Unbeugsam - Marion Kummerow - E-Book

Unbeugsam E-Book

Marion Kummerow

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Beschreibung

In diesem bewegenden biografischen Roman erzählt die Bestsellerautorin Marion Kummerow eine inspirierende und herzzerreißende Geschichte über Verrat und Gewissen, Hoffnung und Verzweiflung, sowie Liebe und Hass im Dritten Reich. Noch bevor Q seinen waghalsigen Plan, das Naziregime zu stürzen, in die Tat umsetzen kann, wird er verhaftet. Doch nicht nur sein eigenes Schicksal steht auf dem Spiel: auch seine Frau Hilde und ihre Kinder werden durch sein Handeln ins Chaos gestürzt. Q und Hilde klammern sich an jedes Fünkchen Hoffnung, auch wenn die Freiheit in immer weitere Ferne rückt. Die Hoffnungslosigkeit seiner Situation wird ihm vollends bewusst, als er erfährt wer ihn verraten hat... Gibt es noch einen Ausweg? Als die Gestapo ihm einen Handel vorschlägt, muss er entscheiden, ob sein eigenes Leben – und das seiner Frau – es wert ist, alles zu verraten woran er bisher geglaubt hat. Wie wird sich Q entscheiden? Und wird Hilde sich an den gemeinsamen Plan halten? Wird er wenigstens sie retten können? Unbeugsam ist der dritte und letzte Band der Trilogie Liebe und Widerstand im Zweiten Weltkrieg.

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Unbeugsam

Liebe und Widerstand im Dritten Reich

Marion Kummerow

Übersetzt vonAnnette Spratte

Impressum

Unbeugsam- Liebe und Widerstand im zweiten Weltkrieg

ISBNPrintversion9781686314995

© 2019Marion Kummerow

Herstellung und Verlag:

Marion Kummerow

Weißtannenweg 7

80939 München

Übersetzung: Annette Spratte

Titelbildgestaltung: JD Smith Design Limited

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch darf – auch auszugsweise – nicht ohne schriftliche Zustimmung der Autorin kopiert werden.

Dieses Buch basiert auf einer wahren Geschichte, historische Persönlichkeiten und Vorfälle wurden sorgfältig recherchiert und wiedergegeben. Die Haupt- und Nebenpersonen wurden fiktionalisiert.

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Nachwort der Autorin

Brief von Ingeborg an ihre Mutter

Abschrift von Hansheinrichs Brief an seine Schwiegereltern

Bücher von Marion Kummerow

Kontaktinformationen

Kapitel 1

30. November 1942

Hilde Quedlin schaute wiederholt auf die Uhr über der Kommode, während sie mit ihren Kindern auf dem Boden saß und spielte. Der dreijährige Volker beschäftigte sich mit Holzklötzen, die mal seinen Tanten gehört hatten, während der neun Monate alte Peter unermüdlich versuchte, sich auf Händen und Knien auszubalancieren. Er war so nahe daran, zu krabbeln. Hildes Herz füllte sich beim Anblick ihrer beiden kleinen Sonnenscheine mit Stolz und Freude.

Aber dann ergriffen sie beunruhigende Gedanken. Q hatte sich nach der Arbeit mit dem russischen Agenten getroffen und sollte jede Minute zurück sein. Die Zeit schien still zu stehen, während sie für die sichere Rückkehr ihres Mannes betete.

Sie roch den untrüglichen Geruch einer vollen Windel und nahm Peter auf den Arm, um ihn ins Kinderzimmer zu tragen. Der Junge war wenig erbaut von der Unterbrechung seiner Krabbelübungen und stemmte die Füßchen gegen seine Mutter.

Hilde lachte. „Ganz ruhig, kleiner Mann. Ich lasse dich wieder runter, sobald du schön frisch und sauber bist.“

Als sie mit einem frisch gewickelten Säugling ins Wohnzimmer zurückkam, sah sie erneut auf die Uhr. Warum ist Q noch nicht zurück? Normalerweise dauerte es nicht so lange.

Ein kräftiges Klopfen an der Tür unterbrach ihr sorgenvolles Grübeln. Q hatte vermutlich seinen Schlüssel vergessen. Sie setzte Peter auf ihre Hüfte und strich im Vorbeigehen über Volkers Kopf.

