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Toxin-Killer ist der erste Band der Thriller-Reihe: Ermittlung in Jefferson City.
Zwei Mädchen, die nur knapp einen Autounfall überleben, bei dem sie beide Elternteile verlieren. Die Ältere verspricht ihrer kleinen Schwester, immer für sie da zu sein, auf sie zu achten. Beide machen eine sehr schwere Zeit durch und erleben immer wieder harte Rückschläge.
Auf der anderen Seite geht es um Jessica, eine Autorin, die per Zufall und auf weniger erfreuliche Weise mit Inspector Aidan Carter zusammentrifft. Ein attraktiver Mann, den sie anfangs nicht ausstehen kann, sich aber dennoch zu ihm hingezogen fühlt. Ihre beste Freundin Emily warnt sie eindringlich vor ihm, denn Jessica wurde schon einmal das Herz gebrochen. Doch als sie nur knapp einem Anschlag entgeht, stellt Inspector Aidan Carter Jessica kurzerhand unter seinen Schutz.
Aidan hat zudem mehrere Mordfälle zu klären, noch dazu gerät Jessica ins Visier der Polizei.
Die Geschichte beruht hauptsächlich auf dem Weg zum Ziel und ist darauf ausgelegt, die Hintergründe der Morde zu entschlüsseln und den Täter dingfest zu machen. Für den Leser wird der Mörder bereits frühzeitig entlarvt. Nebenher spielt auch Romantik in dem Buch eine Rolle. Diese gibt es dann in den Fortsetzungen kaum noch.
Das Buch ist für jeden ein tolles Leseerlebnis, bei dem neben einer spannenden Geschichte die Romantik nicht fehlen darf.
Klappentext
Sunset Hills: Kate erlebt in ihrer Kindheit einen grausamen Unfall, der ihr ganzes weiteres Leben prägt. Sie und ihre Schwester Lisa wachsen bei Onkel und Tante auf.
Nicht weit entfernt, in Jefferson City, lernt Inspector Aidan Carter nach einigen Anlaufschwierigkeiten Jessica näher kennen. Ihre Freundin Emily ist von ihm nur wenig begeistert, sie misstraut dem Inspector.
Als Jessica kurze Zeit später ein Paket mit einer Bombe erhält, werden Parallelen zu Opfern eines Serientäters deutlich. Aidan stellt sie kurz entschlossen unter seinen persönlichen Schutz. Er setzt alles daran, den Killer aufzuspüren und hinter Gitter zu bringen. Doch bis es so weit ist, gibt es weitere Opfer und immer wieder führen die Fäden zu Jessica. Sollte sie im Visier des Killers stehen?
Kate, deren Leben von Tragik geprägt ist, Jessica, die Autorin, Aidan Carter, der Inspector. Drei Menschen, drei verschiedene Wege und doch hängt ihr weiteres Leben voneinander ab.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
TOXIN-KILLER
Ermittlung in Jefferson City
Thriller
Emilia Benedict
DAS BUCH
Sunset Hills: Kate erlebt in ihrer Kindheit einen grausamen Unfall, der ihr ganzes weiteres Leben prägt. Sie und ihre Schwester Lisa wachsen bei Onkel und Tante auf.
Nicht weit entfernt, in Jefferson City, lernt Inspector Aidan Carter nach einigen Anlaufschwierigkeiten Jessica näher kennen. Ihre Freundin Emily ist von ihm nur wenig begeistert, sie misstraut dem Inspector.
Als Jessica kurze Zeit später ein Paket mit einer Bombe erhält, werden Parallelen zu Opfern eines Serientäters deutlich. Aidan stellt sie kurz entschlossen unter seinen persönlichen Schutz. Er setzt alles daran, den Killer aufzuspüren und hinter Gitter zu bringen. Doch bis es so weit ist, gibt es weitere Opfer und immer wieder führen die Fäden zu Jessica. Sollte sie im Visier des Killers stehen?
Kate, deren Leben von Tragik geprägt ist, Jessica, die Autorin, Aidan Carter, der Inspector. Drei Menschen, drei verschiedene Wege und doch hängt ihr weiteres Leben voneinander ab.
DIE AUTORIN
Emilia Benedict ist das Pseudonym der Autorin. Sie ist im Jahre ’69 geboren und verbrachte ihre Kindheit im Land der Blauen Steine. Ihre Sturm- und Drangzeit hat sie später in eine sächsische Großstadt verschlagen, in der sie viele Jahre gelebt hat. Mittlerweile ist sie auf vielen interessanten Schauplätzen unterwegs.
Wesentliche Basis ihrer Schreibweise sind akkurate Recherchen und Natürlichkeit ihrer Protagonisten.
BISHER ERSCHIENEN
THRILLER
aus der Reihe: Ermittlung in Jefferson City
1. Toxin-Killer
(Emilia Benedict, April 2022)
2. Im Zeichen der Lämmer
(Emilia Benedict, Dezember 2022)
3. Schachmatt, gleich bist du tot
(Emilia Benedict, Oktober 2023)
ROMANE/ERZÄHLUNGEN
1. Schatz im Anflug
Buch 1 (Emilia Benedict, März 2024), (auch unter dem Titel: Always Differently: Schwanger – ja, ich will/Kat v. Letters, 2022)
2. Früchtchen an Bord
Buch 2 (Emilia Benedict, März 2024), (auch unter Kat v. Letters, 2022)
Neuauflage April 2022
Texte: © 2022 Copyright by Emilia Benedict/Kat v. Letters
c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
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Webseite Emilia Benedict:
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INHALT
Prolog
Kapitel-1
Kapitel-2
Kapitel-3
Kapitel-4
Kapitel-5
Kapitel-6
Kapitel-7
Kapitel-8
Kapitel-9
Kapitel-10
Kapitel-11
Kapitel-12
Kapitel-13
Kapitel-14
Kapitel-15
Kapitel-16
Kapitel-17
Kapitel-18
Kapitel-19
Kapitel-20
Kapitel-21
Kapitel-22
Kapitel-23
Kapitel-24
Kapitel-25
Kapitel-26
Kapitel-27
Kapitel-28
Kapitel-29
Kapitel-30
Kapitel-31
Kapitel-32
Kapitel-33
Kapitel-34
Kapitel-35
Nachtrag
Bisher Erschienen
Leseprobe: Im Zeichen der Lämmer
Prolog
»O mein Gott!«, brüllte Ronald erschrocken, als er wieder zur Straße schaute.
Der Fahrer neben ihm wechselte unverhofft auf seine Spur.
»Festhalten!«
Mit voller Kraft rammte er seinen Fuß auf das Bremspedal und stemmte sich dabei krampfhaft gegen das Lenkrad. Seine Frau Maria und die Töchter, Kate und Lisa, riss es von ihren Sitzen. Der Schreck durchfuhr ihre Glieder und jagte ihre Kehlen hinauf. Ihre gellenden Schreie vermischten sich mit dem Quietschen der Reifen. Ein Ruck. Der Sicherheitsgurt zurrte fest und bewahrte sie davor, frontal gegen die Scheibe zu krachen.
Der Wagen schlingerte. Ronald verlor die Kontrolle. Unmittelbar darauf folgte der Knall. Mit Wucht sauste das Fahrzeug gegen die Leitplanke. Der Querlenker brach. Verzweifelt versuchte Ronald das Lenkrad herumzureißen. Vergeblich. Das Vorderrad hatte sich im Radkasten verklemmt. Der Wagen schleuderte zur anderen Fahrbahnseite auf einen Graben zu und krachte mit der ganzen Längsseite hinein. Er knallte auf den Boden, hob ab und überschlug sich mehrfach, ehe er zum Erliegen kam.
Kate, Ronalds achtjährige Tochter, schrie vor Angst und Entsetzen. Das Quietschen der Reifen, der Knall. Alles Geräusche, die sie nicht kannte, dazu das panische Kreischen ihrer Schwester, auch Mom schrie. Das hatte sie noch nie getan.
Es krachte erneut. Kate wurde hin- und hergerissen, knallte gegen die Seitenscheibe, wieder zurück und noch einmal gegen die Scheibe und noch mal. Der Wagen hob ab und flog durch die Luft. Kribbeln durchzog ihren Bauch und dumpfer Druck legte sich auf ihre Ohren.
Schlagartig herrschte Totenstille. Absolut nichts war zu hören und eine seltsame Ruhe erfasste sie. Von ihrer Angst spürte sie nichts mehr, sie war verschwunden.
Fasziniert schaute Kate nach draußen. Wunderschön, dachte sie, wie in einem Märchen. Ein Windhauch zog seine Wogen durchs Gras und ließ die zarten Halme tanzen. Alles um sie herum bewegte und drehte sich im Zeitlupentempo, kippte zur Seite – weiter und stetig weiter – bis die Erde auf dem Kopf stand. Kate blickte begeistert nach unten auf den Himmel. Das Blau war fantastisch und die Sonne strahlte.
Allmählich verblasste diese Schönheit. Erst nahm Kate die Veränderung kaum wahr. Nur ein ganz leises Knacken, weit weg. Doch es kam näher, sehr rasch und drängte sich unvermittelt in ihr Bewusstsein. Die Frontscheibe zerplatzte. Plötzlich war ihre Sicht von feinen Linien unterbrochen, wie von einem riesigen Spinnennetz. Die Welt hörte auf, sich zu drehen, und stand still.
Mit einem Mal drang ein penetrantes Geräusch an ihr Ohr, ein durchdringender Hupton. Zügig wurde er lauter und bohrte sich unerbittlich in ihren Kopf.
Aufhören, bitte, schrie sie innerlich. Schaltet das ab! Sie bekam heftige Kopfschmerzen und legte die Hand an ihre Stirn. Das tut so weh!
