Traurig und befreit zugleich - Marina Knopf - E-Book

Traurig und befreit zugleich E-Book

Marina Knopf

3,7

Beschreibung

Die Studie des Familienplanungszentrums Hamburg widerspricht dem Mythos, dass eine Abtreibung in jedem Fall traumatisch sein muss. Frauen wurden nach einem Schwangerschaftsabbruch ausführlich befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung aus der ersten Hälfte der 1990er Jahre referiert dieses Buch, verdichtet in zwölf Fallgeschichten. Die Frauen selbst berichten von ihren Erfahrungen, die für andere vor oder nach einem Schwangerschaftsabbruch hilfreich sein können. Welche Bedingungen führen dazu, dass Frauen unter einer Abtreibung leiden, welche Umstände verhelfen zu einer guten Verarbeitung? In dieser Hinsicht hat die Veröffentlichung nichts von ihrer Aktualität verloren.

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Zu diesem Buch

Eine Studie des Hamburger Familienplanungszentrums entlarvt einen Mythos: nämlich, daß Abtreibungen für Frauen grundsätzlich traumatisch seien.

Frauen, deren Schwangerschaftsabbruch entweder acht Jahre, etwa ein Jahr oder wenige Wochen zurückliegt, wurden ausführlich befragt. Die Ergebnisse dieser aufschlußreichen Untersuchung, verdichtet in zwölf Fallgeschichten, referiert dieses Buch. Die abtreibenden Frauen selbst berichten von ihren Erfahrungen, die insbesondere für Frauen vor und nach einem Schwangerschaftsabbruch hilfreich sein können.

Besonderes Augenmerk gilt den Bedingungen, die dazu führen, daß Frauen unter einer Abtreibung leiden, und welche Umstände helfen, einen Schwangerschaftsabbruch gut zu verarbeiten.

Die Autorinnen

Marina Knopf, Jahrgang 1960, Diplom-Psychologin, seit 1990 im Familienplanungszentrum Hamburg tätig: Beratung zur Empfängnisverhütung, bei Sexualproblemen und Schwangerschaftskonflikten; Veröffentlichungen zu sexualwissenschaftlichen Themen.

Elfie Mayer, Jahrgang 1953, Krankenschwester, seit 1982 im Familienplanungszentrum tätig: Assistenz bei Schwangerschaftsabbrüchen, Öffentlichkeitsarbeit.

Elsbeth Meyer, Jahrgang 1950, Diplom-Psychologin, seit 1983 im Familienplanungszentrum tätig: Beratung bei Schwangerschaftskonflikten, psychischen Problemen nach Schwangerschaftsabbruch und Sexualproblemen; Veröffentlichungen zum Thema Schwangerschaftsabbruch.

Inhalt

Einführung

Das Familienplanungszentrum

Die Ergebnisse anderer Studien über psychische Folgen nach Schwangerschaftsabbruch

Zum Aufbau der Untersuchung

Danksagung

Teil I: Die Ergebnisse der Studie

Vom Testergebnis zur Entscheidung

Der Schwangerschaftsabbruch

Die Folgen

Hinderliches bei der psychischen Verarbeitung

Hilfreiches bei der psychischen Verarbeitung

Zur Frage der Moral

Teil II: Persönliche Berichte

Wenige Wochen nach dem Schwangerschaftsabbruch

Ein Jahr danach

Acht bis zehn Jahre danach

Anhang

Chronik des Gesetzgebungsverfahrens

Die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs

Rat und Hilfe

Literatur

Einführung

 

Keine Frau wünscht sich einen Schwangerschaftsabbruch. Wenn sie trotzdem ungewollt schwanger wird und sich für eine Abtreibung entscheidet, warten danach mit großer Wahrscheinlichkeit lang anhaltende Schuldgefühle und Depressionen auf sie. Wenn nicht sofort, hat sie spätestens in der Menopause damit zu rechnen. So jedenfalls ist die Meinung einer breiten Öffentlichkeit.

Aus vielen Beratungen wissen wir, daß Frauen große Angst vor den physischen und ganz besonders den psychischen Folgen der Abtreibung haben. Seit Jahren beobachten wir, daß zunehmend mehr Frauen ihrer eigenen Wahrnehmung, ihren Gefühlen nicht mehr trauen. Sie können nicht glauben, daß es ihnen mit ihrer Entscheidung und der Abtreibung tatsächlich gutgehen kann und daß es dabei bleibt. Sie befürchten eher, daß sie gefühlskalt sind oder daß sie etwas verdrängen, wenn sie nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht trauern oder leiden. Die öffentliche Meinungsmache hat ihre Wirkung also nicht verfehlt.

