasserollen, Restaurantpfannen, Soßenschüsseln und Servierplatten. Als sie das Kino verließen, hatte Maria nur einen Gedanken: Wer putzt all die Töpfe für Mr. Bond? Sich James selbst mit gestreifter Schürze vorzustellen, mit einem Putzmittel und einem weichen hellblauen Stofffetzen, der von einer ausgedienten Jeans stammte, würde wohl jedem Bond-Liebhaber Verdauungsprobleme bereiten. Die gleiche Frage hing in dem blendenden Küchentempel des Oberkellners in der Luft. Wer putzt das alles?

»Was darf ich den Damen anbieten? Kaffee, Espresso, Cappuccino? Vielleicht einen Toast mit Ei?« Der Oberkellner schlief offenbar mit dem Bestellblock in der Hand.

»Kaffee, sehr gern, danke.« Rosmarie Haag antwortete für sie beide.

Gerüchteweise war der Besitzer der Goldenen Traube ein Mann mit einer großen Schwäche für hübsche Frauen, je üppiger, umso besser. Soweit man wusste, war er immer Junggeselle gewesen. Als sie alle drei dasaßen und frühstückten, kam Maria in den Sinn, dass der Oberkellner wohl niemals seine Frauen nach Hause gehen ließ, ohne dass sie ein reichhaltiges Frühstück bekommen hatten. Sonst wäre sein guter Ruf infrage gestellt worden. Es schien ihm auch kein bisschen peinlich zu sein, dass er im Pyjama auftrat, was auf eine gewisse Routine schließen ließ.

»Erkennen Sie ihn?« Maria reichte ihm das Foto von Clarence Haag hinüber. Der Oberkellner zog seine Brille aus der monogrammgeschmückten Pyjamatasche und sah sich den Mann mit dem Goldzahn einen Augenblick an.

»Selbstverständlich! Einer meiner Stammkunden. Nimmt öfter Geschäftsfreunde mit in mein Restaurant. Ich kann mir beinahe vorstellen, warum Sie hier sind. Aber das muss ich ganz offen sagen, Männer sind nun mal Männer, und ein Unglück geschieht so leicht. Das kommt in den besten Familien vor. Deshalb ist es klug, wenn man jeden Tag seine eigene Plage haben lässt.«

»Was meinen Sie«, Rosmarie schnappte nach Luft. »Ist denn ein Unfall passiert?«

»Ein Unglück kommt selten allein, und deshalb sitzen ja nun Sie beide hier«, scherzte der Oberkellner in einem schwachen Versuch, die Stimmung zu retten. »Er hat wohl etwas zu kräftig ins Glas geguckt, der gute Clarence, so was passiert nun mal. Muss man kein großes Theater draus machen. Es sind schon ganz andere als Freund Clarence nach solchen Mischungen umgekippt.«

»Ins Glas geguckt? Was meinen Sie damit, hat Clarence Alkohol getrunken, bis er betrunken war?«

»Na klar, Blumenwasser war das bestimmt nicht«, antwortete der Oberkellner und zog die Augenbrauen hoch.

»Das glaube ich nicht. Er muss krank gewesen sein, sehr krank. Clarence trinkt so gut wie keinen Alkohol. Er nimmt höchstens ein Glas Wein und nippt daran, wenn wir Gäste haben.«

»Armer Kerl«, entfuhr es dem Oberkellner mit einem Seufzer. Es war nicht klar, ob er Clarence bedauerte, weil der von seiner Ehefrau so kurz gehalten wurde, oder ob er den erbärmlichen Zustand meinte, in dem sich der Mann am gestrigen Abend befunden hatte.

»Wollen Sie uns bitte genau erzählen, was gestern vorgefallen ist?«, bat Maria. Der Oberkellner reckte sich, als er feststellte, dass der informelle Teil des Gesprächs beendet war und er jetzt einem Repräsentanten des Rechtswesens seine Beobachtungen schildern sollte.

»Clarence hatte einen Tisch für sieben Uhr bestellt, seinen üblichen Platz. Sein Gast, irgendein Künstlertyp mit Sportmütze, dunkler Brille und Lederhandschuhen, kam ungefähr Viertel nach sieben.« Der Oberkellner spuckte das Wort Sportmütze so aus, dass niemand im Unklaren darüber bleiben konnte, was er von einer solchen Kopfbedeckung bei Tisch hielt. »Sie bestellten beide Hering und Schnaps dazu. Deutlich mehr Schnäpse als Heringe, will ich meinen. Dann ließen sie mich das Steak nach Art des Hauses empfehlen, selbstverständlich schwedisches Fleisch, mit Gorgonzola und in Scheiben geschnittenen Champignons in Rotweinsoße. Dazu bestellten sie zwei Flaschen Rotwein: Chateau Olivier 1989, einen feinen Jahrgang.

