Trinity - Verzehrende Leidenschaft - Audrey Carlan - E-Book

Trinity - Verzehrende Leidenschaft E-Book

Audrey Carlan

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Beschreibung

Ein neues Leben. Eine große Liebe. Eine tödliche Gefahr. Der erste Band der Trinity-Serie. Ich liebe dich. Ich will dich. Ich werde dich nie verlassen. Beim Gedanken an diese Worte bekommt Gillian Callahan Panik. Jahrelang wurde sie von ihrem gewalttätigen Ex-Freund misshandelt. Jetzt ist sie frei und arbeitet für Safe Haven, die Hilfsorganisation, der sie ihre Rettung verdankt. Das Thema Männer hat sie abgehakt. Bis sie bei einer Konferenz den Vorsitzenden von Safe Haven, Chase Davis, kennenlernt. Der attraktive Milliardär ist so sexy, dass Gillian schwindelig wird. Außerdem bekommt er immer, was er will – und er will Gillian. In ihr kämpfen Lust und Angst gegeneinander. Wird sie Chase vertrauen können? Ist sie bei ihm wirklich sicher? Und wie gefährlich ist ihre dunkle Vergangenheit? Audrey Carlan ist zurück. Nach ihrem Mega-Bestseller Calendar Girl folgt nun eine weitere Erotikthriller-Serie voll von Sex, Leidenschaft, Liebe und Nervenkitzel. Carlan schreibt authentisch und detailreich, ohne dabei an Spannung zu verlieren – dabei verknüpft sie ernste Themen mit einer mitreißenden Story. Ein fesselnder Roman, der Lust auf mehr macht!

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Die Autorin

Audrey Carlan schreibt mit Leidenschaft heiße Unterhaltung. Ihre Serie »CALENDAR GIRL« stürmte die Bestsellerlisten von USA Today und der New York Times und wird als das neue »Shades of Grey« gehandelt. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kalifornien.

Audrey Carlan

Trinity

Band 1

verzehrende

leidenschaft

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christiane Sipeer

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1483-9

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Januar 2017

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017

© 2015 Waterhouse Press, LLC

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Trinity – Body

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: © FinePic®, München

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für meine Mutter Regina …

Du hast dein Happy End leider nicht bekommen.

Du fehlst mir jeden Tag.

BESONDERER DANK

An meine Seelenschwestern Dyani, Nikki und Carolyn

Ohne euch bin ich nicht ich selbst.

Ohne eure Liebe und unermüdliche Unterstützung wäre dieser Roman niemals veröffentlicht worden.

Ohne dich, Dyani Gingerich, gäbe es keine Maria De La Torre.

Ohne dich, Nikki Chiverrell, gäbe es keine Bree Simmons.

Ohne dich, Carolyn Beasley, gäbe es keine Kathleen Bennett.

Ohne euch Schwestern wäre dieses Buch nicht so etwas Besonderes.

Ich liebe euch so sehr.

BESOS

Bound Eternally Sisters of Souls

KAPITEL 1

Ich möchte einfach ein normales Leben – eines ohne Schmerzen. Mit meinen vierundzwanzig Jahren habe ich schon mehr körperliche und emotionale Schmerzen erlitten als die meisten Frauen in ihrem ganzen Leben. Die Menschen sehen es oft als selbstverständlich an, wie leicht sie es haben. Sie laufen herum und fragen sich nie, wann alles um sie herum mit einem lauten Knall in sich zusammenfällt. Ich beneide solche Menschen und will unbedingt eines Tages so sein wie sie. Mein neues Motto lautet, fürs Morgen zu leben. Jede Entscheidung bringt mich einer Zukunft näher, die von Licht erfüllt ist. Einem Licht, das nicht von der erbarmungslosen Wirklichkeit oder unvorhergesehenen Unannehmlichkeiten getrübt werden kann. Ich kann meine Träume in die Tat umsetzen. Ich bin nicht mehr das Mauerblümchen, das sich von anderen verletzen lässt.

Mein Job als Spendenmanagerin einer der größten Wohltätigkeitsorganisationen für Frauen in den Vereinigten Staaten hat mich in diese Bar geführt, in der ich nun sitze. Nach einem langen Reisetag mit zwei Zwischenaufenthalten lasse ich mich in den weichen Sessel sinken. Sanft schmiegt sich das Polster an meine Kurven. Als ich mich umsehe, bin ich froh, dass ich meinen Arbeits-Blazer und eine dunkle Jeans angezogen habe. Die Peeptoes mit den halsbrecherischen Absätzen von BCBG und eine lange Perlenkette peppen den lässigen Geschäfts-Look etwas auf.

Ich fühle mich ein wenig fehl am Platz. Männer und Frauen in makellosen Anzügen und Cocktailkleidern versammeln sich in kleinen Gruppen und genießen die »Happy Hour«. Das ist nicht meine Welt. Würde die Vorstandssitzung der Save Haven Foundation nicht in diesem Hotel abgehalten werden, würde ich wohl in einem gemütlichen Pyjama zu Hause sitzen, Wein trinken und mit meiner Mitbewohnerin Maria einen Mädelsfilm anschauen.

Die tiefen Rillen in den abgerundeten Kanten des Tresens bilden ein perfektes Wirbelmuster. Die Bar ist von hinten beleuchtet, und das Licht scheint durch die Flaschen mit Hochprozentigem wie die Sonne durch einen Kristall. Die Farben der Flaschen werden in alle Richtungen gestreut und lassen das Ganze eher wie ein Kunstwerk wirken als wie Glasregale voller verschiedener alkoholischer Getränke. An jeder Seite befindet sich eine große Leiter, damit der Barkeeper auch an die »höchsten« Genüsse herankommt. Diese Ehrenplätze sind den Sachen vorbehalten, die ein paar hundert Dollar pro Flasche kosten, vielleicht sogar pro Glas.

Als ich die Weinkarte studiere, muss ich an meine Stellung im Leben denken. Da ich im Land des Weines wohne, habe ich eine ziemlich gute Vorstellung davon, welcher Rebensaft gut, in Ordnung oder regelrecht Essig ist. Alle Weine auf dieser Karte werden flaschenweise angeboten, wobei die billigste an die hundert Dollar kostet – nicht mal ansatzweise meine Gehaltsklasse.

Ein haariger kleiner Mann hinter der Bar lächelt mir zu, wischt die Stelle vor mir mit einem feuchten Tuch ab und legt einen Untersetzer hin. »Was darf ich Ihnen bringen?« Sein Akzent ist eine Mischung aus Italienisch und Chicagoer Dialekt.

»Äh, ich weiß nicht. Kann man hier auch ein einzelnes Glas Wein bestellen?«

»Sie sind wohl nicht von hier?« Seine Frage klingt aufrichtig und freundlich.

Mit der Wahrheit fahre ich wahrscheinlich am besten. »Nein, ich bin geschäftlich in der Stadt.«

»Ausgezeichnet, ich hole Ihnen was«, sagt er und schlägt auf den Tresen. »Weiß oder rot?«

»Weiß, bitte. Danke.«

Diese Bar ist der Wahnsinn. Ich war mir nicht sicher, ob ich herunterkommen sollte, aber jetzt bin ich froh, es getan zu haben. Die Erschöpfung von der Reise legt sich allmählich. Der Barkeeper stellt mir ein großzügig gefülltes Glas Wein hin. Das sind deutlich mehr als die üblichen hundertzwanzig Milliliter. Ich lächele breit und zeige dabei wahrscheinlich eine Menge Zahnfleisch und Zähne. Er grinst und widmet sich dann einem anderen Gast.

Aus versteckten Lautsprechern ertönt die Stimme von Amy Winehouse, die leise davon singt, nicht gut für ihren Mann zu sein. Die Leute um mich herum plaudern untereinander. Ich nippe an meinem Wein und werde von der sanften, buttrigen Note des Chardonnay überwältigt. Mir fällt das kleine Weingut ein, das meine Seelenschwestern und ich letztes Jahr in Napa besucht haben. Der Wein dort war genau so ein seidiger Gaumenschmeichler. Er schmeckt nach Geld. Ich kann nur hoffen, dass mich der Spaß nicht mehr als zwanzig Dollar kostet. Ansonsten war es das mit meinem Tagesbudget.

Ich drehe mich zur Seite und betrachte die Kombination aus moderner Kunst und gedimmten Deckenleuchten, die den Raum der Bar beherrscht. In der Ecke steht ein glänzender schwarzer Konzertflügel. Mattes Licht ist darauf gerichtet, als könnte jeden Moment eine einsame Seele anfangen, die Tasten anzuschlagen. Ein Mann legt eine Hand auf die glatte Oberfläche des Instruments und reißt mich aus meiner Trance. Mein Blick wandert von der Hand den Arm hinauf und fällt auf das attraktivste männliche Gesicht, das ich je gesehen habe. Sein Bild könnte ohne weiteres jedes High-Fashion-Magazin zieren. Kräftige dunkle Augenbrauen lenken den Blick auf vermutlich ebenso dunkle Augen. Seine ausgeprägten Wangenknochen heben sich, als er lachend den Kopf zurückwirft. In seinem tiefschwarzen Anzug, der – höchstwahrscheinlich – den perfektesten Körper einhüllt, der mir je untergekommen ist, wirkt er wie der Inbegriff von groß, dunkel und gutaussehend. Er ist umwerfend.

