Über den Krieg - Engels Friedrich - E-Book

Über den Krieg E-Book

Engels Friedrich

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Beschreibung

Dieser Band beinhaltet 60 Artikel, die Engels für die englische "Pall Mall Gazette" schrieb.

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Über den Krieg

Friedrich Engels

Inhalt:

Friedrich Engels – Biografie und Bibliografie

Über den Krieg

Über den Krieg - I

Über den Krieg - II

Über den Krieg - IV

Die preußischen Siege

Über den Krieg - V

Über den Krieg - VI

Über den Krieg - VII

Über den Krieg - VIII

Über den Krieg - IX

Über den Krieg - X

Die Krise des Krieges

Über den Krieg - XI

Über den Krieg - XII

Über den Krieg - XIII

Über den Krieg - XIV

Über den Krieg - XV

Die französischen Niederlagen

Über den Krieg - XVI

Über den Krieg - XVII

Aufstieg und Niedergang von Armeen

Über den Krieg - XVIII

Wie die Preußen zu schlagen sind

Über den Krieg - XIX

Der Bericht von den Verhandlungen

Über den Krieg - XX

Über den Krieg - XXI

Das Prinzip des preußischen Militärsystems

Über den Krieg - XXII

Über den Krieg - XXIII

Das Schicksal von Metz

Über den Krieg - XXIV

Saragossa - Paris

Über den Krieg - XXV

Der Fall von Metz

Über den Krieg - XXVI

Des Kaisers Verteidigung

Der Kampf in Frankreich

Über den Krieg - XXVII

Befestigte Hauptstädte

Über den Krieg - XXVIII

Die militärische Lage Frankreichs

Über den Krieg - XXIX

Über den Krieg - XXX

Die Aussichten des Krieges

Preußische Franktireurs

Über den Krieg - XXXI

Über den Krieg - XXXII

Die Lage der Deutschen in Frankreich

Über den Krieg - XXXIII

Über den Krieg - XXXIV

Über den Krieg - XXXV

Über den Krieg - XXXVI

Über den Krieg - XXXVII

Über den Krieg - XXXVIII

Über den Krieg - XXXIX

Über den Krieg - XL

Die militärische Lage Frankreichs

Bourbakis Katasrophe

Über den Krieg, Friedrich Engels

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849611781

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Engels – Biografie und Bibliografie

Sozialist, geb. 28. Nov. 1820 in Barmen als Sohn eines Fabrikanten, gest. 5. Aug. 1895 in London, war 1838 Volontär in einem Geschäft in Bremen und übernahm dann die Filiale des väterlichen Geschäfts zu Manchester, die er bis 1845 leitete. Schon in früher Jugend literarisch tätig und sozialistischen Ideen zugeneigt, wurde er durch seinen Aufenthalt in England angeregt zur Veröffentlichung des Werkes »Die Lage der arbeitenden Klassen in England« (Leipz. 1845; 2. Aufl., Stuttg. 1892; engl. Übersetzung, mit Nachtrag, von Wischnewetzky, New York 1887). Nachdem er bereits 1844 für die von A. Ruge und K. Marx herausgegebenen »Deutsch-französischen Jahrbücher« Beiträge geschrieben, ward er 1844 in Brüssel mit Marx persönlich bekannt, dem er fortan in treuer Freundschaft anhing. Mit ihm verfasste er gemeinsam die gegen Bruno Bauer gerichtete Schrift »Die heilige Familie«, ebenso 1847 im Auftrag des internationalen Kommunistenbundes das »an die Proletarier aller Länder« gerichtete kommunistische Manifest. E. war damals erst in London, später in Brüssel Sekretär des Zentralausschusses des genannten Bundes. 1848–49 beteiligte er sich als Mitarbeiter an der von Marx in Köln redigierten »Neuen rheinischen Zeitung«, dann nahm er an den Aufständen in der Pfalz und in Baden teil und flüchtete nach deren Niederwerfung nach England, wo er nach Gründung der »Internationale« für diese und überhaupt für Verbreitung sozialistischer Ideen wirkte. Von 1850–69 war er wieder im väterlichen Geschäft in Manchester tätig und lebte seit 1869 in London. Eine Reihe von seinen im »Vorwärts« veröffentlichten Abhandlungen erschien 1878 u. d. T.: »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft« (4. Aufl., Stuttg. 1901); andre Schriften sind: »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« (Zür. 1884; 8. Aufl., Stuttg. 1900); »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« (das. 1888, 3. Aufl. 1903); »Die Entwickelung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« (4. Aufl., Berl. 1881). Auch gab er den von Marx im Manuskript hinterlassenen 2. und 3. Band des Werkes: »Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie« (Hamb. 1885) heraus und besorgte die 3. und 4. Auflage des 1. Bandes. Gesammelte Schriften aus dem Nachlaß wurden zusammen mit denen von Marx und Lassalle von Mehring herausgegeben (Stuttg. 1901 ff.). Vgl. »Die Neue Zeit«, 9. Jahrgang, S. 225 ff. (Stuttg. 1890); Sombart, Friedrich E. (Berl. 1895).

Über den Krieg

Über den Krieg - I

("The Pall Mall Gazette" Nr. 1703 vom 29. Juli 1870)

 Obgleich bisher noch kaum ein Schuß gefallen ist, ist doch schon eine erste Etappe des Krieges vorüber, die mit einer Enttäuschung für den französischen Kaiser geendet hat. Einige Bemerkungen über die politische und militärische Situation sollen das beweisen.

Es ist jetzt völlig unbestritten, daß Louis-Napoleon hoffte, den Norddeutschen Bund von den süddeutschen Staaten isolieren und die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung der neu annektierten preußischen Provinzen ausnützen zu können. Ein schneller Vorstoß gegen den Rhein - mit soviel Truppen, wie sich nur irgend sammeln ließen -, ein Übergang über diesen Fluß, etwa zwischen Germersheim und Mainz, ein Vormarsch in der Richtung auf Frankfurt und Würzburg - das alles schien dies bewirken zu können. Die Franzosen hätten dadurch die Verbindungen zwischen dem Norden und dem Süden beherrscht und Preußen gezwungen, in aller Eile sämtliche verfügbaren Truppen zu einem Feldzug an den Main zu werfen - ganz gleich, ob sie marschbereit wären oder nicht. Der ganze Mobilmachungsprozeß der Preußen wäre gestört und alle Chancen wären auf seiten der Eindringlinge gewesen, die die Möglichkeit gehabt hätten, die Preußen der Reihe nach, wie sie aus den verschiedenen Teilen des Landes heranrückten, zu schlagen. Nicht nur politische, sondern auch militärische Gründe sprachen für ein solches Unternehmen. Das französische Kadersystem ermöglicht eine weit schnellere Konzentration von etwa 120.000 bis 150.000 Mann als das preußische Landwehrsystem |Hier und in den weiteren Artikel "Landwehr" deutsch|. Die Friedensstärke der französischen Armee unterscheidet sich von der Kriegsstärke nur durch die Zahl der beurlaubten Mannschaften und durch  das Fehlen der Depots, die erst bei der Mobilmachung formiert werden. Die Friedensstärke des preußischen Heeres umfaßt dagegen weniger als ein Drittel der Kriegsstärke; überdies sind in Friedenszeiten nicht nur die Mannschaften, sondern auch die Offiziere der übrigen zwei Drittel Zivilisten. Die Mobilisierung dieser ungeheuren Menschenmassen braucht Zeit; sie ist außerdem ein verwickelter Prozeß, der beim plötzlichen Einfall einer feindlichen Armee völlig in Unordnung geraten müßte. Dies ist der Grund, warum der Kaiser den Krieg so plötzlich vom Zaun gebrochen hat. Wenn Napoleon nicht einen solchen unerwarteten Überfall geplant hätte, wären die scharfe Sprache Gramonts und die überstürzte Kriegserklärung absurd gewesen.

