Und dann weiß jeder, was ihr getan habt - Christian Linker - E-Book

Und dann weiß jeder, was ihr getan habt E-Book

Christian Linker

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Beschreibung

Vier Jugendlich, vier Geheimnisse - und alle sind live dabei! Wenn Muriel jemals so etwas wie eine Freundin hatte, dann war es Precious. Aber Precious ist seit der Studienfahrt an die Ostsee verschwunden, möglicherweise sogar tot – und Muriel hat eine grausame Theorie, was und vor allem wer dahintersteckt. Was für ein Spiel trieb Constantin in jener Nacht? Glaubt er wirklich, sich mit Geld alles kaufen zu können? Oder war Precious freiwillig bei ihm? Um endlich Antworten zu finden und die Schuldigen bloßzustellen, lädt Muriel zu sich nach Hause ein: Vier Mitschüler, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Vier Geheimnisse, die live übertragen werden. Vier Geständnisse, die alle schockieren.

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Seitenzahl: 257

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Christian Linker

Thriller

Liebe Nina George,

du großartige Kollegin, ich danke dir für die Inspiration.

Deine Geschichte über die fußballverrückten Mädchen in Nigeria hat mich nicht losgelassen.

Das hast du nun davon.

 

Herzlich

Christian

1

Constantin

Von wegen

bosshaft …

 

Seh sie da immer vor mir stehen,

Precious,

glotzt mich an.

 

Scheißtraum,

geht nicht weg.

Bin ja nicht mal am Schlafen.

Kann nie wieder schlafen, Scheißzeug.

Aber ist ja gar nicht Precious jetzt,

ist doch nur Nessa.

Liegt neben mir, friedlich, ich spür ihren Atem im Gesicht, sie schläft.

Ich nicht.

Nie mehr. Bin immer noch

so was von

drauf.

Muss …

Fuck.

Muss Daria anrufen.

Daria

Okay, Daria, er meldet sich nicht. Aber du hast ihm ja versprochen, dass du ihn nicht stalken wirst. Du willst keine Spießerin sein. Schon gar nicht heute Abend.

Puh … heute Abend. Als ob es nicht schon anstrengend genug wäre, dass wir erst noch zu Muriel müssen.

Komm. Bleib locker, Daria. Du bist achtzehn, du bist ein großes Mädchen. Und du kannst später immer noch Nein sagen.

Muriel

Was heute Abend geschehen soll, wird Precious nicht wieder lebendig machen.

Aber mich vielleicht.

Zumindest wirst du dich nach diesem Abend an mich erinnern. Beziehungsweise an Precious. Denn darauf kommt es mir an. Das Schicksal von Abertausenden liegt im Dunkel; in der ewigen Nacht am Grunde der See, wo die zerfressenen Reste ihrer Leichen zergehen. Niemand will dafür verantwortlich sein. Aber Precious starb auf dem falschen Meer. Und der, der an ihrem Tod schuld ist, trägt einen Namen.

Am Ende dieses Abends wird mich niemand mehr für verrückt halten.

Das dekadente Heimkino im Souterrain unseres Hauses ist ideal. Fensterlos und praktisch schalldicht. Damit du mich gleich am Anfang richtig verstehst – ich weiß schon selbst, dass meine Idee skrupellos ist. Vielleicht sogar grausam. Aber notwendig. Schon immer hatten die Menschen das Bedürfnis, dann und wann jemanden öffentlich abzuschlachten. Die Römer veranstalteten Gladiatorenspiele und Kreuzigungen, im Mittelalter verbrannte man Ketzer auf dem Scheiterhaufen und flocht Verräter aufs Rad. Heute haben wir Internet. Und ich werde es benutzen.

 

An der Stirnseite des Raumes glänzt die leicht konische Leinwand von hundertachtzig mal hundertzwei Zentimetern, seitlich davon ragen schlanke High-End-Alu-Boxensäulen empor; ein Dreihundert-Millimeter-Subwoofer komplettiert das ultimative Surround-Sound-Erlebnis. Es sieht aus wie der Altar eines Science-Fiction-Tempels. Eines Tempels ohne Götter. Der eigentliche Gott krallt sich unter die Zimmerdecke: ein High-End-Beamer, der von dort oben extrem tiefenscharfe Bilder herabschleudert. In einem auf komplizierte Weise errechneten Abstand zu diesem Altar stehen zwei schwere weiße Ledersessel und dazwischen ein Glastisch. Hier werden Filme zum Ereignis. Was nur leider kaum geschieht, denn ich selbst sitze nie hier unten, das ist mir zu affig. Und mein Vater ist ja selten zu Hause. Ich hab nie verstanden, wozu er diesen Raum für zigtausend Euro ausgestattet hat oder die übrigen Räume oder warum er uns überhaupt dieses riesenhafte leere Albtraumhaus kaufen musste. Vielleicht ist der einzige Grund der, dass er es sich eben leisten kann. Auch heute Abend werden wir hier keinen Film anschauen, sondern einen produzieren. Der Altar hat es verdient, dass auf ihm einmal ein würdiges Opfer dargebracht wird.

