Trinity - Brennendes Verlangen - Audrey Carlan - E-Book

Trinity - Brennendes Verlangen E-Book

Audrey Carlan

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Beschreibung

Wie viel Schmerz hält die große Liebe aus? Der fünfte Band der Trinity-Serie Der Mann, der ihre Freundin Gillian Callahan töten wollte, hat Kathleen Bennetts Leben zerstört: Bei dem Brand, den er gelegt hat, wurde sie so schwer verletzt, dass sie den Arm und die Hand nie mehr wird benutzen können. Die talentierte Schneiderin muss sich vom Traum einer Karriere als Modedesignerin verabschieden. Carson Davis, der Mann, der sie liebt, versucht alles, um ihr in ihrer Verzweiflung zu helfen. Doch Kathleen weist ihn ab. Immer wieder – und einmal zu oft. Sie muss aus eigener Kraft zurück ins Leben finden. Doch wer weiß, ob sie am Ende dieser Reise ihre große Liebe Carson wiedertrifft … Die neue Serie von der Autorin des Mega-Bestsellers Calendar Girl!

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Das Buch

Der Mann, der ihre Freundin Gillian Callahan töten wollte, hat Kathleen Bennetts Leben zerstört: Bei dem Brand, den er gelegt hat, wurde sie so schwer verletzt, dass sie den rechten Arm und die Hand nie mehr wird benutzen können. Die talentierte Schneiderin muss sich vom Traum einer Karriere als Modedesignerin verabschieden. Carson Davis, der Mann, der sie liebt, versucht alles, um ihr in ihrer Verzweiflung zu helfen. Doch Kathleen weist ihn ab. Immer wieder – und einmal zu oft. Sie muss aus eigener Kraft zurück ins Leben finden. Doch wer weiß, ob sie am Ende dieser Reise ihre große Liebe Carson wiedertrifft ...

Die Autorin

Audrey Carlan schreibt mit Leidenschaft heiße Unterhaltung. Ihre Serie »Calendar Girl« stürmte auf Anhieb die Bestsellerlisten in den USA wie auch in Deutschland und wird als das neue »Shades of Grey« gehandelt. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kalifornien.

AUDREY CARLAN

TRINITY

Band 5

BRENNENDESVERLANGEN

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christiane Sipeer

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1487-7

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage September 2017

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017

© 2015 Waterhouse Press, LLC

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Trinity – Fate

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: © FinePic®, München

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für meine Seelenschwester Carolyn Beasley.Ohne dich gäbe es keineKathleen Bennett.Zum Ende dieser Seriewünsche ich mir von ganzem Herzen,dass du wie Katdein Happy End bekommst.In ewiger Liebe und Freundschaft.

BESOS

Bound – Eternally – Sisters – of – Souls

KAPITEL 1

KATHLEEN

Unerfüllte Wünsche hinterlassen ein Gefühl der Traurigkeit. Nach dreißig Jahren auf dieser Erde habe ich mehr zu betrauern, als ich an Fingern und Zehen abzählen kann, und das meiste davon hat mit einem einzigen Mann zu tun. Den ich verjagt habe. Jetzt bin ich allein. Ohne Mann, ohne Kinder, ohne Hoffnung auf mehr.

Es heißt, Einsamkeit sei eine Entscheidung, und wahrscheinlich stimmt das auch. Menschen schwirren in mein Leben herein und wieder hinaus wie summende Bienen und bedienen sich so lange an meinem süßen Nektar, bis nichts mehr übrig ist und ich mich leer fühle. Diese Lücke hat er einmal mit Freude gefüllt, mit Lachen und mit etwas, was ich für Liebe gehalten habe. Ich habe sogar daran geglaubt. Bis es fort war. Jetzt existiert nur noch eine leere Schale, die Hülle der Frau, die ich einmal war. Eine Frau, die ich so gern wieder sein würde.

Mein Therapeut meint, dass ich wegen des Brandes im Theater und der Verletzungen, die ich dabei erlitten habe, unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, und vielleicht hat er recht. Die Menschen um mich herum scheinen die Lösung für meine Probleme zu kennen, aber ich bin es, die in der Hölle gefangen ist. Die jede Nacht aufwacht, weil der Schmerz mir in die Seite, durch den rechten Arm und in die Fingerspitzen schießt. Dann wird mir jedes Mal aufs Neue bewusst, wie allein ich wirklich bin. Kein Mann wird neben mir wach, hält mich im Arm, flüstert mir liebe Worte ins Ohr, bis ich friedlich wieder einschlummere.

Die Zeiten, als ich darauf bauen konnte, dass ein Mann mich voller Wärme umarmt, sind vorbei. Eines der vielen Dinge, die ich betrauere. Trotzdem würde ich meine Entscheidung nicht rückgängig machen. Ohne mich ist er besser dran. Zumindest ohne die kaputte, leere Hülle, die ich jetzt bin.

Aber darauf kommt es eh nicht an. Er hat mich schon nicht geliebt, als ich körperlich und geistig perfekt war. Jetzt könnte er mich erst recht nicht lieben. Warum schaffe ich es dann nicht, ihn zu vergessen? Ihn aus meinem Kopf, meinem Herzen und meinem Leben zu verbannen. Wieso hängt mein Glück von jemandem ab, der nicht mehr da ist?

Drei Jahre sind eine lange Zeit, um jemandem hinterherzutrauern, den man absichtlich aus seinem Leben vertrieben hat. Drei lange Jahre voller Verbrennungsbehandlungen, Transplantationen, Reha und Therapie. Therapie. Was für ein Witz. Dr. Madison kann mir nicht helfen. Nichts und niemand kann das. Jeder neue Eingriff weckt in mir die Hoffnung, dass ich wieder so aussehen kann wie vor dem Abend, an dem sich mein ganzes Leben veränderte. Und dass ich mich dann wieder wie früher fühle. Aber so ist es nie. Manchmal bekomme ich ein paar glattere Hautstellen. Einige Narben weniger hier, dafür einige neue da. Die Transplantationen hinterlassen ebenfalls Narben, wenn auch weniger auffällige. Trotzdem bin ich nicht mehr ich.

Kathleen Bennett, die echte Kat, wurde in dem Feuer bildlich gesprochen zu Asche verbrannt. Alles, was mich ausmachte, was mich zu der Frau machte, auf die ich stolz war – unbeschwert, verliebt in das Leben, verliebt in Carson Davis … Diese Frau ist gestorben. An ihre Stelle ist eine verbitterte, vernarbte Frau getreten, die Komplexe hat und sich am liebsten in Luft auflösen würde.

Vielleicht sollte ich verschwinden und jemand anderes werden. Aber sie könnte ich niemals verlassen. Meine Seelenschwestern sind mein Lebensnerv. Sie sind die Wurzeln, dank derer ­dieser Baum hier zu etwas werden konnte, auf das ich einmal stolz war. Jetzt kommt mir dieser Baum meines Lebens vor wie eine verschrumpelte Masse aus abgestorbenen Blättern und dürren, hässlichen Ästen. Trotzdem reichen die Wurzeln, die mich mit diesen drei Frauen verbinden, tiefer, als Außenstehende es sich vorstellen können. Unsere Verbindung ist aus Liebe, Lachen, Entbehrungen, Not, Schmerz und Wiedergeburt erwachsen. Meine Seelenschwestern verstehen mich, selbst mein neues, verkorkstes Ich. Und sie versuchen, den Menschen wieder zum Vorschein zu bringen, der ich einmal war – und der sich unter den Wunden verbirgt.

Jetzt sind drei Jahre vergangen und ich habe diesen Menschen noch nicht gefunden. Ich fürchte, das werde ich auch nicht mehr.

