Träum dich weg: Sehnsucht bei Knaur #06 - Gabriella Engelmann - kostenlos E-Book

Träum dich weg: Sehnsucht bei Knaur #06 E-Book

Gabriella Engelmann

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Liebst du große Gefühle? Entspannst du gerne bei romantischen Geschichten mit Happy End? Faszinieren dich bewegende, dramatische Lebensgeschichten? Dann ist diese Leseproben-Sammlung genau das Richtige für dich!  Träum dich weg mit Di Morrisseys neuem Australien-Roman »In der Blüte des Sturms«: Nachdem Ellie Conlan ihren Job in Melbourne verloren und mit Mitte dreißig keine Pläne für ihr Leben hat, zieht sie zu ihrem Großvater in die malerische Küstenstadt Storm Harbour. Was als Urlaub beginnt, wird zu einer Reise in ihre Vergangenheit. Denn ihrem Großvater gehört die Lokalzeitung und Ellie findet Freude daran, als Journalistin zu arbeiten. Sie stößt auf einen mysteriösen Baudeal, der sowohl den großen Botanischen Garten als auch den Campingplatz und seine Bewohner bedroht. Ellie stürzt sich in die Recherche. Dabei kommt sie nicht nur hinterhältigen Machenschaften auf die Spur, sondern auch ihren eigenen Wünschen und der wahren Liebe.  Mit »Fräulein Liebe und das Glück der Bücher« von Susanne Esser erwartet dich der Auftakt einer zauberhaften historischen Familiensaga: Im Frühjahr 1945 steht die 18-jährige Eva Liebe vor dem Nichts, im zerbombten Berlin hat sie alles verloren. Mit letzter Kraft schlägt sie sich nach Andernach am Rhein durch, wo ihr Onkel eine Buchhandlung betreibt. Dort empfängt man Eva zunächst mit Misstrauen – denn die Buchhandlung ist ein geheimer Treffpunkt für Nazi-kritische Intellektuelle. Erst als Eva ihr Händchen für Bücher beweist und zarte Bande zu dem kriegsversehrten Schreiner Georg knüpft, scheint so etwas wie neues Glück möglich. Doch dann wird die Buchhandlung mitten während einer Lesung von einer Bombe getroffen … Begleite Mira, die im großen Debüt »Schwestern wie Ebbe und Flut« von Thesche Wulff nach langer Zeit auf ihre Herzensinsel Amrum zurückkehrt. Hier lebte ihr Patenonkel Ocko, mit dem sie früher stundenlang Treibholz gesammelt hat und der ihr tausend Geschichten dazu erzählte. Doch nun ist Ocko tot, und Miras Schwester drängt sie, sein altes Kapitänshaus abreißen zu lassen. Als ein Sturm Ockos Haus zerstört, fällt Mira ein ganz besonderes Stück Treibgut in die Hände, und sie erinnert sich an eine von Ockos Geschichten, in der sie selbst eine besondere Rolle spielte. Und plötzlich muss sich Mira fragen, ob diese Geschichte mehr war als nur Seemannsgarn.  Diese und weitere gefühlvolle Geschichten von Autor*innen wie Gabriella Engelmann, Anke Petersen und Stephanie Butland findest du in der Leseproben-Sammlung zu den Sehnsuchts-Titeln von Droemer Knaur. Das kostenlose eBook enthält Leseproben zu: - Gabriella Engelmann, »Inselsehnsucht« - Thesche Wulff, »Schwestern wie Ebbe und Flut« - Anke Petersen, »Kinderlachen auf dem Dünenhof« - Jennifer Wiley, »Cliffworth Academy – Between Lies and Love« - Anna Husen, »Der Duft von Marzipan« - Mikki Brammer, »Dieses schöne Leben« - Di Morrissey, »In der Blüte des Sturms« - Lorenza Gentile, »Das Antiquariat an der Seine« - Stephanie Butland, »Hoffnung auf Papier« - Soraya Lane, »Die vermisste Tochter« - Andreas Dutter, »Zodiac Love: Infinity in Our Hearts« - Susanne Esser, »Fräulein Liebe und das Glück der Bücher«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 465

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gabriella Engelmann / Thesche Wulff / Mikki Brammer / Anke Petersen / Jennifer Wiley / Anna Husen / Lorenza Gentile / Di Morrissey / Soraya Lane / Andreas Dutter / Stephanie Butland / Susanne Esser

Träum dich weg

Sehnsucht bei Knaur

Ausgewählte Leseproben von Soraya Lane, Gabriella Engelmann, Andreas Dutter, Thesche Wulff u.v.m.

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Liebst du große Gefühle? Entspannst du gerne bei romantischen Geschichten mit Happy End? Faszinieren dich bewegende, dramatische Lebensgeschichten? Dann ist diese Leseproben-Sammlung genau das Richtige für dich! 

 

Träum dich weg mit Di Morrisseys neuem Australien-Roman In der Blüte des Sturms: Nachdem Ellie Conlan ihren Job in Melbourne verloren und mit Mitte dreißig keine Pläne für ihr Leben hat, zieht sie zu ihrem Großvater in die malerische Küstenstadt Storm Harbour. Was als Urlaub beginnt, wird zu einer Reise in ihre Vergangenheit. Denn ihrem Großvater gehört die Lokalzeitung, und Ellie findet Freude daran, als Journalistin zu arbeiten. Sie stößt auf einen mysteriösen Baudeal, der sowohl den großen Botanischen Garten als auch den Campingplatz und seine Bewohner bedroht. Ellie stürzt sich in die Recherche. Dabei kommt sie nicht nur hinterhältigen Machenschaften auf die Spur, sondern auch ihren eigenen Wünschen und der wahren Liebe. 

 

Mit Fräulein Liebe und das Glück der Bücher von Susanne Esser erwartet dich der Auftakt einer zauberhaften historischen Familiensaga: Im Frühjahr 1945 steht die achtzehnjährige Eva Liebe vor dem Nichts, im zerbombten Berlin hat sie alles verloren. Mit letzter Kraft schlägt sie sich nach Andernach am Rhein durch, wo ihr Onkel eine Buchhandlung betreibt. Dort empfängt man Eva zunächst mit Misstrauen – denn die Buchhandlung ist ein geheimer Treffpunkt für Nazi-kritische Intellektuelle. Erst als Eva ihr Händchen für Bücher beweist und zarte Bande zu dem kriegsversehrten Schreiner Georg knüpft, scheint so etwas wie neues Glück möglich. Doch dann wird die Buchhandlung mitten während einer Lesung von einer Bombe getroffen …

 

Begleite Mira, die im großen Debüt Schwestern wie Ebbe und Flut von Thesche Wulff nach langer Zeit auf ihre Herzensinsel Amrum zurückkehrt. Hier lebte ihr Patenonkel Ocko, mit dem sie früher stundenlang Treibholz gesammelt hat und der ihr tausend Geschichten dazu erzählte. Doch nun ist Ocko tot, und Miras Schwester drängt sie, sein altes Kapitänshaus abreißen zu lassen. Als ein Sturm Ockos Haus zerstört, fällt Mira ein ganz besonderes Stück Treibgut in die Hände, und sie erinnert sich an eine von Ockos Geschichten, in der sie selbst eine besondere Rolle spielte. Und plötzlich muss sich Mira fragen, ob diese Geschichte mehr war als nur Seemannsgarn. 

 

Diese und weitere gefühlvolle Geschichten von Autor*innen wie Gabriella Engelmann, Anke Petersen und Stephanie Butland findest du in den Vorab-Leseproben zu den Sehnsuchtstiteln von Droemer Knaur, die im Herbst und Winter 2023/2024 erscheinen.

 

 

Das kostenlose E-Book enthält Leseproben zu:

 

~ Gabriella Engelmann, »Inselsehnsucht«

~ Thesche Wulff, »Schwestern wie Ebbe und Flut«

~ Anke Petersen, »Kinderlachen auf dem Dünenhof«

~ Jennifer Wiley, »Cliffworth Academy – Between Lies and Love«

~ Anna Husen, »Der Duft von Marzipan«

~ Mikki Brammer, »Dieses schöne Leben«

~ Di Morrissey, »In der Blüte des Sturms«

~ Lorenza Gentile, »Das Antiquariat an der Seine«

~ Stephanie Butland, »Hoffnung auf Papier«

~ Soraya Lane, »Die vermisste Tochter«

~ Andreas Dutter, »Zodiac Love: Infinity in Our Hearts«

~ Susanne Esser, »Fräulein Liebe und das Glück der Bücher«

Inhaltsübersicht

Vorwort des Lektorats

Gabriella Engelmann | Inselsehnsucht

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Thesche Wulff | Schwestern wie Ebbe und Flut

Prolog

1. Kapitel

Anke Petersen | Kinderlachen auf dem Dünenhof

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Jennifer Wiley | Cliffworth Academy – Between Lies and Love

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Anna Husen | Der Duft von Marzipan

Kapitel 1

Kapitel 2

Mikki Brammer | Dieses schöne Leben

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Di Morrissey | In der Blüte des Sturms

Prolog

Kapitel 1

Lorenza Gentile | Das Antiquariat an der Seine

1. Kapitel

2. Kapitel

Stephanie Butland | Hoffnung auf Papier

Vorher

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Soraya Lane | Die vermisste Tochter

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Andreas Dutter | Zodiac Love: Infinity in Our Hearts

1. Kapitel

2. Kapitel

Susanne Esser | Fräulein Liebe und das Glück der Bücher

Prolog

Ende September 1944

Oktober 1944

November 1944

 

 

 

Liebe Leser*innen,

 

are you ready for take-off?