Ich schiebe also die beiden Sessel und den Tisch genau vor die Leinwand und drehe sie um, bis sie auf den Glastisch blicken. Den wiederum stelle ich zur Seite und baue an seiner Stelle das Stativ mit der Kamera auf. Im Geräteschuppen (das ist der Raum hinter der Tür an der linken Seite, gleich gegenüber der gut sortierten Hausbar) finde ich außerdem zwei starke Lampen, Baustrahler vermutlich. Aufbauen, anschließen – und das Kino erstrahlt in perfektem Studiolicht. Zufrieden nehme ich testweise in einem der Sessel Platz, schaue in die Kamera und sage mit sehr ernstem Gesicht: »Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich heiße Constantin Rüdenscheid und bekenne mich schuldig am Tod von Precious Mamza. Von Precious, die aus Nigeria geflohen war. Durch meine unstillbare Gier und mein eitles Machtstreben habe ich sie …« – ich muss schlucken – »in den Selbstmord getrieben.« Ich räuspere mich. »Mit meinem Geld habe ich mir ihren geschundenen Körper gekauft. Als Letzter in einer langen Reihe skrupelloser Männer habe ich sie zum Objekt gemacht, ihren Leib benutzt und weggeworfen. Nachdem sie ihre Familie verloren hat und dem Terror in ihrer Heimat entkommen war, nachdem sie alle Grenzen überwunden hat und hier bei uns hätte in Sicherheit leben können, habe ich den übrig gebliebenen Rest ihrer Seele zerstört, nur um mich am Gefühl von Besitztum zu berauschen, an der Geilheit des Beherrschens.«

Ein Kloß wächst mir im Hals. Wenn ich an Precious denke, sehe ich ihren alten Parka mit der Fellkapuze in der schwachen Brandung dümpeln, vom Salzwasser getränkt. Das Bild steht mir so scharf vor Augen wie an jenem eisklaren Herbstmorgen am Ostseestrand vor über einem halben Jahr; so scharf, als würde es vom Beamer über mir ausgeworfen. Ich sehe den aufgeweichten Zettel, den ich in der Jackentasche fand, darauf kaum noch lesbar die vier Worte in Precious’ klarer, kräftiger Handschrift: The rest is silence. Ich würge den Kloß hinunter und springe auf. Stelle mich hinter die Kamera und erwidere kühl: »Schau, jetzt ist es raus. War doch gar nicht so schwer, Constantin. Fühlst du dich nicht erleichtert?« Ich lächle dem leeren Sessel gönnerhaft zu und frage: »Möchtest du unseren Zuschauern da draußen noch irgendetwas sagen? Zum Beispiel … sie um Erbarmen bitten? Willst du um die Gnade betteln, die du selbst deinem Opfer vorenthalten hast?«

Er schweigt. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich ihn wirklich bis zu diesem Punkt kriegen würde: dass er es zugibt. Vor uns und aller Welt. Aber es gelingt mir nicht. Ich kann mir sein Gesicht überhaupt nicht mit schuldbewusstem Ausdruck vorstellen. Reumütig. Zerknirscht. Bußfertig. Was für wundervolle altertümliche Worte! Keines davon passt zu ihm. Ich stelle ihn mir vor und sehe ihn da lässig im Sessel mehr abhängen als sitzen, wie er mit seinem selbstgefälligen Grinsen sagt: »Hältst du mich wirklich für so blöd, Muriel? Denkst du, ich schnalle nicht, was du hier abziehst? Denkst du, ich hab nicht die ganze Zeit schon gecheckt, dass diese Kamera nicht nur aufzeichnet, sondern gleichzeitig alles live ins Internet streamt?«

Ja, ich gebe zu, ich halte ihn tatsächlich für so blöd. Zumindest glaube ich, dass er vor lauter Gehabe und Gepose nicht darauf achten wird, ob die Kamera gerade läuft oder nicht. Sich nicht fragt, warum da ein Kabel angeschlossen ist und wohin es führt. Er nicht. Aber Specki-Lenny vielleicht. Der interessiert sich jedenfalls für Technik. Und die rote Özge ist ohnehin stets kritisch. Selbst unsere heilige Jungfrau Daria könnte im wahrsten Sinne des Wortes über so ein Kabel stolpern. Die vier denken schließlich, sie kämen zu mir, um hier ein paar Takes für unseren Abifilm aufzuzeichnen. Sie haben keine Ahnung, dass sie stattdessen im Film ihres Lebens mitspielen werden, ohne Schnitt und Outtakes, live und unzensiert. Und deshalb wird es nicht diese Kamera sein, die Constantins Geständnis übertragen soll, sondern eine zweite.

