Und Gott ist doch ganz anders: Biblische Begegnungen mit Gott - Norbert Reese - E-Book

Und Gott ist doch ganz anders: Biblische Begegnungen mit Gott E-Book

Norbert Reese

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Beschreibung

Die Glaubensgeschichte von fünf biblischen Personen, erzählt in der heutigen Sprache, bereichert um menschliche Züge – so können Glaubenszeugen der Vergangenheit mit ihren Gotteserfahrungen eintreten in unsere Zeit, um uns auch heute Zuversicht zu schenken. Erleben Sie die Abenteuer von Adam und Eva, Leah, Ismael und Judas im Kontext von heute. In der Bibel sind die Geschichten als Zeugnis einer lebendigen Gotteserfahrung für die Menschen ihrer Zeit erzählt. Diese Geschichten müssen für die Menschen von heute neu erzählt – nicht neu erfunden – werden, wodurch wiederum Theologie betrieben wird, Glaubenszeugnisse werden abgelegt, denn die Geschichten erzählen Erfahrungen mit Gott, die mit den Glaubenserfahrungen der heutigen Menschen verknüpft werden müssen.

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Seitenzahl: 227

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-739-6

ISBN e-book: 978-3-99130-740-2

Lektorat: Mag. Eva Reisinger

Umschlagabbildung: Woo Bing Siew | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Norbert Reese mit StepMap, Norbert Reese

www.novumverlag.com

Vorwort

Die Bibel als Bibliothek unterschiedlichster Bücher und Schriften ist eine Sammlung von Erfahrungen und Erlebnissen, die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten mit ihrem Gott gemacht haben: aufwühlend, zerstörend, aufrüttelnd und Leben verändernd. Die Bibel erzählt von Menschen, die am Anfang einer Religion, eines Glaubens stehen, den sie noch nicht kennen, aber auf den sie sich einlassen. Sie lebten häufig noch vor der Zeit, die einer historischen Forschung zugänglich ist. Ihre Geschichten wurden immer wieder neu erzählt, verändert, so dass die ursprünglichen Erzählungen zu Legenden wurden, in denen aber die Menschen, die diese Geschichten nacherzählen, ihren Glauben und ihre Hoffnung ausdrücken. Immer wieder neu, immer wieder anders werden diese Glaubenstraditionen erzählt, bis die Geschichten dann in der Bibel aufgeschrieben und so gesichert, unveränderlich werden.

Diese Geschichten als Zeugnis von einer lebendigen Gotteserfahrung und -beziehung sind für die Menschen ihrer Zeit erzählt und müssen auch von den neuen Generationen immer wieder neu erzählt werden. Die Berichte der Bibel geben das Gerüst, die Grundlagen, aber vieles, was das Menschliche und Wertvolle ausmacht, ist dabei nur angedeutet, wie ein Skelett, dem aber noch das Fleisch fehlt, damit es lebendig wird.

An diese Tradition möchte das Buch „Und Gott ist doch ganz anders: Biblische Begegnungen mit Gott“ anknüpfen und einige Geschichten neu erzählen. Es möchte die Geschichten nicht erfinden, aber in der heutigen Sprache sprechen, die Fakten um menschliche Züge bereichern und den Leser mitnehmen in ein Abenteuer, auf das sich biblische Menschen eingelassen haben und das auch unserer Sendung entspricht, in dieser Tradition mit diesem Gott eine Geschichte zu beginnen, die noch lange nicht an ihr Ende gekommen ist.

Die Geschichten der Bibel sind bekannt und können jederzeit nachgelesen werden, aber sie sind unvollständig erzählt. Jede Neuerzählung hat aber nichts Endgültiges, sondern im immer neuen Erzählen kann der Glaube zu einer Orientierung werden. Das Ziel des Buches ist erreicht, wenn die biblischen Menschen Adam und Eva, Ismael, Leah und Judas lebendig werden und sich für jeden Einzelnen anders konkretisieren.

