Toxicon - Florian Th. M. Brunn - E-Book

Toxicon E-Book

Florian Th. M. Brunn

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Beschreibung

Polizeikommissar Marc Wagner wird Zeuge des schleichenden Ausbruchs einer Epidemie in Limburg an der Lahn. Die Stadt versinkt immer weiter im Chaos, woraufhin es an jeglicher Art von Rettungskräften und Helfern fehlt. Zusammen mit seinem Partner, Oberkommissar Köster, beginnt er, in diesem mysteriösen Fall zu ermitteln. Eine Hetzjagd beginnt, die die beiden Kommissare nicht nur durch Limburg und Umgebung, sondern bis in den Westerwald und sowohl in die Zukunft, als auch die Vergangenheit führt.

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EPUB
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Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Florian Thilo Michael Brunn wurde am 19.11.1992 in Frankfurt am Main geboren. Im Alter von 8 Jahren zog die Familie nach Limburg an der Lahn, wo er die Grundschule im Stadtteil Offheim besuchte und im Jahr 2003 begann, ein städtisches Gymnasium zu besuchen. Im Jahre 2013 verließ er die Schule mit erfolgreich absolviertem Abitur, leistete anschließend freiwilligen Wehrdienst und begann im Frühjahr 2014 mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Mainz.

Motive des Autors

Das kreative Schreiben ist für mich nicht nur ein Hobby, sondern eine Leidenschaft. Mit dem Kriminalroman „Toxicon” soll die Bevölkerung in und um Limburg herum nun einen regionalen und aktuellen Kriminalroman bekommen. Denn was gibt es Schöneres und Spannenderes, als täglich an Stellen vorbeizulaufen, an denen beim gestrigen Lesen zwar fiktiv, aber doch ermittelt, wenn nicht sogar gemordet wurde. Vorstellungskraft und Vertrautheit mit der Kulisse machen an dieser Stelle das Lesen eines einfachen Kriminalromans zu einem Abenteuer.

„Aber so wenig als im Leben des Einzelnen ist es für das Leben der Menschheit wünschenswert, die Zukunft zu wissen.“ -Jacob Burckhardt

Florian Th. M. Brunn

Toxicon

Limburger Kriminalroman

Impressum

© 2015 Florian Brunn

Umschlaggestaltung, Illustration: Florian Brunn

Lektorat, Korrektorat: Jakob Scheffel, Gianluca Zelba, Meike Weinbach, Florian Brunn

ISBN (Paperback): 978-3-7323-2659-4

ISBN (Hardcover): 978-3-7323-2660-0

ISBN (E-Book): 978-3-7323-2661-7

Verlag: Buchtalent - eine Verlagsmarke der tredition GmbH, Hamburg

www.buchtalent.de

www.tredition.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Toxicon

Limburg an der Lahn. 2015.

Ein angenehm kühler Wind wehte durch die schmalen Straßen und Gassen der Limburger Altstadt. Marc, ein vierundzwanzig Jahre junger Mann, strich sich durch sein kurzes, braunes Haar und wischte sich anschließend die Schweißtropfen aus seinem Gesicht, die ihm inzwischen von der Stirn über die rechte Wange auf seinen Dreitagebart getropft waren. Er saß im Außenbereich vor seiner Lieblingskneipe, der in Limburg allseits bekannten „Tonne“. Nach einem kräftigen Schluck von seinem kalten, dunklen Bier seufzte er zufrieden und freute sich den Bruchteil einer Sekunde lang über die kurze Abkühlung. Jeder Windstoß, der durch die engen Gassen fegte, war eine echte Wohltat. Es mussten gefühlte fünfzig Grad Celsius an diesem Tag geherrscht haben, doch das Thermometer zeigte unbeeindruckt dreißig Grad an. Die meisten Limburger vergnügten sich zu dieser Jahreszeit im Freibad, im Diezer Baggersee, ein paar in der Lahn, der Fluss, der durch Limburg fließt, und einige wenige in ihren privaten Pools zu Hause. Marc zog es allerdings vor, die Hitze in diversen Biergärten auszusitzen.