 

Auch in diesem Herbst führt euch unser Programm wieder an einige besondere Sehnsuchtsorte. Geschichten aus aller Welt warten in diesen Leseproben darauf, euch auf gefühlvolle Reisen mitzunehmen. 

 

Zunächst geht es auf die Inseln Sylt, Amrum und Rügen, wo ihr eine sehr unterschiedliche Gruppe von Freundinnen und zwei ganz besondere Schwestern kennenlernt. 

 

In Lübeck erwartet euch der Duft von Marzipan, bevor es weiter nach Berlin, Mailand, Paris und schließlich ins Vereinigte Königreich geht. Dort warten zwei Buchhandlungen und ein Antiquariat auf euch, in denen sich alles um das Glück des Lesens dreht.

 

Natürlich kommt auch die Liebe nicht zu kurz: Eine romantische Spurensuche führt euch nach New York, in Kuba werden die Familienbande auf die Probe gestellt, und auch alle Fans von Young Romance kommen auf dieser Reise voll auf ihre Kosten: In Wales und Irland begleiten euch die Sterne auf eurem Weg ins College und bieten zweite Chancen für die Liebe. 

 

Wir wünschen eine angenehme Lesereise mit Droemer Knaur.

 

Euer Droemer-Knaur-Team

 

PS: Wir sind gespannt auf eure Meinung. Besucht uns auf Instagram und erzählt uns, auf welchen Roman ihr euch am meisten freut: Auf @droemerknaur teilen wir alle Neuigkeiten rund um unsere Bücher mit unserer Community.

Gabriella Engelmann

Inselsehnsucht

Roman

Spätsommer auf Sylt – eine zauberhaft-magische Jahreszeit. Der Alltag der Freundinnen Bea, Lissy, Nele und Vero könnte sich entschleunigen, doch das Leben schreibt auch auf der Trauminsel seine eigenen Geschichten: Lissys Sohn braucht als Frühchen die volle Aufmerksamkeit der Mutter, Freundin Nele steht vor ungeahnten Hürden bei ihrer Hochzeitsplanung mit Sven, Buchhändlerin Bea plagt eine Schreibkrise, und Cafébesitzerin Vero hadert mit einer späten Midlife-Crisis. Als das Buchcafé »Büchernest« nach einem Umzug die Laufkundschaft fehlt, versucht Jungbuchhändlerin Rieke frischen Wind reinzubringen – der dickköpfigen Bea behagen die Veränderungen aber gar nicht. Als Vero und Nele sich auch noch heillos zerstreiten, wird die langjährige Freundschaft des Quartetts auf eine harte Probe gestellt …

 

Die Büchernest-Reihe umfasst folgende Romane:

Inselzauber

Inselsommer

Wintersonnenglanz

Strandkorbträume

Inselsommerstürme (Kurzroman)

Inselsehnsucht

 

 

 

 

Die Zeit Ende August gehörte von jeher zu den schönsten auf Sylt, denn diese Tage verströmten sanften Inselzauber und wärmten Haut, Seele und Herz. Die weißen und pinkfarbenen Heckenrosen standen noch in voller Blüte, und die ersten Hagebuttenfrüchte röteten sich prall in der Spätsommersonne, umrahmt von Blattwerk, grünen Kronen gleich. Alles schien träge zurückgenommen, ein wenig verlangsamt, bis Wind aufkam, und die Wattewolken so schnell über den Himmel trieb, als hätte er es ganz besonders eilig. An solchen Tagen nutzten die Kite-Surfer die stürmische Brandung für kühne Luftsprünge über der Nordsee, ihre bunten Segel tupften bunte Farbkleckse auf den hohen, weiten Himmel des Lister Königshafens und anderer Surf-Spots. Flauschige Hundeohren wippten fröhlich im Wind, feuchte Hundenasen bohrten sich in den Sand, um alles zu erschnüffeln, was es zu erschnüffeln gab. Und das war viel, denn jeder Sommer hatte seine eigene Geschichte – erst recht auf Sylt. Auf dem pudrig weißen Sand der Strände von der Südspitze Hörnums über das noble Kampen bis zum Sylter Ellenbogen hatten sich während der sonnigen Monate zahllose Dinge ereignet, auf welche diejenigen, die sie erlebt hatten, später mit Freude, Trauer oder Amüsiertheit zurückblickten. Dem einen war der saftige Matjes von einer hungrigen Möwe aus dem Fischbrötchen geklaut worden, der Nächste hatte den spektakulärsten Sonnenuntergang seines Lebens bestaunt und dabei das Salz auf der Haut und den Wind in den Haaren gespürt.

Herzen fanden sich, Herzen brachen, genau wie die Wellen an den Buhnen, die dem Küstenschutz dienten. Die Leuchtfeuer der Insel schickten ihre blinkenden Signale über das Wattenmeer, der Hörnumer Leuchtturm zwinkerte Föhr schelmisch zu, wo die Menschen am Deich von Utersum standen und sich fragten, ob das Eiland auf der rechten Seite ihres Blickfelds Amrum war, oder vielleicht doch eher Sylt.

Die Insel der Schönen und Reichen scherte sich nicht wirklich um diejenigen, die kamen, um die Uwe-Düne zu besteigen, die Tetrapoden Hörnums zu umrunden, Strandkorbpartys zu feiern, Austern in List zu verspeisen, oder Champagner im legendären Restaurant Sansibarzu schlürfen. Es war ihr egal, ob sich manche an Afrika erinnert fühlten, wenn sie entlang des Morsum-Kliffs spazieren gingen, köstlichen Ziegenkäse in Keitum kauften oder befanden, dass die im Wind stehenden Reisenden Riesen in Westerland nicht hübsch genug waren, um Touristen am Bahnhof gebührend in Empfang zu nehmen.

Die Insel war einfach da und wurde immer schlanker, oder auch kurzfristig üppiger, wenn Sand durch Rohre gepumpt und an die Strände gespült wurde, die in hundert Jahren vielleicht nur noch eine Erinnerung auf historischen Landkarten sein würden. Doch Sylt nahm dies alles gelassen, denn dieses Kleinod im Wattenmeer war ein kleiner Teil des großen Ganzen – und ein Ort, an dem Menschen wohnten, die liebten, lachten und lebten. So wie die vier Freundinnen Bea, Vero, Lissy und Nele vom Keitumer Buchcafé Büchernest …

1

Nele

Heute besuche ich Lissy und die beiden Kleinen! Kinderbuchillustratorin Nele verspürte nach einem kreativen Tag an der Staffelei große Sehnsucht nach ihrer besten Freundin und deren Kindern Liuna-Marie und Niels, dessen Patentante sie war. Seitdem sie wieder viel in ihrem Atelier in List arbeitete, das sie von ihrem guten Freund Ole gemietet hatte, sah sie die drei viel seltener als üblich. Das war schade, denn sie liebte es, die Fortschritte der Kleinen mitzuerleben, zu bestaunen und zu dokumentieren. Mittlerweile hätte sie eine Buchreihe mit all den Skizzen, Fotos und Acrylbildern gestalten können, die sie im Laufe der Zeit gemacht hatte: Liuna-Maries erster Tag am Meer, der Moment, an dem sie von Neles Zitroneneis genascht und sich genüsslich den süßen Mund geleckt hatte. Liu im Tiefschlaf, die Wangen gerötet, Liu bei ihr im Atelier, wo sie den Fußboden mit Wachsmalkreide bemalt hatte. Von Niels gab es noch nicht so viele Motive, denn er war gerade erst als spätes Frühchen geboren worden.

