Troubles - James Gordon Farrell - E-Book

Troubles E-Book

James Gordon Farrell

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Beschreibung

Die Entdeckung eines Autors: J. G. Farrell zum ersten Mal in deutscher Sprache 1919: Major Brendan Archer, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs aus der englischen Armee entlassen, reist an die irische Ostküste, um seine Verlobte zu heiraten. Das Wiedersehen mit der Tochter des Besitzers des Hotels Majestic verläuft allerdings gänzlich anders als erhofft, zumal die Verlobte bald darauf verstirbt. In der Zwischenzeit aber hat sich der Major bereits auf die verbliebene Schar von Katzen, skurrilen Dienern und Bewohnern eingelassen und wird immer tiefer in den Sog des Verfalls des riesigen ehemaligen Prachthotels und seines polternden Besitzers Edward Spencer hineingezogen. Die brillante, von absurdem Humor durchzogene Erzählung spielt vor dem Hintergrund der entscheidenden Jahre Irlands auf dem Weg zur Teilung des Landes. Die unerschöpflichen Facetten dieses jahrhundertealten Konflikts spiegeln sich wider in den verschiedenen Standpunkten der sehr lebensnah gezeichneten Figuren. Posthum mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet, bietet sich nun auch dem deutschen Leser die Gelegenheit zur Begegnung mit einem vollendeten Stilisten und großen Erzähler.

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James Gordon Farrell

Troubles

James Gordon Farrell

TROUBLES

Roman

Aus dem Englischenvon Manfred AlliéMit einem Nachwortvon John Banville

Erster Teil

EIN BESSERER HERR

Damals stand das Majestic in Kilnalough noch, ganz am Ende einer schmalen Landzunge, auf der die dürren Kiefern kreuz und quer in alle Richtungen ragten. Früher gab es im Sommer wohl auch Jachten dort, denn jeden Juli veranstaltete das Hotel eine Regatta. Die Jachten hätten vor einem der beiden sichelförmigen Sandstrände geankert, die auf beiden Seiten der Halbinsel das Hotel umfassten. Doch seither sind die Kiefern genau wie die Jachten verschwunden, und eines Tages werden sich die Wellen wohl an der schmalsten Stelle begegnen, da wo die Landzunge von ihrem Ansturm immer enger wird. Die Regatta war, aus welchem Grund auch immer, schon Jahre zuvor eingestellt worden, noch bevor die Spencers den Betrieb übernahmen. Und wiederum ein paar Jahre später folgte das Majestic (und ging darin den Kiefern voraus) den Booten in die Vergessenheit, als es bis auf die Grundmauern abbrannte – aber natürlich war es bis dahin auch schon in einem dermaßen heruntergewirtschafteten Zustand, dass es kaum noch etwas ausmachte.

So erstaunlich das ist, bedenkt man die zerstörerische Kraft der Meerluft, sind doch die verkohlten Überreste des weitläufigen Haupthauses noch immer zu sehen; aus irgendeinem Grunde – der schlechte Boden, die Nähe zur See – hat die Vegetation nur einen halbherzigen Versuch unternommen, sie zu erobern. Hie und da findet man zwischen den Mauerresten noch einen Beleg für die einstige Pracht des Majestic: die große Zahl gusseiserner Badewannen zum Beispiel, die vom einen brennenden Stockwerk zum nächsttieferen gestürzt waren, bis sie schließlich am Erdboden ankamen; auch verbogene Bettgestelle, manche noch nicht ganz vom Rost zerfressen; und eine schier unglaubliche Menge an Waschbecken und Toilettenschüsseln. In gleichmäßigen Abständen lässt sich an der Außenwand noch ablesen, wie gewaltig die Hitze des Feuers war: Man findet im Boden kleine Kristallkegel, in Schichten wie das Wachs, das von einer Kerze herabläuft, und diese Kegel sind nichts anderes als das geschmolzene Glas der Fenster. Greift man danach, so zerfallen sie in die trüben Tropfen, aus denen sie entstanden sind.

Noch eine Merkwürdigkeit: Man stößt auf eine große Zahl winziger weißer Knochengerüste, die überall umherliegen. Die Knochen sind äußerst zart und müssen, sollte man vermuten, kleinen Vierfüßern gehört haben ... (»Aber nein, keine Kaninchen«, sagt mein Großvater lächelnd.)

Früher war es ein vornehmer Ort gewesen. Es gab eine Zeit, da galt es als Ehre, wenn man im Sommer ein Zimmer im Majestic bekam. Doch als Edward Spencer es nach seiner Rückkehr aus Indien kaufte, war kaum etwas von seiner alten Pracht geblieben, vielleicht gar nichts mehr, selbst wenn ein paar Stammgäste, die schon immer gekommen waren, nach wie vor Jahr für Jahr wiederkehrten, die meisten davon unverheiratete alte Damen. Die einzige Erklärung dafür, dass sie ihm treu blieben (denn unter Edwards Leitung ging das Hotel rasch und unwiderruflich vor die Hunde), ist, dass im gleichen Maße, wie es mit dem Hotel bergab ging, auch die alten Damen verarmten. Immerhin konnten sie auch weiterhin sagen: »Oh, das Majestic in Kilnalough? Ich fahre seit 1880 jedes Jahr dorthin ...«, und der Mann, der Edward das Hotel verkaufte, hatte mit Fug und Recht versichern können, dass ihm zumindest eine Handvoll treuer Gäste sicher war, die zuverlässig Saison für Saison wiederkamen. Am Ende waren gerade diese Stammgäste wie ein Mühlstein um Edwards Hals gewesen (und später um den des Majors) – schlimmer als gar keine Gäste, denn sie hatten ihre Gewohnheiten, die zwanzig Jahre alt und noch älter waren; die Zimmer, die sie seit zwanzig Jahren bezogen, waren über das gesamte gewaltige Gebäude verteilt, und selbst als schon ganze Flügel und Bereiche davon tot waren und verfielen, gab es hier auf dieser Etage oder auf jener dort immer noch eine lebendige Zelle, die versorgt sein wollte. Doch nach und nach, als die Jahre vergingen und der Blutdruck sank, starben sie eine nach der anderen ab.

Aus der London Gazette, Vermischte Mitteilungen:

B. de S. Archer, zuletzt Major auf Zeit, scheidet mit Erfüllung seines Auftrags aus dem aktiven Dienst aus, führt jedoch weiterhin den Titel eines Majors.

Im Sommer 1919, nicht lange bevor die große Siegesparade durch Whitehall zog, wurde der Major aus dem Krankenhaus entlassen und begab sich nach Irland, um seine Braut Angela Spencer heimzuführen. Jedenfalls konnte er sich vorstellen, dass dies sich am Ende als der Zweck seines Besuches erweisen würde. Doch nichts Bestimmtes war besprochen.

Der Major hatte Angela 1916 auf Heimaturlaub in Brighton kennengelernt, wo sie bei Verwandten zu Besuch war. Inzwischen konnte er sich an diese Begegnung nur noch dunkel erinnern, benommen wie er war von dem gewaltigen, unablässigen Donnern der Geschütze, das ihr vorausgegangen und auch wieder gefolgt war. Sie waren ein wenig hysterisch gewesen – Angela hatte vielleicht geglaubt, dass auch sie inmitten von all dem Patriotismus etwas ganz Persönliches haben müsse, das sie verlieren konnte, und der Major, dass er doch wenigstens einen einzigen Grund zum Überleben brauchte. Er wusste noch, wie er ihr versichert hatte, er werde zu ihr zurückkehren, aber sonst wusste er nicht mehr viel. Genauer gesagt war das einzige, was ihm noch deutlich vor Augen stand, der Abschied auf einem nachmittäglichen Tanztee in einem Brightoner Hotel. Sie hatten sich im Schutz einer Laube geküsst, und als er die Hand ausstreckte, um sich zu stützen, hatte er genau in einen Kaktus gegriffen, wodurch manches an seinen Abschiedsworten einen etwas gekünstelten Ton angenommen hatte. Es hatte dermaßen wehgetan, dass er nur noch fortwollte. Doch der erstickte Schmerzensschrei hatte vielleicht einen falschen Eindruck von seinen Gefühlen gegeben.

Zwar war er sich sicher, dass er in den wenigen Tagen ihrer Bekanntschaft Angela keinen Antrag gemacht hatte, doch stand unzweifelhaft fest, dass sie verlobt waren – eine Gewissheit, die allein schon darin Bestätigung fand, dass sie ihre Briefe von Anfang an mit »in Liebe, Deine Verlobte Angela« unterzeichnet hatte. Zuerst hatte ihn das verwundert. Doch wo der Pesthauch des Todes durch den Unterstand zog, in dem er bei Kerzenlicht seine Antworten kritzelte, wäre es kleinlich, ja taktlos gewesen, auf solchen rein konventionellen Feinheiten zu beharren.