Ich lasse den Blick von seinen Designerschuhen aus Leder über die erlesen geschneiderte Hose schweifen, die auf diese gewisse aufreizende Art an seiner schlanken Hüfte hängt, die man sonst nur auf der Leinwand sieht. Ich trinke hastig einen Schluck Wein. Er ist viel zu groß, und das Brennen des Alkohols schärft mein Bewusstsein, während ich den breiten Oberkörper des Mannes betrachte. Unter dem seidigen Stoff befinden sich wahrscheinlich kräftige, wohlgeformte Brust- und Bauchmuskeln. Seine Krawatte ist gelockert. Bestimmt hat er gerade erst Feierabend gemacht und hat es jetzt eilig, sich in der Innenstadt von Chicago mit den Jungs auf ein Bier zu treffen.

Nein, das kommt nicht hin. Er ist zu elegant für Bier. Das wäre eher der Typ Mann, mit dem ich sonst ausgehe. Dieser Mann, Mr Superman, ist dafür viel zu stilvoll. Er hat ein Glas mit honigfarbener Flüssigkeit in der Hand, was ebenfalls von gutem Geschmack zeugt. Scotch oder Whiskey on the rocks.

Wie er da am Klavier gelehnt steht und trinkt, ist er der personifizierte Sex. Ich stelle mir vor, wie die Flüssigkeit in seinem Hals brennt. Mit Sicherheit wärmt ihm der starke Alkohol den Bauch und sorgt nach einem anstrengenden Tag für Entspannung. Vermutlich ist er Firmenanwalt oder Banker. Vielleicht hatte er genau in diesem Hotel eine Besprechung und schmiert den Männern um ihn herum gerade Honig um den Bart. Oder noch besser, sie versuchen, ihn zu beeindrucken. Ja, so schon eher.

Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf sein Gesicht und stelle entsetzt fest, dass er mich unverhohlen anstarrt. Ich will den Blick abwenden, aber ich kann nicht. Es ist, als würde er mich mit den Augen fesseln. Mir wird ganz heiß in der Magengegend, als sich unsere Blicke treffen und umeinander herumtanzen, den anderen begutachten und abschätzen. Wieder versuche ich vergeblich, woanders hinzuschauen. Nach einer gefühlten Ewigkeit zuckt er mit einer seiner dunklen Brauen, und ein durchtriebenes Grinsen huscht über sein Gesicht. Umwerfend war nicht das richtige Wort. Der Typ ist atemberaubend.

Mit langen Fingern fährt er sich durch das dunkle Haar. Es bildet verführerische Strähnen, die ich liebend gerne einmal anfassen würde. Mir laufen Schauer über den Rücken, als wir den Anstarrwettbewerb fortsetzen. Ich bin kurz davor, ohnmächtig zu werden, weil ich so lange die Luft angehalten habe, da blickt er weg. Als hätte jemand Sand auf eine lodernde Flamme geworfen. Das Feuer ist aus. Vorbei. Kalt. Nur noch Asche übrig.

Was war das denn bitte?

Der Tag hat mir anscheinend nicht gutgetan. Ich habe noch nie einen Mann so ungeniert angestarrt, und ich war auch noch nie so hin und weg von einem. Ich wette, er ist gut im Bett. Der Gedanke geistert mir durch den Kopf, aber ich würge ihn ab. Solche Gedanken sind gefährlich. Gut, dass der Typ weggeschaut hat. Noch besser, dass er den stummen Sirenengesang nicht gehört hat, der ihn herüberlocken wollte, damit er das Begehren stillt, das mir durch alle Poren rauscht. Er bräuchte nur ein Streichholz, und ich würde in Flammen aufgehen wie ein Haufen vertrocknetes Laub.

Mit aller Macht drehe ich mich wieder zur Bar und versuche, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf den Mann in der Ecke. Vorsichtig fahre ich mit dem Finger über den Rand des Weinglases, um es zusammen mit der Musik im Raum zum Singen zu bringen. Befriedigt stelle ich fest, dass es mir tatsächlich gelingt, ein leises Summen in passender Tonlage zu produzieren.

»Netter Trick«, höre ich eine tiefe Stimme hinter mir. Eine Stimme, die einem in den Bauch fährt und einen dort von innen kitzelt.

Ich wirbele so schnell herum, dass mein Weinglas über die Bar schlittert. Ein Arm greift rasch über mich und hält es fest, bevor auch nur ein Tropfen verschüttet wird. Ich bin zwischen einem breiten Oberkörper und der Bar in meinem Rücken gefangen. Instinktiv halte ich mich an der harten Oberfläche fest, die sich gegen mich presst. Meine Nase drückt sich in ein frisches Hemd. Der berauschende Duft nach Sandelholz und Zitrusfrüchten liegt in der Luft. Ich atme tief ein und sauge das Aroma von Natur und Mann in mich auf. Der Geruch erinnert mich daran, dass es schon viel zu lange her ist, dass ich jemandem des anderen Geschlechts so nahe gekommen bin.

Ein tiefer, satter Laut reißt mich aus meinem persönlichen Paradies. Der Körper, an dem ich lehne, fängt an zu lachen. Ich schiebe ein wenig, und die Mauer bewegt sich, bis wundervolle karibikblaue Augen zum Vorschein kommen. Also hat mir das Licht vorhin einen Streich gespielt. Sie sind gar nicht dunkel. Ich mustere die Züge des Mannes. Von den blauen Augen über die kräftigen Wangenknochen bis zu dem herzförmigen Mund. Der hinreißende Superman steht direkt vor mir und sieht mich an. Ein Lichtschein hinter ihm rückt jeden attraktiven Gesichtszug in Szene. Und er … lacht.

Ich rümpfe die Nase und versetze ihm einen kräftigen Stoß gegen den Oberkörper, um mir etwas dringend benötigten Abstand zu verschaffen. Innerhalb von ein paar Sekunden hat dieser Fremde mich total in Beschlag genommen. Er hält mich in Schach wie ein Tier, hat meinen Drink gerettet und mir die Sprache geraubt.

»Haben Sie Ihre Zunge verschluckt?«

»Nein!« Ich verdrehe die Augen, weil selbst ich finde, dass sich das albern anhört.

Er lacht und deutet auf den freien Platz neben mir.

»Darf ich?« Er setzt sich hin, ohne auf meine Antwort zu warten.

»Nein, Sie dürfen nicht. Ich erwarte noch jemanden.« Absolut einleuchtende Antwort. Zwar komplett gelogen, aber auf diese Weise kann ich sonst immer verhindern, dass sich ein unerwünschter Verehrer neben mich pflanzt.

»Auf der anderen Seite von Ihnen ist ja noch ein freier Stuhl.« Er grinst.

Verdammt, sein Gesicht ist wirklich unglaublich hübsch. Ich könnte es tagelang ununterbrochen anschauen und würde immer noch nicht verstehen, wie der liebe Gott etwas so Perfektes erschaffen kann. Aber mehr ist wahrscheinlich nicht dahinter.

Er schnipst dem Barkeeper zu, und der kommt sofort angerannt.

»Wie unhöflich. Behandeln Sie andere Menschen immer wie Hunde?« Ich bin nicht einmal sicher, warum ich den Mund aufgemacht habe. Ich hätte ihn ignorieren, austrinken und gehen sollen. Aber nein, ich musste mich unbedingt mit dem schönen Superman anlegen.

Er sieht mich an, und der Barkeeper wartet geduldig. Komisch für einen Barkeeper. Wieso fragt er nicht einfach, was Superman will? Der Typ mustert mein Gesicht mit seinen ozeanblauen Augen und spricht mit dem Barkeeper, ohne ihn anzuschauen. Auch unhöflich!

»Sam, noch mal das Gleiche für mich. Und für sie auch.« Er deutet auf mein fast leeres Weinglas.

»Ja, Mr Davis. Kommt sofort.« Der Barkeeper verbeugt sich praktisch, bevor er davoneilt, um die Drinks zu machen.

»Mr Davis? Dann kommen Sie also öfter her?«

»Chase Davis, und ja, mir gehört das Hotel. Ich behalte meine Investitionen immer gern im Auge.«

Meine Wangen glühen. Ob vor Scham oder Verwirrung weiß ich nicht. Vielleicht ein bisschen von beidem. Abgesehen von seinem unverschämt guten Aussehen ist der Typ ganz schön aufgeblasen. Nicht mein Ding.

»Tut mir leid, wenn ich unhöflich wirke, aber das Schnippen hat immerhin Sams Aufmerksamkeit erregt. Ich wollte Ihnen noch einen Drink bestellen, bevor Sie weglaufen.«

Das ergibt irgendwie Sinn. »Und wieso möchten Sie mich einladen, Mr Davis?«

»Chase. Nennen Sie mich Chase.«

»Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie es gewohnt sind, Mr Davis genannt zu werden.« Ich schlage meinen verführerischsten Tonfall an. »Mögen Sie den Respekt, der dabei mitschwingt?« Wie komme ich bloß auf einen solchen Stuss. Ich habe das Gefühl, ich würde ein Spiel spielen, das ich noch nie gespielt habe, und ich habe keinen Schimmer, ob ich gewinne oder verliere. Irgendetwas an diesem Mann stachelt meinen Kampfgeist an, aber nicht auf unangenehme Weise. Eher so, als wollte ich ihm eine Gehaltserhöhung abringen.

»Im Geschäftsleben ist Mr Davis angemessen, das stimmt. Aber privat, wie in dieser Unterhaltung, möchte ich lieber Chase genannt werden.« Seine Augen funkeln, und wenn er lächelt, kommen gerade weiße Zähne zum Vorschein. Blendend.