Dabei leben die Personen der hebräischen Bibel in der Zeit, in der der jüdische und damit auch der jüdisch-christliche Glaube entstehen. Es sind Erzählungen, die sich noch vor dem Exodus ereignen und erst später im Land Kanaan und dann noch einmal später im babylonischen Exil aufgeschrieben werden.

Judas steht vor dem Beginn des Christentums, in einer Zeit der Hoffnung auf Erneuerung des jüdischen Glaubens, in der von einer Auferstehung kein Jünger Jesu eine Vorstellung haben konnte. Für jeden Glauben ist es eine Chance, zum Ursprung zurückzukehren, zu einem machtvollen Anfang, der die Geschichte des jüdischen, des christlichen und des islamischen Glaubens geprägt hat.

In diesem Buch soll die Glaubensgeschichte von fünf biblischen Personen erzählt werden. Diesen Neuerzählungen der biblischen Geschichten wird eine theologische Glaubensperspektive vorangestellt, die die Geschichte in einen größeren Zusammenhang stellt. In diesen Kontext hinein können dann die Glaubenszeugen der Vergangenheit in unsere Zeit eintreten mit ihren Gotteserfahrungen, die auch den Menschen heute Hoffnung und Zuversicht geben können.

Die erste Erzählung berichtet von der Erschaffung des Menschen, von Adam und Eva. Als theologischer Kontext wird die Weltschöpfungserzählung, die Erschaffung der Welt in sieben Tagen vorangestellt.1 Dabei wird herausgearbeitet, dass Gott als Schöpfer die Welt als ein Lebenshaus gestaltet hat, in dem alle Lebewesen, Mensch und Tier in Harmonie miteinander leben sollen. Dass dies nicht der Wirklichkeit unserer Welt entspricht, macht die Bibel durch die Flutgeschichte deutlich.

Daran anschließend wird die Geschichte von Adam und Eva erzählt. Auslöser, diese Geschichte neu zu erzählen, war eine Predigt. In dieser Auslegung hat sich der Prediger vorgestellt, dass Adam und Eva im Paradies mit Gott gemeinsam gespielt, ganz konkret Schwarzer Peter gespielt haben, und sie haben diese Tradition auch nach der Vertreibung aus dem Paradies fortgeführt, immer noch wie Kinder Schwarzer Peter gespielt. Richtig ist, dass nach der biblischen Erzählung Adam und Eva im Paradies ohne Erkenntnis waren, was gut und böse ist, dass sie naiv und einfältig wie Kinder gelebt haben und mit Gott in Eintracht zusammen waren. Aber diese Naivität zerbrach, indem ihnen die Augen aufgingen, sie schämten sich voreinander, die Begierde war erwacht und sie sind zu Erwachsenen geworden. Der Einklang und die Harmonie zerbrachen, aber sie hatten einen neuen Horizont gewonnen. Als Erwachsene mussten sie sich auf eine Suche machen nach innerem Frieden, nach einer Beherrschung der Welt, in der die Arbeit mühsam, in der die gerechte Ordnung in einem achtungsvollen und gleichberechtigten Umgang der Geschlechter zerbrochen war und in der sie diesen Gott verloren hatten. Aber es ist gut, dass sie erwachsen geworden sind. Es war notwendig, aber auch schmerzhaft, von dieser Frucht zu essen.

Die zweite Erzählung ist die Erzählung von Ismael. Ausgangspunkt dieser Erzählung ist eine Stelle im Buch Genesis, auf die mich meine Tochter Maria aufmerksam gemacht hat: „Seine Söhne Isaak und Ismael begruben ihn in der Höhle von Machpela bei Mamre, auf dem Grundstück des Hetiters Efron, des Sohnes Zohars.“2 Dieser Vers inspirierte mich, berechtigte mich dazu, die Geschichte von Ismael so nachzuerzählen, dass beide Söhne Abrahams sich nicht vollständig aus den Augen verloren haben und miteinander über ihre Erfahrungen mit ihrem Vater Abraham sprechen konnten.

