Über das Wesen der menschlichen Freiheit - Friedrich Wilhelm Joseph Schelling - E-Book

Über das Wesen der menschlichen Freiheit E-Book

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

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Beschreibung

Wenn alles, was ist, Gott ist – wie kommt dann das Böse in die Welt? Und wie lässt sich menschliche Freiheit erklären? In seiner wohl bis heute einflussreichsten Schrift versucht Schelling, diese Fragen zu beantworten, indem er in Gottes "Urgrund" – der Grund, der seiner Existenz vorausgeht und dennoch zugleich Gott ist – auch eine zweite, dunkle Seite sieht. Die Freiheit des Menschen, sich für das Gute zu entscheiden, ist bereits in Gott selbst und der gesamten, sich in unaufhörlichem Werden befindenden Schöpfung angelegt. Zahlreiche Ideen der Freiheitsschrift leben bis heute weiter, etwa unter der Oberfläche der Philosophien Schopenhauers und Nietzsches, der Psychoanalyse und des Existenzialismus.Die Ausgabe folgt dem Erstdruck von 1809 und wurde neu kommentiert. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Über das Wesen der menschlichen Freiheit

Herausgegeben und kommentiert von Franz Josef Wetz

Reclam

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961875-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014012-3

www.reclam.de

Inhalt

Über das Wesen der menschlichen Freiheit

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Auswahlbibliographie

Schelling – Ein ruheloser Problemdenker

[7]Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit können teils den richtigen Begriff derselben angehen; indem die Tatsache der Freiheit, so unmittelbar das Gefühl derselben einem jeden eingeprägt ist, doch keineswegs so sehr an der Oberfläche liegt, dass nicht, um sie auch nur in Worten auszudrücken, eine mehr als gewöhnliche Reinheit und Tiefe des Sinns erfordert würde; teils können sie den Zusammenhang dieses Begriffs mit dem Ganzen einer wissenschaftlichen Weltansicht betreffen. Da jedoch kein Begriff einzeln bestimmt werden kann, und die Nachweisung seines Zusammenhangs mit dem Ganzen ihm auch erst die letzte wissenschaftliche Vollendung gibt; welches bei dem Begriff der Freiheit vorzugsweise der Fall sein muss, der, wenn er überhaupt Realität hat, kein bloß untergeordneter oder Nebenbegriff, sondern einer der herrschenden Mittelpunkte des Systems sein muss: so fallen jene beiden Seiten der Untersuchung hier, wie überall, in Eins zusammen. Einer alten, jedoch keineswegs verklungenen, Sage zufolge soll zwar der Begriff der Freiheit mit dem System überhaupt unverträglich sein, und jede auf Einheit und Ganzheit Anspruch machende Philosophie auf Leugnung der Freiheit hinauslaufen. Gegen allgemeine Versichrungen der Art ist es nicht leicht zu streiten; denn wer weiß, welche beschränkende Vorstellungen schon mit dem Wort System verbunden worden sind, so dass die Behauptung zwar etwas sehr Wahres, aber auch sehr Gewöhnliches aussagt. Oder ist dieses die Meinung, dem Begriff von Freiheit widerstreite der Begriff von System überhaupt und an sich: so ist sonderbar, dass, da die [8]individuelle Freiheit doch auf irgend eine Weise mit dem Weltganzen, (gleichviel, ob es realistisch oder idealistisch gedacht werde), zusammenhängt, irgend ein System, wenigstens