Angela hatte kein Talent zum Schreiben. Nie hätte man in ihren Briefen etwas von den Gefühlen gefunden, die in jenem Urlaub im Jahr 1916 zwischen ihnen bestanden hatten. Bestimmte Formeln, etwa »Von Tag zu Tag vermisse ich Dich mehr«, kehrten immer wieder, oder »Ich bete für Deine wohlbehaltene Rückkehr, Brendan«, was in jedem ihrer Briefe stand, zusammen mit nüchternen Berichten über Alltäglichkeiten: wie sie bei Switzer in Dublin Röcke für die Zwillinge gekauft hatte zum Beispiel, oder die Installation eines Generators für elektrisches Licht (Marke »Do More«), des ersten in Irland, wodurch, dessen seien sie sicher, das Majestic sich seinen Ruf als Luxushotel zurückerobern werde. Jedes persönliche Wort, jedes Gefühl wurde auf diese Weise gründlich vermieden. Dem Major machte das nicht viel aus. Er war misstrauisch gegenüber allem Sentimentalen und hatte schon immer die Fakten vorgezogen – und gerade an Fakten fehlte es dieser Tage seinem schwer gepeinigten Verstand (er hatte mit einem Grabenkoller im Krankenhaus gelegen). Alles in allem hatte er also gar nichts dagegen, dass er die Größe und Farbe der neuen Röcke für die Zwillinge erfuhr oder alles über Namen, Rassen, Alter und Gesundheitszustand von Edward Spencers zahlreichen Hunden. Viel erfuhr er auch über Angelas Freunde und Bekannte in Kilnalough, obwohl es natürlich immer wieder vorkam, dass in seinem löchrigen Gedächtnis ganze Sparten von Sachwissen vorübergehend verschwanden und dann an anderer Stelle wieder auftauchten, wie es dem Vernehmen nach in der Südsee mit manchen vulkanischen Inseln geschieht.

Mehrere Monate lang hatte er jede Woche einen Brief erhalten und ein bemerkenswertes Geschick entwickelt, jeweils die neuen Fakten herauszudestillieren, ja sogar manchmal an ihnen vorbei in tiefere Gefilde zu schauen, wo sich bisweilen eine Emotion regte wie am Grunde eines Gewässers ein Hecht. Zum Beispiel kam vielleicht wieder einmal eine Aufzählung von Edwards Hunden: Rover, Toby, Fritz, Haig, Woof, Puppy, Bran, Flash, Laddie, Foch und Collie. Aber wo, fragte er sich, war Spot geblieben? Spot, wo bist du? Warum fehlst du beim Appell? Doch dann fiel ihm, halb besorgt und halb amüsiert, wieder ein, dass in einem früheren Brief der Tierarzt hatte kommen müssen, weil Spot »ein wenig Staupe« hatte, aber der Arzt hatte befunden, es sei »nichts Ernstes«. Auf diese Weise knüpfte er sich, Fädchen um Fädchen, einen bunten Teppich von Angelas Leben im Majestic. Bald kannte er dieses Hotel so gut, dass er, als er sich Anfang Juli auf den Weg dorthin machte, das Gefühl hatte, dass er nach Hause fuhr. Und das war ein Glück für ihn, denn abgesehen von einer alten Tante in Bayswater hatte er keine eigene Familie mehr.

Als er aus dem Hospital entlassen wurde, hatte er diese Tante besucht. Sie war eine freundliche, sanftmütige alte Dame, und er mochte sie sehr, denn er war bei ihr aufgewachsen. Sie drückte ihn fest an sich, mit Tränen in den Augen, entsetzt darüber, wie sehr er sich verändert hatte, wie dünn und bleich er geworden war, traute sich aber nicht, etwas zu sagen, denn sie wollte ihm nicht die Laune verderben. Sie hatte ein paar Freunde zum Tee eingeladen, die ihn zu Hause willkommen heißen sollten, wohl weil sie fand, dass ein junger Mann, der aus dem Krieg heimkehrte, mehr an Begrüßung bekommen sollte als eine einsame alte Frau zu bieten hatte. Zunächst schien es dem Major gar nicht recht, als er das Haus voller Gäste mit Teetassen in der Hand sah, doch dann besserte sich zur Erleichterung der alten Dame seine Stimmung sehr, er wurde immer gesprächiger, redete übermütig mit allen, machte die Runde mit Sandwich- und Kuchentellern, und er lachte sehr viel. Ihre Gäste, anfangs erschrocken über diese Fröhlichkeit, waren bald bezaubert von ihm, und eine Weile lang schien alles bestens. Dann war er plötzlich verschwunden, sie suchte überall nach ihm und fand ihn schließlich allein in einem ungenutzten Salon. Etwas Müdes, Bitteres lag in seinem Blick, ein Ausdruck, den sie nie zuvor in seinen Augen gesehen hatte. Aber was sollte man schon anderes erwarten?, sagte sie sich. Er musste Dinge erlebt haben, die friedliebende alte Damen (wie sie eine war) sich nicht einmal vorstellen konnten. Aber Gott sei dank war er am Leben geblieben, und es würde schon wieder besser mit ihm werden. Taktvoll zog sie sich zurück und überließ ihn seinen Gedanken. Und nicht lange darauf kehrte er zur Teegesellschaft zurück und schien wieder bester Laune, sein Moment der Bitternis zwischen den stillen, verhüllten Möbelstücken vergessen.

Der Major wusste natürlich, dass er mit seinem Betragen der Tante Sorgen machte. Er ärgerte sich über sich selbst, aber zunächst fiel es ihm schwer, etwas dagegen zu tun. In einem anderen Versuch, ihn zu zerstreuen, lud sie ein paar junge Damen zum Tee ein, und er brachte alle durch die hungrige Art in Verlegenheit, mit der er ihren Kopf, ihre Beine, ihre Arme anstarrte. »Wie fest und solide sie aussehen«, dachte er, »aber wie leicht lösen sie sich vom Körper!« Und der Tee in seiner Tasse schmeckte wie Galle.

Und noch etwas machte seiner Tante Sorge: er wollte keinen von seinen alten Freunden sehen. Die Gesellschaft von Menschen, die er kannte, war ihm unerträglich geworden. Dieser Tage fühlte er sich nur in der Gesellschaft von Fremden wohl – was ihm den Gedanken an einen Besuch bei seiner »Verlobten« umso willkommener machte. Allerdings konnte er auch nicht leugnen, dass ihm nicht ganz wohl in seiner Haut war, als er nach Irland aufbrach. Er ließ sich mit einer Reihe wildfremder Menschen ein. Was, wenn Angela sich als unerträglich erwies, aber trotzdem darauf bestand, ihn zu heiraten? Außerdem waren seine Nerven in schlechter Verfassung. Was, wenn sich herausstellte, dass ihre Familie aufdringlich war? Allerdings lässt man sich nicht leicht von jemandem einschüchtern, von dem man zum Beispiel weiß, wie viele Plomben er in den Zähnen hat und wie viel sie gekostet haben oder wo er seine Obergarderobe kauft (von Unterwäsche hatte Angela diskreterweise nicht geschrieben) und vieles mehr in dieser Art.

TROTZKI DROHT KRONSTADT

Die Lage in Petrograd ist verzweifelt. Einer vom Sowjet veröffentlichten Verlautbarung zufolge wird die Evakuation der Stadt mit aller Eile vorangetrieben. Trotzki hat angeordnet, dass Kronstadt, wenn es aufgegeben wird, in die Luft gejagt werden soll.

Es war der Frühnachmittag des I. Juli 1919, und der Major hatte es sich in einem Abteil des Zuges bequem gemacht, der von Kingstown an der Küste von Wicklow entlang nach Süden fuhr. Er hatte seine Zeitung so gefaltet, dass die Schlagzeile mit Mr. De Valeras Bostoner Kommentar zu sehen war, der zwei Tage zuvor geschlossene Friedensvertrag habe an Stelle des dem Namen nach beendeten Krieges zwanzig neue geschaffen. Der Major gähnte angesichts dieser finsteren Prophezeiung allerdings nur und blickte auf seine Uhr. Nicht mehr lange, und sie trafen in Kilnalough ein. Theda Bara, sah er, trat in Kingstown als Cleopatra auf, ein Film mit Tom Mix lief im Grafton-Filmtheater, im Tivoli gab es einen Jongleur »von kaum je gesehener Fingerfertigkeit«. Eine weitere Schlagzeile fiel ihm auf. ZWISCHENFÄLLE AM SAMSTAGABEND IN DUBLIN. IRISCHE MÄDCHEN BESPUCKT UND GESCHLAGEN. Eine Gruppe von zwanzig oder dreißig irischen Mädchen, Helferinnen bei der Luftwaffenbasis in Gormanstown, waren von einer feindseligen Meute angegriffen worden ... herumgeschubst, malträtiert, geohrfeigt, überall auf der Straße. Aber wieso das? fragte sich der Major. Doch er döste ein, bevor ihm eine Antwort einfiel.

»Ja, zum ersten Mal «, antwortete der Major jetzt seinen Mitreisenden. »Obwohl ich mir sicher bin, dass es nicht meine letzte Fahrt hierher ist. Um ehrlich zu sein, ich werde heiraten ... ein irisches Mädchen.« Er überlegte, ob Angela es wohl gern hören würde, wenn man sie »ein irisches Mädchen« nannte.

Ah, deswegen. Alle lächelten zurück. Deswegen kam er her. Wenn sie sich das jetzt überlegten – sie strahlten –, hätten sie doch gleich gesehen, dass er nicht einfach nur ein Urlaubsreisender war. Und Gottes Segen und ein langes und glückliches Leben ...

Der Major erhob sich, hocherfreut über soviel Freundlichkeit, und die Herren standen ebenfalls auf und halfen ihm, den schweren schweinsledernen Koffer aus dem Gepäcknetz zu wuchten, schlugen ihm auf die Schulter und erneuerten ihre guten Wünsche, und die Damen lächelten verlegen beim Gedanken an eine Hochzeit.