Nele streckte sich ausgiebig, um den steif gewordenen Rücken zu entspannen, und betrachtete zufrieden die Komposition der Bilderwelt auf der Leinwand, in der zarte Feen und Elfen emsig umherschwirrten. Sie hoffte, dass diese Fabelwesen die Herzen der Kinder erfreuen würden, wenn sie sich das Bilderbuch anschauten, und wünschte nicht zum ersten Mal, sie könnte in solchen Momenten dabei sein. Ich schenke der kleinen Liu eines der Originale für das Kinderzimmer, sobald das Buch in den Druck gegangen ist, beschloss Nele, während sie sorgsam die Pinsel säuberte, anschließend das Malwasser in den Abfluss des Waschbeckens goss und fasziniert dabei zusah, wie sich das pastellfarbene Rinnsal einen Weg ins Innere des Beckens bahnte. Dann vernahm sie ein forderndes Maunzen und bückte sich, um Kater Campino zu kraulen, der gerade ins Atelier getapst war und sie mit seinen grün schimmernden Augen ansah. »Na mein Schöner«, flüsterte sie. »Du hast bestimmt Hunger.« Die Antwort des Maine-Coone war ein müdes Gähnen, er blinzelte mehrmals und folgte Nele auf Samtpfoten in die Küche. Wie fast alle Katzen war auch Campino sehr verwöhnt, und man wusste nie, ob er das Abendessen innerhalb kürzester Zeit verputzen oder der Futterschale nach dem ersten Happs beleidigt den Rücken zukehren würde. Doch diesmal schien es zu passen, denn Campino schmauste vergnügt, während Nele sein Katzen-WC säuberte, eine weitere Schüssel mit frischem Trinkwasser und eine dritte mit Trockenfutter füllte. »Tut mir leid, ich kann dir nicht länger Gesellschaft leisten, denn ich muss gleich nach Keitum und daheim nach dem Rechten schauen. Ich hoffe, du vermisst Ole und Sophie nicht allzu sehr, denn es dauert noch ein Weilchen, bis die beiden von ihrer Reise zurück sind«, murmelte Nele und streichelte Campino wieder über das seidige Fell. »Also, mach’s gut, bis morgen.«

Bevor sie ging, vergewisserte sie sich, dass die Katzenklappe funktionierte, denn der Kater stromerte nachts am Rande des Ortes List umher, wo es neben Mäusen und Vögeln noch viel mehr zu entdecken und jagen gab. Abschließend warf sie einen letzten Blick auf das Haus und stieg in ihr Auto.

Eine knappe halbe Stunde Fahrt später erreichte Nele das puppenstubenartige Dorf Keitum im Osten Sylts, in dem sie lebte, seit sie einst als junge, ungestüme Malerin aus Bremen hierhergekommen war, sich in die Insel und das dortige Leben verliebt hatte. In einem wunderschönen Kapitänshaus im Herzen des Dorfes, in dessen erster Etage sie zurzeit wohnte, befand sich das Buchcafé Büchernest. Nele war froh, dass zum Haus von Buchhändlerin Bea zwei Parkplätze gehörten, absolute Mangelware in Keitum. Es gab nämlich kaum etwas Nervigeres als Parkplatzsuche, außer natürlich Stechmücken, unhöfliche Menschen und diejenigen, die Strafzettel verteilten.

»Moin Nele, besuchst du Lissy heute noch?«, fragte Beas Freundin Vero, die soeben aus dem Café kam, das im Pavillon des großen Gartens untergebracht war, als Nele parkte und die Fensterscheibe herunterkurbelte. »Wenn ja, könntest du ihr das bitte mitbringen?« Die rundliche, rotwangige Vero war bepackt mit einem Korb voller Köstlichkeiten, die sie am Ende des Tages großzügig an diejenigen verschenkte, die Appetit auf Milchreis mit roter Grütze, Sylter Sommersalat mit Ziegenkäse, eine kräftige Kartoffelsuppe mit Krabben oder sahnige Friesentorte mit Pflaumenmus hatten. All dies waren Spezialitäten aus ihrem Café und für gewöhnlich bis auf den letzten Krümel von den Gästen vertilgt, doch in den vergangenen Wochen hatte sich das deutlich geändert.

Nele stieg aus dem klapprigen Auto, das beinahe mehr Zeit in der Werkstatt verbrachte als auf den Straßen der Insel. »Na klar, das mache ich sehr gern. Aber erzähl mal: Wie war dein heutiger Tag? Genauso wenig los wie in den vergangenen?«

Vero seufzte tief und wirkte, als bräuchte sie Trost und Zuspruch. Nach außen hin war die Mitte siebzigjährige Dame scheinbar durch nichts zu erschüttern und Ruhe und Optimismus in Person. Doch wenn ihre Nasenflügel bebten und der linke Mundwinkel zuckte, wussten diejenigen, die sie liebten: Es ist an der Zeit, Vero zuzuhören und nicht nur die eigenen Sorgen bei ihr abzuladen. »Okay, Botschaft verstanden. Magst du einen Eistee, und wir setzen uns damit einen Moment auf die Bank, bevor ich zu Lissy gehe«, schlug Nele vor, und Vero nickte dankbar. »Fein, dann bereite ich uns eine Kanne zu, und du machst es dir inzwischen im Garten gemütlich.«

Im ersten Stock des Kapitänshauses angekommen, streifte Nele die bequeme Jeanslatzhose ab, in der sie am liebsten malte, und tauschte sie gegen ein luftiges Sommerkleid, gebatikt in den Farben Hellbeige, Türkis und Gelb, die sie an Strand, Meer und Sonne erinnerten und ihre grünen Augen zum Leuchten brachten. Zudem harmonierten die Töne hervorragend mit ihren kupferfarbenen Locken, die sie meist zu einem lässigen Knoten schlang.

»Ich danke dir«, sagte Vero, als Nele wenig später das Tablett mit dem Erfrischungsgetränk, zwei Gläsern mit Zitronenzesten, Minze sowie einem Schälchen Pistazien auf den hellblau gestrichenen Tisch vor der Bank stellte. Für Ende August war es immer noch ungewöhnlich warm auf Sylt, selbst an den Abenden konnte man es gut ohne Pullover aushalten, sogar am Strand, wo für gewöhnlich eine leichte Brise wehte.

Vero trank das erste Glas in einem Zug aus, dabei konnte Nele, als sie sich neben die Freundin setzte, den zarten Flaum sehen, der sich im Laufe der Jahre an Veros Kehlkopf gebildet hatte. Würde ihr das auch passieren, wenn sie älter wurde?

»Also, was ist los?«, fragte Nele und wackelte mit den Zehen, während sie die nackten Beine so weit in die Luft reckte, wie es ihre wenig trainierte Bauchmuskulatur zuließ.

Vero kommentierte die kleine Gymnastikübung nicht weiter, sondern starrte auf den hübschen Pavillon, in dem seit gut einem halben Jahr ihr Café logierte, das früher direkt in der Buchhandlung untergebracht gewesen war und zu dieser Zeit sehr viele Gäste angelockt hatte.

»Nichts ist los, und genau das ist das Problem.« Vero legte so viel tragisches Pathos in diese wenigen Worte, dass sie damit sogar Nele ausstach, die den Beinamen Dramaqueen trug. »Es ist ohnehin schon schwierig, die Gäste in dieses abgelegene Café zu lotsen, doch seit der Foodtruck von Starkoch Holger Hartwig an der Kreuzung schräg gegenüber parkt, ist hier mehr als tote Hose. Wenn das so weitergeht, muss ich wohl oder übel die Segel streichen.«

Nele blinzelte gegen die schräg stehende Sonne, die bald hinter dem Friesenwall mit den Sylter Heckenrosen, der das Grundstück von Buchhändlerin Bea umsäumte, untergehen würde. Das fröhliche Zwitschern der Vögel in den Laubbäumen und das emsige Summen der Bienen bildeten einen harten Kontrast zu Veros Stimmung, es tat Nele in der Seele weh, dass ihre liebe Freundin zurzeit von großen Sorgen geplagt wurde. »Hey, wo bleibt dein berühmter Optimismus?«, fragte sie, um Vero aufzumuntern. »Meinst du nicht, dass sich das alles wieder einrenkt, sobald das Wetter schlechter wird und der Herbst kommt? Viele Urlauber lieben die stürmische Nebensaison und reisen ganz bewusst erst nach Sylt, wenn hier nicht mehr so viel los ist. Da trinken sie dann literweise Tee mit Kluntjes, essen Waffeln und Friesentorte, und die Kasse klingelt wieder Sturm.«

»Unser neuer Standort ist aber nicht so zentral gelegen, wie der alte am Keitumer Watt, wo man unweigerlich vorbeikommt, wenn man spazieren geht«, hielt Vero seufzend dagegen. »Außerdem ist unsere Terrasse viel zu klein. Deshalb gehen alle lieber zur Kleinen Teestube oder zu Nielsens Kaffeegarten mit dem traumhaften Blick aufs Wattenmeer.« Vero zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, und Nele konnte es ihr leider auch nicht verdenken. Es war wirklich furchtbar, dass das frühere Büchernest zuerst einem Wasserschaden zum Opfer gefallen war und die Immobilie im Anschluss der Teilsanierung so umgebaut wurde, dass vier kleine Ferienwohnungen darin Platz fanden, deren Vermietung deutlich mehr einbrachte als die bisherige Pacht. Tourismus war nun mal die wichtigste Einnahmequelle auf Sylt.

»Wie lange lässt denn Hartwig seinen Wagen dort stehen?«, fragte Nele, die fieberhaft überlegte, was man gegen die trübe Stimmung Veros, die sinkenden Gästezahlen im Café, aber auch in der Buchhandlung tun konnte – ein leidiges Problem, das die vier Freundinnen seit Jahren beschäftigte und sich offenbar nicht dauerhaft lösen ließ.

»Angeblich bis zur Winterpause im Februar«, knurrte Vero.