Es war nicht Q.

Beim Anblick der beiden Beamten in langen, schwarzen Ledermänteln verschlug es ihr die Sprache. Gestapo.

„Frau Quedlin?“, fragte einer der beiden.

Sie konnte nur nicken.

„Sie sind verhaftet.“

Trotz des wärmenden Babys in ihren Armen gefror ihr das Blut in den Adern. „Was? Warum? Ich verstehe nicht ...“ sagte Hilde mit angsterfüllter Stimme.

„Ihnen wird alles erklärt werden, aber Sie müssen jetzt mit uns kommen“, sagte der jüngere Beamte. Seine kalten, stahlblauen Augen schienen durch sie hindurch zu sehen.

„Nein, bitte … meine Kinder. Es ist sonst niemand hier, um auf sie aufzupassen“, flehte Hilde und drückte Peter enger an sich. Er mochte diese Behandlung überhaupt nicht und strampelte, um heruntergelassen zu werden.

Der ältere Beamte sah den kleinen Jungen an. Mit dem glatten, hellbraunen Haar und den blauen Augen war er seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Hilde dachte, sie sähe einen Anflug von Mitgefühl in den Augen des Beamten, aber sie konnte sich auch irren.

Im gleichen Moment kam Volker aus dem Wohnzimmer gerannt und erstarrte beim Anblick der schwarz gekleideten Männer mitten in der Bewegung. Er klammerte sich an Hildes Rock und lugte neben ihren Knien hervor. Volker war der Inbegriff eines arischen Kindes. Hilde hatte ihm die Haare wachsen lassen und seine weißblonden Locken umrahmten sein helles Gesicht und die strahlend blauen Augen, was ihn umwerfend niedlich aussehen ließ. Als Erwachsener würde er genauso aussehen wie sein Vater.

„Sie werden ins Kinderheim gebracht“, sagte der jüngere Beamte und zerstreute damit ihre Illusion von Nachsicht.

„Nein, bitte … lassen Sie mich meine Mutter anrufen ...“ Hildes Herz blieb fast stehen bei dem Gedanken, dass ihre kleinen Lieblinge sich in irgendeinem Kinderheim durchschlagen sollten.

„Rufen Sie sie an“, sagte der ältere Mann und ließ damit die Proteste des anderen verstummen. „Wir können die Wohnung durchsuchen, während wir warten.“ Er trat in den Flur und Hilde stolperte rückwärts bei dem Versuch, ihm auszuweichen. Mit wachsender Panik sah sie drei weitere Männer in die Wohnung drängen. Sie fingen sofort an, Schubladen und Schränke zu öffnen, und ohne jegliche Rücksicht auf den Inhalt darin herumzuwühlen.

„Bitte, worum geht es? Mein Mann ist –“

Der jüngere Beamte drehte sich zu ihr um. „Ihr Mann wurde bereits verhaftet. Machen Sie Ihren Anruf.“

Hilde schluckte schwer und schob Volker in die Küche. Mit bebenden Händen setzte sie Peter in seinen Hochstuhl.

„Mama?“, kreischte Volker und beobachtete mit riesigen Augen, wie die Gestapo die Wohnung durchsuchte.

„Psst, alles wird gut, Volker. Mama ruft jetzt Oma an, damit sie herkommt und ein wenig bei euch bleibt. Wird das nicht toll?“ Hilde nahm den Hörer ab und wählte mit zitternden Fingern die Nummer ihrer Mutter. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als beim dritten Klingeln abgenommen wurde.

„Annie Klein.“

„Mutter, hier ist Hilde. Du musst herkommen und bei den Kindern bleiben. Bitte … Die Gestapo ist hier und sagt, ich muss mit ihnen gehen.“ Hildes Stimme bebte und sie musste sich an die Wand lehnen, um nicht umzufallen.

„Die Gestapo? Was hast du denn jetzt wieder angestellt?“, wollte Annie wissen. Ihre Stimme war so vorwurfsvoll, dass Hilde zusammenzuckte.