Jeden solchen Plan vereitelte indessen der plötzliche und ungestüme Ausbruch des deutschen Nationalgefühls. Louis-Napoleon stand nicht König Wilhelm "Annexander", sondern der deutschen Nation gegenüber. In diesem Falle war aber an einen kühnen Vorstoß über den Rhein, selbst mit 120.000 bis 150.000 Mann, nicht zu denken. Anstatt eines überraschenden Überfalls mußte ein regulärer Feldzug mit allen verfügbaren Kräften unternommen werden. Die Garde, die Armeen von Paris und Lyon und die Korps des Feldlagers von Châlons, die für den ursprünglichen Plan genügt hätten, waren kaum ausreichend, den bloßen Kern der großen Invasionsarmee zu bilden. So begann die zweite Phase des Krieges - die der Vorbereitung auf einen langen Feldzug; und von diesem Tage an begannen sich die Chancen eines Enderfolgs für den Kaiser zu verschlechtern.

Vergleichen wir nun die Kräfte, die zur gegenseitigen Vernichtung bereitstehen. Um die Dinge zu vereinfachen, wollen wir nur die Infanterie betrachten. Die Infanterie ist die Waffe, die die Schlachten entscheidet; eine geringe Differenz in der Stärke der Kavallerie und Artillerie, einschließlich Mitrailleusen und anderer wunderwirkender Maschinen, spielt auf keiner Seite eine nennenswerte Rolle.

Frankreich hat in Friedenszeiten 376 Infanteriebataillone (38 Garde-, 20 Jäger-, 300 Linien-, 9 Zuaven-, 9 Turko-Bataillone usw.) von je acht Kompanien. In Kriegszeiten läßt jedes von den 300 Linienbataillonen zwei Kompanien zur Bildung eines Depots zurück und marschiert mit nur sechs Kompanien ins Feld. Augenblicklich sind vier von den sechs Depotkompanien eines jeden Linienregiments (ein Regiment zu drei Bataillonen) dazu bestimmt, sich durch Auffüllung mit Beurlaubten und Reservisten zu einem vierten Bataillon zu ergänzen. Die verbleibenden zwei Kompanien scheinen als Depots bestimmt zu sein und können später zu fünften Bataillonen formiert werden. Aber es wird sicher einige Zeit - mindestens sechs  Wochen - dauern, ehe diese vierten Bataillone marschbereit sind. Gegenwärtig können sie und die Mobilgarde nur als Garnisontruppen gelten. Frankreich stehen demnach für die ersten entscheidenden Schlachten nicht mehr als die erwähnten 376 Bataillone zur Verfügung.

Von diesen umfaßt die Rheinarmee nach allem, was wir hören, in ihren sechs Armeekorps Nr. I bis VI und der Garde zusammen 299 Bataillone. Rechnet man noch das VII. Korps (des Generals Montauban), von dem vermutet wird, daß es für die Ostsee-Expedition bestimmt sei, hinzu, so beträgt die Gesamtzahl 340 Bataillone. Es würden dann noch 36 Bataillone verbleiben, um Algier, die Kolonien und das innere Frankreich zu bewachen. Es scheint demnach, daß Frankreich jedes verfügbare Bataillon gegen Deutschland geschickt hat und seine Streitkräfte durch neue, felddienstfählge Bataillone nicht vor Anfang September verstärken kann.

Nun zur anderen Seite. Die norddeutsche Armee besteht aus dreizehn Armeekorps, die aus 368 Infanteriebataillonen oder aus rund 28 Bataillonen je Korps zusammengesetzt sind. Jedes Bataillon zählt im Frieden ungefähr 540, im Kriege 1.000 Mann. Nach Empfang des Mobilmachungsbefehls wird in jedem Regiment, bestehend aus drei Bataillonen, eine Anzahl von Offizieren zur Bildung eines vierten Bataillons ausgesondert. Die Reservisten werden sofort einberufen. Das sind Leute, die zwei bis drei Jahre im Regiment gedient haben und bis zu ihrem siebenundzwanzigsten Jahre jederzeit einberufen werden können. Sie genügen reichlich zum Auffüllen der drei Feldbataillone und zur Schaffung eines guten Grundstocks für das vierte Bataillon, welches durch Landwehrmänner vervollständigt wird. So sind die Feldbataillone in wenigen Tagen marschbereit, und die vierten Bataillone können vier oder fünf Wochen später folgen. Gleichzeitig wird für jedes Linienregiment ein Landwehrregiment aus zwei Bataillonen gebildet, das aus Männern zwischen achtundzwanzig und sechsunddreißig Jahren besteht, und sobald diese Landwehrregimenter formiert sind, wird mit der Bildung der dritten Landwehrbataillone begonnen. Die Zeit, die für all das gebraucht wird, beträgt, einschließlich der Mobilmachung der Kavallerie und Artillerie, genau dreizehn Tage. Da der erste Tag der Mobilmachung auf den 16. angesetzt war, ist also heute alles fertig oder sollte es wenigstens sein. Gegenwärtig hat Norddeutschland wahrscheinlich 358 Linienbataillone im Felde und 198 Landwehrbataillone in Garnison. Sie werden bis zur zweiten Hälfte des August, sicherlich nicht später, durch 114 vierte Linienbataillone und 93 dritte Landwehrbataillone verstärkt werden. Bei all diesen Truppen wird es kaum einen Mann geben, der nicht seine reguläre Dienstzeit in der Armee durchgemacht hätte. Zu diesen müssen wir  noch die Truppen von Hessen-Darmstadt, Baden, Württemberg und Bayern rechnen, insgesamt 104 Linienbataillone. Aber da in diesen Staaten das Landwehrsystem noch nicht Zeit hatte, sich völlig zu entwickeln, so mögen dort nicht mehr als 70 oder 80 Bataillone fürs Feld verfügbar sein.

Die Landwehr ist hauptsächlich für den Garnisondienst vorgesehen. Jedoch im Kriege von 1866 ist ein großer Teil der Landwehr als Reservearmee ins Feld gerückt. Das wird zweifellos wieder geschehen.

Von den dreizehn norddeutschen Armeekorps sind gegenwärtig zehn am Rhein; sie machen insgesamt 280 Bataillone aus. Hinzu kommen die Süddeutschen mit schätzungsweise 70 Bataillonen. Das ergibt insgesamt 350 Bataillone. Es bleiben an der Küste oder als Reserve noch drei Armeekorps oder 84 Bataillone verfügbar. Ein Korps und die Landwehr werden zur Verteidigung der Küste hinreichend sein. Die beiden übrigen Armeekorps sind, soviel wir wissen, ebenfalls auf dem Wege zum Rhein. Diese Truppen können bis zum 20. August um mindestens 100 vierte Bataillone und 40 bis 50 Landwehrbataillone verstärkt werden, Soldaten, die den vierten Bataillonen und Mobilgarden der Franzosen, die zum größten Teil aus fast unausgebildeten Leuten bestehen, überlegen sind. Es ist Tatsache, daß Frankreich nicht mehr als etwa 550.000 ausgebildete Männer zur Verfügung hat, während allein Norddeutschland über 930.000 Mann verfügt. Dies ist ein Vorteil für Deutschland, welcher um so mehr ins Gewicht fallen wird, je länger die entscheidenden Kämpfe hinausgeschoben werden, und er wird gegen Ende September seinen Höhepunkt erreichen.

Wir brauchen uns unter diesen Umständen nicht über die Nachricht aus Berlin zu wundern, daß die deutschen Feldherren hoffen, den deutschen Boden vor den Leiden des Krieges zu bewahren. Mit anderen Worten: Wenn sie nicht bald angegriffen werden, werden sie selbst angreifen. Wie dieser Angriff, wenn ihm nicht Louis-Napoleon doch noch zuvorkommt, durchgeführt wird, ist eine andere Frage.