Ich nicke und bin nicht sicher, wie ich das Duell weiterführen soll. Sein ganzes Wesen strahlt Selbstsicherheit und Beherrschtheit aus, und der Druck, den seine Nähe auf mich ausübt, raubt mir alle Kräfte. Er ist der schöne Superman, doch so langsam scheint es, als sei er mein Kryptonit.

»Um Ihre Frage zu beantworten, ich lade Sie ein, damit ich Sie besser kennenlernen kann.«

Ich erbebe innerlich, als sein Blick über mein Gesicht und dann weiter nach unten schweift, wo er an meinem Busen hängenbleibt. Ich bin froh, dass ich unter dem Blazer ein enges Tanktop trage. Es betont meine Brüste, überlässt aber trotzdem noch einiges der Phantasie. Vielen Dank, What Not to Wear, für die Technik mit der taillierten Jacke und dem scharfen Top.

Ich lecke mir den Mund und beiße mir in die Unterlippe, während ich überlege, was ich jetzt sagen oder tun soll. Er holt Luft, und ich sehe zu, wie sich seine breite Brust hebt und senkt. Seine Augen funkeln blau, und die Pupillen weiten sich.

»Wie heißen Sie?«, fragt er.

»Gillian Callahan, aber meine Freunde nennen mich Gigi.«

»Ich werde Sie Gillian oder Miss Callahan nennen.« Er schnappt sich meine Hand und küsst sie. »Kosenamen muss man sich verdienen. Ich suche lieber selbst einen aus.«

Bei seinem heiseren Tonfall sickert die Lust durch mich hindurch und bahnt sich wie ein Rinnsal einen Weg durch meinen Körper.

Mein Gott, der Mann ist wirklich fleischgewordener Sex. Sinnlichkeit strömt aus seinen Worten, funkelt in seinen Augen und stiehlt sich zusammen mit einem durchtriebenen Grinsen über seine wundervollen Lippen. Ich möchte diese Lippen küssen, hineinbeißen und sie kosten. In dieser Reihenfolge. Der Typ zieht an seiner Krawatte und löst den Knoten ganz. Mit einer schnellen Bewegung seiner Finger öffnet er die beiden oberen Knöpfe seines Kragens und gibt damit den Blick auf ein schön gebräuntes Stück Haut frei. Was gäbe ich dafür, daran lecken zu können. Nur ganz kurz. Mehr bräuchte ich nicht.

»Gefällt Ihnen, was Sie sehen, Gillian?«

Bevor mein Gehirn anspringen und meine Reaktion zensieren kann, nicke ich dümmlich. Wie einem verliebten Teenie rutscht mir die blöde Antwort heraus: »Ja, total.«

»Mmm, das freut mich. Sollen wir die Unterhaltung nicht woanders fortsetzen?« Seine Augenfarbe wechselt sekundenschnell von Karibikblau zu Schwarz.

Eine große Hand verirrt sich auf mein Knie, und sein Daumen fängt an, dort ein Unendlichkeitssymbol zu zeichnen. Bei jedem sanften Druck der Haut gegen den Jeansstoff fühlt es sich an, als würde der Mann mir seine Markierung einbrennen. Erregung schießt durch meine Glieder, bis mir schlagartig bewusst wird, was er gesagt hat.

»Moment mal. Was?« Ich springe auf, was nicht ganz einfach ist, weil meine Knie inzwischen weich geworden sind. Das hier woanders fortsetzen? Als sei ich eine Hure, die sofort mit einem Mann ins Bett springt – wenn auch einem extrem attraktiven Mann –, den sie erst seit zehn Minuten kennt? So eine bin ich nicht. Na ja, vielleicht schon, aber den Eindruck will ich bestimmt nicht erwecken.

Sein Gesicht verzieht sich zu einer verwirrten Grimasse. Er streckt die Hand nach mir aus, aber ich mache einen Schritt zurück und weiche seiner Berührung aus. Wenn große Männer nach mir greifen wollen, löst das oft eine Panikattacke aus.

Er kneift die Augen zusammen. »Du willst mich. Das sehe ich doch ganz deutlich. Es steht dir ins hübsche Gesicht geschrieben. Man sieht dir deine Gefühle sofort an.«

Mein Rücken kribbelt vor Furcht, und mir stehen die Nackenhärchen zu Berge. Ich schüttele den Kopf. »Da haben Sie wohl was missverstanden. Ich muss jetzt gehen. Schön, Sie kennengelernt zu haben.« Ich drehe mich um, sammle meine Gedanken und gehe zum Ausgang der Lobbybar.

»Gillian, warte!«, ruft er mir hinterher.

Ich überlege, ob ich losrennen soll, aber ich weiß, dass ich hier in Sicherheit bin. Das hier ist ein Fünfsternehotel mitten in Chicago. Überall sind Leute unterwegs. Ich hole tief Luft und wende mich zum schönsten Mann der Welt um. Superman ist noch untertrieben. Er ist einfach … perfekt.

Als er bei mir angekommen ist, gibt er mir eine weiße Karte. »Meine Visitenkarte. Meine Handynummer steht hinten drauf. Ich weiß zwar nicht genau, was hier gerade passiert ist, aber ich würde dich gern wiedersehen.«

Wohl kaum. »Mal schauen.«

So wie er den Kopf jetzt schief legt, fange ich beinahe an zu glauben, dass er noch nie einen Korb von einer Frau bekommen hat. Hat er wahrscheinlich auch nicht. Eine Frau müsste schon unzurechnungsfähig sein, um eine Nummer mit diesem heißen Fremden auszuschlagen. Aber ich lebe für die Zukunft, nicht für den Augenblick. Ein leichtes Grinsen legt sich auf sein Gesicht. Er beugt sich nach vorn und legt mir vorsichtig beide Hände auf die Oberarme. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht in Panik zu verfallen. Berührungen müssen von mir ausgehen. Das gehört zu meiner Bewältigungsstrategie. Ich schließe die Augen, er kommt näher und küsst mich auf die Wange.

Sandelholz und Zitrus erfüllen die Luft um seine große Gestalt herum. Meine Güte, wie gut er riecht.

Chase flüstert mir ins Ohr: »Bis zum nächsten Mal.« Dann streicht er mir mit den Lippen über den Kiefer und weicht zurück.

Zum Dahinschmelzen. Er zwinkert mir zu, dreht sich um und kehrt zurück an die Bar.

****

Blöd. Blöd. Blöd.

Innerlich fluche ich in Endlosschleife, während ich meine High Heels ausziehe und sie durchs Zimmer schleudere. Arme, wunderschöne Schuhe. So eine Behandlung verdienen sie nicht, aber irgendwie muss ich die Wut herauslassen. Meinen Kopf gegen eine harte Oberfläche zu schlagen ist im Moment auch ganz verlockend. Also heißt es Gehirnerschütterung oder Schuhmisshandlung.

Oh Mann, warum kann ich nicht einfach normal sein? In eine Bar spazieren. Mich hinsetzen. Was trinken. Einen schönen Mann treffen. Flirten. Dann mit ihm ausgehen. So hätte die Begegnung mit Chase ablaufen sollen. Aber nein. Nicht bei Gigi Callahan, dem angeknacksten Mädchen aus San Francisco. Der Mann macht eine unmissverständlich sexuelle Anspielung, und ich verwandle mich in ein Häufchen Elend. Schlimmer noch, ich ergreife die Flucht wie ein ängstliches Hündchen. Ich hätte bleiben und ihm Paroli bieten sollen.

Ich bin wirklich nicht prüde und auch keine Heilige. Ich wurde schon oft genug angemacht. War auch schon ein- oder zweimal kurz davor, mich darauf einzulassen. Aber bei ihm hatte ich das Gefühl, ich könnte mich nicht lange genug konzentrieren, um auch nur zwei ganze Sätze zu bilden. Meine unverblümte Art hat ihn angestachelt. Wahrscheinlich schleppt er jeden Abend eine andere ab. Kein Wunder, er hat ja auch ein Gesicht und einen Körper wie ein Adonis – wer könnte da schon nein sagen? Was soll’s, wäre ich nicht so ein Angsthase, würde ich jetzt wahrscheinlich hinter ihm herhoppeln und um Streicheleinheiten betteln.

Chase. Der Gedanke an ihn genügt schon, dass mein Bauch kribbelt und mein Höschen feucht wird. Aaahhh.

Ich gebe mich geschlagen, lasse mich aufs Bett fallen und starre die Decke an. Wann lerne ich endlich, meine Ängste unter Kontrolle zu haben? Egal. Ich bin hier, um mich auf meine Arbeit bei Safe Haven zu konzentrieren. Mehr nicht. Na ja, wenn ich anderen Gutes tue, wird mir vielleicht auch mal jemand etwas Gutes tun. Jemand Großes mit dunklen Haaren, ozeanblauen Augen und warmen Händen zum Beispiel.

Blöd. Blöd. Blöd.

Mein Handy vibriert auf dem Nachttisch und reißt mich aus meinen Träumen. Es ist meine Mitbewohnerin. Na Gott sei Dank!

»Ria! Ich bin so froh, dass du anrufst«, kreische ich ins Telefon.