Mit dazu beigetragen hat sicher die heftige politische Auseinandersetzung um die Abtreibungsfrage in den letzten Jahren. Der Einfluß, den konservative Kräfte gewonnen haben, zeigt sich z.B. am veränderten Sprachgebrauch. So wird nicht mehr vom Embryo gesprochen, sondern vom ungeborenen Kind. Und es wird jeder Frau, die eine Abtreibung will, ein «Schwangerschaftskonflikt» unterstellt. Der Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsrecht und die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs unterstreichen dies noch. Denn danach haben wir Abtreibung als Unrecht, als unmoralische und schuldhafte Handlung zu sehen.

Obwohl Abtreibungen heute so schonend gemacht werden wie nie zuvor, werden mögliche physische und psychische Folgen besonders von Kirchenvertretern, Politikern und Ärzten, die gleichzeitig Abtreibungsgegner sind, ständig ins Feld geführt. Die Folgen werden maßlos übertrieben. Besonders die psychischen Leiden werden mit Gewißheit ausgemalt. Der Eifer, mit dem diese Gefahren beschworen werden, dient nicht etwa dazu, die Frauen davor zu bewahren oder ihnen Unterstützung zu geben, sondern dient allein der Angstmache. Häufig gehörte Äußerungen, wie: «Niemand kommt ungestraft davon», führen zu Ängsten bei den Frauen. Bei vielen mischt sich die Angst vor gesundheitlichen Risiken mit der Befürchtung, für die verwerfliche Tat irgendwie büßen zu müssen. Diese Vorwürfe gegen Frauen, die abtreiben, schüchtern ein und verdichten das Tabu um den Schwangerschaftsabbruch.

Es ist deshalb unser Anliegen, mit diesem Buch Vorurteile zurechtzurücken, mit verbreiteten Meinungen aufzuräumen und Verborgenes sichtbar zu machen.

Im Hamburger Familienplanungszentrum erleben wir seit 13 Jahren Frauen vor, während und nach einem Schwangerschaftsabbruch. Wir erleben, wie Frauen oft voller Angst zur Beratung kommen und wie sie augenscheinlich erleichtert unser Zentrum wieder verlassen. Wir wollten von diesen Frauen wissen, wie sie selbst diese Zeit erlebt haben und wie es ihnen später ergangen ist. Wir wollen ein breiteres und differenzierteres Bild vom Erleben der Frauen schaffen. Wir wollen darstellen, welche psychischen Folgen sie tatsächlich erleben. Und wir wollen beschreiben, welche Bedingungen hilfreich für eine positive Verarbeitung des Schwangerschaftsabbruchs sind und welche diese behindern. Dabei darf natürlich nicht außer acht gelassen werden, auf welche Weise die Entscheidung getroffen wurde, welche Rolle der Partner dabei spielte und wie die Abtreibung selbst erlebt wurde. Dieser Kontext dürfte einen erheblichen Einfluß auf mögliche psychische Folgen haben.

Wir sind der Meinung, daß zuviel über abtreibende Frauen gesprochen wird und zuwenig von ihnen selbst zu hören ist. So, wie sie selbst am ehesten geeignet sind, eine Entscheidung über Austragen oder Abbruch einer Schwangerschaft zu treffen, sind sie auch selbst die besten Expertinnen für die Beurteilung ihrer psychischen Situation. Sie sollen deshalb in diesem Buch selbst zu Wort kommen.

Das Familienplanungszentrum

Das Hamburger Familienplanungszentrum ist eine gemeinsame Einrichtung der Pro Familia und der Arbeiterwohlfahrt. Im Familienplanungszentrum wirken Ärztinnen, Krankenschwestern, Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen, Pädagoginnen und Organisationsfrauen zusammen, um alles, was zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch gehört, möglich zu machen. Wir führen den ambulanten Abbruch in örtlicher Betäubung durch. Daneben beraten wir in allen Fragen der Empfängnisverhütung, Schwangerschaft und Sexualität. Hebammen führen Geburtsvorbereitungskurse durch. So wie im wirklichen Leben diese Themen zusammengehören, sollen sie auch bei uns zusammenhängend behandelt werden. Wir wollen damit die verbreitete Trennung in «gute Frauen», die eine Schwangerschaft austragen, und « schlechte Frauen », die abtreiben, aufheben. Tatsache ist, daß die meisten Frauen, die irgendwann einen Schwangerschaftsabbruch haben, auch Kinder gebären und daß viele Frauen, die Verhütungsmittel anwenden, dennoch schwanger werden. Für uns ist ein Schwangerschaftsabbruch die Folge von Sexualität, die Folge von fehlgeschlagener Verhütung, die Folge der Entscheidung, kein Kind oder zu diesem Zeitpunkt kein Kind zu wollen.