Hinterher habe ich gesehen, dass beide in dem Essen nur herumgestochert haben. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, das hat mich enttäuscht. Dieses Gericht ist immer ein Erfolg. Zum Kaffee tranken die Herren Cognac. Danach wurde dem guten Clarence übel. Der Mann mit der Sportmütze folgte ihm hinaus auf die Straße. Er hielt sein Taschentuch auf Clarence' Mund gedrückt, um ihn daran zu hindern, sich auf den Fußboden zu erbrechen, bevor sie hinauskamen, nehme ich an. Gutes Reaktionsvermögen, das muss ich sagen. Da konnte ich ihm die Sache mit der Sportmütze beinahe verzeihen. Die Rechnung wurde bar bezahlt. Das Geld lag auf dem Tisch. Der genaue Betrag, keine Öre Trinkgeld. Clarence ist sonst sehr großzügig mit Trinkgeldern, deshalb hat sicher der andere bezahlt, auf die Öre genau. Ich bin ihnen bis an die Tür nachgegangen, um zu sehen, ob ich ihnen behilflich sein konnte. Aber da saßen sie bereits im Auto. Einem blauen BMW. Sie bogen zur Umgehungsstraße ab. Ich konnte nicht mehr sehen, wer von den beiden fuhr. Aber das kann wohl kaum Clarence gewesen sein, das versteht sich von selbst.«

»Das Auto von Clarence ist immer noch verschwunden. Es ist ein blauer BMW«, erklärte Rosmarie mit beherrschter Stimme. Maria schrieb sich die Autonummer auf und nahm ihr Handy, wählte die Nummer von Kriminalinspektor Hartman und erklärte die Situation.

»Wir fahnden umgehend nach dem Wagen«, sagte sie, nachdem das Gespräch beendet war.

»Wenn der Mann am Lenkrad nicht nüchtern war, kann das Auto ja in irgendeinem Graben liegen. Clarence kann ja nicht der Fahrer gewesen sein. Er war ja anscheinend krank. Wie schnell kann sich eine Lebensmittelvergiftung bemerkbar machen?«, fragte Rosmarie und fasste sich an den Hals.

»Nein, jetzt muss ich aber protestieren! Wir verwenden nur erstklassige Rohwaren in meinem Restaurant, alles andere ist unvorstellbar. Zu behaupten, dass einer meiner Gäste sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hat, ist eine grobe Beleidigung.« Der Mann im Pyjama bekam ein hochrotes Gesicht.

»Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass Clarence etwas getrunken hat. Ich will es einfach nicht glauben.« Rosmarie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, sodass der Knoten im Genick sich löste und die roten Locken auf ihre Schultern fielen. »Zu Hause haben wir einen Barschrank, damit er Geschäftsfreunden und Besuchern etwas anbieten kann. Er rührt nur selten selbst einen Tropfen an. Wenn ich mir mal ein Glas Wein genehmige, ohne dass wir Gäste haben, kann er den ganzen Abend über schlechter Laune sein. Clarence verabscheut angetrunkene Frauen.«

Einer der beiden muss nüchtern genug gewesen sein, um den Betrag auszurechnen und die Rechnung zu bezahlen, überlegte Maria im Stillen, und bedankte sich, als der Oberkellner die Kaffeekanne in ihre Richtung hielt.

Rosmarie Haag wurde nach Hause gefahren, um von dort aus Verwandte und Freunde anzurufen. Ihr Mann hatte dem Kalender nach eine Verabredung um 9.30 Uhr und eine Hausbesichtigung um 11.00 Uhr. Nachmittags wollte er den Zug hinunter nach Stockholm nehmen. So war es vor mehr als einer Woche verabredet worden. Als sie vor Rosmarie Haags Haus anhielten, ging Maria auf, dass sie vor »Rosmaries Kräutergarten« standen, einer Gärtnerei mit Kräutergarten und Gaststätte halbwegs zwischen dem Campingplatz am Kronviken und der Stadt. Maria war hier täglich vorbeigekommen, seit sie in das gelbe Haus gezogen waren, und sie war mehrmals drauf und dran gewesen, abzubiegen und einzukaufen, hatte es aber bleiben lassen, weil sie erst abwarten wollten, was denn auf ihrem Grundstück alles zum Vorschein kam, wenn die Schneewehen endlich geschmolzen waren. Dann hatten sie aber, wie gesagt, erst mal eine neue Drainage legen müssen.

»Ich wusste gar nicht, dass Sie diese Rosmarie sind«, lächelte Maria. »Ich schaue nach der Arbeit vorbei, wenn wir nicht schon vorher erfahren haben, was passiert ist.« Sie reichte ihr einen Zettel mit ihrer Durchwahl.

»Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas Neues erfahren haben. Haben Sie jemanden, der bei Ihnen sein kann, jemanden, der Ihnen behilflich sein kann?«

»Mein Vater, er wohnt in dem kleinen roten Häuschen am Hang. Aber ich glaube nicht, dass er mir eine große Stütze ist. Er und Clarence können nicht miteinander. Niemand würde sich mehr darüber freuen als er, wenn Clarence für immer verschwinden würde. Ich sage das, wie es ist, obwohl er mein eigener Vater ist.«

»Was hat er gegen Clarence?«

»Eigentlich alles. Nein, ich bin nicht allein. Das Personal hier fängt um neun an. Ist schon in Ordnung. Wir hören voneinander.« Rosmarie seufzte tief und machte sich eilig auf den Weg. Erleichtert, weil sie ihren Auftrag ausgeführt hatte? Maria hatte zum wiederholten Mal das Gefühl einander widersprechender Signale.

Kapitel 3

»Du bist also den ganzen Vormittag über weg gewesen, hast ein feudales Frühstück gegessen und Rosmaries Kräutergarten besichtigt. Mit der Absicht, Blumen für den eigenen Garten zu kaufen, kann ich mir vorstellen. Mehr hast du also während dieser Arbeitsstunden nicht geschafft? Vielleicht hast du noch einen Termin beim Friseur verabredet, oder die Maniküre bestellt?« Kommissar Ragnarssons eng stehende Augen fixierten Maria. Die nicht angesteckte Zigarette unter der Oberlippe wippte im Takt, als er sprach. Wie ein ganz kleiner Taktstock, überlegte Maria und versuchte ihr Lächeln halbwegs zu verbergen. »Hier wird lang und breit darüber geklagt, dass wir zu wenig Leute haben und zu geringe Mittel, dass wir unterbesetzt sind und auf dem Zahnfleisch gehen, und dann hat diese Frau da«, Ragnarsson zeigte bösartig auf Maria, »die Dreistigkeit und spielt den ganzen Vormittag Kindergarten. Warst du nicht mit deinen Schreibarbeiten im Rückstand, mit Vorgängen, die morgen an die Staatsanwaltschaft gehen sollen? Hattest du nicht so was gesagt?«

»Das schaffe ich schon. Wir wissen noch nicht, was Clarence Haag passiert ist«, erwiderte Maria, ohne seinem Blick auch nur einen Millimeter auszuweichen.

»Nein. Und wir wollen dankbar sein, wenn wir drum herum kommen. Wahrscheinlich sitzt er besoffen irgendwo draußen im Wald, und dann können wir nur froh sein, wenn er keinen Verkehrsunfall verursacht hat. Oder, und das ist wahrscheinlicher, er ist im Suff mit der richtigen Dame im falschen Bett gelandet, und dann ist es ebenfalls nicht unsere Aufgabe, die Angelegenheit aufzuklären. Verstanden! Ein Ehemann muss ein Recht auf sein Privatleben haben! Kann Wern das nicht begreifen?«

»Aufrichtig gesagt, nein. Nicht wenn er die Hilfe der Polizei braucht, um nach Hause zu finden. Ich frage mich, wer der Mann mit der Sportmütze gewesen sein kann. Einer von den beiden war nüchtern genug, um die Zeche auszurechnen und auf die Öre genau zu bezahlen.«

»Einer von denen war nüchtern! Meinst du wirklich, dass einer von denen nüchtern war?! Soll ich lachen oder weinen? Ist es nicht bald Zeit für die große neurologische Untersuchung? Sieh dir Himberg hier an und lerne, wie man Schwerpunkte setzt. Die Frau ruft ihn an und sagt, dass ihr Mann verschwunden ist. Himberg ist ein ERFAHRENER Polizist. Er WEISS, dass Ehemänner in 99 von 100 Fällen wie Märzkater in der Dämmerung auftauchen, um sich nach den Anstrengungen der Nacht auszuschlafen.« Örjan Himbergs breites Lächeln strahlte vor Selbstgefälligkeit. Zufrieden über das Lob, das ihm zuteil wurde.

»Ich kann dir noch so das eine oder andere beibringen, Mädel«, sagte er mit lässiger Stimme und ließ seinen Blick unzweideutig über Marias Körper wandern.

