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Kann es für Maggie Abendroth was Schöneres geben, als im Advent in der Bestellannahme eines Shoppingkanals an der Strippe hängen zu müssen? Aber sicher! Sie hört am anderen Ende der Leitung, wie jemand umgebracht wird, und Hauptkommissar Winnie Blaschke verpasst ein Abendessen, weil er vergeblich nach dem Mordopfer sucht. Kaum hat sich die Aufregung gelegt, taucht bei der jährlichen Friedhofsausstellung ausgerechnet in Herrn Mattis schönstem Sargmodell, dem Mafioso 2000, ein unerwartetes Exponat auf: männlich, kalt, tot. Die Spurensicherung liefert Ergebnisse, die Mattis Mitarbeiter Rudi Rolinski schuldig sprechen. Da kann nur noch ein Weihnachtswunder helfen, denn: DNA und Fingerabdrücke lügen nicht – oder doch?
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Seitenzahl: 342
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen
3501 Thomas Ziegler Überdosis
3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein
3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod
3504 Ulli B. Entschärft
3505 Udo W. Schulz Unter Blendern
3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady
3507 Stephan Peters Die Hexe von Gerresheim
3508 Uwe Voehl Mörderisches Klassentreffen
3509 Andreas Zwengel Mörderisches Windeck
3510 Alfred Wallon Tod am Gaswerk
3511 Ralph Sander Semper und der tote Vulkanier
3512 Edda Minck totgepflegt
3513 Edda Minck abgemurkst
3514 Edda Minck umgenietet
3515 Edda Minck ausgeträllert
3516 Edda Minck totgequatscht
Maggie Abendroth
Buch 5
Copyright © 2024 BLITZ-Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Covergestaltung: Helge Jepsen
Titelbild: Helge Jepsen
Lektorat: Dr. Meike Fritz
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-68984-140-9
3516 vom 05.10.2024
Ensemble
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Anmerkungen
Danksagung
Über die Autorin
Und da war er: der gefühlte siebenundzwanzigste weiße Albtraum aus Tüll, Taft und Seide, mit dem Wilma aus der Umkleidekabine rauschte. Mir völlig unverständlich, dass auf ihrem sonst so makellosen Gesicht das fahle Licht einer Neonreklame leuchtete, die verkündete: „Sie haben Ihr Fahrziel erreicht“. Und wie man weiß – Neonlicht macht alt.
Meine beste Freundin drehte sich vor dem Spiegel hin und her, die fleischgewordene Vision aller Hochzeitsfanatiker. Die riesengroße Schleife, die ihre Taille zierte, rutschte und kam knapp unterhalb der Hüfte zum Stehen. Die Enden der Schleife fielen schlapp herunter.
»Ach Gottchen, Gottchen, Gottchen, Kindchen, was sind Sie schmaaal. Wie ein Model. Da würde ja Heidi Klum neidisch werden«, flötete die Verkäuferin des Brautmodenladens Hochzeit’s Himmel, ohne die zehn Stecknadeln aus dem Mund zu nehmen. Bei der Hysterie, die die Dame verbreitete, hätte es auch gerne ‚Hochzeitsfimmel’ heißen können – wenigstens wäre so der Ossi-Apostroph verschwunden.
»Keine Sorge, das ist das Klümchen schon«, sagte ich.
Jede Frau, die Augen im Kopf hat, muss neidisch sein auf Wilma, und Heidi erst recht, weil Wilma glatt noch 4 Zentimeter größer ist als Deutschlands Kleiderständer Nummer eins aus Bergisch Gladbach. »Heidi macht nur Karriere, weil unsere Wilma nicht mehr auf den Catwalks dieser Welt läuft, nicht wahr? Außerdem hatte Heidi schon immer zu grobe Fußgelenke.«
Wilma verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
Die Verkäuferin blinzelte und starrte ihr ins Gesicht. »Ach ... ich weiß! Nein, sagen Sie es nicht ... Sie sind dieser, dieser ... Most, ja genau, die sich immer beim Koksen erwischen lässt, aber sehr ähnlich ... oder nee, Moment mal! Waren Sie mal bei Wetten Das?!«
Wilma sagte: »Nein«, und mir flüsterte sie zu: »Ich bring dich um, Maggie.«
Tja, knapp daneben ist auch vorbei, hätte ich der Verkäuferin sagen können, aber ich klärte sie nicht darüber auf, dass Wilma eines der erfolgreichsten Katalogmodels in Deutschland und Japan gewesen war, bevor noch Claudia Schiffer meinte, sie müsse für den Otto Katalog posieren.
»Können wir jetzt mal endlich? Die Schleife! Muss da nicht so was wie Draht rein? Die fällt doch immer zusammen«, sagte Wilma und zappelte herum. Ihre schlanken Arme ragten wie Stöckchen aus den überladenen Puffärmeln.
»Momentchen, Momentchen. Das haben wir gleich.« Die Dame setzte ihre Lesebrille auf die Nase, begutachtete den Schaden, den Wilmas Taille verursacht hatte, zupfte daran herum und drapierte die Schleife dorthin, wo sie hingehörte – auf den verlängerten Rücken. »Und dann machen wir noch hier und hier und hier ... ja, das stecke ich fest. Und Draht? Nee, ich mach das schon. Sie sehen aus, Kindchen. Zucker!« Dann wandte sich die Verkäuferin mit strengem Blick zu Winnie um, der es sich in einem riesigen goldfarbenen Ohrensessel bequem gemacht und bislang nichts weiter beigesteuert hatte als ein wissendes Lächeln gepaart mit wohldosiert gequälten Augenaufschlag, wenn Wilma mit ausladenden Schritten und Hüftgewackel in einem Brautkleid ihrer Wahl an uns vorbeidefilierte. An diesem Vormittag hatten wir immerhin schon sieben Walks gesehen, und Heidi hätte Wilma jedes Mal ein Foto dafür gegeben. An der Performance war nichts auszusetzen gewesen, dafür umso mehr an den Kleidern, die zur Auswahl standen.
