Tötet das Biest - Kim Leopold - E-Book

Tötet das Biest E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Nicht nur Mikael hat Freya gesucht. Schnell wird der Direktorin bewusst, dass die Aufmerksamkeit der Hexenjäger ihr gilt. Während Aslan Hayet einen Moment der Auszeit beschert und sie in sein Geheimnis einweiht, setzen Ivan und die anderen alles daran, Freya und die Schüler vor der plötzlichen Bedrohung zu schützen. Doch schnell wird ihnen klar, dass nicht immer die Schuldigen diesem Krieg zum Opfer fallen … Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Tötet das Biest – Das hochspannende Finale der 1. Staffel der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Black Heart 08

Tötet das Biest

 

 

Kim Leopold

 

Für Charlie. Du weißt, warum.

 

 

Abschied nehmen bedeutet immer ein wenig sterben.

 

 

 

 

 

 

[was bisher geschah]

 

Alex, Moose und Co haben versucht, Tyros aus den Fängen der Hexenjäger zu befreien, doch nach dem Tod seiner Frau und Tochter wollte er nicht mehr weiterleben. Eine Warnung gab er den Wächtern mit auf den Weg: er habe den Palast unter der Folter verraten.

 

Währenddessen kamen Ivan und Louisa am Palast an. Louisa machte Bekanntschaft mit Azalea und ihren Freunden, die ihr die Rettungsmission rund um Melvin verheimlicht haben. Ivan traf sich in der Zwischenzeit mit Silas und ein paar anderen Ratsgegnern, um eigene Pläne zu schmieden, und ärgerte sich, weil Silas die unschuldige Sekretärin Lotta in die Revolution einlud.

 

[1]

 

Emma

Österreich, 2018

 

»Schon wieder?« Ich schließe die Tür hinter mir und betrachte den jungen Mann, der auf der Liege Platz genommen hat. »Jascha, was machst du denn nur?«

»Er hat angefangen.« Jascha wirft mir ein unschuldiges Lächeln zu und zuckt mit den Schultern.

»Das sagst du mir jedes Mal.« Ich lache und trete an die Liege, um ihn zu untersuchen. Dreimal war er jetzt schon hier – und das innerhalb von zehn Tagen. Zwischen uns spielt sich allmählich eine Routine ein, und das fühlt sich sonderbar an, immerhin ist er viel jünger als ich.

Und doch habe ich ihn direkt in mein Herz geschlossen.

Ich hebe meine Finger an seine Wange und betrachte den blauen Fleck, der vom letzten Streit mit Silas noch nicht abgeheilt ist und nun einen erneuten Treffer verzeichnet.

»Erzähls niemandem«, bitte ich ihn leise und schließe die Augen, um meine Magie wirken zu lassen. Es kribbelt in meinen Fingern, und ich stelle mir vor, wie seine Haut von innen heraus heilt.

Plötzlich legt er seine Hand auf meine. Irritiert öffne ich die Augen und schaue ihn an. Seine blauen Augen suchen in meinem Gesicht nach etwas.

»Jascha«, wispere ich, weil mir wohl bewusst ist, dass sich das hier nicht gehört. Er ist mein Schüler, mein Schützling, und dieses Brennen in meinem Unterleib, das Kribbeln in meinem Bauch ... all das sollte nicht sein.

»Danke«, murmelt er und unterbricht den Blickkontakt, bevor er meine Hand loslässt. Aber die tobenden Gefühle in meinem Inneren werden davon nicht besser.

»Ich sehe besser nach Aslan.« Ich fahre mir durch die Haare und deute auf die Creme auf dem kleinen Tisch neben dem Bett. »Dreimal täglich auf die Knöchel auftragen, du kennst das ja.«

»Emma!« Er will mich erneut berühren, aber der Fluchtinstinkt hat mich gepackt, und ehe ich mich versehe, bin ich aus dem Raum geeilt, um möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen.

Was ist nur los mit mir? Seit wann stehe ich auf Schüler?

Ich könnte seine Oma sein.