»Kathleen, bist du fertig?«, ertönt die Stimme, auf die ich mich inzwischen voll und ganz verlasse. Der einzige Mensch, dem gegenüber ich völlig ehrlich sein kann. Chase Davis, der Mann meiner Seelenschwester Gillian, klopft an meine Schlafzimmertür. »Bist du angezogen? Wenn du nicht fertig bist, kommen wir noch zu spät.«

»Immer mit der Ruhe. Und ja, ich bin angezogen. Komm rein.« Ich seufze und puste mir gegen den Pony in meiner Stirn. Ist im Grunde völlig egal. Mich schaut eh keiner an. Und wenn doch, sieht er nur ein entstelltes Monster.

Chase tritt auf die Schwelle zum Zimmer und drückt die Tür weiter auf. Sein marineblauer Anzug sitzt ihm wie auf den Leib geschneidert. Dafür habe ich gesorgt. Meine neue Herrenmodekollektion nimmt langsam Gestalt an. Wenigstens diese eine ­Sache in meinem Leben läuft gut, und das, obwohl ich mit der rechten Hand nicht mehr anstellen kann, als in der Therapie ­einen Stressball zusammenzudrücken. Zugegeben, die Hand wird allmählich stärker, aber ich werde nie wieder die Feinarbeiten ausführen können, für die ich in meinem früheren Leben als Kostümbildnerin bekannt war. Der Zug ist längst abgefahren und er kommt auch nicht wieder.

»Kathleen, du stellst meine Geduld auf die Probe.« Chase hebt den Arm und tippt stumm auf seine Rolex.

Ich lächele und greife mit der linken Hand nach meiner Handtasche auf dem Nachttisch. »Und deine Frau und die Kinder nicht?«

Er runzelt die Stirn, aber seine Mundwinkel zucken nach oben. Chase muss immer lächeln, wenn er über Gillian spricht. Er kann nicht anders. Meine temperamentvolle, rothaarige beste Freundin und die süßen Zwillinge sind sein Ein und Alles, und er genießt jeden Augenblick mit ihnen.

Immer noch leicht lächelnd, spitzt er die Lippen. »Wie dem auch sei, wir müssen los, sonst bekommen wir die Testergebnisse nicht rechtzeitig. Ich bin schon gespannt zu erfahren, was diese neue Technologie zu bieten hat.«

Chase Davis, mein Optimist. Seit dem Brand im Theater hat er sich zum Ziel gesetzt, mich wieder hinzukriegen. Na ja, nicht nur mich, alle Seelenschwestern seiner Frau. Er fühlt sich persönlich dafür verantwortlich. Hat Bree sogar mit ihrem Yogastudio und Maria das erste Jahr mit ihrem Apartment geholfen, bis sie und Eli zusammenkamen. Aber für mich ist er noch mehr gewesen. Mein privater Held, auch wenn ich ihm das nie gesagt habe. Meistens tue ich so, als würde mich alles nerven, was Chase macht. Dann muss ich mir nicht eingestehen, was ich wirklich empfinde.

Erleichterung.

Er ist in einer Weise für mich da, die ich bei meinen Freundinnen nicht zulassen kann. Ich weiß nicht, wieso. Chase hat sich langsam, aber sicher an meiner zerstörten Seite festgesetzt, und ihm gestatte ich diese Invasion. Den Mädels nie im Leben. Sie sollen mich als die starke Frau sehen, für die sie mich halten. Die Illusion von Stärke ist so ziemlich das Einzige, was mir noch geblieben ist.

Am Anfang, als ich gerade aus der Verbrennungsklinik kam, habe ich Chase’ Hilfe abgelehnt und wollte alles allein schaffen. Bis ich merkte, dass ich es nicht konnte. Nach der zweiten Behandlungsrunde suchte er mich in meiner Bruchbude am anderen Ende der Stadt auf. Zum Glück. Er fand mich auf dem Boden liegend, unfähig, mich zu bewegen. Die Schmerzen in meinem Arm und der ganzen Seite waren unerträglich. Ich war immer wieder bewusstlos geworden. Später stellte sich heraus, dass sich eine der transplantierten Stellen entzündet hatte. Chase hob mich auf, brachte mich ins Krankenhaus und blieb dort, bis ich wieder gehen durfte. Bei meiner Entlassung erfuhr ich, dass Chase in der Zwischenzeit kurzen Prozess gemacht hatte. Er hatte mich gegenüber dem Gebäude einquartiert, in das eigentlich Maria einziehen sollte, nachdem ihr Ex ihre Wohnung verwüstet hatte. Letzten Endes brauchte sie das Apartment gar nicht, weil sie mit ihrem neuen Mann, Elijah Redding, zusammenzog.

Chase Davis, Milliardär, Alphamann und erbitterter Beschützer aller Menschen, die er zu seiner »Familie« zählt, hatte mein Leben in die Hand genommen. Er überließ mich nicht einfach mir selbst. Zu der neuen Wohnung gehörten auch ein paar nagelneue Krankenschwestern, die mehrmals am Tag vorbeikamen, um mir die Verbände zu wechseln, Masseure zur Muskeltherapie und wöchentliche Termine bei Dr. Madison, meinem Seelenklempner. Zu demselben Psychiater waren auch Gillian und Chase gegangen, während der Irre sie heimgesucht hatte, der Stalker, dem ich meine jetzige Situation zu verdanken habe.

»Ach Chase, die werden uns auch nichts Neues zu erzählen haben. Das Gewebe ist zu stark beschädigt. Sie hatten zu viele Operationen, Ms Bennett. Da ist nicht mehr viel, mit dem wir arbeiten können. Blablabla. Vielleicht noch ein paar mehr Tests, weitere Versuchsreihen …«, imitiere ich irgendjemanden und gestikuliere mit der gesunden Hand.

Chase fasst meinen Ellbogen, führt mich aus meiner Wohnung und schiebt mich in die Limo. Die ganze Zeit hält er mich unnachgiebig fest. Er ist verärgert. Na so was. Wie immer.

»Hey, Austin, wie geht’s?«, frage ich den Leibwächter, der die Tür der glänzenden schwarzen Stretchlimousine aufhält.

»Ganz hervorragend, Ms Bennett«, sagt er in seinem freundlichen Südstaatenakzent und nickt mir förmlich zu.

Ich kichere, steige in den Wagen und rutsche hinüber, um Chase Platz zu machen.

»Wo ist Jack?«, frage ich.

Chase richtet seine Manschettenknöpfe und zupft sich die Hemdsärmel zurecht. »Bei meiner Frau. Spielverabredung.«

Ich schnaube und huste gleichzeitig. »Du hast deine Frau und die Kleinkinder mit dem Linebacker zum Spielen geschickt?« Ich kann das Lachen kaum zurückhalten, das mir in der Kehle hochsteigt.

Chase dreht den Kopf zu mir, und eine dunkle cappuccino­farbene Haarsträhne fällt ihm hübsch ins Gesicht. Erinnert mich an die blonden Strähnen, die ich Carson immer aus der Stirn gestrichen habe. Chase’ blaue Augen halten meinen Blick fest. Eine Spur von Aufrichtigkeit funkelt in ihnen. »Das überrascht dich? Nach all den Jahren?«

Ich schüttele den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich meine ja nur. Seit Jahren wurde keiner von uns mehr bedroht, aber du benimmst dich, als wären wir immer noch im Belagerungszustand.«

Er schlägt die langen Beine übereinander. Seine schwarzen Lederschuhe von Salvatore Ferragamo sind perfekt poliert. Sogar seine Socken sind schick.

Socken. Hmm. Vielleicht sollte ich Socken zu den Anzügen anbieten, damit die Männer welche finden, die perfekt passen? Ich zücke mein Diktiergerät und schalte es ein. »Passende Socken zu den An­zügen. Stoffe und Farben für die aktuelle Kollektion aussuchen.«

Chase’ Mund zuckt, als er auf sein Handy schaut.

»Weißt du, du musst mich nicht zu diesen Terminen begleiten. Das ist nicht dein Job, und ich bin auch nicht mehr dein Wohltätigkeitsprojekt. Ich verdiene gutes Geld mit meinen Modeentwürfen, und das Geschäft mit Chloe hat meiner Karriere sehr geholfen.« Genau diese Diskussion hatten wir bestimmt schon zehnmal.