Winnie machte ein kluges Gesicht, während die Verkäuferin die Augen zusammenkniff und sagte: »Sie sollten überhaupt nicht hier sein, junger Mann. Das gehört sich nicht. Ein Bräutigam, der das Brautkleid vor der Hochzeit sieht, bringt Unglück. Sieben Jahre mindestens.«
»Ich weiß«, sagte Winnie. »Aber das Brautkleid, das mir Unglück bringen würde, sollte ich es denn jemals sehen, wäre ein schwarzer Smoking. Oder vielleicht auch ein weißer.«
Die Stecknadeln zwischen den Lippen der Verkäuferin wanderten alle zum rechten Mundwinkel, und bevor sie sich vor Schreck mit den Dingern selbst entleiben konnte, sagte ich: »Er ist nur als Modeberater hier. Der Bräutigam befindet sich in Südamerika und rast mit seinem Mountainbike den Popocatepetl rauf und runter und wird von dem Kleid bis zum ersten Nä-Nä-NäNäNäää aus der Kirchenorgel nichts mitbekommen.«
Die Dame klatschte in die Hände. »Wenn das so ist. Dann sagen Sie mal was, Herr Modeberater.« Sie beugte sich zu mir herunter und flüsterte, ohne Winnie aus den Augen zu lassen: »Zieht der sich selber so an?«
Ich nickte. »Ja, das macht der ganz alleine. Beängstigend, nicht wahr? Er bekommt jährlich den inoffiziellen Pokal für den bestangezogenen Kripobeamten von Bochum verliehen.«
»Oh«, machte die Verkäuferin.
»Hm«, machte Winnie und zupfte an seiner Hose herum, an der es nichts zu zupfen gab. »Hm, Hm ...«
»Er will damit sagen: Du siehst aus wie Daisy Duck auf Koks. Wenn jetzt unter dir eine rosa Spieluhr wäre ... oder eine Sahnetorte ... vielleicht«, kam ich ihm zuvor, um die Sache abzukürzen. »Wilma, du brauchst was ... was ... Ach, Winnie, jetzt mal dein Einsatz. Wozu haben wir dich mitgenommen.«
»Also ... irgendwie ... zu niedlich. Zu viel Zucker. Maggie hat recht, Wilma. Du brauchst etwas weniger Cinderella, dafür etwas mehr Kill Bill.«
»Haben Sie das da?«, fragte ich die Verkäuferin.
»Ist das alles, was ihr beisteuern könnt?«, sagte Wilma, raffte die Röcke und stolzierte zurück in die Umkleidekabine.
»Bist du jetzt beleidigt?«, rief ich.
»Das macht keinen Spaß mit euch. Ich hätte Mia oder Berti mitnehmen sollen. Sogar Elli hat mehr Geschmack.«
»Ja, warum hast du dann nicht? Wenn dir unbedingt der Sinn danach steht, im mauvefarbenen Chiffontutu herumzulaufen, ruf sie doch an.«
Gegen den Modegeschmack der emeritierten Bochumer Kiezkönigin war nichts einzuwenden – vorausgesetzt man war ein Pudel oder über 150 Kilo schwer.
»Ja, hätte ich tun sollen. Die verliert ihre gute Laune wenigstens nicht. Ihr seid beide so ... ich weiß auch nicht. Negativ? Desinteressiert ... ach ...!«
»Aber das waren doch erst sieben Kleider, Kindchen. Für den schönsten Tag im Leben einer Frau muss man das Richtige aussuchen, und das kann dauern. Wir wollen doch keinen Fehler machen, nicht wahr? Immerhin muss man davon ausgehen, dass dieser Tag im Leben nur einmal kommt.« Die Verkäuferin grinste breit und sah dabei aus wie Hannibal Lecter. »Und Ihre Freunde meinen das nicht so ... nicht wahr?!« Sie zischte die letzten beiden Worte hervor, was aber keinen Eindruck auf uns machte.
»Wenn das so weitergeht, wird es so lange dauern, bis die Hochzeit vorbei ist. Wenn du mich fragst, ich finde, ein Hosenanzug à la Bianca Jagger seinerzeit. Was Cooles, ein bisschen Seventies und so ...«, rief ich in Richtung Umkleide.
»Maggie hat schon wieder recht«, sagte Winnie. »Du wirst wahrscheinlich von Ackis Freunden auf einem Mountainbike entführt werden – da wäre ein Hosenanzug das Beste. So ein Krinolinendings verheddert sich doch nur in den Speichen.«
Der Vorhang der Umkleidekabine öffnete sich und Wilma steckte den Kopf heraus. »Und wohin mit dem Strumpfband?«
»Mein Gott, das sind doch Detailfragen. Tacker es dir an die Stirn«, sagte ich und hätte am liebsten eine Zigarette geraucht. Aber meine Freundin war schon seit Stunden unerbittlich und verlangte von ihrem Hochzeitsteam ständige Anwesenheit.
Die Verkäuferin sah die Falten auf Wilmas Stirn und pfiff aus dem letzten Loch: »Jemand ein Proseccöchen vielleicht? Ich glaube, wir brauchen ein klitzekleines Päuschen.«
»Für mich nicht, aber geben Sie meinen beiden unfähigen Weddingplannern mal einen Schluck, vielleicht hilft es. Oh herrjeh, es ist ja schon gleich zwölf. Ich muss zurück in den Salon ... aber zwei schaffe ich noch ...«
Der Prosecco wurde serviert, und ich beugte mich zu Winnie hinüber: »Das mit der Hochzeit ist doch eine Schnapsidee, oder? Wilma ist ein Heiratshasser. Ich weiß gar nicht, was das alles soll. Und dann auch noch den Fahrradfreak. Wilma hasst Sport. Können wir nicht irgendwas tun, um die Katastrophe zu verhindern?«
»Die einzige Katastrophe sind die Kleider. Und das werden wir verhindern. Aber ansonsten habe ich den Eindruck, dass Wilma und Acki sehr glücklich sind.«
»Ja super! Wilma wird ein Fisch mit Fahrrad. Toll. Keine Hochzeit – kein Ärger, hat sie immer gepredigt. Aber jetzt!? Sie ist infiziert, vom Wedding-Virus. Seit Wochen gibt es nichts anderes als Blumenarrangements, Ankündigungen für Probeessen, das Studium diverser Speisekarten und Urlaubskataloge für Hochzeitsreisen, Einladungskarten-Casting, mit Goldschnitt oder ohne ... bunt, groß, klein oder gar nicht ... Es gibt mehr Optionen, falsche Einladungskarten zu verschicken, als die ahnungslose Singlewelt sich träumen lässt, Winnie.«
»Mach dir keine Sorgen, Heilung ist in Sicht. Für gewöhnlich genesen die Patienten nach dem Jawort recht schnell.«