»Mi Amiga! Was ist denn los? Du klingst ja gar nicht wie sonst.«

Maria De La Torre ist eine meiner besten Freundinnen und meine Mitbewohnerin. Wir sind zusammen durch die Hölle gegangen und kennen uns dort bestens aus. Mit den Jahren haben wir einen starken Beschützerinstinkt füreinander entwickelt. Ihre Liebe und Unterstützung haben mir durch viele Nächte voller Tränen und Selbsthass geholfen. Und ich bin genauso oft für sie da gewesen. Zusammen und in vielen Therapiestunden haben wir gelernt, wie wir mit unseren Gefühlen umgehen und offener sein können. Ich bin immer noch verschlossen, aber ein paar wenigen Menschen in meinem Leben vertraue ich. Maria ist einer davon.

»Weißt du, ich habe einen Mann kennengelernt«, seufze ich ins Telefon und bin von mir selbst angewidert.

»Und warum hörst du dich dann an, als wäre gerade dein Hund gestorben?«, lacht sie.

»Keine Ahnung. Der Mann ist anders. Ziemlich intensiv.« Intensiv ist eine Untertreibung.

Maria seufzt am anderen Ende. »Gigi, erzähl mir nicht, dass du wieder ein Arschloch kennengelernt hast, das dich nur ins Bett kriegen will. Ich meine, du bist echt scharf, aber du musst damit aufhören, immer diese pedazos de mierda anzuziehen!«

Ich muss lachen. Für Maria sind Männer nichts weiter als Dreck. Überflüssig. Die Art, wie sie Spanisch und Englisch vermischt, ist total liebenswert. Es macht sie einzigartig und hat mir viel über die Sprache beigebracht.

»So einer ist er nicht. Na ja, eigentlich weiß ich kaum was über ihn, nur, dass er heiß ist. Und mit heiß meine ich filmstarmäßig heiß, wie einer von der Sexiest-Man-Alive-Rangliste. Für ihn würden Frauen in aller Welt jederzeit das Höschen ausziehen.« Und das weiß er wahrscheinlich auch. Selbstgefälliger Mistkerl.

Maria kichert. »Nicht schlecht. Hast du das auch vor?«

»Was habe ich vor?«

»Na dein Höschen auszuziehen, du Dummerchen.« Ihr Lachen wird lauter und bekommt diesen Was-dachtest-du-denn-Ton.

»Nein! Ich habe ihn kennengelernt, mich mit ihm unterhalten, und dann bin ich weggerannt. Hab mich total zum Narren gemacht. Ich glaube kaum, dass er mich wiedersehen will.« Das ist die Wahrheit. Außerdem, wenn er von meiner Vergangenheit wüsste, würde sich der schöne Superman im Anzug ganz schnell aus dem Staub machen.

»Ach nein, bonita, das hast du bestimmt nicht.«

Ich ziehe eine Grimasse. Maria nennt mich immer »Hübsche«. Ihr persönlicher Kosename für mich. Die liebevolle Bezeichnung kommt jedes Mal zum Einsatz, wenn sie denkt, dass ich traurig bin oder etwas Aufmunterung brauchen kann.

»Will er mit dir ausgehen, oder hat er nach deiner Nummer gefragt?«

Ein Hoffnungsschimmer taucht am Horizont auf. »Na ja, schon irgendwie. Er hat mir seine Visitenkarte gegeben, mit der Handynummer hinten drauf. Ich soll ihn anrufen.« Tatsächlich hat er mir die Karte nach meinem idiotischen Verhalten gegeben, also ist er vielleicht doch an mir interessiert. Aber was sagt das über ihn aus? Ich habe mich aufgeführt wie eine Irre, aber er hat mir ein formvollendetes Angebot gemacht, als würde er mich umwerben. Das war doch irgendwie unangebracht.

»Na siehst du, also war da wirklich was. Wirst du es tun?« Maria klingt hoffnungsvoll. »Du verdienst ein bisschen Spaß, solange du in Chicago bist. Und außerdem, wann wurdest du eigentlich das letzte Mal flachgelegt?«

Die Frage ist rein rhetorisch. Sie weiß, dass es Monate her ist.

»Ria! Ich habe ihn gerade erst kennengelernt. Und du schlägst vor, ich soll mit ihm ins Bett steigen?« Die Frau ist nicht zu fassen. Obwohl ich nicht behaupten kann, dass mir der Gedanke nicht auch schon gekommen ist, vor allem, als er die silberfarbene Krawatte gelockert und das anziehende Stück Haut freigelegt hat.

»Ja, das tue ich. Du musst dringend gevögelt werden!«

Bei ihrer derben Ausdrucksweise schnappe ich nach Luft.

»Du warst in letzter Zeit ziemlich verkrampft. Außerdem hast du selber gesagt, er wäre der Typ Mann, mit dem Frauen ins Bett wollen. Denk einfach drüber nach. Du bist jung, mi amiga!Benimm dich mal wie vierundzwanzig und nicht wie vierundvierzig!«

Ich seufze tief. »Du hast irgendwie recht. Ich überlege es mir. Ich rufe dich dann morgen nach der ersten Vorstandssitzung an, okay? Ich gehe jetzt ins Bett, damit ich morgen früh noch zum Sport kann.« Ich gähne laut und bemerke, wie erschöpft ich bin.

Maria hat wirklich recht. Ich bin viel zu angespannt. Meine letzte Beziehung, wenn man es so nennen will, war mit Daniel, dem Weichei.

Das ist nicht fair. Er war eigentlich kein Weichei. Aber zu sensibel für mich. Hat mich behandelt wie eine Prinzessin und musste bei Frauenfilmen weinen. Ich weine so gut wie nie. Außerdem war er im Bett echt langweilig. Wollte Sex nur in der Missionarsstellung und nie von der Norm abweichen. Als ich vorschlug, dass er mich von hinten nimmt, ist er ausgerastet. Seine geschockte Stimme donnert jetzt noch durch meinen Kopf: »Ich soll dich ficken wie eine Hure, Gigi? Meine Güte, was hast du für ein Problem?« Bei dem Gedanken an den Trottel wird mir übel. Ich brauche einen Mann, der weiß, wie man mit Frauen umgeht. Einer, der mich erregt und regelmäßig zum Orgasmus bringt, ohne dass ich Angst haben muss, verletzt zu werden. Daniel hat mir nie sonderlich viel Befriedigung verschafft, aber ihm ist auch nie die Hand ausgerutscht.

Rias missmutige Stimme holt mich aus meinen Gedanken. »Toll, du gehst immer zum Sport. Bree wäre echt stolz auf dich. Ich dagegen setze mich jetzt hin und gönne mir ein fettes Essen mit Tommy. Die Sache wird immer heißer, und ich glaube, ich kriege ihn endlich ins Bett.«

Dass Maria einen Mann becircen will, ist etwas völlig Neues. Die meisten Männer überschlagen sich förmlich, um in ihrer Nähe zu sein, nicht umgekehrt. »Vorfreude ist die schönste Freude«, erinnere ich sie. »Genieß die Aufmerksamkeit, mit der er dich überschüttet. Wenigstens will er wirklich mit dir zusammen sein und dich nicht nur vernaschen.«

»Das will ich aber.«

»Na dann viel Glück. Und guten Appetit. Mir steckt die Reise noch in den Knochen, und hier ist es auch schon zwei Stunden später«, erinnere ich sie mit noch einem lauten Gähnen.

»Gute Nacht, bonita. Te quiero. Besos.«

»Hab dich auch lieb. Besos.«

Ich schließe das Handy ans Ladekabel an und ziehe ein Nachthemd über. Nachdem ich meine SMS durchgelesen habe, beschließe ich, den Mädels und Phillip eine Gruppennachricht zu schicken. Meine anderen Seelenschwestern wollen sicher wissen, ob es mir gut geht in der Windy City. Und Phillip dreht durch, wenn er nichts von mir hört. Ich schreibe kurz, dass ich mich morgen nach der Sitzung melde, dann lege ich mich aufs Ohr.

Ich bin nervös, was den morgigen Tag angeht. Ich war noch nie bei einer Vorstandssitzung der Safe Haven Foundation. Hoffentlich kann ich sie mit meinen Kampagnenzahlen und Spendensammelerfolgen des Jahres beeindrucken. Ich schließe die Augen und atme langsamer, damit sich meine Nerven beruhigen. Als ich einschlafe, träume ich von karibikblauen Augen und starken Händen, die mich um den Verstand streicheln.

KAPITEL 2

Mein Herz rast, meine Muskeln brennen, und ein paar Schweißtropfen laufen langsam das Tal zwischen meinen Brüsten hinab. Ich atme in schnellen, heftigen Stößen. Ich bin kurz davor, ganz nah dran, es fehlt nicht mehr viel. Euphorie erfasst mich, und ich strenge mich noch etwas mehr an, bis es mich völlig übermannt. Das Läuferhoch. Wahnsinn, was für ein Gefühl.

Meine Füße fliegen über das Laufband, und ich lächele triumphierend. Ein lauter Atemzug, fast ein Stöhnen, entweicht mir. Glückselig schließe ich die Augen und genieße das Gefühl, mich vollkommen lebendig zu fühlen.

»Unglaublich«, flüstert jemand hinter mir.

Das schreckt mich aus meinem Himmel auf. Mein Fuß knickt auf dem Gummi um, und ich falle. Sinnloserweise versuche ich, mich an den Metallstangen des Laufbandes festzuhalten, aber ich rutsche mit den schweißnassen Händen ab und fliege nach hinten. In der Luft schlage ich wild um mich. Starke Arme packen mich an der Taille und ziehen mich von dem Gerät. Ich werde gegen eine feste Mauer aus harten Muskeln gepresst.