»Dann möchte ich wissen, in welcher Absicht ein Polizist mit der speziellen Datei drohen sollte? Du hast da vielleicht deine eigene Homepage, die du Rosmarie Haag zeigen wolltest? ›Örjans romantisches Plätzchen?‹«

Kriminalinspektor Arvidsson, der lange versucht hatte, sich auf die Tageszeitung zu konzentrieren, erhob sich in voller Länge. Sah sich um mit einem Blick, der alles sagte, und verließ den Aufenthaltsraum. »Tollhaus!«, hörten sie ihn murmeln, bevor er die Tür hinter sich schloss.

Musste das Leben so fürchterlich kompliziert sein? Arvidsson sank an seinem Schreibtisch zusammen und stützte den Kopf in seine hohlen Hände. Er seufzte laut. Er hätte etwas zu Marias Verteidigung sagen müssen, aber das war eben unmöglich, ohne dass er rot wurde. Verdammt, wie er seinen Körper hasste, der alles verriet. Das Hemd war unter den Achseln feucht vom Schweiß. Wie konnte er mit Maria tagsüber ganz normal zusammenarbeiten, wenn sie nachts die Frau seiner schlaflosen Träume war? Allein der Gedanke an ihre schlanken Fußgelenke war erregend, ebenso die langen hellen Haare, die manchmal, wenn sie hochgesteckt waren, den unwiderstehlichen Nacken entblößten. Wenn sie lachte, bekam er Gänsehaut, so schön war sie! Wie konnte er neben so einem Geschöpf leben, ohne es berühren zu dürfen?

Sie hatte zwei kleine Kinder, den fünfjährigen Emil und die zweijährige Linda. Das nahm ihm neben dem EDV-Berater Krister Wern jede Chance. Wenn nicht die Kinder gewesen wären, hätte er wohl allen Mut zusammengenommen und wäre irgendwann in die Offensive gegangen. Jetzt hieß es einfach, sich zusammenzunehmen, auch wenn er dadurch langweilig und steif wirkte. Arvidsson biss sich auf die Innenseite der Backen. Wurde es schlimmer, dann hielt er es hier nicht länger aus. Ihm blieb dann nur die Möglichkeit, sich versetzen zu lassen.

Bis zur Mittagspause kümmerte sich Maria um die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch, beinahe vierzig Vorgänge, von denen statistisch gesehen nur etwa zehn dem Staatsanwalt zur Beurteilung vorgelegt wurden. Etwa drei Viertel der Anzeigen, die erstattet wurden, mussten aus Mangel an Beweisen zu den Akten gelegt werden. Entmutigend und manchmal auch peinlich. Als Ermittler hat man meist nur die Möglichkeit, sich mit dem Anzeigenden nach einem Monat oder noch später in Verbindung zu setzen, sofern nicht jemand physisch verletzt worden ist. Die Spuren sind kalt. Die Zeugen können sich nicht mehr erinnern. Man könnte sich viele Stunden Arbeit ersparen, wenn sofort nach der Anzeige eine gründliche Untersuchung des Tatortes stattfinden würde. Nervöses Warten und viele ungeduldige Anrufe könnten vermieden werden. Eine Zeitersparnis sowohl für den Anzeigenden als auch für die Polizei. Aber um das zu schaffen, durfte man nicht im Rückstand sein. Der Gedanke, vorbeugend zu arbeiten, wenn man nicht mal die laufenden Arbeiten schaffte, war erst recht unrealistisch. Maria nahm die obersten Vorgänge vom Stapel: ein Einbruch in einem Sommerhaus, Trunkenheit und Missbrauch in Videvägen, ein weiterer Einbruch in Bredströms Juweliergeschäft und als Sahnestück obendrein der Versuch, böhmische Wüstenmäuse über das Internet zu verkaufen. Man sollte meinen, dass der Käufer beim Wort Wüste in Zusammenhang mit Böhmen reagiert haben müsste, aber das war nicht der Fall gewesen. Der gutgläubige Käufer hatte seine Lieferung mit Mäusen erhalten, war gebissen worden und hatte ein schweres Nierenleiden, Nephropathia epidemica, bekommen. So stand es im Laborbericht der Infektionsklinik. Dort war zu lesen, dass es sich um den Biss einer gewöhnlichen Wühlmaus handelte. Diese Art von Nierenleiden war andererseits durchaus ungewöhnlich und nicht zu bagatellisieren. Sie konnte neben Fieber auch zu Koagulationsstörungen und Nierenversagen führen, was für den Patienten dann Intensivstation bedeutete. Der Erkrankte forderte Schadenersatz. In diesem Zusammenhang hatte die Mutter des von den Wühlmäusen Gebissenen die Untiere als Beweismaterial mit auf die Polizeiwache in Kronköping gebracht. Ragnarsson hatte schadenfroh entschieden, dass Maria sich der Frau und der Pelztiere annehmen musste. Sicher in der Hoffnung, dass sie Angst vor Mäusen hatte. Maria war von den langen gelben Zähnen der Tiere fasziniert gewesen. Die sahen alle aus wie Kettenraucher. Aber sie schüttelte sich, als sie an die Löcher dachte, die sich an den Außenwänden ihres Hauses befanden. Vorher hatte sie sich deswegen keine Gedanken gemacht, aber jetzt ging ihr auf, dass es Wühlmauslöcher sein konnten. Was war, wenn Emil und Linda gebissen wurden?