Nicht weit entfernt von Marc wurde es plötzlich laut. Menschen schrien durcheinander. Es musste von der Plötze kommen, ein kleiner Platz, an dem ein Brunnen stand, den ein steinerner, aus einem Fass trinkender Mann zierte. Es war ein Denkmalbrunnen zu Ehren des ehemaligen Raubritters und späteren Stadthauptmannes Hattstein. Die Lautstärke nahm immer weiter zu und die Stimmen schienen näher zu kommen. Marc konnte eine Frau sehen, die panisch über die gepflasterten Steine der ansteigenden Gassen in Richtung Tonne empor hastete. Im Arm hielt sie ein kleines Mädchen, das zu schlafen schien. Hinter ihr tauchten nun auch einige Gestalten auf, die sich gegenseitig versuchten Telefonnummern zuzurufen und wild mit ihren Handys durch die Gegend fuchtelten. Die Frau hatte schließlich die Tonne erreicht, lief an Marc vorbei, stieß dabei versehentlich einige Stühle beiseite und verschwand in der Kneipe. Die Menschen, die ihr gefolgt waren, blieben allerdings vor der Tonne stehen und telefonierten. Marc erhob sich langsam von seinem Stuhl, schaute sich verwirrt um und öffnete die Eingangstür der Wirtschaft. Die Frau, die zuvor noch das Kind im Arm getragen hatte, saß nun in Tränen aufgelöst auf einem Stuhl, während sich eine Kellnerin um sie kümmerte und versuchte, sie zu trösten. Eine andere Mitarbeiterin legte dem Kind, das man behutsam auf einen Tisch gebettet hatte, nasse Geschirrtücher auf die Stirn.

„Was ist hier passiert?“, fragte Marc leise.

„Das Mädchen hier ist ihre Tochter. Wir glauben ihr Kreislauf hat die Sonne nicht vertragen“, antwortete die Mitarbeiterin, die sich um das Mädchen kümmerte und deutete auf die weinende Frau.

„Ich habe mich doch nur kurz unterhalten“, schluchzte die Frau dazwischen.

„Legen Sie ihre Füße hoch und beträufeln Sie ihre Stirn mit Eis!“, sagte Marc entschlossen und begann nach einer Unterlage für die Füße des Mädchens zu suchen.

„Ich hab was!“, schallte es von oben.

In der Kneipe befand sich eine Art Empore, eine Galerie, auf der weitere Stühle und Tische standen, die man über eine Treppe links nach Betreten der Gaststube erreichen konnte. Die Holzstufen knarrten laut, als Marc die Treppe herunterstürmte. Er hatte eine Menge Sitzauflagen für die Stühle im Außenbereich gefunden, die er nun knickte und unter die Beine und Füße des kleinen Mädchens schob. Fast zeitgleich war die Kellnerin mit einer Schale, gefüllt mit Eiswürfeln, herbeigeeilt und begann, die Stirn des Mädchens mit diesen zu beträufeln. Einige Sekunden später flog die Eingangstür mit einem lauten Quietschen und Ächzen auf, knallte gegen die Wand und schwenkte langsam wieder ein. Einige Männer standen in der Tür, die schweißgebadet einen bewusstlosen, großen Mann hereintrugen und ihn nach Zusammenschieben einiger kleiner Tische auf deren Fläche legten.

„Was ist denn hier los?“, brüllte Marc, der sich erst einmal von dem Schreck erholen musste.

„Der ist einfach zusammengeklappt. Einfach so. Da haben wir ihn hier hochgebracht. Die Tonne ist durch den Keller der kühlste Ort in der Nähe“, erwiderte einer der Männer, die den Bewusstlosen getragen hatten, kurzatmig.

„Aber natürlich“, murmelte Marc und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.

Er hatte den Keller der Kneipe völlig vergessen. Die Tonne war nämlich aufgeteilt in ein oberirdisches Café mit Außenbereich, in dem er zuvor gesessen hatte und eine Kneipe in einem Kellergewölbe, in der es immer kühl war und die erst abends öffnete. Die Eingänge von Café und Keller lagen direkt nebeneinander. Außerdem waren Kneipe und Café im Inneren durch eine Wendeltreppe verbunden, da sich beide Bereiche der Wirtschaft die Toiletten teilten.

„Packen Sie alle mal mit an! Wir bringen die beiden jetzt in den Keller!“, erhob Marc die Stimme.