Die müsste ebenfalls irgendwo im Geräteschuppen sein. Das ist natürlich eine irreführende Bezeichnung für diesen Raum, dessen akkurat beschriftete Metallregale von jedem Ding der Welt, in das man Kabel stecken kann, mindestens ein Exemplar bergen. Außer einen elektrischen Stuhl vielleicht. Wobei – ich hab noch nicht alles durchgeschaut, es ist einfach viel zu viel Zeug. Mein Alter bekäme einen Herzinfarkt, wenn er wüsste, dass ich weiß, wo der Schlüssel ist. Und dass ich mir mit seinem Zeug ab und zu etwas Zeit vertreibe. Wobei es doch letztlich egal ist, ob er nun deswegen zusammenbricht oder infolge seines halsbrecherischen Berufs. (Korrekterweise sollte ich hinzufügen, dass sein Beruf aber meistens nicht seinen Hals bricht, sondern die Hälse der Leute, die auf der vorletzten Seite seiner PowerPoint-Präsentationen regelmäßig aus der Firma fliegen. So hat er mir das jedenfalls mal erklärt. Dass nämlich die meisten Chefs viel zu feige sind, Menschen rauszuwerfen. Sie rufen dann meinen Vater und der schreibt ein paar Zahlen auf bunte Präsentationsfolien und dann sehen es alle ein. Ob man mit so was reich werden kann? Na – guck dich mal hier um.)

Jedenfalls wird er erst morgen Abend zurückkommen und dann die Tür zum Geräteschuppen wie gewohnt verschlossen vorfinden. Ihm fiele ohnehin im kühnsten Traum nicht ein, dass mich sein Spielzeug reizen könnte. Er hält mich nämlich nicht nur für gestört (was ich ja ohne Frage bin), sondern auch für restlos unbegabt, was Technik und – ach was, überhaupt alles Praktische betrifft. Ah, da ist eine winzige WiFi-Kamera mit noch winzigerem Mikro. In einer Kiste mit der Aufschrift Überwachungstechnik. Sie ist klein und rund und sieht ganz unschuldig aus. Mit einem Klebepad dürfte sie sich auf der Beamerlinse befestigen und hinterher leicht wieder entfernen lassen. Also hole ich Klebepads aus einem Küchenschrank und aus dem Garten (dort gibt es tatsächlich einen Geräteschuppen, zu dem die Bezeichnung ganz unironisch passen würde; doch wir nennen ihn lieber Chalet) eine große Leiter, die ich ins Haus und hinab ins Souterrain bugsiere. Ich steige die Sprossen hinauf. Meine Knie zittern plötzlich, und das liegt nicht an der Höhe. Meine Fingerspitzen sind eiskalt und fast ein wenig taub, während ich das Klebepad auf die Linse setze, die Rückseite der Minikamera dagegendrücke und sie einschalte. Keine Ahnung, wie lange der Akku hält, aber wenn ich sie nicht jetzt schon einschalte, habe ich später vermutlich keine Chance mehr dazu, es in Anwesenheit meiner vier Gäste unauffällig zu tun. Eine halbe Stunde bleibt mir, bis sie kommen. Ich steige von der Leiter hinab, atme durch und versuche, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. Plötzlich kann ich diese kleine Kuhle über dem Brustbein spüren. Etwas schnürt mir die Kehle zu und mein Puls hämmert dagegen. Ja, natürlich habe ich Angst vor meinem eigenen Plan. Und du fragst, warum ich den Raum jetzt auf den letzten Drücker präpariere und nicht alles schon längst von langer Hand vorbereitet habe? Vielleicht verstehst du, dass ich ahnte, ich könnte Skrupel bekommen. Deshalb setze ich mich unter Druck. Druck ist gut. Keine Zeit für Reflexion oder Zweifel. Wann immer ich anfange nachzudenken, lähmt mich das ganz entsetzlich.

Ich schüttle die Beine aus wie nach einem Sprint, dann flitze ich die Treppe hoch ins Erdgeschoss und weiter hoch bis in mein Zimmer, wo ich meinen Laptop aus dem Standby wecke. Der Text von letzter Nacht springt mir ins Gesicht.

Ein Parka im Wasser

ein Grab in der Tiefe

da liegt man nicht eng.

Macht Abi ihr einen, ihr anderen flieht!

Macht Karriere und Kinder, macht Wohlstand,

baut Zäune, ihr einen, ihr anderen

sterbt,

aber sterbt nicht so schnell, erst sollt ihr noch bluten,

wir zahlen doch gut,

wir Wohlstandserben,

und dann erst,

ihr andren,

geht sterben.|

Ja, richtig. Ich habe das geschrieben. Für Precious. Ich verfasse von Zeit zu Zeit Gedichte, wenn sich das Nachdenken nicht wegschieben lässt und die Lähmung übermächtig wird. Gedichte helfen, und du kannst sie gern lesen. Andere lesen sie ja auch, denn da draußen, weit jenseits von Schule und alledem, gibt es zweihundertneunzehn (Stand heute) Menschen, denen meine Gedichte gefallen – warum sollst du nicht vielleicht sogar dazugehören? Ich bin froh um jeden, der das liest, denn dann bin ich mit meinen Gedanken nicht mehr so einsam. Mir ist egal, ob du mich für verrückt hältst. Alle anderen tun es schließlich auch. Verrückt sein ist nicht so schlimm; aber wenn du mit deinem Verrücktsein ganz allein bist, das ist schlimm. Hast du auch manchmal diese Träume, in denen du rennst, ohne von der Stelle zu kommen? In denen du schreist und kein Laut dringt aus deiner Kehle?