»Du bist auch keine Hilfe. Nimm sie in Schutzhaft, die weiß ja nicht mehr, was sie tut.« Meine Laune verschlechterte sich täglich bei diesem Marathon an Glückseligkeit. Nicht, dass ich meiner besten Freundin kein Glück wünschte, aber sie war schon dünner als ich, sah tausendmal besser aus als ich, war pimpillionen mal erfolgreicher als ich, was musste sie auch noch verheirateter sein als ich? Warum musste sie überhaupt einen Mann haben, wo ich keinen hatte? Noch nicht mal in Aussicht, von Herrn Matti mal abgesehen, der mir mit der Sturheit eines Eisanglers Essenseinladungen schickte, die ich höflich ablehnte, weil ich ihn wirklich gern hatte, wie ich mir letztendlich hatte eingestehen müssen. Millimeter für Millimeter hatte er sich im Laufe der letzten drei Jahre in mein Herz geschlichen. Es gelang mir nicht, an der Tatsache vorbeizukommen, dass Matti etwas an sich hatte, dem auszuweichen mir immer mehr Energie raubte. Die Tatsache, dass er mir schon zweimal das Leben gerettet hatte, konnte es ja nicht sein. Er war so außergewöhnlich, wie ein Finne in Bochum exotisch sein kann, der ein Bestattungsunternehmen führte, für das er sich meinen Namen geliehen hatte. Bestattungen Abendroth klang eben besser als Bestattungen Bietiniemollaiinnen. Aber um der Sache auf den Grund zu gehen, hätte ich mit ihm mehr Zeit verbringen müssen. Und um herauszufinden, warum ich das nicht tat, hätte ich in mich gehen müssen – ein Ort, den ich lieber mied. Mein Selbstbewusstsein war nach allen Debakeln der letzten Jahre (ich hätte ein Buch mit dem Titel In drei kleinen Schritten zum totalen Fiasko schreiben können) auf Reiskorngröße zusammengeschrumpft, wohingegen mein Äußeres sich aufblähte wie ein Fesselballon. Na gut, an Elli Ruschkowskys Maßen kratzte ich noch nicht einmal, aber der Zeiger der Waage stolperte schon wieder stetig auf die 80 Kilo zu. Vielleicht fielen mir deshalb die nächsten Worte einfach so aus dem Mund: »Heiratest du, weil du das Alter spürst? Oder geht’s nur darum, mal so einen Tüllfummel zu tragen, bevor es ums letzte Hemd geht?«, fragte ich.
Winnie saß mit einem Mal kerzengerade im Sessel.
»Machst du das eigentlich, weil dich der Neid zerfrisst?«, kam es hinter dem Vorhang zurück. »Ich habe auf allen Laufstegen der Welt Hochzeitskleider präsentiert, falls du das vergessen haben solltest.«
»Dann hättest du eins davon mitnehmen sollen. Models kriegen doch immer was geschenkt. Dann wären wir jetzt hier schon fertig.«
Winnie atmete hörbar aus. »Okay, Ladies. Ein Kleid noch, dann muss ich zurück ins Präsidium. Mein Hintern kriegt schon Sitzfalten.«
»Und meine Schicht fängt in einer Stunde an, also dalli, dalli, Frau Korff, so lange ich noch an die Jungfernschaft in weißen Kleidern glaube.«
Hinter dem Vorhang war ein Rascheln zu hören, dann teilte sich der Stoff, und Wilma schritt heraus wie eine Königin. Die Verkäuferin, die geduldig an den Stecknadeln zwischen ihren Lippen vorbei an ihrem Prosecco genippt hatte, hustete vor Schreck, und die Stecknadeln flogen durch den Laden.
Winnie klatschte in die Hände und rief: »Yes, Baby. Das ist es!«
»Es fehlt natürlich noch das Make-up«, sagte Wilma und zog den wagenradgroßen weißen Schlapphut in die Stirn.
»Hab ich doch gleich gesagt.«
»Das ist nicht von uns!«, rief die Verkäuferin, dabei krabbelte sie auf allen Vieren auf dem Hochflorteppich herum, um die Stecknadeln wieder einzusammeln.
»Das weiß ich«, sagte Wilma. »Das ist Vintage. Bianca Jaggers Hosenanzug, den sie bei der Hochzeit mit Mick Jagger getragen hat ... Also nicht das Original, versteht sich. Aber ...«
Die Verkäuferin nahm uns die halb ausgetrunkenen Proseccogläser aus den Händen und marschierte davon.
»Warum ist sie so sauer?«, sagte Wilma.
»Weil es so aussieht, als würde sie grad nicht über Los gehen und nicht ein paar tausend Euro verdienen. Da kann man schon mal sauer werden. Ich bin Experte für nicht verdientes Geld.«
»Warum hast du das nicht gleich angezogen«, sagte Winnie. »Hätte eine Menge Zeit gespart.«
»Wäre aber nur der halbe Spaß gewesen. Der Anzug muss noch geändert werden. Die Jacke sitzt in den Schultern noch nicht perfekt. Ich dachte, das könnten die hier machen ... Wo ist die Verkäuferin denn jetzt?«
»Schmollecke. Such dir lieber einen anderen Schneider, sonst macht sie aus der Hose Hotpants. Wäre schade um die siebzig Zentimeter Schlag. Sag mal, wo hast du nur die Schuhe her? Dein Bräutigam wird auf einem Hochrad in die Kirche rollern müssen.«
»Aus London! Super, was?« Wilma lüpfte die Megaschlaghose, und Winnie schlug sich vor Begeisterung über die zwölf Zentimeter Plateaustiefel auf die Schenkel. »Lass dir von Elli noch ein paar Swarovskisteine drauftackern, dann passt das schon.«
»Tja, Winnie. Du bist jetzt als Brautführer gefordert. Was wirst du tragen? Ich seh dich schon in einem Elton-John-Gedächtnisfrack und Gary-Glitter-Stiefeln. Und was werde ich als Brautjungfer anziehen?«
»Das ist eine Überraschung. Mia und du, ihr werdet natürlich stilecht gekleidet. Die Sachen kommen noch. Anprobe bei mir nächste Woche. Bei Winnie und Nikolaj mache ich mir keine Sorgen.«
»Ach, so ... Bei uns muss man sich also Sorgen machen. Verstehe. Wenn du mir mit irgendwelchen Abba-Fummeln kommst, steige ich aus.«
»Hast du dich eigentlich schon um die Musik gekümmert?«, wechselte Wilma abrupt das Thema.
»Wenn ich sage, ich kümmere mich, dann mach ich das auch. Jetzt weiß ich ja endlich, um was es geht. Mit Treulich geführt, ziehet dahin werden wir nicht punkten. Eher schon mit White Wedding von Billy Idol. Wenn der Pfarrer das zulässt ... Dein Handy klingelt übrigens.«
Wilma ging zurück in die Kabine. Keine Minute später kündete ein verzücktes Quieken von irgendeiner positiven Nachricht.
»Hört sich an, als hätte Mick Jagger zugesagt«, sagte Winnie.
