Über jeden Bach führt eine Brücke - Stefanie Hertel - E-Book

Über jeden Bach führt eine Brücke E-Book

Stefanie Hertel

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Beschreibung

Star auf der Showbühne, Naturkind im Herzen

Seit ihrem vierten Lebensjahr steht sie bereits auf der Bühne. Mit ihrem Charme, ihrem Temperament und ihrer Musik eroberte Stefanie Hertel die Herzen eines Millionenpublikums, ohne ihre Wurzeln jemals zu vergessen. Sie erzählt von ihren Erfolgen, lässt aber auch Erinnerungen an ihr Leben in der DDR, ihre Kindheit und vor allem an ihre Großmutter wiederaufleben, die im Alter als „Selbstversorgerin“ in einem Häuschen im Wald lebte. Von ihr hat sie die Bodenhaftung und die Liebe zur Natur – und eine gute Portion Lebensweisheit.

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Seitenzahl: 333

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STEFANIE HERTEL

Über jeden Bach führt eine Brücke

Geschichten aus meinem Leben

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Copyright © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Anja Freckmann

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von © Daniel Biskup/laif

Bildredaktion: Sabine Kestler

Abbildungen im Text: Niki Karnari: Bild01; Privat: Bild02, Bild03, Bild04, Bild05, Bild06, Bild07, Bild08, Bild09, Bild10, Bild11, Bild12; Waha Pressebüro: Bild13 (Michael Waha/Sam Bonyadi); Bildteil: Horst Lippmann: Bild14; Kerstin Joensson: Bild15, Bild16, Bild17, Bild18, Bild19, Bild20, Bild21; Niki Karnari: Bild22; Privat: Bild23,Bild24, Bild25, Bild26, Bild27, Bild28, Bild29, Bild30, Bild31; Waha Pressebüro: Bild32, Bild33, Bild34, Bild35 (Michael Waha/Sam Bonyadi)

Liedtext »Es ist gut, dass es Freunde gibt«, Musik: Jean Frankfurter, Text: Irma Holder, © Edition Montana/BMG Rights Management (GmbH)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-21781-5V0010

www.heyne.de

Dieses Buch ist den beiden Frauen gewidmet, die mich geprägt haben: Erna Unger, meiner geliebten Großmutter, und meiner Mutter Elisabeth Hertel

Natur: Das große Bilderbuch, das der liebe Gott uns draußen aufgeschlagen hat.

Joseph von Eichendorff

Inhalt

Vorwort – Auf Kräuterwanderung

Die Welt von oben

Hefeklöß mit Heidelbeeren

Die Schwibbögen von Opa Kurt

Ein kleines zänkisches Bergvolk

Eine Familie aus Oelsnitz

Vom Melker zum Jodelstar

Meine Mutter Elisabeth

Natürlich aufwachsen

Die Natur als meine Apotheke

Ich war ein Lausmädel

Rote Socken in der Schule

Wie Abba nach Oelsnitz kam

Was meine Großeltern geleistet haben

Ein Haus im Wald …

In die Pilze

Familienalbum

Tierische Gefährten

Ohne Fleisch lebe ich besser

Ich hatte nie einen Plan B

Spion im Plüschtier?

So roch der Westen …

Kaugummi von Costa

Mit dem Trabi an die Ostsee

Hänsels & Hertels

Alles wird anders

Als Juhnke den Stadl rockte

Der Durchbruch

Und immer wieder lockt der Berg

Wenn die Stimme wegbleibt

Mit meiner Großmutter auf Reise

Ein erfülltes Leben

Lebe im Jetzt!

Johanna

Das Leben als Bühne

Wendepunkt

Lanny, mein Seelenverwandter

Trabi Schorschi

Über jeden Bach führt eine Brücke

Nachwort

Danke

Vorwort – Auf Kräuterwanderung

»Wer sich mit der Kraft der Kräuter nur ein wenig auskennt, der spart sich manchen Gang in die Apotheke«, stellen wir fest, als wir an einem kühlen Frühlingsabend zusammen mit Stefanie Hertel und ihrer Managerin Astrid Bakalakos auf einer Berghütte sitzen, den Blick ins Tal gerichtet, eine Brotzeit und ein Fläschchen Heilkräuterlikör vor uns auf dem Holztisch, und einen atemberaubenden Tag Revue passieren lassen. Von Hamburg aus sind wir am Vormittag ins Chiemgauer Achental, Stefanies Wahlheimat, gereist, und wurden dort von ihr und Astrid in unserer Pension abgeholt.

»Bringt bloß festes Schuhwerk mit«, hatten die beiden uns vorgewarnt, ansonsten aber nichts von ihren Plänen für diesen Tag verraten.

Unterwegs grübeln wir noch, was auf uns zukommt, bis uns Stefanie vor Ort endlich aufklärt: »Heute geht’s auf eine Kräuterwanderung.«

Und gemeinsam mit Altbürgermeister Fritz Irlacher, einem Schlechinger Urgestein, Freund der Familie und – ebenso wie Stefanie – kräuterkundig, stiefeln wir zu fünft los. Durch den Wald, über Wiesen und Bäche, über Stock und Stein und kommen doch eigentlich kaum voran, weil sich hinter jedem unscheinbaren Grünzeug für uns Unwissende eine neue kleine Welt auftut. Wir lernen viel an diesem Nachmittag, zum Beispiel über die Wunderwaffe Angelikawurzel, über die entgiftende Wirkung der Blutwurz oder über einen Sud aus Brennnesseln, einzusetzen gegen männlichen Haarverlust – Stefanies Vater kann davon ein Lied singen! Zwischendurch werden mitgebrachte Kräuterspezialitäten probiert, denn Stefanie kennt nicht nur jedes Kraut am Wegesrand, sie kocht und köchelt auch mit allem, was die Natur vor ihrer Haustür bereithält. Auch die Verkostung von Stefanies Nuss-Schnaps und des – im Freundeskreis schon legendären – 24-Kräuter-Likörs trägt dazu bei, dass dieser Tag nicht gerade langweiliger wird. Woher sie all dieses Wissen habe, wollen wir erfahren.