Eine ungewollte Schwangerschaft ist ein Problem und bedarf einer Lösung. Tatsächlich führen die meisten ungeplanten Schwangerschaften nicht etwa zur Abtreibung, sondern zur Geburt eines Kindes. Auch wenn es darüber keine statistischen Daten gibt, so sind wir doch aus unserer langjährigen Beratungserfahrung überzeugt, daß kaum eine Frau unbedacht über ihre Leibesfrucht verfügt, sondern fast immer die Umstände sorgfältig überprüft, ob sie sich nicht doch zugunsten eines Kindes wenden lassen.

Mit unserer Arbeit im Familienplanungszentrum wollen wir dazu beitragen, daß keine Frau durch eine ungewollte Schwangerschaft gesundheitlichen oder seelischen Schaden nimmt.

Der Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts vom 28. 5. 1993 und die heute geltende gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs hat das Familienplanungszentrum in seiner Arbeitsweise und seinem Konzept entscheidend beeinträchtigt. Betroffen davon sind alle acht Familienplanungszentren der Bundesrepublik. Denn alle arbeiteten nach dem Konzept «alles unter einem Dach», d.h., Frauen brauchten für die Pflichtberatung und den Eingriff nur eine Einrichtung aufsuchen. Die von Frauen zu überwindenden Hürden bei einer Abtreibung sollten damit so niedrig wie möglich gehalten werden. Der Urteilsspruch aus Karlsruhe hat dieses Konzept zunichte gemacht. Seither müssen die Pflichtberatung und der Eingriff organisatorisch und wirtschaftlich getrennt sein.

Die Ergebnisse anderer Studien über psychische Folgen nach Schwangerschaftsabbruch

Eine Durchsicht der wichtigsten medizinischen und psychologischen Arbeiten der letzten Jahre über psychische Folgen nach Schwangerschaftsabbruch1 führte zu einem erstaunlichen Fazit: Die meisten Autorinnen und Autoren deutschsprachiger und internationaler Studien halten psychische Komplikationen für selten. Die Forschungsergebnisse stehen somit im krassen Gegensatz zur verbreiteten Meinung über die schrecklichen Folgen einer Abtreibung.

Den Ergebnissen der wichtigsten Untersuchungen zufolge leiden maximal 20% der Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch an psychischen Beschwerden. Dabei handelt es sich meistens um kurzfristige, vorübergehende Probleme. Über ernstere bzw. längerfristige Beschwerden sollen maximal 10% der Befragten klagen.

Nach unseren Erfahrungen liegen die Zahlen für die Besucherinnen der Familienplanungszentren eher darunter. Dieser Unterschied läßt sich möglicherweise durch die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen erklären: Gemeinsam ist den meisten Untersuchungen, daß die medizinischen und menschlichen Bedingungen, unter denen der Eingriff stattfand, nicht näher beschrieben oder problematisiert werden. Es ist aber zu vermuten, daß diese nicht unerheblich für die Verarbeitung des Eingriffs sind. So berichten viele ratsuchende Frauen über frühere Schwangerschaftsabbrüche, unter denen sie nachhaltig gelitten hatten. Das war dann der Fall, wenn sie sich vom Klinikpersonal demütigende Behandlung gefallen lassen mußten oder wenn der Eingriff unter menschenunwürdigen Bedingungen illegal vorgenommen wurde.

Nur wenige Autorinnen und Autoren unterscheiden zwischen psychischen Störungen und der Trauer über einen erlittenen Verlust. So werden in einigen Untersuchungsberichten «anniversary reactions», d.h. Jahrestage, an denen sich die Frau an den Tag des Eingriffs oder den fiktiven Geburtstag des Kindes erinnert und manchmal trauert, häufig vorschnell als Symptom im psychiatrischen Sinne gewertet. Wir alle kennen Situationen im Leben, in denen wir eine wichtige Entscheidung getroffen haben, die uns traurig gestimmt hat und die dennoch subjektiv richtig war. Wir würden nicht auf die Idee kommen, unsere Trauer in solchen Situationen als pathologisch zu bezeichnen.