„Nichts, das muss ein Irrtum sein. Bitte, kannst du sofort kommen?“ Sie bat ihre Mutter äußerst ungern um diesen Gefallen. Annie war vermutlich die am wenigsten geeignete Person, um auf die beiden quirligen Jungen aufzupassen, aber wer sonst würde so schnell zu ihr kommen, wenn die Gestapo da war?

„Ich muss mich für die Oper heute Abend umziehen, aber vermutlich könnte ich es absagen und rüberkommen.“

„Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet ...“ Hilde seufzte. Wenigstens würden ihre Kinder in Sicherheit sein.

„Ich tue das nicht für dich, sondern für meine Enkel.“ Annie machte ein unwirsches Geräusch. „Ich hatte eigentlich gedacht, du hörst auf in Schwierigkeiten zu geraten, wenn du verheiratet bist.“

Hilde beschloss, nicht mit ihrer Mutter zu streiten. „Ich werde ihnen sagen, dass du auf dem Weg bist. Danke.“

Aber Annie war schon weg. Sie hatte aufgelegt, ohne zu antworten oder ihrer Tochter ein Wort des Zuspruchs zu sagen. Als Hilde aufsah, stand der ältere Gestapobeamte in der Küche und beobachtete sie mit einem aufmerksamen Blick.

„Meine Mutter ist auf dem Weg. Sie wohnt nicht weit weg, sie wird fünfzehn oder zwanzig Minuten brauchen ...“ Ihre Stimme erstickte, als Furcht sich wie ein Schraubstock um ihren Hals legte.

„Gut. Wir warten auf ihre Ankunft.“

Hilde nickte und eilte zu Peter, der in seinem Hochstuhl angefangen hatte zu heulen. Sie nahm das verschreckte Kind auf den Arm und seine kleinen Arme legten sich um ihren Hals. „Schsch, Mama ist da.“

Der ältere Beamte beobachtete sie weiter mit kalten Augen, die Hilde frösteln ließen. Ihr Herz schlug einen unregelmäßigen Rhythmus, bis sie genug Mut gesammelt hatte, ihn anzusprechen.

„Können Sie mir bitte sagen, was hier passiert? Warum werde ich verhaftet? Warum wurde mein Mann verhaftet?“ Ihre Augen suchten in dem Gesicht des Mannes nach einem Gefühl, nach irgendetwas. Aber es war so unbeweglich wie eine Marmorstatue.

„Sie werden über ihre Anklagepunkte aufgeklärt, wenn wir in der Prinz-Albrecht-Straße angekommen sind.“

Die Worte hallten durch ihren Körper und ließen alle Gliedmaßen erzittern. Der Atem stockte in ihren Lungen, während sie gleichzeitig in kalten Schweiß ausbrach. Hilde drückte das Baby eng an sich. DasGestapo Hauptquartier. Das kunstvolle Gebäude sah von außen erhaben aus, aber jeder hatte die Gerüchte gehört, was hinter den Mauern des dreistöckigen Hauses vor sich ging. Horrorvisionen füllten ihren Kopf und eine eisige Hand griff nach ihrem Herzen. Mit Mühe und Not schaffte sie es, nicht in Tränen auszubrechen.

„Mama, ich habe Hunger“, jammerte Volker und lehnte sich an ihre Knie.

Hilde strich mit der Hand über seinen Kopf und drückte ihn dann an sich. “Oma Annie wird gleich hier sein und ich werde ihr sagen, dass sie dir was zu essen machen soll, in Ordnung?“

Volker war so ein braver kleiner Junge. Er nickte und drehte sich um, um den Gestapobeamten schweigend zu mustern. Hilde wollte ihre Kinder vor dem Unheil beschützen, von dem sie fürchtete, dass es über ihr Leben hereinbrechen würde, aber sie war machtlos.