Niemand glaubt mir, dass Constantin an Precious’ Selbstmord schuld ist. Die meisten bezweifeln, dass sie überhaupt tot ist – und wenn doch, so sagen sie, könnte es doch ein Unfall gewesen sein. Erst recht glaubt niemand, dass es irgendeine Verbindung zu Constantin gibt. Ich könnte es ja erklären, wenn mir irgendjemand in Ruhe zuhören würde. Aber niemand tut das.

Ich klicke den Text weg und lege die Finger auf die Tasten. Von langer Hand vorbereitet? Meine Hände sind klein, die Finger zum Klavierspielen zu kurz, aber für diese Tasten genau richtig, und die Nägel sind im selben matten Schwarz lackiert. Sie fliegen über die Buchstaben aus Nullen und Einsen und rufen die Tutorials auf, die ich neulich schon aus dem Netz gefischt habe. Neben meinem Laptop steht ein hässlicher Wecker in Form eines grinsenden Schädels aus billigem Plastik – die mehr als unpassende, leider aber einzige Hinterlassenschaft von Precious. Nicht einmal den Zettel mit Precious’ letzten Worten, den ich in ihrer Jacke gefunden hatte, durfte ich behalten. Er verrottet vermutlich in irgendeiner längst im Archiv verschwundenen Polizeiakte. Dabei ist mein Zimmer so voller verschrobener Dinge, dass dieser Totenkopf gar nicht weiter heraussticht. Auch die Ratte gehört irgendwie zum Inventar. Sie schaut mir von hinten zu. Ich sehe sie nicht, aber ich weiß, dass sie mich beobachtet. Manchmal überlege ich, ob ihr Käfig möglicherweise das eigentliche Draußen ist und der ganze Rest das eigentliche Drinnen. Ob sie es ist, die sich mich hält anstatt umgekehrt; dass sie Studien und Experimente an mir vornimmt, von denen ich nichts mitbekomme, weil Ratten ohnehin viel intelligenter als Menschen sind. Diese hier wohnt seit einigen Wochen bei mir. Ich habe sie quasi vor dem Tierversuchslabor gerettet und ihr hier ein Zuhause gegeben, aber aus irgendeinem Grund noch keinen Namen. Sie ist schlicht die Ratte.

In einem YouTube-Video erklärt mir ein blasses Männlein mit langem dünnem Haar, wie ich im Netzwerk nach der Kamera suchen muss. Da ist sie ja schon. Wow. Es funktioniert! Mein Bildschirm zeigt mir die beiden weißen Ledersessel vor der konischen Leinwand, was dem Hintergrund etwas Künstliches gibt, als wäre das ein richtiges Fernsehstudio. Nur das Personal fehlt noch: die rote Özge und die heilige Daria, Specki-Lenny und Rich Kid Constantin. Die Hauptperson. Er weiß es bloß noch nicht. Hoffentlich kommt er überhaupt. Wirkte zuletzt etwas abwesend. Vermutlich hat er sich gewohnt easy durchs Abi geschummelt und lümmelt sich in Gedanken längst in der Firma von Laurenz’ Vater …

Constantin

Muss

aufstehen.

Ist Nachmittag.

Aber von welchem Tag?

Muss bei dem Scheißfilm

mitmachen.

Muss auch mal was

essen.

Muss Daria

anrufen!

Hab keinen Bock mehr auf Müssen.

Muss mit dem Müssen

aufhören.

Muriel

Ich öffne ein anderes Tutorial. Hier geht es darum, wie man das Livebild ins Internet streamt. Ich will es in meinen Blog einbinden, weil – Moment. Warum klingelt es jetzt? Ich ignoriere es. Doch davon hört es nicht auf. Entnervt klappe ich den Rechner zu, laufe die Treppe hinunter und zur Tür. Draußen steht – schwarze Shorts und 3XL-Motörhead-Shirt, abgewetzte Collegetasche, feistes Grinsen: Lennard »Specki-Lenny« Krüger.

»Tach auch.«

»Hallo, Lennard.«

»Ja, ähm, hi, Muriel.«

»Du bist zu früh.«

»Sorry, es ist doch«, er guckt aufs Handy, »fast fünf. Waren wir nicht für fünf verabredet?«

»Richtig. Aber nicht für fast.«

Seine Augen haschen nach mir, checken rasch, ob meine Brüste noch da sind. Sind sie. Seine auch.