Da war noch etwas anderes. Sie sog Luft durch die Nase und schnüffelte. Ein beißender, stechender Geruch lag in der Luft und trieb ihr Tränen in die Augen. Was ist das? Im selben Augenblick erkannte sie es. Es brennt! Ich muss hier raus! Kate wollte aufspringen, schaffte es aber nicht. Mist, dachte sie hektisch. Sie war noch angeschnallt, der Gurt lag straff um ihren Körper. Scheiße. Verzweifelt schlug sie mit ihrer kleinen Hand auf die Schnalle – immer und immer wieder. Warum geht das blöde Ding nicht auf? Sie konnte sich kaum bewegen und bekam nicht genügend Luft. Ihr Puls raste und ihr kleines Herz pochte so laut, dass sie es hören konnte. Sie wurde panisch, ihre Atmung übermäßig hastig und ein unangenehmes Kribbeln schoss in ihren Bauch. O Gott, ich bin eingeklemmt.
»Mom? Dad?«, wimmerte sie.
Dann richtete sie ihren Blick ängstlich auf ihre Schwester. Lisa stand unter Schock und starrte sie nur mit offenem Mund an.
»Lisa«, kreischte Kate. »Du blutest!« Dabei schnellte ihre Stimme steil in die Höhe.
Sie spürte den Ton, denn es war ihr eigener Schrei, der in ihren Ohren nachhallte. Ihr war eiskalt und sie zitterte, obwohl die Sonne brannte. Ihr Kopf dröhnte inzwischen immer stärker, ihr wurde schwindlig und glitzernde Punkte tanzten vor ihren Augen.
Benommen schaute sie nach oben und sah in fremde Gesichter. Sie redeten auf sie ein. Doch Kate sah sie nur verschwommen und konnte auch nicht verstehen, was sie sagten. Ihre Worte klangen verzerrt. Erschöpft schloss sie die Augen und spürte, wie sie kräftige Hände aus dem Wagen zogen. Dann ließ sie sich fallen und wurde ohnmächtig.
Kate sackte in die Bewusstlosigkeit, eingehüllt in tiefe Dunkelheit. Nicht einmal die eigene Hand vor ihren Augen konnte sie erkennen. Dennoch blickte sie sich um und versuchte irgendetwas auszumachen. Und tatsächlich, mit einem Mal erschien in der Ferne ein Licht. Es strahlte in reinem Weiß. Sie spielte mit dem Gedanken, es zu berühren, und wollte näher herangehen. Sie fand es seltsam, dass es kein bisschen blendete. Im Gegenteil, es war angenehm und hatte eine außerordentlich beruhigende Wirkung auf sie. Sie fragte sich, ob sie sich schon jemals so wohlgefühlt hatte? Sie konnte sich nicht erinnern. Das lag an dem Licht, sie wusste es.
Kate ging darauf zu und war jetzt fast in seinem Zentrum angelangt. Sie fühlte sich leicht und schwerelos, so wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Dabei kam sie auf eine Idee und versuchte etwas. Mit den Füßen stieß sie sich vom Boden ab und schwebte prompt durch einen Tunnel auf das Licht zu.
Wow, sagte sie sich. Warum habe ich das nicht schon immer getan? Es ist so einfach.
Nur noch ein Stück und sie wäre am Ziel. Am Ende des Tunnels, mitten im Licht, tauchten wie aus dem Nichts Schatten auf. Kate nahm sie als menschliche Umrisse wahr. Und als sie näherkam, erkannte sie ihre Mom und ihren Dad. Sie spürte ganz deutlich die Liebe, die von ihren Eltern ausging. Jeden Moment würde sie bei ihnen sein. Sie war überglücklich darüber und lächelte.
Auf einmal ging es nicht weiter. Kate erschrak. Was ist denn jetzt los? Unvermittelt schwebte sie nur noch auf der Stelle. Ganz egal, wie sehr sie sich bemühte, sie kam nicht mehr vom Fleck. Hilflos streckte sie die Arme nach ihren Eltern aus, doch sie steckte fest und die Distanz zu ihnen vergrößerte sich. Ihre Mom und ihr Dad wurden wieder zu Schatten. Das Licht verlor sein Strahlen, wurde grau und düster.
Kate fühlte sich unwohl. Ein eisiger Lufthauch streifte ihren Körper. Sie zitterte. Rasend schnell nahm er zu und wurde stärker. Aus dem Hauch wurde ein Sturm. Er begann zu wirbeln und wuchs unversehens zu einem Tornado heran. Plötzlich stand sie mittendrin, wurde von dem Sog erfasst und in die Höhe gerissen. Halt dich fest, irgendwo! Aber da war nichts, sie griff ins Leere. Kate war verzweifelt, sie musste um jeden Preis zurück in das Licht. Wenn es ihr nicht gelingen sollte, würde sie ihre Eltern nie wiedersehen. Hoffnungslos ruderte sie mit den Armen und schrie, doch es kam kein einziger Laut über ihre Lippen.
Ihre Lungen füllten sich mit Sauerstoff und ihr Herz begann wieder zu schlagen. Kate war ins Leben zurückgekehrt.
Fieberhaft kämpften Feuerwehr und Sanitäter, um die vier Menschen aus dem Wrack zu bergen. Lisa heulte vor Schmerz und ließ sich nur unter Protest verarzten. Ihr Handgelenk war geschwollen und die Nase gebrochen, sie blutete aber inzwischen nicht mehr. Am Kopf klaffte eine große Platzwunde, die genäht werden musste. Ansonsten war sie noch einmal glimpflich davongekommen.
Ihre Eltern hatten dabei weniger Glück. Maria war auf der Stelle tot. Der Airbag hatte versagt und der Aufprall brach ihr das Genick.
Durch den Crash war das Fahrzeug wie eine Pappschachtel zusammengepresst worden. Ronald saß eingeklemmt und schwer verletzt hinter dem Lenkrad. Ein abgesplittertes Stück vom Armaturenbrett steckte in seinem Oberschenkel und hatte die Hauptschlagader durchtrennt. Er verspürte jedoch keinen Schmerz. Er war nur schrecklich müde und konnte kaum noch denken. Seine Lider wurden schwer wie Blei. Später würde er sich um alles kümmern, aber zuerst musste er sich dringend ausruhen. Schlafen. Einfach nur schlafen.
Ronald träumte davon, wie schön es eben noch gewesen war. Mit seiner Frau Maria und den Kindern Kate und Lisa war er zur Blockhütte gefahren. Sie lag in der Nähe eines Sees, mitten im Wald. Es war ein herrliches Wochenende. Bis das Telefon klingelte – sein Chef. Er drohte, ihn zu entlassen, und stellte ihm ein Ultimatum. Es war von vornherein aussichtslos, trotzdem wollte Ronald alles daran setzen, um es zu schaffen. Deshalb musste er jetzt sofort aufbrechen und zurück nach St. Louis fahren.
Er setze sich in seinen Wagen. Hier stimmt doch was nicht, dachte er beunruhigt. Sein Unterbewusstsein meldete sich und ermahnte ihn, dass er in einem Traum stecke und unbedingt aufwachen sollte.
Seine Lider zuckten und seine Augäpfel rollten hin und her. Er war sehr schwach, schaffte es aber dennoch, die Augen ein Stück zu öffnen. Er konnte nichts sehen. Die Scheibe ist völlig hin, dachte er. Was ist hier los? Dann sah er auf sein Bein. Alles war voll Blut und er erinnerte sich. Natürlich, der Trottel, der uns fast gerammt hätte. Und der Knall – ja, wir hatten einen Unfall. Dann drehte er seinen Kopf zur Seite. Unter halb geöffneten Lidern sah er undeutlich seine Frau Maria auf dem Beifahrersitz. Ihr Kopf lehnte leblos an der Seitenscheibe. Ihre Augen waren weit aufgerissen vor Entsetzen. Meine arme, geliebte Maria.
Von der Rückbank drang leises Wimmern an sein Ohr. Die Kinder, Gott sei Dank, sie sind am Leben. Das waren seine letzten Gedanken.
Kate lag im Krankenhaus. Sie spürte, wie ihr jemand sanft über die Wange streichelte. Wer ist da, dachte sie. Ihre Finger zuckten nervös auf der Bettdecke. Sie kämpfte mit sich, sie wollte raus aus der Dunkelheit. Ihre Lider flatterten. Sie waren schwer und es kostete unendlich viel Kraft, sie zu heben.
»Hallo Kleines.«
Wie durch dicken Nebel hörte sie dumpf die Stimme ihrer Schwester Lisa. Kate war erleichtert und schöpfte neue Kraft. Sie versuchte es noch einmal und schaffte es, zu blinzeln. Das Licht war grell. Es tat weh und brannte in ihren Augen. Sie musste sich erst daran gewöhnen.
Wo bin ich? Sie lag in einem Bett, aber nicht in ihrem. Langsam tastete sie mit ihrem Blick den Raum ab. Da standen Apparate und sie selbst hing an mehreren Schläuchen. Das war ohne Zweifel ein Krankenhaus und sie lag in einem Krankenhausbett. Aber warum? Sie suchte darauf eine Antwort im Gesicht ihrer Schwester, doch im selben Augenblick kehrte die Erinnerung zurück.
Sie waren auf dem Weg nach Hause im Auto und hatten einen Unfall, an den sie sich allerdings nur vage erinnerte.
»Lisa, wo sind Mom und Dad?«, flüsterte Kate mit schwacher Stimme.
Lisa hatte sich vor dieser Frage gefürchtet, zudem durfte Kate sich nicht aufregen. Sie war sehr schwer verletzt und hätte es um ein Haar nicht geschafft. Dennoch wollte Lisa sie nicht anlügen.
Sie musste jetzt stark sein für ihre kleine Schwester und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. Was sollte sie sagen? Und vor allem wie? Leider gab es keine Worte, die das alles leichter machen würden. Auch wenn sie die Worte noch so sorgsam wählte, der Schmerz würde Kate sehr hart treffen.