Fünfzehn Minuten später rauschte ihre Mutter in die Küche, ein ungläubiger Blick auf ihrem Gesicht. „Hilde, was bedeutet das hier alles?“

„Mutter, ich –“

Annie wandte sich von ihrer Tochter ab und sprach den Beamten mit ihrem strahlendsten Lächeln an. „Herr Kommissar, ich bin Annie Klein. Mein Mann, der Opernsänger Robert Klein, und ich sind glühende Anhänger unseres großartigen Führers. Hitler hat die Auftritte meines Mannes mehr als einmal mit seiner Anwesenheit beehrt. Es tut mir außerordentlich leid, dass meine Tochter Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat. Sie hat schon als Kind nur Ärger gemacht. Daran ist ihr Vater schuld. Er hat uns verlassen, als sie noch ein Kleinkind war. Ich war so jung ...“ Annie tupfte eine Träne aus ihrem Auge und legte die Hand auf ihr Herz, bevor sie fortfuhr, „… es wird eine unauslöschbare Last auf meinem Gewissen sein, dass meine eigene Tochter dem Pfad der Tugend nicht folgen wollte, der für jede gute deutsche Frau vorgezeichnet ist. Aber seien Sie versichert, ich werde dafür sorgen, dass das mit meinen Enkeln nicht passiert. Sie sind bei mir in guten Händen.“

Hilde starrte ihre Mutter an. Wut explodierte in ihr bei den platten Lügen, die diese auftischte. Es war nicht ihr Vater gewesen, der gegangen war. Er war Soldat gewesen in den Schützengräben des Weltkrieges, während ihre Mutter mit ihrem inzwischen zweiten Ehemann durchgebrannt war. Die zweijährige Hilde hatte sie bei der Großmutter abgeladen.

Der Beamte winkte seinen Leuten. „Gehen wir.“

Hilde rang nach Luft und sie konnte sich nicht bewegen, selbst wenn sie gewollt hätte.

„Geh mit ihm“, drängte Annie und schob sie aus der Küche, während sie ihr den schreienden Peter aus den Armen nahm. „Wir kommen schon zurecht, nicht wahr?“

„Danke, Mutter“, krächzte Hilde und warf einen letzten Blick auf ihre Kinder, während sie sich zwang, einen Schritt nach dem anderen von ihnen weg zu gehen.

Kapitel 2

Qs gesamter Körper bebte vor Furcht. Die Gestapo hatte ihm alle persönlichen Gegenstände abgenommen, inklusive seiner Uhr, und ihn dann in allein in einem Verhörraum zurückgelassen. Der Raum war leer mit Ausnahme eines wackeligen Metalltisches und zwei abgenutzter Holzstühle. Q setzte sich und starrte die graue unverputzte Wand an.

Eine Weile zählte er die Sekunden, um ein Gefühl für die Zeit zu behalten und sich von dem abzulenken, was ihm bevorstand. Das hatte ihm aber nicht die erhoffte Gelassenheit gebracht. Ebenso wenig wie das Grübeln über ein verzwicktes wissenschaftliches Problem. Oder das Festklammern an dem Gedanken, dass nicht einmal die Gestapo in der Lage war, Hildes Beteiligung an seinen illegalen Aktivitäten zu beweisen. Trotz seiner Anstrengungen, die Realität auszublenden, sickerte Angst in jeden einzelnen Knochen. Quälende, erstickende Angst.

Q hatte kein Gefühl mehr für die verrinnenden Minuten und Stunden, als die Tür sich endlich mit einem markerschütternden Quietschen öffnete, und ein Gestapobeamter eintrat.

Inzwischen war ihm alles egal. Alles war besser als in diesem leeren Raum zu sitzen und auf das Schlimmste zu warten, während seine Phantasie mit ihm durchging.

„Ich bin Kriminalkommissar Becker. Sie sind in ernsthaften Schwierigkeiten.“

„Was wirft man mir vor?“ Q hoffte, dass der Kriminalkommissar das Zittern in seiner Stimme nicht bemerkte.