im göttlichen Verstande, vorhanden sein muss, mit dem die Freiheit zusammenbesteht. Im Allgemeinen behaupten, dass dieses System nie zur Einsicht des menschlichen Verstandes gelangen könne, heißt wieder nichts behaupten; indem, je nachdem sie verstanden wird, die Aussage wahr oder falsch sein kann. Es kommt auf die Bestimmung des Prinzips an, mit welchem der Mensch überhaupt erkennt; und es wäre auf die Annahme einer solchen Erkenntnis anzuwenden, was Sextus in Bezug auf Empedokles sagt: der Grammatiker und der Unwissende können sie als aus Prahlerei und Erhebung über andre Menschen entspringend vorstellen, Eigenschaften, die jedem, der auch nur eine geringe Übung in der Philosophie hat, fremd sein müssen; wer aber von der physischen Theorie ausgehe und wisse, dass es eine ganz alte Lehre sei, dass Gleiches von Gleichem erkannt werde, (welche angeblich von Pythagoras herkomme, aber bei Platon angetroffen werde, weit früher aber von Empedokles ausgesprochen worden sei), werde verstehen, dass der Philosoph eine solche (göttliche) Erkenntnis behaupte, weil er allein, den Verstand rein und unverdunkelt von Bosheit erhaltend, mit dem Gott in sich, den Gott ausser sich begreife.1 Allein es ist bei denen, welche der Wissenschaft abhold sind, einmal herkömmlich, unter dieser eine Erkenntnis zu verstehen, welche, wie die der gewöhnlichen Geometrie, ganz abgezogen und unlebendig ist. Kürzer oder entscheidender wäre, das System [9]auch im Willen oder Verstande des Urwesens zu leugnen; zu sagen, dass es überhaupt nur einzelne Willen gebe, deren jeder einen Mittelpunkt für sich ausmache, und nach Fichte’s Ausdruck eines jeden Ich die absolute Substanz sei. Immer jedoch wird die auf Einheit dringende Vernunft, wie das auf Freiheit und Persönlichkeit bestehende Gefühl, nur durch einen Machtspruch zurückgewiesen, der eine Weile vorhält, endlich zu Schanden wird. So musste die Fichtesche Lehre ihre Anerkennung der Einheit, wenn auch in der dürftigen Gestalt einer sittlichen Weltordnung, bezeugen, wodurch sie aber unmittelbar in Widersprüche und Unstatthaftigkeiten geriet. Es scheint daher, dass, so viel auch für jene Behauptung von dem bloß historischen Standpunkt, nämlich aus den bisherigen Systemen, sich anführen lässt – (aus dem Wesen der Vernunft und Erkenntnis selbst geschöpfte Gründe haben wir nirgend gefunden) – der Zusammenhang des Begriffs der Freiheit mit dem Ganzen der Weltansicht wohl immer Gegenstand einer notwendigen Aufgabe bleiben werde, ohne deren Auflösung der Begriff der Freiheit selber wankend, die Philosophie aber völlig ohne Wert sein würde. Denn diese große Aufgabe allein ist die unbewusste und unsichtbare Triebfeder alles Strebens nach Erkenntnis von dem niedrigsten bis zum höchsten; ohne den Widerspruch von Notwendigkeit und Freiheit würde nicht Philosophie allein, sondern jedes höhere Wollen des Geistes in den Tod versinken, der jenen Wissenschaften eigen ist, in welchen er keine Anwendung hat. Sich durch Abschwörung der Vernunft aus dem Handel ziehen scheint aber der Flucht ähnlicher als dem Sieg. Mit dem nämlichen Rechte könnte ein andrer der Freiheit den Rücken wenden, um sich in die Arme der Vernunft und [10]Notwendigkeit zu werfen, ohne dass auf der einen oder der andern Seite eine Ursache zum Triumph wäre.