»Na, von meiner Oma Erna«, erzählt Stefanie. »Die lebte in einem Haus mitten im Wald und war jeden Tag in der Natur unterwegs. Ich habe sie oft besucht, und sie hat mir vieles beigebracht, wofür ich ihr heute unendlich dankbar bin.«

Mittlerweile ist der Nachmittag in einen kühlen Abend übergegangen, der wunderbare Fritz Irlacher hat sich bereits verabschiedet, und wir vier sind auf der Berghütte gelandet, wo wir den Tag ausklingen lassen. Auf unserer Wanderung haben wir nicht nur Erstaunliches über die Kraft der Kräuter erfahren, wir haben auch eine uns bislang unbekannte Seite von Stefanie Hertel erlebt. Ihr dreißigjähriges Bühnenjubiläum liegt – mit gerade einmal siebenunddreißig – längst hinter ihr, und wir glaubten, sie aus Fernsehshows und Interviews recht gut zu kennen. Aber wie sich herausstellt, hatten wir von vielem nicht einmal eine Ahnung. Zum Beispiel von ihrer faszinierenden Familiengeschichte, dem Hertel-Clan aus dem Vogtland. Da sind Mutter Elisabeth und Vater Eberhard, Volksmusikstar in der ehemaligen DDR, ihre drei Geschwister mit zwölf Nichten und Neffen. Da sind die zahlreichen Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen. Patent, urig, liebenswert, und wenn es darauf ankommt, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Und mittendrin, im Zentrum dieser Großfamilie, die heißgeliebte Großmutter Erna, »Omi«, die mittlerweile verstorben ist und im vergangenen Jahr hundert geworden wäre.

Und während wir nun Stefanie Hertel davon erzählen hören, wie sie in einem kleinen Dorf im Vogtland, am Rande der DDR, aufwuchs, inmitten von Natur und mit vielen Tieren; wie sie in jungen Jahren als Kinderstar ihre Gesangskarriere im Osten startete, bevor sie auch den Westen eroberte und dennoch immer heimatverbunden blieb; und vor allem wenn Stefanie über ihre Großmutter Erna ins Schwärmen gerät und sich erinnert, wie es damals war, haben wir nur einen Wunsch: mehr zu erfahren!

Olaf Köhne und Peter Käfferlein

Die Welt von oben

Ein Leben ohne Berge ist für mich undenkbar. Anders gesagt, ich bin eine echte Bergziege! Das Mittelgebirge des Vogtlands, in dem ich aufwuchs, seine sanften, grünen Hügel, das nahe Erzgebirge, diese einzigartig schöne Landschaft prägte mich, sie ist Teil meiner Kindheit und Jugend. Als ich meine Heimat verließ, blieb ich den Bergen treu – nur höher sind sie geworden. Seit einigen Jahren nämlich lebe ich im Chiemgau, im weiten Achental, umgeben von massiven Gebirgszügen. Die Hochplatte, der Hochgern, der Hochfelln und der Geigelstein flankieren unser Tal und geben eine majestätische Kulisse ab.

Wie heißt es doch immer so schön? »Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd.« Ja, in der Tat, in der Welt der Berge ist wirklich alles ganz besonders. Ohne Sünd’, das nun vielleicht nicht. Eines aber weiß ich: Hier ticken die Uhren anders, und hier empfinde ich auch anders. Auf dem Gipfel bekommt man einen Weitblick für das Leben, und alle Sorgen, die man auf dem Buckel aus dem Tal mit nach oben schleppt, werden mit jedem Schritt ein bisschen kleiner. Wenn ich einmal ein richtig arges Problem habe und in meinem Büro festsitze und bei mir denke, Scheibenkleister, jetzt geht gerade gar nichts, das ist völlig aus dem Ruder gelaufen, dann könnte ich mich hinhocken und losheulen, stattdessen aber ziehe ich mir meine Laufschuhe an, gehe nach draußen und wandere den Berg hinauf, an dessen Fuß ich das Glück habe zu leben. So weit und hoch es nur geht, laufe ich, bis ich völlig aus der Puste bin. Ganz mit mir allein. Und wenn ich dort ganz oben stehe, schaue ich nach unten und denke mir, wie klein ist doch die Welt und wie klein sind manche Probleme. Wie nichtig sind meine Sorgen und Nöte angesichts der Größe dieser Welt und der Schönheit der Natur!

So erging es mir einmal, als ich – vor vielen Jahren – in meinem Büro saß und einen Anruf meines damaligen Managements erhielt, in dem man mir mitteilte, dass der Konzertveranstalter, mit dem wir gerade noch eine Tournee gemacht hatten, pleitegegangen war und er nun die ausstehenden Gagen nicht zahlen konnte. Band und Technikfirma hatten den Vertrag aber mit mir geschlossen, und somit stand ich in der Pflicht, ohne jedoch die Zahlungen des Veranstalters zu erhalten. Es ging damals um einen Betrag in sechsstelliger Höhe. Ich war völlig am Ende und wusste nicht mehr weiter. Bevor ich mir aber lang und breit den Kopf zerbrach, beschloss ich kurzerhand, mir meine Wanderschuhe anzuziehen. Ich marschierte los. Immer bergauf. Wie ein Mantra habe ich dabei vor mich hergesagt: »Ich bin frei, ich bin gesund, ich habe keine Probleme.« Als ich zu einer Stelle kam, an der die Aussicht besonders grandios war, setzte ich mich hin und beobachtete die Welt von oben. Wie unwichtig hier an diesem Ort meine Geldsorgen erschienen. Bloß nicht unterkriegen lassen, das wird schon, dachte ich mir. Nach einiger Zeit stieg ich gestärkt und vollen Mutes wieder hinab und konnte das Problem anpacken. Band und Techniker bezahlten wir aus eigener Tasche, das war selbstverständlich, fühlten wir uns doch für unser Team verantwortlich. Und mit unserem Veranstalter fanden wir schließlich auch eine gütliche Lösung, er beglich seine Schulden im Laufe der Zeit nach und nach. Am Ende ging es sich also aus. Wieder einmal hatte es sich gezeigt, dass man nicht aufgeben darf, dass es immer weitergeht, ja dass über jeden Bach eine Brücke führt …

Den Blick auf das Wesentliche zu richten, das habe ich durch das Leben in den Bergen erfahren. Ich habe gelernt, mich von außen zu beobachten. Egal, wo ich gerade bin. Wenn ich eine unschöne Situation erlebe oder mich nicht gut fühle und keinen Ausweg sehe, schließe ich einfach die Augen und stelle mir vor, ich wäre in dem Moment oben auf meinem Gipfel und würde mich selbst aus großer Entfernung betrachten. Das ist sehr spannend: Wie klein bin ich selbst, wie klein sind meine Probleme? Wie unwichtig bin ich in dem großen Ganzen! Ich will gar nicht behaupten, dass auf diese Weise alle Schwierigkeiten verschwinden. So einfach ist es leider auch nicht. Aber es gelingt mir, sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten – und das allein ist oft eine große Hilfe.