Vorangestellt werden theologische Überlegungen über die gemeinsamen Wurzeln der drei monotheistischen abrahamitischen Religionen. Alle drei Religionen haben ihren Ursprung in der Berufung von Abraham, der sein Land in der Hoffnung verließ, dass Gott ihm und seinen Nachkommen das Land geben und ein großes Volk entstehen werde.

Dabei ist Isaak der Sohn der Verheißung, der Abraham durch seine Frau Sarah geboren wird. In dieser Tradition stehen das Judentum und das Christentum. Ismael ist der Erstgeborene, der Abraham durch Hagar geboren wird und den er auch als seinen Sohn anerkennt. Abraham wird verheißen, dass aus jedem der beiden Söhne jeweils ein großes Volk hervorgehen soll.3 Ismael und Jakob, der Sohn von Isaak, haben jeder zwölf Söhne.4

Um die Geschichte von Ismael nachzuerzählen, wird sowohl auf die Bibel als auch auf den Koran zurückgegriffen. Beide Söhne haben schmerzhafte und in gewissem Sinne nicht zu akzeptierende Erfahrungen mit ihrem Vater Abraham gemacht: Ismael durch die Erfahrung seiner Mutter. Sie wurde von Abraham weggeschickt und erwartete in der Wüste den Tod von Ismael, Isaak in dem Moment, als sein Vater ihn als Opfer für Gott darbringen will. In beiden Fällen hat Gott eingegriffen, Ismael und Isaak gerettet und seine Verheißung wahr gemacht, so dass aus ihnen ein großes Volk hervorgegangen ist.

Die dritte Erzählung berichtet von Leah, der ersten Frau Jakobs, der Ungeliebten. Denn Jakob hatte sieben Jahre für Rahel gedient, bis er schließlich betrogen wurde, weil Laban ihm die Leah unterschob.

Historisch ist die Geschichte von Leah nicht mehr zu fassen. Die Erinnerung an sie geht bis in eine Zeit zurück, in der die Geschichten noch nicht aufgeschrieben, sondern mündlich weitergegeben wurden. Solche mündlichen Traditionen können auf der einen Seite Grundideen gut bewahren und weitergeben, andererseits ist jede Nacherzählung eine neue Geschichte. Insofern ist Leah eine Legende. In dem Sachtext zeige ich einige Perspektiven auf, wie die Texte in der hebräischen Bibel entstanden sind. Diese Geschichten wurden zunächst mündlich weitergegeben, bis die Menschen das Bedürfnis hatten, diese Erzählungen aufzuschreiben. Durch die Schrift wurden die Berichte unveränderlich.

Doch jetzt kommt etwas ganz Besonderes: Die Geschichten wurden tatsächlich nicht mehr verändert, aber dennoch bearbeitet: erweitert, ergänzt. In die Bibel kamen neue Geschichten hinzu und zu bestimmten Zeiten wurde die gleiche Geschichte noch einmal erzählt, angepasst an die damalige Zeit. So werden in der Bibel manche Erlebnisse zwei Mal erzählt, jeweils mit unterschiedlichen Akzenten, um den Glauben aktuell für die jeweiligen Zuhörer weiterzugeben.

Wir können Leah historisch nicht mehr greifen, aber wir können die Geschichte neu erzählen.