Becker schüttelte den Kopf. „Ich stelle hier die Fragen, nicht Sie. Sie sind ein intelligenter Mann, also wissen Sie, dass es in Ihrem besten Interesse ist, umfassend und ehrlich zu antworten.“ Becker setzte seine Handflächen auf den Tisch und lehnte sich vor. „Fangen wir an. Nennen Sie Ihren vollständigen Namen.“

Q holte tief Luft. „Wilhelm Quedlin.“

„Ihr Alter?“

„Neununddreißig.“

„Sind Sie verheiratet?“

Q hob fragend eine Augenbraue. „Ja, aber das wissen Sie bereits.“

„Beantworten Sie meine Fragen“, schnappte Becker, seine Stimme hart und seine stahlgrauen Augen voller Unmut. „Der Name Ihrer Frau?“

„Hildegard Quedlin, geborene Dremmer.“ Q rang mit dem Impuls aufzuspringen und Becker zu fragen, wie lange diese alberne Fragerei weitergehen sollte. Wenn sie diese Informationen noch nicht hatten, schrieb man der Gestapo eindeutig zu viel zu. Warum verschwendete Becker Zeit mit irrelevanten Fragen?

„Wo arbeiten Sie?“

Bei der weiteren dummen Frage biss Q die Zähne zusammen. „Ich arbeite bei Loewe Radiotechnik.“

„Und was machen Sie bei Loewe?“ Beckers graue Augen bohrten sich in Q hinein, woraus Q schloss, dass das Geplänkel vorbei war.

„Ich forsche und arbeite auf dem Gebiet der Funktechnik.“ Q versuchte, so ehrlich wie möglich zu antworten, ohne dabei etwas preiszugeben, was der Kriminalkommissar nicht sowieso schon wusste.

Becker zog einen Stapel Papiere aus einer Aktentasche und warf ihn auf den Tisch. „Sie haben diese Papiere einem Agenten gegeben.“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen. Was für ein Agent?“ Qs Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die Blaupausen erkannte, die er Gerald vor einiger Zeit gegeben hatte. Oh Gott, dann müssen sie ihn auch geschnappt haben.

„Sie erkennen diese Papiere nicht?“ Der Kriminalkommissar grinste hämisch und schob das Bündel über den Tisch.

Q blätterte sie durch, während eisige Kälte mit jedem Blatt tiefer in seine Knochen drang. Was da vor ihm lag, war die vollständige Sammlung von Informationen, die er Gerald im Laufe der letzten zwei Monate gegeben hatte. Einiges davon war mit der Maschine getippt, aber das Meiste war mit der Hand – mit Qs Hand – gezeichnet und beinhaltete handgeschriebene Notizen. Es war sinnlos zu leugnen, dass dies seine Arbeit war.

„Auf den zweiten Blick erkenne ich einiges davon“, sagte Q, während er fieberhaft über seinen nächsten Schritt nachdachte. Wie viel wusste Becker?

Einen Moment lang huschte ein grausames Lächeln über Beckers Lippen. „Gut. Und wie gelangten dies Informationen in die Hände eines russischen Agenten?“

„Woher soll ich das wissen?“

Becker lächelte Q nonchalant an. „Sehen Sie, bisher war ich zivilisiert zu Ihnen, aber das kann sich ganz schnell ändern. Möchten Sie, dass ich meine Männer hereinrufe?“ Die Frage war so gleichgültig dahingesagt, dass er auch nach dem Wetter hätte fragen können, anstatt Folter anzudrohen.

Q schüttelte den Kopf und schluckte seine aufsteigende Panik herunter. „Nein.“

„Wer ist der Mann, dem Sie diese Papiere ausgehändigt haben?“, wollte Becker wissen, wobei er scheinbar desinteressiert seine Fingernägel inspizierte.

Q beschloss, Becker zu geben, was er wollte. Sein Leben war vermutlich keinen Pfifferling mehr wert, aber er konnte wenigstens versuchen, Gerald zu beschützen. „Er war ein russischer Agent und nannte sich Pavel.“

„Pavel, ja? Vielleicht noch ein Nachname?“ Becker lehnte sich über den Tisch, seine kalten Augen starr auf Q gerichtet.

Q fühlte sich wie ein Kaninchen, das eine Schlange anstarrt, aber er zuckte scheinbar gelassen die Schultern. „Nein, tut mir leid. Er hat nie seinen Nachnamen erwähnt.“

Ohne Vorwarnung sprang Becker auf und kippte den Tisch, bis die harte Kante sich in Qs Oberschenkel drückte. Becker lehnte sich auf seinen Rand der Metallplatte und Q fuhr zusammen. Er weigerte sich jedoch, dem Kriminalkommissar die Genugtuung eines Schmerzensschreis zu geben.