»Es tut mir so leid, Kate. Wir hatten einen schrecklichen Unfall mit dem Auto.«
Lisa kämpfte mit sich und verkrampfte ihre Hände im Schoß. Sie spürte, dass sie gleich losheulen würde. Zitternd holte sie tief Luft und unterdrückte einen Schluchzer. Sie konnte Kate dabei kaum in die Augen schauen. Verzweifelt rang sie um Worte und sprach dann stockend weiter.
»Mom und Dad – sie werden nicht wiederkommen.« Ihre Stimme wurde schwächer, sie flüsterte jetzt nur noch. »Sie sind beide tot.« Dann nahm sie Kates Hand und drückte sie fest an ihre Brust. »Aber ich bin hier bei dir. Ich werde immer für dich da sein, auf dich aufpassen und dich beschützen. Das verspreche ich dir. Du bist nicht allein. Hab keine Angst, alles wird gut.« Dabei wiegte sie ihre Schwester in ihren Armen.
Als Kate wieder allein in ihrem Zimmer war, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass nun nichts mehr war wie zuvor. Traurig weinte sie in ihr Kissen. Mom und Dad waren tot und das war allein ihre Schuld. Wäre ich bloß nicht so ein Feigling gewesen, dann wäre jetzt alles gut.
1. Kapitel
Emily war erst kürzlich nach Jefferson City gezogen. Bis jetzt kannte sie sich in der Stadt mehr schlecht als recht aus. Glücklicherweise hatte sie ihr kleiner Stadtspaziergang vor einen Buchladen geführt. Und da sie nun schon einmal davorstand, konnte sie auch gleich einen Stadtplan kaufen, bevor sie sich weiterhin ständig verlaufen würde wie eben.
Sie trat ein und ging zielgerichtet zu den Reiseführern. Sie stöberte eine ganze Weile, fand aber nicht, was sie suchte. Frustriert wühlte sie sich durch die komplette Regalreihe. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Jedes Kaff ist hier vertreten, nur nicht Jefferson City. Dann eben nicht. Sie wollte gehen.
»Hallo. Sie sehen schwer danach aus, als bräuchten Sie Hilfe.«
Emily drehte sich um und sah einer freundlich lächelnden Rothaarigen ins Gesicht. Für einen Augenblick musterte sie die Frau. Sie war nur wenige Jahre älter als sie selbst und ein ganzes Stück kleiner. Obwohl Emily Sneakers trug, schaute sie auf die andere trotz ihrer Stöckelschuhe hinab. Sie fühlte eine gewisse Vertrautheit, denn die Rothaarige weckte in Emily Erinnerungen an jemanden aus ihrer Familie. Sofort hegte sie Sympathie für die junge Frau.
»Oh, hallo. Ja gern«, antwortete sie. »Ich bin neu in der Stadt und könnte dringend einen Stadtplan gebrauchen.«
»Kommen Sie, den haben wir hier drüben.«
Die Frau ging auf einen Ständer zu und Emily folgte ihr wortlos.
»Wenn Sie wollen, markiere ich Ihnen gleich ein paar der wichtigsten Anlaufstellen. Wie sieht’s aus?«
»Ja, wäre super, Miss.«
»O nein, nein, bitte nicht so förmlich. Einfach Jessica.«
»Okay, ich bin Emily.«
Sie streckte Jessica die Hand entgegen, während sie auf eine der kleinen Sitzgruppen in der Ecke zugingen. Dann setzten sie sich in das weiche Polster, das darauf mit einem leisen Pff antwortete. Jessica nahm den Stadtplan und breitete ihn auf dem kleinen Glastisch davor aus. Aus der Schublade darunter holte sie ein paar Textmarker hervor.
»Okay, Emily, die roten Punkte sind fürs Shoppen, die blauen für Ämter, die grünen für Restaurants und der gelbe ist für unser Kino. Ich hoffe, Sie mögen Kino?«
»Und wie. Ich liebe Kino. Bis jetzt kenne ich nur niemanden, der mitgehen würde.«
»Sie haben doch bestimmt keine Probleme, jemanden kennenzulernen.« Jessica zwinkerte ihr zu und legte den Stift beiseite. »So, fertig, damit dürften Sie zurechtkommen, denke ich. Und hier, ein kleiner Flyer über unsere Stadt und ihre Geschichte. Den gibt’s gratis aufs Haus.«
Emily erhob sich. »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Jessica. Darf ich Sie vielleicht mal auf einen Kaffee einladen?«
»Gern, warum nicht? Wie wär’s mit heute? Ich hab in einer Stunde Feierabend und noch nichts vor.«
Sie wurden gute Freundinnen und verbrachten seitdem jede Woche mehrere Abende gemeinsam.
Es war ein besonderer Tag. Emily hatte Geburtstag und wurde fünfundzwanzig.
Für den Nachmittag war sie mit Jessica verabredet. Andere Freunde hatte sie bisher nicht, sie kannte kaum jemanden in Jefferson City. Es hatte sich einfach noch nicht ergeben, obwohl sie inzwischen seit einigen Monaten hier lebte. Aber das war nicht weiter schlimm, sie hatte Jessica und die war ihr lieber als die meisten anderen Menschen.
Heute, an ihrem Geburtstag, hatte Emily ausnahmsweise freibekommen. Eigentlich war das nicht üblich, denn sie hatte diesen Job als Sekretärin erst kürzlich ergattert. Allerdings war es ein Leichtes, ihren Chef um den Finger zu wickeln. Sie musste ihn nur bittend aus ihren grünen Augen anschauen und schon bekam sie, was sie wollte.
Gegen Mittag klingelte es an ihrer Tür. Sie saß zusammengerollt in ihrem Morgenmantel auf der Couch und genoss den freien Tag. In der Hand hielt sie einen Becher mit Kaffee. Weil er noch dampfte, schlürfte sie nur ab und zu davon, um sich nicht zu verbrühen. Nebenher lief der Fernseher. Aber sie beachtete ihn kaum. Es kam eh immer nur das Gleiche. Hauptsache er gab ein paar Töne von sich, das reichte schon als Unterhaltung.
Es klingelte erneut. Muss das jetzt sein? Bestimmt wieder dieser dämliche Nachbar. Ständig stand er vor ihrer Tür, um sich etwas zu leihen – zumindest benutzte er das als Ausrede.
Emily erhob sich fluchend und stellte ihren Kaffeebecher fest auf den kleinen Tisch vor ihrer Couch. Zu fest, er schwappte über und entlockte ihr einen ranzigen Laut. »Scheiße.« Sie stieg über ihre Hausschlappen und lief barfuß zur Tür. Sie wollte nicht, dass es noch einmal klingelte. Davon war sie jedes Mal genervt. Bevor sie öffnete, versuchte sie ihren Groll etwas zu unterdrücken. Trotzdem riss sie die Tür heftiger auf als beabsichtigt. Was ist, hätte sie am liebsten gebrüllt, doch das verkniff sie sich.
»Überraschung! Und alles Liebe zum Geburtstag!«
Jessica. Sie stand mit einem riesigen Strauß duftend gelber Blumen vor der Tür. In der anderen Hand hielt sie zwei Karten für eine Filmpremiere.
Emilys Mimik wandelte sich schlagartig von Groll über Staunen in ein Grinsen.
»Wow, danke Jess. Los, komm rein! Das ist echt lieb von dir.« Sie war baff. »Wieso bist du überhaupt schon hier? Ich denke, du hast erst Nachmittag Schluss? So früh hab ich nicht mit dir gerechnet. Soll natürlich nicht heißen, dass du nicht willkommen bist. Du hast mich nur echt überrumpelt.«
Emily war ganz durcheinander und plapperte wie vom Tonband gespult.
»Das sollte auch der Sinn einer Überraschung sein«, antwortete Jessica, als sie endlich zu Wort kam. »Hab heute extra zeitiger Feierabend gemacht. Komm, zieh dir was über, ich möchte dich einladen.«
Mit den Fingerspitzen gestikulierte sie Emily, sie solle verschwinden und sich anziehen. »Na los, mach schon!«
Emily flitzte in ihr Schlafzimmer und zog sich hastig etwas über.
»Dachte, wir feiern heute so richtig ausgiebig«, rief Jessica ihr hinterher, »fünfundzwanzig wird man schließlich nur einmal im Leben. Zuerst geht’s in Larrys Salon. Dort lassen wir uns verwöhnen. Massage, Kosmetik, Haare, das heißt mit allem, was dazugehört.«
Emily kam fertig angezogen ins Wohnzimmer zurück. »Hört sich gut an. Bin bereit.«
Völlig entspannt traten sie Stunden später aus dem Salon.
»Das war echt klasse. Daran könnte ich mich gewöhnen«, schwärmte Emily. »Ich sollte ab sofort jede Woche fünfundzwanzig werden. Meine Verspannungen sind wie weggeblasen.«
Mit ausgebreiteten Armen schwankte sie über den Gehweg, sie schwebte, wie sie es nannte.
»Ja, Larry ist kaum zu toppen«, gab Jessica zur Antwort. »Jetzt noch der richtige Mann und der Abend wäre perfekt.«
»Wir haben auch ohne Männer Spaß«, sagte Emily auf einmal gereizt. »Die sind doch eh alle nur scharf auf Sex.«
»Das war doch bloß so dahingeplappert«, sagte Jessica rasch. Sie kannte Emilys Stimmungsschwankungen inzwischen und wollte nicht, dass der Abend kippte. »So schnell lasse ich mich sowieso auf keinen Mann mehr ein.«
»Na also, wer braucht die schon. Du siehst ja, was sie dir bisher gebracht haben«, schnaubte Emily, »dein Mann hat dich sitzen lassen, das mache ich garantiert nicht. Bin ich nicht immer für dich da?«
»Sei doch nicht sauer, Emy. Du hast ja recht, es tut mir leid.« Sie ging auf Emily zu und umarmte sie kurz. »Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich tun sollte. Na los, komm, lass uns jetzt den Film ansehen!«
An der Kinokasse rüsteten sie sich mit Cola und Popcorn aus. Mit zwei Fingern griff Jessica den Popcorneimer und klemmte ihn umständlich vor ihre Brust. Die Cola nahm sie in die andere Hand. Voll beladen eilte sie damit auf den Kinosaal zu.