In vielen Studien wird der Aspekt von Erleichterung nach dem Eingriff betont. Es wird beschrieben, wie groß der psychische Streß für viele Frauen in der Phase vor dem Schwangerschaftsabbruch ist – und wie sofort nachher Erleichterung und Befreiung eintreten.

Einige Autorinnen und Autoren nennen Risikofaktoren, die zu einer psychischen Belastung nach dem Schwangerschaftsabbruch beitragen. Solche Risikofaktoren sind:

religiöse Bedenken gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen

moralischer, psychischer oder politischer Druck

soziale Isolation und fehlende Unterstützung

Zwang zur Verheimlichung der Abtreibung

fehlende Übereinstimmung in der Partnerschaft oder drohende Trennung

eine gewünschte Schwangerschaft wird aus medizinischen oder eugenischen Gründen oder wegen starken äußeren Drucks abgebrochen

Trauerreaktionen dürfen vor sich selbst oder der Umwelt nicht zugelassen werden

bereits vor dem Schwangerschaftsabbruch lagen psychische Probleme vor

starke Ambivalenz und Entscheidungsschwierigkeiten.

Als günstige Voraussetzung für die Abwesenheit von Irritationen wird dagegen eine möglichst freie Entscheidung betrachtet.

Petersen2 schreibt: «Je individueller der Schwangerschaftsabbruch verantwortet wird und je weniger äußere Reglementierungen zur Geltung kommen, desto günstiger sind die seelischen Folgen.»

Nur wenige, aber um so lautstärkere Autorinnen und Autoren halten negative psychische Spätfolgen für häufig. So setzt Maria Simon in ihrer Untersuchung3 diese bei drei Vierteln aller Fälle an. Allerdings sind große Zweifel an der Richtigkeit dieser Zahlen angebracht: Sie rief 135 Frauen, die abgetrieben hatten, zu Hause an und versuchte, diese zu einem Interview zu bewegen. Woher ihr die Frauen bekannt waren, ist aus der Veröffentlichung nicht ersichtlich. 90 Frauen lehnten ein Gespräch ab. Ihre nur zu verständliche Reaktion wurde von Simon als «präverbale Verleugnung des Abbruchgeschehens»4 gedeutet. Darüber hinaus unterscheidet sie nicht zwischen Frauen, die aus eigener Entscheidung einen Schwangerschaftsabbruch wollten, und anderen, deren Abbruch aus medizinischen oder eugenischen Gründen stattfand. Die ideologische Motivation, die der Erhebung zugrunde liegt, wird allerdings deutlich, wenn sie schreibt, es wäre «ein ethisches und psychologisches Fehlverhalten, die jetzige Indikationenregelung zur Fristenregelung zu erweitern, aus zwei Gründen: Einmal würde ungeborenes Menschenleben noch öfter und noch leichter vernichtet, als dieses bisher schon geschieht. Zum anderen schufen und schaffen wir uns fortwährend ein Heer von schweren Neurotikerinnen, die personell schon jetzt nicht mehr ausreichend psychotherapeutisch betreut und begleitet werden können.»5

Wie anders dagegen und wie wohltuend Rita Seitz, die in ihrer Studie mit dem programmatischen Titel «Mein Bauch gehört mir? Schwangerschaftsabbruch als Möglichkeit weiblicher Autonomie»6 mit dem Klischee der leidenden, beschämten Frau aufräumt. Sie fand heraus, daß das Eintreten einer ungewollten Schwangerschaft und der anschließende Abbruch ein kritisches Lebensereignis ist, dessen Bewältigung die Erfahrung der kompetenten Gestaltung der persönlichen Biographie bergen kann. Voraussetzung dafür sei aber eine Aufhebung des gesellschaftlichen Schweigegebotes, das einen Austausch der Frauen untereinander verhindere. In diesem Sinne möchten wir mit diesem Buch zu der Aufhebung des Schweigegebots beitragen.

1 Alle diese Arbeiten sind in der Literaturliste im Anhang aufgeführt.

2 P.Petersen: Seelische Folgen nach legalem Schwangerschaftsabbruch. Ergebnisse einer Sammelstatistik der internationalen Literatur. Dtsch. Ärzteblatt 1977, Vol. 74, S. 1205.

