Traut euch zu denken! - Ernst Pöppel - E-Book

Traut euch zu denken! E-Book

Ernst Pöppel

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Beschreibung

Das Gegenmittel zur Dummheit

Durch den Bestseller Dummheit von Ernst Pöppel und Beatrice Wagner wurde uns klar, was wir heutzutage alles nicht mehr wissen. In seinem neuen Buch zeigt das Erfolgsgespann, dass unsere auf Kausalität und Effizienz getrimmte Denkweise daran Schuld hat. Dabei gibt es viele andere Arten zu denken, die Kreativität freisetzen und so ungeahnte Problemlösungsstrategien eröffnen. Dazu müssen wir uns trauen, wieder auf unser implizites Wissen zu achten, für eine Fragestellung erst einmal keine Antwort zu haben oder für eine Situation auch mehrere Ursachen in Betracht zu ziehen. Mit der Entdeckung dieser und weiterer Facetten unseres Denkens können wir der allgemeinen Verdummung entkommen.

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Seitenzahl: 188

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Prof. Dr. Ernst Pöppel ist einer der führenden Hirnforscher Deutschlands. Er ist Professor für Medizinische Psychologie an der Universität München und Gastprofessor an der Peking University. Zudem ist er Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

Dr. Beatrice Wagner ist Paar- und Sexualtherapeutin, Lehrbeauftragte an der Universität München und Buchautorin. Gemeinsam mit Ernst Pöppel schrieb sie die Bestseller »Dummheit« (2013) und »Je älter, desto besser« (2011).

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Originalausgabe © 2016 Riemann Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Lektorat: Ralf Lay, Mönchengladbach Covergestaltung: UNO Werbeagentur Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-18785-9V003
www.riemann-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1 Traut euch, intuitiv zu denken

Intuition: Das blitzartige Erkennen

Der ästhetische Sinn in der Mathematik

Denken versus dunkles Denken

Ein Wassereimer bewahrte uns vor dem Dritten Weltkrieg

2 Traut euch, Vorurteile zuzulassen

Vorurteile als sozialer Klebstoff

Vorurteile sind verkörperte Lebenserfahrung

Wir konstruieren unser Gegenüber

Diversität als Chance neuer Kreativität

3Traut euch, nicht immer nur einen Grund zu vermuten

Drei Körper und ein Schmetterling

Musterkennung in der Medizin

4 Traut euch, den Zufall auszubeuten

Der Ramsey-Effekt

Die Begünstigung des vorbereiteten Geistes

Serendipity

Das richtige Zeitfenster erwischen

5 Traut euch zu vergessen

Das Manko des Nichts-vergessen-Könnens

Die Kurve des Vergessens

Das kreative Vergessen

Das kreative Konzentrieren

Das kulturelle Vergessen

6 Traut euch, im Jetzt zu leben

Was ist Gegenwart?

Hingabe

Die Befreiung aus der Selbstversklavung

7 Traut euch, immer einen Schritt weiterzudenken

Eine Erkenntnis ist nie abgeschlossen

Ein Ziel zu erreichen macht glücklich

8 Traut euch, die Bedeutung der Langeweile zu erkennen

Die Schattenseite der Intelligenz

Sich nicht ständig berieseln lassen

9 Traut euch zu sterben

Der Einfluss des Todes auf das Leben

Jeden Tag gut inszenieren

Etwas nicht zu besitzen macht es wertvoll

10 Denken, ja – aber was ist das eigentlich? Oder: Traut euch, über das Denken zu denken

Woher wissen wir, dass wir richtig denken?

Vier grundsätzliche Fehler beim Denken

Gut, wenn viele trotzdem selbst denken

Der andere als Quell der eigenen Kreativität

Vier Anregungen für ein besseres Denken

Dank

Anmerkungen

Register

Vorwort

Manchmal leitet uns unser Denken auf Umwege und wir benötigen ganz schön viel Durchhaltevermögen, bis uns das Leben dann doch wieder zur Glückseligkeit führt. Ein ziemlich deutliches Beispiel finden wir bei Voltaires Candide: »Bedenkt doch: Hätte man Euch nicht der Liebe zu Fräulein Kunigunde wegen mit derben Tritten in den Hintern aus einem schönen Schlosse gejagt, hätte Euch nicht die Inquisition verhaftet; hättet Ihr nicht ganz Südamerika zu Fuß durchwandert; hättet Ihr dem Baron keinen gewaltigen Degenstich verpasst; hättet Ihr nicht Eure Lamas in dem wunderbaren Lande El Dorado bis zum letzten verloren – so säßet Ihr jetzt nicht hier und äßet Pistazien und kandierte Zitronenschalen.«1