„Sie lügen“, schrie Becker, seine Lippen vor Ekel verzerrt. Er erhöhte den Druck auf den Tisch.

„Nein … ahh … er hat gesagt, ich soll ihn Pavel nennen.“ Q presste die Worte hervor und der Druck auf seinen Schenkeln ließ etwas nach. „Er war sehr darauf bedacht, mir nichts Kompromittierendes zu sagen.

„Kam es Ihnen nicht seltsam vor, dass Ihr russischer Pavel gar kein Russe war?“, fragte Becker wieder im Plauderton.

Qs Finger gruben sich tief in seine Beine. Die Gestapo wusste alles über Gerald. Er war nicht mehr zu retten, aber Q beschloss, trotzdem bei seiner Pavel-Version zu bleiben.

„Kein Russe?“ Q schüttelte den Kopf, sein Gesicht ein Bild der Verwirrung. „Jetzt, wo Sie es sagen, erinnere ich mich, dass sein Deutsch ohne Akzent war. Er muss ein Wolga-Deutscher sein.“

Becker stellte den Tisch wieder auf seine vier Beine und wechselte das Thema. „Geben Sie zu, gegen die Partei spioniert zu haben?“

„Nein.“ Q zeigte auf die Papiere, die auf den Boden gefallen waren. „Ich habe lediglich technische Informationen an ein Land weitergegeben, dass mal unser Verbündeter war.“

Ein warnendes Leuchten flackerte in Beckers Augen und Q verstand. Er musste sich an Beckers Regeln halten, wenn er diesen Verhörraum lebend verlassen wollte.

„Das nennt man Hochverrat“, sagte Becker mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht, der noch breiter wurde als er Qs aufsteigende Angst bemerkte. „Seit wann begehen Sie dieses abscheuliche Verbrechen?“

An seiner Strafe änderte es vermutlich nichts, aber wenn er Becker erzählte, dass er schon vor Hitlers Machtergreifung vor zehn Jahren mit der sowjetischen Handelsvertretung in Kontakt gestanden hatte, würde die Gestapo vermutlich jede einzelne Person unter die Lupe nehmen, mit der er im letzten Jahrzehnt Kontakt hatte. Johanna und Reinhard vom kommunistischen Literaturklub. Seine Freunde Leopold, Otto und Jakob. Nein, Jakob nicht. Der war tot. Von den Braunhemden ermordet. Jeder einzelne Ingenieur und Wissenschaftler, mit dem er je Informationen ausgetauscht hatte. Seine Kollegen bei der Biologischen Reichsanstalt. Sein Patentanwalt. Harro Schulze-Boysen. Erhard Tohmfor. Martin Stuhrmann. Hilde. Er musste seine Freunde unter allen Umständen schützen.

„Ein Jahr, plus minus ein paar Monate“, wand sich Q.

Becker rümpfte die Nase. „Geben Sie mir die Namen sämtlicher Personen, die involviert waren.“

Q schüttelte den Kopf und schaute so ernst wie möglich. „Ich habe allein gearbeitet.“

„Das ist eine Lüge. Ihre Frau hat Ihnen geholfen.“

Q schnappte nach Luft. Die Kälte in seinen Knochen wurde unerträglich. Nicht Hilde. „Nein! Das würde sie niemals tun. Sie ist unschuldig. Meine Frau hatte keine Ahnung, was ich da mache. Sie hätte niemals zugestimmt. Das war allein ich.“

Kriminalkommissar Becker reagierte nicht. Stattdessen stand er auf und sammelte die verstreuten Papiere vom Boden auf. Er untersuchte sie, als sei er an ihrem Inhalt unglaublich interessiert. Q verspürte eine Vorahnung. Eine sehr böse Vorahnung.

„Auf diesem Blatt sind keine Korrekturen. Können Sie so gut tippen?“ Kriminalkommissar Becker klopfte auf die Dokumente vor sich.