»Jess!«, rief ihr Emily hinterher. »Warte kurz, ich will noch was zum Anstoßen mitnehmen.«
Jessica blieb abrupt stehen und wollte kehrt machen. Ehe ihr jedoch bewusst wurde, was gerade passierte, schwappte die Cola über, rutschte aus ihrer Hand und klatschte auf den Boden. Jessica verlor das Gleichgewicht. Sie ruderte mit den Armen, um nicht zu fallen. Dabei schleuderte sie den Popcorneimer in hohem Bogen durch die Luft. Der Mann, der soeben gegen sie geprallt war, packte sie reflexartig bei den Schultern.
»Hoppla, junge Dame«, rief er erschrocken und konnte Jessica gerade so vor dem Sturz bewahren.
»Verdammt noch mal«, quiekte sie, als sie wieder fest auf ihren Füßen stand. »Haben Sie keine Augen im Kopf? Kein Mensch weit und breit und Sie müssen ausgerechnet mich umrennen!« Jessica war außer sich. »Sehen Sie sich diese Schweinerei an!«
Mit einem Dankeschön und schmachtenden Blicken konnte er wohl jetzt nicht mehr rechnen. Im Gegenteil, die Antwort fühlte sich eher an wie eine Ohrfeige.
»Vorsicht, Lady«, verteidigte er sich. »Es wäre nichts passiert, wenn Sie sich mal für eine Richtung entschieden hätten. Sie sind mir doch förmlich in die Arme gelaufen.«
Nun richtete Jessica drohend den Finger auf ihn. »Sie reden sich aus dieser Sache nicht heraus! Diese Sauerei ist allein Ihre Schuld.«
So nicht, Kleine. Er ging zum Gegenangriff über und trat näher an sie heran. Dabei grinste er anzüglich, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte leise: »War das geplant? Absicht? Ein kleiner Trick, um mit mir auf Tuchfühlung zu gehen? Verraten Sie’s mir, bin vielleicht nicht ganz abgeneigt.«
Jessica fühlte sich bei dieser geringen körperlichen Distanz unwohl. Sie wollte Abstand nehmen, konnte ihn aber bloß fassungslos anstarren. Schon trat er wieder einen Schritt zurück und sprach in herablassendem Tonfall weiter. Er wusste, dass er damit zu weit ging, konnte sich aber nicht mehr zügeln.
»Schon klar, jede Frau versucht sich einen Kerl zu angeln, egal wie. Allerdings …«, er machte eine kurze Pause und rieb sich das Kinn, »bei Ihrem Gekeife werden Sie vermutlich eh keinen abbekommen.«
Das war genug. Es reichte. Jessica schnappte förmlich nach Luft. Gleich platzte sie. »Unverschämter Kerl! Das muss ich mir wahrlich nicht bieten lassen. Von Ihnen lass ich mir nicht die Laune verderben. Nicht von so einem, wie Sie es sind!«
»Ach, was bin ich denn Ihrer Meinung nach für einer?«
Das war doch wohl die Höhe. Machte er sich auch noch lustig über sie? Ihre Wut kochte allmählich über.
»Sie sind ja so ein arroganter, mieser, selbstverliebter, flegelhafter …«, stammelte sie fauchend.
»Unverschämter?«, half er weiter.
»Ja!«, giftete Jessica wütend.
Emily hatte das ganze Theater mitverfolgt und kam näher.
»Hey Jess, komm, lass gut sein.« Sie versuchte Jessica zu beruhigen. »Ich glaube, du bist im Unrecht. Er kann nichts dafür. Du bist ihm tatsächlich quasi in die Arme gelaufen.«
Jessica funkelte erst ihn und dann Emily böse an.
»Also.« Er grinste frech. »Wenn ich das mal anmerken darf, ich fand’s nicht unangenehm, wie Sie sich mir an den Hals geworfen haben. Kommt schließlich nicht alle Tage vor.«
Jessica bekam rote Flecken im Gesicht und schnappte erneut nach Luft.
»Sie lassen es jetzt gut sein«, mischte sich Emily ein. »Ist das klar?«
»Okay, okay.« Beschwichtigend hob er die Hände. »Vielleicht war ich ja auch nicht ganz unschuldig. Als kleine Wiedergutmachung spendiere ich den Damen einen neuen Eimer Popcorn.«
»Das ist ja wohl das Mindeste!«, giftete Jessica schon wieder.
»Ist Ihre Freundin immer so nachtragend?«, fragte er an Emily gewandt. Dann blickte er wieder zu Jessica. »Noch einmal, Lady, ich entschuldige mich hiermit aufrichtig in aller Form. Und nun müssen mich die Damen leider entschuldigen, so amüsant die Begegnung mit Ihnen auch war. Ich muss los, es gibt noch andere Damen, die sich mir an den Hals werfen wollen.«
Er lachte leise auf, tippte mit zwei Fingern an seinen nicht vorhandenen Hut und machte eine übertriebene Verbeugung. Im Vorbeigehen drückte er Jessica einen 5-Dollar-Schein in die Hand. »Davon können Sie sich sogar ’nen großen Eimer kaufen.«
»Verdammter Scheißkerl«, murmelte Jessica. Dann ging sie zurück zur Theke und besorgte neue Verpflegung. Allmählich beruhigte sie sich wieder. Natürlich war ihr völlig klar, dass sie selbst an dem ganzen Schlamassel die Schuld hatte, aber das behielt sie für sich.
Jessica sah Emily an und hob die Schultern. »Er hat sich über uns lustig gemacht, ist das zu fassen?« Dabei zuckte ihr Mundwinkel verdächtig.
»Du bist mir schon eine«, sagte Emily schmunzelnd. »Komm, wir gehen uns jetzt auch amüsieren. Mal sehen, wem wir uns als Nächstes an den Hals werfen können«, neckte sie Jessica und kniff ihr in den Arm.
Darauf gingen sie in den Kinosaal.
»Sieh mal, Jess, dort sitzt Mister Scheißkerl.«
Tatsächlich, er saß zwei Reihen hinter ihnen, lässig den Arm um eine rassige Brünette gelegt und grinste Jessica fragend an.
»Hmpf«, schnaubte sie und wandte sich angewidert ab. Dieser Kerl hat seine Freundin im Arm und besitzt allen Ernstes die Frechheit, mir zuzuzwinkern? Ich glaub’s kaum. Schön blöd, die Arme.
Dann wurde es dunkel und der Film ging los, doch dummerweise konnte sie sich kaum richtig darauf konzentrieren. Unwillkürlich schlich er sich immer wieder in ihre Gedanken. Der Verstand wollte ihr nicht gehorchen und nach einer Weile, ohne es zu wollen, drehte sie sich erneut nach ihm um. Im Dunklen konnte sie ihn nicht gleich ausmachen und starrte einige Zeit in seine Richtung, bis sie bemerkte, dass auch er zu ihr sah.
Er starrt zurück. Mist. Muss er gerade jetzt zu mir sehen? Wie peinlich. Ich dumme Kuh. Schnell schaute sie wieder nach vorn. Ganz ruhig, Jess, er ist nur ein aufgeblasener Angeber und hat kein Benehmen. Trotzdem, er sieht so verdammt gut aus, dieser Scheißkerl.
Er hatte sein schwarzes Haar lässig nach hinten gekämmt. Seine tief dunklen Augen, beinah schwarz, wirkten sanft, aber auch irgendwie gefährlich. Jessica hatte sich unwohl gefühlt, als er vorhin im Foyer so nah vor ihr stand und sie eindringlich ansah. Er war sehr selbstsicher und strahlte ein hohes Maß an Überlegenheit aus, das machte sie schrecklich wütend. Missmutig stopfte sie sich den Mund voll Popcorn und versuchte, sich auf die Leinwand zu konzentrieren.
Am Ende hatte sie den Film nur teilweise wahrgenommen, sie hatte ihre Gedanken einfach nicht in den Griff bekommen. Emily hingegen war völlig begeistert, und das war heute die Hauptsache.
Es war erst früher Abend und die zwei beschlossen, Emilys Geburtstag in einer kleinen Bar ausklingen zu lassen.
»Wenigstens anstoßen müssen wir auf deinen Geburtstag«, sagte Jessica und hakte sich bei Emily unter.
Sie gingen in den Jefferson Pub, der allerdings eher einer Havanna-Bar gleichkam als einem Pub. Jessica kam ab und zu auf ein Bier hierher. Sie setzte sich dann für gewöhnlich in eine Ecke und beobachtete. Manchmal konnte sie den ein oder anderen Charakter für ihr neues Buch verwenden. Sie war neben einer Buchhändlerin auch erfolgreiche Autorin und stand kurz davor, ihren neuen Roman zu veröffentlichen. Ihre Agentin versicherte ihr jetzt schon, dass er ein weiterer Bestseller werden würde.
Die beiden nahmen in einer der separat abgeteilten Sitznischen Platz. Hier saß Jessica am liebsten, es war irgendwie intimer. Außerdem mochte sie den Ledergeruch, mit dem die dunklen Bänke gepolstert waren.
Sie hatten sich eben erst gesetzt, da brachte der Kellner bereits ihre bestellten Martinis. Kurz darauf kehrte er zurück und stellte ihnen noch zwei Longdrinks auf den Tisch.