Wie auf Kommando ertönte das scheinbar höhnische Gelächter einer Lachmöwe, die in Richtung Meer flog. »Wenn es kalt wird, serviert er Glühwein, Pharisäer, Bratwürstchen und Kartoffelpuffer mit Lachs. Das lieben alle, nicht nur die Urlauber.«

Bei der Erwähnung von gegrillten Würstchen knurrte Neles Magen, sie war den ganzen Tag über so versunken in ihre Malerei gewesen, dass sie, bis auf einen Apfel, völlig vergessen hatte, zu essen. »Verstehe«, murmelte sie bedrückt, denn es tat weh, Vero so geknickt zu sehen. Zudem fiel ihr dummerweise keine Lösung ein, denn der Starkoch aus Hamburg bot dem anspruchsvollen Sylt-Publikum genau das, was es wollte, obwohl Nele fand, dass Vero um Längen besser kochte. Doch das Café lag wirklich zu versteckt, und Vero war es nicht gewohnt, ihre Künste anzupreisen und sich selbst so in Szene zu setzen, dass die Kunden scharenweise zu ihr strömten. »Ich rede mit Lissy, vielleicht hat sie ja eine Idee«, schlug sie nach einer Weile betretenen Schweigens vor. »Oder wir berufen den Familienrat ein, ist ohnehin schon viel zu lange her, seit wir uns zuletzt gemeinsam getroffen haben. Mach dir jetzt bitte keine allzu großen Sorgen, wir finden gemeinsam eine Lösung. Das haben wir doch bislang immer.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, murmelte Vero und schaute auf ihre Armbanduhr. »Danke für den Eistee und deinen Zuspruch, das hat gutgetan. Leider muss ich jetzt dringend nach Morsum, das Abendessen für Hinrich zubereiten, du weißt doch, wie viel Wert er auf pünktliche Mahlzeiten legt. Grüß Lissy und gib den beiden Mäusen einen Kuss von mir. Wir sehen uns dann morgen, ja?«

Wenige Minuten Fußweg später stand Nele, bepackt mit Veros Korb, an der Eingangspforte des Vorgartens vor dem weiß getünchten Friesenhaus mit dem Maueranker, in dem ihre beste Freundin Larissa, deren Mann Leon, die kleine Liuna-Marie und seit Kurzem auch Niels wohnten. Das reetgedeckte Haus mit der inseltypischen zweigeteilten Klönschnacktür wirkte ebenso malerisch wie der Vorgarten, in dem Rosen, Dahlien und Astern ein wahres Farbfeuerwerk zündeten und damit die Blicke aller Touristen auf sich zogen, die staunend stehen blieben und zahllose Fotos schossen, um sie später auf Instagram zu posten. Auch jetzt posierte ein junges Pärchen vor dem weiß lackierten Zaun für ein Selfie.

»Soll ich ein Foto von euch machen?«, bot Nele an, doch das Paar schüttelte den Kopf, und zog ohne ein weiteres Wort von dannen. Nele öffnete die Klinke der Pforte zu Lissys Garten, einer Oase voller Wildblumen, zwischen denen auch hübsche Gräser hervorlugten. Lissy rückte dem Unkraut, das in ihren Augen gar keines war, genauso wenig zu Leibe wie den rosafarbenen Anemonen, die sich ebenso schnell verbreiteten wie Klatsch und Tratsch auf der Insel, denn sie wollte, dass Insekten und Schmetterlinge sich hier willkommen und heimisch fühlten. Nele hielt einen Moment inne, ließ den Blick über die Blütenpracht schweifen, und ihr kam plötzlich eine Frage in den Sinn, über die nachzudenken sie mit Kribbeln im Bauch und tiefem Glück erfüllte: Welche Blumen wähle ich für meinen Brautstrauß?

2

Lissy

Das ist ja eine schöne Überraschung«, rief Lissy, die gemeinsam mit ihren beiden Kindern im Gras auf einer Decke unter dem Magnolienbaum saß und den Besuch als Erste entdeckte.

Die fast zweijährige Liu klatschte begeistert in die Händchen, als sie Nele erspähte, und wackelte ihr fröhlich entgegen. Sie liebt Nele über alles, dachte Lissy gerührt und stand ebenfalls auf, um ihre Freundin zu begrüßen.

»Oder waren wir verabredet, und ich habe es, wie so vieles zurzeit, vergessen? Ich fürchte, ich leide an Still-Demenz. Aber schön, dass du da bist.«

»Keine Sorge, dein Gedächtnis funktioniert wunderbar. Ich dachte, ich schaue einfach mal spontan vorbei und bringe euren Tagesablauf durcheinander«, erwiderte Nele augenzwinkernd und schwenkte demonstrativ den geflochtenen Weidenkorb. »Vero hat etwas für euch zum Essen eingepackt, und ich habe Sehnsucht nach den beiden Süßen. Darf ich den Kleinen mal aus der Wanne herausnehmen?«, fragte Nele, und Lissy nickte. Niels war erst seit wenigen Tagen aus der Klinik entlassen worden, wo man ihn aufgepäppelt und immer wieder gründlich untersucht hatte. Noch ehe Nele ihre Hand unter das Köpfchen von Niels schieben konnte, trat Liu gegen das obere Teil des Kinderwagens, und das Baby begann prompt zu weinen.

Nicht schon wieder, dachte Lissy mit einer Mischung aus Bestürzung und Ärger. War das nur ein dummer Zufall gewesen, oder Absicht?

»Bist du bitte ein bisschen vorsichtig mit deinem Brüderchen«, bat Nele und schaute Liu tief in die Augen. »Er ist noch klein und erschreckt sich leicht.«

Sobald Niels in Neles Arm lag, hörte er auf zu weinen und ließ lediglich ein zufrieden klingendes Schmatzen ertönen. Liuna-Marie stand mit leicht zusammengekniffenen Augen da und starrte ihren Bruder an.

»Tja, das war’s dann wohl mit unserem netten Abend«, sagte Lissy schmunzelnd und versuchte den Gedanken daran, dass Liu aus Eifersucht gegen die Wanne getreten hatte, beiseitezuschieben. »Jetzt musst du Niels die ganze Zeit im Garten herumtragen, während Liu und ich uns über die Köstlichkeiten von Vero hermachen.«

Doch Liuna-Marie dachte gar nicht ans Abendessen, sondern stand weiterhin auf ihren kurzen Beinchen in gebührendem Abstand zu Nele und Niels, stemmte die Hände in ihre Hüften und zog einen Flunsch. »Liu, kommst du? Wir packen in der Küche den Korb aus und holen für uns alle etwas zu trinken, ja?«, versuchte Lissy, ihr Töchterchen zu locken.

Doch die energische Antwort der Kleinen lautete »Auf gar keinen Fall!« Lissy fiel beinahe die Kinnlade herunter.

Wo hatte ihre Tochter denn den Ausdruck her? Liu war alles andere als eine Quasselstrippe und wählte die wenigen Worte, die sie bislang kannte, mit dem für die Nordfriesen typischen Bedacht.

»Hui, das klingt ja ganz wie Tante Bea, die weiß ja auch immer sehr genau, was sie will, und vor allem, was sie NICHT will«, sagte Nele lachend. »Hast du denn gar keinen Hunger, Liu-Maus? Also, ich schon. Ich könnte glatt drei Maiskolben, ein halbes Hähnchen, zwei Fischbrötchen und einen ganzen Apfelkuchen verdrücken, so doll leer ist mein Magen.«

Das Mädchen rührte sich nicht vom Fleck und beäugte Nele und Niels weiterhin argwöhnisch. Dabei legte sie den Kopf schräg, sodass ihr einige blonde Locken ins Gesicht fielen.

In diesem Moment wurde Lissy klar, dass sie dringend mit ihrer Tochter zum Friseur musste. Allerdings machte Liu jedes Mal ein riesiges Theater, wenn ihre Haare gewaschen werden mussten. Und wenn dann noch eine große Friseurschere vor ihrem Gesicht auftauchte, stimmte sie ein derart lautes Gebrüll an, dass man es von Keitum bis nach Hörnum hörte. Es gab Tage, da lagen Lissys Nerven derart blank, dass sie einfach aufgab. »Ich mache uns jetzt ein Picknick zurecht«, sagte sie schließlich, weil sie hungrig war und tagsüber lediglich den Rest von Lius Pfannkuchensuppe gegessen hatte. »Und ihr drei amüsiert euch einfach solange hier draußen.«

In der gemütlichen Wohnküche mit hellen Möbeln im Shabby-Style packte Lissy die Mitbringsel aus Veros Café aus, dankbar, heute Abend nicht kochen zu müssen. Sie war immer noch erschöpft von der Geburt und von der Anstrengung, zwei Kinder zu haben, von denen eines noch so winzig klein und zart war, dass sie zuweilen befürchtete, Niels beim Wickeln oder Stillen zu zerbrechen. Doch das war bei Weitem nicht die einzige Sorge, die sie seit der Geburt umtrieb: Sie befürchtete, dass Niels nicht ausreichend zunahm, dass er krank werden könnte oder trotz ihrer überbordenden Liebe und Fürsorge nicht genug Nähe verspürte. Geborgenheit und wohlige Nestwärme waren für Frühchen beinahe noch wichtiger als ohnehin für Babys. Zudem verglich sie seine Entwicklung stets mit der ihrer Tochter, obwohl sie wusste, dass das der falsche Maßstab war. Wie gut, dass Vero so häufig abends zu ihr kam, um sie zu unterstützen und ihr die Unsicherheit zu nehmen. Und natürlich stand ihr auch Leon liebevoll zur Seite, wenn sie nicht mehr weiterwusste oder das Gefühl hatte, alles falsch zu machen.