»Mein Gott, Gillian! Du hättest dich ernsthaft verletzen können!« Chase Davis mustert mein Gesicht mit besorgtem Blick.

Ich bin sprachlos. Ich fühle mich benommen und verwirrt. Mein Herz rast wie verrückt. Meine Beine sind schwach und wackelig, und ich kann nur noch keuchen. Ich packe die Haut an seinem Rücken und versuche, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Er streicht mir mit der rechten Hand übers Gesicht und hält mich mit der linken an der Taille fest. Ohne ihn hätte ich vielleicht nicht allein stehen können.

»Alles in Ordnung?«

»Äh, ja. Ich glaube schon.« Ich schüttele den Kopf und lege ihm die Hände auf die Schultern, um mich abzustützen. Ich fühle nackte, feuchte Haut, und mein Körper registriert genau, wie nahe mir Chase ist. Unsere Leiber sind aneinandergepresst. Sein Bauch berührt meinen, Haut an Haut, und ich atme tief durch. Alles an ihm ist warm, von den harten Bauchmuskeln bis zu den starken Schultern. Von seinem Haaransatz laufen Schweißtropfen bis über seinen Hals. Am liebsten würde ich den Schweiß ablecken, um ihn zu schmecken.

Mit seinem Arm um mich herum fühle ich mich sicher, als könnte mir niemand weh tun, auch er nicht. Dieses Gefühl bin ich nicht gewohnt, aber ich sehne mich aus tiefster Seele danach. Ich habe immer gedacht, dass ich solche Gefühle niemals empfinden würde oder könnte, nach allem, was ich durchgemacht habe.

»Gehst es dir gut? Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«

Er hält mich weiter fest, und langsam sehe ich meine Umgebung wieder deutlich vor mir. Er streicht mir mit dem Daumen über die Wange, und ich schaue nach oben in seine Augen. Besorgnis zeigt sich auf seiner gerunzelten Stirn. Mit so viel Zuwendung habe ich nicht gerechnet. Vielleicht ist er doch nicht nur ein extrem selbstbewusster Mann mit einem hübschen Gesicht und cleveren Sprüchen. Widerwillig mache ich mir klar, dass nicht jeder starke, dominante Mann seine Stärke zum Nachteil anderer einsetzen muss.

Seine Fingerkuppe berührt meine Unterlippe. Ich schnappe nach Luft, und seine Augen werden dunkel. Er leckt sich die Lippen. Sein Griff um meine Taille wird fester, und er drückt mir die Hand in den Rücken. Er will mich küssen. Oh mein Gott.

Mit Gewalt reiße ich mich von ihm los, trete einen Schritt zurück, beuge mich nach vorn und atme gierig ein und aus. Dann schaue ich auf und stelle mich wieder gerade hin.

Seine Augen halten meinen Blick fest, und ein durchtriebenes Grinsen liegt auf seinem schönen Gesicht.

Der Mann wollte mich küssen. Das weiß ich. Wollte ich, dass er mich küsst? Und ob, rufe ich innerlich. Wieso zum Teufel bin ich dann ausgewichen?

Als ich mein panikbedingtes Delirium endlich überwinde, fällt mir erst auf, welch prächtigen Anblick er bietet. Halleluja und Amen! Wow.

Er trägt eine graue Jogginghose, die tief auf der Hüfte sitzt, und sonst nichts. Er beugt sich vor und hebt das Shirt auf, das er wohl in der Hand hatte, als er mich aufgefangen hat. Sein Oberkörper ist nackt, und ich betrachte ihn ausgiebig. Er ist unfassbar gut in Form. Seine Schultern und seine Brust sind breit, stark und von Muskeln und Sehnen durchzogen. Sein Oberkörper bildet ein perfektes V, seine Hüfte ist schmal, und seine Bauchmuskeln sind makellos. Der Mann trainiert … und das oft.

Unter seinem Bauchnabel führt ein dünner Streifen dunklen Haares in seine Hose. Oh Mann, wie gerne würde ich mit den Nägeln über diese Stelle streichen, und dann noch weiter runter …

Plötzlich wird mir bewusst, dass er immer noch auf meine Antwort wartet, und ich sage das Erstbeste, was mir einfällt: »Sieht gut aus.« Sein geschockter Gesichtsausdruck kommt in meinem matschigen Hirn an. »Mist, ich meine, äh, mir geht’s gut.«

Sein Gelächter schallt durch den Raum und erinnert mich daran, wo ich bin. Ich lasse den Blick durch das Fitnessstudio des Hotels schweifen. Ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn noch jemand meinen uneleganten Sturz gesehen hätte. Anscheinend sind Chase und ich allein hier. Ich stöhne, gehe zum Verursacher meiner Verlegenheit hinüber und schlage fester auf den Stopp-Knopf als nötig. Quietschend hält das Laufband an. Meinen Ärger an Fitnessgeräten auszulassen wird meinen brennenden Stolz auch nicht beschwichtigen. Ich drehe mich um und stemme herausfordernd die Hände in die Hüfte. Chase lehnt mit verschränkten Armen an einer der Säulen in der Nähe. Es macht ihm überhaupt nichts aus, seine goldene, nackte Haut zu zeigen.

In seinen Augen ist jetzt Heiterkeit zu erkennen, zusätzlich zu dem verführerischen Grinsen in seinem selbstgefälligen Gesicht. Offensichtlich amüsiert ihn die Situation, was mich wahnsinnig nervt. Und kann er vielleicht mal sein T-Shirt wieder anziehen? Das lenkt mich ab. Ich kann nur noch daran denken, ihn von oben bis unten abzulecken und dabei genau an der schweißglänzenden Stelle direkt unter seinem Beckenknochen anzufangen. Dann würde ich mit der Zunge über seine breite Brust vom Schlüsselbein bis zum Bauchnabel wandern, und dann noch weiter.

Himmel, ich bin wirklich frustriert, sexuell und psychisch. Maria hatte recht. Ich muss flachgelegt werden. Sein Angebot von gestern Abend erscheint mir plötzlich noch verlockender.

Geräuschvoll atme ich aus und ziehe an meinem Zopfgummi. Mein rotbraunes Haar fällt mir über die Schultern.

Chase starrt mich an wie ein Raubvogel und beobachtet meine schwerfälligen Bewegungen. Ich binde die Haare zu einem unordentlichen Dutt auf dem Kopf wieder zusammen. Sein Blick wandert über meinen Körper, aber er sagt nichts. Seine stahlblauen Augen glühen vor Hitze, als er jeden Zentimeter mustert, von den Nikes zu meinen nackten Unterschenkeln, der kurzen, engen Sporthose, dem entblößten Bauch und dem Sport-BH und dann wieder zu meinem Gesicht. Ich erschauere unter seinen prüfenden Blicken. Ob ihm etwas nicht gefällt?

»Du bist eine schöne Frau, Gillian.«

Ich atme aus – mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich die Luft angehalten habe. »Sehr nett von dir, vor allem, wenn man bedenkt, dass ich mich eben fast auf die Nase gelegt hätte.« Ich verziehe das Gesicht und schaue auf meine Schuhe herunter. Auf einmal ist der Nike-Haken das Interessanteste auf der ganzen Welt.

Zwei Schritte und er steht neben mir, hebt mein Kinn an und dreht mein Gesicht zu seinem. Seine aquamarinblauen Augen sind ganz kühl. »Du musst lernen, Komplimente anzunehmen.«

Ich nicke, mein Selbsterhaltungstrieb ist in höchster Alarmbereitschaft. Wenn ein Mann eine Frau packt, hat er auch etwas mit ihr vor. Er sieht mir wieder tief in die Augen, dann lässt er mein Kinn los. Ich balle die Hände zur Faust, und mir dreht sich der Magen um. Ich will mich gerade davonmachen, als sein Daumen sanft meinen Wangenknochen berührt. Das letzte Mal, als ein Mann das mit mir gemacht hat, wollte er sein Werk prüfen.

Atmen, Gigi. Ich habe mir geschworen, dass ich Männern wieder vertrauen will. Dass ich mich von ihnen auch wieder anfassen lasse. Chase wirkt zwar dominant, aber ich glaube nicht, dass er mir Angst einjagen will. Meine Unsicherheiten melden sich zu Wort und verwandeln schöne Momente wie diesen hier in etwas, was sie gar nicht sind. Ich zwinge mich dazu, mich zu entspannen und atme tief durch.

»Gut. Ich würde mich gerne heute Abend mit dir treffen.«

Ich lege den Kopf schief und versuche zu verstehen, was er da sagt. »Du meinst, wie ein Date?« Ich beobachte ihn genau, als er einen Mundwinkel anhebt. Das leichte Grinsen ist tödlich. So sehr, dass ich es wieder und wieder in seinem Gesicht sehen will, am liebsten, wenn er nackt ist.

Er schüttelt das Muskelshirt aus, das er in der Hand hält, dreht es und hebt die langen Arme über den Kopf, um es anzuziehen. Es kommt mir vor, als würde sich das alles in Zeitlupe abspielen. Ich starre auf seine Muskeln, die sich zusammenziehen und wieder entspannen, während er das Shirt über die breite Brust zieht. Mein Körper pulsiert, meine Brustwarzen richten sich auf und drücken sich gegen den dehnbaren Stoff meines Sport-BHs.