»Wenn sie etwas netter zu mir wäre, würde ich ihr sagen, dass ich weiß, wo ein weißer Rolls-Royce steht. Die Tagesmiete ist gar nicht mal so teuer.«
»Aber du wirst es ihr noch sagen, Miss Organizing? Du machst das übrigens super.«
»Danke für die Blumen, Winnie. Erzähl bitte nicht weiter, dass ich auch was kann. Wäre ein Schock für alle, wenn die Wahrheit über die talentfreie Zone herauskäme.«
»Das nenn’ ich mal ein Understatement, Frau Abendroth.«
»Super, Super, dass du das einrichten kannst. Ich danke dir ... natürlich«, kam es aus der Umkleide. »Ja sicher. Bitte alles nur in Schwarz-Weiß. Ja, klar. Ich hab den Anzug gekriegt, Danke, dass du das geschafft hast. Toll, toll ... «
In meinem Kopf läutete Quasimodo die ganz große Glocke. Wilma rief: »Ich pack nur schnell zusammen, dann können wir gehen. Maggie, kannst du schon mal ...« Sie reichte mir ihre Handtasche aus der Kabine und ich nahm sie entgegen. Ohne nachzudenken, griff ich hinein. Winnie runzelte die Stirn.
Ich holte das Handy heraus und drückte auf „angenommene Anrufe“ und die Telefonnummer, die ich sah, löste ein Erdbeben der Stärke 15 aus. Im nächsten Moment warf meine Hand, ohne vorher Bescheid zu sagen, die Tasche zurück in die Kabine.
»Wilma! Ich stelle nur eine Frage: Kommt der Knipser etwa zur Hochzeit, um die Fotos zu machen?“
»Ja, was ist denn schon ...?«
»Dann such dir gefälligst eine andere Brautjungfer.«
»Maggie ...!« Wilma hoppelte mit halb heruntergelassener Hose aus der Kabine.
»Ich hab mich doch klar ausgedrückt. Mein Ex oder ich!«
»Jetzt komm mal runter. Das ist organisatorisch eine Win-Win-Situation«, sagte sie und stieg ganz aus der Hose. Sie bückte sich, um das edle Teil aufzuheben, und vor dem Schaufenster blieben die ersten Männer stehen, um Wilmas Rückseite, eingepackt in einen champagnerfarbenen Stringtanga, zu bewundern. »Er hat mir den Anzug aus London besorgt. Er musste mächtig Strippen ziehen bei Yves Saint Laurent, um rauszufinden, wo noch ein Exemplar davon existiert! Und da muss ich ihn natürlich einladen ... außerdem macht er die Fotos gratis. Ich muss nur das Material zahlen. Und, voilà, du musst dich nicht mehr um einen Fotografen kümmern.«
»Das verstehe ich natürlich, Wilma. Der Herr Modefotograf hat sich richtig ins Zeug gelegt für dich, im Fundus von Madame Tussaud vermutlich, oder was? Denkst du überhaupt nicht nach? Reicht es nicht, dass das Schicksal, oder wie auch immer du das nennen willst, mir den Kerl immer wieder vor die Füße wirft, obwohl es nichts, aber auch gar nichts gibt, das mich an der Sache erfreut! Und jetzt bist es ausgerechnet du, die mich in Teufels Küche bringt! Win-Win-Situation! Ich werd dir mal zeigen, was eine richtige Win-Win-Situation ist.«
Ich war laut geworden, weil Wilma mir nicht zuhörte, sondern einfach wieder in der Umkleide verschwunden war. Die Verkäuferin kam angaloppiert, um nachzusehen, was los war.
»Ich werde dir für keine fünf Pfennig bei der Planung helfen! Sieh zu, wie du klar kommst.«
»Jetzt hab ich aber Angst, Maggie. Hilfe, ich kriege meine Hochzeit nicht gestemmt, weil Madame Abendroth den Schuh macht. Ich dachte, du wärst drüber weg.«
»Falsch gedacht. Ich werde drüber weg sein, wenn der Kerl sich atomisiert, vaporisiert und zum Mond appariert hat. Und ja, ich bin bestimmt ersetzbar. Engagier dir doch Froooonck, den Weddingplanner – damit es auch richtig in die Hose geht und der Knipser was abzulichten hat, wenn deine Gäste vorm ausgebuchten Hotel stehen. Ruf doch Sarah Connor an, die weiß, wie man sich dann fühlt.«
Winnie lehnte sich im Sessel zurück und sagte zur Verkäuferin: »Es ist alles in Ordnung – hier wird nur gleich kein Stein mehr auf dem anderen stehen, was halten Sie davon, noch eine Flasche Prosecco aufzumachen. Oder haben Sie was Stärkeres da?«
»Raus hier. Sie alle drei. Auf der Stelle verlassen Sie meinen Laden.« Um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen, zeigte sie mit ausgestrecktem Arm auf die Tür.
Ich nahm meine große Umhängetasche. »Bin schon weg.«
»Was ist denn jetzt, Maggie?«
»Was soll sein? Mach deinen Scheiß alleine. Und ein Geschenk kriegst du von mir auch nicht.«
»Wäre sowieso von Quality-TV gewesen. Wahrscheinlich ein Set Tupperdosen aus dem Angebot«, giftete sie aus der Kabine.
Ich drehte mich um. »Und wenn schon?! Die wären wenigstens von Herzen gekommen. Tschüss Winnie. Man sieht sich.«
Hinter mir fiel die Tür des Brautmodengeschäfts zu, und ich zündete mir eine Zigarette an. Aus dem Laden hörte ich Wilma nach mir rufen, und ich gebe zu, dass ich mit Freude registrierte, dass sie etwas kleinlaut klang. »Lässt du mir wenigstens die Planungsmappe da?«
»Aber selbstverständlich, Frau Korff!« Ich holte das dicke Heft mit Adressen, Ideen und Zeichnungen aus meiner Umhängetasche, nahm einen Tiefen Zug aus der Zigarette und riss die Kladde in Stücke. »Da hast du deinen Double-Trouble.«
Auf der anderen Seite der Glastür stand Wilma und bekam große Augen. Ja, die passen zum Anzug, Wilma, dachte ich. Ich ließ die Schnipsel auf den Boden rieseln und ging.
Nach ein paar Metern machte ich die nächste Zigarette an der noch glimmenden an und piekste meiner inneren Stimme mit spitzem Finger in die Brust. Dann sag mal was Schlaues dazu. Hat man noch Worte? Meine beste Freundin verrät mich für einen Fummel von Yves Saint Laurent! Judas!
Darf ich auch mal was sagen?, flüsterte meine innere Stimme.
Aber bitte sehr, wenn es hilft.