Hin und wieder wanderten ihre Gedanken zu Clarence Haag. Aber das Telefon blieb still und es kamen auch keine Mitteilungen über die Haussprechanlage. Auch wenn sie sich immer noch über Himberg ärgerte, musste sie zugeben, dass Ragnarsson in gewisser Weise Recht hatte. Sie hatte aus einem spontanen Gefühl heraus gehandelt. Begründet sicherlich durch die entsetzlichen Stunden damals, als ihre Tochter Linda verschwunden war. Stunden der Ungewissheit. Das normale Verfahren, wenn ein Mann nach einem Restaurantbesuch verschwindet, ist natürlich abwarten und mal sehen, was nach einem Tag daraus geworden ist. Trotzdem spürte Maria ganz deutlich, dass es sich hier um etwas anderes als einen normalen Fehltritt nach einem durchzechten Abend handelte. Das Problem war nur, wie sie diesen Standpunkt Ragnarsson gegenüber erklären sollte.

»Das sagen sie doch immer: Ja, der Clarence, der passt beim Alkohol sehr auf. Und dann, wenn der Ehemann wieder auftaucht, kommt heraus, dass er alles getan hat, was man ihm nie zugetraut hätte«, meinte der Kommissar. Nein, in diesem Punkt verließ sie sich mehr auf Rosmarie Haag als auf ihren Chef. Rosmarie schien sich irgendwie mehr wegen des Trinkens, das man ihrem Mann unterstellte, Sorgen zu machen, als wegen seines Verschwindens an sich.

Während der Mittagspause befand sich Maria Wern daher im elegantesten Restaurant der Stadt, in der Goldenen Traube. Sie hatte sich das Tagesmenü bestellt, das billigste, ein Bauernfrühstück für 85 Kronen, und das riss trotzdem ein ordentliches Loch in die schmale Brieftasche. Der Oberkellner höchstpersönlich war zur Stelle und führte sie an den Tisch, an dem Clarence Haag und der Mann mit der Mütze am Abend vorher gesessen hatten. Clarence mit dem Rücken zur Tür und der Mann mit der Mütze ihm gegenüber. Neben dem Tisch standen, um den Platz ein wenig hübsch zu machen und Abstand von den anderen Tischen zu schaffen, ein kleinblättriger Gummibaum in einem großen Topf und daneben zwei Exemplare einer kleineren Palme, deren Namen Maria nicht kannte. Die Töpfe standen in riesigen Terrakottaschalen direkt hinter dem Stuhl des Mützenmannes. Das Blumenwasser des Gummibaums sah eher rot als erdfarben aus. Maria steckte den Finger hinein und roch daran. Sie war verwirrt und probierte die Flüssigkeit. Zweifellos Rotwein! Es musste auch eine größere Menge gewesen sein, wenn die Flüssigkeit durch die ganze Blumenerde gesickert war und trotzdem die Schale füllte. Warum hatten die Herren so teuren Wein bestellt und ihn dann in die Blumenerde geschüttet? Einer armen Kriminalinspektorin gab so etwas zu denken. Warum hatte der Mützenmann Clarence ein Taschentuch vor den Mund gehalten, wenn der sich gar nicht übergeben wollte? Was konnte den Grundstücksmakler Clarence Haag veranlasst haben, eine solche Behandlung zu akzeptieren? War das irgendein Scherz? Was kann man in einem Taschentuch verstecken? Eine Pistole? Eine kleine Browning kann durchaus in der Hand unter einem Taschentuch verborgen werden. Mit einer solchen Theorie zu Kommissar Ragnarsson zu kommen könnte natürlich das Todesurteil bedeuten. Es konnte ja auch so sein, dass den Herren der Jahrgangswein des Oberkellners nicht geschmeckt hatte und sie ihn heimlich weggegossen hatten, um den Mann nicht zu kränken. Maria nahm mit ihrem Dessertlöffel ein wenig von der Blumenerde auf ihren Teller und verteilte sie in kleine spitze Haufen. Hackte die Haufen auseinander und glättete sie. Der Mann am Tisch neben ihr beobachtete interessiert ihre Arbeit.

»Mit dem Servieren dauert es hier immer ein Weilchen, aber ich kann garantieren, dass sich das Warten lohnt«, lächelte er aufmunternd. Maria lächelte zurück.