Er steckt sein Handy ein, seufzt laut und dreht sich zu mir. Dann legt er seinen langen Arm auf meine Rückenlehne. »Kathleen, du bist kein Wohltätigkeitsprojekt für mich. Du bist meine Freundin. Abgesehen von Carson meine beste Freundin.«

Carson. Schon allein den Namen meines Exfreundes, der Liebe meines Lebens, zu hören, lässt mich zusammenzucken.

»Außerdem will ich mein Versprechen halten«, fügt er feierlich hinzu.

Ich runzele die Stirn. »Versprechen? Wovon redest du? Das hast du nie erwähnt.«

Chase presst die Lippen zusammen und wendet sich wieder von mir ab. »Egal. Wir schauen nach vorne und kriegen das hin.«

Ich packe ihn am Oberarm. Hart wie Stahl. Meine Güte, der Mann trainiert wohl ordentlich. Er ist nicht so muskelbepackt wie Marias Eli, aber er ist auf jeden Fall gut gebaut und kann einer Frau ästhetisch und körperlich bestimmt sehr viel Freude bereiten. Und da er meine beste Freundin schon wieder geschwängert hat, kommt sie offensichtlich regelmäßig in den Genuss dieser Attribute. Die Glückliche.

»Erzähl mir von dem Versprechen.«

Chase fährt zu mir herum. »Vielleicht eines Tages. Aber jetzt hoffen wir erst mal das Beste …«

»Und rechnen mit dem Schlimmsten. Ja, ja, ich weiß. Das hast du die letzten drei Jahre sicher hundertmal gesagt. Trotzdem fällt es mir nicht leichter zu hören, dass ich für den Rest meines Lebens entstellt bleiben werde.«

Sanft drückt Chase meine rechte Hand und schließt die Augen. Es ist tröstlich, dass er keine Angst davor hat, mich zu berühren, auch wenn es nur platonisch ist, als wäre er mein Bruder. Wie die Mädels hat er keine Scheu vor meinen Narben und sieht mich auch nicht anders an als vorher. Aber er weiß natürlich, dass ich mich anders sehe, und das will er unbedingt in Ordnung bringen.

»Weißt du, eines Tages wirst du akzeptieren müssen, was uns passiert ist. Bree, Phillip, Maria, deiner Frau, deiner Mom und dir. Du kannst nichts dafür. Danny McBride war ein kranker, gestörter Mensch, der uns alle unwiderruflich verletzt hat. Aber er ist tot, Chase. Tot.«

Chase seufzt. »Genau wie Thomas, die Yogapraktikantin und noch viele mehr nach der Explosion im Fitnessstudio. Natürlich bin ich nicht schuld daran, dass er eine solche Besessenheit für meine Frau und ihre Freunde empfand, das ist mir klar, aber ich verstehe, warum er so war. Ich bin genauso besessen von Gillian. Ich würde alles für sie und unsere Kinder tun.«

Ich lächele, weil ich weiß, wie tief seine Zuneigung ist. »Liebe ist eine gesunde Form der Besessenheit, und davon hast du mehr als genug. Aber du kannst dich nicht für die Taten anderer verantwortlich machen.«

»Wenn ich ihn früher hätte aufhalten können …«, fängt er wieder an, aber diesmal unterbreche ich ihn, indem ich seine Hand drücke.

Er blickt auf unsere verschränkten Hände hinunter und grinst.

»Chase, hör auf …«

»Das habe ich gespürt«, sprudelt er los und schneidet mir das Wort ab. »Du hast mir gerade richtig heftig die Hand gedrückt!« Seine blauen Augen funkeln vor Aufregung.

Ich schaue nach unten und merke, dass ich ihn immer noch festhalte. Meine vernarbte Hand umklammert seine goldenen, makellos manikürten Finger.

Jetzt muss ich grinsen. »Das habe ich tatsächlich, oder?«

Er nickt. »Und wie. Siehst du, der Tag wird schon besser. Gillian wird sich freuen.«

Ich lasse seine Hand los, hebe den Arm und balle die Hand zur Faust. Die Haut spannt sich unnatürlich straff über den Vertiefungen und Erhebungen der transplantierten Stellen, aber ich schaffe eine komplett geschlossene Faust. Zum ersten Mal seit drei Jahren ist mir das gelungen.

»Meine Beweglichkeit hat sich verbessert«, sage ich atemlos.

»Anscheinend wirken die Medikamente, die das Gewebe, die Beweglichkeit der Gelenke und die Muskelkraft wieder aufbauen sollen. Das sind wirklich gute Neuigkeiten.«

***

Und es gab noch mehr gute Neuigkeiten. Der Arzt meinte, dass ich meine Beweglichkeit mit dem neuen Medikament in den letzten sechs Monaten um zwanzig Prozent gesteigert hätte. Vielleicht gewinne ich die feinmotorischen Fähigkeiten der Hand nie wieder völlig zurück, aber Dinge wie ein Glas Wasser halten, einen Teller in die Spülmaschine stellen oder ein Baby auf den Arm nehmen sind auf jeden Fall möglich – Dinge, die für die meisten selbstverständlich sind, die ich bisher aber nicht konnte. Jedes Mal, wenn ich Gillian oder Bree verscheuchte, weil sie mir ihre Kinder reichen wollten, musste ich an all das denken, was ich verloren hatte. Aber jetzt bekomme ich vielleicht doch noch eine neue Chance.

»Wahnsinn. Das müssen wir feiern.« Chase zückt sein Handy. »Baby, Kathleen hat tolle Nachrichten. Sag Bentley, dass er ein Abendessen für alle herrichten soll.«

Ich lege ihm die Hand auf die Schulter und schüttele den Kopf. »Heute Abend nur wir, okay? Ich will in den Mädels keine falschen Hoffnungen wecken.« Ich tätschele ihm den Unterarm.

Chase lässt die Schultern sinken. »Kommando zurück, nur ein Extragedeck. Ja, Kathleen erklärt es dir, wenn wir da sind. Nein, du sollst Maria und Bree nicht anrufen. Noch nicht zumindest. Ich weiß, dass sie sich auch über gute Nachrichten freuen würden, aber wir lassen Kat das Ganze so handhaben, wie sie es für richtig hält …« Er wirft mir einen Seitenblick zu.

Ich weiß, es stimmt ihn traurig, dass ich nicht feiern will. Es sind ja auch gute Neuigkeiten. Aber wir wissen noch nicht genug, um es schon weiterzuerzählen. Bree und Maria wären total aus dem Häuschen, wenn sie es hörten, und ich kann keine weitere Enttäuschung verkraften. Nicht jetzt. Nicht, wo Maria gerade geheiratet hat und voller Glück die Flitterwochenphase ihrer Ehe genießt, und Bree und Phillip sich ganz auf die Einrichtung ihres neuen Zuhauses konzentrieren.

»Erst mal nur Gigi, die anderen später. Okay?«, flüstere ich.

Chase nickt mir knapp zu und spricht wieder ins Telefon. »Wir sind gleich da.«

Als Chase aufgelegt hat, presst er sich Daumen und Zeigefinger an die Schläfen. »Kathleen, ich verstehe nicht, warum du dich von allen anderen abkapseln willst. Das tut nicht nur dir weh, es setzt auch meine Frau unnötig unter Druck. Und das in ihrem Zustand …«

»Ihrem Zustand? Sie ist schwanger, nicht todkrank«, erinnere ich ihn. »Außerdem ist es mein Leben, Chase. Meins. Nicht deins. Du gehst mit bestimmten Situationen vielleicht anders um als ich, aber diese Nachricht teile ich mit, wenn ich es will.«

Er seufzt. »Du hast jetzt fast drei Jahre damit verbracht, die Menschen um dich herum auf Abstand zu halten. Das habe ich auch schon durch, glaub mir. Es ist nicht nur ungesund, es macht dich unglücklich. Und genau das bist du. Das sehe ich jedes Mal, wenn ich dir in die Augen schaue. Er fehlt dir. Sie fehlen dir.« Seine Worte sind hart und schneidend, und sie treffen genau ins Schwarze.