Ich bleibe auf dem Flur stehen und atme tief durch, bevor ich den anderen Behandlungsraum betrete und Aslan Yilmaz zum ersten Mal außerhalb des Unterrichts treffe. Ihn hat es definitiv schlimmer erwischt als Jascha. Seine Lippe ist dick und blutet.

»Hallo, Aslan.«

Er hebt den Blick und begegnet mir mit einem Lächeln, das ihn schmerzerfüllt zusammenzucken lässt. »Schön, Sie wiederzusehen.«

Ich lache, weil er trotz allem versucht, höflich zu sein. »Das sieht übel aus. Wie konnte das passieren?«

»Ach, Sie kennen doch Jascha.«

»Tue ich das?«, frage ich amüsiert und tupfe das Blut mit einem in Alkohol getränkten Tuch weg, um die Wunde besser beurteilen zu können. »Zeig mir mal ein Lächeln.«

Er gibt sein Bestes, und ich stelle fest, dass noch alle Zähne drin sind. Wenigstens das.

»Ihr solltet wirklich aufhören, euch ständig zu prügeln«, ermahne ich ihn. »Das wirft kein gutes Licht auf euch.«

»Er hat angefangen«, wehrt sich Aslan, und ich muss wieder lachen.

»Das Gleiche hat er eben auch gesagt.« Ich gebe eine Creme auf die Wunde, die dabei hilft, die Haut zusammenzuziehen, und gebe sie Aslan mit, damit er sie regelmäßig auftragen kann. »Pass einfach ein bisschen auf ihn auf. Er ist doch dein Freund, nicht wahr?«

Aslan nickt und spielt mit dem Döschen in seiner Hand.

»Dann halt ihn vielleicht mal zurück, wenn er wieder Blödsinn anstellt.«

»Ich werds versuchen«, verspricht er mir, bevor ich ihn entlasse. Erst dann fällt mir ein, dass ich Jascha nicht gesagt habe, dass er gehen darf. Einerseits hoffe ich, dass er einfach gegangen ist, andererseits würde ich ihn gerne nochmal sehen.

Ich schaue Aslan hinterher, der den Krankenflügel verlässt, und werfe einen Blick auf die Uhr. Kurz nach zwölf.

Eigentlich wollte ich längst ins Bett, aber nach der langen Ratssitzung und den erschreckenden Neuigkeiten aus Marokko war nicht mehr an Schlaf zu denken. Ich kann immer noch nicht glauben, dass Tyros wirklich tot sein soll. Irgendwie warte ich darauf, dass jemand hinter der Ecke hervorspringt und »Reingelegt!« ruft. Aber die letzten zwei Stunden sind vergangen, ohne dass sich etwas an den schrecklichen Tatsachen geändert hätte.

Die Gedanken an Tyros bringen mich auf den Boden der Tatsachen zurück, und ich traue mich, im anderen Zimmer nach Jascha zu sehen, der wirklich noch nicht gegangen ist, sondern auf dem Bett liegt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und an die Decke starrt.

»Du bist ja doch noch hier«, sage ich leise, und er wendet den Blick zu mir.

Er lächelt und setzt sich auf. »Du hast mir nicht gesagt, dass ich gehen darf.«

Ich reibe mir über den Nacken und unterdrücke ein Gähnen. »Tut mir leid. Heute war ein schrecklicher Tag. Ich wollte dich nicht länger zurückhalten. Aslan ist schon gegangen. Wenn du dich beeilst, holst du ihn vielleicht noch ein.«

Aber er macht keine Anstalten zu gehen.

»Was ist denn passiert?«, fragt er und klingt dabei so einfühlsam, dass ich ihm beinahe alles erzählt hätte. Gerade rechtzeitig erinnere ich mich daran, dass vor mir ein Schüler sitzt und es meine Pflicht ist, ihn vor den Dingen zu beschützen, um die sich die Wächter und Hexen des Rates kümmern. »Du kannst es mir ruhig erzählen, Emma. Ich bin hier, wenn du reden möchtest.«

»Jascha, du bist mein Schüler«, flüstere ich und schließe die Tür, damit uns keine fremden Ohren hören, obwohl ich nicht glaube, dass sich jemand um diese Uhrzeit freiwillig auf die Krankenstation verlaufen würde. »Du solltest solche Dinge wirklich nicht zu mir sagen.«

Er steht auf und kommt auf mich zu. Obwohl er jünger ist als ich, ist er größer.