»Könnte man so sagen. Leider habe ich noch eine Verpflichtung zum Abendessen, aber danach würde ich gerne etwas mit dir trinken. Ich schicke dir um neun einen Wagen.«

Ich kann mich immer noch nicht von seinem Körper losreißen. »Du trainierst wohl viel«, sage ich ehrfürchtig.

Sein Blick bohrt sich in meine Augen. »Wenn ich gerade in keiner Beziehung bin, habe ich ein gesteigertes Bedürfnis nach Sport.« Er grinst.

Mein Höschen wird feucht. Ich hole langsam Luft und lecke mir die Lippen. »Und wenn du in einer Beziehung bist?« Ach Gigi, jetzt forderst du es aber echt heraus.

Er legt mir die große Hand in den Nacken. Ich atme ein und neige den Kopf in die andere Richtung, damit er noch besser an meinen weißen Hals herankommt. Die Bewegung ist rein instinktiv. Normalerweise ergreife ich die Flucht, wenn ein Mann mich anfasst, bevor ich bereit dafür bin. Seine Hand wandert von meinem Nacken über meine Schulter, und seine Fingerspitzen streichen federleicht über meinen Arm. Der ist noch schweißbedeckt von meinem Work-out, aber das scheint ihn nicht zu stören. Im Gegenteil. Chase’ Augen sind dunkel und verschleiert, als er meinen Mund betrachtet. Seine rosa Zunge schnellt kurz hervor und leckt über seine vollen Lippen. Ich bekomme eine Gänsehaut auf dem Arm. Seine Hand hält an meinem Handgelenk inne und streichelt achtförmig über meinen Puls. Immer wieder. Unendlichkeit.

Das Ganze macht mich unruhig, scharf und nervös. Chase fasst einen gerne an, und das ständig. Das bin ich nicht gewohnt. Der Typ ist im Grunde ein Fremder, aber mein Körper bäumt sich auf und schmiegt sich an ihn, als würde er die Berührungen des Mannes schon ewig kennen. Verräter.

»Wenn ich in einer Beziehung bin, bin ich zu sehr damit beschäftigt, zu vögeln, was mir gehört, um trainieren zu müssen.«

Seine Worte fließen mir tief in die Magengrube wie eine warme Suppe an einem kalten Tag. Ich fange wieder an zu schwitzen, und in meiner Mitte wächst eine glühende Hitze.

Will er mich vögeln?

Nein. Irgendetwas tief in meinem Unterbewusstsein erinnert mich an meine Ziele. Ich habe mir hoch und heilig geschworen, mich nie wieder von einem Mann um den Verstand bringen zu lassen. Und hier stehe ich nun, hänge an seinen Lippen, achte auf jede Bewegung in seinem perfekten Gesicht und verliere mich in seinen Augen. Also wirklich. Das bin nicht ich. Ich habe meine Lektion gelernt. Die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass man Männern nicht vertrauen kann. Sie haben es nur auf eine Sache abgesehen und sonst nichts. Macht. Aber was habe ich eigentlich gegen Sex? Nein, Vögeln. Das will er.

Ich hatte noch nie eine rein körperliche Beziehung. Ehrlich gesagt, macht mir das eine Heidenangst. Was, wenn er mich gegen die Wand schleudern und gegen meinen Willen nehmen will? Ausgeschlossen. Seit unserer ersten Begegnung spielt meine Libido verrückt. Ich kann an nichts anderes mehr denken, als ganz von diesem perfekten männlichen Exemplar umgeben zu sein. Verschlungen zu werden.

Ich weiß, dass das gefährlich ist und er mich leicht zerstören könnte, trotzdem will ich ihn. Gegen jede Vernunft. Es ist unlogisch. Ich verliere ganz offiziell den Verstand. Völlig bekloppt.

»Aber nur einen Drink«, antworte ich endlich auf seine Frage von eben.

Mit dem Lächeln, mit dem Chase meine Einwilligung quittiert, könnte man einen ganzen Raum erleuchten. Seine perfekt geraden Zähne strahlen und schimmern im harten, fluoreszierenden Licht des Fitnessraums. »Mein Fahrer wird Punkt neun Uhr vor der Hotellobby warten. Komm nicht zu spät. Ich hasse Unpünktlichkeit«, sagt er. »Auch wenn ich gerne noch bleiben und plaudern würde«, er zieht die Augenbrauen hoch, mustert noch einmal meine Figur von oben bis unten und beißt sich auf die Lippe, »und deinen halbnackten Körper anschauen möchte, ich muss leider gehen.«

Bevor ich etwas erwidern kann, dreht er sich um, schreitet davon und lässt eine verdutzte Rothaarige zurück. Lange noch nachdem er verschwunden ist, starre ich auf den Ausgang. Ist das gerade wirklich passiert? Was an Chase Davis betäubt mich so? Liegt es daran, dass ich mich wahnsinnig zu ihm hingezogen fühle? Unmöglich. Eine Verbindung vielleicht? Meine Freundin Bree würde sagen, das Universum will uns mit aller Macht zusammenbringen.

Die nächsten paar Minuten gehe ich unsere beiden Begegnungen noch einmal durch. Meine Gedanken sind ganz woanders, während ich durch die Fenster die Silhouette von Chicago bewundere. Atemberaubende Aussicht. Das Hotel bietet wirklich einen erstklassigen Luxus. Beim Kalorienverbrennen auf dem Laufband oder dem Crosstrainer kann man hier als Gast die ganze Stadt überblicken.

»Zu sehr damit beschäftigt, zu vögeln, was mir gehört.« Chase’ Worte bahnen sich einen Weg durch mein Unterbewusstsein. Was, wenn ich ihm gehören würde? Allein von dem Gedanken wird mir ganz warm in der Magengegend. Ich presse die Schenkel zusammen, um etwas von dem Druck loszuwerden, der sich dort aufbaut.

Offensichtlich ist er erfolgreich. Wenn man den perfekten Maßanzug bedenkt, den er gestern getragen hat, seine autoritäre Ausstrahlung und die Tatsache, dass er mir heute Abend einen Fahrer schicken will – und natürlich die Kleinigkeit, dass ihm das schicke Hotel hier gehört. Auf jeden Fall ein Mann, der sich um sich selbst kümmern kann. Und um mich.

Aber ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert. Meine Mutter hat mir vor langer Zeit beigebracht, dass ich mich niemals auf einen Mann verlassen soll.

»Schau in den Spiegel, Gigi. Siehst du den Menschen dort? Das ist der einzige Mensch, auf den du in dieser Welt zählen kannst. Erwarte niemals, dass ein Mann alles für dich ist. Er wird total versagen. Wenn du im Leben etwas willst, musst du dich selbst darum bemühen.«

Sie hat recht gehabt. Männer haben mir bisher nur weh getan und verhindert, dass ich meine Ziele erreiche und meine Träume verwirkliche. Schluss damit. Mein Handyalarm meldet sich vom Laufband. Ich muss mich für die Vorstandssitzung fertigmachen. Es ist sechs Uhr dreißig, und in einer Stunde treffe ich mich mit meinem Chef. Ich haste aus dem Fitnessraum und begrabe fürs Erste meine Gedanken an Chase.

Nach einer blitzschnellen Dusche trockne ich mich ab und hole die Sachen heraus, die ich bei der Sitzung tragen will. Ich betrachte mich im Ganzkörperspiegel des Zimmers. Ich habe einen figurbetonten schwarzen Bleistiftrock an, der mir bis kurz übers Knie reicht. Er passt wie angegossen. Ich drehe mich und beäuge meine Rückseite. Der Schlitz in der Mitte geht bis zur Mitte der Oberschenkel. Seriös, aber weiblich. Dazu habe ich eine smaragdgrüne Seidenbluse gewählt. Sie ist ärmellos und vorn gerafft, um meine Brüste vor unerwünschter Aufmerksamkeit zu bewahren. Mein Haar ist zu einem glänzenden Knoten gebunden, und eine feine Haarsträhne legt sich über meine Stirn wie ein feuerroter Streifen auf einer weißen Leinwand. Ich stecke meine bestrumpften Füße in die schwarzen Wildlederpumps von Guess mit Zehn-Zentimeter-Absatz. Sie haben einen verführerischen Ausschnitt am Spann, durch den ich mich einfach sexy fühle, auch wenn das Outfit insgesamt elegant wirkt. Ich ziehe den passenden Blazer über und mache mich auf den Weg.

****

Mein Chef Taye Jefferson wartet im Starbucks in der Hotellobby. Er sitzt seitlich auf einem der kleinen Stühle und hält einen weißen Styroporbecher, der in seiner großen Hand fast verschwindet. Taye ist Afroamerikaner, Ende vierzig und ein wahrer Riese. Er ist Direktor der Spendenabteilung der Safe Haven Foundation.

Ich arbeite gerne mit Taye zusammen. Er behandelt mich als ihm ebenbürtig und kann Jasager nicht ausstehen. Er will wissen, was ich denke, und legt wirklich Wert auf meine Meinung. Wir sind ein tolles Team und sehr erfolgreich. Ich bin erst seit zwei Jahren in der Organisation und habe mich von der Assistentin zur Managerin hochgearbeitet. In der kurzen Zeit haben wir bei unserer wohltätigen Arbeit ein unkompliziertes professionelles Verhältnis aufgebaut.

Taye schaut auf die Uhr und blickt mit einem breiten Lächeln zu mir auf. »Absolut pünktlich wie immer, Gigi. Eine Frau ganz nach meinem Geschmack.«

»Ach, das sagst du bestimmt zu allen Frauen, besonders zu Mrs Jefferson«, necke ich ihn.