Puh, all diese fürchterlichen Ereignisse, nur um als Belohnung hinterher Pistazien zu essen? Ja, aber so tickt nun einmal Doktor Pangloss, der getreu dem Motto von Leibniz meint, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Doch sein vom Schicksal geplagter Schüler ist mittlerweile von dieser Idee geheilt:

»Sehr wohl gesprochen«, antwortet Candide. »Aber wir müssen unseren Garten bestellen.«

Damit hält er seinem Lehrer ein anderes Rezept zur Glückseligkeit entgegen, nämlich sich nicht mehr um die großen philosophischen Erklärungen zu kümmern, sondern im Kleinen zu handeln. Denn das ist es offenbar nach Candides Meinung, worauf es eigentlich im Leben ankommt.

Und genau darum geht es auch in unserem Buch: nicht um die großen, komplizierten, abgehobenen Denkprozesse, sondern um das, worum es beim Denken geht. Denn das Denken ist gar kein Wert an sich, sondern nur eine Dienstleistung für das Handeln. Nur das Handeln macht uns satt, verschafft uns ein Dach über dem Kopf oder einen Partner beziehungsweise eine Partnerin für unser Bett. Und für das richtige Handeln ist es völlig egal, auf welche Art wir zu der Erkenntnis gelangen, was wir zu tun haben. Die Natur hat uns hier im Laufe der Jahrmillionen verschiedene Werkzeuge mitgegeben. Sich zu trauen, all diese Werkzeuge zu nutzen, ist das, wofür wir mit unserem Buch die Augen öffnen möchten.

Der Roman Candide von Voltaire ist eine Persiflage auf die »beste aller möglichen Welten«, und unser Buch persifliert das explizite, vernunftgeleitete, logische Denken … und zwar deswegen, weil es nur einen Teil des Ganzen ausmacht. Wir in unserer westlichen Welt denken monokausal, alles muss eine Ursache haben, dabei kann es doch auch sein, dass alles miteinander zusammenhängt. In der Wissenschaft jedoch, als dem Heiligen Gral des Denkens, versuchen die Menschen, es richtig zu machen, die eine Ursache zu finden, Versuche durchzuführen, Ideen nachvollziehbar darzustellen, Hypothesen aufzustellen, Denkfehler zu vermeiden, sich vom Kleinen zum Großen vorzuarbeiten, ein Problem in Teile zu zerlegen … und oft genug funktioniert das alles auch. Aber viel öfter noch funktioniert es nicht.

Wie es funktioniert, dazu gibt es viele Möglichkeiten. Archimedes kam seine Heureka-Idee in der Badewanne und nicht am Schreibtisch. Dem deutschen Chemiker August Kekulé erschien die Struktur des Benzolrings im Traum als eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Steve Jobs hat Apple in einer Garage gegründet. 80 Prozent eines Therapieerfolges ist auf die Persönlichkeit der Therapeutin oder des Therapeuten zurückzuführen, ungeachtet der angewandten Methode. Und um statistische Zusammenhänge zu begreifen, fehlt uns der dazu notwendige Sinn, sodass wir uns von tatsächlichen wissenschaftlich ausgedrückten Ergebnissen sowieso in die Irre führen lassen.