Der Zug ratterte über eine Brücke. Unten sah der Major das ruhig fließende Wasser, die Bernstein- oder Teefarbe so vieler irischer Gewässer. Auf beiden Uferböschungen wuchsen Wildblumen, verwoben in das lange, schimmernde Gras. Das Tempo des Zuges wurde weiter gedrosselt, und sie holperten über einige Weichen. Die Wälle rechts und links der Strecke verschwanden, und stattdessen tauchte ein Bahnsteig auf. Der Major sah sich erwartungsvoll um, doch es war niemand da, um ihn zu begrüßen. In Angelas Brief hatte es klipp und klar, sachlich wie immer, geheißen, dass ihn jemand abholen werde. Und der Zug (er blickte noch einmal auf seine Uhr) war sogar ein paar Minuten zu spät. Angelas Handschrift war so ordentlich, so regelmäßig, dass man einfach alles glauben musste, was sie schrieb.

Ein paar Minuten vergingen, und er hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass noch jemand kommen würde, da kam ein junger Mann auf den Bahnsteig getrottet. Er hatte ein volles, rundes Gesicht, und die Art, wie er den Kopf ein wenig schief hielt, gab ihm etwas Verschlagenes. Nach kurzem Zögern trat er näher und streckte dem Major die Hand entgegen.

»Sie müssen der Bursche von Angela sein? Tut mir schrecklich leid, dass ich zu spät bin. Ich sollte Sie abholen und so weiter.« Nachdem er die Hand des Majors geschüttelt hatte, zog er die eigene wieder zurück und kratzte sich damit am Kopf. »Übrigens, ich bin Ripon. Ich nehme an, Sie haben von mir gehört.«

»Um ehrlich zu sein, nein.«

»Oh? Also ich bin Angelas Bruder.«

Angela, die ihm jede Einzelheit aus ihrem Leben schrieb, hatte nie erwähnt, dass sie einen Bruder hatte. Verblüfft folgte der Major dem jungen Mann durch das Bahnhofsgebäude nach draußen und wuchtete seinen Koffer – Ripon hatte nicht angeboten, ihn zu tragen – hinten auf den Pferdewagen, bevor er dann selbst aufstieg. Ripon nahm die Zügel, ruckte daran, und schon holperten sie über die ungeteerte, gewundene Straße bergabwärts davon. Der junge Mann trug, wie der Major vermerkte, einen gut geschnittenen Tweedanzug, dem ein Bügeleisen gut getan hätte, und auch ein frischer Kragen wäre nicht fehl am Platze gewesen.

»Das ist Kilnalough«, erklärte Ripon unbeholfen, nachdem sie eine Weile schweigend gefahren waren. »Ein wunderschönes Städtchen. Ein großartiger Ort sogar.«

»Ich nehme an, Sie sind schon länger hier?«, erkundigte sich der Major, der versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, dass nie ein Wort über Ripon in den Briefen seiner Schwester gestanden hatte. »Ich meine, Sie sind nicht etwa erst vor Kurzem aus dem Ausland zurückgekehrt?«

»Dem Ausland?« Ripon sah ihn misstrauisch an. »Nein, eigentlich nicht. Das kann ich nicht sagen.« Er räusperte sich. »Könnte mir vorstellen, der Geruch hier kommt Ihnen merkwürdig vor – Torffeuer, Vieh und so weiter. Ich weiß, dass Angela sich freut, Sie zu sehen«, fügte er hinzu. »Ich meine, wir sind alle ... mächtig froh.«

Der Major ließ den Blick über die weiß gekalkten Wände und die Schieferdächer von Kilnalough schweifen; hie und da standen Männer und Frauen schweigend in der Tür oder saßen auf der Schwelle und schauten sie an, als sie vorüberfuhren. Ein oder zwei von den älteren Männern tippten sich an die Kappe.

»Eine großartige Stadt«, sagte Ripon noch einmal. »Sie werden sich schnell dran gewöhnen. Rechts ein Stück die Straße hinunter ist die Munster and Leinster Bank ... links der Kaufladen von O’Meara und dann der Fischladen, wir sind ja hier gleich am Meer ... hinten, wo die Straße die Biegung macht, ist die Kapelle Unserer Jungfrau Himmelskönigin, Fischfresser natürlich ... und dann haben wir noch O’Connell, den Metzger, da gibt’s das zweitbeste Schweinefleisch ...« Seltsamerweise kamen sie an keiner dieser Sehenswürdigkeiten vorbei – oder wenn doch, dann erkannte der Major sie nicht.

Und schon lag Kilnalough hinter ihnen; draußen vor der Stadt gab es nichts zu sehen außer ein paar armseligen steinernen Cottages, vor denen zerlumpte, barfüßige Kinder spielten, Hühner, die in Abfällen scharrten, und über allem lag der Geruch von verfaulender Vegetation. Sie kamen über einen Hügelkamm und sahen den matten Glanz des Meeres über dem Flickenteppich aus Wiesen und Hecken. Das Aroma von Salzwasser lag nun deutlich in der Luft.

Mit einem Mal war Ripon bester Laune, geradezu aufgekratzt (womöglich sogar ein klein wenig beschwipst?, fragte sich der Major) und zeigte ihm immer neue Attraktionen aus seiner Kindheit. Er wies auf ein flaches, offenes Feld und erklärte dem Major, dass er dort seinen ersten Drachen habe steigen lassen; in einem Weißdorngebüsch hatte er einmal ein Kaninchen so groß wie eine Bulldogge geschossen; in der Scheune dort drüben hatte er eine interessante Erfahrung mit dem Bauernmädchen gemacht, das damals jedes Jahr in dem vom Tuchhändler Finnegan veranstalteten Weihnachtsspiel die Jungfrau Maria spielte ... ja, und in dem Wäldchen jenseits der Scheune war der junge Herr Ripon – und die ganze Dienerschaft und »all die vornehmen Herrschaften« von meilenweit her sahen zu – mit dem Blut des Fuchses beschmiert worden (gar nicht soviel anders, fügte er kryptisch hinzu) ... und hier, auf dieser Straße ...

Nicht weit vor ihnen ragten aus dem wuchernden Grün, das die Straße säumte, die beiden wuchtigen, verwitterten Torpfosten des Majestic auf. Als sie zwischen ihnen hindurchfuhren (das Tor selbst war verschwunden, und es blieben nur die nackten gewaltigen Eisenhaken, an denen die Flügel einmal gehangen hatten), sah der Major sie sich näher an: Auf jedem davon saß eine große steinerne Kugel, jeweils mit einer leicht schräg aufgesetzten und jetzt vom Wetter glattgeschliffenen Krone verziert, was den Pfosten etwas Albernes, Trunkenes gab, wie ernsthafte Männer mit Papierhüten auf dem Kopf. Rechts von der Auffahrt stand etwas, das früher gewiss einmal das Torhaus gewesen war, jetzt dermaßen dicht vom Efeu überwuchert, dass sich nur noch an den zwei länglichen Rechtecken der eingeschlagenen Fenster erkennen ließ, dass dieser lauschige Platz innen hohl war. Der dichte Laubwald, durch den hindurch man leise die Brandung des Meeres hörte, wich immer mehr den lichteren, spärlicheren Kiefern, nun, da sie die schmalste Stelle der Landzunge passierten, und kehrte zurück, als sie im Park anlangten, über dem die schwarze Masse des Hotels aufragte. Die schiere Größe überraschte den Major. Im Näherkommen blickte er hinauf zu dem hohen türmchenbesetzten Gemäuer und versuchte die Fenster und Balkone zu zählen (wo von einem davon vielleicht seine »Verlobte« Ausschau nach ihm hielt).

Ripon brachte den Wagen zum Stehen, und nachdem der Major abgestiegen war, beförderte er dessen Koffer mit einem Fußtritt auf den Kies (woraufhin der Major zusammenfuhr, denn er dachte an die zerbrechlichen Flaschen mit Rasierwasser und Makassaröl). Anschließend, ohne dass er selbst abgestiegen wäre, gab er wieder einen Schlag mit der Zügel und fuhr davon; er rief dem Major noch zu, dass er das Pony zum Stall auf der Rückseite bringen müsse; er solle ruhig schon ohne ihn hineingehen, die Treppe hinauf und dann durch die große Eingangstür. So hob der Major seinen Koffer auf und ging zu den steinernen Stufen, blieb jedoch unterwegs noch einmal stehen, um die lebensgroße Statue einer fülligen Dame zu Pferde zu inspizieren, die vom Wetter Grünspan angesetzt hatte. Diese Dame und ihr zierlich tänzelndes Pferd waren ihm schon aus Angelas Briefen bekannt. Es war Königin Viktoria, und zumindest sie sah ganz genauso aus, wie er sie sich vorgestellt hatte.

Der Major hatte es für denkbar gehalten, dass seine »Verlobte« hinter der Tür darauf wartete, ihn zu umarmen – eine massive Tür aus geschnitzter Eiche, die gar nicht so einfach aufzustemmen war. Doch im Inneren keine Spur von ihr.

Am Fuße der weit ausgreifenden Treppe stand eine weitere Statue, diesmal eine Venus; Kopf und Schultern hatten vom Staub eine dunklere Färbung angenommen, auch die mehr nach oben gerichteten Teile der marmornen Brüste und Pobacken. Nervös, erschöpft kniff der Major die Augen zusammen und besah sich die schäbige Pracht der Hotelhalle, die eingestaubten vergoldeten Cherubim, die roten Plüschsofas, die halb blinden Spiegel.