Mir ist zum Heulen, wisperte sie.
»Halt die Klappe. Dafür haben wir jetzt keine Zeit!«, rief ich laut, und die Passanten, die mir entgegenkamen, wichen erschrocken aus. Ich war schon losgerannt, um den nächsten Bus zu kriegen, der mich direkt zum Callcenter bringen würde, in dem ich seit Monaten arbeitete.
Als die Türen sich hinter mir mit lautem Zisch schlossen, hatte ich die brennende Zigarette immer noch zwischen den Lippen. Alle im Bus starrten mich an. Durch die Lautsprecheranlage tönte die Stimme des Fahrers: »Die Zigarette oder Sie!«
Die Türen öffneten sich wieder. Zu spät, um auf den nächsten Bus zu warten - ich schnippte sie hinaus. Dann trollte ich mich in die hinterste Ecke des Busses und wischte mir die Tränen mit dem Mantelärmel aus dem Gesicht. Plötzlich erschien ein Papiertaschentuch vor meiner Nase.
»Allergie«, krächzte ich und nahm das Taschentuch.
»Ja, ja, die Allergie kenne ich«, sagte eine Männerstimme.
»Oh, du bist es, Hassan. Wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, mache ich dich kalt.«
Normalerweise freute ich mich, meinen Kollegen Hassan im Bus zu treffen. Da war der Gang in die Legebatterie wenigstens nicht ganz so schrecklich. Ich guckte mich um.
»Keine Gefahr. Keiner hier von der Vollpfostenfraktion«, sagte Hassan. »Und warum sollte ich über so was Langweiliges wie eine Allergie reden. Es verhielte sich natürlich anders, wenn hinter deinen Tränen eine tatsächlich dramatische Geschichte stecken würde. Aber das tut es ja nicht, oder?«
»Nein, tut es nicht«, sagte ich. Wo kein Wille ist, da kann auch kein Drama sein. Hört, hört, sagte meine innere Stimme und verzog sich in die Schmollecke, um sich ihrem mentalen Schluckauf zu widmen.
Kurz vor Weihnachten war in der Bestellannahme von Quality-TV keine Zeit für Sentimentalitäten. Ich warf einen besorgten Blick auf die Anzeigetafel: 350 Kunden in der Warteschleife, und ich hatte heute Doppelschicht. Gute Aussichten, am Ende des Tages noch nicht einmal mehr zu wissen, wie man seinen eigenen Namen schreibt. Denn als Callcenter Agent kämpft man einen einsamen Kampf gegen Menschenhass, Hörsturz und Zungenlähmung.
»Guten Tag, Quality-TV, mein Name ist Maggie Abendroth. Was kann ich für Sie tun?«, leierte ich die Begrüßung herunter, bog dabei eine Büroklammer auf und zu und wartete darauf, dass der Anrufer mir seine Wünsche mitteilte. Mir tat der Nacken weh, und ich hatte den Eindruck, bereits mit halb Deutschland telefoniert zu haben.
Statt einer Begrüßung wurde mir ohne Vorwarnung ein Niesanfall ins Ohr geblasen. Ich zog das Headset weg und wartete. Nach mehreren Sekunden sagte ich: »Gesundheit.«
»Da-Dan... Arch ... Tschi!«, kam es vom anderen Ende. Na gut, ich hatte heute nicht mehr so viel vor. Eingepfercht in einer 1-Quadratmeter Box, genannt Cube, bestehend aus einem Schreibtisch, umgeben mit 70 Zentimeter hohen Schallschutzwänden, hing ich wie ein Kettenhund an einem Spiralkabel, das meinen Kopfhörer mit dem Telefon verband, und war der Kundschaft ausgeliefert. Denn sobald ein Anrufer aufgelegt hatte, war automatisch schon der nächste in der Leitung. Was zur Folge hatte, dass man während einer so genannten ‚Warteschleife’ von seinem Cube nur wegkam, wenn man nach dem Notarzt rief oder entkräftet vom Stuhl fiel.
Der Niesanfall meiner Kundin verschaffte mir eine Verschnaufpause, und ich trank einen Schluck Wasser. Der Geist der Weihnacht hatte die Geschäftsleitung gnädig gestimmt, und irgendjemand in den oberen Etagen des Hühnerstalls hatte angeordnet, dass das Wassertrinken am Arbeitsplatz ausnahmsweise so geräuschlos wie möglich, bitte, gestattet sei. So lautete die Mitteilung, die vor ein paar Tagen jeder Mitarbeiter in seinem Fach gefunden hatte. Auf dem Wisch hatte auch gestanden, dass in den Großraumbüros, wo immerhin über achtzig Callcenter Agents pro Etage saßen und ebenso viele Computer heiß liefen, die Fenster nicht geöffnet werden durften, weil sonst die Klimaanlage durchdrehte. Dementsprechend roch es in allen Etagen nach schlampiger Bodenhaltung mit gebietsweisem Missbrauch von billigem Parfum, und die Luftfeuchtigkeit tendierte gegen null. Welche Systeme bei uns, dem lebenden Inventar, in absehbarer Zeit durchdrehen würden, interessierte niemanden.
»Hallo, sind Sie noch dran?«, sagte ich. Ich hörte Geraschel, dann ein nasales »Entschuldigung«, dann trompete die Dame in ihr Taschentuch. »Lassen Sie sich Zeit«, sagte ich und warf einen Blick auf einen der zehn Fernseher, die im Raum unter der Decke verteilt hingen, und schaute unserer Geschmeide-Königin bei der Arbeit zu. Sonja, unterm Solarium dauerangekokelt und bis zum tief liegenden Dekolleté faltig wie ein Elefantenhintern, breitete mehrere Ringe auf einem roten Samtkissen aus und quiekte in den höchsten Tönen ein paar Takte von Diamonds are a girls best friend. Ihre haselnussbraunen Falten steckten in einem knallengen roten Santa-Claus-Outfit, und die Zipfelmütze rutschte ihr alle paar Minuten ins Gesicht. Sie ließ ihre blendendweißen Veneers aufblitzen, warf den Bommel wieder zurück und schob ihren hochgepushten Busen noch weiter in die Kamera. »Das alles, meine Damen und Herren – das alles bekommen Sie für den sagenhaften Preis von ...? Na?! Halten Sie sich fest: 299 Euro 99. Vier Weißgoldringe in hochwertiger Ausführung. Die Steine sind Brillanique-Synthes-Steine, nicht zu unterscheiden von richtigen Diamanten«, gurrte sie. »Das ist Qualität, die Ihr Portemonnaie nicht strapaziert. Schauen Sie nur, wie die funkeln. Eins, zwei, drei, VIER RINGE. Meine Herren, denken Sie an Weihnachten, denken Sie an Ihre liebe Frau zu Hause, und machen Sie sich und ihr eine Freude. Das Strahlen von Brillanique wird sich in den Augen Ihrer Frau widerspiegeln.« Sonja rollte ekstatisch mit den Augen. In einem anderen Kontext hätte man auf Tollwut getippt und ihr vorsorglich eine Spritze verpasst. Aber bei Quality-TV war den Moderatoren alles erlaubt außer Sprachlosigkeit und Striptease.