Also wird es Zeit für ein Buch, in dem einmal all die anderen Denkbereiche aus der Versenkung geholt werden. Wie wäre es denn damit, dass Vergessen notwendig ist für das Denken, ebenso wie die Intuition, die Langeweile, der Zufall, das Vorurteil? Wie wäre es damit, dass unser logisches Denken, auf das wir uns so viel einbilden, nur in einer Hirnhälfte beheimatet ist, und wenn wir dieses auch noch auf das bewusste Denken reduzieren, dann ist es vielleicht nur 1 Prozent der Hirnleistung, die wir dafür zur Verfügung haben? Der Großteil unserer Denkaktivität findet im dunklen und verborgenen Bereich statt, und wir bekommen nur die Ergebnisse mitgeteilt. Und diese können sowohl in einem logischen Zirkelschluss bestehen, wobei uns auch hier die genauen Denkvorgänge nicht bewusst sind, als auch in einem plötzlichen Wissen wie »Die Krone muss ins Wasser getaucht werden« (Archimedes), »Die Benzolstruktur ist ein Ring« (Kekulé) oder »Eine einzelne abgeschossene Atomrakete ist nicht der erwartete Angriff, sondern ein falscher Alarm« (Stanislav Petrow, siehe Kapitel 1). All dies sind solche Ergebnisse eines nichtexpliziten »dunklen« Denkens.

Ein neues Denken beruht also darauf, all die »I-bah«-Funktionen unseres Gehirns mit einzubeziehen. Traut euch, Neues auch auf ungewöhnlichen Wegen zu entwickeln. Nicht monokausal, sondern gestalthaft. Den Garten des Denkens zu bestellen, ungeachtet dessen, ob es irgendwo eine bessere, vollkommenere Art des Denkens geben mag. Traut euch zu denken … auch wenn die Denkweise unvollkommen ist, auch wenn wir nicht alles wissen und uns unserer Unvollkommenheit bewusst sind – und auch wenn wir vermuten, dass die Ergebnisse unseres Denkens sowieso irgendwann überholt sein werden. Auch das ist ein Thema unseres Buches. Aber auch hier bleiben wir noch nicht stehen.

Es geht schlussendlich darum, komplementär zu denken. Nicht nur den einen Denkweg zu gehen, sondern immer auch den entgegengesetzten. Klingt vielleicht komisch, aber genau so funktioniert unser Denkvermögen.

An der Universität München stellen in unseren Lehrveranstaltungen für Medizinische Psychologie die Studierenden, angehende Ärzte, immer wieder diese Frage: Wie reagieren wir eigentlich, wenn uns später einmal ein Patient ein Problem schildert? Ist es dann am besten, wir versetzen uns in die Lage des Patienten, versuchen, ihn zu verstehen, und entwickeln Empathie und Mitgefühl? Oder ist es besser, wir bleiben bei uns selbst, analysieren die Situation des Patienten und geben dem Hilfesuchenden aus einer anderen Perspektive heraus Hilfe? Also mit anderen Worten: Helfen wir dem Patienten aus einer Innen- oder einer Außenperspektive heraus?

Die Antwort von erfahrenen Ärzten und Therapeuten lautet hier: »Sowohl als auch.« Sowohl Anteil nehmen als auch vom eigenen Wissen und den eigenen Erfahrungen her sprechen. Also sowohl Innen- als auch Außenperspektive einnehmen, was übrigens nicht gleichzeitig gelingt, sondern nur nacheinander und abwechselnd geschehen kann.

Oder wie ist es während eines Sexualaktes? Ist es besser, in der Sache zu verweilen, die Atmosphäre und die Emotionen zu genießen? Oder ist es besser, mit offenen Augen zu handeln und zu überlegen, wie der Akt dramaturgisch weitergeführt werden kann? Also genießen oder planen? Auch hier kann die Antwort nur lauten: »Sowohl als auch.« Sowohl Hingabe als auch Strategie sind gefragt. Aber das kann übrigens ebenfalls nicht gleichzeitig geschehen, sondern nur nacheinander.

Weitere Überlegungen dieser Art lauten: Sind wir in unserer Identität statisch oder gleichzeitig auch dynamisch? Sollen wir uns also besser auf unsere bestehende Identität beziehen, auf das, was uns von uns selbst bekannt ist, oder sollen wir uns auf neue Erlebnisse einlassen?

Es ist alles stets komplementär. Die Zeit ist sowohl kontinuierlich also auch hüpfend und springend. Eine Entscheidung generiert sich sowohl aus dem expliziten als auch aus dem impliziten Wissen. Wenn wir anderen Menschen etwas vermitteln wollen, müssen wir sowohl die Form wahren als auch für einen überzeugenden Inhalt sorgen.