Q schüttelte den Kopf. Er war ein miserabler Maschinenschreiber. „Es stimmt, dass meine Frau oft Informationen abgetippt hat, die ich sowohl für meine Patente als auch für meine Arbeit brauchte. Aber wie Sie sehen, sind das komplexe technische Dokumente und sie wusste nicht, was sie bedeuten. Ich habe sie immer in dem Glauben gelassen, dass es technische Beschreibungen waren, die ich für meine Forschung brauchte.“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach das Gespräch. Q war sich nicht sicher, ob er erleichtert oder verängstigt sein sollte.

„Herein“, rief Becker und ein weiterer Gestapobeamter steckte den Kopf herein und machte eine Handbewegung, die Q nicht entschlüsseln konnte. Becker antwortete mit einem Nicken, schnappte sich die Papiere vom Tisch und ging zur Tür. Kurz bevor er in den Flur hinaustrat, drehte er sich um. „Doktor Quedlin, ich habe es am Anfang unserer kleinen Unterhaltung gesagt und ich sage es noch einmal. Sie sind in ernsthaften Schwierigkeiten. So wie ich das sehe, werden Sie wegen Hochverrats angeklagt und zum Tod verurteilt.“

Qs Mund wurde staubtrocken. Er kannte die Strafe für Verrat und hatte sie schon so lange erwartet, dass er dachte, er hätte sich damit abgefunden. Es aus Beckers Mund zu hören, war jedoch etwas völlig anderes, als es sich selbst vorzustellen.

Ich will leben!

Becker stand in der Tür und beobachtete Qs inneren Kampf genau, bevor er wieder sprach. „Aber ich bin kein Monster. Sie sind ein intelligenter Mann und ich bin mir sicher, dass Sie die Vorteile meines Angebots erkennen werden. Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten und uns die Namen all derer geben, die in Ihre subversive Arbeit verstrickt sind, werde ich dafür sorgen, dass Sie eine milde Strafe erhalten. Oder gar keine.“

Die Tür schloss sich mit einem Quietschen und Qs Gedanken überschlugen sich. Hier war die Chance, sein Leben zu retten. Dieses Verhör war kurz und relativ schmerzlos gewesen. Beim nächsten wäre das anders.

Kurze Zeit später betraten zwei Beamte den kleinen Raum und begleiteten Q in eine Zelle. Sie schubsten ihn hinein und knallten die Tür hinter ihm zu. Q beäugte den leeren, zwei mal zwei Meter großen Raum, den er jetzt sein Eigen nennen durfte. Die Decke hing knapp über seinem Kopf. Es erinnerte ihn an einen überdimensionalen Kleiderschrank und er fragte sich, wie lange er hier drin festgehalten werden würde, bevor sie ihn verlegten oder … töteten.

Die Zelle war vollständig aus Stein und Ziegeln, die Wände ein dumpfes Grau. Frühere Gefangene hatten die Wände zerkratzt oder bemalt, zweifelsohne mit dem Ziel, einen Beweis ihrer Existenz und ihres Leidens zu hinterlassen.

Ein Schauer rann über Qs Rücken. Zögernd setzte er sich auf die Ecke einer blutbefleckten Matratze, die auf dem Boden lag. Einzig eine raue Wolldecke lag darauf – keine Laken oder Kopfkissen. Er wandte den Blick von dem stinkenden Eimer ab, der in einer Ecke stand, und kämpfte mit geschlossenen Augen die Galle herunter, die in seiner Kehle aufstieg.

Als er sich sicher war, dass er sich nicht übergeben würde, öffnete er die Augen wieder und untersuchte seine Zelle in dem Dämmerlicht, das ihn umgab, etwas genauer. Es gab ein kleines Fenster mit Eisengittern, aber das Glas war blickdicht und ließ nur wenig Licht ein. Eine einzelne Glühbirne baumelte von der Decke, aber sie war ausgeschaltet. Zu dieser Jahreszeit wurde es gegen sechzehn Uhr dreißig dunkel und er hatte keine Möglichkeit zu schätzen, wie viel Zeit seit seiner Verhaftung vergangen war.

Nach dem Grummeln seines Magens zu urteilen, war es bereits nach Mitternacht. Die Wachen hatten netterweise eine Schüssel mit einer undefinierbaren, stinkenden Flüssigkeit in der Ecke gegenüber des Eimers dagelassen, aber er war nicht hungrig genug, um sie herunter zu würgen – noch nicht. Er zweifelte nicht daran, dass er in ein paar Tagen glücklich jedes Essen vertilgen würde, das ihm vorgesetzt wurde.