»Oh, Verzeihung, die hatten wir nicht bestellt«, sagte Jessica irritiert.
»Ich weiß.« Der Kellner nickte. »Die Drinks kommen mit den besten Empfehlungen von dem einzelnen Herrn da am Tresen.« Mit einer Kopfbewegung wies er in seine Richtung.
Verwundert blickten sich Emily und Jessica an. Fast gleichzeitig drehten sie neugierig ihre Köpfe in Richtung Tresen, wo der mysteriöse Spender sitzen sollte. Er lächelte ihnen prostend zu. Schlagartig verging beiden das Grinsen. Auf keinen Fall wollten sie diese Drinks annehmen, doch der Kellner war bereits verschwunden. Provozierend schoben sie die Gläser zur Seite.
»Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte Jessica. »Ich glaube, der verfolgt uns.«
»Das glaub ich aber langsam auch.«
Lässig stand dieser Scheißkerl vom Kino an der Bar, unverschämt gut aussehend.
»Da hat er seine Begleitung aber schnell abserviert«, stellte Jessica fest.
»Vielleicht ja auch sie ihn.« Beide kicherten über diese Vorstellung.
Jessica spürte, wie er sie ungeniert beobachtete. Nervös griff sie nach ihrer Handtasche und machte sich daran zu schaffen. Es kostete sie Mühe, ihn nicht weiter zu beachten.
»Emy, ich habe noch ein Geschenk für dich. Ist nur was Kleines. Doch zuerst lass uns mal anstoßen – cheers.«
»Cheers. Was ist es denn?« Emily war neugierig.
Jessica holte eine kleine, schmale Schachtel hervor. Sie war in edles, silbern glänzendes Papier geschlagen und mit blauen Bändern liebevoll verziert. Vorsichtig wickelte Emily das Päckchen aus und öffnete den Deckel. Darin lag ein zartes, silbernes Kettchen mit einem Ring als Anhänger. Ein kleines Herz mit einer Krone, das in Form eines Ringes von zwei Händen gehalten wurde.
»Emy, das ist ein Freundschaftsring und soll dich immer an uns erinnern. Ist was Irisches, na ja, meine Wurzeln sind dort, deshalb fand ich es ganz passend.« Verlegen, aber auch stolz strahlte Jessica.
Es war ein Claddagh-Anhänger aus dem gleichnamigen irischen Fischerdorf bei Galway. Das Herz symbolisierte Liebe, die Hände Freundschaft und Vertrauen, die Krone Loyalität.
Mit Tränen in den Augen umarmte Emily ihre Freundin. Dabei spürte Jessica noch immer seine Blicke auf sich ruhen.
2. Kapitel
Wie so oft in den letzten Tagen lag Aidan am Strand in der Sonne. Gebannt beobachtete er die attraktive Rothaarige. Es war heute relativ stürmisch mit hohem Seegang, aber gerade daran hatte sie wohl ihren Spaß. Sie ließ sich von den Wellen tragen, wurde emporgehoben und verschwand dann jedes Mal kurz im Tal, bevor sie wieder nach oben schoss.
Plötzlich wurde sie von einer Woge erfasst, die sie für einen Moment unter sich begrub. Hustend tauchte sie wieder auf und rang nach Luft. Schon schwappte erneut eine Welle über ihrem Kopf zusammen, gefolgt von der nächsten. Der Spaß hörte unmittelbar auf. Sie hatte das Spiel wohl unterschätzt. Mühsam kämpfte sie sich, Stück für Stück, in Richtung Ufer vor, wurde durch den Seegang aber immer wieder ins Meer zurückgezogen.
Aidan verfolgte das Schauspiel eine Weile und wollte ihr gerade zu Hilfe eilen, da hatte sie endlich das Ufer erreicht. Dabei erhaschte er von ihr leider nur einen kurzen Blick von vorn. Sie schaute sofort wieder zum Meer zurück und sah schon die nächsten Wellen auf sich zurollen. Doch hier in Strandnähe waren sie nicht so gefährlich.
Aidan lehnte sich wieder entspannt zurück und beobachtete weiter. Sie war sehr blass wie die meisten Rothaarigen. Die Tropfen auf ihrer Haut glitzerten im Sonnenlicht wie Diamanten. Das Haar klebte in schweren nassen Strähnen glatt an ihrem Rücken. Jetzt legte sie den Kopf in den Nacken, hob die Arme und strich elegant das Wasser aus ihrer fuchsroten Mähne. Dann drehte sie sich um, blieb stehen und sah ihn direkt an. Sie hatte wunderschöne blaue Augen und öffnete ihren sinnlichen Mund. Sie rief ihm etwas zu, was er allerdings nicht verstand, denn es wurde mit einem Mal furchtbar laut.
Wie aus heiterem Himmel kam eine Gruppe lärmender Kids herbeigelaufen, wahrscheinlich ein Schulausflug. Sie drängten sich genau in sein Sichtfeld. Laut grölend liefen sie am Strand hin und her. Aidan war verärgert. Normalerweise mochte er Kinder, aber verdammt noch mal nicht jetzt.
Die Rothaarige war verschwunden. Wer war sie? Er musste unbedingt ihren Namen erfahren. Das Kreischen wurde immer durchdringender. Er hielt sich die Ohren zu, konnte den Lärm aber trotzdem hören. Der Ton wurde zu einem monotonen Fiepen und so penetrant, dass Aidan letztendlich aufwachte.
Das Telefon klingelte noch immer. Er fluchte. Verschlafen fuhr er sich mit der Hand über sein Gesicht. Blinzelnd mit einem halb offenen Auge sah er zum Wecker und ließ seinen Kopf gleich wieder zurück auf das Kissen sinken. Er seufzte. Es war gerade mal zwei Uhr morgens. Um diese Uhrzeit konnte das nichts Gutes bedeuten.
Aidan griff zum Hörer. »Hier Carter«, brachte er mühsam hervor.
»Tut mit leid, Aidan. Schwing deinen Hintern aus dem Bett und komm in die Washington Street, Ecke State Capitol. Wir haben hier einen Toten. Und so wie der aussieht, erübrigt sich die Frage der Zuständigkeit«, brummte Lieutenant Ethan Jones und schien ebenso wenig begeistert.
»Fuck!« Aidan sprang aus dem Bett. Eilig sammelte er seine Klamotten ein, die achtlos auf dem Boden verstreut lagen, und zog sich an.
»Und wäre nicht schlecht, wenn du dich ein wenig beeilen könntest. Die Aasgeier ziehen schon ihre Kreise und der Boss will keine Panikmache in der Presse lesen.«
Aidan hielt kurz inne. »Sag bloß, du hast den fetten Arsch geweckt«, bemerkte er beinah ehrfürchtig.
»Tja, er will doch immer sofort wissen, wenn es was Neues in seinem Bezirk gibt. Seine Worte.«
Aidan konnte förmlich sehen, wie Ethan am anderen Ende unschuldig die Schultern hob, und lachte kurz auf.
»Da steh ich völlig hinter dir, mein Lieber. Wir dürfen dem Fettsack selbstverständlich keine Informationen vorenthalten.«
Während sein Telefon zwischen Ohr und Schulter klemmte, zwängte er sich auf einem Bein hüpfend in seine Jeans.
»Okay, Ethan, also bis gleich, ich mach mich jetzt mal auf den Weg.«
Zwanzig Minuten später war er vor Ort in der Washington Street. Er parkte ein paar Meter abseits, was er für gewöhnlich tat, und stieg aus seinem Mustang.
Das mehrstöckige Wohnhaus sah er schon von Weitem. Es wimmelte hier von Blaulichtern. Ermittler waren dabei, den Bereich vor dem Haus zu untersuchen. Mit Sicherheit waren auch genügend von ihnen drinnen zugange. Der Eingang war weiträumig mit einem Absperrband gesichert. Um diese Uhrzeit gab es zwar nur wenig Schaulustige und Möchtegern-Fotografen, aber dafür genügend Aasgeier von der Presse. Diese waren regelmäßig zur Stelle und Aidan blieb es ein Rätsel, wie sie die Ereignisse jedes Mal so schnell wittern konnten. Immer wieder aufs Neue versuchten sie, mit ihren Ausweisen durchzukommen. Allerdings wäre es nicht das erste Mal, wenn sie damit hinter die Absperrung kämen. Von den Neulingen unter den Officers waren schon einige auf sie hereingefallen. Doch wie es aussah, hatten sie heute Nacht mit der Masche keine Chance.
Aidan holte tief Luft. »Na da woll’n wir mal.«
Er bückte sich unter der Absperrung hindurch, zeigte kurz seine Dienstmarke und ging ins Haus. Mit langen Schritten durchquerte er das Foyer. Vor der Treppe blieb er stehen, überlegte es sich aber anders und nahm den Fahrstuhl.
Diese alten, rostigen Dinger mit Scherengitter, wie es dieser hier hatte, mochte er eigentlich überhaupt nicht. Normalerweise verließ er sich da lieber auf seine Beine und nahm die Treppe. Doch zu so früher Morgenstunde war er einfach zu müde und ging das Wagnis ein.
In der zehnten Etage atmete Aidan auf, er war weder abgestürzt noch steckengeblieben. Er riss das Gitter beiseite und trat in den Korridor. Ein Officer sah ihm entgegen, der an einer der Wohnungstüren Posten bezogen hatte.
»Also hier läuft die Party.«
Aidan ging auf ihn zu, nickte grimmig und zeigte seine Dienstmarke. Aus der Kiste vor der Tür griff er einen Schutzanzug und zwängte sich umständlich hinein. Anschließend betrat er die Wohnung.