»Wo stecken nur alle?«, fragte er sich. Kein Mensch ließ sich blicken, und so setzte er sich auf eines der Sofas, den Koffer zwischen den Knien. Eine feine Staubwolke stieg rings um ihn auf.

Nach einer Weile stand er wieder auf und fand auf dem Empfangstisch eine Glocke, die er läutete. Das Echo ihres Klangs tönte über die verstaubten Fliesen, verlor sich in düsteren teppichbelegten Korridoren, verhallte durch offenstehende zweiflügelige Türen in Salons und Bars und Herrenzimmern, stieg aufwärts durch Windung um Windung der breiten geschwungenen Treppe (wo ein paar von den Teppichstangen aus Messing fehlten, sodass der Läufer gefährliche Wellen schlug), bis es schließlich die Kammern der Dienstmädchen erreichte und dann in den Gewölben hoch über seinem Haupt anlangte (so weit oben, dass er das elegante goldene Maßwerk kaum noch erkennen konnte); und von dieser Decke hing eine unglaublich lange Kette, lief an all den Spiralwindungen von Etage zu Etage vorbei bis hinab zu dem großen gläsernen Kronleuchter nur ein paar Zollbreit über seinem Kopf, einem Leuchter besetzt mit ausgebrannten Glühbirnen. Kurz klirrte einer der gläsernen Klunker leise an seinem Ohr. Dann war wieder alles still außer dem Tick-Tack einer alten Pendeluhr, die über der Rezeption die falsche Zeit anzeigte.

»Ich werde wohl besser den Gong hier schlagen«, sagte er sich. Und das tat er. Ein donnernder Schlag durchdrang die Stille. Mächtig breitete er sich aus, der Major konnte spüren, wie dieser Klang anschwoll, wie eine Frucht so gewaltig, dass sie schon bald zu sämtlichen Fenstern herausquellen würde. Ein Schaudern durchlief ihn, denn er musste an den ersten Kugelhagel zu Beginn eines Gefechtes denken. »Ich bin müde«, dachte er. »Warum kommt bloß keiner?«

Doch nicht lange, und ein rundliches, rotgesichtiges Dienstmädchen erschien und fragte ihn, ob er Major Archer sei. Miss Spencer erwarte ihn im Palmenhaus. Der Major ließ seinen Koffer zurück und folgte ihr einen dunklen Gang hinunter; jetzt fürchtete er sich doch ein wenig vor diesem so lange hinausgeschobenen Wiedersehen mit seiner »Verlobten«. »Na, sie wird schon nicht beißen«, sagte er sich schneidig. »Zumindest nimmt man das doch an.« Trotzdem schlug ihm heftig das Herz.

Das Palmenhaus erwies sich als weite, düstere Höhle, in der verstaubte weiße Sessel in Gruppen beieinanderstanden, still und ungenutzt, gerade noch zwischen dem düsteren Grün auszumachen. Denn die Palmen waren ins Uferlose gewuchert, waren aus ihren Holzkübeln (von denen manche aufgebrochen waren, sodass kleine Kegel aus schwarzer Erde auf den Fliesenboden gerieselt waren) in die Höhe zu dem fernen, trüben Oberlicht geschossen, wo sie nun, ineinander verflochten, an das grünliche Glas pochten, das dort oben grämlich glomm. Hie und da zwischen den Tischen beherbergten schimmeltriefende Beete Bananen- oder Gummibäume, Schildfarn, Elefantengras und Schlingpflanzen, die von oben herabhingen wie smaragdgrünes Gedärm. An manchen Stellen klangen die Fliesen unter seinen Schritten hohl – wahrscheinlich lag darunter ein Röhrensystem, überlegte der Major, das diesen Dschungel mit Wasser versorgte. Aber jetzt war er da.

An einem der Tische erwartete Angela ihn mit einem wächsernen Lächeln und der Hoffnung, dass er eine gute Reise gehabt habe. Das erste, was er spürte, war Enttäuschung. Hier unten war es so düster, dass der Major gar nicht recht sehen konnte, was für ein Gesicht sie machte, aber ein wenig überrascht (wie auch immer ihre Miene sein mochte) war er doch über die Förmlichkeit dieses Grußes. Er hätte ebenso gut ein Bekannter sein können, der zum Bridge vorbeikam. Natürlich, machte er sich sogleich klar, hatten sie sich nur kurz getroffen, und das war lange her. Soweit er sehen konnte, war sie älter als erwartet, und sie kam ihm abgehärmt vor. Offenbar zu erschöpft, um sich zu erheben, hielt sie ihm aber doch immerhin eine schmale Hand entgegen. Der Major, der noch keine Zeit gehabt hatte, sich an diese leibhaftige Angela zu gewöhnen, fasste sie eifrig und fuhr mit seinem zottigen blonden Schnurrbart darüber, was sie ein wenig zusammenzucken ließ. Dann wurde er den anderen Gästen vorgestellt: einem uralten Gentleman namens Dr. Ryan, der in seinem dicken Polstersessel fest eingeschlafen war (und deshalb seinen Gruß auch nicht erwiderte), einem Advokaten, der Boy O’Neill hieß, seiner Frau, einer reichlich griesgrämigen Dame, und ihrer Tochter Viola.

Das Blattwerk, sagte der Major sich noch einmal, nun wo er sich setzte, war wirklich außerordentlich dicht; Schlingpflanzen hingen nicht nur von oben herab, sondern streckten ihre Tentakeln auch über den ganzen Fußboden und schlangen sich um jeden ahnungslosen Gegenstand, der zu lange an seinem Platz verharrt hatte. Eine Stehlampe ihm zur Seite war zum Beispiel von einer vegetabilen Schlange erdrosselt worden, die sich den schlanken Metallstab emporgewunden hatte bis hin zu der düsteren Birne, die wie ein großes Glubschauge dort oben stand. Sie hatte keinen Schirm, und der Major war davon ausgegangen, dass die Glühbirne durchgebrannt war, bis Angela zu seiner Verblüffung sich zwischen den verstaubten Blättern zu schaffen machte und sie einschaltete, wohl damit sie sich ihn einmal genauer ansehen konnte. Ob es sie nun entsetzte, was sie sah, oder nicht, jedenfalls schaltete sie die Lampe nach einem kurzen Augenblick mit einem Seufzer wieder ab, und das bedrückende Dunkel breitete sich erneut aus. Der Major dachte derweil: »So hat sie also vor drei Jahren in Brighton ausgesehen; natürlich, jetzt erinnere ich mich«; aber wenn er ehrlich war, erinnerte er sich doch nur halb; zur Hälfte war sie sie selbst, zur Hälfte war sie eine Fremde, doch keine von beiden Hälften entsprach dem Bild, das er von ihr gehabt hatte, wenn er ihre wöchentlichen Briefe las (ein Bild, das er vielleicht heiraten wollte, wohlgemerkt – er durfte nicht vergessen, dass diese matte Dame seine »Verlobte« war).

»Hattest du eine gute Überfahrt, Brendan?«, erkundigte sie sich. »Das Boot kann so lästig sein, wenn die See rau ist.«

»Ja, danke; obwohl ich nicht leugnen kann, dass ich froh war, als wir in Kingstown einliefen. Und dir ist es gut ergangen, Angela?«

»Oh, ich sterbe« – ein kraftloser Hustenanfall unterbrach sie – »vor Langeweile«, fügte sie verdrießlich hinzu.

Inzwischen hatte sie, ohne dabei den Major aus den Augen zu lassen, ein Bein unter dem Tisch ausgestreckt und machte merkwürdige Bewegungen damit, wobei sie von der Anstrengung ein wenig ächzte, so als wolle sie einen trägen, doch zähen Käfer in den Fliesenboden treten. »Streckt sie den Fuß nach mir aus?«, fragte der Major sich perplex. Dann, nachdem diese kuriosen Zuckungen noch mehrere Sekunden lang gedauert hatten (die O’Neills waren entweder daran gewöhnt, oder sie taten, als merkten sie nichts), erklang eine Glocke irgendwo in der Tiefe des Palmenwaldes. Angelas Bein entspannte sich, ein zufriedener Ausdruck kam in ihre bleichen, bekümmerten Züge, und ein alter, abgerissener Diener (den der Major einen Moment lang für seinen zukünftigen Schwiegervater hielt) kam aus dem Dschungel geschlurft, heftig durch den Mund atmend, als sei ihm gerade in der Spülküche etwas Entsetzliches widerfahren.

»Tee, Murphy.«

»Sehr wohl, Ma’am.«

Angela schaltete die Lampe lange genug an, dass Murphy mit zitternden Fingern ein paar leere Tassen einsammeln konnte, dann schaltete sie sie wieder aus. Der Major bemerkte, dass Dr. Ryan nicht, wie er gedacht hatte, schlief. Unter den gesenkten Lidern funkelten seine Augen vor Aufmerksamkeit und Intelligenz.

»Ich wünschte, wir könnten unseren vertrauen«, sagte Mrs. O’Neill.

»Es ist nicht leicht«, pflichtete Angela ihr bei. »Was meinen Sie, Doktor?«

Dr. Ryan ging jedoch auf die Frage nicht ein, und von Neuem senkte sich das Schweigen herab.