Alle packten an und man trug die beiden Bewusstlosen quer durch das Café, eine Wendeltreppe hinunter und legte sie dort in kühler Atmosphäre erneut auf zwei Tische. Es waren inzwischen so viele Helfer in dem kleinen Gewölbe vor Ort, dass die Versorgung relativ mühelos vonstattenging. Einige Minuten später war auch endlich eine Sirene zu hören. Eine der Kellnerinnen führte den Notarzt und die Sanitäter die Stufen in das Gewölbe hinab, wo diese nun damit begannen, ihre Arbeit aufzunehmen. Die freiwilligen Helfer verließen nun völlig geschwitzt, ermüdet und ermattet die Kneipe. Marc schlurfte nun das Pflaster hinunter zur Plötze, bis er plötzlich jemanden rufen hörte.

„Hey! Hey Sie! Hallo!“, schrie eine der Kellnerinnen, die ihm offensichtlich hinterhergerannt war.

„Ihre…Sonnenbrille“, keuchte sie und beugte sich nach vorne, um Luft zu holen.

„Oh. Vielen, lieben Dank. Wusste gar nicht mehr, dass ich überhaupt eine dabei hatte“, amüsierte sich Marc und konnte sich ein Grinsen bei dem Anblick der erschöpften Kellnerin nicht verkneifen.

„Gern geschehen. Ich bin übrigens Nadja, nur für die Zukunft“ ‚ keuchte sie noch immer.

„Marc. Marc Wagner. Ihr Stammgast“, stellte sich Marc vor und gab ihr die Hand.

„Marc, du hast einen gut. Sieh zu, dass du bald wieder für Umsatz sorgst!“, sagte sie, nachdem sie wieder bei Atem war und klopfte ihm auf die Schulter.

„Gut, Gut“, erwiderte Marc unbeeindruckt, gab ihr nochmals die Hand, drehte sich um und lief langsam weiter über den Fischmarkt, hinunter zur Plötze.

Er verbrachte den Tag hier und da, von der brütenden Hitze von einem schattigen Plätzchen zum nächsten gejagt. Schließlich wurde es langsam dunkler und dunkler und somit auch endlich kühler. Die Menschen, die von der Arbeit und aus ihren Häusern kamen, strömten nun durch die Stadt, und die Biergärten der Gaststätten füllten sich langsam. In der am Mittag noch so ruhigen Stadt wurde es wieder laut und unruhig. Doch irgendetwas schien anders als sonst. Überdurchschnittlich viele Sirenen stachen aus dem Lärm hervor und immer wieder rannten Menschen übereilt durch das übliche Treiben auf den Straßen. Marc hatte sich inzwischen von einem Freund, mit dem er die letzte Stunde im Paulaner Biergarten verbracht hatte, verabschiedet und schlenderte nun langsam über den Europaplatz am Rathaus vorbei und nahm die Treppen vor dem Eingang der Josef-Kohlmaier-Halle nach unten, wanderte einige Meter geradeaus, wandte sich nach rechts und schritt durch einen schmalen Gang am unteren Eingang der Stadthalle, worauf er somit die angrenzende Hospitalstraße erreichte. Er fühlte sich müde und erschöpft. Erst ein vorbeirasender Krankenwagen riss ihn aus seinem tranceartigen Zustand. Er griff langsam in seine rechte Hosentasche, fummelte in ihr ein paar Sekunden lang herum, zog schließlich ein Zigarettenpäckchen hervor, fingerte eine Zigarette heraus und begann zu rauchen. Ein rauer und eigenartigerweise sehr kalter Wind strich durch die Hospitalstraße. Marcs Nackenhaare stellten sich auf und er bekam eine leichte Gänsehaut. In Gedanken verloren starrte er ins Nichts und lies plötzlich schreckhaft seine Zigarette fallen. Er fasste sich mit der linken Hand an die Brust, nahm einige, tiefe Atemzüge und verdrehte die Augen. Ein Auto stand nun schon seit einer halben Minute mit zunächst laufendem Motor vor ihm. Er hatte es überhaupt nicht kommen hören, geschweige denn kommen sehen, nein, er hatte es nicht einmal wahrgenommen. Der Fahrer des Pkws hatte den Motor abgestellt und ihn kurzerhand aus nächster Nähe angehupt. Sichtlich verärgert schritt er nun auf das Fahrzeug zu, öffnete die Beifahrertür und warf sich in den Beifahrersitz.