Taye setzt ein strahlendes Lächeln auf. Wenn man seine Frau erwähnt, fängt er immer an, so albern zu grinsen. Er liebt sie wirklich. Wenn mich doch nur ein Mann so schätzen würde, aber das wird wahrscheinlich nie passieren. Ein guter Mann will sicher nichts von einer Frau mit meiner Vergangenheit wissen – beschädigte Ware, wie Justin es nennen würde.

Gegenüber von Taye stehen noch ein Starbucks-Becher und ein knuspriger Muffin, der köstlich aussieht.

»Für mich?«

Er nickt. »Ein kleiner Willkommensgruß in der Welt der Vorstandssitzungen, wo man sich vor den hohen Tieren verantworten muss.«

Ich nehme einen Schluck, und die cremige, heiße Flüssigkeit überflutet meine Geschmacksknospen. Am liebsten würde ich vor den Starbucks-Göttern niederknien und die perfekte Kombination aus Espresso, Sahne und Vanille preisen. »Mmmmmh, Taye, du weißt, was ich mag. Danke.« Ich probiere ein Stück von dem knusprigen Muffin. Genauso befriedigend wie der Latte. Na ja, fast. »Also, was ist für heute Morgen geplant?«, frage ich, den Mund voll Muffin. Nicht gerade die besten Manieren, aber Taye kennt mich nicht anders. Wir sind eher eine Familie als Chef und Untergebene. Mit ihm ist alles ganz locker. Die meisten großen Männer lösen Unbehagen in mir aus. Bei Taye war schon immer das Gegenteil der Fall. Bei ihm fühle ich mich sicher. Ungefähr so wie heute Morgen, als Chase seine Arme um mich gelegt hat.

Taye wühlt in seiner Aktentasche und gibt mir etwas. »Ich habe die Tagesordnung erst gestern Abend von der Sekretärin des Vorsitzenden bekommen. Wir sind gleich nach dem Mittagessen dran. Erst spricht das Büro des Vorsitzenden, anschließend geht die Abteilung für Strategie und Planung ihre Vorhaben für neue Kooperationen durch. Danach gibt es Essen, dann ist die Spendenabteilung an der Reihe, und zum Schluss stellen die Ehrenamtlichen ihre neuesten Fälle vor. Morgen kommen noch Marketing, Finanzen und allgemeine Vorstandsthemen dran.«

»Hast du noch ein paar Tipps für mich? Ich habe Angst, mich total zum Narren zu machen. Heute Morgen bin ich auf dem Laufband gestolpert und hätte mich fast selbst umgebracht.« Ich kichere und stopfe mir noch einen Bissen Muffin in den Mund.

Er wirft mir einen besorgten Blick zu. »Alles in Ordnung, Gigi? Hast du dich verletzt?«

»Nur meinen Stolz. Ein Mann hat mich aufgefangen.« Chase. Er kommt mir einfach ständig in den Sinn. Jetzt ist es offiziell. Ich bin verrückt geworden.

Taye lässt mich nicht aus den Augen. Er neigt den Kopf zur Seite, seine »Komm schon, Kindchen, erzähl’s mir«-Geste, bei der ich sonst bereitwillig alles ausspucke. Heute nicht.

»Das Ganze hat mich nur durcheinandergebracht, und ich war wegen heute ja eh schon nervös.« Ich tätschele ihm die Hand.

»Tu, was du immer tust.« Taye lächelt und nimmt einen Schluck von seinem Kaffee. »Beeindrucke sie mit deinen Statistiken und Kampagnenzahlen. Was Spendensammeln per Briefwerbung und Telefon angeht, hast du wirklich ein glückliches Händchen. Erklär den Leuten, was du anders gemacht hast und was dabei herausgekommen ist.« Ich nicke. »Sei einfach du selbst.«

Ich verdrehe die Augen. »Ach komm schon, Taye. So ein Klischee. Sei einfach du selbst? Hast wohl heute Morgen keine Wheaties gegessen, Großer?«

Er lacht und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »An meinen Motivationssprüchen muss ich wohl noch arbeiten. Bist du bereit? Es ist zehn vor acht. Soweit ich weiß, kann der Vorstandsvorsitzende es nicht leiden, wenn man zu spät kommt.«

Mir hat doch gerade erst jemand gesagt, ich solle nicht unpünktlich sein. Was Chase wohl tun würde, wenn ich zu seinem kleinen Neun-Uhr-Appell nicht rechtzeitig erscheine? Wir schnappen uns unsere Sachen und machen uns zu der langen Reihe von Fahrstühlen auf. Der Sitzungssaal ist im zweiten Stock, bei den anderen Kongress- und Tagungsräumen.

»Auf der letzten Vorstandssitzung, an der ich teilgenommen habe«, sagt Taye, »hat der Vorsitzende ein Aufsichtsratsmitglied bis zur ersten Pause im Programm draußen warten lassen. Dann musste sich der Typ vor dem ganzen Saal fürs Zuspätkommen entschuldigen.« Er drückt auf dem hellerleuchteten Bedienungsfeld im Aufzug den Knopf mit der Zwei. Die Kabine setzt sich in Bewegung.

»Ist das dein Ernst? Der Vorsitzende behandelt einen Kollegen wie ein unartiges Kind?«

»Na ja, er ist der Gründer und Vorsitzende. Er ist unfassbar reich. Spendet im Jahr mehr als die Hälfte des Stiftungsbudgets. Vierzig Millionen jedes Mal.«

Ich stoße einen Pfiff aus. Der Aufzug macht »bing«. Wir betreten den Korridor, und ein Schild auf einem Ständer verkündet: Vorstandssitzung der Safe Haven Foundation. Ein Pfeil zeigt den Flur hinunter.

»Vierzig Millionen Dollar? Wahnsinn. Das ist ja absurd viel Geld.« Jemand, der einer einzigen Stiftung ein solches Kapital spendet, kann nicht völlig verkehrt sein. Man überlässt einer Wohltätigkeitsorganisation nicht Millionen, ohne ein großes Herz zu haben, vor allem weil unsere Arbeit so persönlich ist. Wir helfen misshandelten Frauen und bieten ihnen Schutz. Ich schüttele den Kopf, dann kocht meine Empörung wieder hoch. »Das gibt ihm trotzdem nicht das Recht, jemanden öffentlich zu demütigen.«

»Stimmt. Er ist schon ein Mistkerl, wenn auch ein steinreicher. Weißt du, er zahlt allen Vorstandsmitgliedern den Aufenthalt in diesem Luxusschuppen hier.«

Ich habe mich schon gefragt, wie sich eine Wohltätigkeitsorganisation einen protzigen Laden wie diesen leisten kann.

»Angeblich will er nicht in einem billigen Hotel gesehen werden, das würde seinem Image schaden.«

Ich kann mir eine Grimasse nicht verkneifen. »Oh Mann, der klingt ja wie ein Vollidiot.«

Taye lacht. Jetzt bin ich noch nervöser als vorher. Der Vorsitzende scheint der reinste Barbar zu sein. Wir gehen auf die offene Tür am Ende des Korridors zu. Vor dem Eingang sammeln sich mehrere Männer und Frauen in dunklen Anzügen und Kostümen in verschiedenen Schwarz- und Grautönen. Bei der Beerdigungsstimmung sticht das Smaragdgrün meiner Bluse total hervor.

Innerhalb von fünfzehn Sekunden stellt Taye mich vier Männern und zwei Frauen vor. Ich gebe ihnen die Hand und lächele höflich. Er führt mich in einen großen Raum, wo bereits noch mehr Menschen, ebenfalls in eleganten Anzügen, sitzen und sich auf die Konferenz vorbereiten. Wir finden die Platzkarten mit unseren Namen darauf und setzen uns hin.

»Gigi, ich mache die Laptops bereit, hol uns doch noch einen Kaffee.« Taye deutet auf die Anrichte mit den Kaffeekannen. »Für mich einen koffeinfreien.«

Ich nicke und gehe zu dem Tisch. Dabei gebe ich mir Mühe, langsam und mit erhobenem Kopf zu laufen und tapfer meine Nervosität zu verbergen. Das ist die erste Sitzung, zu der ich seit meiner Beförderung zur Spendenmanagerin eingeladen wurde. Ich will einen guten Eindruck hinterlassen. Meine Zukunft bei der Safe Haven Foundation hängt davon ab.

Ich fülle koffeinfreien Kaffee in zwei kleine Tassen mit schmalem Goldrand. Bestimmt echtes Porzellan. Alles in diesem Hotel scheint erstklassig zu sein. Selbst wenn der Vorsitzende die Rechnung bezahlt, kommt mir das verschwenderisch vor. Ich drehe mich mit dem Kaffee in der Hand um und pralle gegen eine steinharte Brust. Glücklicherweise halte ich die beiden Tassen von mir weg und verschütte nichts.

Langsam hebe ich den Blick und will mich entschuldigen, als mir ganz deutlich der aufregende Duft nach Zitrus und Sandelholz in die Nase steigt. Oh nein! Aquamarinblaue Augen, herrlicher als ein weiter blauer Himmel, bohren sich in meine. Ihre Schönheit raubt mir den Atem. Aufregung und Furcht strömen durch meine Adern. Starke Hände halten mich an der Taille fest. Seine Präsenz umgibt mich, und der Raum um uns verschwimmt völlig.

»Miss Callahan. So trifft man sich wieder.« Ein selbstgefälliges Grinsen stiehlt sich über seine feinen Gesichtszüge.