»In vielem sind sie wie Kinder«, sagte Boy O’Neill dann doch noch, und seine Frau stimmte ihm zu. »Was für eine unglaublich steife Teegesellschaft«, dachte der Major, der inzwischen einen beträchtlichen Hunger verspürte und hoffnungsvoll aufblickte, als er hörte, wie sich Schritte näherten. Aber es war nur Ripon, der sich entschuldigend in einen Sessel neben Mrs. O’Neill gleiten ließ.

»Hast du dir die Hände gewaschen, Ripon?«, fragte Angela. »Nach dem Pferd.«

»Ja doch, ja«, antwortete Ripon, warf dem Major ein verstohlenes Lächeln zu und lehnte sich dann in demonstrativ lässiger Art in seinem Sessel zurück. Im nächsten Moment warf er ein Bein über die Lehne und verfehlte dabei mit dem Schuh (dessen zerklüftete Konturen von einem Loch in der Sohle herrührten) nur knapp Mrs. O’Neills Gesicht. »Wo sind die Zwillinge?«

»Die sind für eine Woche bei Schulfreunden in Tipperary. Obwohl man sich fragt, ob die Straßen heutzutage wirklich sicher sind.«

»Auf die Straße nach Wexford haben sie Bäume stürzen lassen. So kann das wirklich nicht weitergehen. Drei Polizisten in Kilcatherine ermordet. In der Irish Times von heute Morgen steht, es werden sechs Shilling pro Pfund Strafgeld erhoben, im ganzen Distrikt. Da werden sie es sich das nächste Mal besser überlegen.« Mr. O’Neill sprach mit den schlanken Vokalen des Nordiren; sein eingefallenes, gelbliches Gesicht hatte den Major wieder daran erinnert (er wusste es aus Angelas Briefen), dass gemunkelt wurde, der Anwalt der Spencers habe Krebs; er habe Spezialisten in Dublin aufgesucht, selbst bei Ärzten in London sei er gewesen. Zwar hatte Angela in ihren Briefen dem Major das Urteil vorenthalten, doch dass sie nicht wieder darauf zu sprechen gekommen war, war beredt genug. Er würde sterben. Der Mann starb vor sich hin, hier im Palmenhaus, während er sich über die Abscheulichkeiten der Sinn Féin ausließ.

»Wer durch das Schwert lebt ...«, sagte Mrs. O’Neill.

»Ah, mehr Tee!«, rief Angela, als Murphy wiederum wie ein altersschwacher, kurzatmiger Gorilla durch den Saum des Dschungels brach und einen Servierwagen vor sich her schob. Sandwiches mit Senf und Kresse. Der Major nahm eines und schnitt es mit dem kleinen, krummsäbelartigen Dessertmesser. Geschwächt vom Hunger steckte er zuerst die eine Hälfte in den Mund, dann die andere. Beide waren verschwunden, bevor er noch den Mund ganz geschlossen hatte. Nur umso hungriger geworden, nahm er ein weiteres Sandwich vom Teller, aß es, nahm ein drittes. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, zwei auf einmal zu nehmen. Zum Glück war es jetzt schon sehr schummrig im Palmenhaus (obwohl es ja erst mittlerer Nachmittag war), und vielleicht fiel es niemandem auf.

Inzwischen erzählte Angela (die, wie sie sagte, einmal auf dem Schoß des Vizekönigs gesessen hatte) mit matter Stimme von ihrer Kindheit in Irland und Indien, dann kam sie ein wenig mehr in Fahrt, als sie bei ihrer glorreichen Jugend in der Londoner Society anlangte. Bald war sie regelrecht munter geworden, und der Tee in den Tassen ihrer Gäste wurde kalt. Ripon blickte, während Champagner aus den Schuhen seiner Schwester geschlürft wurde, immer wieder den Major an und zwinkerte ihm zu, als ob er sagen wolle: Jetzt ist es wieder mal so weit! Aber Angela merkte es entweder nicht oder achtete nicht darauf.

Ein Wort von ihr, und gutaussehende Studenten, Mitglieder der ersten Rudermannschaft, sprangen für sie im Abendanzug in die Isis oder die Cam. Man schaukelte am Kronleuchter. Ihre Hände wurden von ehrwürdigen Staatsmännern geküsst, von Forschungsreisenden, die ihr fest ins Auge blickten, von uralten präraffaelitischen Dichtern und weiß Gott von wem noch, während Boy O’Neill an seinem Schnurrbart kaute und mit einem Brummen bei jedem neuen Akt der Schamlosigkeit Schrecken und Überraschung zeigte; seine Frau hatte derweil eine sauertöpfisch-ungläubige Miene aufgesetzt, recht hart um den Mund, als ob sie sagen wolle, dass nicht jede auf jeden Unsinn hereinfällt, den sie zu hören bekommt; Ripon grinste und zwinkerte, und Dr. Ryan schien zu dösen, altersstarr. Staunend hörte der Major zu; nie und nimmer hätte er geglaubt, dass dies dieselbe Person war (halb junges Mädchen, halb alte Jungfer), die ihm so viele präzise, faktenstarrende Briefe geschrieben hatte, voll von der Unbezwingbarkeit einer Realität hart wie Granit. Angela redete und redete, und der Major dachte derweil über diesen neuen Zug im Wesen seiner »Verlobten« nach. Zugleich verschlang er, nun wo die Düsternis des Raums sich zu einer geheimnisvollen Tropennacht verdichtete, schuldbewusst den gesamten Teller Sandwiches. Schließlich war es dann doch so dunkel, dass nichts anderes übrigblieb, als das Licht einzuschalten, und das brachte alle Anwesenden mit einem Schlag auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Leuchten in Angelas Augen verglomm. Jetzt sah sie wieder müde, geplagt und gewöhnlich aus.

»Ah, das waren noch Zeiten, vor dem Krieg. Da konnte man eine gute Flasche Whisky für vier Shilling Sixpence kaufen«, sagte Mr. O’Neill. »Die verfluchten Frauen, mit denen hat das Unglück angefangen.«

»Sie haben sich Vorteile durch ihr Geschlecht verschafft«, stimmte seine Gattin zu. »Sie haben ein Haus in die Luft gejagt, das für Lloyd George bestimmt war. Sogar unter den Krönungssessel haben sie eine Bombe gelegt. Die schönsten Golfplätze haben sie verwüstet und die Post anderer Leute verbrannt. Benimmt sich so etwa eine Dame? Wenn man solchen Leuten nachgibt, das bereut man immer. Wenn nicht der Krieg gekommen wäre ...«

»... In dem die Frauen von England tapfer ihren Anteil geleistet haben, mehr als ihren Anteil sogar, und ich ziehe meinen Hut vor ihnen. Sie hatten das Wahlrecht verdient. Aber die britische Öffentlichkeit lässt sich nicht terrorisieren. Sie hat damals nicht nachgegeben und sie wird auch heute nicht nachgeben. Denken Sie an diese Frau, die sich beim Derby vors Pferd geworfen hat. Das Pferd des Königs lag an fünfter Stelle, da wäre sowieso nichts mehr zu machen gewesen ... aber wenn es Craiganour gewesen wäre, dann hätten diese Weiber den Zorn Englands zu spüren bekommen.«

Plötzlich merkte der Major, dass Viola O’Neill, deren langes Haar zu kindischen Zöpfen geflochten war, die eine Art Schuluniform aus grauem Tweed trug und die kaum älter als sechzehn sein konnte (drall und hübsch, wie sie war), ihn keck und unverwandt ansah. Verlegen senkte er den Blick und betrachtete nun den leeren Teller vor sich.

Was Ripon anging, der war sichtlich gelangweilt. Er war zu einer orthodoxeren Sitzposition zurückgekehrt, saß mit übereinandergeschlagenen Beinen und schlug sich mit einem Teelöffel aufs Knie, um seine Reflexe zu testen. Der Major beobachtete ihn schläfrig. Jetzt, nachdem er gegessen hatte, konnte er sich nur noch mit Mühe wachhalten, und zugleich spürte er doch, wie Miss O’Neills vorwitzige Augen ihn beobachteten. Zum Glück – gerade als er das Gefühl hatte, dass er keinen Augenblick länger gegen die überwältigend einschläfernden Reminiszenzen Boy O’Neills über seine Schulzeit ankämpfen konnte – regte sich etwas. Ein massiger, ungestüm wirkender Mann in weißen Flanellhosen trat hinter einem üppigen Farn hervor, an dem der trübe Blick des Majors zufällig hängengeblieben war. »Rasch, Männer!«, rief er. »Man hat zwielichtige Gestalten auf dem Gelände gesehen. Shinner wahrscheinlich.«

Die Teegesellschaft sah ihn mit großen Augen an.

»Rasch!«, rief er noch einmal, mit einer ruckhaften Bewegung mit dem Tennisschläger, den er in der Hand hatte. »Glauben wahrscheinlich, sie können hier Waffen holen. Ripon, Boy, bewaffnet euch und kommt mit. Sie auch, Major, freut mich Sie kennenzulernen, da werden Sie ja wohl mitmachen wollen. Kommen Sie schon, Boy, Sie sind doch noch nicht zu alt für eine Rauferei!«

Im Halbdunkel regte sich der alte Arzt kaum merklich.

»Verfluchter Dummkopf!«, brummte er.