Über den Krieg - II

("The Pall Mall Gazette" Nr. 1705 vom 1. August 1870)

Am Freitag, dem 29. Juli, morgens, wird der Vormarsch der französischen Armee begonnen haben. In welcher Richtung? Ein Blick auf die Landkarte soll es zeigen.

Das Rheintal wird auf dem linken Ufer nach Westen hin durch die Bergkette der Vogesen, die sich von Belfort bis Kaiserslautern hinzieht, abgeschlossen. Nördlich von Kaiserslautern werden die Hügel immer flacher, bis sie allmählich in die Ebene von Mainz auslaufen.

Das Moseltal bildet in Rheinpreußen einen tiefen und gewundenen Einschnitt, den sich der Fluß durch eine Hochebene gebahnt hat. Diese erhebt sich im Süden des Tales zu einer ansehnlichen Bergkette, die Hochwald genannt wird. Je weiter sich diese Bergkette dem Rhein nähert, desto mehr trägt die Landschaft den Charakter einer Hochebene, bis die letzten Hügel mit den äußersten Ausläufern der Vogesen zusammentreffen.

Weder die Vogesen noch der Hochwald sind für eine Armee gänzlich ungangbar, beide werden von verschiedenen guten Heerstraßen durchquert; aber keines der beiden Gebirge ist ein Gelände, in dem Armeen von 200.000 bis 300.000 Mann vorteilhaft operieren könnten. Dagegen bildet das Gebiet zwischen beiden eine Art weiter Bresche von fünfundzwanzig bis dreißig Meilen Breite. Es ist ein hügeliges Gelände, das von zahlreichen Straßen in allen Richtungen durchzogen wird und für Bewegungen großer Armeen alle Vorteile bietet. Überdies geht die Straße von Metz nach Mainz durch diesen Einschnitt, und Mainz ist der erste wichtige Punkt, auf den die Franzosen wahrscheinlich marschieren werden.

Hier haben wir also die von der Natur gegebene Operationslinie. Im Falle einer deutschen Invasion in Frankreich - da ja beide Armeen bereitstehen - muß das erste große Treffen in Lothringen stattfinden, östlich der  Mosel und nördlich der Eisenbahn Nancy - Straßburg. Wenn eine französische Armee aus ihren Stellungen, in denen sie sich in der letzten Woche konzentrierte, vorrückt, so wird der erste bedeutende Kampf ungefähr in dieser Bresche oder jenseits von ihr unter den Wällen von Mainz stattfinden.

Die französische Armee wurde wie folgt aufgestellt: drei Korps (das III., IV. und V.) in einer ersten Linie bei Thionville, St. Avold und Bitsch; zwei Korps (das I. und II.) in der zweiten Linie bei Straßburg und Metz und als Reserve die Garde bei Nancy und das VI. Korps bei Châlons. Während der letzten Tage wurde die zweite Linie in die Zwischenräume der ersten vorgeschoben; die Garde rückte nach Metz vor, und Straßburg wurde der Mobilgarde überlassen. Somit wurden die gesamten französischen Kräfte zwischen Thionville und Bitsch konzentriert, das heißt gegenüber dem Eingang des Einschnitts zwischen den Bergen. Der natürliche Schluß aus diesen Voraussetzungen ist, daß die Franzosen dorthinein zu marschieren beabsichtigen.

Die Invasion wird also mit der Besetzung der Übergänge über die Saar und die Blies begonnen haben. Die nächsten Tage werden wahrscheinlich die Besetzung der Linie Tholey - Homburg bringen, dann der Linie Birkenfeld - Landstuhl oder Oberstein - Kaiserslautern und so fort - alles unter der Voraussetzung, daß diese Operationen nicht durch einen Vormarsch der Deutschen unterbrochen werden. Ohne Zweifel werden in den Hügeln flankierende Korps beider Parteien stehen, die auch zu Gefechten vorgehen werden; aber die eigentliche Schlacht wird in dem eben beschriebenen Gebiet zu erwarten sein.

Über die Stellungen der Deutschen wissen wir nichts. Wir vermuten jedoch, daß ihr Aufmarschgebiet - wenn sie beabsichtigen, dem Feind auf dem linken Rheinufer entgegenzutreten - unmittelbar vor Mainz sein wird, also am anderen Ende des Einschnitts. Wenn nicht, so werden sie auf dem rechten Ufer, von Bingen bis Mannheim, bleiben und sich je nach den Umständen oberhalb oder unterhalb von Mainz konzentrieren. Durch die Errichtung einer neuen Linie von detachierten Forts, 4.000 bis 5.000 Yard von den Wällen der Stadt entfernt, scheint Mainz, das in seiner alten Form dem Bombardement durch gezogene Geschütze ausgesetzt war, jetzt ziemlich gesichert zu sein.

Alles deutet darauf hin, daß die Deutschen nur zwei oder drei Tage später als die Franzosen fertig und zum Vorrücken bereit sein werden. In diesem Falle wird es eine Schlacht geben ähnlich der bei Solferino - zwei Armeen, entwickelt in ihrer ganzen Front, marschieren aufeinander los.

 Viel ausgeklügelte und übergeschickte Manöver sind nicht zu erwarten. Bei Armeen von solcher Größe ist es schon schwierig genug, sie nach dem vorgesehenen Plan an die Front zu bringen. Welche Seite auch immer gefährliche Manöver versucht, sie wird durch den bloßen Vormarsch der Massen des Feindes vernichtet werden, lange bevor diese Manöver entwickelt sein können.

————— Z.

Ein militärisches Werk über die Rheinfestungen von Herrn von Widdern ist gerade jetzt in Berlin viel besprochen worden. Der Autor sagt, daß der Rhein von Basel bis zur Murg überhaupt nicht befestigt und daß der einzige Schutz Süddeutschlands und Österreichs gegen einen französischen Angriff in dieser Richtung die starke Festung Ulm sei. Diese ist seit 1866 mit einer aus Bayern und Württembergern zusammengesetzten Truppe belegt, die etwa 10.000 Mann beträgt. Die Besatzung könnte im Falle eines Krieges auf 25.000 Mann erhöht werden, und weitere 25.000 könnten in einem verschanzten Lager innerhalb der Wälle der Festung stationiert werden. Rastatt, von dem man annimmt, daß es für einen französischen Vormarsch ein machtvolles Hindernis sein wird, liegt in einem Tal, durch das die Murg fließt. Die Verteidigungswerke der Stadt bestehen aus drei großen Forts, die das umliegende Gebiet beherrschen und durch Wälle verbunden sind. Das südliche und das westliche Fort, "Leopold" und "Friedrich", liegen auf dem linken Ufer der Murg; das nördliche Fort, "Ludwig", auf dem rechten Ufer. Hier befindet sich auch ein verschanztes Lager, in dem 25.000 Mann stationiert werden könnten. Rastatt liegt vier Meilen vom Rhein entfernt, und das dazwischenliegende Land ist bewaldet, so daß die Festung nicht verhindern könnte, daß eine Armee an dieser Stelle den Fluß überschreitet. Die nächste Festung ist Landau, das früher aus drei Forts bestand, einem im Süden, einem im Osten und einem im Nordwesten, von der Stadt durch Sümpfe an den Ufern des kleinen Flusses Queich getrennt. Das südliche und das östliche Fort sind unlängst geschleift worden; das einzige, das noch im Verteidigungszustand erhalten wird, ist das nordwestliche. Die wichtigste und bestgelegene Festung in dieser Gegend ist Germersheim am Rhein. Es beherrscht eine beträchtliche Strecke des Flusses auf beiden Seiten und sperrt diesen praktisch für den Feind bis nach Mainz und Koblenz. Germersheim würde den Vormarsch der Truppen in die Rheinpfalz dadurch sehr erleichtern, wenn außer der bestehenden Schiffsbrücke unter dem Schutze seiner Artillerie noch zwei oder drei Brücken über den Fluß geschlagen werden könnten. Ferner könnte es eine  Operationsbasis abgeben für den linken Flügel einer Armee, die entlang der Queich aufgestellt würde. Mainz, eine der wichtigsten Rheinfestungen, wird durch einige angrenzende Hügel beherrscht. Das hat es notwendig gemacht, die Befestigungen in der Stadt zu vermehren, und es gibt infolgedessen kaum genügend Raum für eine große Garnison. Das ganze Gebiet zwischen Mainz und Bingen ist jetzt stark befestigt, und zwischen ihm und der Mainmündung (am gegenüberliegenden Ufer des Rheins) liegen drei große verschanzte Lager. Über Koblenz sagt Herr von Widdern, daß es eine sechsfach stärkere Truppenmacht als seine Garnison erfordern würde, diesen Platz mit Aussicht auf Erfolg zu belagern. Ein Feind würde den Angriff wahrscheinlich beginnen durch Eröffnung des Feuers auf das Fort Alexander von dem Hügel aus, der bekanntlich Kuhkopf heißt, wo seine Truppen durch die Wälder geschützt wären. Der Autor beschreibt auch die Befestigungen von Köln und Wesel, sagt aber darüber nichts, was nicht schon bekannt wäre.