»Ich kann ja in zehn Minuten noch mal klingen.« Er grinst.

»Komm halt rein.« Ich drehe ab, winke über die Schulter und zeige nach links. »Mach dir ’n Kaffee oder ’n Tee oder was immer du gerade brauchst.«

Er folgt mir brav, schließt die Tür, biegt ins Wohnzimmer ab, das in die offene Küche übergeht.

»Hammerbude!«, ruft er noch.

Ich laufe die Treppe hinunter in den Kinoraum, klappe die Leiter zusammen und schleppe sie nach oben. Das Scheppern lockt Lenny an.

»Brauchst du Hilfe?«

»Danke, das geht schon.«

»Was hast du mit der Leiter vor?«

»Sie wegbringen.«

»Was hattest du mit der Leiter vor?«

Mann! Junge! Bist du die NSA?

»Ich habe ein paar Spinnweben entfernt.«

»Hier?« Er mustert die geleckten Böden, Wände, Decken und runzelt die Stirn.

Ich schiebe mich an ihm vorbei, trage die Leiter durchs Wohnzimmer und zur Terrassentür hinaus zum Gartenhäuschen, spüre, wie sein Blick an meinem Hintern saugt. Als ich zurückkomme, macht er sich am Kaffeeautomaten zu schaffen.

»Ich muss noch was erledigen«, sage ich. »Fühl dich wie zu Hause.«

Lennard

Kann man wohl 1 popligen schwarzen Kaffee aus diesem Gerät kriegen, ohne dass man dafür Kernphysik studiert haben muss? Ich drücke iwie so Knöpfe, der richtige ist ja vielleicht dabei. Kann ich wohl mal gelassen auf 1 Frauenhintern gucken, ohne gleich an was zu denken? Mein Körper ist auch so 1 Ding, wo man nie weiß, was als Nächstes passiert & warum, aber der hat leider überhaupt keine Knöpfe, um das iwie zu regeln.

Muriel

Ich nehme ein Leinenoberteil aus meinem Schrank und werfe es mir über. Die Tür bleibt einen Spaltbreit offen, damit ich hören kann, was er unten treibt. Der Kaffeeautomat mahlt und blubbert. Ich lasse das Tutorial weiterlaufen, versuche mich zu konzentrieren. So. Webcam in Website einbetten. Neben dem Laptop grinst mir der Plastikschädel verschwörerisch zu, als sei er in jedem Fall mit allem hier einverstanden. Unten im Flur höre ich Schritte.

»Muriel? Hallo!«

»Was?«

»Muriel?«

»Was, Mann!«

»Wo is’n das Klo?«

»Neben dem Eingang.«

Gibt es ein Haus auf der Welt, wo das Gästeklo nicht mehr oder minder neben der Haustür ist? Wohl das, wo Lenny wohnt. Ich habe mal aufgeschnappt, dass er mit seiner Mutter in einem traurigen Hochhausgetto lebt, vermutlich gibt es da gar kein Gästeklo. Gruselige Vorstellung, fremde Menschen ins eigene Bad zu lassen. Zum Glück hat unser Haus drei Bäder. So muss ich nicht mal meinen Alten in mein Bad lassen, bloß die Putzfrau. Brauche ich eine statische IP-Adresse? Unten hallen Schritte. Ich muss mich konzentrieren. Die Schritte entfernen sich. Geht er nach unten? Als ich das Tutorial wegklicke, erscheint Lenny leibhaftig auf meinem Bildschirm. In der einen Hand eine Kaffeetasse, die andere in die Hosentasche geschoben, schlendert er durch den Kinoraum und inspiziert die Kamera. Die offizielle. Kurz gruselt es mich vor mir selbst. Er lässt von der Kamera ab und seinen massigen Körper in den linken Sessel fallen, der unter seinem Gewicht ächzt und stöhnt. Der Ton ist ausgezeichnet. Lenny sieht mich an. Er sieht mich an! Blickt mir für einen kurzen Moment direkt in die Augen. Das heißt – betrachtet er lediglich den Beamer unter der Decke? Oder hat er bereits die inoffizielle Kamera entdeckt …?

Die Ratte schaut interessiert zu, wie ich den Laptop zuknalle und aufspringe, aus dem Zimmer stürme. Doch auf der Treppe nach unten verlangsame ich meine Schritte, nehme die letzten Stufen ganz gemächlich, unverdächtig. Im Kinoraum empfangen mich bloß zwei leere Sessel. Wo steckt Lenny? Hat er mich bereits durchschaut? Vom anderen Ende des Flures ertönt ein verstörendes Geheul. Es kommt aus dem Raum mit dem Air-Hockey-Tisch.

»Holy Mother of Whatthefuckness!«

Ich folge seiner Stimme und finde einen verliebten Irren vor, der zärtlich eine Metallplatte streichelt.

»Das ist so abgefahren«, säuselt er.

»Air-Hockey?«, frage ich.