Die Anzeigetafel blinkte in roten Leuchtdioden: 633. Ich hätte nie gedacht, dass in Deutschland ein so deutlicher Mangel an Talmi herrschte.
»Hallo? Sind Sie noch da?«, pfiff es durch den Hörer.
»Aber sicher. Wie kann ich Ihnen helfen?«, nahm ich das Gespräch wieder auf.
»Bestellnummer QTV-6786767787«, rasselte die Kundin. Auf dem Bildschirm wurde die Zahl der noch zur Verfügung stehenden Geschmeide-Sets angezeigt, die rasant gegen null ging.
»Zunächst brauche ich Ihre Kundennummer, bitte«, sagte ich.
Die Dame am anderen Ende keuchte. »Hab ich grad nicht. Aber ich brauche dieses Schmuckset noch für meine Schwiegermutter ... und ich hab heute Morgen schon was bestellt, suchen Sie das doch raus. Bitte, sonst ist es weg.«
Würde ich ja, Gnädigste, aber auch dafür bräuchte ich Ihre Kundennummer. Aber was soll man sich lange mit Erklärungen aufhalten, wenn das Lebensglück der Kundschaft von vier Ringen mit unechten Steinen abhing? »Ihre Kundennummer, bitte.«
Das Pfeifen der Kundin wurde schriller: »Hab ich grad nicht! Sind Sie taub?«
»Nein, wenn Sie Ihre Kundennummer nicht haben, dann sagen Sie mir bitte jetzt Ihren Namen.«
»Maria Mayer, geboren am 16.02.1948, mein Geheimwort ist ... ist ... Moment mal ... ich muss ... Mayer mit A Yps ... Haatschi!« Ihr Niesanfall gewann die Oberhand, und ich hatte Zeit, wenigstens ihren Namen einzutippen.
»Wie ist Ihr Geburtsdatum, bitte? Das konnte ich grad nicht verstehen.« Amüsiert verfolgte ich den Countdown auf dem Bildschirm.
Drei ...
zwei ...
eins ...
Keins! Auf dem Bildschirm leuchtete das Wort ‚Ausverkauft’ auf. Meine verschnupfte Kundin entließ mich mit einem lauten »Dumme Kuh!« und knallte den Hörer auf.
Sonja lächelte breit in die Kamera und tröstete all jene, die kein Schmuckset mehr abbekommen hatten mit der Ankündigung weiterer exklusiver Preziosen aus der Fachabteilung ‚Talmi’.
»Und jetzt der absolute Hit. Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, Ihr Weihnachtsfest zum Strahlen zu bringen ... Ein Dreier-Sortiment von diamantierten Panzerketten für den gepflegten Gentleman.«
Schloss sich das nicht schon per se aus, dachte ich und leierte meinen Begrüßungsspruch herunter.
„Passt die Panzerkette wohl auch an mein Arko sein Hals?“, wurde ich unwirsch gefragt.
»Hat der Köter eine Kundennummer?«, antwortete ich und malträtierte derweil die nächste Büroklammer.
»Jasija. Dem sein Hals is achtendreißig Zentimeter im Umfang. Wie viel hat die Kette?«
Ohne mich zu vergewissern, sagte ich: »Ja. Die hat über fünfzig. Das passt dicke.« Wer seinem Köter goldene Panzerketten zu Weihnachten kauft, hat es nicht besser verdient.
Die Frau blökte in den Hörer: »Arko, willze gezz die Ketten? Arko?! ... Sach do ma!«
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter – hatte ich etwa im Anfall geistiger Umnachtung soeben ihren Gatten einen Köter genannt? Ich hörte schon das Donnerwetter anrollen, denn unserer Gespräche wurden zwecks Qualitätskontrolle mitgeschnitten, und wir Neuen hatten beinahe täglich Monitoring-Termine. Eine Formulierung, die nicht im Telefonscript stand, wurde schon mit 10 Punkten Abzug geahndet. Für den ‚Köter’, sollte es denn jemand mitbekommen haben, könnte ich wahrscheinlich meine Papiere abholen.
Ein lautes Bellen am anderen Ende der Leitung erlöste mich aus der Schockstarre.
»Er hat wirklich einen guten Geschmack«, sagte ich und nahm die Bestellung auf.
Sechsunddreißig Panzerkettensets zu je 199 Euro später loggte ich mich mit Trick 17 (Null drücken, auf die Gabel hauen, Pausentaste betätigen) aus und ging zur Toilette, um eine Zigarette zu rauchen.
Leider hatte die Vollpfostenfraktion dieselbe Idee schon vor mir gehabt.
Als ich zur Tür hereinkam, erstarb das Gespräch auf der Stelle, und ich wurde von drei Augenpaaren kritisch beäugt. Danuta, eine wasserstoffblonde Polin auf hochhackigen, pinkfarbenen Pumps, die über und über mit den hauseigenen unechten Brillanique-Diamanten behängt war, schnippte ihre Zigarette ins Waschbecken, quetschte sich an mir vorbei und sagte: »Aaaah ... meine RTL ...« Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu, und die dicke Walburga, die mit mir im Einführungsseminar gesessen hatte, lachte mit und verließ hinter Danuta den Waschraum. Die Namen der dritten Frau wusste ich immer noch nicht – ich nannte sie Das Schäfchen.
»Den Witz versteh ich nicht.« Nie hatte ein Name besser gepasst.
»Es ist auch kein Witz«, sagte ich. »Kommt’ne Polin zur Polizei und sagt: Mein Auto wurde gestohlen. Das wär’n Witz. Und jetzt mach mal die Klotür frei, bitte.«
Ich drängte sie zur Seite, ging in die Toilettenkabine und knallte die Tür hinter mir zu.
»Was?«, fragte das Schaf, und ich konnte das drei Meter große Fragezeichen über ihrer pickeligen Stirn direkt vor mir sehen.