Meine Lippen werden schmal, und ich knirsche mit den Zähnen. »Du hast kein Recht, ihn zu erwähnen. Du hast versprochen, dass du das nicht tust.«

»Tja, genau wie du verpfuscht er sich gerade das Leben.« Chase stößt einen langen Atemzug aus.

»Was meinst du damit? Was ist los mit Carson?«

Mein Herz fängt an wie wild zu rasen. Allein der Gedanke, dass etwas mit dem Mann, dem meine Seele gehört, nicht in Ordnung sein könnte, löst bei mir eine ausgewachsene Panikattacke aus. Ich atme ein und wieder aus und kämpfe gegen den Druck an, der sich in meiner Brust aufbaut und mein Herz Zentimeter für Zentimeter zusammenpresst.

Chase bemerkt meine Verzweiflung nicht, denn er starrt mit finsterem Gesicht aus dem Fenster.

»Wenn du ihn nicht verlassen und immer wieder abgewiesen hättest, wäre er niemals in diese Situation geraten. Das ist deine Schuld.«

Deine Schuld.

»Wie bitte?« Zu meiner Panik gesellt sich Zorn. Hell flammt er in mir auf und erstickt die Angst.

»Irgendwas stimmt nicht mit der Frau, mit der er gerade zusammen ist. Überhaupt nicht.« Chase schüttelt den Kopf.

Ich verdrehe die Augen. »Er hatte doch auch vorher was mit Frauen. Er wird genauso darüber hinwegkommen wie sonst.«

Chase schnaubt und spannt den Kiefer an, dass ein Muskel darin zuckt. »Da bin ich mir nicht ganz sicher.«

»Was soll denn an einer Frau, mit der Carson es treibt, so schlimm sein? Er hat viel Stehvermögen. Glaub mir, ich konnte mich ausführlich davon überzeugen.«

Mein Freund neben mir ballt die Hände auf den Knien zur Faust. »Ich sage es dir, Kathleen, ich habe ein schlechtes Gefühl.«

»Dann rede mit ihm.« Ich stöhne und winke ab. Das Thema zermürbt mich zusehends. Mir Carson mit einer anderen Frau vorzustellen ist, als würde ich mir absichtlich einen Pflock ins Herz rammen.

»Habe ich«, sagt er durch die zusammengebissenen Zähne. »Er weicht mir aus. Weicht jedem aus. Eigentlich verhält er sich genau wie du.«

Ich seufze lange und laut, um meiner Enttäuschung Luft zu machen. »Da kann ich auch nichts tun.«

Chase gibt ein verächtliches Geräusch von sich. »Natürlich kannst du. Du kannst mit dem Mist aufhören und deinen Mann zurücknehmen. Und jetzt tu nicht so, als sei er nicht der Richtige für dich, das ist Schwachsinn. Vor dem Brand im Theater wart ihr beide glücklicher als je zuvor.«

»Chase …«, warne ich. »Über die Vergangenheit nachzudenken macht die Zukunft auch nicht besser.«

»Das ist idiotisch, und das wissen wir beide. Sag mir, dass du ihn nicht mehr liebst.«

»Ich liebe ihn nicht«, sage ich, ohne zu zögern. Die Lüge habe ich mittlerweile so gut drauf, dass sie mir ohne den Hauch eines Gefühls über die Lippen kommt.

»Lügnerin«, erwidert er verärgert. »Es wird dir noch leidtun, dass du ihn nicht zurückgewonnen hast.«

»Das tut es schon«, gestehe ich mit langgezogenem Seufzen.

»Dann unternimm doch was.«

Niedergeschlagen betrachte ich meine kaputte Hand. Die gleiche Verwüstung zieht sich über meinen ganzen rechten Arm und die Schulter bis zum Brustkorb. Ich werde für immer schreckliche Narben haben. Die Transplantationsmöglichkeiten und Eingriffe zur Hautglättung sind ausgeschöpft. Die Ärzte haben getan, was möglich war. Jetzt geht es nur noch um Physiotherapie. Den Arm und die Hand wieder besser bewegen zu können. Die verschrumpelte Haut mit reichlich Lotion eincremen, damit sie weich und geschmeidig bleibt. Die Sonne meiden hilft, aber es lässt die Narben auch nicht verschwinden. Meinen Körper will kein Mann mehr berühren und seine Hände voller Leidenschaft darüber wandern lassen.

Ich schüttele den Kopf. Nein, Carson verdient es nicht, dass seine Augen mit dem Anblick belästigt werden, den ich jeden Tag im Spiegel ertragen muss. Mein Äußeres ist widerlich, und ich finde es besser, wenn Carson mich so in Erinnerung behält, wie ich gewesen bin. Schön, unversehrt und an Körper und Geist gesund.

»Nein. Er ist ohne mich besser dran. Ich kann nicht mehr sein, was ich mal war. Ich bin nicht mehr die Frau, die er gernhatte.«

»Das stimmt nicht. Du bist immer noch dieselbe Frau. Eine schöne, talentierte, gutherzige Frau, die einem Mann so viel zu bieten hat. Ich bin auch ein Mann. Und ich bin Carsons Cousin und bester Freund. Ich weiß, was er will und was er braucht – dich. Dein altes und dein neues Ich und auch dein zukünftiges. Vertrau mir. Deine Narben sind Nebensache. Wenn man jemanden liebt, werden solche Makel nur zu einem weiteren Grund, warum man diesen Menschen liebt. Gillians Dehnungsstreifen von unseren Kindern? Ich liebe sie. Ich küsse sie andauernd. Sie beweisen, dass meine Kinder dort waren. Mein Sohn und meine Tochter sind wegen dieser Narben am Leben. Ich ermutige Gillian, ihre Narben mit Stolz zu tragen.«

»Du bist keine Frau. Du verstehst das nicht.«

»Nein, ich bin ein Mann, der seine Frau liebt. Alles an ihr ist mein. Auch die Narben. Und Kathleen, Gillian hat viele Narben von vor meiner Zeit, die ich gern auslöschen würde, aber sie veranschaulichen den Weg, der sie zu mir und unserem gemeinsamen Leben geführt hat. Ihr sind diese Narben heilig, und mir beweisen sie, dass man manchmal durch die Hölle gehen muss, um den Himmel zu erreichen. Das hat Gillian mich gelehrt.«

»Die Liebe zwischen dir und meiner besten Freundin ist wunderschön, aber so war es zwischen Carson und mir nie.« Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter.

»Doch, irgendwann schon.«

Ich blinzele, schließe die Augen und lehne mich im Autositz zurück. »Siehst du, Chase, genau das stimmt eben nicht. Carson hat mich nicht geliebt. Er hat es nicht ein Mal ausgesprochen. Obwohl ich ihm ständig meine Gefühle offenbart habe.« Ich lache trocken. »Er hat sogar verlangt, dass ich es immer wieder tue. Er liebte es, diese berühmten drei Worte von mir zu hören. Dann hat er mich leidenschaftlich geküsst und noch mehr. Aber nicht ein einziges Mal hat er sie erwidert. Und wenn ich ihn gefragt habe, brachte er nur ein ›Ich kann nicht, bitte zwing mich nicht‹ raus. Da hast du’s.«

»Also hast du aufgegeben?« Chase’ Tonfall ist anklagend.