Leah war für mich immer die Frau mit den leblosen Augen, langweilig und ohne Hoffnung. Als ich in meiner Klasse in Guatemala eine Schülerin Lena hatte, die immer lächelte und Freude ausstrahlte, erinnerte sie mich vielleicht an Rahel, aber sie war für mich das genaue Gegenteil von dem, was Leah ausmachte. Aber da sie ständig mit einem ihrer Mitschüler sprach, habe ich sie jedes Mal dann mit Leah angesprochen, wenn ihr Verhalten zu störend wurde, ein Signal, sich mal wieder etwas zurückzunehmen. (Sei mal langweilig und habe nichts zu sagen.) Das hat nur zum Teil funktioniert. Aber dadurch habe ich über Leah aus der Bibel nachgedacht und diese Persönlichkeit hat sich in diesen zwei Jahren verändert. Leah ist auch die Frau, die sich ganz auf den neuen Glauben von Jakob eingelassen hat, während Rahel bei der Übersiedlung in das Land Kanaan noch zwei Götterfiguren ihres Vaters stiehlt und in das neue Land schmuggelt. Leah wird die Frau sein, die bis zum Tod an der Seite von Jakob lebt und an seiner Seite in Mamre begraben wird. Eine widersprüchliche und zugleich faszinierende Frau.

Die vierte und letzte Erzählung ist der griechischen Bibel entnommen. Sie erzählt die Geschichte von Judas, dem Verräter. Anlass zu dieser Erzählung war eine Darstellung von Judas in Antigua in den Kar-Tagen. Vor der Kirche La Merced war im Baum eine Figur von Judas ausgestellt, der sich selbst erhängte. Ein Schild trug die Aufschrift „Dieb“. Diese Vorstellung, Judas ginge es nur ums Geld, er wollte sich bereichern, während ihm Jesus nichts bedeutete, diese Vorstellung widerspricht der Darstellung in der Bibel, insbesondere dem Matthäus-Evangelium. Denn in diesem Passionsbericht wird der Preis für den Verrat von Judas genannt: 30 Silberlinge. Es ist ein symbolischer Preis, der Preis für einen Sklaven.

Deshalb habe ich als Sachtext die Passionsgeschichte des Matthäus-Evangeliums interpretiert und bin dort vor allem der Schuldfrage nachgegangen: Wer ist nach dem Evangelisten Matthäus Schuld am Tod Jesu? Über lange Zeit schien diese Frage eindeutig beantwortet zu sein: Es sind die Juden, die seinen Tod fordern.5 Aber eine genauere Betrachtung der Texte zeigt: Die Schuldfrage ist nicht einer Volksgruppe zuzuordnen, sondern es gibt eine universale Schuld. Personen, die Heiden, Juden oder Christen sind, haben am Tod Jesu mitgewirkt und sind insofern verantwortlich. Aber gleichzeitig zeigt sich, dass es auch Alternativen gab, dass es in allen Gruppen – Heiden, Juden und Christen – Personen gab, die sich für Jesus eingesetzt haben und auf seiner Seite standen.

Vor diesem Hintergrund kann dann die Geschichte von Judas erzählt und tiefer verstanden werden. Es ist nicht das Geld, das ihn dazu treibt, Jesus zu verraten, sondern ihm fehlt das Vertrauen, sich ganz auf Jesus und seine Nachfolge einzulassen. Er ergreift die Initiative und will Jesus zwingen, sich in seinem Sinne als Messias zu offenbaren und führt dabei die Geschichte in eine Richtung, die er nie gewollt hatte, die aber Gott zum Guten lenken kann.

1 Vgl. Gen. 1,1–2,4a.

2 Gen. 25,9.

3Vgl. Gen. 21,13.

4Zu Ismael: vgl. Gen. 25,12–16, und zu Jakob: vgl. Gen. 49,1–28.

5Vgl. Mt. 27,22.

1. Kapitel: die Schöpfung

Gedanken zum Schöpfungshymnus: Gen. 1,1–2,4a

Wer mit anderen Menschen spricht und ihnen zuhört, was sie über die Schöpfungserzählungen in der Bibel denken, erhält sehr häufig eine negative Einschätzung: Die Schöpfungsgeschichten der Bibel: Sowohl die Weltschöpfungserzählung in sieben Tagen in Gen. 1 als auch die Menschenschöpfungsgeschichte von Adam und Eva in Gen. 2–3 seien längst überholt. Durch die Naturwissenschaften wissen wir, dass die Welt in einem langen evolutionären Prozess entstanden ist. Weder gab es am Anfang ein Menschenpaar, Adam und Eva, noch gab es jemals eine Welt wie ein Paradies, aus dem die Menschen vertrieben werden konnten, denn der Mensch entstand in einer Welt, die für ihn immer schon bedrohlich war und in der er sich durchgesetzt hat.