»Und wenn ich dich mag?«, fragt er heiser. Mein Magen macht einen Purzelbaum. Was tue ich hier? Wieso fühle ich mich so?

»Dann solltest du ganz schnell diesen Raum verlassen und nie wieder herkommen«, wispere ich und versuche, mich nicht von seinen Lippen angezogen zu fühlen, die meinen gefährlich nah gekommen sind. Ich atme schwerfällig aus. »Damit würdest du uns beiden großen Ärger ersparen.«

Seine Nasenspitze berührt meine beinahe, und ich kann seinen Atem auf meinen Lippen spüren. Mir wird schwindelig vor Aufregung, doch bevor ich den Fehler meines Lebens machen kann, zieht er sich zurück und zwinkert mir zu. »Schlaf schön, Emma.«

Er öffnet die Tür, verschwindet in den dunklen Flur und lässt mich mit rasendem Herzen und Gedanken aus Glas zurück.

[2]

Hayet

Österreich, 2018

 

Der Duft von Zimt und Orangen füllt meine Nase, während ich das herabgebrannte Kaminfeuer beobachte. Die Glut knackt und knistert, als würde sie sich noch einmal zu einer Flamme aufbäumen wollen.

Ich trinke von meinem Tee und fühle mich an Daheim erinnert. An die Stunden im Wohnwagen mit Maman, in denen sie mir mehr über die Magie erzählt hat, die ein Teil meines Lebens ist, seit ich denken kann. Ich habe diese Welt immer geliebt. Ich war immer der Meinung, dass ich irgendwann – wenn ich groß bin und zaubern kann – meinen Teil dazu beitragen werde, mit meiner Magie die Welt zu verbessern und Menschen zu heilen.

Ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht, dass ich vielleicht die Black Heart sein könnte, von der in der Prophezeiung gesprochen wurde.

Das kam erst, als die Ersten von uns achtzehn wurden und die Wahrscheinlichkeit, keine Magie zu besitzen, für mich stieg.

Aber all die Teemischungen und das Kartenlegen und Handlesen, das ist auch Magie. Meine Art von Magie, mit der ich schon einigen Menschen geholfen habe. Vielleicht ist das meine Bestimmung. Auf irgendeinem Jahrmarkt arbeiten und die Menschen dazu anleiten, einen Schritt in ein besseres Leben zu gehen.

Ich schaue auf, als sich jemand auf das Sofa gegenüber fallen lässt.

Aslan.

Seine Lippe ist aufgeplatzt und lässt ihn verwegen aussehen.

»Habt ihr es geschafft?«, frage ich ihn leise.

»Ich denke schon.« Er lächelt und verzieht das Gesicht, weil seine Lippe zu sehr zu schmerzen scheint. »Warum bist du noch wach?«

»Dachtest du wirklich, ich könnte schlafen, wenn ihr gerade so etwas macht?« Ich trinke noch einen Schluck von meinem Tee und fühle, wie sich seine Wärme in meinem Inneren ausbreitet. Heute ist einer von diesen Tagen, an denen mir ständig kalt ist. Umso wohltuender ist ein Tee, der nach der Heimat schmeckt.

»Touché«, murmelt Aslan. »Wo steckt dein treuer Begleiter?«

»Lumière? Der liegt schon im Bett und schlummert.« Ich erzähle Aslan nicht, dass Yanis und ich vorher zwei Stunden durch das Schloss gestromert sind, damit er ein bisschen Bewegung hat und mehr als die vier kahlen Zimmerwände sieht. Dass er jetzt nicht mehr bei mir ist, liegt daran, dass er etwas Freiraum eingefordert hat, um in Ruhe nachzudenken. Vermutlich ärgert er sich mittlerweile, dass er uns an den Palast begleitet hat, aber ich bin ihm immer noch dankbar dafür. Ihn in meinem Rücken zu wissen, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.