»Na, hast du nicht doch ein bisschen Hunger?«, fragte Lissy ihre Tochter wenige Minuten später, als sie den Salat, Quiche, Milchreis und Getränke auf den Teakholztisch unter dem Apfelbaum stellte und für alle deckte.

Doch Liu schüttelte trotzig den Kopf und trollte sich zurück auf die Decke, wo ihr Spielzeug lag, und rote Sommeräpfel, die vom Baum gefallen waren. Lissy wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihre Tochter zu drängen, sie würde sich schon melden, wenn sie Hunger hatte. Nele wiegte immer noch den schlafenden Niels in ihren Armen und gab dabei ein bezauberndes Bild ab, das Lissys Herz zum Schmelzen brachte.

»Setz dich ruhig an den Tisch, ich lege Niels in sein Bettchen«, sagte sie und nahm ihrer Freundin das schlafende Baby ab, das weiterschlummerte, und stellte die Wanne neben sich auf die Bank.

Nele machte sich mit großem Appetit über die Quiche mit Gorgonzola, grünem Spargel und Brokkoli her, Lissy selbst entschied sich für die Version mit Roter Bete und Keitumer Ziegenkäse.

»Mhm, das ist genau das Richtige«, schwärmte sie, während sie dem Aroma der erdigen Bete mit der Zunge nachspürte. »Wenn ich Vero nicht hätte, würden wir wohl alle verhungern oder jeden zweiten Tag Pizza essen. Leon kommt ja häufig in den Genuss von Geschäftsessen, aber ich …«

»Hast du mal darüber nachgedacht, dir zusätzlich Hilfe zu holen?«, fragte Nele, die sich ein Glas Rosé einschenkte. Lissy trank selbst gemachte Johannisbeerschorle. »Immerhin bist du den ganzen Tag allein mit den beiden Kleinen, hast den Haushalt, machst die Buchhaltung fürs Büchernest und hörst dir geduldig alle paar Tage Beas neue Buchideen an.«

»Ach was, ganz so schlimm ist es nicht«, versuchte Lissy die Bedenken ihrer Freundin vom Tisch zu wischen, obwohl ihr in diesem Moment beinahe die Augen vor Müdigkeit zufielen. »Dreimal die Woche ist Liu bei ihrer Tagesmutter Anke, Leon kümmert sich meist abends um sie, oder wenn er im Homeoffice ist, und auch Bea fällt ab und zu ein, dass es ganz schön ist, sich mit den Kids zu beschäftigen, anstatt ständig Buchexposés zu verfassen. Mir bereitet eher die Situation im Büchernest Kopfzerbrechen, auch wenn Bea seit der Geburt von Niels wieder jeden Vormittag im Laden ist und Rieke jetzt Vollzeit bei uns ist.«

Nele wiegte den Kopf hin und her und wirkte nicht recht überzeugt. »Ich habe es dir schon vor Wochen gesagt, und ich sage es dir heute noch mal: Ich arbeite gern wieder mehr im Laden und lehne lieber Aufträge für Kinderbuchillustrationen ab, als dass ich tatenlos dabei zusehe, wie das Büchernest unter Personalmangel leidet. So schön es für Sophie auch ist, dass sie mit Ole nach Herzenslust mit dem Van in der Weltgeschichte umherreisen kann, aber sie fehlt uns im Team.«

»Wir versuchen es einfach weiter und wiederholen noch mal die Anzeige in den Branchenblättern und den Jobportalen, auch wenn es schwer ist, Personal und eine passende Unterkunft zu finden«, murmelte Lissy. »Ich möchte nicht, dass du die tollen Aufträge ablehnst, auf die du so lange hingearbeitet hast. Du bist, trotz deiner Liebe zu Büchern, keine Buchhändlerin, sondern Künstlerin. Außerdem hast du vor Kurzem einen Heiratsantrag bekommen und wirst bald alle Hände voll damit zu tun haben, euren großen Tag vorzubereiten. Und wer weiß, was dann noch so alles auf dich wartet.« Lissys Blick blieb erst an Niels hängen und richtete sich schließlich auf Liu, die völlig versunken mit einem Schaufelbagger spielte, der Sand aus der Sandkiste, garniert mit Sylter Muscheln, geladen hatte.

»Du meinst, eine große Kinderschar?« Nele schüttelte energisch den Kopf, die Abendsonne ließ die Sommersprossen auf ihrer Nase und dem Dekolleté tanzen. »Ich gehe auch allmählich auf die vierzig zu. Und bei dem Pensum, das Sven mit dem neuen Hotel zu bewältigen hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass er scharf auf Kinder ist.«

»Habt ihr etwa die Kinderfrage noch nicht besprochen?« Lissy war ehrlich verdutzt. Sie selbst hatte schon bald nach dem Antrag von Leon geklärt, wie er zum Thema Familie stand und was er sich für die gemeinsame Zukunft mit ihr erträumte. Zum Glück verspürten beide gleichermaßen den Wunsch, ihre Liebe mit Kindern zu krönen, umso härter war der Weg gewesen, der daraufhin gefolgt war: zwei Fehlgeburten und dann die komplizierte Schwangerschaft mit Niels, die sie größtenteils liegend verbracht hatte, um das Wohl des Babys in ihrem Bauch nicht zu gefährden.

»Nein«, erwiderte Nele und zog die Nase kraus. »Sollten wir das? Ich dachte immer, so etwas ergibt sich ganz automatisch. Man sieht gemeinsam ein süßes Baby, wie diesen kleinen Mann hier, ich sage irgendwann, dass ich das ewige Verhütungsthema leid bin, oder … hm. Jetzt wo, ich laut ausspreche, was ich in den vergangenen Wochen immer mal angedacht habe, klingt es auf einmal komisch in meinen Ohren. So … unkonkret.«

»Wünschst du dir denn ein Kind?«

»Ich … äh …« Nele löste den Haarknoten, und schon flossen rötliche Locken in Kaskaden über ihre Schultern.

Wie schön sie ist, dachte Lissy. Und wie verliebt. Sie hat sich sehr verändert, seit Sven in ihr Leben getreten ist. Diese Veränderung macht sie stark und verletzlich zugleich.

Hoffentlich kommt sie auf Dauer damit zurecht.

»Ich hoffe, meine Geschichte macht dir keine Angst. Nicht jede Schwangerschaft ist so kompliziert, und nicht jede Geburt so dramatisch. Geh einfach davon aus, dass bei dir alles glattläuft.« Während sie dies sagte, wurde sie von vielen Erinnerungen an das Wochenende überflutet, das ganz anders geendet hatte als geplant, und begann innerlich zu zittern: Die kurze Zugfahrt der vier Freundinnen, die in Westerland begonnen hatte und schon in Morsum endete. Beas Lachen, als sie die erstaunten Gesichter ihrer Gäste sah, die nichts davon ahnten, dass sie die angekündigte Auszeit auf Sylt verbringen würden. Das wunderschöne Hotel am Morsum-Kliff. Die Hitze … und dann die Übelkeit und das schmerzhafte Ziehen im Unterbauch. Der aufziehende Sturm, das schwere Gewitter, die Meldung, der Hindenburgdamm sei gesperrt. Die Tatsache, dass auch keine Helikopter flogen.

»Hey, alles okay mit dir?« Neles Frage riss Lissy aus der Erinnerung an die Geburt von Niels, die letzten Endes glimpflich abgelaufen war, weil sie einen Schutzengel in Gestalt eines Arztes und ihrer Freundinnen gehabt hatte.

»Na klar«, erwiderte Lissy, der Tränen über die Wangen kullerten und der leicht schwindelig war. Sie streichelte sanft das zarte Gesichtchen des schlafenden Babys und blickte zugleich auf ihre Tochter, die mittlerweile in einem der viel geliebten Kinderbücher blätterte, die Bea ihr regelmäßig schenkte. »Kinder sind einfach das größte Geschenk, dass das Leben uns machen kann. Ich bin unendlich dankbar und glücklich und hoffe, dass Sven und du euren eigenen Weg findet.«

Dass der Cocktail aus Hormonen und dem Trauma der dramatischen Geburt nicht ohne war, verschwieg Lissy. Sie kämpfte tapfer und nach Kräften gegen ihre Schlappheit und zuweilen düsteren Gedanken an, sehnte sich jedoch schmerzlich nach ihrem alten Ich, nach Unbeschwertheit, nach Ruhe und Frieden. Nach einer Zeit, in der sie sich keine Sorgen machen musste.

3

Rieke

Als der Wecker klingelte, fiel es Rieke Ingwersen schwer, die Augen zu öffnen und aus ihrem Traum in die Realität zurückzufinden. Die Zwanzigjährige hatte beim Lesen wieder die Nacht zum Tag gemacht, denn sie hatte sich nicht von ihrem Roman trennen können, den sie sich vor zwei Wochen für die Zugfahrt mit nach Paris gekauft hatte.