Auch das Gegensatzpaar Kreativität und Logistik bedingt sich gegenseitig. Wenn wir der Kreativität das Neue, das noch nie Gedachte zuordnen und der Innovation die Anwendbarkeit des Neuen, die Logistik, etwas im Markt einzuführen, so gilt auch hier: Beides ist notwendig. Das Kreative allein könnte ein Sturm im Wasserglas sein, nur das Logistische im Blick zu haben bedeutet hingegen, alles Lebendige wird von vornherein eingefroren. Erst wenn wir beides im Blick haben, kommt es zu einer Innovation.

Ganzheitlich betrachtet, ist alles Denken immer komplementär zu sehen. Komplementarität ist ein Lebensprinzip und nicht nur eine Anschauungsweise. Der Unterschied? Komplementarität als Anschauungsweise bedeutet, dass wir wissen, neben Schwarz gibt es Weiß, neben Arm gibt es Reich, und neben dem Bewussten gibt es das Unbewusste. Komplementarität als Lebensprinzip aber bedeutet, dass die Gegensätze zusammengehören. Dass sie nicht nur gegensätzliche Sichtweisen sind, sondern dass sie sogar beide richtig sind. In der Monade aus Yin und Yang wird es symbolisiert: Zum Schwarzen gehört das Weiße, zur Erde gehört der Himmel, und in jedem ist jeweils ein versprengter Teil des anderen. Die Gegensätze sind so untrennbar miteinander vereint wie die eine Seite eines Blattes mit der anderen. Das eine kann nicht existieren ohne das andere. Man kann nicht nur mit einer Hand Beifall klatschen.

Und so denken wir das auch mit dem expliziten und dem impliziten, mit dem bewussten und dem unbewussten Denken. Wir können uns gar nicht entscheiden, ob wir entweder bewusst oder unbewusst denken, weil nur beides zusammen zu einer Lösung führt. Oder ob wir bei moralischen Prinzipien besser die Innen- oder die Außenperspektive verfolgen, weil es dabei am besten darum geht, gleichzeitig das Urteil der anderen und das eigene im Auge zu behalten.

Es geht gleichzeitig darum, eine rationale Beurteilung der Sachverhalte vorzunehmen und uns als empathische Wesen nicht zu verstecken. Oder wie es der römische Geschichtsschreiber Tacitus einmal gesagt hat: etwas sowohl im nüchternen als auch im berauschten Zustand zu beurteilen.

Komplementarität ist ein generatives Prinzip: Vorgänge des menschlichen Erlebens und Verhaltens, Prozesse des menschlichen Gehirns, erklären sich nach diesem Prinzip. Es müssen immer mindestens zwei Prozesse zusammenkommen, damit sich unsere subjektive Welt aufbauen kann, so zum Beispiel das genetische Repertoire und seine Bestätigung durch Umwelteinflüsse.

Die Idee der Komplementarität als generatives oder kreatives Prinzip ist nicht etwas Neues, sondern sie wurde schon zu Beginn unserer Geistesgeschichte entdeckt. Es war der griechische Philosoph Heraklit vor etwa zweieinhalbtausend Jahren, der zuerst über Komplementarität als generatives und nicht als deskriptives Prinzip nachdachte. Heraklit hatte die Idee, dass alles eins sei, dass Gegensätze zusammenfallen: Das eine ist nie ohne das andere: wie Leben und Tod, Wachen und Schlafen, Entstehen und Vergehen, Alt und Jung, Männlich und Weiblich, Gut und Böse oder Lust und Schmerz. Die Welt der Gegensätze wird harmonisch zusammengebunden, indem sich die Pole, die sich entgegenzustehen scheinen, gegenseitig bedingen. Und es sind Komplementaritäten, die unser Erleben und Verhalten erst möglich machen, die das erzeugen, was unser geistiges Leben bestimmt.

Und so zeigen wir in diesem Buch den anderen, den vergessenen Teil unserer Denkprozesse auf, der komplementär zu seinem Gegenteil wichtig ist. Wenn wir also in einem Kapitel über die Wichtigkeit des Vergessens schreiben, dann meinen wir damit natürlich auch, dass das Nichtvergessen ebenfalls wichtig ist. Oder wenn wir über Vorurteile schreiben, dann meinen wir, dass das Nichtexistieren von Vorurteilen genauso von Belang ist. Doch den zweiten Teil, die andere Seite der Medaille, kennen wir schon. Deswegen heben wir den ersten Teil in diesem Buch hervor.