Über den Krieg - IV

("The Pall Mall Gazette" Nr. 1710 vom 6. August 1870)

Am 28. Juli traf der Kaiser in Metz ein und übernahm am folgenden Morgen das Kommando der Rheinarmee. Nach napoleonischen Traditionen hätte dieser Tag den Beginn aktiver Operationen bedeuten müssen. Aber eine Woche ist seitdem vergangen, und wir haben noch nicht gehört, daß die Rheinarmee - als Ganzes - sich bewegt hätte. Am 30. war die unbedeutende preußische Macht in Saarbrücken imstande, eine französische Rekognoszierung zurückzutreiben. Am 2. August nahm die zweite Division (General Bataille) des II. Armeekorps (General Frossard) die Anhöhen südlich von Saarbrücken und trieb den Feind durch ein Bombardement zur Stadt hinaus, versuchte aber nicht, den Fluß zu überschreiten und die Höhen, die auf dem nördlichen Ufer die Stadt beherrschen, zu erstürmen. So wurde durch diesen Angriff die Saarlinie nicht durchbrochen. Seitdem sind keine weiteren Nachrichten von einem französischen Vorstoß eingegangen; und so ist der durch die Kämpfe vom 2. August gewonnene Vorteil gleich Null.

Nun ist es aber kaum zweifelhaft, daß der Kaiser, als er Paris verließ und nach Metz ging, beabsichtigte, sofort über die Grenze vorzurücken. Hätte er dies getan, so wäre er imstande gewesen, die feindlichen Aufmarschvorbereitungen recht ernstlich in Unordnung zu bringen. Am 29. und 30. Juli waren die deutschen Armeen noch immer von einer Konzentration überaus weit entfernt. Die Süddeutschen strebten immer noch von verschiedenen Orten aus mit der Bahn und zu Fuß zu den Rheinbrücken. Die preußische Reservekavallerie zog in endlosen Kolonnen durch Koblenz und Ehrenbreitstein und marschierte südwärts. Das VII. Armeekorps befand sich zwischen Aachen und Trier, weit entfernt von allen Eisenbahnlinien. Das X. Korps verließ Hannover und die Garde Berlin mit der Bahn. Ein entschlossener Vormarsch in diesem Moment hätte wahrscheinlich die Franzosen bis zu den Außenforts von Mainz gebracht und ihnen beträcht-  liche Vorteile über die weichenden deutschen Kolonnen gesichert, hätte ihnen vielleicht sogar ermöglicht, eine Brücke über den Rhein zu schlagen und sie durch einen Brückenkopf auf dem rechten Ufer zu sichern. Auf alle Fälle wäre der Krieg in Feindesland getragen worden und die moralische Wirkung auf die französischen Truppen wäre ausgezeichnet gewesen.

Warum hat keine derartige Vorwärtsbewegung stattgefunden? Aus dem sehr einfachen Grunde: Wenn schon die französischen Soldaten bereit waren, so waren es die Intendanturen nicht. Wir brauchen keinem der Gerüchte, die von deutscher Seite kommen, zu glauben; wir haben das Zeugnis des Hauptmanns Jeannerod, eines ehemaligen französischen Offiziers, der Korrespondent des "Temps" bei der Armee ist. Er stellt ausdrücklich fest, daß die Verteilung des Feldzugsproviants erst am 1. August begann, daß die Truppen nicht genügend Feldflaschen, Kochgeschirr und andere Lagerutensillen hatten, das Fleisch verdorben und das Brot oft muffig war. Man wird wahrscheinlich sagen, die Armee des Zweiten Kaiserreichs ist bis jetzt von dem Zweiten Kaiserreich selbst geschlagen worden. Von einem Regime, das seine Stützen durch alle althergebrachten Mittel der Geschäftemacherei korrumpieren muß, kann nicht erwartet werden, daß es damit vor der Armeeverwaltung haltmacht. Dieser Krieg war nach dem Geständnis von Herrn Rouher seit langer Zeit vorbereitet; der Anschaffung von Vorräten, besonders von Ausrüstungsgegenständen, war augenscheinlich bei der Vorbereitung die wenigste Aufmerksamkeit geschenkt worden. Und gerade in dieser Beziehung kommen solche Unregelmäßigkeiten vor, daß sie in der kritischsten Periode des Feldzugs eine Verzögerung von einer Woche verursachen.

Diese eine Woche Verzögerung veränderte die Lage der Deutschen bedeutend. Sie gab ihnen Zelt, ihre Truppen an die Front zu bringen und sie in den vorgesehenen Stellungen zu sammeln. Unsere Leser kennen unsere Vermutung, daß gegenwärtig alle deutschen Kräfte auf dem linken Rheinufer konzentriert sind und der französischen Armee mehr oder weniger unmittelbar gegenüberstehen. Alle offiziellen und privaten Berichte, die wir seit Dienstag, als wir der "Times" die Möglichkeit gaben, alle Meinungen, die sie zu dieser Frage gehabt hat, bei uns zu entlehnen, bestätigen unsere Ansicht; und heute morgen schwört sie, es seien ihre eigenen. Die drei Armeen unter Steinmetz, dem Prinzen Friedrich Karl und dem Kronprinzen repräsentieren eine Gesamtzahl von dreizehn Armeekorps oder wenigstens 430.000 bis 450.000 Mann. Die Gesamtkräfte, die ihnen gegenüberstehen, können bei sehr günstiger Schätzung 330.000 bis 350.000 ausgebildete Soldaten nicht wesentlich über-  steigen. Sollten sie stärker sein, so muß dieser Überschuß aus unausgebildeten und erst unlängst formierten Bataillonen bestehen. Aber die deutschen Kräfte repräsentieren bei weitem noch nicht die Gesamtmacht Deutschlands. Allein an Feldtruppen sind drei Armeekorps (das I., VI. und XI.) in die obige Schätzung nicht einbezogen worden. Wo sie sind, wissen wir nicht. Wir wissen, daß sie ihre Garnisonen verlassen haben, und wir haben Regimenter des XI. Korps auf dem linken Rheinufer und in der bayrischen Pfalz festgestellt. Wir wissen ebenfalls sicher, daß gegenwärtig in Hannover, Bremen und Umgegend keine Truppen außer der Landwehr vorhanden sind. Dies könnte uns zu dem Schluß führen, daß zumindest der größere Teil dieser drei Korps ebenfalls an die Front befördert worden ist; in diesem Fall würde die zahlenmäßige Überlegenheit der Deutschen etwa um 40.000 bis 60.000 Mann vergrößert worden sein. Es würde uns nicht überraschen, wenn sogar eine Anzahl von Landwehrdivisionen an die Front in die Saargegend geschickt worden wäre. Es stehen jetzt 210.000 Mann der Landwehr vollkommen bereit, und 180.000 Mann der vierten Linienbataillone u.a. sind fast ausmarschbereit. Einige davon könnten für den ersten entscheidenden Schlag zur Verfügung stehen. Es wäre falsch zu vermuten, daß diese Truppen lediglich auf dem Papier stehen. Die Mobilmachung von 1866 hat bewiesen, daß die Sache funktioniert, und die gegenwärtige Mobilmachung hat erneut bewiesen, daß mehr ausgebildete Leute marschbereit sind, als gebraucht werden. Die Zahlen erscheinen unglaubhaft, aber mit ihnen ist die militärische Stärke Deutschlands nicht einmal erschöpft.