Ihre beste Freundin Emma und sie waren zum ersten Mal dort gewesen und von der ersten Sekunde an schockverliebt. Emma in die tollen Secondhandshops, Schmuckläden und Flohmärkte. Rieke in die Bouquinisten am Ufer der Seine, die zahllosen Buchhandlungen, die auch bis spätabends geöffnet hatten und deren Auslagen zum Stöbern verführten, egal, ob die Sonne schien oder das Trottoir vom Regen glänzte. Und natürlich in Shakespeare and Company. Sie las gerade mit Begeisterung die Romanbiografie über die kämpferische Buchhändlerin Sylvia Beach, die gegen alle Widerstände Ulysses von James Joyce verlegt und damit großen Mut bewiesen hatte. Doch genau das war die Aufgabe der Menschen, die mit Büchern zu tun hatten, egal, ob sie sie verkauften, verlegten, lektorierten oder Werbekampagnen kreierten. Sie mussten kühne Gedanken, Zukunftsvisionen, Gesellschaftskritik und Fantasien in die Welt tragen. Denn die Macht von Büchern war ungebrochen und würde es immer bleiben, davon war Rieke zutiefst überzeugt.

»Guten Morgen, Schatz, magst du heute lieber Tee oder Kaffee?« Riekes Mutter Ina steckte, wie jeden Morgen, den Kopf durch den Türspalt und begrüßte ihre Tochter mit einem fröhlichen Lächeln.

»Ich glaube, du vergisst manchmal, dass ich nicht mehr zur Schule muss, sondern einen Job im Büchernest habe«, erwiderte Rieke schmunzelnd und schlug die blau-weiß gemusterte Bettdecke beiseite. Dann zog sie den flauschigen Bademantel an, gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und sagte: »Heute ausnahmsweise mal Tee. Aber den mache ich mir selbst.«

Ina wuschelte ihr beim Vorbeigehen durch die Haare und begleitete ihre Tochter nach unten in die urige Friesenküche mit der niedrigen Decke, die mit Holzbalken durchzogen war, und Fensterscheiben, die aussahen, wie eine halbe Zitrone.

»Wahrscheinlich möchte ich einfach nicht wahrhaben, dass du bald zwanzig wirst und ausziehst, sobald Emma und du eine passende Wohnung für eure Mädels-WG gefunden habt«, erwiderte Ina seufzend und füllte den Kocher mit Wasser. »Also tu mir bitte den Gefallen und lass dich weiterhin ein bisschen von mir verwöhnen, solange du noch hier bist.«

Rieke lächelte und nahm einen Löffel Früchtetee aus der silbernen Dose, die auf dem Hängeregal über dem Herd stand. Die Mischung duftete herrlich frisch, außerdem liebte sie die Farbe Rot und besaß deshalb mehrere Kleider, eine Hose, zwei Hüte und ein paar lange Handschuhe aus rotem Satin und zog damit immer wieder die Blicke auf sich. Auf Sylt trug man für gewöhnlich eher Blau und Weiß, auch Grau war eine beliebte Farbe, insbesondere für Sweatshirts und Hoodies, deshalb mochte Rieke den Kontrast zum maritimen Einheitslook.

»Übrigens gehen Emma und ich heute auf eine Strandparty an der Himmelsleiter«, sagte sie. »Ich bin also nicht beim Abendessen dabei. Und was hast du vor?«

Riekes Mutter arbeitete stundenweise bei Stil und Blüte, dem schönen Blumenladen im Herzen Keitums, der zudem auch Dekoartikel und anderen Schnickschnack führte, den Urlauberinnen so liebten. »Heute machen wir Gestecke für eine Feier in Morsum, ich muss also gleich los. Kannst du mir bitte etwas zum Lesen aus dem Büchernest mitbringen?«

Rieke nickte und steckte zwei Scheiben Sylter Weißbrot in den Toaster. Als das Brot fertig geröstet war, setzte sie sich auf die weiß lasierte Holzbank mit den bunten Kissen, die Ina größtenteils selbst genäht hatte. Dieser Raum war das Herzstück des Häuschens, hier verbrachte Rieke weit mehr Zeit als im eigenen Zimmer unter dem Reetdach.

»Ist dir eher nach Spannung, Romantik oder einem historischen Stoff?«, fragte sie und bestrich den Toast mit goldgelber Butter, welche die Ingwersens im Hofladen eines befreundeten Landwirts kauften.

»Da wir noch Sommer haben, eher nach Romantik. Die psychologischen Krimis und historischen Wälzer müssen warten, bis es draußen kühler wird und die Tage kürzer. Ich lasse mich einfach überraschen, bis jetzt hast du meinen Geschmack ja immer getroffen.«

Nachdem beide gemeinsam gefrühstückt hatten, ging Rieke wieder nach oben, duschte und zog sich danach die legere Kleidung an, die sie stets trug, wenn sie auf die Koppel zu ihrer Stute Merret ging, die sie auf dem Reiterhof ein paar Querstraßen entfernt am Rande Keitums untergestellt hatte. Merret war nicht mehr die Jüngste, und Rieke hing an ihr, seit ihre Eltern ihr das Pferd zum vierzehnten Geburtstag geschenkt hatten. Rieke genoss die Sonnenstrahlen, die ihr Gesicht streichelten, genau wie die Keitumer Luft, einer Duftmischung aus Heu, Meersalz, Landleben, Sylter Heckenrosen und Wattenmeer. Ein Schwarm Seeschwalben zwitscherte so laut, dass Rieke sich fragte, ob die Vögel gerade eine Art Konferenz am Himmel abhielten und sich über ein besonderes Thema echauffierten. Vielleicht besprachen sie aber auch gerade die Flugroute, denn die Zugvögel würden Sylt irgendwann wieder verlassen, um in wärmere Winterquartiere zu fliegen.

Sobald die Stute versorgt war und Rieke ausgiebig mit ihr geschmust hatte, war es an der Zeit, sich umzuziehen, ins Büchernest zu gehen und das zu tun, was sie neben Reiten, Fotografieren und Lesen am liebsten tat: Lesehungriger Kundschaft das passende Buch zu empfehlen und sie damit glücklich zu machen. Denn Bücher waren, je nach Situation, Traumerfüller, Ratgeber, Trostpflaster, Medizin und einfach wunderbar.

 

Hat dir diese Leseprobe gefallen?

Inselsehnsucht erscheint am 01.08.2023.

Thesche Wulff

Schwestern wie Ebbe und Flut

Roman

Mira kehrt nach langer Zeit auf ihre Herzensinsel Amrum zurück. Hier lebte ihr Patenonkel Ocko, mit dem sie früher stundenlang Treibholz gesammelt hat und der ihr tausend Geschichten dazu erzählte. Doch nun ist Ocko tot, und Miras Schwester drängt sie, sein altes Kapitänshaus abreißen zu lassen. Als ein Sturm die Insel heimsucht und auch Ockos Haus zerstört, fällt Mira ein ganz besonderes Stück Treibgut in die Hände, und sie erinnert sich an eine von Ockos Geschichten, in der sie selbst eine besondere Rolle spielte.

Und plötzlich muss sich Mira fragen, ob diese Geschichte mehr war als nur Seemannsgarn. Hatte sie nicht vielmehr mit ihrem eigenen Leben zu tun?

Prolog

Vor den Fenstern stöhnte der Ostwind. Lud all den Kummer ab, den er vom Festland mitbrachte und nicht verloren hatte über dem Meer. Sie hörte es. Mit jeder Böe deutlicher. Und sie verstand. Er rief sie hinaus. Er würde nicht weichen, bevor sie mit ihm ging. Sie stand auf. Traf Vorkehrungen. Lauschte. Schon wurde er ungeduldig. Rüttelte am Fenster. Und sie nahm, was sie mitnehmen musste. Mit hinaus über die Schwelle. Ihre Füße fanden den Weg von allein in die mondlose Nacht. Doch er blies ihr seinen Atem in den Nacken. Trieb sie voran. Eiskalt. In die Dünen. Über die Stege und über den Sand. Er wusste, wohin. Und sie wusste es auch. Bevor sie den Strand sah. Die Weite. Die Sandbank. Freigespült vom Ebbstrom. Das Meer zog sich zurück. Er lachte sein heiseres Lachen dicht an ihrem Ohr. Sie legte ab, was abzulegen war. Hier und jetzt. Er fauchte. Sie wandte sich den Wellen zu. Schritt für Schritt übers Watt. Bis ihre Zehen das Wasser erreichten. Ihre Knöchel. Ihre Knie. Er war immer noch dicht hinter ihr. Und sie ging weiter. Wehrte sich nicht gegen den Sog. Sollte er ihr doch den Boden unter den Füßen wegziehen. Niemand hielt sie auf. Auch die Wellen nicht, die gegen ihre Oberschenkel klatschten. Gegen ihren Bauch peitschten und gegen ihre Brust. Die Gischt spritzten. Sie blinzeln ließen und Salz schmecken. Er summte ihr ins Ohr. Böe für Böe sein Abschiedslied. Er türmte Wellen für sie auf zu Brechern. Sie tauchte unter und wieder auf und wieder unter. Doch sie sank nicht hinab. Immer noch nicht. Sie hustete und spuckte und schnappte nach Luft. Da drehte er ab. Und sie gab sich hin.