Vor einigen Jahren bekamen mein Mann Lanny und ich die tolle Gelegenheit, uns bei lieben Freunden auf einer Alm einzumieten. Seitdem fahren wir mehrfach im Jahr dorthin. Für Johanna, meine mittlerweile sechzehnjährige Tochter, für Lanny und mich sind die Tage in den Bergen wunderbare kleine Fluchten aus unserem hektischen Alltag. Denn Lanny ist, ebenso wie ich, Musiker. Mit Leib und Seele. Unsere Terminkalender sind randvoll, und das ganze Jahr über sind wir ständig unterwegs. Nirgendwo sonst können wir, wenn wir die Gelegenheit haben, so gut abschalten wie auf der Alm. Die Zeit, die wir hier miteinander verbringen, ist immer sehr intensiv. Denn das Leben ist einfach und ursprünglich. Man ist durch nichts abgelenkt. Das »Runterkommen« beginnt schon mit dem Aufstieg. Die Alm liegt ziemlich weit ab vom Schuss, auf einer Höhe von etwa vierzehnhundert Metern. Man erreicht sie nicht mal eben so und ist auch nicht ganz schnell wieder weg. Mit dem Auto fahren wir etwa eine Stunde lang aufwärts. Im Winter muss man zu Fuß gehen, mit Schneeschuhen oder Tourenski, und je nach Fitnesszustand braucht man etwa zwei bis drei Stunden. Alles, was wir auf der Alm benötigen, müssen wir selbst hochschleppen. Weniger ist also mehr. Mit jedem Meter, den wir nach oben gehen, lassen wir aber auch ein Stück unserer Sorgen hinter uns und bekommen den Kopf frei.

Die Natur in den Bergen – sie ist so einzigartig schön. Jeder, der schon einmal in den Alpen unterwegs war, weiß, was ich meine. Wenn wir auf der Alm sind, leben wir mit der Natur und möglichst auch von ihr. Ein Beispiel: Sobald ich oben angekommen bin, das ist ein kleines lieb gewonnenes Ritual, suche ich auf den umliegenden Wiesen die Zutaten für meinen Almkräutertee. Nirgendwo sonst auf der Welt schmecken die Wildkräuter besser als hier, so intensiv und kräftig. Für meinen Tee benötige ich eine Menge verschiedener Kräuter: Brennnessel, Bergminze, Schlüsselblume, Huflattichblüten, Huflattichblätter, Weißdornblätter, Holunderblüten, Brombeerblätter, Himbeerblätter, Johanniskraut, Taubnessel, Wilder Thymian, Schafgarbe und Gundermann. Diese Mischung – pro Tasse einen Esslöffel davon mit kochendem Wasser aufgießen und zehn Minuten ziehen lassen – erzeugt nicht nur eine Geschmacksexplosion im Mund, sie wirkt auch kräftigend, heilend und beruhigend auf den Körper. Eine Wohltat.

Wenn wir dann auf dem Berg übernachtet haben und uns am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrüh die Sonne ins Zimmer strahlt, geht mir das Herz auf. Ich spüre die Wärme, auch wenn es noch fröstelig kalt ist, in diesen Momenten bin ich einfach nur glücklich. Vor nicht langer Zeit bin ich mit zwei guten Freundinnen für ein paar Tage auf die Alm gegangen. Wir hatten uns fest vorgenommen, einmal den Sonnenaufgang ganz oben auf dem Gipfel zu erleben. Früh um fünf Uhr, es war noch dunkel, sind wir losmarschiert, das letzte Stück des Weges ist steil und man muss gut achtgeben, denn rechts geht es Hunderte Meter tief nach unten. Nichts für Leute mit Höhenangst und schwachen Nerven. Im Winter, wenn meterhoch der Schnee liegt und die Wege vereist sind, hätten wir uns nicht allein da hoch gewagt. Als wir jetzt aber den Aufstieg wohlbehalten bewältigt hatten, hockten wir uns erschöpft, aber selig neben das mächtige schmiedeeiserne Gipfelkreuz – und warteten geduldig. Und wir sahen, wie die Sonne über den Berggipfeln aufging und der Tag ganz langsam erwachte. Uns fehlten die Worte ob dieser Schönheit und Naturgewalt. Wir saßen dort, schwiegen und genossen die Einzigartigkeit des Moments.

In den ersten Jahren, als wir auf die Alm fuhren, waren wir völlig abgeschnitten von jeglicher Kommunikation, es gab keinen Handy-Empfang, Internet schon gar nicht. Mittlerweile hat sich das geändert. Inzwischen kann man mit etwas Glück ab und an eine Nachricht verschicken, aber nur von einer bestimmten Position aus, an einem Fenster der Hütte, dort zeigt das Handy einen kleinen Balken im Display an. Manchmal denke ich mir, eigentlich war es schöner, als wir noch unerreichbar waren. Wie abhängig sind wir doch von unseren WhatsApp-Gruppen und den Breaking News der Online-Dienste! Niemand ist perfekt, und wenn man Netz hat, dann nutzt man es. Ja, ich gebe es zu: Ich tue es auch! Aber ich versuche wenigstens – ich gebe mir wirklich echt Mühe –, mich zu disziplinieren und einzuschränken. Also mache ich das Handy für ein paar Tage ganz aus, wenn wir auf der Alm sind. Und wenn ich es dann wieder einschalte, na, dann poppen hunderttausend Nachrichten auf …