Bestimmter ausgedrückt wurde die nämliche Meinung in dem Satz: das einzig mögliche System der Vernunft sei Pantheismus, dieser aber unvermeidlich Fatalismus.2 Es ist unleugbar eine vortreffliche Erfindung um solche allgemeine Namen, womit ganze Ansichten auf einmal bezeichnet werden. Hat man einmal zu einem System den rechten Namen gefunden, so ergibt sich das übrige von selbst, und man ist der Mühe, sein Eigentümliches genauer zu untersuchen, enthoben. Auch der Unwissende kann, sobald sie ihm nur angegeben sind, mit deren Hülfe über das Gedachtetste aburteilen. Dennoch kommt bei einer so außerordentlichen Behauptung alles auf die nähere Bestimmung des Begriffs an. Denn so möchte wohl nicht zu leugnen sein, dass, wenn Pantheismus weiter nichts, als die Lehre von der Immanenz der Dinge in Gott bezeichnete, jede Vernunftansicht in irgend einem Sinn zu dieser Lehre hingezogen werden muss. Aber eben der Sinn macht hier den Unterschied. Dass sich der fatalistische Sinn damit verbinden lässt, ist unleugbar; dass er aber nicht wesentlich damit verbunden sei, erhellt daraus, dass so Viele gerade durch das lebendigste Gefühl der Freiheit zu jener Ansicht getrieben wurden. Die meisten, wenn sie aufrichtig wären, würden gestehen, dass, wie ihre Vorstellungen beschaffen sind, die individuelle Freiheit ihnen fast mit allen Eigenschaften eines höchsten Wesens im Widerspruch scheine, z. B. der [11]Allmacht. Durch die Freiheit wird eine dem Prinzip nach unbedingte Macht außer und neben der göttlichen behauptet, welche jenen Begriffen zufolge undenkbar ist. Wie die Sonne am Firmament alle Himmelslichter auslöscht, so und noch viel mehr die unendliche Macht jede endliche. Absolute Kausalität in Einem Wesen lässt allen andern nur unbedingte Passivität übrig. Hiezu kommt die Dependenz aller Weltwesen von Gott, und, dass selbst ihre Fortdauer nur eine stets erneute Schöpfung ist, in welcher das endliche Wesen doch nicht als ein unbestimmtes Allgemeines, sondern als dieses bestimmte, einzelne, mit solchen und keinen andern Gedanken, Bestrebungen und Handlungen produziert wird. Sagen, Gott halte seine Allmacht zurück, damit der Mensch handeln könne, oder er lasse die Freiheit zu, erklärt nichts: zöge Gott seine Macht einen Augenblick zurück, so hörte der Mensch auf zu sein. Gibt es gegen diese Argumentation einen andern Ausweg, als den Menschen mit seiner Freiheit, da sie im Gegensatz der Allmacht undenkbar ist, in das göttliche Wesen selbst zu retten, zu sagen, dass der Mensch nicht außer Gott, sondern in Gott sei, und dass seine Tätigkeit selbst mit zum Leben Gottes gehöre? Gerade von diesem Punkt aus sind Mystiker und religiöse Gemüter aller Zeiten zu dem Glauben an die Einheit des Menschen mit Gott gelangt, der dem innigsten Gefühl eben so sehr oder noch mehr, als der Vernunft und Spekulation zuzusagen scheint. Ja die Schrift selbst findet eben in dem Bewusstsein der Freiheit das Siegel und Unterpfand des Glaubens, dass wir in Gott leben und sind. Wie kann nun die Lehre notwendig mit der Freiheit streiten, welche so viele in Ansehung des Menschen behauptet haben, gerade um die Freiheit zu retten?