1. Kapitel

Heute

Mira beugte sich über die Reling. Sie sah zurück auf die Schleppe aus Gischt. Dort wirbelte kein zorniger Wassergeist mit Schaum vor dem Mund. Keine verwunschene Braut versuchte vergeblich, ihren Bräutigam zu erreichen, und versank auch nicht in den Fluten. Nur die Fähre pflügte das Meerwasser in der Fahrrinne. Miras Fantasie versagte, seit Ocko sie nicht mehr am Anleger in Wittdün erwartete. Seit letztem Sommer. Er würde nie mehr Geschichten für sie erfinden, und sie seinen Faden nicht weiterspinnen. Solange sie denken konnte, liebte sie es, in diese Welt einzutauchen, auch mit siebenunddreißig Jahren noch. Mira hatte sich nicht darum geschert, dass ihre Schwester das schon früh als Kinderkram abtat. Anke eroberte die Insel auf ihre Weise, mit dem Nachbarsjungen Niels. Ockos Geschichten waren für Mira wie eine Burg in den Dünen, in die sie jederzeit fliehen konnte. Selbst wenn die Wellen um sie herum tosten, fühlte sie sich geborgen. Ockos Worte knüpften ihr ein Netz, das sie gegen alles wappnete. Daran hatte Mira immer geglaubt, auch wenn ihre Eltern Ockos Geschichten als Seemannsgarn abtaten.

Salzige Tropfen sprühten ihr ins Gesicht. Sie drehte sich von der Reling weg. Niemand saß auf den sonnengelben Bänken an Deck. Überall bildeten sich Pfützen. Der Tag fühlte sich nicht an wie im Mai. Seit Ockos Tod mied Mira die Insel, obwohl sie sein Haus geerbt hatte und ihre Schwester gleich nebenan wohnte. Allerdings war ihr kein Grund eingefallen, die Bitte ihrer Schwester abzulehnen. Jedenfalls kein triftiger Grund, einer, der bestehen würde, vor der Familie. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag kurz vor Weihnachten, als Anke anrief und sie mit der Nachricht überfiel.

Mira atmete tief durch, bevor sie ihrer Schwester gratulierte. »Diesmal wird es ein Mädchen!«, fiel Anke ihr ins Wort. »Ich weiß es genau! Es wird ein Mädchen! Es fühlt sich ganz anders an als bei den Jungs. Ich wusste es vom ersten Moment an! Endlich ein Mädchen! Da kannst du nicht kneifen, Mira, diesmal nicht. Bitte, Mira, du hast es mir versprochen! Diesmal wirst du Patentante!«

Der Boden unter Miras Füßen schien zu schwanken. Was sollte sie dazu sagen? Einfach ja? Sie schloss die Augen, nur um sie gleich wieder zu öffnen. Sie stand in ihrem Wohnzimmer, so viel war sicher. Keine Schiffsplanken unter ihren Sohlen. Mira lehnte sich an die Wand. Und doch fühlte sie sich, als ob sie auf einem winzigen Boot durch die Wellen schaukelte.

Ankes Worte rauschten weiter, überfluteten Mira, ließen ihr kaum Luft. »Unsere Kleine wird ein Frühlingskind! Taufe im Mai. Am besten so um Pfingsten. Jedenfalls vor der Hauptsaison. Da kann ich ein paar Zimmer freihalten. Du schläfst ja sicher in Ockos alter Kate …«

Im Kapitänshaus. Für Mira war und blieb es Ockos Kapitänshaus. Obwohl es nun ihr gehörte. Ihr allein. Ocko hatte das schon vor mehr als dreißig Jahren so festgelegt, sagte ihnen der Notar nach der Beerdigung. Das Haus und das Grundstück, auf dem es stand, für Mira und nicht für seine beiden Patentöchter gemeinsam. Seit Anke leer ausgegangen war, nannte sie das Haus nur noch die alte Kate nebenan. Sie wollte genau dort einen Bungalow für noch mehr Feriengäste bauen. Der Entwurf dafür lag längst in ihrer Schublade. Nur Mira konnte sich nicht entscheiden. Weder dafür noch dagegen.

»Du hilfst mir doch bei den Vorbereitungen für die Taufe, Mira? Mama und Papa kommen auch ein paar Tage früher.«

»Ich denke …«

»Bitte, Mira, du bist doch meine große Schwester!«

»Es sind noch fast sechs Monate bis Mai.«

»Die vergehen im Nu! Und wir wollen hier im Haus feiern. Ein bisschen so wie früher. Ganz unter uns. Die Nachbarn kommen ja vorher schon zum Kindskieken.«

»Na klar.«

»Niels’ Bruder hat zugesagt. Der hat’s ja nicht weit mit seiner Familie, von Föhr, und seine Cousins mit Anhang aus Niebüll und Leck. Die Amerikaner sagen wie immer ab. Dabei will Niels seinen Onkel so gerne mal wiedersehen. Dann wären wir also dreiundzwanzig. Oder bringst du jemanden mit?«

Mira blieb keine Zeit zum Antworten.

»Abgemacht!«

Die Stille in der Leitung sprach dafür, dass Anke aufgelegt hatte. Mira warf das Telefon aufs Sofa. Sie lehnte weiter an der Wand, bis das Schlingern aufhörte. Im Mai sollte sie also Taufpatin von Ankes Töchterchen werden. Ihre Schwester zweifelte nicht daran. Ihre Mutter sicher auch nicht. Und sie? Würde Ocko noch leben, wäre Mira für ein paar Tage zu ihm auf die Insel gefahren. Sie wären gemeinsam um die Odde herumgestiefelt. Hätten den Wind an ihren Kleidern zerren lassen, dem Meer gelauscht und den Horizont angeschwiegen. Vielleicht hätten sie Treibgut aus dem Spülsaum geborgen. Einen geborstenen Monitor voller Seegras oder eins von diesen Geisternetzen. Und Ocko hätte ihr eine Geschichte erzählt.

Von den Schwestern Ebbe und Flut, die ständig ihre Kräfte messen wollten. Die eine hielt die dicksten Treibgutbrocken am Boden, oder ließ sie sogar im Sand versinken, während die andere sie in den Wellen wiegte oder wütend zerschmetterte. Schwester Ebbe langweilte das Spiel jedoch bald. Sie lehnte sich zurück und ließ die Flut einfach gewähren. Die sprühte vor Freude, Gischt spritzte in alle Richtungen. Die Wellen sprangen weit den Strand hinauf. »Gewonnen!«, rief die Flut und überschlug sich. »Gewonnen! Gewonnen! Gewonnen!« Doch nur die Möwen kreischten mit. Der Spaß verflog. Die Flut spürte ihre Kräfte schwinden. Sie dümpelte vor sich hin. Sie brauchte Ruhe. Am besten einen Rückzugsort. Das erinnerte sie an ihre Schwester Ebbe. Sie drehte sich nach ihr um und sah, dass sie die ganze Zeit über bei ihr gewesen war.

Mira hätte den Kopf an Ockos Schulter gelegt und ohne ein weiteres Wort gewusst, dass sie das Richtige tun würde, egal, was sie tat.

Jetzt stand sie am Heck der Uthlande. Ihre Wetterjacke knisterte im Wind. Jeden Moment mussten sie Föhr passieren. Ihre Eltern waren gestern schon angereist. Eigentlich hatten sie mit ihr zusammen fahren wollen. Doch im letzten Moment behauptete Mira, nicht eher freizubekommen. Sie wollte die Stunden vor dem Familientrubel auf der Insel in Ruhe verbringen. Und allein. Die Feier fand zwar erst am Sonntag statt, aber ihre Mutter und ihre Schwester würden schon dafür sorgen, dass die kommenden vier Tage aufgeregtes Flattern in jedem Winkel herrschte. Sogar ihr Vater und Niels ließen sich einspannen. Mira kannte das von den Taufen der Jungen. Sie hatte ihre Aufträge rasch und ohne Nachfragen erledigt. Ihre Mutter und Anke bezweifelten das jedoch und kontrollierten jeden Handgriff zweimal. Mira hatte sich dazu durchgerungen, nur noch darüber zu lächeln. Denn Ocko war nebenan gewesen, und er bot ihr stets eine stille Bucht zum Ankern. Immerhin konnte sie sich in sein Haus zurückziehen. Wenn Anke nicht auch dort Verwandte vom Festland untergebracht hatte. Miras Einverständnis setzte sie sowieso immer voraus.

Sie fror. Doch Mira scheute sich davor, die restliche Zeit unten im Salon zu verbringen. Alle Tische und Bänke waren besetzt. Vor allem die begehrten Fensterplätze. Wie früher Anke und ihr, schien es auch heute noch vielen darum zu gehen, wer als Erster einen Zipfel der Insel erspähte oder sogar den Leuchtturm. Dabei ließen die Scheiben, trübe vom Salzwasser, kaum Aussicht zu. Manche orientierten sich an den Bildschirmen, die an den Querwänden hingen. Dort bewegte sich die Fähre als roter Punkt auf einer Karte durch die Fahrrinne auf die Insel zu. Wenn nicht gerade Schreckensnachrichten aus aller Welt eingeblendet wurden.