Der ungestüme Mann in Flanell war natürlich Angelas Vater Edward. Das steinerne, kantige Gesicht mit dem akkurat gestutzten Schnurrbart und der gebrochenen Nase war unverkennbar (zumindest für den Major, der die Briefe seiner Tochter so sorgsam studiert hatte). Die gebrochene Nase zum Beispiel rührte daher, dass er für Trinity gegen den berüchtigten Kevin Clinch geboxt hatte, einen Katholiken, der Gälisch sprach und dessen gnadenlose Fäuste damals Legende waren (schrieb jedenfalls Angela). Der barbarische Clinch (erinnerte sich der Major und lachte leise vor sich hin) hatte, wobei er unverständliche Flüche zwischen blutenden Lippen hervorstieß, ebensoviel einstecken müssen, wie er austeilte, bis es ihm schließlich gelungen war, »Vater« mit einem glücklichen Haken k.o. zu schlagen. Immer wieder war Spencer senior zu Boden gegangen, immer wieder hatte er sich erhoben, um englischen Schneid und englische Hartnäckigkeit gegen die größere Kraft seines keltischen Gegners zu beweisen. Der Major stellte ihn sich vor, wie er am Ende dann doch auf der Matte lag und die Fäuste noch im Reflex weiterschlugen wie die Gliedmaßen eines geköpften Huhns. Was machte es schon für einen Unterschied, dass Edward den Zweikampf in der Horizontalen beendet hatte, trotz all seinem Einsatz? Ja gar keinen. Er hatte bewiesen, was zu beweisen war. Auf den Sport kommt es an, nicht darauf, wer schließlich Sieger bleibt. Außerdem war Clinch sechseinhalb Kilo schwerer gewesen.

Als er nun den anderen über den Korridor folgte, fielen dem Major Edwards Ohren auf, über die er ebenfalls alles wusste – besser gesagt, er wusste, warum sie so auffällig flach am Schädel anlagen, nämlich weil seine Mutter entsetzliche Angst gehabt hatte, er könne abstehende Ohren bekommen. Während seiner ganzen Kindheit waren sie fest an den Kopf gebunden gewesen, und der Major fand, dass dies eine glückliche Maßnahme gewesen war. Die kantige Stirn, die schweren Brauen, das steinerne Kinn wären zuviel gewesen, hätten nicht die so angenehm angelegten Ohren ein Gegengewicht gebildet. Doch nun drehte sich Edward nach dem Major um, und dieser sah in seinen Augen eine Milde, eine Klugheit, ja sogar einen Anflug von Ironie, die überhaupt nicht zu seinem Löwenantlitz passten. Einen Moment lang hatte er sogar den Verdacht, Edward könne seine Gedanken erraten haben ... doch jetzt waren sie in Edwards Arbeitszimmer angekommen, einem Raum, der stark nach Hunden, Leder und Tabak roch. Wie sich herausstellte, enthielt er eine unglaubliche Menge an Sport- und Jagdausrüstung, achtlos auf ein altes Chaiselongue geworfen, aus dessen aufgeplatzten Wunden das Rosshaar hervorquoll. Schrotflinten und Kricketstäbe lagen zwischen Angelruten, Squash- und Tennisschlägern (hochwertigen Stücken von Gray Russell in Portarlington), einzelnen Tennisschuhen und schimmligen Schlägern.

»Suchen Sie sich was aus. Mehr in der Waffenkammer, wenn das hier nicht reicht. Munition ist da drüben.« Edward wies auf eine Schublade, die man aus einer Anrichte herausgenommen hatte und die jetzt auf dem Boden stand, neben der ausgeräumten schwarzen Feuerstelle. Eine große, zottige Perserkatze schlief auf dem scharlachroten Patronenvorrat und öffnete kaum die gelben Augen, als sie aufgehoben und auf einen messinggefassten Elefantenfuß gesetzt wurde. Inzwischen waren zwei oder drei weitere Männer in weißen Flanellhosen dazugekommen und wühlten nach passender Munition für ihre diversen Feuerwaffen; offenbar war ein Tennisspiel im Gange gewesen. Der Major, der nicht vorhatte, an seinem ersten Tag in Irland auf jemanden zu schießen, wenn es sich auch nur irgend vermeiden ließ, zerrte halbherzig an einer 22er Flinte, die sich in einem Gummistiefel, einem krummen Tennisschläger und einer hoffnungslos verhedderten Angelschnur verfangen hatte. Ripon hatte inzwischen am Kamin einen Dreispitz mit Feder entdeckt und probierte ihn, nachdem er eine Staubwolke davon abgeschüttelt hatte, vor dem Spiegel auf; dann nahm er ein Paar gekreuzter Degen von der Wand und steckte sie sich durch die Schlaufen seiner Hosenträger. Schließlich ergriff er noch einen Wurfspieß, der hinter der Tür gestanden hatte, und kitzelte die Katze damit.

»Verdammt nochmal, Ripon«, knurrte Edward. Und dann: »Wenn alle bereit sind, dann ab mit uns.«

»Wie unglaublich irisch das doch alles ist!«, dachte der Major verwundert. »Die Familie scheint mir vollkommen verrückt.«

Ein großer, kräftiger Mann in dunkelgrüner Uniform mit schimmerndem schwarzen Ledergürtel stand im Foyer, bohrte sich in der Nase und betrachtete gedankenverloren den weißen Marmorhintern der Venusstatue. Verblüfft starrte er Edward an, der noch immer den Tennisschläger in der einen Hand hielt, aber mit der anderen jetzt einen Militärrevolver schwang, als stürze er sich in einen exotischen Gladiatorenkampf. Dann wanderte sein Blick von Edward zu den Männern in weißen Flanellhosen, die ihre Schrotflinten fertig zum Laden über dem Arm hatten. Auch die Erscheinung Ripons mit Speer und Federhut schien ihn nicht gerade zu beruhigen.

»Da wären wir, Sergeant. Zeigen Sie uns, wo Sie diese Halunken gesehen haben.« Der Sergeant entgegnete höflich, eigentlich habe er nur telefonieren wollen; die Männer könnten gefährlich sein.

»Umso besser. Mit denen nehmen wir es allemal auf. Aber jetzt verraten Sie mir, wieso glauben Sie, dass die sich hier herumtreiben ...« Und Edward legte dem Sergeanten eine väterliche Hand auf die Schulter und steuerte ihn nach draußen zur Auffahrt, wo noch die Sonne schien.

Die improvisierte Flanellarmee stapfte munter in Richtung Wäldchen, und jemand meinte: »Jetzt müssten wir fragen, ob die Frauen in Sicherheit sind.«

»Na, wenn Sie nicht da sind, dann sind sie in Sicherheit«, kam die Antwort, und alle lachten gutmütig. Ripon hatte sich zum Major gesellt und erzählte ihm von einem kuriosen Vorfall, der sich ein paar Tage zuvor auf einer Tennisgesellschaft im nahegelegenen Valebridge ereignet hatte. Eine schwer bewaffnete Fahrradpatrouille hatte zwei verdächtige Gestalten (zweifellos Sinn Féin) gestellt, die sich an der Kanalbrücke zu schaffen machten. Der eine war über die Felder geflohen und war ihnen entkommen. Der andere war mit dem Fahrrad da und wollte es nicht zurücklassen, und er war überzeugt davon, dass er der königlich-irischen Polizei davonfahren konnte. Während der ersten fünfzig Meter war der schwer schwankende und verzweifelt strampelnde Flüchtling den Männern fast noch zum Greifen nahe gewesen, doch dann hatte der Abstand sich vergrößert. Bis die Verfolger ihr Tempo gemäßigt hatten, damit sie ihre Waffen ziehen konnten, hatte der Sinn-Fein-Mann schon fast hundert Meter Vorsprung. Auch er wurde allerdings langsamer, als ihm die ersten Kugeln um die Ohren pfiffen, und vielleicht war er schon im Begriff sich zu ergeben, als das Unglück bei den Verfolgern zuschlug. Einer der Konstabler hatte beide Hände vom Lenker genommen, um damit die Waffe zu halten und gut auf den Flüchtigen zu zielen. Doch gerade als er abdrückte, war er abrupt vom Kurs abgekommen und mit seinen Kollegen kollidiert. Alle drei waren schwer gestürzt. Als sie sich wieder aufgerappelt und den Staub von den Uniformen gebürstet hatten, sahen sie zu ihrer Überraschung, dass der Gejagte nicht eben über den Hügelkamm entwischte, sondern seinerseits langsamer geworden war. Rasch richteten sie ihre Lenker, stellten sich in die Pedale, um noch mehr Fahrt zu gewinnen, und nahmen den Shinner wieder ins Visier; bei dessen Fahrrad war die Kette abgesprungen. Statt sich zu ergeben, hatte er das Rad liegengelassen und sich in die Einfahrt des Hauses geflüchtet, wo die Tennisgesellschaft zugange war. Was war das für ein Schock für die Spieler und Zuschauer gewesen, als urplötzlich ein schäbig gekleideter junger Mann aus dem Gebüsch gesprungen war, über den Platz stürmte und mitten ins Netz lief (das er offenbar nicht gesehen hatte)! Der Aufprall war so heftig, dass er in die Knie ging. Doch auch wenn er benommen wirkte, hatte er sich doch sogleich, indem er sich an den Maschen hochhangelte, wieder aufgerichtet. Dann war jemand auf die Idee gekommen, einen Tennisball nach ihm zu werfen. Er hatte sich umgedreht, allem Anschein nach verblüfft, dass so viele Gesichter ihn ansahen. Ein zweiter Tennisball wurde geworfen, ein dritter. Das hatte den Mann wieder zur Besinnung gebracht, er war am Netz entlanggelaufen, auf der Suche nach einem Ausgang. Als sich kein solcher fand, war er daran hochgesprungen und hatte sich oben festgehalten, um darüberzuklettern. Aber inzwischen waren alle auf den Beinen und schmissen Tennisbälle. Dann hatte sich auch die erste Frau beteiligt und ein leeres Glas nach ihm geworfen, aber er konnte sich trotzdem nach oben ziehen. Jemand (Ripon überlegte, ob es Dr. Ryan gewesen war, der »senile alte Knacker«, mit dem sie eben Tee getrunken hatten) hatte gerufen, sie sollten aufhören. Aber keiner hatte auf ihn gehört. Als nächstes kam ein Tennisschläger geflogen und verpasste ihn nur knapp. Jemand zog seine Tennisschuhe aus und bewarf ihn damit, wobei einer davon den Flüchtigen im Kreuz traf. Er hatte innegehalten, um Kräfte zu sammeln. Dann kletterte er wieder. Eine Bierflasche zerschellte an einer der stählernen Stützen neben seinem Kopf, und ein schwerer Wanderschuh traf ihn am Arm. Zuletzt wirbelte ein Schlägerspanner durch die Luft und traf ihn am Hinterkopf. Wie ein Sack Kartoffeln war er zu Boden gegangen und lag nun bewusstlos da. Doch als die Gesetzeshüter, rotgesichtig und außer Atem, eintrafen, um den Verdächtigen zu verhaften, stellten sie fest, dass die Tennisspieler und ihre Frauen noch immer den reglos am Boden liegenden Vertreter der Sinn Féin mit allem bewarfen, was ihnen in die Finger kam.