[12]Eine andre, wie man gewöhnlich glaubt näher treffende, Erklärung des Pantheismus ist allerdings die, dass er in einer völligen Identifikation Gottes mit den Dingen, einer Vermischung des Geschöpfs mit dem Schöpfer bestehe, woraus noch eine Menge andrer harter und unerträglicher Behauptungen abgeleitet werden. Allein eine totalere Unterscheidung der Dinge von Gott, als in dem für jene Lehre als klassisch angenommenen Spinoza sich findet, lässt sich kaum denken. Gott ist das, was in sich ist und allein aus sich selbst begriffen wird; das Endliche aber, was notwendig in einem andern ist, und nur aus diesem begriffen werden kann. Offenbar sind dieser Unterscheidung zufolge die Dinge nicht, wie es nach der oberflächlich betrachteten Lehre von den Modifikationen allerdings scheinen könnte, bloß gradweise oder durch ihre Einschränkungen, sondern toto genere von Gott verschieden. Welches auch übrigens ihr Verhältnis zu Gott sein möge, dadurch sind sie absolut von Gott getrennt, dass sie nur in und nach einem Andern (nämlich Ihm) sein können, dass ihr Begriff ein abgeleiteter ist, der ohne den Begriff Gottes gar nicht möglich wäre; da im Gegenteil dieser der allein selbstständige und ursprüngliche, der allein sich selbst bejahende ist, zu dem alles andre nur wie Bejahtes, nur wie Folge zum Grund sich verhalten kann. Bloß unter dieser Voraussetzung gelten andre Eigenschaften der Dinge, z. B. ihre Ewigkeit. Gott ist seiner Natur nach ewig; die Dinge nur mit ihm und als Folge seines Daseins, d. h. abgeleiteter Weise. Eben dieses Unterschieds wegen können nicht, wie gewöhnlich vorgegeben wird, alle einzelne Dinge zusammen Gott ausmachen, indem durch keine Art der Zusammenfassung das seiner Natur nach abgeleitete in das seiner Natur nach ursprüngliche übergehen [13]kann, so wenig als die einzelnen Punkte einer Peripherie zusammengenommen diese ausmachen können, da sie als Ganzes ihnen dem Begriff nach notwendig vorangeht. Abgeschmackter noch ist die Folgerung, dass bei Spinoza sogar das einzelne Ding Gott gleich sein müsse. Denn wenn auch der starke Ausdruck, dass jedes Ding ein modifizierter Gott ist, bei ihm sich fände, so sind die Elemente des Begriffs so widersprechend, dass er sich unmittelbar im Zusammenfassen wieder zersetzt. Ein modifizierter d. h. abgeleiteter Gott ist nicht Gott im eigentlichen eminenten Sinn; durch diesen einzigen Zusatz tritt das Ding wieder an seine Stelle, durch die es ewig von Gott geschieden ist. Der Grund solcher Missdeutungen, welche auch andre Systeme in reichem Maß erfahren haben, liegt in dem allgemeinen Missverständnis des Gesetzes der Identität, oder des Sinns der Copula im Urteil. Ist es gleich einem Kinde begreiflich zu machen, dass in keinem möglichen Satz, der der angenommenen Erklärung zufolge die Identität des Subjekts mit dem Prädikat aussagt, eine Einerleiheit oder auch nur ein unvermittelter Zusammenhang dieser beiden ausgesagt werde – indem z. B. der Satz: dieser Körper ist blau, nicht den Sinn hat, der Körper sei in dem und durch das, worin und wodurch er Körper ist, auch blau, sondern nur den: dasselbe, was dieser Körper ist, sei, obgleich nicht in dem nämlichen Betracht, auch blau: so ist doch diese Voraussetzung, welche eine völlige Unwissenheit über das Wesen der Copula anzeigt, in Bezug auf die höhere Anwendung des Identitätsgesetzes zu unsrer Zeit beständig gemacht worden. Es sei z. B. der Satz aufgestellt: das Vollkommne ist das Unvollkommne, so ist der Sinn der: das Unvollkommne ist nicht dadurch, dass und worin es [14]unvollkommen ist, sondern durch das Vollkommne, das in ihm ist; für unsre Zeit aber hat er diesen Sinn: das Vollkommne und Unvollkommne sind Einerlei, alles ist sich gleich, das Schlechteste und das Beste, Torheit und Weisheit. Oder: das Gute ist das Böse, welches so viel sagen will: das Böse hat nicht die Macht, durch sich selbst zu sein; das in ihm Seiende ist das (an und für sich betrachtet) Gute, so wird dies so ausgelegt: der ewige Unterschied von Recht und Unrecht, Tugend und Laster werde geleugnet, beide seien logisch das nämliche. Oder wenn in einer andern Wendung Notwendiges und Freies als Eins erklärt werden, wovon der Sinn ist: dasselbe (in der letzten Instanz), welches Wesen der sittlichen Welt ist, sei auch Wesen der Natur, so wird dies so verstanden: das Freie sei nichts als Naturkraft, Springfeder, die wie jede andre dem Mechanismus unterworfen ist. Das nämliche geschieht bei dem Satz, dass die Seele mit dem Leib Eins ist; welcher so ausgelegt wird, die Seele sei materiell, Luft, Äther, Nervensaft u. dgl., denn das Umgekehrte, dass der Leib Seele, oder im vorigen Satz, dass das scheinbar Notwendige an sich ein Freies sei, ob es gleich eben so gut aus dem Satze zu nehmen ist, wird wohlbedächtig bei Seite gesetzt. Bei solchen Missverständnissen, die, wenn sie nicht absichtlich sind, einen Grad von dialektischer Unmündigkeit voraussetzen, über welchen die griechische Philosophie fast in ihren ersten Schritten hinaus ist, machen die Empfehlung des gründlichen Studiums der Logik zur dringenden Pflicht. Die alte tiefsinnige Logik unterschied Subjekt und Prädikat als vorangehendes und folgendes (antecedens et consequens) und drückte damit den reellen Sinn des Identitätsgesetzes aus. Selbst in dem tautologischen Satz, wenn er nicht etwa ganz sinnlos [15]sein soll, bleibt dies Verhältnis. Wer da sagt: der Körper ist Körper, denkt bei dem Subjekt des Satzes zuverlässig etwas anders als bei dem Prädikat; bei jenem nämlich die Einheit, bei diesem die einzelnen im Begriff des Körpers enthaltnen Eigenschaften, die sich zu demselben wie Antecedens zum Consequens verhalten. Eben dies ist der Sinn einer andern ältern Erklärung, nach welcher Subjekt und Prädikat als das Eingewickelte und Entfaltete (implicitum et explicitum) entgegengesetzt wurden.3