Ich stelle die leere Tasse auf dem Tisch zwischen uns ab und betrachte Aslan neugierig. Wir haben in den letzten Tagen viel Zeit miteinander verbracht, aber ich weiß immer noch nicht, warum er so wenig zum Schlafen kommt. Gefühlt weiß er alles über mich, aber ich nichts über ihn.

»Hast du Lust auf einen Spaziergang?«, frage ich ihn.

»Jetzt noch? Es ist Sperrstunde.« Er deutet auf die große Uhr, die über dem Kamin hängt, und blickt mich wieder an. Dann beginnt er zu grinsen. »Also ja, ich bin dabei. Ich hätte da eine Idee, aber dafür brauchen wir Jacken. Ich hole uns welche.«

Ich lache und stehe auf, um die Tasse in die Küche zu bringen, die sich gleich zwei Räume neben dem Kaminzimmer befindet. Dort räume ich sie in die Geschirrspülmaschine, bevor ich zurückkehre.

Aslan kommt kurz nach mir und reicht mir eine seiner Sweatshirt-Jacken. Dankbar schlüpfe ich in die Ärmel und hülle mich in die Jacke ein, die nach ihm riecht. Einen Moment lang atme ich tief ein und genieße es, dass ich die nächste Stunde in seinem Duft nach Sonnenuntergängen in der Wüste baden darf.

»Bereit?« Er lächelt mich an und führt mich aus dem Raum hinaus. Wir laufen eine Weile durchs Schloss, und ich fürchte, die Orientierung längst verloren zu haben, doch da entdecken wir eine Wendeltreppe, die Aslan offensichtlich gesucht hat.

»Es wird dir gefallen«, verspricht er mir, während er mir voran hinaufgeht. Ich zähle die Stufen nicht mit, aber es sind mindestens drei Stockwerke, bis wir plötzlich vor einer schweren Metalltür stehen.

»Und jetzt?«, frage ich entmutigt, weil uns die Tür einen Strich durch die Rechnung macht. Aber Aslan scheint vorbereitet zu sein und holt etwas aus seiner Jackentasche, was verdächtig nach einem Dietrichset aussieht. »Du willst ausbrechen?«, witzle ich und warte gespannt ab, bis das Schloss klickt und er sich grinsend zu mir umdreht.

»Nur für eine Weile.« Er drückt die Tür auf, und ein kühler Luftzug weht mir um die Nase. Verblüfft folge ich Aslan hinaus auf das Dach des Gebäudeteils, in dem unsere Zimmer liegen müssen.

»Das ist verrückt«, wispere ich und strecke meine Hand aus, um den Schnee einzufangen, der sanft auf das Dach fällt. »Wie bist du darauf gestoßen?«

»Ich habe mir Zeit genommen, den Palast zu erkunden.« Er legt den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Die Schneeflocken verfangen sich in seinem dunklen Haar und glitzern einen Moment, bevor sie zu kleinen Tropfen werden.

Ich reiße meinen Blick von ihm los und schaue mich um. Es ist dunkel, aber man erkennt trotzdem einiges. In vielen Zimmern des Palastes brennt immer noch Licht, selbst der Innenhof ist beleuchtet. In der Ferne erkennt man einige Bergwipfel, die mit Schnee bedeckt sind.

»Es ist wunderschön«, flüstere ich und gehe vorsichtig zu Aslan. Das Dach ist zwar relativ flach, aber durch den Schnee auch etwas rutschig. Einen Sturz in die Tiefe würde man wohl nicht überleben. »Danke, dass du es mir zeigst.«

»Du sahst aus, als könntest du einen schönen Moment gebrauchen«, erwidert er, und wir gehen ein paar Schritte über das Dach.

»Eigentlich wollte ich heute über dich sprechen.« Ich lache. »Du weißt schon so viel von mir, aber ich habe das Gefühl, dass du mindestens genauso viele Geheimnisse mit dir herumträgst.«

»Das tue ich.« Er hebt eine Braue. »Aber Geheimnisse heißen Geheimnisse, weil sie geheim sind.«

»Dann erzähl mir Dinge über dich, die nicht geheim sind.« Ich zucke mit den Schultern. »Wo kommst du her? Was machst du gerne? Wie hast du Jascha kennengelernt? Solche Dinge eben.«

»Hm«, macht er nachdenklich und bleibt stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. So sieht er aus, als wäre er deutlich älter als Anfang zwanzig. »Ich bin schon so viel gereist, dass ich nicht mehr weiß, wo ich herkomme. Ich reise gerne. Und Jascha habe ich auf einer Reise kennengelernt.«

Er unterdrückt ein Grinsen und ich den Drang, ihm meinen Ellbogen in die Rippe zu stoßen.