»Meine Güte!«, rief der Major. »Was für eine unglaubliche Geschichte. Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass Leute wirklich einen Bewusstlosen mit Sachen bewerfen würden. Haben Sie das mit eigenen Augen gesehen?«

»Ja, nicht ganz – eigentlich war ich nicht dabei. Aber ich habe mit einer ganzen Reihe von Leuten gesprochen, die selbst dort waren, und ... aber was ich sagen wollte ...«

»Ich muss Dr. Ryan fragen, den ›senilen alten Knacker‹, wie Sie ihn nennen.«

»Aber ich bin noch nicht fertig!«, rief Ripon. »Der Clou ist: Später stellte sich heraus, dass der Bursche gar kein Shinner war. Er hatte nur zusammen mit einem zweiten Arbeiter die Brücke repariert.«

»Das ist doch absurd«, wandte der Major ein. »Warum hätten sie davonlaufen sollen, wenn sie nicht ... ?« Aber etwas anderes hatte Ripons Aufmerksamkeit erregt, und er hörte nicht mehr zu. Mit verächtlichem Lächeln beobachtete er seinen Vater, der nun in ein Zedernwäldchen vorpreschte, jenseits dessen die »zwielichtigen Gestalten« angeblich gesehen worden waren (von wem, das war dem Major nach wie vor nicht klar).

Mit Revolver und Tennisschläger im Anschlag hatte Edward nun den teils eingestürzten Steinwall erreicht, der Zedernwäldchen und Obstgarten voneinander trennte. Es war ein großer Obstgarten (ein noch größerer, und in besserem Zustand, liege auf der anderen Straßenseite, hatte O’Neill, außer Atem und gelb im Gesicht, den Major eben informiert), dicht bepflanzt und vom Küchengarten bis zur Straße sicher seine drei Morgen groß; einst musste allein schon dieser Garten eine enorme Obsternte beschert haben, aber jetzt waren die Bäume bereits seit mehreren Jahren nicht mehr beschnitten worden; so blieben die meisten der Äpfel ohne Sonne, hingen klein und sauer an Bäumen, die zur Hecke verwachsen waren.

Edward blickte sich vorsichtig um. Er stieg über die Mauer. Im Gebüsch regte sich etwas. Er feuerte zwei ohrenbetäubende Schüsse ab. Ein Kaninchen stürmte davon, in wilden Haken kreuz und quer zwischen den Bäumen. Ein Flanellhosenmann neben Edward ließ seine Flinte einschnappen und feuerte aus beiden Rohren. Der Magen des Majors machte bei diesem Geräusch einen Satz. Es war das erste Mal seit Monaten, dass er Schüsse hörte.

Der Sergeant stand mit gequälter Miene hilflos dabei; Edward stieg wieder über die Mauer und lächelte.

»Beide daneben. Keine verdächtigen Gestalten im Unterholz. Aber vielleicht sollten wir einen Blick in die Wirtschaftsgebäude werfen, nur zur Sicherheit.« Wieder ging er voran, zurück durch den Obst- und dann durch den Küchengarten, den eine hohe Mauer vor dem Nordostwind schützte. Ein paar Kohlweißlinge flatterten hie und da friedlich durch das Spätnachmittagslicht, doch sonst regte sich nirgends etwas. Nacheinander suchten sie die Gartenschuppen ab, ein Waschhaus, ein Gewächshaus mit roten reifen Tomaten, das Apfelhaus (wo grüne Äpfel in großen Bergen bis fast unter die Decke aufgehäuft lagen, und offenbar hatte sich niemand Gedanken um ihre Haltbarkeit gemacht), eine leere Scheune, eine Garage, die einen Daimler und einen Standard beherbergte, einen leeren Pferdestall, wo staubiges Stroh noch in den Boxen lag ... und kamen schließlich wieder zurück ins Helle.

»Lassen Sie uns die Partie zu Ende spielen«, sagte einer von den Männern in Flanell. »Ich denke mir, das ganze war nur ein fauler Trick von Edward, um meinem tödlichen Aufschlag zu entgehen.«

Das Grüppchen zerstreute sich. Die Tennisspieler schlenderten zurück zum Platz, holten die Patronen aus ihren Gewehren, der Polizist suchte weiterhin, wenn auch etwas missmutig, die Gebäude ab, die sie bereits durchsucht hatten. Der Major war unschlüssig, was er als nächstes tun sollte. Sollte er zu seiner »Verlobten« zurückkehren? Vielleicht war die Teestunde inzwischen vorüber, und es bestand Gelegenheit zu einem Tête-à-tête. Er blieb jedoch noch bei Ripon und begleitete ihn, als er den Speer zurückholen ging, den er eben nach einer schmutzigen gipsernen Nymphe geschleudert hatte, die unerwartet in einem Kohlfeld stand. Der Speer hatte den runden Nymphenbauch um mehrere Zoll verfehlt und einen gigantischen Kohlkopf ein paar Fuß weiter hinten durchbohrt.

»Wissen Sie, Edward«, kam eine Stimme aus der Ferne herüber, »ich halte nicht viel von Ihren Dorfpolizisten.« Der Sergeant, der eben nach seiner zweiten Besichtigung wieder aus der Scheune getreten war, mied den Blick des Majors.

Sie kamen an den Rand des Obstgartens, da wo die Auffahrt ihn begrenzte, und der Major sah ein Mädchen im Rollstuhl. Sie hielt zwei schwere Krückstöcke in die Höhe und versuchte damit wie mit einer Pinzette einen großen grünen Apfel zu pflücken, an den sie nicht herankam. Ripon stockte, als er sie sah, und flüsterte: »O je, sie hat uns gesehen. Das Mädchen ist schieres Gift.«

»Gehen Sie nicht weg!«, rief sie. Und als die beiden näherkamen, fügte sie hinzu: »Ich heiße Sarah. Ich weiß, wer Sie sind. Sie sind Angelas Major, und Sie sind gerade für die Ferien aus England herübergekommen.« »So, so, für die Ferien«, staunte der Major still für sich.

»Ich weiß nämlich alles, was hier passiert ... auch alles über Ripon, stimmt’s, Ripon? Alles was Ripon in letzter Zeit in Kilnalough so treibt. Er sieht aus wie ein böser kleiner Engel, finden Sie nicht auch, Major, mit seinen Pausbacken und dem lockigen Haar?«

»Sie sind grausam«, sagte der Major gutmütig. Und auch wenn ihre Augen hell und grau waren und ihre Handrücken sonnengebräunt (was vermuten ließ, dass sie ein modernes Mädchen war) und ihr Haar schwarz, schimmernd und äußerst lang, sodass es sich am Nacken teilte und ihr in zwei Strängen über die Brust fiel, und auch wenn sie eine Schönheit war, hatte der Major doch den Eindruck, dass Ripon wohl recht hatte als er sagte, sie sei Gift.