»Ja, nach allem, was ich ihm geben konnte, den ganzen Behandlungen, schmerzhaften OPs und langen Heilungsphasen … Wenn er mich vorher schon nicht geliebt hat, dann erst recht nicht hinterher. Ich bin ein kalkuliertes Risiko eingegangen und habe verloren. Ich habe ihn zurückgewiesen, doch er hat nicht ein einziges Mal die drei Worte über die Lippen gebracht. Ich habe ihn angebettelt, es zu sagen. Aber er hat nur geweint, ist zusammengebrochen und hat den Kopf geschüttelt. Ich kann nicht mit einem Mann zusammen sein, der mir nicht sagen will, dass er mich liebt.«

»Aber ich weiß, was Carson für dich empfindet.« Chase’ Stimme klingt leise und bestimmt.

»Worte, Chase. Ich muss die Worte hören. Er hat sie nicht gesagt. Und ich werde sie auch nicht mehr zu ihm sagen. Ich muss darüber hinwegkommen. Ist er ja offensichtlich auch.«

Chase seufzt und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. »Was kann ich tun?«

Ich lege meine Hand auf seine. »Es vergessen. So wie ich.«

»Ach ja?«

»Ja.« Eine fette Lüge ins Gesicht des nettesten, liebevollsten Mannes, den ich kenne.

»Du musst wirklich mit Dr. Madison über deine neue An­gewohnheit zu lügen reden. Ich kaufe es dir nicht ab und deine Freunde auch nicht. Aber spiel du nur dein Spielchen … fürs Erste. Heute haben wir gute Neuigkeiten, und das sollten wir ­feiern.«

Die Limo hält am Bordstein vor dem Gebäude von Davis Industries, in dessen oberster Etage Chase und Gillian wohnen.

»Na dann lassen wir mal die Korken knallen.« Ich setze ein falsches Lächeln auf. Das werde ich bei Gigi brauchen. Sonst macht sie sich Sorgen.

Chase hilft mir aus dem Wagen und führt mich durch das Gebäude zum Fahrstuhl.

Gillian wartet am Eingang mit Carter auf der Hüfte. Claire fliegt ihrem Vater sofort in die Arme, als er aus dem Aufzug steigt.

»Daddy! Daddy! Wir haben auch Neuigkeiten!« Sie greift nach Chase’ Gesicht und zwingt ihn, sie direkt anzusehen.

»Ach ja? Was denn, Schätzchen?« Er blickt Claire in die kristallblauen Augen. Ihre roten Locken sind den rotbraunen ihrer Mutter unglaublich ähnlich und hüpfen ihr um die Schultern. »Tante Ria sagt, ich krieg einen Bruder. Das geht nicht!«

Chase lacht. »Du warst doch nicht ohne mich beim Arzt, oder, Baby?«, fragt er Gillian.

»Nein. Aber ich habe mit Maria zu Mittag gegessen, und sie hat ihren Voodoo-Handtrick angewendet und gemeint, es wird ein Junge. Letztes Mal hatte sie recht, also wer weiß.« Gigi zuckt mit den Schultern.

»Noch ein Junge, hm?« Chase grinst und wirft sich stolz in die Brust.

»Tante Kitty!« Claire bemerkt, dass ich neben ihrem Vater stehe. »Ich krieg ’nen Bruder. Willst du den haben?« Sie rümpft die süße kleine Nase.

Ich tätschele ihr mit der gesunden Hand die Wange. Unter keinen Umständen würde ich die Kinder mit der entstellten Rechten anfassen. Wenn sie aus irgendeinem Grund Angst vor mir bekämen …

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Das würde ich nicht überleben. Meine Ersatznichten und mein Ersatzneffe sind mittlerweile mein einziger Grund zur Freude. »Süße, ich kann doch deinen kleinen Bruder nicht nehmen.«

Claire runzelt die Stirn. »Aber ich will eine Schwester. Das ist gemein.« Mit ihren kleinen rosa Lippen zieht sie einen niedlichen Schmollmund.

»Ach, Liebes, das Leben kann auch echt gemein sein. Und wie.«

In vielerlei Hinsicht.

KAPITEL 2

CARSON

Einen Monat zuvor …

Der Himmel über San Francisco ist bewölkt, fast schwarz und unheilverkündend. Das düstere Wetter passt zu meiner Stimmung. Ich sitze in meinem Wagen und trommele mit nervösen Fingern auf dem Lenkrad herum. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigt fünf vor sechs. Sie müsste gleich kommen.

Ich will nur einen Blick erhaschen.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir die Situation erst richtig bewusst wird, wenn ich es mit eigenen Augen sehe. Ich muss sie einfach sehen.

Ein blauer Toyota Camry fährt heran und parkt auf der anderen Straßenseite. Ihr blondes Haar bildet einen starken Kontrast zu der marineblauen Jacke, die sie trägt. Sie fährt sich mit der Hand durchs Haar und verschwindet in dem Gebäude.

Die Minuten ziehen sich hin wie eine Ewigkeit. Als sie wieder auftaucht, beobachte ich sie genau und achte auf jedes Detail, von den blonden Locken bis zu den blauen Augen. Selbst auf diese Entfernung ist sie wunderschön. Aber kurz erfasst ein unsicheres Gefühl mein Herz.

Wenn sie wirklich zu mir gehören würde, würde ich das nicht spüren? Es in den Tiefen meiner Seele wissen?

Vielleicht auch nicht. Ich habe schon einmal so empfunden, und es hat nicht gehalten. Ist vielmehr in Rauch aufgegangen.

Vielleicht passiert diese Sache, von der die Leute immer sprechen – bedingungslose Liebe auf den ersten Blick –, nur, wenn man die Person von Anfang an kennt? Der Gedanke macht mich traurig, als ich sie in ihr Auto steigen, sich in den Verkehr einordnen und wegfahren sehe.

Letzten Endes muss ich mir sicher sein. Nur weil sie es mir als Tatsache verkauft hat, muss dem noch lange nicht so sein. Ich wurde früher schon in geschäftlicher Hinsicht ausgenutzt, ganz zu schweigen von den geldgierigen Huren, die meinen, sie könnten mich in die schmutzigen Finger bekommen, indem sie die Beine breit machen und mich meinen Spaß haben lassen. Solche Frauen kratze ich mir wie Kaugummi von den Schuhsohlen. Unerwünscht und nervig.

Nur eine Frau hatte mich wirklich in der Hand, und sie ist die einzige, die mich nie hätte loslassen sollen.

Trotzdem brauche ich Beweise, sonst glaube ich ihren Worten nicht.

Ich fasse einen Entschluss, lege den Gang ein und fahre quer durch die Stadt zu der zwielichtigen Bar, die ich eigentlich nie wieder betreten wollte.

Als ich ankomme, ist der Parkplatz bis auf ein paar einsame Harleys und einige billige Motorräder fast leer. Erst halb sieben. Nicht wirklich Partyzeit, und der Laden bietet auch keine Happy-Hour-Angebote oder Drinks zum halben Preis für die Stammgäste, die nach der Arbeit hier vorbeischauen.

Das Gebäude selbst liegt eher abseits und besteht nur aus Holzbrettern. Eigentlich empörend, dass die Bude nicht längst plattgemacht wurde, schließlich stellt sie ein ziemliches Sicherheitsrisiko dar. Angesichts der Bausubstanz könnte ein starker Küstenwind schon reichen, um sie umzupusten, aber da steht sie, und das bereits seit über zwanzig Jahren.

Ich parke meinen Wagen und steuere auf den Eingang zu. Der Camry ist noch nicht in Sicht. So schnell habe ich auch nicht mit ihr gerechnet. Sie meinte, dass sie meistens um sieben anfängt, also bin ich jetzt hier, um sie wegen ihres Geständnisses letzten Monat zur Rede zu stellen.

Um ehrlich zu sein, ich hätte mich schon früher bei ihr melden sollen. Sie könnte mir tatsächlich das Leben vermasseln, wenn sie einen Beweis dafür hat, dass sie die Wahrheit sagt. Aber ich kann ihr einfach nicht glauben. Nicht einen Moment lang. Es ist völlig unbegreiflich und absurd. Auf jeden Fall etwas, was mir, wie ich dachte, niemals passieren könnte. Ich habe immer, immer aufgepasst.