Für den Winter ist die Almhütte nicht wirklich ausgebaut. Die Zimmer sind unbeheizt, und nachts wird es klirrend kalt. Ein paar Tage bei Schnee und Frost auszuharren, grenzt schon an ein kleines Abenteuer. Hält uns das ab? Nein, im Gegenteil. Über Silvester haben wir es mal ganze vier Tage lang ausgehalten. Tagsüber machten wir Schneewanderungen und Skitouren, und abends richteten wir uns gemütlich am Lagerfeuer ein. Der Herd, auf dem wir kochen, wird mit Holz – selbst gehackt versteht sich – eingeheizt. Dann gibt es einen deftigen Kaiserschmarren oder Kasspatzn und dazu meinen selbst gebrauten Nuss-Schnaps. Der darf nicht fehlen – natürlich allein der Kälte wegen …

Die Almhütte entspricht absolut nicht dem Klischee eines schicken Bergchalets, wie man es aus exklusiven Reiseprospekten kennt. Aber genau das macht für uns ihren Charme aus. Ich mag es am liebsten ganz einfach und urig. Die Inneneinrichtung ist spärlich, mit einem großen Holztisch und unterschiedlichen Stühlen, nichts passt zusammen und gerade deswegen vielleicht doch. Nebenan im Stall hören wir die Kühe rumoren, wenn sie morgens mit der Melkmaschine gemolken oder wenn sie am Abend von den Wiesen reingetrieben werden. Eine herrlich beruhigende Geräuschkulisse.

Mit einem der Senner, der ganz in der Nähe lebt, sind wir inzwischen befreundet. Anton heißt »unser« Senner, er ist ein toller junger Mann, gerade einmal dreißig. Seit ein paar Jahren verbringt er die Sommermonate – von April bis Oktober – auf der Alm. Er liebt seine Kühe über alles. Bergbewohner – und dazu zähle ich auch uns Vogtländer – sind ja ein ganz eigener Menschenschlag, etwas rau, derb und robust, aber mit einem riesengroßen Herzen. Wenn unser Senner von der Geburt eines Kälbchens erzählt, leuchten seine Augen vor Freude unbändig, fast, dass ein paar Tränchen fließen.

Ich hätte eine Riesenlust, irgendwann einmal eine längere Zeit auf einer Alm zu leben. Am liebsten eine ganze Saison lang, so wie Anton. Das wäre ein Lebenstraum – Stefanie, die Sennerin … Mein Sabbatical wäre ein Sennatical. Natürlich käme Lanny mit, der ist genauso verrückt nach Natur, wie ich es bin. Als Kärntner hält auch er es nicht lange ohne die Berge aus. Wir ticken sowieso in den meisten Dingen ziemlich gleich.

Im Moment wäre es noch nicht möglich, dass wir uns eine Auszeit auf der Alm gönnen, nicht solange Johanna bei uns zu Hause lebt und zur Schule geht. Aber wenn sie irgendwann sagt: »Mama, mach du mal dein Ding, ich mach meins«, wenn sie fortzieht und studiert, vielleicht machen Lanny und ich dann Nägel mit Köpfen.

Es gibt ohnehin noch so vieles, was ich in meinem Leben unternehmen möchte, und so viele Orte, die ich unbedingt sehen will. Auf meiner To-do-Liste stehen Wünsche wie eine Reise nach Island oder auch eine nach Norwegen. Und ich will zu gern Australien erkunden und Südamerika, auch Asien interessiert mich sehr. Was da alles zusammenkommt … Außerdem habe ich mir noch fest vorgenommen: Einmal im Leben will ich einen Halbmarathon laufen, am liebsten fernab der Großstadt, in der Natur, da würde sich der Simssee-Halbmarathon anbieten, bei dem man den wunderschön gelegenen oberbayerischen Simssee bei Rosenheim umrundet. Oder der Göltzschtal-Halbmarathon, der im Vogtland ausgetragen wird. Vielleicht, aber nur vielleicht, nehme ich auch irgendwann einen Marathon in Angriff, also die komplette Strecke von mehr als zweiundvierzig Kilometern, aber da bin ich mir nicht so sicher. Und in jedem Fall – Achtung, ein weiteres Vorhaben! – möchte ich irgendwann meinen Segelschein machen.

Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich also noch eine ganze Menge auf dem Zettel. Aber ich gehe es entspannt an, ich habe ja noch ein bisschen Zeit. Ich finde, im Leben sollte man sich Ziele setzen, ob man sie am Ende verwirklicht, nun, das steht auf einem anderen Blatt.

Meine Oma Erna, die eine sehr gläubige Frau war und mit viel Optimismus durchs Leben ging, zitierte gerne Martin Luther. Auch wenn umstritten ist, ob ihr Spruch wirklich auf Luther zurückgeht, so spricht aus ihm doch eine schöne Weisheit: »Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.«

Stefanies legendärer Nuss-Schnaps

nach dem Rezept von Schwiegermama Christl

Zutaten:

30 grüne Walnüsse, geviertelt

1,5 l Grappa

2 Zimtstangen

Mark von 1 ausgekratzten Vanilleschote

5 Salbeiblätter

5 Thymianzweige

5 Rosmarinzweige

5 Nelken

1 unbehandelte Zitrone, geviertelt

Zubereitung:

Alle Zutaten in ein Gefäß geben, vermengen und acht Wochen lang zugedeckt an einem sonnigen Ort ziehen lassen. Abseihen und in Flaschen abfüllen.

Hefeklöß mit Heidelbeeren

Meine Oma Erna Unger, die Mutter meiner Mutter – ja, sie war eine wirklich außergewöhnliche Frau. Sie liebte die Menschen, und die Menschen liebten sie. Wer sie kennenlernte, war von ihrem Wesen sofort eingenommen. Sie war selbstbewusst und eigenständig, zu einer Zeit, als das für Frauen längst noch keine Selbstverständlichkeit war, gleichzeitig hatte sie eine stets aufopfernde Art und stellte sich selbst am liebsten in den Hintergrund.