»Das ganze Haus hier. Dieser Kinosaal da nebenan. Und das hier.« Er wirkt völlig arglos. »Total abgefahren.«

»Na, geht so.« Ich entspanne mich. Lenny hat die versteckte Kamera an der Beamerlinse nicht bemerkt. Das kann wohl als bestandene Generalprobe durchgehen. »Wenn man hier wohnt«, sage ich noch, um überhaupt etwas zu sagen, »findet man es mit der Zeit affig.«

»Du Ärmste«, witzelt er. »Du musst hier leben, in diesem schrecklichen Haus mit dem riesigen Garten und ’nem Gästeklo, was größer als mein Zimmer ist; und mit ’nem eigenen Kino und mit dieser fucking geilen Air-Hockey-Anlage. Schickes Hemd übrigens.«

»Mir war kalt.«

»Kalt?«

»Tja, draußen herrschen dreißig Grad und hier drin kriege ich die Klimaanlage nicht eingepegelt.«

Wieder runzelt er die Stirn, dann schlägt er vor: »Lass uns was zocken.«

»Ach … nö.«

»Komm schon«, bettelt er. »Nur bis die anderen auftauchen.«

»Na gut«, brumme ich. Zwar bin ich oben noch nicht fertig mit dem Stream, will Lenny aber hier unten auch nicht gern allein lassen. »Wir spielen bis sieben. Du hast keine Chance.«

»Egal«, meint er.

Ich schalte das Gerät ein und aus den vielen kleinen Löchern in der Umrandung des Tisches braust lärmende Luft. Ich schnippe den Puck zu ihm hinüber. »Fang an!«

Lenny schießt direkt, ich pariere über Bande, klong! (Tor für mich.)

»Zufall«, lacht er, holt den Puck aus der Versenkung und greift wieder an.

Plötzlich sieht er nett aus. Na, vielleicht nicht richtig nett, aber in gewisser Weise echter als sonst. Ich kenne ihn bloß als Klassenclown und Kumpeltyp. Was vermutlich zu den wenigen annehmbaren Rollenangeboten gehört, wenn man so fett ist wie er. Klong! (Tor für mich.) Klassenclown, Kumpeltyp und Spätentwickler. Als ich zu Beginn der Neunten auf diese Schule kam, lief er noch in Klamotten herum, die zweifellos seine Mutter morgens für ihn rausgelegt hatte. Irgendwann entdeckte er die Musik und trägt seitdem ausschließlich Metal-Shirts, egal zu welcher Jahreszeit. Klong! (Tor für mich.)

Einmal hat er mich doch tatsächlich gefragt, ob ich mit ihm zu einem Konzert gehen wolle; ich würde doch wohl auch auf Metal stehen. Das ist natürlich Unsinn. Ich orientiere mich stylemäßig am Gothic und höre viel Dark Wave. Das verhält sich zu Metal wie Picasso zu Malen nach Zahlen. Klong! (Tor für mich.) Ich glaube, er stand auf mich. Na, nicht richtig auf mich. Ich vermute, er suchte einfach irgendwen und rechnete sich bei mir Chancen aus. Weil wir etwas Gemeinsames hätten. Und weil ich eben nicht in einer von den ganzen Cliquen klebe. Ziemlich falsch gedacht.

Klong!

»Ha, Tor«, freut er sich. »Eins zu vier. Jetzt hol ich auf.«

»War kurz abgelenkt«, brumme ich und bringe den Puck wieder ins Spiel. Klong! (Tor für mich.)

Die Menschen meiner Jahrgangsstufe kommen mir oft wie Spielfiguren vor oder wie Figuren aus einer Fernsehserie. Und jetzt ist einer tatsächlich hier in meinem Haus, den ich unter anderen Umständen kaum reingelassen hätte, so wenig wie die übrigen drei. Klong! (Tor für mich.)