»Ich verstehe«, antworte ich und wende mich ab, um weiterzugehen. Wenn er nicht über sich reden will, muss er nicht. Auch wenn ich sehr darauf brenne, mehr über ihn zu erfahren.

Er zögert einen Moment. »Paris«, sagt er dann. »Ich habe Jascha in Paris kennengelernt. Wir haben eine Weile zusammengearbeitet, bevor wir auf Gestaltwandler gestoßen sind. Das hat alles geändert.«

Ich lächle in mich hinein, aber das sieht er nicht. Ich passe zu gut darauf auf, dass er mein siegreiches Gefühl nicht entdeckt.

»Und das mit dem Reisen ist nicht gelogen. Ich reise wirklich gerne.« Er schließt zu mir auf. »Ich mag es, andere Kulturen und Menschen kennenzulernen.«

»Sprichst du deshalb so viele Sprachen?«

»Du hast wohl mitgezählt, hm?«

Ich laufe rot an und wende den Blick ab. »Nicht direkt. Es ist mir nur aufgefallen.«

Wir erreichen einen breiten Schornstein, neben dem sich ein Vorsprung befindet, der den perfekten Platz bietet, um sich hinzusetzen. Als hätten wir beide den gleichen Gedanken gehabt, rutschen wir nebeneinander auf die schmale Stelle und genießen die Wärme im Rücken, die vom Kaminfeuer kommen muss.

»Hier lässt es sich aushalten«, überlege ich laut. »Aber ich glaube, bis zum Morgengrauen schaffen wir es nicht.«

»Wohl nicht.« Aslan lehnt den Kopf gegen das Gemäuer. »Aber wir könnten wiederkommen, wenn wir mal wieder nicht schlafen können.«

Der Gedanke, dass er mich noch einmal mit auf sein Dach nehmen möchte, lässt mein Herz schneller schlagen. Bedeutet das, dass er mich mag?

Ich beschließe, mein Glück noch etwas auszureizen. Noch habe ich nicht das Gefühl, genug über ihn zu wissen. »Verrätst du mir, was dich wachhält?«

Er stößt eine Wolke warmen Atems aus, bevor er mich unergründlich ansieht. »Du bist wirklich neugierig, weißt du das?«

Ich grinse ihn an. »Ich finde es nur fair, wenn du mir verrätst, was dich beschäftigt. Nach allem, was du mittlerweile über mich weißt ...«

Er lacht auf und löst seinen Blick von mir. »Da hast du vermutlich recht. Ich bin’s nicht mehr gewohnt, solche Gespräche mit anderen Menschen zu führen. Dafür habe ich zu lange alles mit mir selbst ausgemacht.«

»Das musst du jetzt nicht mehr.« Ich strecke meine Hand aus und halte kurz inne, aber jetzt ist nicht der Moment, meine Handlungen infrage zu stellen, also berühre ich seinen Oberschenkel. Verwundert sieht er mich wieder an. »Du bist nicht allein, Aslan. Wenn dich etwas beschäftigt, kannst du jederzeit mit mir drüber sprechen. Ich würde dir gerne helfen.«

In seinen Augen geschieht etwas. Etwas, das ich nicht näher betiteln kann, weil es so schnell passiert. Aber danach ist sein Blick wärmer. Er gibt mir das Gefühl, dass er anfängt, mir zu vertrauen. Dass er tatsächlich darüber nachdenkt, mich in sein Geheimnis einzuweihen.

»Warum?«, fragt er heiser. Seine Stimme klingt wie die raue Winternacht, die uns in ihre Dunkelheit hüllt. »Ich meine, warum willst du mir helfen?«

»Weil wir befreundet sind«, erwidere ich, als wäre es das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt. Dass es das nicht ist, sehe ich an seinem Blick, und ich frage mich, was dieser junge Mann durchmachen musste, dass er das Vertrauen in Freundschaften verloren hat.