„Bist du eigentlich noch zu retten? Herzinfarkt!“, schrie er mit gedämpfter Stimme und gab der Frau auf dem Fahrersitz einen Kuss auf die Wange.

„Verdient, mein Schatz. Gewöhn dir endlich mal diese permanente geistige Abwesenheit ab“, antwortete die Frau.

„Jaja“, raunte Marc augenrollend.

„Nicht ‚Jaja‘, das wird langsam, aber sicher, peinlich. Du bist immerhin Polizist. Machst du das im Dienst auch?“, begann sie zu diskutieren.

„Nein, mache ich nicht, Frau Oberlehrer. Können wir dann?“, fragte er und verdrehte erneut die Augen.

Marc bekam noch einen bösen Blick zugeworfen, bevor sie den Schlüssel drehte, der Motor aufheulte und das Fahrzeug sich in Bewegung setzte. Die Fahrt führte die beiden zunächst nach Dietkirchen und endete schließlich in Dehrn in der Hochstraße.

„Dankeschön Nina“, sagte Marc leise, nachdem die Fahrerin den Motor abgestellt hatte und begann, sie liebevoll zu küssen.

„Komm, mein Tag war ziemlich anstrengend und ich brauche jetzt etwas Ruhe“, sagte Nina, nachdem sie sich von ihm gelöst hatte und stieg aus ihrem kleinen Polo.

Die beiden betraten ihre Wohnung im ersten Stock, machten es sich gemeinsam bei einem Glas Wein vor dem Fernseher gemütlich und ließen das Sonntagabendprogramm über sich ergehen.

Es klingelte. Irgendwo in der Wohnung klingelte es. Schlaftrunken löste sich Marc langsam von Nina, die in seinem Arm eingeschlafen war und versuchte dem Klingeln zu folgen, welches scheinbar aus dem Nachbarraum kam. Als er es geschafft hatte, sich von Nina zu lösen und, tollpatschig wie er war, mit seinem linken, großen Zeh an den Wohnzimmertisch stieß, fiel zu allem Überfluss noch ein halb volles Glas Wein von diesem und landete genau auf dem Teppich. Marc stieß zunächst einen stumpfen Schrei aus und begab sich fluchend in den Nebenraum, das Schlafzimmer. Dort vibrierte sein Handy auf dem Nachttisch hin und her und gerade als er es in die Hand nahm, um das Gespräch anzunehmen, verstummte dieses augenblicklich. Der Wecker auf dem Nachttisch änderte gerade die Zeit von zwei Uhr und neunundfünfzig Minuten auf drei Uhr nachts. Als er nun auf sein Handy schaute, stellte er fest, dass sein Kollege Köster angerufen hatte. Ohne zu zögern, tippte er auf den Rückrufbutton seines Smartphones und das erste Freizeichen ertönte.

„Köster?“, meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Morgen Thomas, du hast angerufen?“, fragte Marc noch völlig schlaftrunken und rieb sich die Augen.

„Es gibt Arbeit, in Limburg ist die Hölle los. Stell keine Fragen, wir treffen uns am Revier“, befahl Köster regelrecht.

„Jawohl, Herr Generalleutnant“, erwiderte Marc ironisch, salutierte mit seiner linken Hand und stieß dabei eine Lampe von seinem Nachttisch, die scheppernd zu Boden fiel.

Nach diesem Kommentar hatte Köster das Gespräch beendet. Marc war noch angezogen, da er und Nina unabsichtlicherweise beim Fernsehen eingeschlafen waren. Er schnappte sich seine Geldbörse, steckte sein Handy in die Hosentasche und versuchte im Laufen vergeblich den Holster, in dem seine Dienstwaffe steckte, an seinem Gürtel zu befestigen, wofür er, wie sonst auch für ihn üblich, den ganzen Weg von der Wohnung bis zum Auto benötigte. Als Marcs BMW auf dem Parkplatz des Polizeireviers an der Offheimer Höhe auffuhr, wippte Köster dort schon ungeduldig hin und her. Marc öffnete die Beifahrertür, indem er sich vom Fahrersitz aus auf die Beifahrerseite lehnte und die Tür mit einem kräftigen Ruck aufstieß. Oberkommissar Köster ließ sich in den Beifahrersitz fallen und schloss die Tür.

„Was gibt’s denn nun so Wichtiges? Hier ist nirgendwo die Hölle los. Ich kam super durch, kaum Verkehr“, maulte Marc.