[16]Allein, werden nun die Verteidiger der obigen Behauptung sagen, es ist überhaupt bei’m Pantheismus nicht davon die Rede, dass Gott alles ist, (was nach der gewöhnlichen Vorstellung seiner Eigenschaften nicht gut zu vermeiden steht), sondern davon, dass die Dinge nichts sind, dass dieses System alle Individualität aufhebt. Es scheint zwar diese neue Bestimmung mit der vorigen im Widerspruch zu stehen; denn wenn die Dinge nichts sind, wie ist es möglich, Gott mit ihnen zu vermischen? es ist dann überall nichts, als reine ungetrübte Gottheit. Oder, wenn außer [17]Gott (nicht bloß extra, sondern auch praeter Deum) nichts ist, wie kann er anders, als dem bloßen Wort nach, Alles sein; so dass also der ganze Begriff überhaupt sich aufzulösen und in Nichts zu verfliegen scheint. Ohnehin fragt sich, ob mit der Auferweckung solcher allgemeinen Namen viel gewonnen sei, die in der Ketzerhistorie zwar in Ehren zu halten sein mögen, für Produktionen des Geistes aber, bei denen, wie in den zartesten Naturerscheinungen, leise Bestimmungen wesentliche Veränderungen verursachen, viel zu grobe Handhaben scheinen. Es ließe sich noch zweifeln, ob sogar auf Spinoza die zuletzt angegebne Bestimmung anwendbar sei. Denn wenn er außer (praeter) der Substanz nichts anerkennt, als die bloßen Affektionen derselben, wofür er die Dinge erklärt, so ist freilich dieser Begriff ein rein negativer, der nichts Wesentliches oder Positives ausdrückt. Allein er dient auch bloß zunächst das Verhältnis der Dinge zu Gott zu bestimmen, nicht aber, was sie für sich betrachtet sein mögen. Aus dem Mangel dieser Bestimmung kann aber nicht geschlossen werden, dass sie überall nichts Positives (wenn gleich immer abgeleiteter Weise) enthalten. Spinoza’s härtester Ausdruck ist wohl der: das einzelne Wesen sei die Substanz selbst, in einer ihrer Modifikationen d. h. Folgen betrachtet. Setzen wir nun die unendliche Substanz = A, dieselbe in einer ihrer Folgen betrachtet = : so ist das Positive in allerdings A; aber es folgt nicht, dass deswegen  = A, d. h. dass die unendliche Substanz in ihrer Folge betrachtet mit der unendlichen Substanz schlechthin betrachtet einerlei sei; oder mit andern Worten, es folgt nicht, dass nicht eine eigne besondere Substanz (wenn gleich Folge von A) sei. Dies steht freilich nicht bei Spinoza; allein erstens ist hier die Rede [18]vom Pantheismus überhaupt; sodann fragt sich nur, ob die gegebne Ansicht mit dem Spinozismus an sich unverträglich sei. Man wird dies schwerlich behaupten, da man zugegeben hat, dass die Monaden des Leibnitz, die ganz das sind, was im obigen Ausdruck ist, kein entscheidendes Mittel gegen den Spinozismus sind. Rätselhaft bleiben ohne eine Ergänzung der Art manche Äußerungen des Spinoza, z. B. dass das Wesen der menschlichen Seele ein lebendiger Begriff Gottes sei, der als ewig (nicht als transitorisch) erklärt wird. Wenn daher auch die Substanz in ihren andern Folgen ,  … nur vorübergehend wohnte, so würde sie doch in jener Folge, der menschlichen Seele = a, ewig wohnen, und daher als auf eine ewige und unvergängliche Weise von sich selbst als A geschieden sein.