»So was passiert, wenn man in anderen Umständen ist, man sehnt sich nach Mörtel und allem Möglichen.« Eigentlich wusste sie nicht, warum ihr das gerade einfiel. Aber sie hatte nicht geschwindelt. Sie hatte nicht gesagt, dass sie selbst in anderen Umständen war, lediglich dass dann so etwas vorkam.

»Ich weiß, wie das ist. Als meine Lebensgefährtin ein Kind erwartete, musste ich mitten in der Nacht rausgehen und salzige Lakritze kaufen.«

Das Bauernfrühstück wurde auf einem angewärmten Teller serviert. Für 85 Kronen hätte die rote Bete mindestens in Scheiben geschnitten oder flambiert sein können, fand Maria und legte sich die Leinenserviette auf die Knie.

Auf der Kühlschranktür im Aufenthaltsraum, dem offiziellen schwarzen Brett, hing eine Einladung zur Feier des vierzigsten Geburtstages von Kriminalinspektor Jesper Ek. Grillfest im Grünen, stand da. Sie hatte Ek einen Monat lang nicht gesehen. Beim letzten Mal, als sie ihn in seiner Zweizimmerwohnung in der Grönsångargatan besuchten, hatte er im Vertrauen gesagt, dass er daran dächte, seine Kündigung einzureichen. Er hätte sich noch nicht endgültig entschlossen, aber er tendiere dazu. »Als Zwanzigjähriger ist man unverletzlich. Später holt einen der Ernst des Lebens ein. Ich will ein normales Leben führen, nicht vorzeitig sterben oder wie ein Paket in der Rehaklinik liegen, nur weil es jemandem eingefallen ist, mir ein Messer in den Bauch zu stechen. Nicht für 18 000 im Monat.«

»Du bist wohl kaum der Bezahlung wegen Polizist geworden«, hatte Hartman entgegnet. »Irgendwann musst du doch der Meinung gewesen sein, dass es eine vernünftige Lebensaufgabe, ein sinnvoller Beruf ist.« Da hatte Ek gelacht, wie es nur Jesper Ek konnte, mit dem ganzen Körper, ohne schützendes Netz. »Ich will die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich bin Polizist geworden, weil ich hinter einer Frau her war, die gerade ihren Aufnahmeantrag für die Polizeischule eingeschickt hatte. Was für eine Frau! Sie war zwar verlobt, aber das habe ich nicht als besonders großes Hindernis betrachtet. Das Problem war, dass ich angenommen wurde, sie aber nicht. So sah das aus. Erst im Laufe der Jahre hat mir die Arbeit dann etwas bedeutet. Aber jetzt bin ich eben ein ängstlicher Polizist, und ein ängstlicher Polizist ist kein guter Polizist und auch kein guter Mensch, mit dem man gern zusammenleben will.«

»Ich habe auch manchmal Angst gehabt. Das haben alle. Wie du schon sagst, das kommt mit den Jahren, wenn die Unverletzlichkeit dich im Stich lässt und die Wirklichkeit sich meldet. Ich möchte, dass du weißt, dass du ein guter Polizist bist, Ek.« So hatte er das gesagt, der gute alte Hartman, und Ek hatte sich entschlossen, noch einmal gründlich zu überlegen, ehe er irgendein Papier einreichte. Maria drückte die Daumen. Möge Ek wieder zum Dienst kommen und Örjan Himberg zur Schutzpolizei zurückversetzt werden.

Die Sonne brannte durch das Fenster in Marias Büro, das daher schon um zehn Uhr kochend heiß war. Es war ein Raum, der sich wegen ungenügender Isolierung dem Wechsel der Jahreszeiten anpasste. Im Winter war er eiskalt und zugig, im Herbst konnte man nicht hinaussehen, weil die weinroten Blätter des Blutahorns gegen die Scheiben geklatscht wurden, und im Sommer kam man sich wie in einem Treibhaus vor. Maria schaltete den Computer ein und zog die Vorhänge zu, um auf dem Bildschirm überhaupt etwas sehen zu können. Clarence Haag war im Laufe der Jahre an einer Reihe von Zivilprozessen beteiligt gewesen, aber nie wegen eines Verbrechens verurteilt worden. Im Verkehrsregister war nichts zu holen. Ihm gehörte ein BMW, und alles hatte seine Ordnung. Rosmarie Haag war desto häufiger im Verkehr aufgefallen, darüber hinaus fand sich aber nichts. Maria stand auf und öffnete das Fenster. Die Luft stand still. Nachdem sie noch eine Weile gesucht hatte, fand sie eine Anzeige, die Rosmarie Haag vor etwas mehr als zwei Monaten erstattet hatte. Es ging um Diebstahl und Beschädigung. Jemand hatte im Kräutergarten Pflanzen ausgegraben. Täter unbekannt, stand in Örjan Himbergs knappem Bericht.