„Marc, das Limburger Krankenhaus ist überfüllt, die Leute müssen inzwischen in die Uniklinik nach Gießen ausgeflogen werden. Die Helikopter fliegen ununterbrochen. Außerdem wurden Teile des Lazarettregimentes aus Rennerod nach Limburg abkommandiert“, begann Köster und redete sich in Atemnot.

„Jetzt mal ganz langsam und von vorne, Thomas, was ist passiert?“, mahnte Marc ruhig.

„Also…“, begann Köster.

„…Wie es aussieht, haben wir es hier mit einer Epidemie zu tun. Die ersten Fälle sind heute Morgen aufgetreten. Es sind Menschen, die an einem bisher unbekannten Virus leiden. Es ist eine Art immunschwächende Krankheit. Die Menschen kippen reihenweise um, wachen nur selten aus ihrer Dauerbewusstlosigkeit, also quasi ihrem Koma, auf und leiden höllische Schmerzen, bevor sie erneut bewusstlos werden. Magenkrämpfe, dröhnende Kopfschmerzen, Inkontinenz in allen Hinsichten, Muskelkontraktur und, und, und… Die Ärzte sind ratlos. Niemand kennt diesen Virus. Zum Glück gab es bis jetzt noch keine Toten“, erklärte er.

„Und was hat die Kripo damit zu tun? Wo kommen wir denn ins Spiel?“, hakte Marc nach.

„Es besteht der Verdacht, dass die Krankheit absichtlich herbeigeführt wurde, wir wissen lediglich noch nicht wie. Ein Zeuge will beobachtet haben, wie eine Frau ihrem Tischnachbarn den Inhalt eines kleinen Fläschchens ins Bier gekippt hat, als der gerade an der Theke eines Weinstandes einen Drink bestellen wollte. Und da wir noch nicht wissen, ob die Krankheit sich von Mensch zu Mensch, und falls ja, wie genau überträgt, ist das unser einziger Anhaltspunkt“, fuhr Köster fort.

„Also wissen wir noch nicht einmal, ob das Ganze hier überhaupt ein Fall für uns ist, richtig?“, bohrte Marc nun nach.

„Richtig, aber wir müssen momentan alle anpacken und die Fühler in jede Richtung ausstrecken, um das Ganze zu stoppen und dabei kommen wir ins Spiel. Der Zeuge will die Frau gestern Morgen beim „Frühschobbe“ auf dem Weinfest am Neumarkt beobachtet haben. Das soll laut ihm um kurz vor elf Uhr passiert sein. Die ersten Opfer wurden gegen zwölf Uhr ins Krankenhaus eingeliefert“, erklärte Köster weiter.

„Köster? Warum fahr ich dann nachts um halb vier mit dir ziellos durch die Gegend, wenn wir um die Uhrzeit sowieso nicht ermitteln können?“, fragte Marc leicht verärgert.

„Oh, sorry. Ich hab dir noch gar nicht gesagt, wohin es geht. Wir fahren ins Krankenhaus und beziehen dort bis morgen früh Position. Wir sollen jeden kleinen medizinischen Hinweis sofort mit in unsere Ermittlungen aufnehmen. Mir passts ja auch nicht, aber der Chef…“, fuhr Köster fort.

„…Jaja, Chefchen, ich weiß schon. Wir sind gleich da“, unterbrach Marc ihn.

Die beiden Kommissare hatten gerade die Tilemannschule auf dem Schafsberg passiert, da gerieten sie in einen Stau am Fuße der ansteigenden Straße, die zum Krankenhaus emporführte. Die Polizisten konnten weder vor noch zurück und hatten keine freie Sicht auf das, was den Stau verursachte. Nach knapp einer Stunde waren sie nun am Anfang der Schlange angelangt. Eine Schranke mit einem Wachhäuschen versperrte ihnen den Weg. Ein Sanitäter der Bundeswehr klopfte an ihr Fenster und fragte, wie viele betroffene Personen sie vorhätten einzuliefern. Nachdem der Mann die Dienstausweise der Polizisten mitgenommen und am Wachhäuschen ein Telefonat geführt hatte, stapfte er zum Fahrzeug zurück und wünschte ihnen eine gute Weiterfahrt. Die Schranke öffnete sich langsam, worauf die beiden Polizisten endlich passieren durften. Ein weiterer Sanitäter wies die beiden Polizisten in einen für Krankenhauspersonal reservierten Parkplatz ein und brachte sie zum Eingang des Hospitals.