Seit dem Abend vor drei Wochen verstecke ich mich. Nur Chase weiß, dass ich mich wieder mit jemandem treffe, wobei es wirklich nicht viel mehr als treffen ist. Aber die Wahrheit kann ich ihm kaum sagen. Zumindest noch nicht. Erst wenn ich hundertprozentig sicher bin, dass sie mich nicht zum Narren hält.

Misty Duncan.

Ich kannte nicht einmal ihren Namen, als ich sie damals, vor über zwei Jahren, gevögelt habe. Ich wusste nur, dass sie blond, schön und während meiner betrunkenen Bedarfsphase verfügbar war. Und jetzt bekomme ich die Quittung dafür. Eine richtig fette.

Der Barkeeper kommt zögernd näher. Er ist es wahrscheinlich nicht gewohnt, in dem Laden ordentlich angezogene Leute anzutreffen. Ich komme gerade von einem Geschäftstermin in der Stadt und falle mit Anzug und Krawatte auf wie ein bunter Hund.

»Was darf’s denn sein?«

»Bier. Kaltes. Was auch immer aus dem Zapfhahn kommt.«

Der Mann kratzt sich den langen Zottelbart und nickt.

Ich lasse den Blick durch den Raum schweifen und vergewissere mich, dass ich den Eingang von meinem Platz aus über­blicken kann. Zwei übel aussehende Typen spielen Billard und haben jeweils ein billiges Flittchen am Arm hängen, wenn sie gerade nicht dran sind. Einer der Kerle greift seinem Mädchen an den Schenkel, begrabscht es schamlos und schiebt ihm dann die ganze Pfote unter den Lederrock, bis es den Kopf zurückwirft und genüsslich stöhnt.

Bah. Warum arbeitet Misty überhaupt hier? Sie scheint doch eine nette Frau zu sein. Hübsch, tolle Figur. Die könnte doch überall arbeiten. Also warum ausgerechnet hier?

Der Barkeeper stellt das Bier auf den Tresen, und der Schaum läuft am Glas herunter. Ich beklage mich nicht und halte den Mund. In einem solchen Laden meldet man lieber keine Beschwerden an.

In der Ecke entdecke ich einen Stapel Servietten, nehme mir ein paar und wische gerade das Gröbste auf, als sich die Tür öffnet. Die Frau der Stunde betritt schwungvoll die Bar.

Ich mustere sie, während sie ihre Handtasche hinter den ­Tresen wirft, sich eine Schürze schnappt und sie sich um die ­schmale Taille bindet. Ich starre die Frau an und versuche, einen Grund zu finden, damit ich mich zu ihr hingezogen fühlen kann, doch nüchtern fällt mir keiner ein. Zwar hat sie blonde Haare und braune Augen, aber sie ist nicht Kathleen. Da ist keine feine Eleganz in ihrem Gang, kein Funkeln in ihren Augen, keine Grübchen in ihren Wangen, und sie ist klein. Sogar winzig. Im Vergleich zu meinem Mädchen verblasst sie geradezu. Nein, mein Zuckerbäckchen ist groß und schlank und hat eine Traumfigur. Misty hat kurze Beine, breite Hüften und viel größere Brüste. ­Chirurgisch aufgepumpte Brüste.

Was habe ich mir damals nur dabei gedacht, die Frau flachzulegen?

Weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll, trinke ich das Bier in ein paar Zügen aus und nicke dem Barkeeper zu. Er nimmt mein Glas und zapft mir noch eins.

»Hier gibt’s keine Rechnung, Anzug. Nur kaltes, hartes Cash«, sagt er und stellt mir das Glas etwas weniger draufgängerisch hin als eben.

Ich hole die Brieftasche heraus und lege ihm zwei Zwanziger hin. »Schon verstanden.«

Er nickt und wirkt zufrieden.

»Hey, Carson? Was machst du denn hier?« Misty lächelt und kommt zum anderen Ende der Bar, wo ich sitze.

»Ich dachte, wir sollten uns unterhalten.«

Sie leckt sich die Lippen und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ja, okay.« Sie blickt sich um und merkt, dass keine Kunden da sind, die sie bedienen könnte. »Willst du es, äh … hier tun? Jetzt gleich?«

»Wenn nicht jetzt, wann dann«, antworte ich trocken.

»Gut. Also hast du darüber nachgedacht, was ich dir gesagt habe.« Jetzt flüstert sie, obwohl uns niemand beachtet. Uns mitgezählt sind keine zehn Menschen in dem Laden.

Ich nicke. »Ja, habe ich.«

»Und?« Sie beißt sich nervös auf die Lippe.

»Ich will einen Vaterschaftstest«, verkünde ich knapp und ohne Raum für Diskussionen.

Sie reißt die Augen auf. »Klar. Aber ich habe keine Krankenversicherung oder so was …«

»Mach dir keine Gedanken. Einem Freund von mir gehört LabCorp Genetics. Er ist einverstanden, diese Woche herzukommen und möglichst schnell ein Ergebnis zu liefern.«

Misty schluckt und legt den Kopf zur Seite. »Du glaubst mir nicht, oder?« Sie schüttelt so heftig den Kopf, dass ihr Haar hin und her fliegt. »Natürlich nicht.« Ihre Lippe zittert, und ihr versagt die Stimme.

Ich lege ihr die Hand auf die Schulter. »Süße, es geht nicht darum, dass ich dir nicht glaube. Aber es ist einfach eine Riesenüberraschung. Vor drei Wochen bin ich hierhergekommen, weil ich nach einem schlechten Tag ein Bier brauchte. Ich hätte in tausend Jahren nicht damit gerechnet, in einen Schuppen zu gehen, in dem ich vor zwei Jahren mal war, und da einem alten One-Night-Stand in die Arme zu laufen.«

Sie zuckt zusammen.

»Ich meine, äh, wie drücke ich das aus, ohne mich wie ein Idiot anzuhören?« Ich raufe mir die Haare.

Misty presst die Lippen aufeinander und blinzelt ein paarmal.

»Hör zu, wir müssen das nicht beschönigen. Wir hatten was miteinander. Eine Nacht lang. Dann komme ich nach über zwei Jahren wieder hierher und höre mir eine Geschichte an von einer Frau, die ich überhaupt nicht wiedererkenne, und erfahre mal eben so, dass ich vielleicht jemandes Daddy bin.«

»Aber das bist du …«, sagt sie verzweifelt.

Ich hebe die Hand. »Wenn das stimmt, dürfte es ja kein Pro­blem sein, einen Test durchzuführen. Oder?« Das letzte Wort versuche ich sanfter auszusprechen, damit sie mir nicht an Ort und Stelle in Tränen ausbricht. Aber wie es aussieht, könnte das trotzdem passieren.

Sie stemmt die Hände in die Hüften und streckt den Rücken durch. »Aber ich lüge nicht. Das würde ich niemals tun!« Ihre Augen werden feucht, als würde sie tatsächlich gleich losheulen. »Meinst du, das hier ist leicht für mich? Ich war genauso überrascht wie du, als ich rausgefunden habe, dass ich schwanger bin. Ich kannte weder deinen vollen Namen, noch wusste ich sonst irgendwas über dich. Ich hatte keine Möglichkeit, dich zu erreichen. Die ganze Zeit habe ich unser Kind alleine großgezogen, was nicht einfach war, Carson, ganz und gar nicht. Und das alles von meinem Kellnerinnengehalt? Ich musste meine Nachbarn babysitten lassen, damit ich arbeiten konnte … und …« Ihre Stimme wird immer lauter, und aus ihrer Haltung sprechen Angst und Unsicherheit.