Mit Umstände meine ich besagten Abifilm. Das muss ich kurz erklären. Also: Dem Jahrgang gehören rund achtzig Leute an und jeder, wirklich jeder musste mindestens eine Aufgabe in einem der vielen unnötigen Ausschüsse übernehmen: Jahrbuch-Komitee. Abistreich-Komitee. Party-Komitee … Film-Komitee. Manche Jahrgänge drehen mit viel Aufwand ein richtiges Opus; wir aber wollten uns darauf beschränken, einfach aus all den Filmen etwas zusammenzuschneiden, die es ohnehin schon gibt – ein Best-of aus Tausenden Handyvideos, ein filmisches Destillat aus (in den meisten Fällen) acht gemeinsamen Schuljahren. Ich selbst kam wie gesagt erst in der neunten Klasse auf diese Schule – einer von vielen Gründen, warum ich keine Lust verspürte, in irgendeinem dieser Ausschüsse mitzuwirken. Lenny hat sich gleich für das Filmteam gemeldet. Jeder könne ihm einfach seine besten Videos schicken, schlug er vor, er würde dann eine Vorauswahl treffen. Aber irgendjemand warf ein, dass es doch schön wäre, wenn es eine Moderation gäbe. Die Takes dazu müssten dann allerdings noch eigens aufgezeichnet werden. Und da hatte ich plötzlich eine Vision. Die Vision von diesem Keller hier und von der Kamera meines Vaters und dem großen weiten Internet da draußen. Eine Vision, wie Constantin hier vor mir sitzt. Wie wir über die Studienreise an die Ostsee sprechen. Und über Precious, die plötzlich nicht mehr da war. Wie ich Constantin aus der Reserve locke, die Sache zuspitze und eine Eskalation provoziere, bis es irgendwie aus ihm herausbricht. Vielleicht, weil er sich verplappert. Oder weil er mit seiner Lüge nicht mehr länger leben will, was weiß ich. In Fernsehfilmen klappt so was auch. Warum also nicht in meinem Film? Das Schwierigste wäre doch bloß, ihn überhaupt ins Filmteam und damit in meinen Keller zu bekommen. Und während sich all das vor meinem inneren Auge formte, war die Diskussion um mich herum fortgeschritten und jemand hatte Özge Ergün als Moderatorin vorgeschlagen. Als Schulsprecherin war sie gewissermaßen qualifiziert. Doch ein paar andere waren dagegen, weil ihnen die rote Özge zu schnippisch und sowieso viel zu links ist. Da kam dann der Vorschlag auf, eine Doppelmoderation einzusetzen, mit Constantin als Özges männlichem Gegenpart. Ja, kann durchaus sein, dass ich diejenige war, die das Gespräch in diese Richtung gelenkt hat. Aber wer will bei derart unsortierten Diskussionen hinterher noch wissen, wer wann was vorgeschlagen hat? Constantin ist der geborene Moderator, immer so gewinnend und vor allem kameraaffin (man könnte natürlich auch »affig« sagen). Es leuchtete allen ein. Und so kommt es, dass er nachher als eine Hälfte unseres reizenden Moderatorenpärchens in einem der gut ausgeleuchteten Kinoledersessel meines Vaters Platz nehmen wird. Dass ausgerechnet Özge die andere Hälfte ist, war Zufall, kommt mir aber sehr entgegen. Denn wenn ich nicht ganz danebenliege, hat auch sie einen Anteil an Precious’ Tod. Soweit stand nun also fest, dass Özge und Constantin die verschiedenen Schnipsel unseres Abifilms ansagen und kommentieren würden. Allerdings nicht einfach so. Vielmehr wird es da eigens ein Skript geben, das Daria verfasst hat. Eine völlig unsinnige Idee, die möglicherweise ebenfalls von mir stammt. Unverständlicherweise hatte niemand einen Einwand. Daria ist eine passionierte Fleißkärtchensammlerin und insofern für unsinnige Aufgaben prädestiniert. Außerdem ist sie ausgerechnet seit jener Studienfahrt an die Ostsee Constantins Freundin. Also hat sie in der Zwischenzeit brav ein paar Moderationstexte verfasst, und zwar auf Basis eines Gesamtkonzepts aus den Wurstfingerhänden von Lennard Krüger, der ja die »Vorauswahl« treffen wollte. Für meinen Plan spielt Lenny keine Rolle; ich habe einfach bloß sein Projekt gekapert. Und hoffe, dass er mir nicht in die Quere kommt. Wie auch immer – nachdem all das so wunderbar eingefädelt war, meldete ich mich ganz spontan ebenfalls zum Filmteam und bot mich als Kamerafrau und unser Haus als Studio an. Nicht einmal das kam irgendjemandem komisch vor. Hauptsache, der Punkt war abgehakt. Und nun steigt in einer Woche der große Abiball. Bis dahin soll der Film fertig sein.

Doch ich bin mir sicher: Für diesen Film wird sich, wenn alles nach meinem Plan läuft, nächste Woche längst niemand mehr interessieren.

Klong!

»Yippie-a-ey«, jubelt er. »Zwei zu sechs. Jetzt komm ich!«

Özge

Die meisten Leute halten Muriel für total gestört. Ich auch. Und jetzt, wo ich vor diesem Haus stehe, kommt es mir ganz plausibel vor. Es ist ein Riesenklotz aus Beton, Stahl und Glas. Alle drei Materialien reflektieren auf verschiedene Art das gleißende, für einen Juninachmittag viel zu heiße Sonnenlicht und blenden mich. Das Haus sieht wie ein verdammter Bunker aus. Garantiert sind überall Überwachungskameras installiert. Hier müssen einfach Verrückte wohnen. Ich trete an die Tür heran, hinein in einen schmalen Schatten, überraschend kühl. Das Haus lässt mich schaudern. Ich drücke die Klingeltaste.