Maria rief den Kindergarten an und ließ ausrichten, dass sie spät kommen würde. Eigentlich hatte sie vorgehabt, Überstunden abzubummeln, um drei Uhr Schluss zu machen und den Nachmittag mit den Kindern am Strand zu verbringen. Aber jetzt war sie mit dem Papierkram im Verzug und außerdem hatte Krister angerufen und sie gebeten, Dichtungen für die Wasserhähne zu kaufen, er selbst würde es unmöglich schaffen, vor Ladenschluss in ein Sanitärgeschäft zu kommen. Außerdem waren die Milch und der Käse alle, vom Toilettenpapier war nur noch eine angebrochene Rolle da und der Schadenexperte der Versicherungsgesellschaft wollte baldmöglichst angerufen werden. Und Emil mussten die Haare geschnitten werden, denn morgen sollte der Fotograf in den Kindergarten kommen. Zwei Mitglieder der Familie Wern würden deswegen ziemlich ungnädig werden. Hoffentlich ließen sie sich mit einem Eis besänftigen.

Clarence Haags Kompagnon, Odd Molin, hatte sich auf die Anfrage von Himberg aus Stockholm gemeldet. Er klang ziemlich aggressiv. Maria musste den Hörer ein ganzes Stück vom Ohr weg halten. Clarence war zu keiner der für diesen Tag verabredeten Besprechungen erschienen.

»Ist vermutlich Rosmarie, die ihn zugrunde gerichtet hat«, behauptete Odd mit bissiger Stimme.

»Wie meinen Sie das?«

»Er ist wahrscheinlich auf seinem Posten mit dem Spaten in der Hand zusammengebrochen. Seiner geliebten Rosmarie würde er ja nichts abschlagen. Winkt sie mit dem kleinen Finger, dann vergisst er alles andere um sich herum. Wenn Rosmarie irgendwo hin will, fährt er sie, obwohl sie selbst einen Führerschein hat, und ist sie auf einem Fest, wartet er draußen im Auto bis lange nach Mitternacht.«

»Rosmarie weiß auch nicht, wo Clarence sich aufhält. Sie ist tief beunruhigt.«

»Beunruhigt, die! Die kümmert sich doch nur um ihr Gemüse«, schnaubte Odd in den Hörer.

Kapitel 4

Der Volvo dampfte innen buchstäblich. Alle Fenster auf! Lindas nur notdürftig abgewischtes Erbrochenes hatte in der Wärme seinen vollen Gestank entfaltet. Das Lenkrad brannte in der Hand. Maria versuchte mit den Fingerspitzen zu lenken. Es war gar nicht daran zu denken, in der Stadt einzukaufen und dann die Milch im Auto sauer werden zu lassen, während sie Rosmarie besuchte, um dann anschließend die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen. Einfacher wäre es allerdings gewesen, die Einkäufe ohne die Kinder zu erledigen. Die Hitze nahm ihr den Atem. Die Kleider klebten am Körper. Wenn das kein Tag für den Strand war!

Der Volvo zog eine Staubwolke hinter sich her, als sie bei Rosmaries Kräutergarten einparkte. Die Erde dampfte, und die Luft vibrierte in der Sonnenglut. Wie ein frisch gekneteter Butterteig ergoss sie sich an die frische Luft. Der leichte ablandige Wind strich wie eine schnurrende Katze um Marias nackten Beine. Sie zog ihren zerknitterten Baumwollrock zurecht und strich sich das Haar aus der Stirn.

Sowohl das Restaurant als auch das Wohnhaus waren aus Holz. Sie waren in einem rosa Farbton gestrichen und die Fensterrahmen in Hellgrün. Vermutlich von Monet inspiriert, fiel Maria ein. Sie war noch nie in Monets Garten gewesen, allenfalls in ihrer Phantasie, aber die Ähnlichkeit mit den Bildern, die sie gesehen hatte, war auffallend. Um den Restaurantbereich und den Kräutergarten herum lief eine niedrige Steinmauer, und darüber hingen Büsche von Heckenrosen, hellrosa und schwach duftend. Am Fuße der Mauer wuchs Lavendel, der so blau wie der Abendhimmel war. Weiter hinten konnte man die Reste der Gärtnerei, einen Pavillon, einen Seerosenteich mit einer Hängebrücke und das Wohnhaus mit einer hübschen grünen Veranda sehen. Maria ging auf das Restaurant und die Samenhandlung zu. Rosmarie kam ihr entgegen, sie trug jetzt eine Khakihose und einen weißen Rollkragenpullover mit langen Ärmeln. Das rote Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Kleine Locken hatten sich gelöst und flatterten in der Brise. Maria erkannte die Frage in ihren großen grauen Augen.