Als Erstes versuchte er, sich einen groben Überblick zu verschaffen. Er sah sich um. Der Tatort war vorschriftsmäßig gesichert und die Tatbestandsaufnahme in vollem Gange. Beamte nahmen die Details auf, einer der Forensiker versetzte erkennbare Spuren mit Markierungen und ein anderer schoss zahlreiche Fotos. Gut so. Sie alle zusammen waren ein ausgezeichnetes Team.
Aidan hoffte inständig, dass die Kriminaltechniker brauchbare Hinweise finden würden, wenn er Glück hatte sogar Beweise. In der hinteren Ecke sah er seinen jahrelangen Partner und Freund Lieutenant Ethan Jones. Er war in eine Unterhaltung mit Dr. Harris vertieft. Aidan ging zu ihnen.
Dr. Harris war relativ klein und rund, aber in diesem Überzieher sah er regelrecht lächerlich aus. Sofort dachte Aidan an ein Teletubbie in übergroßem Strampler und musste an sich halten, um nicht laut loszulachen.
»Morgen, Dr. Harris. Hey, Ethan.«
»Aidan.« Ethan nickte ihm zu.
»Morgen, Inspector Carter«, gab Dr. Harris zur Antwort.
Aidan kam gleich zur Sache. »Was liegt vor, gibt es bereits irgendwelche Hinweise? Können Sie schon sagen, wann und wie es geschah?«
Aus dem Augenwinkel vernahm er, wie gerade die Bahre mit dem Leichensack abtransportiert wurde.
»Wir haben eine männliche Leiche, einen Mr. Richard Brown, weiß, schätzungsweise um die vierzig«, begann Dr. Harris. »Die Leichenstarre ist noch nicht sehr weit fortgeschritten. Demnach liegt der Todeszeitpunkt etwa bei 22.00 Uhr.«
»Und wie?«
Dr. Harris bedachte Aidan mit strengem Blick. »Genaues wird die Obduktion ergeben.«
»Sie haben doch sicher eine Vermutung.«
»Wissenschaft basiert nicht auf Vermutungen, Inspector. Aber nach meinen bisherigen Erkenntnissen ist Erstickungstod die Todesursache.«
Aidan zog die Brauen hoch. »Er ist erstickt? Wie, wodurch?«
»Höchstwahrscheinlich an seinem Erbrochenen, mithilfe toxischer Einwirkung. Weißer Schaum am Mund und Erbrochenes an mehreren Stellen im Zimmer. Vermutlich wollte er ins Badezimmer, aber sein Körper war bereits stark geschwächt und er hat es nicht mehr geschafft. Auf dem Weg dahin ist er hier drüben zusammengebrochen und dabei wahrscheinlich auf die Musikanlage gestürzt. Nach meinen ersten groben Untersuchungen zufolge hatte er innerliche Verätzungen. Er hustete Blut, erbrach sich und ist daran erstickt.« Dr. Harris schickte sich an zu gehen. »Alles reine Spekulation. Tatsachen, wie schon gesagt, erst nach der Obduktion.«
»Wann kann ich mir die Ergebnisse ansehen?«, rief Aidan ihm hinterher.
Dr. Harris winkte im Gehen und drehte sich dabei nicht mal mehr um.
Aidan sah Ethan an und hob fragend die Brauen. »Und? Was hast du für mich?«
»Also – laut Dr. Harris liegt der etwaige Todeszeitpunkt bei 22.00 Uhr. Um diese Zeit, nämlich genau 22.34 Uhr, ging von einer Nachbarin ein Anruf wegen Ruhestörung ein. Die Nachbarin, eine Mrs. Smith, wohnt direkt nebenan. Sie meinte, dass bei Brown plötzlich Musik in voller Lautstärke losging. Sie wartete eine Weile, doch der Lärm hörte nicht auf. Und wie Dr. Harris schon sagte, muss Brown auf die Musikanlage gestürzt sein, vielleicht wollte er sich auch daran festhalten, was weiß ich. Jedenfalls hielt es Mrs. Smith nicht mehr aus und ging zu Browns Wohnungstür. Sie klingelte mehrfach und rief nach ihm, aber niemand öffnete. Sie wartete noch eine Weile, dann rief sie die Polizei. So wurde seine Leiche entdeckt.«
Stunden später waren die ersten Untersuchungen vor Ort abgeschlossen. Aidan und Ethan konnten hier nicht mehr viel ausrichten und verließen gemeinsam die Wohnung des Opfers. Endlich konnten sie die lästigen Schutzanzüge loswerden.
Aidan warf dabei einen Blick auf Ethan, schüttelte den Kopf und grinste. Ethan sah selbst nach dieser Nacht noch frisch und blendend aus. Sein blondes Haar lag perfekt, ausgewaschene Jeans, weißes Hemd, braun gebrannt, und das um diese Uhrzeit, einfach nicht zu fassen.
»Wenn du damit fertig bist, mich anzuglotzen, wie sieht’s aus mit ’nem Muntermacher?«
»Kann ich dringend brauchen, ich will diesen Tag wenigstens halbwegs überstehen.«
Zwei Straßen später standen sie vor dem Subway. Es lag quasi auf dem Weg zum Police Department, wo sie sich schleunigst blicken lassen sollten. Ethan sprang schnell in den Laden und besorgte ein paar Sandwiche und heißen Kaffee. Beide hofften, dass sich ihr Magen durch das stundenlange Inhalieren von Kotzegeruch nicht gegen das Essen wehren würde. Doch wer weiß, wann sie wieder die Zeit dafür fänden, denn der heutige Tag würde ihr Überstundenkonto mal wieder hart strapazieren. Auf beide wartete haufenweise nervtötender Papierkram, hinzu kamen Profilerstellung und im Anschluss noch Zeugenbefragungen.
Kurze Zeit später bogen sie in die Monroe-Street ein, zum Police Department. Der winklige Flachbau war kaum zu übersehen. Er nahm mit seiner Größe etwa zwei Häuserblocks ein. Für Passanten wirkte er imposant und respekteinflößend. Hinter dem Haus gab es sogar extra einen Platz für Apelle, Paraden und Ähnliches, doch davor drückten sich Aidan und Ethan so weit es ging.
Drinnen liefen die Beamten wie aufgescheuchte Ameisen umher. Sergeant Karen Sanders, die gute Seele des Reviers, entdeckte die beiden sofort und kam ihnen entgegengeeilt. Ihre Pausbacken leuchteten. Jede kleine Bewegung brachte sie ins Schwitzen.
Wenn sie nicht bald abspeckt, kann sie in ein paar Jahren mit ihrer Pension ihr Grab bezahlen, dachte Aidan besorgt. Er mochte Karen sehr. Er kannte sie immer nur lachend und mit flotten Sprüchen um sich werfend. Das liebte er an ihr.
»Welch Ode an meine Augen. Da sind sie ja, meine beiden Nougathäppchen. Zu spät zur rechten Zeit zu kommen, das bringt wirklich nur ihr fertig.« Dabei boxte sie beiden freundschaftlich auf den Arm. »Aber jetzt würde ich euch raten, umgehend im Konferenzraum zu erscheinen. Der Alte ist ziemlich ungehalten, weil ihr noch nicht da seid.«
»Hey! Wir haben uns die halbe Nacht um die Ohren geschlagen. Der fette A…« Aidan räusperte sich und lachte halbherzig auf. »Ich meine, jetzt sind wir ja da.«
Karen erhob den Zeigefinger. »Na, na, immer cool bleiben, mein Junge. Du kennst doch sein Motto: Sprüche klopfen, wichtig Aussehen und andere den Job machen lassen. Wird sich eh nie was dran ändern. Habt ihr wenigstens schon gefrühstückt? Ich glaube nicht, dass ihr den Depchi auf leeren Magen ertragen solltet.« Depchi, so nannte Karen Deputy Chief Warren Schroeder.
»Keine Sorge, Karen, wir sind frisch gestärkt. Schroeder ist wahrscheinlich noch sauer, weil er seinen Schönheitsschlaf unterbrechen musste, dank Ethan.« Aidan gähnte herzhaft.
»Is’ nicht dein Ernst, Ethan!« Karen war beeindruckt. »Du wagst dir ja was. Und nun schert euch endlich. Wenn er uns hier schwatzen sieht, platzt er gänzlich. Los, Abmarsch!«
»Ich frage mich gerade, wäre das ein Grund zur Trauer oder gäb’s ’ne Party?«, bemerkte Ethan trocken.
»Gut, dann wollen wir uns ihm mal zum Fraß vorwerfen. Ich hoffe nur, dass er sich nicht wieder einen Bart herunterlabert, sonst musst du uns nachher wecken, Karen.« Aidan gähnte schon wieder.
»Frischer, heißer Kaffee wäre wunderbar«, rief Ethan über seine Schulter zurück.
Karen stemmte die Hände in die Hüften. »Na aber sicher doch, Jungs. Vielleicht noch ’nen Pflaumenkuchen?«
In dem kleinen Konferenzraum waren die Lieutenants Miles, Adams und der Datenspezialist Taylor bereits versammelt. Deputy Chief Warren Schroeder fletschte die Zähne, als Aidan und Ethan den Raum betraten. Aidan fiel sofort wieder seine gravierende Ähnlichkeit mit einer Bulldogge auf. Er war ein Stiernacken mit kleiner Knubbelnase und vorstehendem Kinn.
»Schön, dass uns die Herren mit ihrer Anwesenheit doch noch beehren. Vermutlich haben Sie ja erst mal ein Nickerchen eingelegt, was?«, bellte Schroeder los.
»Jep«, gab Aidan von sich.
»Werden Sie nicht gleich unverschämt, Carter!« Schroeders Blutdruck schoss in die Höhe und sein bulliges Gesicht lief rot an. »Wenn Ihnen der Job zu viel abverlangt, sollte ich Sie vielleicht versetzen. Dann können Sie in aller Ruhe täglich Strafzettel verteilen.«
Aidan kochte innerlich, versuchte seinen Ärger aber vorerst im Zaum zu halten. Strafzettel verteilen wollte er sich doch nicht unbedingt einhandeln. Und er wusste, dass Schroeder dies konnte und auch tun würde, da er Aidan genauso wenig mochte wie umgekehrt.