Wollte man nun weitergehend die Leugnung – nicht der Individualität, sondern – der Freiheit als eigentlichen Charakter des Pantheismus erklären: so würden eine Menge von Systemen, die sich doch sonst wesentlich von jenem unterscheiden, mit unter diesen Begriff fallen. Denn bis zur Entdeckung des Idealismus fehlt der eigentliche Begriff der Freiheit in allen neuern Systemen, im Leibnitzischen so gut wie im Spinozischen; und eine Freiheit, wie sie viele unter uns gedacht haben, die sich noch dazu des lebendigsten Gefühls derselben rühmen, wonach sie nämlich in der bloßen Herrschaft des intelligenten Prinzips über das sinnliche und die Begierden besteht, eine solche Freiheit ließe sich, nicht zur Not, sondern ganz leicht und sogar bestimmter auch aus dem Spinoza noch herleiten. Es scheint daher die Leugnung oder Behauptung der Freiheit im Allgemeinen auf etwas ganz anderem, als der Annahme oder Nichtannahme des Pantheismus (der Immanenz der Dinge [19]in Gott) zu beruhen. Denn, wenn es freilich auf den ersten Blick scheint, als ginge die Freiheit, die sich im Gegensatz mit Gott nicht halten konnte, hier in der Identität unter, so kann man doch sagen, dieser Schein sei nur Folge der unvollkommnen und leeren Vorstellung des Identitätsgesetzes. Dieses Prinzip drückt keine Einheit aus, die sich im Kreis der Einerleiheit herumdrehend, nicht progressiv, und darum selbst unempfindlich und unlebendig wäre. Die Einheit dieses Gesetzes ist eine unmittelbar schöpferische. Schon im Verhältnis des Subjekts zum Prädikat haben wir das des Grundes zur Folge aufgezeigt, und das Gesetz des Grundes ist darum ein eben so ursprüngliches, wie das der Identität. Das Ewige muss deswegen unmittelbar und so wie es in sich selbst ist, auch Grund sein. Das, wovon es durch sein Wesen Grund ist, ist insofern ein Abhängiges und nach der Ansicht der Immanenz auch ein in ihm Begriffnes. Aber Abhängigkeit hebt Selbstständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf. Sie bestimmt nicht das Wesen, und sagt nur, dass das Abhängige, was es auch immer sein möge, nur als Folge von dem sein könne, von dem es abhängig ist; sie sagt nicht, was es sei, und was es nicht sei. Jedes organische Individuum ist als ein Gewordenes nur durch ein Anderes und insofern abhängig dem Werden, aber keineswegs dem Sein nach. Es ist nicht ungereimt, sagt Leibnitz, dass der, welcher Gott ist, zugleich gezeugt werde, oder umgekehrt, so wenig es ein Widerspruch ist, dass der, welcher der Sohn eines Menschen ist, selbst Mensch sei. Im Gegenteil, wäre das Abhängige oder Folgende nicht selbstständig, so wäre dies vielmehr widersprechend. Es wäre eine Abhängigkeit ohne Abhängiges, eine Folge ohne Folgendes (Consequentia absque Consequente) und daher auch [20]keine wirkliche Folge, d. h. der ganze Begriff höbe sich selber auf. Das nämliche gilt vom Begriffensein in einem Andern. Das einzelne Glied, wie das Auge, ist nur im Ganzen eines Organismus möglich; nichtsdestoweniger hat es ein Leben für sich, ja eine Art von Freiheit, die es offenbar durch die Krankheit beweist, deren es fähig ist. Wäre das in einem Andern Begriffne nicht selbst lebendig, so wäre eine Begriffenheit ohne Begriffnes, d. h. es wäre nichts begriffen. Einen viel höheren Standpunkt gewährt die Betrachtung des göttlichen Wesens selbst, dessen Idee eine Folge, die nicht Zeugung, d. h. Setzen eines Selbstständigen ist, völlig widersprechen würde. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Es ist nicht einzusehen, wie das allervollkommenste Wesen auch an der möglich vollkommensten Maschine seine Lust fände. Wie man auch die Art der Folge der Wesen aus Gott sich denken möge, nie kann sie eine mechanische sein, kein bloßes Bewirken oder Hinstellen, wobei das Bewirkte nichts für sich selbst ist; eben so wenig Emanation, wobei das Ausfließende dasselbe bliebe mit dem, wovon es ausgeflossen, also nichts Eignes, Selbstständiges. Die Folge der Dinge aus Gott ist eine Selbstoffenbarung Gottes. Gott aber kann nur sich offenbar werden in dem, was ihm ähnlich ist, in freien aus sich selbst handelnden Wesen; für deren Sein es keinen Grund gibt als Gott, die aber sind, so wie Gott ist. Er spricht und sie sind da. Wären alle Weltwesen auch nur Gedanken des göttlichen Gemütes, so müssten sie schon eben darum lebendig sein. So werden die Gedanken wohl von der Seele erzeugt; aber der erzeugte Gedanke ist eine unabhängige Macht, für sich fortwirkend, ja, in der menschlichen Seele, so anwachsend, dass er seine eigne Mutter bezwingt und sich [21]unterwirft. Allein die göttliche Imagination, welche die Ursache der Spezifikation der Weltwesen ist, ist nicht wie die menschliche, dass sie ihren Schöpfungen bloß idealische Wirklichkeit erteilt. Die Repräsentationen der Gottheit können nur selbstständige Wesen sein; denn was ist das Beschränkende unsrer Vorstellungen als eben dass wir unselbstständiges sehen? Gott schaut die Dinge an sich an. An sich ist nur das Ewige, auf sich selbst Beruhende, Wille, Freiheit. Der Begriff einer derivierten Absolutheit oder Göttlichkeit ist so wenig widersprechend, dass er vielmehr der Mittelbegriff der ganzen Philosophie ist. Eine solche Göttlichkeit kommt der Natur zu. So wenig widerspricht sich Immanenz in Gott und Freiheit, dass grade nur das Freie und so weit es frei ist, in Gott ist, das Unfreie und so weit es unfrei ist, notwendig außer Gott.