3 M. Simon: Psychische Spätfolgen nach Schwangerschaftsabbruch. Med. Welt 1986, Vol. 37, S. 332–335.

4 M. Simon, a. a. O., S. 332.

5 M. Simon, a. a. O., S. 334 f.

6 R. Seitz: Mein Bauch gehört mir? Schwangerschaftsabbruch als Möglichkeit weiblicher Autonomie. München 1992 (Centaurus).

Zum Aufbau der Untersuchung

Unsere Ergebnisse stammen aus vielen Quellen: Aus den Beratungsgesprächen vieler Jahre, aus den « Selbsthilfegruppen nach Schwangerschaftsabbruch» und aus den Erfahrungen des gesamten Teams des Hamburger Familienplanungszentrums. Wir hatten viele Kenntnisse und Hypothesen über psychische Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen gewonnen, ohne daß wir diese zunächst systematisch erfaßt hatten.

Im Herbst 1993 begannen wir eine gezielte Untersuchung. Zunächst führten wir sechs Gruppengespräche mit Frauen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine Abtreibung im Familienplanungszentrum hatten durchführen lassen. Wir fragten die Frauen, wie es ihnen nach dem Abbruch ergangen ist und in welcher Weise dieser sie später noch beschäftigt hat. Zu unserem Erstaunen stellten wir fest, daß in jeder Gruppe ein großes Bedürfnis war, ausführlich über die Zeit vor dem Eingriff zu sprechen. Den Frauen war es wichtig, von ihren widerstreitenden Gefühlen, ihren schmerzlichen Erkenntnissen, ihren heftigen inneren und äußeren Auseinandersetzungen zu erzählen. So wurde sehr deutlich, daß man nur dann über die Folgen von Abtreibungen Aussagen treffen kann, wenn man die oftmals viel belastendere Zeit vor dem Abbruch berücksichtigt. Die Gruppengespräche unterstrichen eindrucksvoll, daß das ganze Erleben der ungewollten Schwangerschaft vom Entscheidungsprozeß, über den Eingriff und die Zeit danach ein zusammengehörender Komplex ist.

Wir haben dann in 35 ausführlichen Einzelinterviews betroffene Frauen befragt. Wir baten sie darum, die persönliche Geschichte ihres Schwangerschaftsabbruchs zu erzählen. Jedes Gespräch dauerte mindestens eine Stunde. Grundlage war ein Interviewleitfaden, der auch das Gerüst für die spätere Auswertung bildete. Alle Gespräche wurden auf Tonband aufgenommen und später wörtlich protokolliert. Allen Beteiligten wurde Anonymität zugesichert.

Alle befragten Frauen hatten den Eingriff im Familienplanungszentrum durchführen lassen. Wir wollten dadurch sicherstellen, daß der Eingriff für alle Interviewten auf die gleiche Weise und unter den gleichen Bedingungen durchgeführt wurde. Das heißt konkret, daß die Frauen den Eingriff innerhalb der ersten zehn Schwangerschaftswochen, in örtlicher Betäubung und mit der Absaugmethode erlebten. Der Eingriff dauert wenige Minuten und verursacht ein Ziehen im Bauch, etwa wie bei einer Regelblutung.

Wir wissen aus Berichten vieler Besucherinnen, daß schlechte Bedingungen beim Schwangerschaftsabbruch, z. B. eine respektlose und herabwürdigende Behandlung, häufig dazu beitragen, daß Frauen die Abtreibung als traumatische Erfahrung erinnern. Da uns die Frage interessierte, welche Faktoren aus der Lebenssituation und dem Umfeld der Frauen hilfreich bzw. hinderlich für eine positive Verarbeitung sind, wollten wir zusätzliche, durch den Eingriff verursachte Probleme ausschalten. Unsere Frage lautete: Wenn ein Schwangerschaftsabbruch so durchgeführt wird, wie es unserer Ansicht nach Standard sein sollte, wovon hängt es dann ab, ob es einer Frau nachher gut- oder schlechtgeht?

Da wir etwas darüber erfahren wollten, wie sich im Laufe der Zeit der Blick auf die Erfahrung der Abtreibung verändert, haben wir zu je einem Drittel Frauen befragt, bei denen der Abbruch mehr als acht Jahre, etwa ein Jahr oder wenige Wochen zurücklag.