»So, los jetzt, was wissen wir bisher über unser vermeintliches Mordopfer?«
Daraufhin holte Aidan seine Notizen hervor und leierte seinen Bericht herunter. »Name Richard Brown, fünfunfvierzig Jahre alt, Hautfarbe weiß, geschieden, hat eine Tochter in Florida und war leitender Angestellter eines Supermarktes. Wir beginnen heute mit den Befragungen der anderen Bewohner und seinen Mitarbeitern.«
»Gut, in den nächsten 24 Stunden erwarte ich die Obduktionsergebnisse«, kommandierte Schroeder weiter. »Ich will von Ihnen alles über den Mann wissen und wenn ich sage alles, dann meine ich alles. Seine Beziehungen, Freunde, hat er Feinde. Jedes noch so kleine Detail ist wichtig, auch was er isst, was er trinkt, was er in seiner Freizeit macht, wann und was er scheißt et cetera.«
»Geschissen hat, jetzt scheißt er nicht mehr«, berichtigte Aidan.
Schroeder knurrte nur. Nach einer dreiviertel Stunde war die Besprechung endlich beendet und die Ermittlungen konnten beginnen.
»Hey Serge, wo blieb der versprochene Kaffee?«, riefen Aidan und Ethan wie aus einem Munde.
»Versprochen? Eher wohl erbettelt. Na ja, hab mir gedacht, ihr schafft es auch ohne. So komatös saht ihr beiden nämlich gar nicht aus. Ihr hättet euch mal sehen sollen. Ihr standet in Hab-Acht-Stellung vor dem Depchi. Ich habe euch beobachtet.« Der Schalk in Sergeant Sanders Augen sprach Bände.
»Nun denn, nichts für ungut, Karen«, meinte Aidan leicht säuerlich. »Wir sind jetzt für ’ne Weile hinten und wollen nicht gestört werden. Papierkram und so, weißt schon.«
»Gut, Großer, aber für ’nen frisch Gebrühten seid ihr doch hoffentlich zu haben.«
Aidan grinste und war wieder besänftigt. Ethan warf Karen eine Kusshand zu.
3. Kapitel
Jessica hatte bis in die späten Nachmittagsstunden über ihrem Roman gesessen und die letzten Seiten getippt. Gerade als sie fertig war, klingelte es an der Tür. Emily – sie hatte eine Flasche Wein in der Hand und hielt sie Jessica vor die Nase.
»Hallo, Jess.« Emily gab Jessica einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Hier, nimm mir mal das Essen ab, ist vom Chinesen um die Ecke. Und was zum Nachspülen hab ich auch dabei.«
Jessica war eigentlich vollkommen erledigt, hatte aber dennoch Lust zu feiern. Das hatte sie sich auch redlich verdient, jetzt, da der ganze Druck der letzten Monate und Wochen vorbei war.
»Du kommst genau richtig. Fertig, endlich!«
Emily ging in die Küche und setzte sich an den Tisch.
»Fertig? Womit denn?«
»Mit meinem Manuskript.«
Jessica grinste erleichtert und nahm Emily den Wein aus der Hand. Der war nach dieser Anstrengung genau das, worauf sie jetzt Lust hatte. Sie ging zum Schrank und nahm Gläser und Teller heraus.
»Echt? Na Glückwunsch.«
»Ja, Gott sei Dank. Ich bin total ausgelaugt. Für die nächsten Wochen will ich erst mal ’ne Schreibpause machen.« Nebenbei häufte sie den gebratenen Reis gerecht verteilt auf beide Teller.
»Das glaub ich dir gern. Du warst in letzter Zeit auch ziemlich abweisend.«
»Meine Agentin hat mir ganz schön Druck gemacht, sie hat mich fast täglich genervt – wo ist eigentlich der Korkenzieher? Hab schon so lange nichts mehr getrunken, ich weiß gar nicht, wo ich ihn zuletzt … ah, hier ist doch das gute Stück.«
»Klingt ja übel. Der hätte ich aber mal kräftig die Meinung gegeigt.«
»Na ja, aber im Prinzip hatte sie damit recht.« Plopp. Jessica zog den Korken aus der Flasche. »Die Buchvorstellung – ist doch bald soweit.« Sie reichte Emily ein Glas und setzte sich zufrieden. »Cheers.«
»Cheers. Ja, stimmt, das hast du erzählt.«
Beide tranken ein Glas nach dem anderen und noch eine weitere Flasche musste daran glauben. Es wurde sehr spät, was Jessica am folgenden Tag zutiefst bereute.
Zeitig aufstehen, jeden Morgen das Gleiche. Für Jessica war das ein Grauen. Irgendwann einmal hatte jemand den Begriff Morgengrauen erfunden, wahrscheinlich genau aus demselben Grund.
Am liebsten hätte sie den Wecker gegen die Wand geschmissen und sich wieder in ihre warme Decke gekuschelt. Sie setzte sich auf und verharrte einen Moment auf der Bettkante. Noch hatte sie die Wahl zwischen ein paar Minuten länger liegenbleiben oder Frühstück. Notgedrungen entschied sie sich für Letzteres.
Verschlafen schlurfte sie mit halb geöffneten Augen in Richtung Dusche. Das Wasser war schön warm, zwar nicht so wie ihr Bett, doch trotzdem angenehm, nur munter wurde sie davon nicht. Deshalb drehte sie den Wasserhahn abschließend auf eiskalt. »Wuah!«, entfleuchte ihr ein spitzer Schrei. Schnell drehte sie den Hahn wieder zu, fühlte sich aber gleich auch schon viel frischer.
Emily hatte nach dem vielen Wein bei Jessica übernachtet und wuselte jetzt fröhlich summend durch ihre Küche. Jessica wurde mehr vom Kaffeegeruch als von gebratenem Speck und Toast angelockt. Für einen ausgemachten Morgenmuffel war ihr Emilys Verhalten zu so früher Stunde völlig unverständlich.
»Morgen, Emy.«
»Auch Guten Morgen. Setz dich, Frühstück kommt gleich.«
»O danke, für mich bitte nur Kaffee – dringend.«
Emily stellte ihr einen großen Pott vor die Nase. »Die Zeitung liegt auf dem Stuhl neben dir.« Sie selbst packte sich ordentlich Eier, Speck und Toast auf den Teller. »Du musst ja nicht, aber bei mir geht ohne Frühstück gar nichts.«
»Und mit mir ist ohne Kaffee nichts anzufangen.« Jessica grinste über den Rand ihres Potts.
»Das fällt mir nicht das erste Mal auf.«
Jessica schnappte sich die Tribune, die neben ihr auf dem Stuhl lag. Sie hatte mehr aus dem Augenwinkel das Wort Mord erspäht.
»Sag mal, Emy, hast du schon die Zeitung gelesen? Ein Mord, in unserer Stadt!«
»Nein, wer? Was ist denn passiert, zeig doch mal!«
Jessica hielt die Titelseite hoch: Bestialischer Mord in Jefferson City – Wie sicher sind unsere Bürger?
»Ja, und weiter?«
»Nun wart doch mal, ich muss ja selber erst mal lesen. Also hier steht: Letzte Nacht wurde Richard Brown Opfer einer gnadenlosen Bestie in seinem eigenen Apartment. Qualvoll erlag er seinen Verletzungen. Für ihn gab es keine Rettung mehr. Seine Tochter, dreiundzwanzig Jahre, reagierte auf das Schicksal ihres Vaters mit einem Nervenzusammenbruch. Sie wurde vorübergehend ins Krankenhaus eingeliefert. Brown war Inhaber und Leiter von Browns Supermarkt. Er war beliebt bei seinen Kunden, immer freundlich und zuvorkommend. Zu näheren Informationen ist das Police Department bisher nicht bereit.«
»Das ist ja furchtbar!« Emily war entsetzt. »Ich kenne den Markt, ich bin dort letzte Woche erst einkaufen gewesen. Wer tut so etwas?«
»Da läuft es einem richtig kalt den Rücken runter.« Jessica blickte zur Uhr. »O Emy, mein Gott ist das spät, ich muss los. Steve kommt heute erst gegen Mittag und da muss ich pünktlich im Geschäft sein.«
Jessica kannte Steve schon seit ihrer Studienzeit. Sie lernten sich damals bei einer Literaturvorlesung kennen und brachten es fertig, ganze Abende über ein einziges Buch zu diskutieren. Steve war ein extrem einfühlsamer, sensibler Mensch und ein unwahrscheinlich guter Zuhörer. Er war schwul und wurde zu ihrem besten Freund.
Irgendwann später hatte er dann seinen Traum von einem eigenen Buchladen verwirklicht und Jessica feierte den Erfolg ihres ersten Romans. Nachfolgend arbeitete sie für ihn, denn sie wollte sich nicht völlig dem Erfolg ihrer Bücher überlassen. Das alles war jetzt Jahre her, aber ihr kam es vor, als wäre es erst gestern gewesen.
Jessica sprang vom Frühstückstisch hoch und hetzte in aller Eile los. Beinah hätte sie sich vertrödelt. Sie würde den ganzen Vormittag allein im Geschäft sein und hatte jede Menge Arbeit vor sich.
Als sie beim Laden ankam, parkte sie ihren Mini um die Ecke und rannte die letzten paar Meter. Sie war sehr spät dran und ausgerechnet heute früh sollte eine Lieferung kommen.
Puh, was für ein Glück. Noch stand kein Kunde vor der Tür, aber dafür könnte die Ware jeden Moment eintreffen. Eilig entfernte sie das Schloss und schob das Gitter beiseite. Anschließend lief sie schnell ins Nebenzimmer und verstaute ihre Tasche im Spind. Prompt schellte die Klingel an der Hintertür.