So steht der Kaiser am Ende dieser Woche einer zahlenmäßig überlegenen Macht gegenüber. Wenn er in der letzten Woche zwar willens, aber unfähig war vorzurücken, so dürfte er jetzt zum Vormarsch sowohl unfähig als auch nicht willens sein. Daß er die Stärke seines Gegners ahnt, wird durch den Bericht aus Paris angedeutet, daß 250.000 Preußen zwischen Saarlouis und Neunkirchen zusammengezogen sind. Was zwischen Neunkirchen und Kaiserslautern ist, darüber schweigt der Pariser Bericht. Es ist darum möglich, daß die Inaktivität der französischen Armee bis zum Donnerstag teilweise durch einen Wechsel im Feldzugsplan begründet war; vielleicht beabsichtigen die Franzosen, statt anzugreifen, in der Defensive zu bleiben und die Überlegenheit der bedeutend größeren Schlagkraft auszunutzen, welche Hinterlader und gezogene Kanonen einer Armee geben, die den Angriff in verschanzter Position erwartet. Wenn dies aber beschlossen worden ist, so wird der Beginn des Feldzugs für die Franzosen sehr enttäuschend sein. Halb Lothringen und das Elsaß ohne regelrechte Schlacht zu opfern - und wir bezweifeln, daß eine gute Stellung für eine so große  Armee näher an der Grenze als bei Metz zu finden sein wird -, ist für den Kaiser ein bedenkliches Unternehmen.

Gegen eine solche Bewegung der Franzosen würden die Deutschen den bereits erläuterten Plan entwickeln. Sie würden versuchen, ihren Gegner in eine große Schlacht zu verwickeln, ehe er Metz erreicht haben kann. Die Deutschen würden in der Gegend zwischen Saarlouis und Metz vorstoßen. Sie würden auf alle Fälle versuchen, die französischen verschanzten Stellungen zu überflügeln und deren Verbindungen mit dem Hinterland zu unterbrechen.

Eine Armee von 300.000 Mann braucht beträchtliche Proviantmengen und kann sich nicht gestatten, daß ihre Versorgungslinien auch nur für wenige Tage unterbrochen werden. So könnte sie gezwungen sein, aus den Stellungen herauszukommen und im offenen Felde zu kämpfen; damit würde der Vorteil der festen Stellung verloren sein. Was auch immer geschehen mag, wir dürfen sicher sein, daß bald etwas geschehen muß. Dreiviertel Millionen Männer können nicht lange auf einem Raum von fünfzig Quadratmeilen konzentriert bleiben. Die Unmöglichkeit der Verpflegung solcher Menschenmassen wird die eine oder andere Seite zwingen, sich in Marsch zu setzen.

Um zum Abschluß zu kommen: Wir wiederholen, daß wir von der Annahme ausgehen, daß beide, Franzosen wie Deutsche, jeden verfügbaren Mann an die Front gebracht haben, um ihn an der ersten großen Schlacht teilnehmen zu lassen. In diesem Fall ist es immer noch unsere Meinung, daß die Deutschen eine zahlenmäßige Überlegenheit haben, die hinreichen muß, ihnen den Sieg zu sichern - sofern nicht große Fehler auf ihrer Seite begangen werden. Wir werden in dieser Annahme durch alle offiziellen und privaten Berichte bestärkt. Aber natürlich ist dies alles nicht absolut sicher. Wir haben unsere Schlüsse aus Anzeichen zu ziehen, welche trügerisch sein können. Wir wissen nicht, welche Dispositionen gerade getroffen werden, während wir dies schreiben; und es ist unmöglich vorauszusehen, welche Schnitzer oder genialen Schläge von den Feldherren auf beiden Seiten noch gemacht werden können.

Unsere letzte Bemerkung heute betrifft die Erstürmung der Linien von Weißenburg im Elsaß durch die Deutschen. Die Truppen, die auf deutscher Seite kämpften, gehörten dem preußischen V. und XI. und dem bayrischen II. Armeekorps an. Wir haben auf diese Weise eine unmittelbare Bestätigung dafür, daß nicht nur das XI. Korps, sondern die gesamten Hauptkräfte des Kronprinzen sich in der Pfalz befinden. Das Regiment, das im Bericht als "des Königs Gardegrenadiere" erwähnt wird, ist das 7. oder 2. westpreußische Grenadierregiment, das wie das 58. Regiment zum  V. Armeekorps gehört. Es ist ein preußisches Prinzip, stets erst die Gesamtmacht eines Armeekorps einzusetzen, bevor Truppen eines anderen Korps hinzugezogen werden. Nun, hier sind Truppen von drei Armeekorps - Preußen und Bayern - mit einer Aufgabe beschäftigt worden, die höchstens ein Korps erfordert hätte. Das sieht so aus, als ob die Anwesenheit von drei Korps, die das Elsaß bedrohen, dazu dienen sollte, Eindruck auf die Franzosen zu machen. Ein Angriff das Rheintal aufwärts würde überdies bei Straßburg zum Stehen gebracht werden. Und ein Flankenmarsch durch die Vogesen würde die Pässe durch Bitsch, Pfalzburg und Lützelstein blockiert finden, kleine Festungen, die ausreichen, die Heerstraßen zu versperren. Wir vermuten, daß, während drei oder vier Brigaden dieser deutschen Armeekorps Weißenburg attackierten, das Gros dieser Korps über Landau und Pirmasens nach Zweibrücken marschierte. Wären jene Brigaden erfolgreich, so würden ein paar von Mac-Mahons Divisionen in der entgegengesetzten Richtung - zum Rhein - marschieren. Dort wären sie vollkommen harmlos, weil jeder Einfall in die pfälzische Ebene bei Landau und Germersheim aufgehalten würde.

Das Gefecht bei Weißenburg wurde augenscheinlich mit einer solchen numerischen Überlegenheit geführt, die den Erfolg fast von vornherein sicherte. Seine moralische Wirkung als erstes ernsthaftes Gefecht des Krieges muß notwendigerweise groß sein, zumal die Erstürmung einer befestigten Stellung stets als eine schwierige Sache angesehen wird. Daß die Deutschen die Franzosen trotz gezogener Geschütze, Mitrailleusen und Chassepots mit der Spitze des Bajonetts aus den befestigten Stellungen herausgetrieben haben, wird auf beide Armeen Eindruck machen. Es ist zweifellos das erste Beispiel, wo das Bajonett gegen Hinterlader erfolgreich gewesen ist, und deswegen wird diese Aktion denkwürdig bleiben.

Aus demselben Grunds wird sie Napoleons Pläne in Unordnung bringen. Diese Nachricht kann der französischen Armee nicht - auch nicht mit der größten Abschwächung - bekanntgegeben werden, es sei denn zusammen mit Erfolgsmeldungen von anderen Schauplätzen. Und sie kann nicht länger als höchstens zwölf Stunden geheimgehalten werden. Wir dürfen deshalb erwarten, daß der Kaiser seine Kolonnen in Bewegung setzen wird, um nach Erfolgen Ausschau zu halten; und es wäre erstaunlich, wenn wir nicht bald Berichte von französischen Siegen haben sollten. Aber zur selben Zeit werden sich wahrscheinlich die Deutschen in Marsch setzen, und die Spitzen der feindlichen Kolonnen werden an mehr als einer Stelle in Fühlung kommen. Der heutige oder spätestens der morgige Tag dürfte das erste bedeutendere Treffen bringen.