Um meine Großmutter zu verstehen, muss man eines wissen: Sie lebte mit den Jahreszeiten und versorgte sich so weit wie möglich aus der Natur. Heute würde man sie als Selbstversorgerin bezeichnen – damals verwendete man diesen Begriff allerdings so gar nicht – und dabei war sie gleichzeitig eine vornehme, zierliche Dame. Nie im Leben wäre sie auf die Idee gekommen, Hosen anzuziehen. Omi trug ausschließlich Röcke, am liebsten in einem dezenten Blau oder Braun, und zu Hause eine Kittelschürze, die war für sie, wie für viele ihrer Generation, ein ganz selbstverständliches Kleidungsstück. Ihr langes Haar türmte sie jeden Morgen mit Akribie zu einem Dutt auf, dazu verwendete sie eine Art Donut, um den herum sie die Haarsträhnen kunstvoll wickelte. Wenn sie sie sich feinmachte und ausging, zu Festen oder ins Theater, stand immer eine Flasche Taft-Haarspray parat. Für meine Oma galten Produkte aus dem Westen per se als tausendmal besser als alles, was wir im Osten kaufen konnten. Alle zwei bis drei Jahre fuhr sie in den Westen, als Rentnerin durfte sie das, um Verwandte und Freunde zu besuchen, und deckte sich bei diesen Gelegenheiten mit zwei neuen Flaschen ihres Haarsprays ein, die dann bis zur nächsten Reise reichen mussten. Was ihr gut gelang. Denn sie versprühte das West-Haarspray in geradezu homöopathischen Dosen, nur fürs Gefühl. Erna Unger war eine äußerst sparsame Frau. Sie benutzte nie eine Creme oder sonstige Kosmetik fürs Gesicht, die gute Nivea – aus dem Westen! – war der Pflege ihrer von der täglichen Arbeit viel beanspruchten Hände vorbehalten. Gewaschen wurde sich mit Kern- oder Fa-Seife. Die Zahnpasta – Colgate – bekam Oma aus dem Westen geschickt. Wenn ich bei ihr zu Besuch war, durfte ich mir damit die Zähne putzen, aber ein winzig kleiner Tupfer auf meiner Zahnbürste musste genügen. Und wenn sich die Tube dem Ende neigte, wurde sie aufgeschnitten, um ja alles bis aufs Letzte aufzubrauchen. Niemals etwas verschwenden und die Dinge wertschätzen, das hat mir meine Oma meine ganze Kindheit über auf ihre ganz unaufdringliche Weise vorgelebt. Und das prägt mich bis heute. Ich muss zugeben: Auch ich schneide manchmal die Creme- oder Zahnpastatuben auf! In memoriam meiner Omi sozusagen …

Bei allem Sinn fürs Sparen zeichnete sich meine Oma Erna vor allem dadurch aus, dass sie ein überaus fröhlicher, lustiger, wenn auch eigensinniger Mensch war. Sie wusste immer genau, was sie wollte, hatte eine ganz klare Vorstellung von ihrem Leben. Einen inneren Kompass, an dem es nichts zu rütteln gab. Man konnte Omi auch nichts einreden, selbst nicht mit den besten Argumenten.

»Das gehört sich so, das ist so, das mache ich so«, lauteten ihre Totschlagargumente, womit jede Diskussion im Sande verlief. Da wagte keiner mehr mit einem »Ja, aber …« dagegenzuhalten. Der Teller musste immer ordentlich abgeputzt werden. Kein Krümel durfte liegen bleiben. »Denk doch an die vielen armen Kinder in Afrika, die haben gar nichts zu essen.« Und Punkt acht Uhr mussten wir im Bett liegen. Da gab es kein Pardon. Mein Bruder Andreas, er war ein bisschen der Lieblingsenkel meines Opas, hatte mit diesem eine geheime Vereinbarung. Wenn Omi beim abendlichen Fernsehschauen zwischendurch das Wohnzimmer kurz verließ, huschte Andreas hinein und versteckte sich unter dem Tisch. So konnte er – mit Opas Wissen – den Abendfilm heimlich mit ansehen. Hätte Omi das gewusst …

Als Großmutter war sie natürlich grandios. Alle ihre Enkel, und das waren elf an der Zahl, haben sie geliebt, und ich, als das Nesthäkchen der Familie, hatte immer einen besonderen Draht zu ihr. Ich habe sie verehrt, obwohl oder gerade weil sie in manchen Punkten so streng war.

Und eines darf ich nicht vergessen zu erwähnen: Meine Oma war eine ganz fabelhafte Köchin. Ihr Leben lang hat sie für ganze Kompanien von Jugendlichen gekocht, aus wenig gelang es ihr, viel zu machen, und das war immer lecker! Aber dazu komme ich später noch.

Wenn wir heute im Familienkreis über Oma Erna sprechen, was eigentlich immer der Fall ist, wenn wir zusammenkommen, dann fallen unvermeidlich früher oder später drei Wörter: Hefeklöß mit Heidelbeeren.

»Ja, die Omi und ihre Hefeklöß … Weißt du noch? Was haben die gut geschmeckt, und überhaupt die Oma, weißt du noch …« Und dann folgt eine Geschichte auf die andere …

Hefeklöß mit Heidelbeeren – das war ein typisches Gericht meiner Oma, nein, es war das Gericht. Kein Dessert, auch wenn es so klingt, sondern eine Hauptspeise, eine Art Germknödel, schön fluffig, wie Watte, fein und zart. Übers kochende Wasser spannte Oma ein Küchentuch und darauf dämpfte sie die Klöße. Mit viel Geduld, damit diese ihre einzigartige Konsistenz bekamen. Die Herstellung der Hefeklöß war immer ein richtiges Spektakel in Omas Miniküche. Wenn sie dann aufgingen, wie sie aufgehen sollten, rief meine Oma begeistert: »Ooh, na guck mal, die Hefeklößchen, wie perfekt die sind!« Dieses »Ooh«, das tief aus ihrer Kehle kam und mit dem sie, in entsprechender Akzentuierung, ihr Leben lang Schönes wie weniger Schönes kommentierte, habe ich heute noch im Ohr.

Man kann Omis Hefeklöß mit Worten kaum beschreiben. Oder vielleicht doch mit nur einem einzigen Wort: saulecker. Die fertigen Klöße wurden mit zerlassener, ganz leicht angebräunter Butter sowie ein bisschen Zucker serviert. Und dazu – als weiteres Highlight des Gerichts – wurde selbst gemachte Heidelbeermarmelade oder -kompott gereicht. Die Beeren, die Oma in ihrem Wald selbst pflückte, kochte sie massenhaft ein, sodass immer für Vorrat gesorgt war. An Geburtstagen der Kinder und Enkel, zu besonderen Feiertagen oder – später – wenn ich nach einer Tournee wieder nach Hause kam, zauberte Oma die Hefeklöß mit Heidelbeeren mal so eben auf den Tisch. Jedes Mal, wenn sie uns Kinder fragte: »Was soll ich denn zu essen machen?«, lautete die einhellige Antwort: »Hefeklöß!« Keiner konnte genug bekommen, nach zwei Portionen war man allerdings pappsatt.