Es gefällt mir nicht, dass er mich nicht beim Vornamen nennt.

KAPITEL 3

»Das kann doch nicht wahr sein!«

Chase nimmt die Kaffeetassen und reicht sie einem Hotelkellner, der in der Nähe bereitsteht. »Stellen Sie die neben die Namensschilder von Miss Callahan und Mr Jefferson«, weist er ihn an.

Da er offensichtlich über Taye und mich im Bilde ist, muss er auch gestern in der Bar schon gewusst haben, wer ich bin. Aber er hat nichts gesagt. Ärger und Enttäuschung steigen in mir auf.

Chase nimmt meine Hand und hebt sie an seine vollen Lippen. In der Sekunde, als meine Fingerknöchel seine Lippen berühren, durchzuckt mich ein elektrischer Schlag. Seine ausdrucksvollen Augen verdunkeln sich, und seine Pupillen werden weit. Ich könnte schwören, dass ich bei seinem Kuss einen ganz leichten Zungenschlag zwischen meinem Mittel- und Ringfinger spüre. Ich schnappe nach Luft, und er zieht die Augenbrauen hoch. Er betrachtet mich aufmerksam und sendet mir absolut widersprüchliche Signale.

Ich höre ein ganz leises »Mmm« und verliere mich im Gefühl seiner Nähe. Er überragt mich um gute fünfzehn Zentimeter, und das trotz meiner Absätze. Ich starre seine Lippen an, die immer noch gegen meine Hand gepresst sind. Die Luft um uns herum knistert, und ich atme einen Hauch seiner speziellen Liebestrankmischung aus Holz- und Fruchtnoten ein. Als Taye neben uns tritt, lässt er endlich meine Hand los.

»Gigi, wie ich sehe, hast du Mr Davis, den Vorstandsvorsitzenden, bereits kennengelernt«, sagt Taye.

Und damit ist der Bann gebrochen.

Ich werfe Chase einen Blick aus aufgerissenen Augen zu und bin sicher, dass mir die Verblüffung im Gesicht geschrieben steht. Ich bin total geliefert!

»Du bist der Vorstandsvorsitzende?« Ich schließe die Augen und versuche, die Puzzleteile richtig zusammenzusetzen. Wieso zum Teufel habe ich das nicht gewusst? Dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Im Briefkopf der Firma steht »C. Davis, Vorstandsvorsitzender« unübersehbar ganz oben. Ich seufze. Wie dämlich. Ich hätte schlau genug sein müssen, eins und eins zusammenzuzählen. Jetzt bin ich hereingefallen.

Chase schüttelt Taye die Hand. »Mr Jefferson, schön, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen?«

»Sehr gut, danke, Mr Davis. Ich habe Gillian Callahan mitgebracht, unsere Spendenmanagerin«, sagt Taye voller Stolz.

Chase sieht mich an und mustert mich unauffällig von Kopf bis Stöckelschuh. Seine blauen Augen lodern kurz auf. »Wir sind uns bereits kurz begegnet. Ich freue mich auf Ihre Präsentation heute Nachmittag, Miss Callahan.«

Er tut so, als sei zwischen uns nichts gewesen. Strenggenommen war da ja auch nichts … außer ein paar Streicheleinheiten und einem Beinahe-Kuss. Jetzt, wo ich weiß, wer er ist, wird es nie im Leben zu diesem Kuss kommen. Und auch nicht zu dem Kein-richtiges-Date-nur-einen-Drink heute Abend.

Ich kann nicht glauben, was für ein Pech ich habe. Mein geheimnisvoller Verehrer, groß, dunkel und gutaussehend, ist der Vorstandsvorsitzende meiner Stiftung. Ich will mich am liebsten in ein Loch verkriechen und sterben. Stattdessen packe ich mich selber beim Schopf. Das ist der falsche Zeitpunkt, um in sich zusammenzusinken. In den letzten paar Jahren habe ich viel qualvollere Tage erlebt. Das hier ist nur ein kleines Hindernis. Ein höllisch heißer Typ ist nur ein Kaugummi an meiner Schuhsohle. Ich werde mir die Gefühle für ihn aus dem Kopf schlagen und mich wieder auf meinen Plan konzentrieren, meine Zukunft zu sichern.

Eine hübsche Blondine tippt Chase auf die Schulter. »Entschuldigen Sie, Mr Davis. Es ist acht Uhr.«

Chase presst die Hände zusammen. »Ausgezeichnet. Dann fangen wir mal an.« Er zwinkert und geht auf den Tisch am Kopfende des Raumes zu.

Taye nimmt meinen Ellbogen und führt mich an unseren Tisch weiter hinten. Ich lasse mich etwas ungeschickt auf meinen Stuhl fallen. Chase eröffnet die Konferenz, und ich beuge mich nach vorn, mache mir Notizen und versuche meine Gedanken verzweifelt von allem zu befreien, was sexy ist – wie zum Beispiel Männer in nichts als einer Sporthose mit einem Waschbrettbauch, an dem man sich einen Zahn ausschlagen könnte.

Den Rest der Sitzung passe ich genau auf und gebe mir Mühe, Chase nicht anzusehen. Es geht mir schon besser mit meiner Entscheidung, ihn sausenzulassen. Als wir fünfzehn Minuten Pause machen, eile ich aus dem Raum. Ich brauche unbedingt Abstand.

Ich suche Zuflucht in der Damentoilette und lehne mich gegen die kühlen, bunten Fliesen. In dem Raum gibt es eine schöne Sitzecke mit großen, weichen Sofas. Ein Spiegel erstreckt sich über eine komplette Wand. Davor befindet sich ein großes viereckiges Waschbecken, fast wie ein verzierter Trog. Ich drehe das Wasser auf und kühle damit meine Hände, Handgelenke und Armbeugen, wie es meine Mutter immer gemacht hat, als ich noch klein war. Das Kühlen meiner Druckpunkte bewirkt wahre Wunder bei angespannten Nerven. Chase ist der verdammte Vorstandsvorsitzende. Ich verzichte darauf, meinen Kopf gegen den Spiegel zu schlagen, um meinen Verstand wieder auf Kurs zu bringen. Brich alle Brücken ab und lauf.

Hinter mir höre ich zwei Frauen kichernd zur Sitzecke gehen. »Hast du gesehen, wie perfekt die Hose an seinem knackigen Hintern sitzt?«, fragt eine von ihnen.

»Wie könnte man das übersehen? Da will man sich doch direkt auf den Cowboy setzen und ihn die ganze Nacht reiten!«, sagt die andere mit Südstaatenakzent.

»Vielleicht solltest du es mal bei Davis versuchen, Claire. Er scheint auf große Blondinen zu stehen«, lacht die erste Frau.

Ich schiele hinter die Wand, die die beiden Bereiche voneinander trennt, und sehe Claire Dalton, das Vorstandsmitglied aus Texas. Die andere Frau kenne ich nicht. Sie richten sich Haar und Make-up im Spiegel. Ich lehne mich außer Sichtweite an die Wand und höre zu.

»Wer weiß. Vielleicht werfe ich mich bei dem Essen heute Abend an ihn ran«, sagt Claire mit ihrem breiten Akzent.

Nein, nein und nochmals nein! Ich möchte am liebsten schreien. Moment, wenn er auf die blonde Barbie steht, vergisst er mich. Dann ist mein Job nicht mehr in Gefahr – und mein Verstand auch nicht. Eine Win-win-Situation.

Meine Arbeit ist nicht nur irgendein Job oder eine Einkommensquelle für mich. Die letzten paar Jahre waren harte Arbeit. Ich musste nach der Justin-Phase mein Leben erst einmal wieder in den Griff bekommen. Und jetzt wird mich niemand mehr von meinen Zielen abbringen. Schon gar nicht ein Mann. Auch wenn er entwaffnend gut aussieht und ich bei seinem Anblick vor Verlangen zittere. Nichts ist so wichtig wie eine sichere Zukunft.

Die beiden Frauen verlassen die Sitzecke. Meine fünfzehn Minuten Freiheit sind um. Ich seufze und straffe die Schultern. Ich schaffe das schon.

Vor der Toilette sehe ich, dass Claire keine Zeit verschwendet. Sie und Chase stehen keine drei Meter von der Tür entfernt. Er hat mir den Rücken zugekehrt, und Claire lacht und klimpert mit ihren langen Wimpern. Ich schiebe mich an den beiden vorbei und will sie nicht unterbrechen.

Eine starke Hand greift nach meinem Handgelenk und bringt mich zum Anhalten. »Miss Callahan, haben Sie einen Moment?« Sein Blick bohrt sich in meine Augen.

Wieder bin ich von seinem Wesen überwältigt, bleibe wie angewurzelt stehen und warte auf seine nächste Ansage. Es nervt mich, wie selbstverständlich dieser Mann mich unter Kontrolle hat.

»Claire, das ist ein sehr nettes Angebot, aber ich habe nach dem Essen schon etwas vor. Entschuldigen Sie mich einen Moment.«

Claire scheint seine Zurückweisung ganz schön mitzunehmen. Ich verspüre den bösen Drang, ihr hinter dem Rücken die Zunge herauszustrecken. Er will dich nicht! Er will mich. Nicht gerade die Gemütsverfassung, die ich jetzt brauche.

Ich befreie meine Hand aus Chase’ Griff. »Pack mich nicht so grob«, flüstere ich ärgerlich. Der Mann fasst mich ständig an. Das muss aufhören.