Auch dieses Buch ist komplementär entstanden, unser Autorenduo besteht aus einem männlichen und einem weiblichen Part, aus einem theoretischen Forscher und einer praktizierenden Therapeutin, und dann auch noch aus einem jüngeren und einem älteren Wesen. Doch wir haben den Eindruck, dass genau diese Mischung den Erfolg unserer Bücher ausmacht. Nur an manchen Stellen wirkt das Autorenduo ein bisschen sperrig, nämlich dann, wenn wir aus unserer jeweiligen Erfahrungswelt berichten und dann nicht von einem gemeinsamen »Wir«, sondern etwas gestelzt von Ernst Pöppel oder von Beatrice Wagner schreiben müssen.

1Traut euch, intuitiv zu denken

Nach mehreren Enttäuschungen in Liebesangelegenheiten beschloss ein junger Mann, nennen wir ihn einmal Viktor, es diesmal ganz anders anzugehen, nämlich logischer und überlegter, um von vornherein die häufigsten Trennungsgründe auszuschließen. Als ihn seine neue Finanzberaterin Simone begrüßte, konnte Viktor zwar nicht von Liebe auf den ersten Blick sprechen, doch er zog sie näher in Betracht. Hübsch war sie schon, zudem groß, schlaksig und sicher keine, die den Männern nur den Kopf verdrehen wollte. Mit den vorherigen Freundinnen war Zukunftsplanung nicht möglich gewesen, Simone hingegen wirkte gradlinig. Das Gerede über Diäten war ihm zuwider, doch eine bereits schlanke Frau wird ja wohl keine Diät mehr brauchen. Mit Geld sollte sie umgehen können, wer könnte das besser als jemand von der Bank? Wer Ordnung in seinen Finanzen hält, ist zudem ja wohl insgesamt ein ordentliches Wesen. Ein Jahr später nahm Simone seinen Heiratsantrag an.

Und heute, fünfzehn Jahre später? Jetzt ist die Welt ganz anders: Mit Diäten hat Simone in der Tat nichts am Hut, im Gegenteil, das Ganze schlägt doch sehr in eine andere Richtung um. Das Gradlinige ist nur noch bissig. Ihre Ordentlichkeit ist im Kaufrausch erstickt. Streit und Ernüchterung sind zwischen ihnen an der Tagesordnung. »Was stimmte an meiner Kriterienliste nicht?«, fragt sich Viktor wehmütig.

Nun gut, die Liste stimmte sicher, aber sie war nicht vollständig. Denn Viktor hatte sich ausschließlich auf sein bewusstes Wissen verlassen. Auf dieses berufen wir uns in unserer kopfgesteuerten hochbeschleunigten Gesellschaft, die versucht, alles berechenbar zu machen, und in der sich der Einzelne nichts mehr zutraut. Das sehen wir an den Kriterien für die Partnerwahl genauso wie an den Multiple-Choice-Fragen für Bewerber eines Studiengangs für Medizin. Doch der Bereich für das bewusste Wissen macht nur vielleicht 1 Prozent unseres Gehirns aus. Der meiste Anteil der restlichen 99 Prozent ist für andere Anteile unserer Langzeit-Wissensspeicher vorgesehen. Das ist zum einen all das, was zum unbewussten Wissen gehört, nämlich Kenntnisse und Steuerungsmechanismen, die wir brauchen, um als Menschen zu funktionieren, die uns aber nicht bewusst werden. Und zum anderen gehört dann das bildhafte Wissen dazu. Es umfasst unser Vorstellungsvermögen genauso wie unser episodenhaftes Erinnerungsvermögen. Letzteres ist deswegen bedeutsam, weil es in der Erinnerung stark mit Emotionen verknüpft ist. Kaum ein Bild aus unserem Leben, das wir eingespeichert haben, ist banal, fast jedes hat eine emotionale Bedeutung für uns. Nun kann man sich vorstellen, dass wir uns anders entscheiden, wenn etwa unser episodisches Gedächtnis mit einbezogen und berücksichtigt wird, weil wir dann natürlich subjektiver und persönlicher entscheiden, als wenn wir eine Kriterienliste erstellen. Dass Letzteres nicht funktioniert, musste auch schon Charles Darwin erkennen, der ähnlich wie Viktor zunächst objektiv ans Werk ging und sich dann aber die Ergebnisse seiner Berechnungen doch so hinbog, wie es ihm unbewusst offenbar von Anfang an suggeriert wurde. Auch bei ihm ging es ums Heiraten.