„Guten Morgen die Herren“, stellte sich ihnen ein älterer Mann in langem, weißen Kittel vor.

„Guten Tag, Oberkommissar Köster und das ist mein Kollege, Kommissar Wagner“, stellte Köster sich vor und hielt dem Arzt seinen Dienstausweis vor die Nase.

„Dr. Wagner, ich bin hier der Chefarzt“, erwiderte der Arzt und gab Köster die Hand.

Marc fiel dem Doktor plötzlich um den Hals, klopfte ihm auf den Rücken und schüttelte ihm die Hand. Köster stand verdutzt daneben und konnte sich keinen Reim darauf machen.

„Diskretion Herr Kommissar, wir sind hier am Arbeiten. Was ist denn eigentlich in dich gefahren?“, rüffelte Köster Marc, nachdem er ihn ein Stück beiseite genommen hatte.

„Darf ich vorstellen? Mein Onkel Klaus“, erwiderte Marc und deutete mit der flachen Hand auf den Doktor.

„Wir haben uns mindestens ein Jahr nicht gesehen, er hat für Ärzte ohne Grenzen in Indien gearbeitet und hat hier erst kürzlich wieder angefangen“, fuhr er fort.

Erneut schüttelte der Doktor Köster die Hand und bat die beiden Kommissare herein.

Die drei Männer schritten langsam durch die große Eingangshalle. Sanitäter aller möglichen Organisationen und Behörden rannten hektisch kreuz und quer durch die Halle, verschwanden, tauchten wenige Zeit später wieder auf und waren daraufhin wieder verschwunden. Türen knallten, an ihnen vorbei trugen Väter, Mütter, Großeltern und andere Personen jeweils kleine Kinder. Sichtlich verzweifelt baten sie um Hilfe an der Notaufnahme, wurden jedoch immer wieder abgewiesen.

„Prioritätsfälle, stellen Sie sich bitte wieder hinten an“, hieß es immer wieder.

In der Eingangshalle roch es für ein Krankenhaus sehr untypisch. Es roch eher wie in einem Chemielabor, statt des gewohnten Krankenhausgeruchs.

„Mir wurde zugetragen, dass Sie schon im Bilde sind“, begann der Doktor.

„Wir wissen bereits, dass es sich um eine Art Immunschwäche handelt, für die es bisher noch keine Erklärung gibt“, antwortete Köster.

„Mehr brauchen Sie fürs Erste auch nicht zu wissen. Allerdings hat sich eine Variable geändert. Seit einer halben Stunde haben wir die ersten Todesfälle zu beklagen. Die Erstinfizierten sind alle innerhalb von zwei Stunden gestorben“, informierte der Doktor die beiden.

„Wo können wir heute Nacht unterkommen?“, fragte Marc betreten.

„Bereitschaftsraum“, grummelte Dr. Wagner und zeigte ihnen den Weg.

Auf dem Weg zum Bereitschaftsraum nahmen die beiden Kommissare erst das ganze Ausmaß der Tragödie wahr. Die Flure waren übersät von leblosen Körpern, die man aus Platzmangel an die Seiten gelegt hatte. Körperflüssigkeiten jeglicher Art liefen an einigen Wänden herunter und bahnten sich ihren Weg über die Flure. Steril war hier nichts mehr, denn das Krankenhauspersonal konnte noch nicht einmal so eine Menge an Patienten aufnehmen oder unterbringen, geschweige denn in diesem absoluten Notstand saubere und sterile Räume gewährleisten. Es herrschten medizinische Zustände, wie man sie nur aus grauen und düsteren Vorzeiten der Medizin kannte. Marc konnte sich das erste Mal in seinem Leben vorstellen, welche Zustände nach einer großen Schlacht auf einem historischen Schlachtfeld geherrscht haben mussten. Er dachte an die Schlacht bei Waterloo, nach der auch unzählige Körper herumgelegen hatten. Auch der bestialische Gestank, die Schreie der Menschen und die notdürftigen Behandlungen der Ärzte angesichts der Masse der Betroffenen, sowie die stumpfen Behandlungsmethoden, mit denen man den Menschen aus der Not heraus versuchte zu helfen, passten seiner Ansicht nach genau in diesen Vergleich. Es war schaurig, die Gänge und Flure entlang zu gehen. Dramatische, gepaart mit Angst einflößenden Szenen spielten sich vor den Augen der Kommissare ab. Eltern hielten ihre offensichtlich toten Kinder im Arm und flehten vergeblich vorbeilaufende, überforderte Ärzte an, ihnen zu helfen, während einige Meter weiter andere Menschen, die kurz das Bewusstsein wieder erlangt hatten vor Schmerz schrien, darum baten, dass sie einfach jemand töten möge und mit bloßen Händen versuchten, sich die Bauchdecke aufzureißen, bevor sie erneut das Bewusstsein verloren und reglos in sich zusammensackten. Trauer, Entsetzen und Angst beherrschten Marcs Gefühle und die beiden Kommissare waren erleichtert, als sie endlich den abgeschirmten und ruhigen Bereitschaftsraum erreichten.