Kündigten sich feine Gäste zu Besuch an, zum Beispiel Kirchenobere, die mein Großvater aus seiner Zeit als Diakon kannte, oder die Familie von Friesen, auf deren Schloss meine Oma als junge Frau gedient hatte, war es eine Selbstverständlichkeit, dass Oma ihr legendäres Gericht aufkochte. Es würde mich nicht wundern, wenn viele Gäste gerade deswegen besonders gern zu Besuch kamen. Mir flößte Omas Kochkunst immer einen Heidenrespekt ein, und ich habe mich erst vor wenigen Jahren zum ersten Mal selbst an die Hefeklöß herangetraut. Leider muss ich zugeben, so gut wie ihre sind sie mir nie gelungen. Für alle Zeiten aber werden die Hefeklöß eine Erinnerung an eine unbeschwerte Zeit sein, der Duft der Kindheit.

Im Haus meiner Oma roch es ohnehin immer ganz köstlich, nach frisch zubereitetem Essen, nach Obst und Gemüse, nach Rhabarber, Kirschen, Pflaumen, Erdbeeren, Himbeeren, nach Pilzen, die sie im Herbst suchte, nach den Kräutern, die getrocknet wurden, nach den Früchten der Natur, die sie das ganze Jahr über einkochte, einmachte und in ihrem Keller einlagerte.

Omas Haus grenzte unmittelbar an einen Wald und hatte einen großen Garten mit vielen Obstbäumen. Ihre Liebe zur Natur war ursprünglich aus der Not heraus geboren. Sie hatte in schwierigen Zeiten, während des Krieges und in den Nachkriegsjahren, lernen müssen, das zu verwenden, was im Wald und auf den Wiesen zu finden war, weil es sonst schlichtweg nichts zu essen gegeben hätte. Das war für viele Menschen damals Normalität, das Gebot der Stunde. Aber Omas Naturverbundenheit und ihr Leben mit den Jahreszeiten basierten auf ihrer Liebe zu den Wäldern und begründeten ihre ganze Lebensphilosophie. Als es längst nicht mehr nötig war, ging meine Oma lieber weiterhin in den Wald anstatt in ein Lebensmittelgeschäft. Wobei sie ihr Lebtag nie viel Geld zur Verfügung hatte, ihre Rente war klein, und die Waldgänge sparten Geld und halfen ihr über die Runden. Niemals aber wäre meine Oma auf die Idee gekommen, mehr Geld vom Staat einzufordern oder ihre Kinder um Geld zu bitten.

In meiner Erinnerung ging meine Großmutter jeden Tag in den Wald. Fehlte etwas beim Kochen in der Küche, ein Gewürz, ein Kraut oder sonst etwas, flitzte sie die wenigen Meter in den Wald, um zu holen, was sie gerade benötigte. Sie wusste genau, wo sie was finden würde. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, sie kannte jeden Quadratzentimeter ihres Waldes. Ihrem Einfallsreichtum waren kaum Grenzen gesetzt. Zum Beispiel sammelte sie auch Bucheckern, die sie mühsam schälte und mit einer Getreidemühle fein mahlte. Daraus entstand ein Bucheckernbrot, das süß schmeckte und ganz wunderbar fürs Frühstück geeignet war.

Wenn ich als Kind bei Oma zu Besuch war, nahm sie mich oft an die Hand, und wir gingen gemeinsam hinaus, und zwar bei Wind und Wetter und zu jeder Jahreszeit, so lange es nicht so sehr stürmte oder schneite, dass man keinen Fuß vor die Tür setzen konnte. Im Winter fütterten wir die Rehe im Wald, gemeinsam trugen wir Eicheln und Kastanien zu einer Futterkrippe, versteckten uns hinter den Bäumen und beobachteten schweigend, wie die Rehlein näher kamen und sich satt aßen. Rehe waren meine Lieblingstiere.

Einmal, am ersten Weihnachtstag, hatte meine Mutter einen Rehbraten zum Mittagessen zubereitet. Und sie glaubte ernsthaft, sie würde mir damit eine Freude bereiten. Stolz verkündete sie: »Und heut gibt’s was ganz Leckeres: Rehleinfleisch!« Ich traute meinen Ohren nicht. Mit Tränen in den Augen rief ich: »Nein, nein, wie kannst du nur? Das esse ich niemals!« Denn in meiner kindlichen Naivität dachte ich, wenn wir gleich ein Reh verspeisen würden, dann gäbe es keins mehr im Wald. Weil es doch tot auf unserem Tisch lag. Ich war fix und fertig. Das Reh wurde trotzdem gegessen, nicht von mir, aber von meinen Eltern und meinen drei Geschwistern. Um mich wieder zu beruhigen, versprachen meine Eltern, dass wir alle am Nachmittag in den Wald gehen und sie mir beweisen würden, dass es noch andere Rehlein gibt. Ich weiß nicht, ob wir wirklich eins gesehen haben. Aber ich erinnere mich, wie meine Geschwister laut riefen: »Schau nur, da ist es, dein Rehlein, Stefanie, hast es gesehen? Es lebt.« Und da war meine kindliche Seele ein wenig befriedet.

Auch wenn meine Oma sehr abgelegen lebte, bei ihr im Haus war immer etwas los. Häufig bekam sie Besuch von Freunden und Verwandten, die oftmals auch über Nacht blieben. Sie hatte große Freude daran, ihre Gäste zu bewirten, und sie führte ein Gästebuch, in das sich der Besuch vor seiner Abreise verewigen konnte. Meine Mutter verwahrt dieses Buch bis heute auf. Und es ist immer wieder ein Vergnügen, darin zu blättern und die kleinen Geschichten zu lesen, die davon berichten, was an diesem oder jenem Abend in Omas Haus vor sich ging.

»Blub blub blub, was haben wir ordentlich getrunken …«, schrieb einmal ein Gast. Nun ja, im Vogtland wird halt gerne und gut gefeiert.

