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Wasser fließt, tropft, plätschert und rauscht über alle Grenzen hinweg. Es kann nähren, lösen, kühlen, tragen, löschen. Das Wasser ist so alt wie die Welt, und verjüngt sich doch immer wieder neu. Die Geschichte erzählt auf amüsante Weise den abenteuerlichen Weg zweier Regentropfen im ewigen Kreislauf des Lebens. Water flows, drips, splashes and rushes across boundaries. It has the ability to nourish, dissolve, cool down, carry, and extinguish. Water is as old as the world, but still it regenerates itself over and over again. This story tells us the adventurous voyage of two raindrops forming part of the eternal cycle of life. Diese Geschichte gehört zu dem Kurzgeschichten-Band "Das Spiel des Wassers" von Roland Gebert rolandgebert.de
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Veröffentlichungsjahr: 2014
Roland Gebert
Tropfenleben
Der Wassertropfen Klitsch wird als Sohn eines alten Tümpel-Tropfens und einer jungen Kondensstreifen-Tröpfin an einem Sonntag in der Schäfchenwolke 217 geboren. Die Wolke überfliegt von Süden kommend gerade die Grenze zu Deutschland. Sie schert sich weder um die Passkontrolle, noch um den Euro-Umtauschkurs. Wasser und Wolken sind bekanntlich frei und international.
Klitsch, das Tropfenkind, sieht wie ein winziges Ei aus, hundertmal kleiner als ein Stecknadelkopf. Doch schon nach einer Minute verdoppelt sich seine Größe. Wassertropfen wachsen schnell. Und jeder Tropfen hat sein individuelles Gesicht. Klitsch zum Beispiel hat die Sommersprossen von der Mutter, die Adlernase vom Vater geerbt.
Neugierig schaut der Wassertropfen durch das dunstige Fenster auf die Erde hinunter. Seine Verwandten haben ihm schon so manches von dem blauen Planeten erzählt. Klitsch ist gespannt, wie es da unten wirklich aussieht. Die Wolke, in der er sitzt, fliegt langsam über eine wundervolle Landschaft dahin.
„Da! Die vielen farbigen Flecken, das müssen Felder, Wiesen und Wälder sein. Und dort, diese blitzenden Flächen, die wie strahlend blaue Augen der Erde aussehen, das müssen Seen sein!“, ruft Klitsch begeistert.
„Was gibt’s denn da unten schon Besonderes zu sehen?“, erwidert da glucksend ein breit gedrückter Tropfen namens Klatsch. Er hat seinen Mundwinkel schief zu einem spöttischen Grinsen verzogen.
„Eine wunderschöne Landschaft. Und wenn ich größer bin, will ich da unbedingt hin!“, entgegnet Klitsch.
„Mir wäre das viel zu anstrengend. Und gefährlich soll das auch sein“, sagt Klatsch. Er wendet sich ab und geht wieder seinen Hobbys nach, die aus Essen und faul in die Ferne sehen bestehen. Dabei schlürft er aus einer riesigen Schüssel Graupelsuppe und vertilgt einen Windbeutel nach dem anderen. Mit jedem Bissen nimmt sein Umfang zu. Aber auch die Wolke wächst und wächst. Dabei ändert sie ständig ihre Form: Sah sie eben noch wie ein fliegender Blumenkopf aus, ahmt sie im nächsten Moment schon eine weiße Schildkröte und andere Fantasiegestalten nach.
Plötzlich rümpft Klatsch seine Nase, blickt zur Erde und ruft:
„Riechst du das auch? Da stinkt doch was zum Himmel!“.
Klitsch und alle anderen Tropfen schauen wie auf Kommando nach unten und erblicken eine merkwürdige Ansammlung von streng im rechten Winkel angeordneten steinernen Kistchen und Klötzchen, die durch schnurgerade Schluchten miteinander verbunden sind. Darin quälen sich dicht an dicht Blechschachteln auf Rädern, die nur langsam vorankommen. Schwaden von stinkenden Abgaswolken steigen von ihnen auf.
Die Wolke überfliegt das Zentrum einer großen Stadt.
„Und in diese Steinwüste willst du wirklich reisen?“, fragt Klatsch verwundert.
„Ja, irgendwann will ich mir die Welt da unten von Nahem ansehen“, sagt Klitsch.
„Ohne mich! Da würd’ ich ja aus allen Wolken fallen“, ruft Klatsch und starrt weiter schmatzend Löcher in die Luft.