Ich lege ihr beide Hände auf die Schultern und senke den Kopf, damit ich ihr in die Augen blicken kann. »Ist ja gut. Ich sage doch nicht, dass du lügst, und ich will nicht mal so tun, als würde ich verstehen, was du die ganze Zeit alleine durchgemacht hast. Aber jetzt muss ich mich ebenso wie mein potentielles Kind schützen, indem ich einen Nachweis der Vaterschaft einfordere. Verstehst du das?«

Sie schnieft und schaut auf ihre Schuhe hinunter. Sie lässt die Schultern hängen und nach vorn fallen. Ihre ganze Gestalt erscheint gebrochen und klein. Statt einer Antwort nickt sie nur.

»Mein Freund meldet sich diese Woche bei dir. Dann finden wir einen Termin, an dem ihr beide getestet werdet, und ich auch. Die Ergebnisse werden im Eilverfahren ermittelt, und wir wissen Bescheid.«

»Und was dann?« In ihrer Stimme schwingt eine Aufrichtigkeit mit, die ich nicht erwidern kann. Nicht, solange ich keine Gewissheit habe.

»Dann setzen wir uns damit auseinander.«

»Was heißt das?« Sie seufzt und verschränkt die Hände vor dem Körper.

»Na ja, wenn es mein Kind ist, werde ich ihm ein Vater sein. Ein richtiger. Nicht dieser Disneyland-Mist. Ich werde das Kind regelmäßig sehen wollen.«

Misty holt Luft und fängt doch noch an zu weinen. »Du willst mir meine Tochter wegnehmen.« Sie greift sich an die Brust, als würde ihr tatsächlich das Herz weh tun.

Das wird mir zu viel. Mit weinenden Frauen komme ich nicht gut klar. Die arme Kleine zittert richtig auf den Absätzen, die viel zu hoch für ihren Job sind. Ich stehe auf und nehme sie in den Arm, was sie hoffentlich trösten wird.

»Oh Gott, nein. Misty, ganz ruhig, Süße. Das würde ich dir und auch sonst niemandem jemals antun. Das heißt aber trotzdem nicht, dass ich nicht am Leben meines Kindes teilhaben will. Ich will ein Besuchsrecht. So was in der Art.«

Misty krallt sich an meinem Hemd fest. »Aber sie ist doch noch ein Baby. Sie kann nicht von ihrer Mutter getrennt sein. Sie kennt doch nichts anderes.«

Oh Mann. Ich wusste, dass das hart wird, aber lieber Himmel, ich hatte ja keine Ahnung. Das Ganze macht mich emotional und seelisch völlig fertig.

Ich streichele ihr immer wieder mit beiden Händen über den Rücken, bis sie aufhört zu zittern.

»Niemand nimmt hier irgendjemandem was weg. Wir finden schon eine Lösung. Das verspreche ich dir. Du wirst dein Kind nicht verlieren. Wenn die Kleine von mir ist, werden wir gemeinsam überlegen, was das Beste für sie ist. Wäre das ein Plan?«

Misty schnieft und löst sich von meiner Brust. Sie seufzt gequält und reibt sich mit beiden Händen über die Augen.

»Es wird alles gut. Ich schwöre es.« Ich gebe ihr ein Versprechen, ohne zu wissen, ob und wie ich es halten kann.

***

»Wieso machst du ein solches Geheimnis um diese Frau?« Chase lehnt sich gegen die Armlehne des weißen Ledersofas in seinem Hochhaus-Büro mit Blick über den Pazifik.

Ich seufze. »Bruder, das tue ich nicht. Es ist kompliziert.«

Chase nimmt einen Schluck Scotch und schwenkt die Flüssigkeit im Glas. Das Klimpern der Eiswürfel klingt in dem großen, offenen Raum übertrieben laut.

Ich trinke selbst einen Schluck und spüre das Brennen in der Kehle. Die kribbelnde Hitze ist nicht unangenehm. Zumindest besser als die Alternative, die ewigen Gedanken an das, was mir seit einer Woche im Kopf herumspukt.

Chase tippt sich an die Lippe. »Frauen sind immer kompliziert. Und jetzt sag mir, warum die Frau dich in der Hand hat.«

Am liebsten würde ich ihm hier auf seinem strahlend weißen Sofa das Herz ausschütten, aber ich halte mich zurück. Ich bin nicht auf den verurteilenden Ton in seiner Stimme vorbereitet, den ich unweigerlich zu hören bekommen werde, wenn ich ihm erzähle, dass ich vielleicht eine Frau geschwängert habe und, was noch schlimmer ist, zwei Jahre lang keine Ahnung davon hatte. Chase ist der Inbegriff eines Familienmenschen, auch wenn das keiner glauben würde, so nüchtern, wie er sein Imperium führt. Aber wenn es um Mrs Davis und die Zwillinge geht, ist er wie ausgewechselt. Seine Frau und die Kinder bedeuten ihm alles, und Gillian ist wieder schwanger. Das heißt, dass seine extrem väterliche Seite wieder voll zum Vorschein kommt. Letzten Endes bin ich mir nicht sicher, ob er verstehen würde, in was für einer Klemme ich gerade stecke.

Ehrlich, ich weiß nicht, wie ich es meinem Cousin beibringen soll. Solange nicht klar ist, ob das Kind von mir ist, werde ich die Büchse der Pandora nicht öffnen.

»Pass auf, sagen wir einfach, ich stecke da ganz schön tief drin.«

Chase zieht die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch. »Ist ja interessant. Wie denn das?«

Ich schüttele mich. »Eigentlich geht dich das gar nichts an, Arschgesicht.«

Grinsend trinkt er sein Glas aus. »Noch einen?«

Ich stürze meinen Drink ebenfalls herunter. »Verdammt, ja.«

»Dass du nicht über die Frau reden willst, gibt mir nicht gerade ein kuschelig warmes Gefühl.«

»Kuschelig warmes Gefühl? Wer bist du? Hat Gillian dir die Eier abgerissen und sie durch kuschelige rosa Plüschwürfel ersetzt?«

Chase lacht ein warmes Lachen. »Stimmt genau. Oh Mann, sie macht jetzt schon zu viel in der Schwangerschaft. Sie treibt mich noch in den Wahnsinn. Der Höhlenmensch in mir will sie barfuß und schwanger ins Penthouse sperren, damit sie sich um die Zwillinge kümmert. Ist das denn, im Großen und Ganzen betrachtet, so falsch? Wirklich?«

»Lass sie doch. Sie kennt ihren Körper.«

»Ich kenne ihn noch besser«, erwidert Chase trocken, ohne eine Spur Humor in der Stimme.

Ich grinse. »Der Punkt geht an dich.«

Er prostet mir mit seinem vollen Glas zu, dann schenkt er mir noch zwei Finger breit von dem vierundzwanzig Jahre alten ­Macallan ein.

»Aber mal im Ernst, wie heißt sie?«

»Misty.«

»Das hört sich … äh, jung an.« Chase’ Worte klingen abwertend.

»So jung auch wieder nicht.«

»Erzähl mir von ihr.«

Ich stöhne auf. Ich wusste, es war keine gute Idee, heute herzukommen, aber ich bin ihm schon seit drei Wochen ausgewichen. Hätte ich mich nicht mit ihm getroffen, hätte er einen Suchtrupp losgeschickt.

Chase schlendert um das Sofa herum und setzt sich mir gegenüber. Er zieht sich den Knöchel aufs Knie und bedeutet mir mit ausgestrecktem Arm, offen zu sprechen.

»Carson. Du warst noch nie so schweigsam, was eine Frau betrifft. Ich bin’s, dein bester Freund, dein eigen Fleisch und Blut. Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst. Verdammt, wie oft habe ich mich dir schon anvertraut?«

Ich muss lächeln. »Ach, hast du das? Ich kann mich nämlich nicht erinnern, zu einer gewissen Spontanhochzeit in Irland vor drei Jahren eingeladen worden zu sein.«

»Wie lange willst du mir das noch vorhalten? Das ist Jahre her. Vergiss es doch endlich.«

Chase’ Blick aus blauen Augen scheint mich wie ein Wahrheitsdolch durchbohren zu wollen. Er rammt sich mir direkt ins Herz.