Die preußischen Siege

("The Pall Mall Gazette" Nr. l 711 vom 8. August 1870)

Die schnelle Aktion der deutschen Dritten Armee wirft mehr und mehr Licht auf Moltkes Pläne. Die Konzentration dieser Armee in der Pfalz muß über die Brücken von Mannheim und Germersheim vor sich gegangen sein, vielleicht auch mit Hilfe von zwischen diesen Orten errichteten militärischen Pontonbrücken. Schon bevor sie die Landstraßen erreichten, die von Landau und Neustadt westwärts über die Hardt gehen, waren die im Rheintal zusammengezogenen Truppen für einen Angriff auf den französischen rechten Flügel verfügbar. Ein solcher Angriff, mit überlegenen Streitkräften und mit Landau unmittelbar im Rücken, wäre vollkommen sicher und könnte große Resultate zeitigen. Wenn es gelänge, einen beträchtlichen Teil der französischen Truppen von der Hauptarmee weg und in das Rheintal zu ziehen, ihn zu schlagen und das Tal hinauf nach Straßburg zu treiben, so wären diese französischen Kräfte aus dem Gebiet der Hauptschlacht entfernt. Die deutsche Dritte Armee wäre dagegen noch in der Lage, daran teilzunehmen, da sie der Hauptarmee der Franzosen bedeutend näher ist. Auf jeden Fall würde ein Angriff auf den rechten Flügel der Franzosen diese irreleiten, sofern der deutsche Hauptangriff, wie wir trotz der gegenteiligen Meinung einer Schar von militärischen und nichtmilitärischen Neuigkeitskrämern noch immer glauben, gegen den linken Flügel der Franzosen geführt werden soll.

Die plötzliche und erfolgreiche Attacke auf Weißenburg zeigt, daß die Deutschen über die Stellungen der Franzosen Informationen besaßen, die sie zu solch einem Manöver ermutigten. Die Franzosen rannten in ihrer Hast nach einer Revanche kopfüber in die Falle. Marschall Mac-Mahon konzentrierte augenblicklich seine Korps in Richtung Weißenburg; und um dieses Manöver auszuführen, brauchte er, wie berichtet wird, zwei Tage. Aber der Kronprinz war nicht geneigt, ihm diese Zelt zu lassen. Er  nützte seinen Vorteil sofort aus und attackierte ihn am Sonnabend in der Nähe von Wörth an der Sauer, ungefähr 15 Meilen südwestlich von Weißenburg. Mac-Mahons Stellung wurde von ihm selbst stark genannt. Nichtsdestoweniger wurde er um fünf Uhr nachmittags daraus vertrieben, und der Kronprinz vermutete ihn in vollem Rückzug auf Bitsch. Hierdurch hätte er sich davor geschützt, vom Zentrum weg auf Straßburg getrieben zu werden, und hätte seine Verbindungen mit der Masse der Armee aufrechterhalten. Nach späteren französischen Telegrammen scheint es jedoch, daß er sich wirklich auf Nancy zurückgezogen hat und daß sein Hauptquartier nun bei Zabern ist.

Die beiden französischen Korps, die ausgesandt waren, den deutschen Vormarsch aufzuhalten, bestanden aus sieben Infanteriedivisionen, von denen wahrscheinlich mindestens fünf in dem Kampf eingesetzt worden sind. Es ist auch möglich, daß sie alle nach und nach an der Schlacht teilnahmen. Aber sie waren ebensowenig imstande, das Gleichgewicht wiederherzustellen, wie die nacheinander auf dem Schlachtfeld von Magenta erscheinenden österreichischen Brigaden. Auf jeden Fall können wir als sicher annehmen, daß ein Fünftel bis ein Viertel der gesamten Macht der Franzosen hier geschlagen wurde. Die Truppen auf der deutschen Seite waren wahrscheinlich dieselben, deren Vorhut Weißenburg genommen hatte, das II. bayrische, das V. und XI. norddeutsche Korps. Von diesen Korps besteht das V. aus zwei Posener, fünf schlesischen und einem westfälischen Regiment, das XI. aus einem pommerschen Regiment, vier aus Hessen-Kassel und Nassau und drei thüringischen Regimentern. Es sind also Truppen aus den verschiedensten Teilen Deutschlands eingesetzt worden.

Was uns bei diesen Kampfhandlungen am meisten überrascht, ist die strategische und taktische Rolle, die jede der beiden Armeen dabei spielt. Es ist das genaue Gegenteil dessen, was der Tradition nach zu erwarten war. Die Deutschen greifen an; die Franzosen verteidigen sich. Die Deutschen handeln schnell und mit großen Massen und dirigieren sie mit Leichtigkeit; die Franzosen müssen zugeben, daß ihre Truppen nach vierzehntägiger Konzentration noch so verstreut sind, daß sie zwei Tage benötigen, um zwei Armeekorps zusammenzubringen. Sie sind infolgedessen einzeln geschlagen worden. Nach der Art, wie sie ihre Truppenbewegungen vollziehen, könnten sie Österreicher sein. Wie läßt sich dies erklären? Einfach aus den Notwendigkeiten des Zweiten Kaiserreichs. Der Stachel von Weißenburg war ausreichend, ganz Paris in Aufregung zu versetzen und zweifelsohne den Gleichmut der Armee ebenfalls ins Wanken zu bringen.  Eine Revanche mußte sein: Mac-Mahon wurde sogleich mit zwei Korps abgeschickt, um Revanche zu nehmen. Dieser Schritt war offensichtlich falsch, aber gleichviel, er mußte gemacht werden und wurde gemacht - mit welchem Erfolge, haben wir gesehen. Wenn Marschall Mac-Mahon nicht so viele Verstärkungen zugehen, daß er imstande ist, sich dem Kronprinzen noch einmal entgegenzustellen, so kann sich der Kronprinz durch einen Marsch von fünfzehn Meilen nach Süden der Eisenbahn Straßburg - Nancy bemächtigen, nach Nancy vorstoßen und durch diese Bewegung jede Linie umgehen, die die Franzosen bei einem Vormarsch nach Metz hoffen könnten zu halten. Gerade die Furcht davor ist es, die die Franzosen veranlaßt, das Saargebiet aufzugeben. Oder, wenn der Kronprinz die Verfolgung Mac-Mahons seiner Vorhut überläßt, kann er sogleich nach rechts über die Hügel nach Pirmasens und Zweibrücken marschieren, um eine regelrechte Verbindung mit dem linken Flügel der Armee von Prinz Friedrich Karl herzustellen. Dieser stand die ganze Zeit über zwischen Mainz und Saarbrücken, während die Franzosen ihn hartnäckig bei Trier vermuteten. Wie die Niederlage des Korps des Generals Frossard bei Forbach, auf die, wie es scheint, der gestrige Vormarsch der Preußen nach St. Avold folgte, auf seinen Marsch einwirken wird, können wir nicht entscheiden.