»Nichts, rein gar nichts.«

»Das Auto?«

»Ist noch nicht gefunden worden.«

»Kommen Sie, wir setzen uns in den Pavillon, wenn Sie einen Moment Zeit haben. Dort sind wir ungestört. Ich setze mich da hinein, wenn ich allein sein will. Möchten Sie etwas zu trinken haben?« Maria nickte dankbar, als sie den Korb an Rosmaries Arm entdeckte. Eine graue Angorakatze schlich in den Rosenbüschen neben ihnen her, erblickte einen Schmetterling und verließ ihr Versteck.

Der Pavillon war achtkantig, grün gestrichen und lag auf einem kleinen Hügel, im Schatten einer großen Eiche. Die Fenster waren hoch und liefen oben spitz zu, wie in einer Kirche. Am Hang wuchs Immergrün, Enzian und Efeu zwischen den runden weißen Steinen. Die Katze kam mit ihnen herein und sprang schnurrend auf Rosmaries Knie.

»Ich habe festgestellt, dass Sie vor einiger Zeit einen Diebstahl angezeigt haben.«

»Ich habe eigentlich nicht angerufen, weil Pflanzen verschwunden waren, sondern mich an die Polizei gewandt, weil ich Angst hatte. Damals habe ich ebenfalls mit diesem Himberg gesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass ich seit etwa zwei Monaten den Eindruck hätte, ich würde von jemandem beobachtet. Ich hatte das sichere Gefühl, dass jemand vor dem Wohnzimmerfenster stand und mich ansah, wenn ich vor dem Fernseher saß. Manchmal habe ich die Terrassentür aufgemacht und versucht, hinaus ins Dunkel zu sehen. Einmal raschelte es und ich habe gesehen, wie sich die Jasminbüsche bewegten, obwohl es windstill war. Ein anderes Mal habe ich gemeint, dass jemand ›Rosmarie‹ flüsterte, wie ein gepresster Schrei, sehr leise. Kaum hörbar.«

»Haben Sie eine Person gesehen? War es ein Mann oder eine Frau?«

»Also, ich kann nicht direkt sagen, dass ich jemanden gesehen habe. Das Ganze ist mir sehr unheimlich. Es kommt mir vor, als ob jemand mir etwas antun will. Clarence wurde wütend, weil ich die Polizei angerufen habe. Er fand, dass ich mich lächerlich mache. Polizeiinspektor Himberg war auch nicht gerade interessiert daran, was ich ihm sagen wollte. Er wurde richtig wütend, obwohl ich ihm, als er Konkreteres wissen wollte, von den Pflanzen erzählt habe, die im Garten ausgegraben worden sind. Blauer Eisenhut und gefleckter Schierling sind ja wohl konkret genug! Beide enthalten tödliche Gifte! Keine anderen Pflanzen sind verschwunden, nur Eisenhut und Schierling! Und die wuchsen nicht mal nebeneinander. Ich habe das ungute Gefühl, dass derjenige, der die Pflanzen mitgenommen hat, sehr wohl wusste, was er da ausgrub. Darauf habe ich Himberg mehrmals hingewiesen, aber da hörte er schon nicht mehr zu.«

»Und es kann niemand anderes in der Gärtnerei gewesen sein, der sie umgepflanzt hat?«

»Nein, warum sollte jemand das getan haben? Nein, ich glaube nicht. Im antiken Griechenland wurde mit dem Tode bestraft, wer Eisenhut und Schierling in seinem Garten anpflanzte. Wussten Sie das? Eisenhut führt langsam und sehr schmerzhaft zum Tode. Während Schierling zu jener Zeit von den Gerichten zur Vollstreckung der Todesstrafe genutzt wurde. Es ist überliefert, dass Sokrates gezwungen wurde, einen Giftbecher zu leeren, der Schierling enthielt. Das soll entsetzlich schlecht schmecken, man nimmt es also nicht versehentlich zu sich. Damals sah man das Austrinken des Giftbechers als eine würdige und humane Art der Hinrichtung an. Beinahe so ehrenvoll wie der Brauch der alten Römer, sich in ein heißes Bad zu legen und sich, umgeben von Angehörigen und Freunden, die Pulsadern aufzuschneiden. Eigenartig, wie sich die Normen auf diesem Gebiet verändert haben. Heutzutage wird uns beinahe das Recht auf den eigenen Tod genommen.« Maria hörte den Unterton und wartete auf eine Fortsetzung, die jedoch nicht kam.