Hefeklöße

Zutaten:

500 g Mehl

1 Prise Salz

1 Prise Muskat

1/4 l Milch

50 g Butter

1 Würfel frische Hefe oder 1 Päckchen Trockenhefe

2 Eier

50 g Zucker

Außerdem zum Servieren Kompott oder Marmelade nach Geschmack sowie etwas zerlassene Butter und Zucker

Zubereitung:

Vom Mehl 3 Esslöffel beiseitestellen. Restliches Mehl mit Muskat und Salz mischen. Die Milch erwärmen, die Butter in der Milch auflösen, verrühren, anschließend Hefe in der Mischung auflösen. Achtung, die Flüssigkeit sollte warm, jedoch nicht heiß sein! Zucker und die 3 Esslöffel Mehl dazugeben. Diesen Vorteig aufgehen lassen, bis er Blasen wirft. Dann zusammen mit den Eiern zur Mehl-Mischung geben und gut durchkneten. In einer Schüssel mit einem feuchten Küchentuch bedeckt an einem warmen Ort etwa eine Stunde gehen lassen, bis sich der Teig mindestens verdoppelt hat. Klöße formen, diese unter einem Küchentuch weitere 15 Minuten gehen lassen.

In einem großen Topf wenig Wasser zum Kochen bringen. Ein Geschirrtuch über den Topf legen und mit Klammern am Rand befestigen. Die Klöße auf das Geschirrtuch geben und über dem Wasserdampf garen.

Am besten mit zerlassener, ganz leicht angebräunter Butter, ein bisschen Zucker und mit selbst gemachter Heidelbeermarmelade oder -kompott servieren.

Die Schwibbögen von Opa Kurt

Wenn ich von Oma Erna erzähle, darf ich meinen Opa Kurt, ihren Ehemann, natürlich nicht vergessen. Denn mein Opa war ein ganz wichtiger Mensch für mich, leider ist er viel zu früh verstorben, ich war acht Jahre alt, weshalb ich nur wenige, aber sehr schöne und innige Erinnerungen an ihn habe.

Opa Kurt hat in seinem Leben viel Gutes bewirkt – als Diakon und Leiter von Jugendheimen hat er sich immer für andere Menschen eingesetzt, aus tiefster Leidenschaft und Überzeugung, manchen hat er vielleicht sogar das Leben gerettet. Durch seine jahrzehntelange schwere Arbeit waren seine Hüften kaputt, zudem war er recht beleibt, so war er im Alter auf Krücken angewiesen. Meine Mutter erzählte mir kürzlich, dass ihr Vater zu DDR-Zeiten einmal einen Brief an Erich Honecker geschrieben hat. Der Weg durch den Wald zum Haus meiner Großeltern war damals ein zerfurchter Schotterweg mit tiefen Schlaglöchern, bei schlimmer Witterung unpassierbar. Die Autofahrt zu meinen Großeltern war jedes Mal eine einzige Tortur. Vor allem für meinen Opa mit seinen schweren Hüftproblemen. Wie oft bat er in der Stadtverwaltung darum, doch endlich den Weg zu teeren. Ohne Erfolg, weshalb er schließlich an Honecker höchstpersönlich schrieb, was aber auch nichts brachte. Wen wundert’s … Heute hat der Weg schon lange einen glatten Teerbelag. Opa hat es leider nicht mehr erlebt.

Kurt Unger war ein Bild von einem Großvater, einer, an dem man sich als Enkelkind immer ankuscheln konnte. Wenn ich an ihn zurückdenke, sehe ich ihn Holzarbeiten machen. Das war sein großes Hobby, nachdem er in Rente gegangen war. Mit seiner elektrischen Laubsäge, die tierisch viel Lärm machte, saß er in Omas kleiner Küche. In der ersten Zeit hatte er im Schuppen gewerkelt, aber weil es dort zu kalt und wegen seines Hüftleidens für ihn zu unbequem war, durfte er die Küche in Beschlag nehmen.

Von meinem Elternhaus aus lief ich die etwa drei Kilometer lange Strecke zum Haus meiner Großeltern oft zu Fuß. Über Wald- und Feldwege und durch die grüne Hügellandschaft spazierte ich fröhlich mit einem Körbchen durch den Wald, sah ein bisschen aus wie das Rotkäppchen – meine Mutter setzte mir mit Vorliebe auch noch ein Kopftuch auf –, und wenn ich mich der Lichtung näherte, auf dem das Häuschen meiner Großeltern stand, hörte ich schon von Weitem die ratternde Laubsäge und wusste, Opa sitzt wieder in der Küche und sägt an irgendwas herum. Dann rannte ich los, quer über die Wiese, hinten durch das Gartentor und rein zu meinem Opa, der ganz vertieft war in seine Laubsägearbeit.

In der ganzen Familie war mein Großvater berühmt für seine Schwibbögen. Was? Nie gehört? Schwibbögen sind Lichterbögen, die man in der Weihnachtszeit als Schmuck im Fenster aufstellt, eine Tradition im Erzgebirge, aus einer Zeit, als dort der Bergbau noch sehr verbreitet war. Die Form des Schwibbogens soll an den Eingang eines Stollens erinnern, die Motive stellten vielfach den Alltag der Familien der Bergleute dar. Der Schwibbogen sollte den Männern den Weg nach Hause leuchten, später entstand daraus eine schöne Weihnachtstradition. Mein Opa stellte seine Schwibbögen mit großer Liebe zum Detail her, beim Aussägen verwendete er verschiedene Vorlagen. Jedem seiner Kinder und Enkelkinder wollte er einen eigenen Schwibbogen schnitzen. Bei der Größe unserer Familie kann man sich vorstellen, wie sehr ihn das unter Druck setzte. Schließlich sollte jedes Modell auch individuell sein. Ich war das jüngste Enkelkind, und leider verstarb mein Opa, bevor er den Schwibbogen, der für mich bestimmt war, fertigstellen konnte. Es gab einen Bogen, den mein Opa fast vollendet hatte, aber eben nicht ganz, er war ausgesägt, jedoch fehlten noch die Lichter. Einige Jahre nach seinem Tod – ich war vierzehn – schenkte mir meine Oma diesen, Opas letzten Schwibbogen zu Weihnachten. Sie hatte absichtlich so lange gewartet, damit ich alt genug war, um zu verstehen, was es mit diesem Geschenk auf sich hatte. Für mich war es das schönste Weihnachtsgeschenk überhaupt. Dicke Tränen kullerten mir über die Wangen, als Omi es mir an Heiligabend überreichte. Ich stelle Opa Kurts Schwibbogen heute noch jedes Jahr zur Weihnachtszeit bei mir zu Hause im Fenster auf. Genauso wie ich die Holzsterne, die mein Opa ausgesägt hat, an den Weihnachtsbaum hänge.