So ungenügend auch für den tiefer sehenden eine so allgemeine Deduktion an sich selbst ist, so erhellt doch so viel aus ihr, dass die Leugnung formeller Freiheit mit dem Pantheismus nicht notwendig verbunden sei. Wir erwarten nicht, dass man uns den Spinozismus entgegensetzen werde. Es gehört nicht wenig Herz zu der Behauptung, das System wie es in irgend eines Menschen Kopf sich zusammengefügt sei das Vernunftsystem ϰατ᾽ εξοχην, das ewige unveränderliche. Was versteht man denn unter Spinozismus? Etwa die ganze Lehre, wie sie in den Schriften des Mannes vorliegt, also z. B. auch seine mechanische Physik? Oder nach welchem Prinzip will man hier scheiden und abteilen, wo alles so voll außerordentlicher und einziger Konsequenz sein soll? Es wird immer in der Geschichte deutscher Geistesentwicklung ein auffallendes Phänomen bleiben, dass zu irgend einer Zeit die Behauptung aufgestellt [22]werden konnte: das System, welches Gott mit den Dingen, das Geschöpf mit dem Schöpfer vermengt, (so wurde es verstanden), und alles einer blinden gedankenlosen Notwendigkeit unterwirft, sei das einzige der Vernunft mögliche – aus reiner Vernunft zu entwickelnde! Um sie zu begreifen, muss man sich den herrschenden Geist eines früheren Zeitalters vergegenwärtigen. Damals hatte die mechanische Denkweise, die in dem französischen Atheismus den Gipfel ihrer Ruchlosigkeit erstieg, nachgerade alle Köpfe eingenommen; auch in Deutschland fing man an, diese Art zu sehen und zu erklären für die eigentliche und einzige Philosophie zu halten. Da indes ursprünglichdeutsches Gemüt nie die Folgen davon mit sich vereinigen konnte, so entstand daher zuerst der für die philosophische Literatur der neueren Zeit charakteristische Zwiespalt von Kopf und Herz: man verabscheute die Folgen, ohne sich von dem Grund der Denkweise selbst befreien oder zu einer bessern erheben zu können. Aussprechen wollte man diese Folgen; und da deutscher Geist die mechanische Philosophie nur bei ihrem (vermeintlich) höchsten Ausdruck fassen konnte, so wurde auf diese Art die schreckliche Wahrheit ausgesprochen: Alle Philosophie, schlechthin alle, die nur rein vernunftmäßig ist, ist oder wird Spinozismus! Gewarnt war nun jedermann vor dem Abgrund; er war offen dargelegt vor aller Augen: das einzige noch möglich scheinende Mittel war ergriffen; jenes kühne Wort konnte die Krisis herbeiführen und die Deutschen von der verderblichen Philosophie überhaupt zurückschrecken, sie auf das Herz, das innre Gefühl und den Glauben zurückführen. Heut zu Tage, da jene Denkweise längst vorüber ist, und das höhere Licht des Idealismus uns leuchtet, [23]würde die nämliche Behauptung weder in gleichem Grade begreiflich sein, noch auch die nämlichen Folgen versprechen.4