»Augenblick, ich komme!«
Jessica stürmte zwischen den meterhohen Eichenregalen entlang, vorbei an dem winzigen Lagerraum, zur hinteren Tür. Das musste Thompson sein, der Paketbote. Wieso überhaupt kam er heute, sonst lieferte er doch immer montags?
Jessica mochte ihn nicht. Er war ein eigenartiger Kauz und obendrein notorisch unfreundlich. Sie hasste diese Tage, wenn Steve nicht da war und sie die Ware von Thompson entgegennehmen musste. Manchmal fixierte er sie dabei unverhohlen mit seinen kalten, blassblauen Augen. Jessica fand das richtig unheimlich und bekam schon eine Gänsehaut, wenn sie auch nur an ihn dachte.
»Mist!« Sie ruckelte und zerrte an dem rostigen Riegel der Hintertür. »Steve sollte dieses Ding doch austauschen!«
Endlich gab er das Schloss frei. Das gäbe ’ne schöne Katastrophe, wenn Thompson deswegen am Vordereingang abliefern müsste. Dann könnte Steve den Laden gleich dicht machen.
Jessica drückte die schwer knarzende Tür gegen die Wand und angelte mit dem Fuß nach dem verstaubten Apothekergewicht. Eigens für diesen Zweck stand es immer gleich neben der Tür.
Dann sah sie Thompsons Paketfahrzeug. Er saß auf der Laderampe der seitlich geöffneten Schiebetür und kaute auf einem Zigarettenstumpen herum.
Wie Eklig. Kein Wunder, dass seine Zähne ganz vergilbt sind. »Guten Morgen, Mr. Thompson, Sie sind heute aber recht zeitig dran.«
Zur Abwechslung wollte sie es einfach mal mit etwas Smalltalk versuchen. Vielleicht brachte dieser Nörgler irgendwann doch noch mal ein Lächeln zustande.
»Hmpf. Guten Morgen«, äffte er Jessica nach. »Sieht so bei Ihnen ’n guter Morgen aus? Könnt’ mir was Besseres um diese Zeit vorstellen.«
Okay, also wie immer – alter Muffel. War eigentlich nicht anders zu erwarten.
»Übrigens hab ich vor ’ner halben Stunde hier angerufen. Die Madame hatte es wohl nich’ nötig ranzugehen, hä? Wo ist Garson überhaupt?«
»Mister Garson kommt später. Was wollten Sie denn?« Blödes Arschloch!
»Und da lässt er Sie allein in seinem Laden? Was für ein vertrauensseliger Schwachkopf.«
»Ja, stellen Sie sich mal vor, er vertraut mir sogar blind. Warum haben Sie denn nun angerufen?«
»Tja, wär’n Sie ma’ rangegangen.« Er grinste hämisch. »Mit Ihnen hat sich Garson ja ’ne schöne Hilfskraft zugelegt.«
Jessica stemmte die Hände in die Hüften. Was bildet sich dieses Ekelpaket überhaupt ein! »Wollten Sie nicht Ware abliefern oder sind Sie nur wegen dieses netten Gesprächs hier?«
Thompson warf Jessica einen langen und durchdringenden Blick zu. Dann spuckte er den Stumpen zur Seite und rutschte von der Rampe.
»Moment, Miss.«
Er drehte sich um und ging zu seinem Lieferwagen. Jessica fröstelte plötzlich und musste unwillkürlich an den Zeitungsartikel von heute Morgen denken. Und dieser Mann hier war eindeutig furchterregend, zudem musste er wesentlich stärker sein, als er aussah. Denn obwohl er sehr hager war und sich leicht vornübergebeugt bewegte, packte er gleich mehrere Bücherkisten auf einmal in seine Arme.
»Wohin damit?«, blaffte er Jessica an.
Sie eilte voraus in den kleinen Lagerraum. Nach und nach schleppte Thompson Kisten herein und stellte damit den ganzen Eingang zu. In der Zwischenzeit wuchtete Jessica ein paar davon in die Ecke. Sie wollte noch einigermaßen treten können und nicht gleich über den nächstbesten Karton stürzen. Dann griff sie rasch nach den Papieren. Sie musste sich beeilen, Thompson würde ganz sicher nicht so lange warten, bis sie den Lieferschein mit der Bestellung verglichen hatte. Also überflog sie die Liste mehr, als dass sie kontrollierte.
Jessica war fast durch damit, da wurde es dunkel und sie konnte nichts mehr erkennen. Das kleine Deckenlicht hatte sie gar nicht erst eingeschaltet, sie hatte es völlig vergessen. Thompson hatte sie vorhin nervös gemacht und sie wollte nur, dass er schnellstens wieder verschwinden würde. Jetzt stand er in der Tür und nahm somit die einzige Lichtquelle, die in den Raum fiel.
»Das war die letzte Kiste, Miss.«
Jessica fuhr erschrocken hoch. »Ah – ist gut – äh, danke.«
Sie wollte auf keinen Fall, dass er ihre Nervosität mitbekam. Wahrscheinlich würde er sich daran ergötzen, wenn er glaubte, sie habe Angst. Aber es gelang ihr nicht, denn sie hatte tatsächlich Angst.
»Hier! Sie müssen unterschreiben.«
Jessica stand in der Ecke. Thompson kam immer näher und sie konnte nirgendwohin ausweichen. Ganz nah vor ihr blieb er stehen, zu nah, denn sie konnte ihn riechen, den Gestank von Schweiß, Zigaretten und fettigen Haaren. Er überragte sie um mindestens einen Kopf. Sein Blick war abwertend und respektlos.
Jessicas Herz begann heftig zu pochen und hallte in ihrem Kopf wider. Ihr Mund wurde trocken und ihre Zunge klebte am Gaumen fest. Mühsam versuchte sie zu schlucken. Er schien ihre Angst zu spüren und mit einem Mal zog er ein Messer. Jessica brach kalter Schweiß aus. O Gott, niemand ist hier, der mir helfen kann. Bitte, bitte, lass einen Kunden kommen und nach mir rufen.
Sein Mund näherte sich ihrem Gesicht und Jessica war wie gelähmt.
»Heute noch, wenn ich bitten darf«, zischte er ihr leise ins Ohr, »ich hab nich’ den ganzen Tag Zeit.«
Dann richtete er sich wieder auf, soweit es seine Haltung erlaubte, und hielt ihr das vermeintliche Messer hin. Jessica starrte auf seine Hand, sah aber nur einen verdammten Kugelschreiber. Er hatte es tatsächlich geschafft, sie vollkommen panisch werden zu lassen.
Vorsichtig drängte sie sich an ihm vorbei in den Gang. Dort atmete sie zitternd aus. Wütend auf sich selbst riss sie ihm die Papiere förmlich aus der Hand und unterzeichnete hastig. Er fixierte sie erneut, in seinem Blick lag blanker Hass. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Jessica rannte ihm nach und knallte hinter ihm schnell die Tür zu. Erschöpft lehnte sie sich dagegen. Sie konnte kaum stehen und ging in die Hocke. Jetzt spürte sie, wie wacklig ihre Beine waren, ihre Knie schlotterten und ihre Augen brannten. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie heulte – hoffentlich nicht schon vor Thompson. Was war das eigentlich gerade, wie sollte sie das für sich einordnen? Freilich, sie war erleichtert, dass er endlich weg war, aber auch wütend und sie schämte sich. Wie konnte sie sich bloß derart von diesem Arschloch einschüchtern lassen. Sogar das Messer hatte sie sich eingebildet und alles nur wegen dieses blöden Artikels in der Zeitung.
Nach ein paar Minuten wurde sie allmählich ruhiger, aber die Angst steckte ihr noch immer in den Knochen. Langsam hievte sie sich hoch. Im selben Moment schellte die Glocke vorn im Laden und Jessica zuckte heftig zusammen. Kurz darauf schlug die Tür zu. Ein Kunde. Zur Beruhigung legte sie die Hand auf ihr Herz. Wenn das heute so weitergeht, bekomme ich noch einen Herzinfarkt. Was ist nur los mit mir? Sie lief nach vorn.
»Ach, Mr. Calvin. Guten Tag. Ihre Bestellung ist gerade eingetroffen. Ich geh schnell hinter und hole sie.«
Als es Mittag wurde, kam endlich Steve.
»Hallo Jess.« Steve trat soeben aus dem Nebenzimmer. »Na, hat alles gekl… Sag mal, wie siehst du denn aus?« Erschrocken eilte er auf sie zu und zwang sie in einen der Sessel. »Du setzt dich jetzt erst mal und keine Widerrede!« Dann ging er vor ihr in die Hocke und sah sie besorgt an. »Meine Güte, was ist denn mit dir los, Kleine? Geht’s dir nicht gut? Brauchst du einen Arzt?«
»Nein, nein, es geht mir gut, alles in Ordnung.«
Jessica wollte aufstehen, doch Steve hielt sie an den Händen fest.
»Alles in Ordnung? Dann würde ich an deiner Stelle mal einen Blick in den Spiegel werfen. Du siehst alles andere als in Ordnung aus!«
»Na vielen Dank auch, das baut mich total auf.«
»Komm schon, du weißt genau, wie ich das meine. Erzähl mir, was los ist.«
»Also gut, du lässt ja doch nicht eher locker. Thompson war heute früh hier. Er hat mir Beleidigungen an den Kopf geworfen, ich wäre ’ne Hilfskraft und so. Und dann war er ganz eigenartig, anders als sonst. Er war irgendwie bedrohlich, er hat mir richtig Angst gemacht!«
»Er hat dich bedroht?«
»Nein, aber seine ganze Art war bedrohlich, wie er mich angesehen und geredet hat. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, ist so ein Gefühl.«