Jeder aus unserer Familie bekam sechs solcher Sterne von ihm, jeder von uns hütet sie wie einen kleinen Schatz.

Vor ein paar Jahren habe ich meinem Opa zu Ehren ein kleines Weihnachtsgedicht geschrieben, »Das Rehlein«, das ich seitdem auf meinen Weihnachtstourneen vortrage. Darin habe ich dann auch mein ach so traumatisches Rehlein-Erlebnis verarbeitet. Das Gedicht geht so:

»Oh Weihnacht ist’s, wie wunderbar!«,

so rief ich freudig aus,

am Schoße meines Opapas

bei Großeltern im Haus.

Er sagte: »Kind, nun lass mich doch,

es sägt sich nicht allein.

Jaja, morgen ist Weihnachten,

da muss ich fertig sein.

Ein Stern gehört noch ausgesägt,

ein Schwibbogen gefeilt.

Und morgen kommt der Weihnachtsmann

jaja, mein Kind, es eilt.«

Der Heilig Abend kam heran,

wir durften in das Zimmer.

Der Christbaum stand – ach fein, und auch

der Kaufladen – wie immer!

Und meine Puppenstube

war mal wieder renoviert.

Die Puppenmützen frisch gestrickt,

damit es sie nicht friert.

Dann saßen wir und warteten

und da – es klopfte an!

Ganz aufgeregt rief ich: »Juhuu,

jetzt kommt der Weihnachtsmann!«

Ein neues Dreirad brachte er

und allerlei Gebäck.

Er las all unsre Schandtaten,

dann ging er wieder weg.

Nun saßen wir am Weihnachtsbaum

beseelt und so erfüllt.

Und alle Wünsche waren dann

ein weit’res Mal gestillt.

Die Großeltern, Mama, Papa,

die Kinder – ich ganz klein,

wir sangen Weihnachtslieder dann,

und kurz drauf schlief ich ein.

Es kam der erste Feiertag,

ich saß zuerst am Tisch.

Schon kam der große Bratentopf.

»Mama, gibt’s heute Fisch?«

»Nein, nein, mein Kind,

heut gibt es doch das Rehlein aus dem Wald.

Du magst die Rehlein doch so gern.

Hast mir doch eins gemalt.«

Ja, die mag ich, doch auf einmal

verzog ich mein Gesicht.

»Den Bambi mag ich sehn im Wald,

doch auf dem Teller nicht.

Nein, nein, ich mag kein Rehleinfleisch,

jetzt gibt’s kein Rehlein mehr!«

Es scheitert jeder Trostversuch,

ich weinte – ach so sehr.

Gleich nach dem Essen gingen wir

spazieren durch den Schnee.

Papa meint: »Wir gehn jetzt zum Wald,

denn dort lebt auch das Reh.«

Und auf einmal, tatsächlich stand’s

am Waldrand und tat fressen.

»Mein Rehlein«, sprach ich voller Glück,

der Braten war vergessen.

Im Haus meiner Großeltern wurde nicht nur gekocht und gesägt, sondern auch immer viel und gern gespielt. Und zwar von Alt und Jung. Während Oma in der Küche beschäftigt war, legten Opa und ich oftmals Karten, oder wir spielten Mensch ärgere Dich nicht, Dame oder Mühle. Oma wiederum war eine passionierte Halma-Spielerin, bei diesem Brettspiel war sie völlig in ihrem Element. Oma war die Halma-Königin. Sie spielte immer mit den grünen Männchen, ich bekam die roten. Grün – wen wundert’s – war ihre Lieblings- und ihre Glücksfarbe. Unnötig zu erwähnen, dass sie fast immer gewann. Erst als ich ins Teenageralter kam, konnte ich sie endlich schlagen, in all den Jahren war das aber höchstens fünfmal der Fall. Rommé stand bei ihrer Spielliebe gleich an zweiter Stelle. Die tägliche Rommé-Partie war ein Ritual, die Karten waren dank Dauereinsatz total lädiert und an den Ecken abgerissen. Einige Karten erkannte ich auch von der Rückseite an ihren »gezinkten« Ecken. Meine Oma achtete nie auf diese kleinen Merkmale. So war ich im Vorteil und konnte dadurch das ein oder andere Spiel für mich entscheiden. Wenn ein Festtag anstand oder Besuch kam, saßen wir im Wohnzimmer – in der Stube – zusammen, und Oma holte für diesen besonderen Anlass die guten Rommé-Karten aus dem Schrank – anstatt der Alltagskarten. Die guten wurden in Ehren gehalten, ordentlich verwahrt in einem Schächtelchen. Bei Familienfeiern hockten wir in riesengroßer Runde zusammen, wir waren aber viel zu viele Mitspieler für Rommé, weshalb jeder nur acht Karten zugeteilt bekam anstatt zwölf, und ewig hat’s gedauert, bis man an der Reihe war. Beim Rommé gibt es eine Spielversion, bei der man eine Karte erklopfen kann. Kartenspieler werden wissen, was ich meine. Wer am schnellsten klopfte, bekam die Karte. Bei uns wurde der Tisch fast kaputt geklopft, denn jeder saß da, wartete ab, wer schmeißt eine Karte raus, und dann hieß es: Klopfen, klopfen, klopfen. Und es wurde auf den Tisch gehämmert, wie man es sich nicht vorstellen kann. Mit fünf oder sechs Jahren habe ich das Rommé-Spielen gelernt und durfte seitdem mit am Tisch sitzen. Rommé ist heute noch unser Familienspiel, auch Johanna und Lanny lieben es sehr. Natürlich hat meine Oma früher auch beim Rommé meistens gewonnen, sie war einfach pfiffig und fix. Nur wenn sie, was selten passierte, eine echte Pechsträhne hatte, bekamen wir anderen eine Chance.

Die guten Rommé-Karten habe ich übrigens geerbt. Sie sind irgendwo tief in einem Schrank vergraben, denn sie riechen fürchterlich, alt und muffig, auch so eine Dufterinnerung an meine Kindheit, aber wegwerfen würde ich sie natürlich nie im Leben.