Die beiden Kommissare richteten sich ein und versuchten etwas Schlaf aufzuholen. Marc schlief schon tief und fest, während der hart gesottene Köster zwanghaft mit sich selbst kämpfte, wach zu bleiben. Doch auch er verfiel langsam, aber sicher, dem Schlaf.

„Der Schlaf und der Tod, meine Herren, haben eines gemeinsam. Man kann ihnen auf Dauer nicht entrinnen. Da kann man sich einschmeißen oder einkippen was man will, es verzögert doch nur das Offensichtliche und Unausweichliche“, waren die ersten Worte, die Köster und Marc zu hören bekamen.

„Wie lange haben wir geschlafen?“, wisperte Marc leise und schlaftrunken.

„Vier Stunden, meine Herren“, antwortete der Doktor leise.

„Allerdings ist das nicht weiter schlimm. Wir haben weitere Todesfälle während der Nacht gehabt, doch wir sind noch keinen Schritt weiter. Wir wissen noch genau so viel über die Krankheit, wie zuvor“, fuhr er fort.

„Ach, bevor ich es vergesse. Ihr Vorgesetzter hat im Krankenhaus angerufen, da Sie auf dem Handy nicht erreichbar waren. Sie mögen ihn bitte direkt zurückrufen“, ergänzte der Arzt, während er schon halb in der Tür stand.

„Fuck“, platzte es aus Köster heraus.

„Tolle Polizisten sind wir, was?“, fragte Marc ironisch und bekam direkt den Todesblick von Köster zugeworfen.

Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu, als Köster den Bereitschaftsraum verließ, um mit seinem Vorgesetzten zu telefonieren. Mit einem noch lauteren Schlag flog diese wiederum auf, als er nach einigen Minuten wieder eintrat.

„Abmarsch, Marc. Wir sollen in der Innenstadt nach auffälligen Aktivitäten Ausschau halten“, grummelte er, während er die Worte „auffällige Aktivitäten“ mit rollenden Augen und gestisch symbolisierten Anführungszeichen unterstrich.

Die Fahrt in die Stadt war grauenhaft. An den Straßenrändern lagen überall bewusstlose Menschen. Die Rettungskräfte kamen mit dem Einsammeln der Bewusstlosen nicht hinterher und es fiel den beiden Beamten schwer, einfach an den hilflosen Personen vorbeizufahren. Marc bekam langsam eine Vorstellung davon, wie es hier zu Zeiten, zu denen die Pest wütete, ausgesehen haben musste. Der silberne BMW kam in der Grabenstraße zum Stehen, um dort letztendlich zu parken. Die beiden Polizisten stiegen aus und begannen ihre Streife. Die Kneipen und Bars, die in der Limburger Innenstadt abends gewöhnlich mit verführerischen Drinks lockten, sahen schrecklich aus. Egal ob Irish Pub, das Planet, die Tonne, die Havannabar oder der Batzewirt, überall bettete man Menschen auf die Kneipentische, während Kellnerinnen und Kellner als Sanitäter und Krankenschwestern zu fungieren schienen.

„Köster?“, fragte Marc, während er die Stirn runzelte und zu Boden schaute.

„Was!“, bekam er von einem verärgerten Köster an den Kopf geworfen.

„Hab ne Idee, komm mal mit“, fuhr Marc leise und scheinbar in Gedanken verloren fort.