»Hayet, ich ...«, setzt er an und unterbricht sich selbst mit einem Kopfschütteln. »Ich kann nicht. Ich will dich da nicht mit reinziehen.«

Ich versuche die Enttäuschung zu verbergen, aber ihm fällt es trotzdem auf.

»Tut mir leid.« Er legt seine Hand über meine. Sein Blick sucht meinen und hält ihn fest. »Ich weiß, dass du es gut meinst. Und ein Teil von mir würde dir gerne alles erzählen, aber ... Es wäre besser für dich, wenn du nichts davon weißt und dich nicht weiter damit ... mit mir beschäftigst.«

Seine Worte lassen mein Innerstes zurück auf den Gefrierpunkt fallen. Ich fühle mich zurückgestoßen, obwohl ich weiß, dass er mich von sich schiebt, weil er mich mag. Aber so fühlt es sich nicht an.

»Wir sollten wieder reingehen«, flüstere ich und stehe auf. »Allmählich wird es kalt.«

Aslan erhebt sich und trottet schweigend neben mir her. Ich hatte so ein gutes Gefühl, als wir losgegangen sind, ich dachte, w-

Der Boden unter meinen Füßen wird glatt, und ganz plötzlich verliere ich den Halt. Einen Moment lang rudere ich mit den Armen, dann stürze ich und pralle mit dem Rücken auf die Dachschindeln. Einmal, zweimal, vielleicht auch dreimal – panisch versuche ich Halt zu finden und werde schließlich fündig. Ein Ruck geht durch meinen Körper, und ich nehme den kalten Wind an meinem nackten Bauch wahr, bevor mir klar wird, dass ich in der Luft pendle.

»Merde«, flüstere ich und sehe nach oben. Meine Finger winden sich um die Dachrinne, die meinem Gewicht sicher nicht mehr lange standhalten wird.

»Hayet!«

»Aslan!«, rufe ich zurück und spüre die Anstrengung in meinen Armen. Ich bin zwar nicht unsportlich, aber ein Klimmzug befindet sich nicht in meinem Repertoire.

»Merde, merde, merde«, stoße ich hervor und schlucke die aufkeimende Panik hinunter. Wenn ich jetzt hektisch werde, war’s das.

Aber dann erhebt sich ein großer Schatten über mir, ich blicke auf und erkenne etwas, das aussieht wie eine Mischung aus Vogel und Dinosaurier. Vor lauter Schreck hätte ich beinahe die Dachrinne losgelassen, aber dann setzt mein Verstand ein.

Aslan ist ein Gestaltwandler.

Er fliegt unter mich und hält sich mit dem Schlagen seiner Flügel auf einer Höhe. Ich muss nur loslassen, und er fängt mich auf.

Wenn ich Glück habe.

Und heute setze ich auf mein Glück.

[3]

 

Ivan

Österreich, 2018

 

Ein summendes Geräusch reißt mich aus dem Schlaf. Ich bin genervt, weil der Wecker schon klingelt, aber als ich die Augen aufschlage, wird mir klar, dass es noch viel zu früh für den Wecker ist.

»Was ist das?«, murmle ich schläfrig und löse mich von Lotta, um mich umzusehen. Mein Handy ist es jedenfalls nicht.

Auch Lotta wird wach. »Ivan? Dein Handy.«

»Das ist nicht mein Handy«, entgegne ich.

Lotta springt auf und eilt ins Wohnzimmer, ich hetze ihr nackt hinterher, um sie vor jeder Bedrohung zu schützen, die auf uns warten könnte, und bin überrascht, dass sie an ihren Schreibtisch geht.

Sie hält ein kleines, schwarzes Ding hoch, das in ihrer Hand vibriert.

»Was ist das?«

»Die Notfallklingel am Sekretariat.« Sie sieht mich an, die Verwunderung hält nur einen Augenblick, bis sie an mir vorbeistürmt, um sich in Windeseile anzuziehen.

---ENDE DER LESEPROBE---


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