Muriel

»Was ist?«, frage ich. Lenny hat innegehalten, steht da mit dem Puck in der Hand. »Sechs zu zwei, mir fehlt noch einer.«

»Es hat geklingelt«, sagt er. »Oder?«

Ich schalte den Tisch aus. Das hohe Brausen erstirbt, Stille fällt von der Decke und dann das Dideldudel von der Tür. Ich gehe hoch, um zu öffnen.

Lenny ruft hinter mir her: »Später spielen wir aber weiter, okay? Ich bestehe darauf.«

Die rote Özge. Grün-grünes Seidenkleid, sicher selbst gebatikt.

»Hi Muriel, sorry, bin verdammt spät dran.«

Halb sechs. Eher so pünktlich, für meinen Geschmack.

»Komm rein. Die andern sind noch nicht da. Also Lennard schon, die andern noch nicht. Wir machen das unten.« Ich zeige zur Treppe. »Kaffee, Tee, so was?«

»Tee wär super. Hast du Roibusch?«

»Jep.«

Mein Finger zeigt noch immer zur Treppe, sie nimmt das als Aufforderung. Ich setze Teewasser auf. In unserer Dreißigtausend-Euro-Küche gibt es zwar einen eigenen Hahn, aus dem jederzeit kochendes Wasser kommt. Mit dem Kessel gewinne ich aber zwei, drei Minuten Zeit und flitze schnell nach oben in mein Zimmer. Auf meinem Laptop-Bildschirm hat Lenny es sich wieder in einem der Sessel bequem gemacht. Gerade steht er auf, tritt halb aus dem Bild heraus und begrüßt offenbar Özge mit lässiger Handbewegung. »Na?«

»Na, Lennard.«

Small-Talk-Versuch:

Er: »Und? Wie is Mündlich bei dir gelaufen?«

Sie: »Zwölf Punkte. Hatte ich nicht mit gerechnet.«

»Chemie, ne?«

»Bio.«

»Schwer?«

»Ging.«

»Hm.«

Der Ton ist wirklich super. Auch aus dem Off. Zurück zum Tutorial. Aber schon pfeift mich der Wasserkessel wieder nach unten. Noch immer bin ich nicht dazu gekommen, die Show online zu stellen. Jetzt bloß nicht ins Nachdenken kommen. Für den Stream bleibt noch genug Zeit, erst einmal muss alles vorbereitet sein.

Als ich kurz darauf mit dem Tee in der Hand den Kinoraum betrete, zittern meine Finger schon nicht mehr. Niemand sieht mir an, wie aufgeregt ich bin. Lenny und Özge sind mit dem Abfragen ihrer Prüfungsergebnisse fertig und denken vielleicht, es sei meine Aufgabe als Gastgeberin, ein neues Gespräch in Gang zu bringen. Aber ich kann das Schweigen gut aushalten. In diesem Haus wird ohnehin überwiegend geschwiegen.

Ich reiche Özge den Tee, sie nippt an der Tasse. Lenny kratzt sich hinter dem Ohr, dann bückt er sich nach seiner Collegetasche und zieht geschäftig sein Tablet hervor.

»Ich könnte euch ja schon mal einen groben Überblick geben«, vermeldet er.

Ich zucke mit den Achseln, Özge setzt sich in einen der Sessel und ein höflich interessiertes Gesicht auf.

»Also, ich hab eine Vorauswahl getroffen.« Lenny setzt sich ebenfalls und faltet auf dem Schoß die Abdeckung seines Tablets auf. »Natürlich hab ich unfassbar viel Zeugs gekriegt von den ganzen Leuten. Wenn man alle Videos hintereinander gucken müsste, würde das locker drei Tage und Nächte dauern. Aber das meiste ist eh Schrott.« Sein Tablet fährt hoch und er selbst fort: »Der Film hat fünf Teile. Als Erstes 13 Jahre high – Alte Bilder lügen nicht. Da sind ein paar witzige Filmchen bei, so vom Wandertag in der fünften Klasse oder wie wir in der Achten mit dem Becker in München waren. Als Zweites die Lehrer-Interviews, die ich mit Juan gemacht habe. Zeig ich euch gleich mal, die sind sehr geil geworden. Wir haben das so heute-show-mäßig als Verarsche gemacht, und zum Beispiel die Strösser-Waldhaus hat überhaupt nichts gepeilt, da bepisst ihr euch vor Lachen.«

»Aha«, macht Özge.

»Ähm … ja. Danach kommt als Drittes der Abistreich. Hyungsung hat das gefilmt und Juan hat dazu aus dem Off was eingesprochen, so in dem Stil von einer Kriegsreportage; auch fucking geil, zum Wegschmeißen. Zum Schluss …«

»Ist das alles auf diesem Verarsche-Level?«, unterbricht ihn Özge und zieht dabei die Augenbrauen hoch.

»Nee, natürlich nicht. Ist ja auch nur eine Vorauswahl, wie gesagt, wir können es nachher gemeinsam sichten. Als Viertes hätten wir dann einen Zusammenschnitt der besten Filme von der Studienfahrt nach … wie hieß das Kaff an der Ostsee noch mal?«