Mit diesem Thema hatte sich Charles Darwin nach dem Ende seiner berühmten Forschungsreisen mit der »Beagle« befasst. Viel Aufmerksamkeit hatte er bis dahin den Frauen noch nicht entgegengebracht. Jetzt aber hatte es seine Cousine Emma Wedgwood dem bald Dreißigjährigen angetan. Um sich über die Vor- und Nachteile einer Heirat Klarheit zu verschaffen, katalogisierte er seine Gefühle und Motive in einer zweispaltigen Tabelle. Auf die eine Seite schrieb er »Heiraten«, auf die andere »Nicht-Heiraten«. Unter Heiraten merkte er positiv an, »eine ständige Gefährtin und Freundin im Alter« zu haben. Jemanden, der sich für einen interessiert. Jemanden zum Liebhaben. Besser als einen Hund. Eigenes Heim und jemanden, der den Haushalt führt. Charme von Musik und weiblichem Geplauder. »Diese Dinge sind gut für die Gesundheit«, hielt er fest. Allerdings stand da auch ein Nachteil: »dass mit der Hochzeit Verwandte hinzukommen. Verwandte zu besuchen – eine schreckliche Zeitverschwendung.« In der Spalte »Nicht-Heiraten« listete er demzufolge auf: »die Freiheit, hinzugehen, wohin man will, und die Gesellschaft kluger Männer in Clubs«, aber auch »keine Kinder, kein zweites Leben also. Niemand, der sich im Alter um einen kümmert.«2

Und was nun? Er hatte so wissenschaftlich mit seiner Entscheidungsfindung begonnen, wie aber sollte er nun diese sehr unterschiedlichen Vor- und Nachteile gewichten? Am Ende gab dann doch sein eigentlicher Wunsch den Ausschlag, den er nachträglich zu rationalisieren versuchte: »Mein Gott, es ist unerträglich, sich vorzustellen, dass man sein Leben wie eine geschlechtslose Arbeitsbiene verbringt. Stell dir den ganzen Tag vor in einem schmutzigen Haus. Halte das Bild einer sanften Frau dagegen. Also: Heiraten, heiraten, heiraten.« Und er schloss wie ein Mathematiker nach einer Beweisführung mit dem berühmten Abschlusssatz »Qed – Quod erat demonstrandum«, was nur selbstironisch gemeint sein konnte, denn von einer expliziten, das heißt sprachlich ausdrückbaren Beweisführung war er ja weit entfernt. Stattdessen hat er sich auf sein intuitives Wissen bezogen, das genauer als seine Tabellen wusste, was gut für ihn ist.

Intuition: Das blitzartige Erkennen

Der Begriff »Intuition« wird erstmals in der altgriechischen Philosophie gebraucht und beschrieb damals eine Art des Erkennens. Er wurde für das blitzartige Erfassen des ganzen Erkenntnisgegenstandes benutzt. Das Gegenteil der Intuition war das partielle Erkennen, bei dem Teilaspekte des Ganzen betrachtet werden. Dies war die Basis für die spätere Unterscheidung zwischen Intuition und Ratio.

Bis in das letzte Jahrhundert hinein blieb die Intuition ausschließlich in der Philosophie angesiedelt. Dies änderte sich mit dem Aufkommen der Psychologie im 20. Jahrhundert, von ihr wurde die Intuition als eine Form des Denkens beschrieben. Wie genau diese aber aussehen sollte, war lange nicht klar. Der Begriff wurde unspezifisch für alle nichtanalytischen Arten zu denken benutzt. Sie erscheint einem wie ein Gedankenblitz oder ein Bauchgefühl, das beispielsweise sagt: »Heiraten, heiraten, heiraten …«, wobei die Herkunft dieses Wissens für uns im Dunkeln liegt. Was passiert da im dunklen Bereich unseres Wissens? Damit hatte sich in einer grundlegenden Arbeit der Neurologe Rüdiger Ilg befasst, als er im Jahr 2005 im Klinikum rechts der Isar mithilfe eines Hirnscanners untersuchte, welche Bereiche unseres Gehirns bei einer intuitiven Eingebung aktiviert werden.