Für die ersten beiden Gruppen versandten wir Briefe, in denen wir über das Forschungsprojekt informierten und um Teilnahme baten. Die Adressen wurden unausgelesen unserer Kartei entnommen. Wir beschränkten uns allerdings auf deutschsprachige Frauen aus dem Hamburger Raum. Der dritten Gruppe wurde unmittelbar nach dem Eingriff im Ruheraum von der betreuenden Kollegin ebenfalls ein Schreiben mit der Bitte um Teilnahme ausgehändigt. Etwa ein Drittel der Frauen erklärte sich zur Teilnahme bereit.

Die Zusammensetzung der befragten 35 Frauen ist für die Klientel des Familienplanungszentrums in einer Hinsicht nicht repräsentativ: Akademikerinnen sind überdurchschnittlich häufig vertreten. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, daß die Zusammensetzung nicht typisch ist, was die Aussagen über den Entscheidungsprozeß, das Erleben des Abbruches und die Verarbeitung betrifft. Im Gegenteil: Die Ergebnisse spiegeln unsere langjährigen Erfahrungen mit sehr unterschiedlichen Frauen vor und nach einem Schwangerschaftsabbruch wieder. Von den Befragten hatten fünfzehn Frauen Kinder, die z. T. vor und z. T. nach dem Schwangerschaftsabbruch geboren waren. Das Alter der Frauen beim Schwangerschaftsabbruch lag zwischen neunzehn und vierzig Jahren. Für 25 Frauen war es der erste Abbruch.

Bei allen Befragten trafen wir auf eine große Bereitschaft, sich zu unseren Fragen zu äußern. Die Offenheit der Frauen berührte uns sehr. In vielen Gesprächen war spürbar, daß die heftigen Gefühle, die mit der ungewollten Schwangerschaft und der Abtreibung verbunden waren, wieder lebendig wurden.

Sicherlich hat unsere Haltung zum Thema und gegenüber den Befragten die Gespräche und damit die Ergebnisse beeinflußt. Trotz unseres Bemühens, die « wirklichen » Meinungen herauszufinden, verändert die Interaktion allein schon die Antworten. Abtreibungsgegner würden andere Fragen stellen, würden andere Antworten erhalten.

Seit dem 16. 6. 1993 haben wir in Deutschland eine neue rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Frauen benötigen danach keine ärztliche Indikation zum Schwangerschaftsabbruch mehr, müssen sich aber einer gegenüber dem vorherigen Recht veränderten Beratung unterziehen. Sie müssen die Kosten für den Eingriff jetzt selbst zahlen oder sich bei einem geringen Einkommen an das Sozialamt wenden (vom 1.1. 1996 an die Krankenkasse). Das bedeutet, daß die von uns befragten Frauen, deren Abbruch erst wenige Wochen zurücklag, andere Bedingungen vorfanden als die anderen.

Im folgenden Kapitel haben wir zusammengetragen, welches aus unserer Sicht die wichtigsten Ergebnisse unserer Studie sind. Danach haben die Frauen selbst das Wort und erzählen ihre Geschichten. Ausgewählt haben wir Beispiele, die uns besonders typisch für die Erfahrungen vieler oder auf andere Weise sehr eindrucksvoll erschienen. Die hier veröffentlichten persönlichen Geschichten sind nicht inhaltlich, aber in den persönlichen Daten so verfremdet, daß ein Wiedererkennen reiner Zufall wäre.

Danksagung

An dieser Stelle möchten wir uns bedanken. Zuerst natürlich

bei den Frauen, die engagiert und offen bereit waren, über sich zu sprechen

bei unserer Kollegin Thea Mertens, die uns ihre Erfahrungen als Anleiterin mehrerer Selbsthilfegruppen für Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung stellte und an Teilen der Studie mitarbeitete

beim Team des FPZ, ohne das die Studie nicht denkbar gewesen wäre. Die Kolleginnen haben nicht nur mitdiskutiert, sondern uns auch an anderer Stelle entlastet, so daß wir in Ruhe « forschen » konnten

bei unseren früheren Mitstreiterinnen Dr. Susanne von Paczensky und Renate Sadrozinski für hilfreiche Anmerkungen

und natürlich bei den Mitgliedern und Spenderinnen und Spendern des Fördervereins für das Familienplanungszentrum, ohne deren Hilfe das Projekt nicht finanzierbar gewesen wäre.