»Was ich zum Beispiel über Ripon weiß, das ist, dass er am laufenden Band Lügen erzählt, stimmt’s, Ripon? Er erzählt seine Lügen sogar unschuldigen jungen Mädchen, die es nicht besser wissen und die ihm glauben; das stimmt doch, nicht wahr, Ripon? Nein, Major, schauen Sie nicht so verblüfft, ich rede nicht von mir selbst. Da müsste der junge Ripon schon früher aufstehen, bevor er mir einen von seinen Bären aufbinden könnte. So, jetzt wissen Sie, warum Ripon nett zu mir sein muss (obwohl er sicher hinter meinem Rücken schrecklich gehässige Sachen über mich sagt). Ich weiß alles. Und, willst du nett zu mir sein, Ripon?«

»Ja, sicher«, murmelte Ripon, der, so wie er jetzt den Kopf hängen ließ, aussah, als ob ihm nicht ganz wohl in seiner Haut sei. »Du machst immer ein solches Aufhebens darum, dabei weißt du, dass wir dich in Wirklichkeit alle vergöttern.«

»Nun«, sagte der Major, »ein oder zwei Dinge weiß ich ja auch über Sie, Sarah. Ihr Vater ist der Direktor der einzigen Bank in Kilnalough, und Sie erteilen Privatschülern Klavierunterricht in der Wohnung Ihres Vaters hinter der Bank. Ich hoffe, ich verwechsle Sie nicht? Nein? Sie haben sich von Piggott in Dublin einen Konzertflügel kommen lassen. Damit er ins Haus ging, mussten Sie ihm, wie ich höre, die Beine absägen und wieder anmontieren ... Lassen Sie mich überlegen, was ich sonst noch weiß. Sie heißen Devlin, nicht wahr? Ich bin sicher, ich weiß noch mehr über Sie, aber mein Gedächtnis dieser Tage ist grässlich.«

»Das haben Sie natürlich alles von Angela erfahren. Aber das wichtigste haben Sie vergessen.«

»Und das wäre?«

»Die Tatsache, dass ich katholisch bin. Ja, ich sehe Ihnen an, dass sie es Ihnen geschrieben hat, aber Sie fanden es zu peinlich, das zu sagen. Vielleicht halten Sie es auch für gute Manieren, wenn man einen solchen Makel nicht erwähnt.«

»Aber das ist doch Unsinn.«

»Achten Sie nicht darauf – Sarah ist wieder mal mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden, wie üblich.«

»Sei still, Ripon! Das ist ganz und gar kein Unsinn. Ripons Vater nennt uns ›Fischfresser‹ und ›Allerheiligste‹ und so weiter. Das werden Sie auch tun, Major, wenn Sie sich hier in der ›besseren Gesellschaft‹ bewegen. Ja, Sie werden ja bald selbst ein ›besserer Herr‹ sein, einer, der hoch über uns gewöhnlichen Leuten steht.«

»Ich will nicht hoffen, dass ich je so bigott werde«, sagte der Major mit einem Lächeln. »Man muss doch nicht gleich seinen Verstand aufgeben, nur weil man in Irland ist.«

»In Irland muss man wissen, wohin man gehören will. Das hat nichts mit dem Verstand zu tun. Aber lassen Sie uns von etwas anderem reden, Major. Stimmt es, was man hört (denn natürlich höre ich sämtliche Klatschgeschichten), stimmt es, dass Angelas Major so lange im Hospital war, weil er, wenn man so sagen darf, nicht ganz beieinander war?«

»Ja«, dachte der Major getroffen, »sie ist grausam ... grausam ... aber es muss ja auch entsetzlich sein, im Rollstuhl zu sitzen.« Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt wäre, und es war tatsächlich eine entsetzliche Vorstellung. Plötzlich fühlte er sich außerordentlich müde, er musste an die stickige Luft in der Kabine des schwankenden Postboots denken, und ihm fiel wieder die endlose Unterhaltung ein, in die er mit einem Burschen aus der Armee, der einen Posten in Dublin Castle antrat, geraten war; sie hatten Brandy mit Soda an der Bar getrunken und über Kricket geredet, und der Nachmittag nahm einfach kein Ende.

»Ich habe mir die Blumen angesehen, die drüben am Sommerhaus wuchern«, sagte Sarah gerade, »und da hörte ich die Schüsse. Haben Sie diesen Polizisten verfolgt? Das ist ja merkwürdig! Und was wollte ich gerade? Jawohl, ich wollte einen Apfel stehlen, und Sie haben mich auf frischer Tat ertappt.«

»Dann lassen Sie mich Ihnen bei dem Diebstahl helfen«, sagte der Major. »Aber ich bin sicher, Sie bekommen davon Magenschmerzen.« Er reckte sich und pflückte den Apfel, und mit einem Blätterschauer fiel er Sarah in den Schoß.

»Danke!«, rief sie, »haben Sie vielen Dank!«, schlug ihre hübschen weißen Zähne in den Apfel und verzog das Gesicht, weil er so sauer war. »Zur Belohnung, Major, gestatte ich Ihnen, und dir auch, Ripon, mich zurück zum Haus zu schieben, damit ich all den fetten Männern beim Tennisspiel zusehen kann ... oder nein, der Major soll die Ehre haben und mich ganz allein schieben, weil ich ihn vorhin gekränkt und gesagt habe, dass er nicht ganz beieinander war; das will ich wieder gutmachen, und außerdem findet er mich nicht so gehässig, wenn er mich schiebt.«

»Ja, sie ist grausam«, dachte der Major, von Neuem gekränkt. Trotzdem fasste er den Rollstuhl und setzte ihn in Bewegung. Und so seltsam das war, er fühlte sich tatsächlich ein wenig besser, als er sie die Auffahrt hinaufschob, und sie kam ihm nicht mehr ganz so gemein vor.

»Wenn du es genau wissen willst«, sagte Ripon, »wir waren hinter einem von diesen grässlichen Shinnern her, nicht hinter dem Polizisten.«

»Ach, ein Shinner«, sagte Sarah abwesend. »Das ist natürlich etwas ganz anderes.« Und sie blieb stumm, während sie gemächlich die Auffahrt hinaufzogen, an den Garagen vorbei, zu der Stelle, von wo in der Abendstille das Pock-Pock der Tennisschläger und der Klang von Stimmen kamen.

Die Anlage des Majestic war so weitläufig, dass der Major überrascht war, als er sah, dass Edwards Tennisplatz recht eng und ohne jedes Grün in eine Gebäudeecke gezwängt war, da wo der Speisesaal und ein weiterer Flügel aus hellerem, weniger verwittertem Stein, offenbar auf dem Höhepunkt der Popularität des Hotels an das Hauptgebäude angebaut, im rechten Winkel aneinanderstießen. Es war allerdings ein Ort, der für die Zuschauer seine Vorteile hatte: Die Terrassentüren öffneten sich auf einen Platz mit bequemen Liegestühlen, die der erschöpfte Major hoffnungsvoll betrachtete. Aber Sarah hatte inzwischen keine Lust mehr, beim Spiel zuzusehen, und hatte ihn und Ripon entlassen, bevor sie an ihrem Ziel angelangt waren. Kaum war sie außer Hörweite, sagte Ripon: »Natürlich kann sie gut ohne den Rollstuhl gehen. Das ist nur, damit die Leute Mitleid mit ihr haben.« Als er den ungläubigen Blick des Majors bemerkte, fügte er hinzu: »Ich habe gesehen, wie sie ohne Mühen gegangen ist, als sie dachte, niemand sieht ihr zu. Ich weiß, Sie glauben mir nicht, aber warten Sie’s ab. Warten Sie’s ab.«

»Was für ein ungehobelter junger Mann«, dachte der Major. »Kein Wunder, dass Angela ihn in ihren Briefen nie erwähnt hat.« Doch da sich seit seiner Ankunft im Hotel niemand sonst seiner angenommen hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zunächst weiter in Ripons Gesellschaft zu bleiben. Außerdem steuerte Ripon nun doch auf die Liegestühle zu, die auf der Terrasse lockten, und der Major sehnte sich danach, sich zu setzen.

Doch bevor er dort anlangte, fing ihn ein Dienstmädchen ab, das ihn wissen ließ, die Damen verlangten ihn zu sprechen. Als er sich umsah, entdeckte er eine Anzahl älterer Damen, die sich um einen windgeschützten Tisch am anderen Ende der Terrasse versammelt hatten. Sie winkten ihn eifrig herbei, als er in ihre Richtung blickte; offenbar hatten sie schon befürchtet, er könne vorübergehen, ohne sie zu bemerken. Und die Aufregung nahm noch sichtlich zu, als er nun hinging und sich vorstellte.

»Aber ja, Major«, sagte eine der Damen lächelnd. »Wir wissen längst, wer Sie sind, unsere liebe Angela hat uns so viel von Ihnen erzählt, und wir hoffen nur, dass es Ihnen wieder besser geht. Das muss ja doch ein Schreck für Sie gewesen sein.«

»Viel besser, danke der Nachfrage«, entgegnete der Major, und während er nun Miss Johnston vorgestellt wurde, Miss Bagley, Mrs. Rice, Miss Porteous, Mrs. Herbert und Miss Staveley (obwohl er nicht eindeutig sagen konnte, welche von ihnen welche war), fragte er sich, wie Angela ihnen wohl die lange »Nervenkrise« geschildert hatte, die seine Genesung begleitete. Aber die Damen wurden bei der Vorstellungsrunde und der anschließenden kleinen Rede, mit der Miss Johnston, die einzige unter den Damen, bei der sich eine eindeutige Verbindung aus Namen und Gesicht in seinem Hirn hatte festsetzen können, ihn im Majestic willkommen hieß, schon ungeduldig. »Fragen Sie ihn, fragen Sie ihn!«, wurde gemurmelt, und sie zogen ihre Schals und Stolen fester um die Schultern, denn inzwischen hatte die Sonne auf ihrer Wanderung westwärts die Terrasse fast ganz verlassen, die gewaltige Masse des Majestic warf ihren Schatten, und gleich würden sie alle nach drinnen gehen müssen.

»Wir wollten Sie fragen«, hob Miss Johnston energisch an, »ob Sie am Nachmittag im Palmenhaus Tee bekommen haben.«

»Tee? Ja, danke, das habe ich«, antwortete der Major und sah sie verdattert an. Die Damen tauschten vielsagende Blicke.

»Danke, Major. Das wollten wir nur wissen«, entgegnete Miss Johnston kurz angebunden, und der Major hatte den Eindruck, dass er damit entlassen war.