Wenn das Zweite Kaiserreich nach Weißenburg unbedingt eines Sieges bedurfte, so braucht es ihn jetzt nach Wörth und Forbach in noch viel höherem Grade. Wenn Weißenburg genügte, alle zuvor gefaßten Pläne für die Operationen des rechten Flügels zu verwirren, so stoßen notwendigerweise die Schlachten vom Sonnabend alle Dispositionen um, die für die gesamte Armee gemacht wurden. Die französische Armee hat jede Initiative verloren. Ihre Bewegungen werden weniger von militärischen Erwägungen als von politischen Notwendigkeiten diktiert. Hier befinden sich 300.000 Mann fast in Sicht des Feindes. Wenn Ihre Bewegungen sich nicht nach dem, was im Lager des Feindes geschieht, richten sollen, sondern nach dem, was sich in Paris zuträgt oder zutragen kann, so sind sie bereits halb geschlagen. Natürlich kann niemand mit Sicherheit das Resultat der Hauptschlacht voraussagen, die jetzt bevorsteht - sofern sie nicht schon im Gang ist. Aber soviel können wir sagen, daß noch eine Woche derartiger Strategie, wie sie Napoleon III. seit Donnerstags betätigt, allein ausreicht, die beste und größte Armee der Welt zu vernichten.

Der Eindruck, den man nach den preußischen Berichten über diese Schlachten gewinnt, wird durch die Telegramme des Kaisers Napoleon  nur noch vertieft. Sonnabend mitternacht berichtete er die nackten Tatsachen:

"Marschall Mac-Mahon hat eine Schlacht verloren. General Frossard ist gezwungen worden, sich zurückzuziehen."

Drei Stunden später kam die Nachricht, daß seine Verbindungen mit Marschall Mac-Mahon unterbrochen seien. Am Sonntag morgen um sechs Uhr wurde die ernsthafte Bedeutung der Niederlage des Generals Frossard tatsächlich durch das Geständnis anerkannt, daß ihm die Niederlage westlich von Saarbrücken, nämlich bei Forbach, beigebracht wurde. Die Unmöglichkeit, den preußischen Vormarsch sogleich aufzuhalten, wurde ferner durch die Mitteilung eingeräumt:

"Die Truppen, die getrennt worden waren, sind auf Metz konzentriert worden."

Das nächste Telegramm ist schwer zu interpretieren:

"Der Rückzug wird in voller Ordnung vollzogen werden." (?)

Welcher Rückzug? Nicht der des Marschalls Mac-Mahon, denn die Verbindungen mit ihm waren noch unterbrochen. Nicht der des Generals Frossard, denn der Kaiser teilt weiter mit:

"Von General Frossard liegen keine Nachrichten vor."

Und wenn um 8.23 Uhr morgens der Kaiser nur in der Zukunftsform vom Rückzug der Truppen, von deren Stellung er nichts wußte, sprechen konnte, welcher Wert muß dann dem Telegramm von acht Stunden vorher beigemessen werden, in dem er in der Gegenwart spricht:

"Der Rückzug vollzieht sich in voller Ordnung."

Alle diese späteren Botschaften sind in demselben Ton gehalten wie die erste: "Tout peut se rétablir." |"Alles kann sich wieder einrenken"| Die Siege der Preußen waren zu ernst, um die Zuflucht zu einer Taktik zu erlauben, wie sie der Kaiser natürlich gern gewählt hätte. Er konnte nicht wagen, die Wahrheit zu verbergen - aber er hoffte, ihre Wirkung durch einen gleichzeitigen Bericht über eine spätere Schlacht mit anderm Ausgang aufzuheben. Es war unmöglich, den Stolz des französischen Volkes zu schonen, indem man ihm verheimlichte, daß zwei seiner Armeen geschlagen worden waren. Deshalb blieb als einziger Ausweg, sich auf den leidenschaftlichen Wunsch zu stützen, die Scharten wieder auszuwetzen, den die Nachricht von ähnlichen Mißgeschicken von jeher in den Herzen der Franzosen erzeugt hat. Private Telegramme schrie-  ben ohne Zweifel der Kaiserin und den Ministern die Richtung vor, in der sich ihre offiziellen Äußerungen zu bewegen hatten; oder, was noch wahrscheinlicher ist, der Text ihrer darauf bezüglichen Proklamationen wurde ihnen wörtlich aus Metz geliefert. Aus diesen beiden Tatsachen schließen wir, daß, wie immer auch die Stimmung des französischen Volkes sei, jeder in der Regierung, vom Kaiser angefangen, äußerst niedergeschlagen ist, und das ist an sich schon bezeichnend genug. Über Paris ist der Belagerungszustand verhängt worden. Dies ist ein untrügliches Zeichen für das, was einem weiteren preußischen Siege folgen kann. Die Proklamation des Ministeriums schließt:

"Laßt uns mit aller Energie kämpfen, und das Vaterland wird gerettet werden."

Gerettet! Die Franzosen könnten sich vielleicht fragen, wovor gerettet? Vor einer Invasion, die von den Preußen unternommen wurde, um eine französische Invasion in Deutschland abzuwenden. Wären die Preußen geschlagen worden und eine ähnliche Ermunterung aus Berlin gekommen, würde ihre Bedeutung klar gewesen sein; denn jeder neue Sieg der französischen Waffen hätte eine neue Annexion deutschen Gebiets von seiten Frankreichs bedeutet. Aber falls die preußische Regierung gut beraten ist, wird eine französische Niederlage nur bedeuten, daß der Versuch, Preußen an der Durchführung seiner innerdeutschen Politik zu hindern, fehlgeschlagen ist. Wir können kaum annehmen, daß die Massenaushebung, welche die französischen Minister angeblich in Erwägung ziehen, der Erneuerung eines Offensivkrieges dienlich sein wird.

Über den Krieg - V

("The Pall Mall Gazette" Nr. 1712 vom 9. August 1870)

Sonnabend, der 6. August, war der kritische Tag der ersten Phase dieses Feldzugs. Die ersten deutschen Depeschen verbergen durch ihre außerordentliche Zurückhaltung eher die Bedeutung der an diesem Tage erzielten Ergebnisse, als daß sie sie offenbaren. Nur infolge der späteren und ausführlicheren Schilderungen und der ziemlich ungeschickten Eingeständnisse in den französischen Berichten können wir den völligen Wechsel beurteilen, der sich am Sonnabend in der militärischen Lage vollzogen hat.

Während Mac-Mahon auf dem Ostabhang der Vogesen geschlagen wurde, wurden Frossards drei Divisionen und wenigstens ein Regiment von Bazaines Korps, das 69., zusammen zweiundvierzig Bataillone, durch Kamekes Division vom VII. (westfälischen) Korps und die zwei Divisionen Barnekow und Stülpnagel vom VIII. (rheinischen) Korps, zusammen siebenunddreißig Bataillone, von den Höhen südlich von Saarbrücken herunter und bis über Forbach hinaus getrieben. Da die deutschen Bataillone zahlenmäßig stärker sind als die französischen, scheinen die kämpfenden Truppen gleich stark gewesen zu sein; aber die Franzosen hatten den Vorteil der günstigeren Stellung. Links von Frossard standen die sieben Infanteriedivisionen von Bazaine und Ladmirault und in seinem Rücken zwei Divisionen der Garde. Mit Ausnahme des einen erwähnten Regiments kam nicht ein Mann von allen diesen Truppen heran, um den unglücklichen Frossard zu unterstützen. Er mußte nach einer empfindlichen Niederlage zurückweichen und befindet sich jetzt in vollem Rückzug auf Metz, ebenso Bazaine, Ladmirault und die Garde. Die Deutschen verfolgen sie und erreichten am Sonntag St. Avold. Ganz Lothringen bis Metz hin liegt nunmehr offen vor ihnen.