»Frag Danuta, die ist hier für die Volksbelustigung zuständig.«
Ich hörte die Tür auf-und zugehen und steckte mir eine Zigarette an. Irgendjemand aus der Personalabteilung musste die Information gestreut haben, dass ich mal beim Fernsehen in Köln gearbeitet hatte. Danuta hatte ihre eigenen Schlüsse daraus gezogen und verkündet, ich sei bestimmt nur aus Neugier hier, um Material zu sammeln – von wegen, ich müsse hier arbeiten! Das hätte ich bei meinem Lebenslauf doch gar nicht nötig. Man wüsste doch genau, wie viel die Fernsehfuzzis so verdienen. Ihrer Meinung nach könnte ich mich zur Tarnung in noch so billige Jeans aus unserem Outlet-Shop quetschen, sie würde sich davon nicht an der Nase herumführen lassen. Ich hätte ihr seinerzeit gerne noch weiter zugehört, aber ein paar Kollegen, die mich gesehen hatten, hatten ihr ein Zeichen gegeben. Nicht, dass sie verschämt verstummt wäre, nein, sie hatte sich herumgedreht, mir zugewinkt und gezischt: »Schön, mal richtig arbeiten zu müssen, ne?!«
Nun, hatte ich gedacht, ich hab zwar eine Schreibblockade, ein vermurkstes Drehbuchschreiberleben und ich befinde mich garantiert nicht an dem Ort, an dem ich sein will, aber wenn mir eine gut gezirkelte Bananenflanke entgegensegelt, dann versenke ich die Kirsche im Netz.
»Schade, ich hatte grad drüber nachgedacht, was für dich bei Big Brother klarzumachen«, hatte ich gesagt und dann genüsslich hinzugefügt: »Aber leider ist die Zicke schon besetzt, und für das Muttchen vom Dienst taugst du nicht. Wir suchen nur noch die Jungfrau. Und da kann man nicht mogeln, der Produzent vergewissert sich persönlich über den einwandfreien Zustand der Dame, und da dürftest du wohl durchfallen.«
In Danutas Gesicht waren sämtliche Gesichtszüge entgleist, sie war sich nicht sicher, ob ich mir mit ihr einen Scherz erlaubte oder nicht, wagte es aber nicht, noch mal nachzufragen, und entschied sich für: »Da würde ich doch nicht mitmachen. Ich bin doch nicht blöd.« Sie hatte sich Beifall heischend umgesehen, und ihre Clique hatte brav genickt. Das Schäfchen, wie immer auf der Leitung stehend, trompete voller Enthusiasmus: »Aber blond ... und wie ...«
Ich wurde Zeuge, wie unter den tödlichen Sehstrahlen von Danuta Piontek das Schäfchen zu einem Häufchen grüner Asche verdampfte. Drei Tage lang war sie von den Zigarettenpausen der Clique ausgeschlossen und saß in der hinterletzten Ecke, ganz weit weg von allem, was sie für erstrebenswert hielt. Wer noch irgendwelche Fragen zum Rudelverhalten gehabt hätte – hier wurden sie alle auf einen Schlag beantwortet.
»Frau Abendroth, was machen Sie da?«, wurde ich plötzlich angeherrscht. Vor meinem Cube stand der Teamleiter Herr Möhl, ein speckiger, kleiner Mann mit Halbglatze und teigigem, grauem Teint. Er stützte sich auf der Trennwand ab und starrte mich an.
Nun ja, die Frage war nicht unberechtigt, und ich hätte sie mir grad gerne selbst beantwortet. Ich muss wohl völlig geistesabwesend von der Toilette wieder zurückgekommen sein. Meine Kopfhörer hatte ich auf den Ohren, so viel konnte ich feststellen.
»Was meinen Sie denn, nach was es aussieht?«, fragte ich beinahe ehrlich interessiert.
»Nichts jedenfalls, wofür Sie hier bezahlt werden!«
»Aha?«
»Sie sollen zum Monitoring kommen. Der Kollege versucht Sie seit einer Viertelstunde zu erreichen.«
Ich betrachtete die Schwitzflecken auf seinem Hemd, wünschte mir eine Nasenklammer herbei und sagte: »Wir haben eine Warteschleife, ich hab sein Anklopfen im Telefon wohl nicht gehört, Herr Möhl. Aber, wenn Sie wollen, logge ich mich kurz aus.«
»Sie brauchen sich nicht auszuloggen! Sie sind nämlich gar nicht eingeloggt! Im Übrigen riechen Sie nach Zigarette, ich kann mich nicht erinnern, Sie in die Pause geschickt zu haben!«, wetterte er und hüpfte dabei auf und ab.
Tja, schlimm, wenn man als Teamleiter seine Privilegien einklagen muss. Ich hatte schon zwei Anpfiffe bekommen, weil ich nicht bereit war, wie ein Erstklässler aufzuzeigen, um mir eine Pinkelgenehmigung von ihm erteilen zu lassen.
»Und wenn Sie schon hier sitzen, warum loggen Sie sich nicht wieder ein?«, setzte Möhl nach.
Ich guckte auf mein Telefon und stellte fest, dass er recht hatte. Wie konnte mir nicht auffallen, dass ich keine Anrufe bekam, während um mich herum der Hühnerstall auf Hochtouren lief und die Anzeige immer noch 460 Anrufer in Warteposition signalisierte?
»Tja, dann geh ich am besten gleich mal los, was?«, sagte ich und legte mein Headset auf den Tisch. »Falls es um Überstunden geht: Meine Schicht geht bis zweiundzwanzig Uhr. Ich kann heute nicht länger bleiben.«
Möhl guckte umständlich auf seine Armbanduhr und grunzte: »Na schön. Aber morgen erwarte ich, dass Sie sich da flexibler zeigen. Wir machen hier Business und keine Serie auf dem Ponyhof.«
»Und ich weiß, dass nach Doppelschichten Überstunden ausdrücklich verboten sind«, gab ich zurück. »Ach, und bevor ich Sie nachher wieder stundenlang suchen muss ...« Ich schob ihm meinen Stundenzettel hin. Er nahm ihn und drehte sich weg.
»Lernen Sie den auswendig?«
Er fuhr herum. »Ich muss schließlich Ihre Eintragungen kontrollieren«, sagte er und warf mir den Zettel auf den Tisch.
»Unterschreiben, bitte, Herr Möhl«, sagte ich und hielt ihm das Papier wieder hin. Er riss mir den Zettel aus der Hand und ging in Richtung Teamleiterbüro. Danutas Gesicht erschien über der Trennwand ihres Cube. Sie winkte Möhl zu, der prompt in ihre Richtung abdrehte.
»Danke, dass Sie ihn mir in mein Fach legen, wenn Sie unterschrieben haben«, rief ich ihm zuckersüß hinterher. Und tu mir einen Gefallen und brich dir auf deiner Schleimspur das Genick!