»Na gut. Tut mir leid. Okay, hör zu. Ich hatte mit der Frau vor zwei Jahren einen One-Night-Stand.«

Chase runzelt die Stirn. »Vor zwei Jahren?«

Ich sehe förmlich, wie er in Gedanken nachrechnet. »Als du versucht hast, Kathleen zurückzugewinnen?«

Das zweite Glas geht viel leichter herunter als das erste, während ich über seine Worte nachdenke. »Ja, ich habe Misty direkt nach dem allerletzten Versuch kennengelernt.«

»Du meinst, als ich dich blau wie ein Veilchen aus dem Drecksloch von Motel abholen musste?«

Ich nicke. »Genau die Nacht.«

»Oh mein Gott.«

»Eben.«

»Damals hast du nichts von einer Frau erzählt.«

»Ich konnte mich ja kaum an sie erinnern, Mann. Anscheinend habe ich mich volllaufen lassen, nachdem ich mich mit Kat gestritten und sie mich zum letzten Mal rausgeworfen hatte. Dann bin ich mit Misty ins nächste Hotel, habe sie gevögelt und bin eingeschlafen.«

Chase schüttelt den Kopf.

»Ja, nicht gerade eine Glanzleistung. Am schlimmsten ist, dass ich mich nicht mal mehr an ihren Namen erinnern konnte. Als ich wach wurde, war sie weg.«

»Na ja, dazu kann ich nur sagen, dass wir alle schon mal Dinge getan haben, auf die wir nicht stolz sind.«

Ich raufe mir die Haare und wünsche mir, ich könnte ehrlich zu ihm sein, aber ich weiß, dass ich seine Reaktion nicht ertragen könnte. Der Schmerz auf meiner Kopfhaut befördert mich wieder in die Realität zurück. »Ich habe sie ganz zufällig wiedergetroffen.« Noch absurder ist, dass diese eine sündige Nacht sich in eine lebenslange Verpflichtung verwandeln könnte, aber den Teil behalte ich für mich.

»Also hat es gefunkt?«, will er wissen.

Ich will am liebsten sagen nein, keine Funken, nicht einmal ein kleines aufgeregtes Flackern, wenn ich an sie denke, denn das einzige Feuerwerk, das ich je erlebt habe, war mit einer großen Blondine, die Komplexe hat und uns kein Happy End gönnen will.

»Das kannst du wohl sagen«, lüge ich.

Chase’ Lippe zuckt, und er kneift die Augen zusammen. Er weiß, dass ich lüge. Zum Glück hält er den Mund.

»Habe ich ja. Heißt das, dass du dich mit ihr triffst?«

»Äh, ja. Wir treffen uns.« Im Moment, möchte ich anmerken, aber ich lasse es lieber. Wenn diese Frau wirklich die Mutter meines Kindes ist, werde ich sie noch viel öfter treffen müssen.

Was für ein Megaschlamassel.

KAPITEL 3

KATHLEEN

Ich sehe mich in meinem Kostümfundus um. Schwarze Rauchwolken quellen an der Decke entlang und dringen unter der einzigen, geschlossenen Tür hindurch. Mein Atelier befindet sich im Keller des San Francisco Theatre und ist vom Rest des Produktionsteams abgeschieden. Die Show hat den Raum wegen der Riesenmenge benötigter Kostüme total verwandelt. Der sicherste Arbeitsplatz ist das hier bestimmt nicht.

Schnell stehe ich auf, laufe zum Fenster und stelle mich auf einen Stuhl, um an den Griff zu gelangen. Aus unerfindlichen Gründen scheint es mit Brettern blockiert zu sein, die gestern noch nicht da waren. Ich hämmere gegen das Fenster und versuche es zu öffnen. Keine Chance. Der Rauch um mich herum wird immer dichter.

Ich schnappe mir ein Tuch und halte es über Mund und Nase, um besser atmen zu können. Ich kenne mich mit Rauch nicht gut aus, aber ich weiß, dass das Feuer den Sauerstoff aus der Luft saugt. Es ist schädlich, sie einzuatmen. Ich gehe zur Tür hinüber, greife nach dem Türknauf und schreie auf, als mir das heiße Metall die Handfläche versengt. Ich weiche zurück und orientiere mich mühsam, ohne auf den pochenden Schmerz in meiner Hand zu achten.

Langsam wird mir schwindelig. Die Enge um meine Brust wird immer schmerzhafter, und ich spüre, wie der Druck stärker wird. Es fühlt sich an, als würde sich jemand nacheinander mit beiden Füßen auf mich stellen. Ich wickele mir einen Schal um die mit Brandblasen bedeckte Hand, zucke zusammen und muss vor Schmerz blinzeln. Dann greife ich mir ein weiteres Kleidungsstück neben der Tür und drehe damit am Türknauf. Ich muss hier raus!

Genau in diesem Moment schrillt der Feueralarm los. Ich knirsche mit den Zähnen, halte die Luft an und bemühe mich, die Dämpfe nicht einzuatmen, die unter der Tür hervorquellen. Endlich kann ich die Tür mit dem rechten Arm aufreißen. Sofort werde ich von einer Feuerwand getroffen. Der Schmerz zerreißt mir den rechten Arm und die ganze Seite, und ich fasse nach dem nächsten Kleidungsstück, um die Flammen auf meiner Haut zu ersticken. Der Geruch von verkohltem Fleisch steigt mir in die Nase. In meinem Mund sammelt sich Speichel.

»Hilfe! Bitte helft mir!«, schreie ich und trete die Tür zu.

Tränen laufen mir über die Wangen und benetzen mein Gesicht. Der Qualm brennt mir in den Augen, und ich kann kaum noch atmen. Die Luft im Atelier ist so dick wie an einem nebligen Tag in der Bay Area, nur dass es hier drinnen höllisch heiß ist.

»Hilfe!«, schreie ich so laut ich kann, aber durch den Feueralarm hört mich niemand.

Als ich vor lauter Atemnot auf die Knie falle, bemerke ich ein hämmerndes Geräusch am Fenster. Ich keuche auf wie ein Fisch auf dem Trockenen und schaue hoch. Plötzlich erkenne ich ein Stück schwarzen Nachthimmel. Finger zerren an den Brettern, dann treten nackte Füße gegen das Fenster. Ich verdrehe die Augen.

»Hilfe …«, flüstere ich und falle mit dem Gesicht nach vorn auf den Boden. »Hilfe.«

»Wach auf! Mein Gott, Kat, bitte wach auf!« Gigis Stimme dringt durch den Nebel meines Alptraums.

Ich zucke zurück. Mein rechter Arm tut weh. Ich stöhne auf und halte ihn schützend fest.

»Kat, Herrgott! Du hast mir einen richtigen Schrecken eingejagt!«, ruft Gigi und streichelt mir über den gesunden Arm und den Kopf.

»Uns. Sie hat uns einen richtigen Schrecken eingejagt«, stellt Chase von seinem Standort an der Wand aus klar. Sein Oberkörper ist nackt. Er trägt nur eine seidene Pyjamahose und einen finsteren Gesichtsausdruck und hat die Arme vor der Brust verschränkt.

Mist. Die Alpträume.

Ich blinzele die Angst weg, die mir immer noch an der Seele nagt, und drücke mir die Fäuste auf die Augen. »Tut mir leid, Leute. Äh, ich hab nur geträumt.«

»Süße, du hast um Hilfe gerufen. Immer wieder.« Gigi legt sich die Hand an den Hals. Eine besorgte Geste, wie sie im Buche steht.

Ich hole tief Luft und schüttele den Kopf. »Wie gesagt, es tut mir leid.« Ich bewege die Füße und schlage die Bettdecke zurück. »Ich kann nach Hause gehen. Kein Problem.«

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