 Inzwischen ziehen sich Mac-Mahon, de Fallly und Canrobert auf Nancy zurück - nicht nach Bitsch, wie zuerst berichtet wurde. Mac-Mahons Hauptquartier war am Sonntag in Zabern. Diese drei Korps sind also nicht nur geschlagen, sondern auch in einer Richtung zurückgetrieben worden, die von der Rückzugslinie der übrigen Armee abweicht. Der strategische Vorteil, der mit dem Angriff des Kronprinzen beabsichtigt war und gestern von uns erklärt wurde, scheint somit wenigstens teilweise erreicht worden zu sein. Während sich der Kaiser nach Westen zurückzieht, geht Mac-Mahon viel weiter nach Süden und wird Luneville kaum zu dem Zeitpunkt erreicht haben, da die anderen vier Korps bereits unter dem Schutz von Metz zusammengezogen sind. Aber von Saargemünd nach Luneville ist es nur wenige Meilen weiter als von Zabern nach Luneville. Es ist nicht zu erwarten, daß - während Steinmetz den Kaiser verfolgt und der Kronprinz Mac-Mahon in den Engpässen der Vogesen festzuhalten versucht - Prinz Friedrich Karl, der am Sonntag in Blieskastel war, während seine Vorhut in der Nähe von Saargemünd stand, ruhig zusehen wird. Das ganze nördliche Lothringen ist ein prächtiges Kavalleriegelände, und in Friedenszeiten war Luneville stets das Hauptquartier eines großen Teils der französischen Kavallerie, die in der Umgegend einquartiert war. Bei der großen Überlegenheit der deutschen Kavallerie, sowohl quantitativ wie qualitativ, ist durchaus anzunehmen, daß man schnellstens große Massen dieser Waffe gegen Luneville werfen wird, mit der Absicht, die Verbindungen zwischen Mac-Mahon und dem Kaiser abzuschneiden sowie die Eisenbahnbrücken auf der Linie Straßburg - Nancy und, wenn möglich, die Brücken über die Meurthe zu zerstören. Und es ist sogar möglich, daß es ihnen gelingt, eine Infanterieabteilung zwischen die beiden getrennten Teile der französischen Armee zu schieben und dadurch Mac-Mahon zu zwingen, sich noch weiter südwärts zurückzuziehen und einen noch größeren Umweg zu machen, um seine Verbindung mit der übrigen Armee wieder herzustellen. Daß etwas Derartiges geschehen ist, geht klar aus dem Eingeständnis des Kaisers hervor, daß am Sonnabend seine Verbindungen mit Mac-Mahon unterbrochen wurden. Die Furcht vor ernsteren Konsequenzen drückt sich andeutungsweise in der Nachricht von der beabsichtigten Verlegung des französischen Hauptquartiers nach Châlons aus.

Vier von den acht Korps der französischen Armee sind somit mehr oder weniger vollständig geschlagen, und zwar stets einzeln. Dagegen ist der Aufenthalt des VII. Armeekorps (Félix Douay) gänzlich unbekannt. Die Strategie, die solche Fehler möglich machte, ist der der Österreicher in ihren hilflosesten Zeiten würdig. Nicht an Napoleon I. erinnert sie, sondern an  Beaulieu, Mack, Gyulay und ähnliche. Man stelle sich vor: Frossard mußte den ganzen Tag bei Forbach kämpfen, während zu seiner linken Seite und nicht mehr als etwa zehn Meilen von der Saarlinie entfernt sieben Divisionen diesem Schauspiel zusahen! Dies wäre völlig unerklärlich, es sei denn, wir nehmen an, daß ihnen genügend deutsche Truppen gegenüberstanden, sie zu hindern, entweder Frossard zu unterstützen oder einen selbständigen Angriff zu seiner Entlastung zu machen. Diese einzig mögliche Entschuldigung ist aber nur dann zulässig, wenn, wie wir ständig gesagt haben, der entscheidende Angriff der Deutschen durch ihren äußersten rechten Flügel beabsichtigt war. Der hastige Rückzug nach Metz bestätigt erneut diese Absicht. Er gleicht völlig einem rechtzeitigen Versuch, sich aus einer Stellung zurückzuziehen, deren Verbindungen mit Metz bereits bedroht sind. Welche deutschen Truppen dort in Front standen und vielleicht Ladmirault und Bazaine überflügelt haben, wissen wir nicht. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß von Steinmetz' sieben oder mehr Divisionen nur drei eingesetzt worden sind.

Inzwischen ist noch ein norddeutsches Armeekorps aufgetaucht: das VI. oder oberschlesische. Es marschierte am letzten Donnerstag durch Köln und wird jetzt unter dem Kommando von Steinmetz oder Friedrich Karl sein, den die "Times" absolut auf der äußersten Rechten - in Trier - vermutet, während dieselbe Nummer dieser Zeitung das Telegramm enthält, daß er von Homburg nach Blieskastel abmarschiert ist. Die Überlegenheit der Deutschen an Zahl, Moral und strategischer Position muß jetzt derart sein, daß sie augenblicklich ungestraft fast alles tun können, was sie wollen. Wenn der Kaiser beabsichtigt, seine vier Armeekorps in dem verschanzten Lager von Metz zu halten - und er hat nur die Wahl zwischen diesem und einem ununterbrochenen Rückzug auf Paris -, so braucht das den Vormarsch der Deutschen ebensowenig aufzuhalten, wie 1866 Benedeks Versuch, seine Armee unter dem Schutz von Olmütz wieder zusammenzuziehen, den Vormarsch der Preußen auf Wien aufhielt. Benedek! Welch ein Vergleich für den Sieger von Magenta und Solferino! Und doch ist dieser Vergleich eher am Platz als jeder andere. Ebenso wie Benedek hatte der Kaiser seine Truppen in einer Stellung zusammengezogen, von der er sich in jeder Richtung bewegen konnte, und das volle vierzehn Tage, bevor der Feind konzentriert war. Wie Benedek ließ es Louis-Napoleon dazu kommen, daß ein Armeekorps nach dem anderen durch zahlenmäßig überlegene Truppen oder überlegene Feldherrnkunst einzeln geschlagen wurde. Aber hier, fürchten wir, hört die Ähnlichkeit auf. Benedek hatte nach einer Woche täglicher Niederlagen noch Kraft genug zu dem großen Kampf bei  Sadowa. Napoleon aber hat allem Anschein nach seine Truppen nach zwei Tagen Kampf fast hoffnungslos zersplittert und kann sich nicht gestatten, eine Hauptschlacht zu wagen.

Wie wir vermuten, dürfte es mit der beabsichtigten Truppenexpedition nach der Ostsee jetzt vorbei sein, wenn das überhaupt jemals mehr als eine Finte war. Jedes Bataillon wird an der Ostgrenze gebraucht werden. Von den 376 Bataillonen der französischen Armee standen in den sechs Linienkorps und in dem einen Korps der Garde bekanntlich 300 Bataillone zwischen Metz und Straßburg. Das siebente Linienkorps (Douay), das sind noch 40 Bataillone, hätte entweder an die Ostsee oder zur Hauptarmee gesandt werden können. Die übrigen 36 Bataillone dürften kaum für Algier und die verschiedenen anderen Aufgaben im Innern genügt haben. Welche Hilfsquellen hat der Kaiser, um Verstärkungen heranzuziehen? Die 100 vierten Bataillone, die jetzt im Entstehen begriffen sind, und die Mobilgarde. Aber alle beide, die ersteren großenteils, die letztere ganz, bestehen aus unausgebildeten Rekruten. In welcher Zeit die vierten Bataillone zum Abmarsch fertig sein werden, wissen wir nicht; sie werden marschieren müssen, ob fertig oder nicht. Was die Mobilgarde gegenwärtig ist, sahen wir in der vorigen Woche im Lager von Châlons. Aus beiden mögen zwar ohne Zweifel einmal gute Soldaten werden, sie sind aber noch keine Soldaten und erst recht keine Truppen, die dem Ansturm von Mannschaften widerstehen können, die Übung darin erlangen, Mitrailleusen zu erobern. Andererseits werden die Deutschen in etwa zehn Tagen 190.000 bis 200.000 Mann der vierten Bataillone u.a. zur Verfügung haben, also die Blüte ihrer Armee, und außerdem mindestens eine gleiche Zahl an Landwehrtruppen, die alle für den Dienst im Felde geeignet sind.

Über den Krieg - VI

("The Pall Mall Gazette" Nr. 1714 vom 11. August 1870)