Und hier denn ein für allemal unsre bestimmte Meinung über den Spinozismus! Dieses System ist nicht Fatalismus, weil es die Dinge in Gott begriffen sein lässt; denn wie wir gezeigt haben, der Pantheismus macht wenigstens die formelle Freiheit nicht unmöglich; Spinoza muss also aus einem ganz andern und von jenem unabhängigen Grund Fatalist sein. Der Fehler seines Systems liegt keineswegs darin, dass er die Dinge in Gott setzt, sondern darin, dass es Dinge sind – in dem abstrakten Begriff der Weltwesen, ja der unendlichen Substanz selber, die ihm eben auch ein Ding ist. Daher sind seine Argumente gegen die Freiheit ganz deterministisch, auf keine Weise pantheistisch. Er behandelt auch den Willen als eine Sache, und beweist dann sehr natürlich, dass er in jedem Fall des Wirkens durch eine [24]andre Sache bestimmt sein müsse, die wieder durch eine andre bestimmt ist u. s. f. in’s Unendliche. Daher die Leblosigkeit seines Systems, die Gemütlosigkeit der Form, die Dürftigkeit der Begriffe und Ausdrücke, das unerbittlich Herbe der Bestimmungen, das sich mit der abstrakten Betrachtungsweise vortrefflich verträgt; daher auch ganz folgerichtig seine mechanische Naturansicht. Oder zweifelt man, dass schon durch die dynamische Vorstellung der Natur die Grundansichten des Spinozismus wesentlich verändert werden müssen? Wenn die Lehre vom Begriffensein aller Dinge in Gott der Grund des ganzen Systems ist: so muss sie zum wenigsten erst belebt und der Abstraktion entrissen werden, ehe sie zum Prinzip eines Vernunftsystems werden kann. Wie allgemein sind die Ausdrücke, dass die endlichen Wesen Modifikationen oder Folgen von Gott sind; welche Kluft ist hier auszufüllen, welche Fragen sind zu beantworten! Man könnte den Spinozismus in seiner Starrheit wie die Bildsäule des Pygmalion ansehen, die durch warmen Liebeshauch beseelt werden müsste; aber dieser Vergleich ist unvollkommen, da es vielmehr einem nur in den äußersten Umrissen entworfnen Werk gleicht, in dem man, wenn es beseelt wäre, erst noch die vielen fehlenden oder unausgeführten Züge bemerken würde. Eher wäre es den ältesten Bildern der Gottheiten zu vergleichen, die, je weniger individuell-lebendige Züge aus ihnen sprachen, desto geheimnisvoller erschienen. Mit einem Wort, es ist ein einseitig-realistisches System, welcher Ausdruck zwar weniger verdammend klingt als Pantheismus, dennoch aber weit richtiger das Eigentümliche desselben bezeichnet, und auch nicht jetzt das erstemal gebraucht wird. Es würde verdrießlich sein, die vielen Erklärungen zu [25]wiederholen, die sich über diesen Punkt in den ersten Schriften des Verfassers finden. Wechseldurchdringung des Realismus und Idealismus war die ausgesprochne Absicht seiner Bestrebungen. Der Spinozische Grundbegriff, durch das Prinzip des Idealismus vergeistigt (und in Einem wesentlichen Punkte verändert), erhielt in der höheren Betrachtungsweise der Natur und der erkannten Einheit des Dynamischen mit dem Gemütlichen und Geistigen eine lebendige Basis, woraus Naturphilosophie erwuchs, die als bloße Physik zwar für sich bestehen konnte, in Bezug auf das Ganze der Philosophie aber jederzeit nur als der eine, nämlich der reelle Teil, derselben betrachtet wurde, der erst durch die Ergänzung mit dem ideellen, in welchem Freiheit herrscht, der Erhebung in das eigentliche Vernunftsystem fähig werde. In dieser (der Freiheit), wurde behauptet, finde sich der letzte potenzierende