Ilg hatte zunächst mit freiwilligen gesunden Versuchspersonen einen Sprachtest durchgeführt und die Aktivierung des Gehirns während der Antworten mit einer funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen. Mit einer fMRT lassen sich aktive Zentren im Gehirn sichtbar machen. Die Probanden bekamen die Aufgabe, spontan zu entscheiden, ob zwischen drei vorgegebenen Wörtern eine Gemeinsamkeit besteht. Als spontan wurden solche Antworten gewertet, die innerhalb von drei Sekunden gegeben werden, denn innerhalb dieses Zeitfensters ist ein explizites Durchüberlegen nicht möglich. Die vorgegebenen Wörter lauteten beispielsweise »grün, hoch, Ziege« oder »Berg, Schere, weiß«. Die Probanden mussten schnell entscheiden, ob die Wörter zusammengehören und für sie ein Bild ergeben (Antwort A). Oder ob die Wörter zusammengehören, ohne dass der Proband weiß, warum (Antwort B). Oder ob sie nicht zusammengehören (Antwort C). Zu den genannten Beispielen meinten die meisten Probanden, dass die Dreierkombination »grün, hoch, Ziege« ein Bild ergäbe, und sahen vor ihrem geistigen Auge Ziegen, die auf der Wiese einer Hochalm weideten. Auf die Kombination von »Berg, Schere, weiß« hingegen antworteten die Probanden, dass diese Wörter nicht zusammengehörten. Sie ließen sich nicht zu einem schlüssigen Bild vereinen.

Ilg interessierte nun, welche Hirnbereiche an den unterschiedlichen Antworten beteiligt waren. Vor allem interessierte ihn der Vergleich zwischen Antwort A (»Die Wörter gehören zusammen, und sie ergeben ein Bild«) und Antwort B (»Die Wörter gehören zusammen, aber ich weiß nicht, warum«). Und tatsächlich: Die fMRT zeigte Unterschiede. Bei Antwort A wurden vornehmlich Areale der linken Gehirnhälfte aktiviert. Hier ist das logische analytische Denken angesiedelt, das auf dem expliziten oder semantischen Gedächtnis beruht. Auf diese Bereiche haben wir mit unserem Bewusstsein Zugriff. Das Ergebnis war zu erwarten, weil die Probanden ja ihre Antwort begründen konnten. Das heißt, sie haben diesen Teil des Gehirns angestrengt und aus den drei einzelnen eine gemeinsame Schlussfolgerung gezogen.

Wenn die Probanden hingegen mit B geantwortet haben, kam es zur Aktivierung von drei ganz besonderen weiteren Arealen, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind. »Die Areale, die wir gefunden haben, besitzen eine assoziative Verknüpfungsfunktion im Gehirn. In ihnen laufen Informationen aus verschiedenen Hirnarealen zusammen«, erklärte Ilg.3 Und hier kommen wir der Ergründung der Intuition näher. Die Ergebnisse aus der fMRT bedeuten nämlich, dass bei intuitiven Entscheidungen solche neuronalen Zentren im Gehirn beteiligt sind, die nach einem Muster hinter den Begriffen suchen. Das sind sogenannte »assoziative Zentren«. Diese werden aktiviert, wenn die Antwort nicht sofort aus dem bewussten Wissen abzurufen ist. Dann werden intuitive Entscheidungsprozesse angeregt, bei denen das Gehirn nur untersucht, ob sich die einzelnen Bestandteile des Sprachtests irgendwie »überlappen« und so eventuell zu einem gemeinsamen Muster gehören. Ist das der Fall, gibt es uns das Ergebnis als »Bauchgefühl« kund, das in diesem Fall ja »sagt«. Intuition ist also eine bildhafte Angelegenheit.