Ein paar Kollegen in meiner nächsten Umgebung nickten mir anerkennend zu. Das Schafsgesicht erschien aus dem Cube neben Danuta und verschwand sofort wieder hinter der Trennwand, als Herr Möhl in ihren Gang einbog.
Eine E-Mail von Hassan ploppte auf meinem Bildschirm auf. „Morgen legt dir Danuta bestimmt Reißzwecken auf den Stuhl.“
Ich schrieb zurück: „Pass auf, dass die dicke Walburga sich nicht auf dich setzt.“
Als ich an ihm vorbei zum Ausgang ging, hielt er mitten im Satz das Mikrofon an seinem Headset zu und flüsterte: »Sei bloß vorsichtig. Danuta ist ein ‚pain in the ass’. Die guckt mich neuerdings immer so an. Ich fange an, mich zu fürchten.«
»Vielleicht ist sie verknallt in dich ... Hüte dich vor dunklen Hauseingängen, mein Wüstensohn.«
»Mich kriegt sie nicht – da müsste sie mindestens zwanzig Kamele abdrücken ... aber sie hat nur ein Schäfchen ...«
Er grinste und sprach schon wieder in sein Mikrophon: »Ich fasse Ihre Bestellung zusammen: Dreimal das Schmuckset Pain in the Ass ... wie bitte? Oh, Entschuldigung ... zweimal nur, selbstverständlich ...«
Zum großen Erstaunen meiner Freunde hatte ich bis jetzt bei Quality-TV durchgehalten.
»Wat willz du denn den Leuten am Tellefon verkaufen?“, hatte Oma Berti gesagt, als ich erzählte, wo ich demnächst mein Geld verdienen würde. »Du warss doch schon im Kiosk’ne Vollniete.«
Und Wilma hatte nur mild gelächelt. »Ja, ja ... Bestellannahme. Da muss man freundlich sein. Ich hoffe, du weißt das.«
Wirklich gefreut hatte sich nur Matti – auf seine altbewährte Matti-Art. Er hatte mir die Hand geschüttelt und auf Finnisch gesagt: »Onnittelen teitä.« Dann war er wieder in den Katakomben seines Bestattungsinstitutes verschwunden, um die nächste Leiche zu verschönern. Rudi Rolinski, Mattis Mitarbeiter, neuerdings im Besitze eines Bestatterdiploms, entwickelte, nachdem er gehört hatte, wo ich arbeiten würde, prompt eine neue Geschäftsidee
»Man könnte doch bei Quality-TV auch Beerdigungen verkaufen. Das wäre mal eine Vorsorge-Maßnahme. Super! Alles schon bezahlt – auf Abruf. Ich könnte das super anbieten da. Ich weiß, wie man mit den Leuten redet, und telegen bin ich auch. Stell dir mal vor, Maggie, ich vor der Kamera, und dann sage ich: Beim heutigen Angebot legt Herr Rolinski noch was drauf: Ein Sarg und nicht nur ein Kranz! Nein, meine Damen und Herren, das Set umfasst drei Kränze mit Grabschleifen, Aufschrift frei wählbar, und dazu bekommen Sie noch die komplette Innenausstattung gratis – inklusive Sargbekleidung für Herren oder Damen – in Ökobaumwolle – bügelfrei.«
»Genau, Rudi«, hatte ich geantwortet. »Schmuck-Urnen oder Eichensärge im Doppelpack als Sonderangebot für Jubilare, die ihre goldene Hochzeit feiern. Sehr vorausschauend. Praktisch denken, Särge schenken.«
»Super Slogan, Maggie. Du hast echt was drauf.« Mit diesen Worten war er in den Keller gerannt, um Matti diese außerordentlich innovative Idee vorzustellen.
Mia Hoffstiepel, Freundin von Oma Berti und Halbtagssekretärin der beiden seltsamen Bestatter, hatte gelacht. »Setzt dem bloß keine Flausen in den Kopf, der macht das wirklich.«
Und warum auch nicht, wenn Broiler-Martin seine Hühner-Leichen auf den Grill werfen kann, kann Rudi Ferrari-Rot gesprayte Schmuckurnen anbieten.
Die Szene ging mir durch den Kopf, als ich Mr. Jones gegenübertrat, der sich, als Gesandter vom amerikanischen Mutterschiff, die Ehre gab, mir meine Talentlosigkeit persönlich vorzuhalten. »Sie hätten der Kundin etwas anderes anbieten müssen, wenn etwas ausverkauft ist.«
»Okay, okay. Werd’ ich mir merken«, sagte ich.
»Okay, okay heißt bei uns in den Staaten: Kiss my ass. Ich hoffe, das meinen Sie nicht.«
»Wir sind hier in Deutschland, Mr. Jones. Da bedeutet es: Ja, Chef. Wird sofort erledigt.«
»Arbeiten Sie gerne hier?«
»Nein. Ich arbeite hier, weil ich muss.«
Er blickte von seinem Gesprächsprotokoll auf und kniff die Augen zusammen. Dann lächelte er und sagte: »Guter Gag. Und lernen Sie zu Lächeln beim Telefonieren. Lächeln. Smile, please.« Der Subtext allerdings stand ihm auf der Stirn geschrieben: »Noch so eine Frechheit, und dann werden wir uns nach dem Weihnachtshorror gerne von Ihnen verabschieden.«
»Danke, Mr. Jones. Schönen Abend noch.«
»Moment! Sie hatten vorhin keine Genehmigung, sich für eine Pause auszuloggen.«
»Ein menschliches Bedürfnis, das werden Sie doch verstehen, und Herr Möhl war nirgends aufzutreiben. Soll ich mir etwa in die Hose machen?«
Er erhob sich von seinem Stuhl. »Wenn Sie Ihren Job behalten wollen, dann werden Sie in der Lage sein, Ihren Teamleiter zu finden, wenn Sie ihn brauchen.«
»Ich brauchte nicht ihn, ich brauchte eine Toilette«, sagte ich, ohne nachzudenken. Auf Mr. Jones Stirn zog ein Tornado auf, und ich sagte schnell: »Bis man Herrn Möhl gefunden hat – kann man einen Inselstaat bevölkern. Dann ist es für alles zu spät. You know?«
Jones räusperte sich. »You better listen!«
»Ja, ja ... Hab’s kapiert.«
Kaum wieder zurück und eingeloggt, wünschte ich mir, Jones hätte mich auf der Stelle rausgeworfen, denn mein Anrufer gehörte in die Kategorie: Malen nach Zahlen.
„Das Ding da, mit dem man ... na, Sie wissen schon, das vor einer Stunde in der Sendung mit dem Küchenzeug.«