Kapitel 3

Hilde saß zwischen zwei Gestapobeamten eingeklemmt im Wagen. Trotz des frostigen Novembertages schwitzte sie. Die Luft war klebrig und pure Panik schnürte ihr die Kehle zu.

Der Wagen fuhr durch die vertrauten Straßen und Plätze Berlins, aber sie nahm sie nicht wahr; weder die schöne Natur des Nikolassees, an dem sie wohnte, noch die einst majestätischen Jugendstilgebäude, die in Schutt und Asche lagen – Skelette, die als Erinnerung an den grauenhaften Krieg, der über die ganze Welt tobte, gen Himmel ragten.

Hildes Glieder waren taub vor Angst, als der Wagen am Gestapo Hauptquartier ankam und sie in das Gebäude gebracht wurde. Dann war sie allein in dem tristen Verhörraum. Gelähmt vor Furcht plumpste sie auf einen der beiden Stühle und legte eine Hand auf ihre Brust. Sie griff nach dem roten Jaspisanhänger an der Goldkette, den Qs Mutter ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Das ist der Glücksstein für dein Sternzeichen, hatte Ingrid gesagt. Glück konnte Hilde jetzt gut brauchen, obwohl Glück allein wohl nicht reichen würde. Sie würde für das, was auf sie zukam, viel Mut und Kraft brauchen.

Die Tür öffnete sich, ein Gestapobeamter trat ein und schloss die Tür mit einem langen Knarzen. „Frau Quedlin, ich bin Kriminalkommissar Becker.“

Hilde neigte den Kopf und versuchte, ihre Furcht zu verbergen. Kriminalkommissar Becker setzte sich ihr gegenüber an den Metalltisch und lehnte sich zurück. Man hätte ihn als gutaussehend bezeichnen können mit seinen breiten Schultern, den kurzen blonden Haaren und den klassischen Gesichtszügen, wenn da nicht seine seelenlosen grauen Augen gewesen wären.

Becker beobachtete sie einige Minuten lang und lächelte dann plötzlich, wie es schien, ehrlich. Hilde spürte, wie ihre Angst sich etwas legte. Vielleicht waren die Gerüchte völlig übertrieben und es würde gar nicht so schlimm werden, wie sie befürchtete. Wenn sie ihn von ihrer Unschuld überzeugen konnte, ließ er sie vielleicht sogar zu ihren Kindern zurückkehren.

„Lassen Sie uns mit einigen Fragen beginnen. Würden Sie bitte Ihren vollen Namen nennen?“ Beckers Stimme klang nett, sogar freundlich.

Hilde nickte. „Hildegard Quedlin, geborene Dremmer.“

„Alter und Geburtsort.“

„Dreißig. Ich wurde in Hamburg am 23. August 1912 geboren.“ Hilde konzentrierte sich auf die Beantwortung seiner Fragen und unterdrückte das Beben in ihrer Stimme.

„Sie sind mit Wilhelm Quedlin verheiratet?“

„Ja, Herr Kriminalkommissar.“

„Haben Sie Kinder?“

Hilde senkte den Blick. Der Gedanke an ihre beiden kostbaren Kleinen trieb ihr die Tränen in die Augen. „Ich habe zwei Söhne. Neun Monate und drei Jahre alt.“

„Konnten Sie jemanden finden, der auf sie aufpasst?“, fragte Becker in einem mitfühlenden Ton.

Hilde begegnete dem Blick aus seinen grauen Augen und glaubte, einen Funken Mitgefühl zu entdecken, aber er verschwand so schnell, wie er gekommen war. Sie drängte ihre Tränen zurück und sagte leise, „Ich durfte meine Mutter anrufen. Sie ist jetzt bei ihnen.“

„Das muss eine Erleichterung für Sie sein“, sagte Becker und lehnte sich nach vorn. Hilde erzitterte. Trotz der höflichen, sogar freundlichen Art hatte dieser Mann eine bösartige Ausstrahlung.

---ENDE DER LESEPROBE---