Mira entschied sich, die Stufen hinabzusteigen, einen Becher Kaffee zu kaufen und ihn mit an Deck zu nehmen. Warme Luft schlug ihr entgegen, als sich die Glastüren mit leisem Zischen öffneten. Zwei etwa Fünfjährige rannten an ihr vorbei und weiter, um den Papierkorb herum. Kreischend fegten sie um die mittleren Sitzgruppen. Mira reihte sich in die Schlange am Büfett ein. Während sie wartete, erinnerte sie sich an ihre erste unbegleitete Überfahrt. Die lag fast dreißig Jahre zurück. Wegen ihr hätte Ocko schon lange nicht mehr auf die Fähre steigen müssen, um sie und ihre Schwester in Dagebüll von ihren Eltern zu übernehmen. Sie hatte stets ein Buch dabeigehabt und hätte die ganze Zeit über lesen können. Wenn sie allein gewesen wäre. Ihre kleine Schwester jedoch saß kaum eine halbe Stunde still, selbst wenn Mira ihr vorlas. Eigentlich war Anke nur fünfzehn Monate jünger, aber manchmal kam es Mira so vor, als wären das Welten. Bei ihrer ersten Überfahrt allein wollte Anke das Schiff erkunden, kaum dass sie in See gestochen waren. Als sie merkte, dass Mira hinter ihr herlief, schrie sie: »Lass mich! Ich bin doch kein Baby mehr!«

»Du bleibst hier drin!«, drohte Mira halblaut.

Die Blicke der Mitreisenden trafen sie wie ein eiskalter Luftzug. Mama hatte ihr doch eingeschärft, Anke nicht aus den Augen zu lassen. Die Kleine sollte nicht aufs Deck hinaufgehen. Schon gar nicht ohne Mira. Aber am besten überhaupt nicht. Sie würde auf die Bänke klettern und herunterspringen. Womöglich wagte Anke sogar, auf der Reling herumzuturnen. Und dann war es Miras Schuld, wenn etwas passierte. Es war immer Miras Schuld. Denn sie war ja schon groß und vernünftig. Die Gäste an den Nachbartischen, die von ihren Zeitungen aufsahen, signalisierten ihr, ausgerechnet ihr: Wehe, du tust der Kleinen was an! Der niedlichen Kleinen, die sich nur mal umsehen will. Und kaum hatten sie sich wieder in ihre Lektüre vertieft, plärrte Anke los. Im Nu war Mira bei ihr. Sie stellte die Kleine auf die Füße und zog sie von der Schwingtür vor der Treppe weg. Jemand brachte einen Löffel und drückte das kalte Metall auf die Beule an Ankes Stirn. Mira bedankte sich dafür. Anke beruhigte sich nur langsam. Sie gingen zurück zu ihrem Platz. Mira ließ sie nicht aus den Augen, denn sie wusste, dass die Kleine sich selbst nach diesem Zusammenprall mit der Tür schnell wieder langweilte. Jeden Moment konnte sie von der Bank rutschen, um zu neuen Erkundungen aufzubrechen.

Heute starrten viele Gäste auf ihre Displays, die Ohren zugestöpselt. Mira fragte sich, ob sie mitbekommen würden, wenn eins von den Kindern stürzte. Unter irgendeinem Tisch kläffte ein Hund. Hier und da wurde lautstark telefoniert. Rechts ging es darum, ein Segelboot zu überführen. Links wurde erwogen, wie viel Miete man seinem Neffen für das Gästezimmer im Keller abnehmen sollte. Endlich war Mira an der Reihe, ihre Bestellung aufzugeben: Kaffee schwarz. Kaum bezahlt, stand der Becher auch schon für sie bereit. Sie eilte hinaus damit, erleichtert darüber, dass sie das Salonkonzert samt Klingeltönen hinter sich lassen konnte.

Mira suchte sich Windschatten. Sie hielt den Becher mit beiden Händen fest und sah zu, wie der Dampf vom heißen Kaffee aufstieg. Sie hatte sonnige Überfahrten im Februar erlebt und stürmische im August. Gläser schlitterten dann über die Tische. Viele Gäste torkelten Richtung Toiletten, bleich, gelb oder sogar grün im Gesicht. Dabei fühlte sich der Seegang dort im Untergeschoss noch heftiger an. Einmal legte die Fähre gar nicht erst ab, obwohl schon alle an Bord gegangen waren, weil das Anlegen am Festland nicht möglich gewesen wäre. Für Mira ein Feiertag, weil sie länger bei Ocko bleiben durften. Dagegen war manchmal, bei tagelangem stürmischem Ostwind, so wenig Wasser in der Fahrrinne, dass nur ein kleines Schiff mit geringem Tiefgang von der Insel losfahren konnte. Für wenige Passagiere ohne Autos. Mira hatte sich insgeheim gewünscht, dass sie an Bord wäre, wenn die Fähre einmal auf einer Untiefe festsitzen würde, wie sie es auf Fotos gesehen hatte. Es dauerte dann bis zur nächsten oder übernächsten Flut, bis wieder genug Wasser auflief, damit die Fahrt weitergehen konnte. So unerreichbar zu sein, für ein paar Stunden, oder einen ganzen Tag, faszinierte Mira. Ob sie sich dann ein bisschen so fühlen würde wie Ocko, wenn der auf großer Fahrt war? Weit draußen auf dem Meer. Kein Land in Sicht. Kaum zu erreichen von den Liebsten. Doch als sie begann, sich auszumalen, was Anke davon halten würde, die Fähre vorläufig nicht verlassen zu können, oder wie die anderen Passagiere reagieren würden, und wie sich ihre Eltern am Kai in Dagebüll ängstigten, verblasste der Wunsch schnell.

Mira trank von ihrem Kaffee. Und heute? Irgendwie schien es verlockend, wenn sich ihre Anreise in die Länge ziehen würde. Das Handy lag hinten im Rucksack. Ausgeschaltet. Sie grinste. Aber all die stets erreichbaren Fahrgäste unten im Salon drehten vermutlich komplett durch, säßen sie hier stundenlang fest. Sie kämen sicher bald auf die Idee, ein Wassertaxi rufen zu wollen. Oder fragten vielleicht sogar, ob sich die Insel nicht zu Fuß erreichen ließe. Einige würden erwägen, Schadensersatz zu verlangen. Für entgangene Inselzeit. Und mit Klage drohen. Die Reederei beschimpfen, den Kapitän, die Offiziere, überhaupt jeden, der ihrer Meinung nach verantwortlich für diese Zumutung wäre. Meer und Wind spielten keine Rolle in ihren Überlegungen. Und ausgerechnet die dabei angebotene Gratisverpflegung würden sie für einen Bestechungsversuch halten.

Mira leerte ihren Becher. Die Wärme des Kaffees war zu schnell verflogen. Sie wusste, dass sich die Fähre heute nicht festfahren würde. Ebenso wenig würde es beim Anlegen Probleme mit Hochwasser geben. Sie stieg die Stufen zum Deck hinauf. Die Wattseite der Insel zeichnete sich bereits gegen das Grau ab. Der Leuchtturm auf seiner Düne ragte bis in die Wolken. Spätestens bei diesem Anblick flammte für gewöhnlich die Vorfreude auf. Doch so sehr Mira sich nach diesem Gefühl sehnte, es stellte sich nicht ein.

»Grandios!«

Mira sah sich um. Der gelbe Riese stand wenige Meter von ihr entfernt allein an der Reling. Er redete halblaut vor sich hin, obwohl er keine Ohrhörer trug. Offensichtlich sprach er mit seinem Fernglas. Ein Luxusmodell, das er sich mit beiden Händen vor die Augen hielt. Sie verstand, dass er den Einfallsreichtum der alten Friesen bewunderte. Die falschen Leuchtfeuer, die sie früher angezündet hätten, um Havarien zu provozieren. Dabei schien er die Küstenlinie abzusuchen, als ob es dort Strandräuber zu entdecken gäbe. Er musste Mira bemerkt haben, denn er gab ungefragt preis, dass er das erste Mal hier wäre und ganz und gar in diese Inselfolklore eintauchen wollte. Mira wunderte sich über seine Wortwahl. Ein paar Brocken Friesisch habe er dafür auch schon gelernt, fuhr er fort. »Das auf Amrum heimische Öömrang natürlich.« Ihn treibe die Frage um, wie Menschen darauf kämen, sich auf kargen, abgelegenen Inseln niederzulassen. Das habe ihn schon in entlegenste Winkel der Welt geführt. »Nach Island. Auf die Äußeren Hebriden. Nach Helgoland.«

Mira sagte nichts dazu. Es dauerte, bis der Mann das merkte. Da erst ließ er das Fernglas sinken und sah sie an, als fragte er sich, ob er eine Eingeborene vor sich hatte. Eine, die das Leben fest im Griff hatte, die ihre Kinderschar durchbringen musste, Vieh versorgte, das Feld bestellte, beim Austernstrich half oder Möweneier sammelte und Wildkaninchen schoss, während ihr Mann auf einem niederländischen Walfangschiff unterwegs war. Und vor dem Einschlafen im Alkoven hoffte, dass er im Herbst zurückkäme und nicht ertrunken wäre oder als Sklave in den Orient verkauft wurde.

Mira verschränkte die Arme.