Auch die verschiedenen Formen des Lebens – Pflanzen, Tiere und Mensch – sind nicht unabhängig und nebeneinander entstanden, sondern sind auseinander hervorgegangen und durch ihre Geschichte miteinander zu einer komplexen Einheit verwoben. In diesem Zusammenhang wird häufig die Kirche mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Naturwissenschaften kritisiert, insbesondere in ihrer Auseinandersetzung mit Galilei.

Verschärft wird diese Auseinandersetzung noch durch die Kreationisten, die daran festhalten: Die „Schöpfungsberichte“ seien als Wort Gottes wörtlich zu verstehen. Die Welt sei tatsächlich in sieben Tagen entstanden, und sie wollen dies durch entsprechende wissenschaftliche Darstellungen beweisen. Dieser Glaubensüberzeugung können und wollen viele Menschen nicht mehr folgen und lehnen häufig nicht nur den Glauben an die Erschaffung der Welt ab, sondern verlieren insgesamt das Vertrauen in die christliche Lehre.

Eine andere Kritik von Carl Amery stößt in die entgegengesetzte Richtung: Demnach haben das Judentum und das Christentum aufgrund der Schöpfungserzählungen einen außergewöhnlichen, „nicht intendierten Erfolg“ gehabt, indem durch die Schöpfungserzählung die Welt profaniert wurde.

Danach gibt es vier zentrale Aussagen innerhalb der Schöpfungsgeschichte:

„Erstens – Der Mensch wird an einem eigenen Tag der Schöpfung gebildet, und zwar nach Gottes Bild und Gleichnis. Wie groß immer der Abstand zwischen höheren Wirbeltieren und Insekten, zwischen Primaten und anderen Säugetieren sein mag, wie geringfügig sich die physiologischen Unterschiede innerhalb der Primatenarten im Vergleich dazu ausnehmen mögen: Dem Menschen allein ist Gottesebenbildlichkeit zugeschrieben. …

Zweitens – Jedem möglichen Zweifel über diese absolute und totale Überlegenheit steht Gottes Auftrag entgegen. Es ist der ausdrückliche Auftrag der totalen Herrschaft. Der Mensch wird gerufen, diese Erde zu erfüllen, sie sich untertan zu machen. Magische Auflagen sind nicht damit verbunden, das heißt, es ist ihm völlig freigestellt, wie er diesen Auftrag vollzieht. …

Drittens – Diese Zuordnung ist ursprünglich als völlige Harmonie angelegt, als Paradies. Die sehr realistischen Autoren des Alten Testaments sahen natürlich klar, daß wir in keinem Paradies leben. Sie kannten gründlicher als wir den Hunger, die Krankheit, die Mühsal und Plackerei unseres Daseins. Aber dieser, der Spezies unerträgliche Zustand wird als Ergebnis einer Fehlentscheidung gedeutet – als Verfehlung des Daseinsziels. ,Ein Ziel verfehlen‘ heißt griechisch hamartanein; das Verbum wird in christlicher Sprache allgemein mit ,sündigen‘ übersetzt, und die erste, in der Genesis beschriebene Zielverfehlung nennen wir Erbsünde. …

Viertens – Schöpfungsauftrag, und das heißt auch Schöpfungsgarantie, werden in den Kapiteln VIII und IX der Genesis nochmals präzisiert. … Gott selbst hat einen Lernprozeß durchgemacht, er hat gelernt, dass Strafe, auch kosmische, die Grundbefindlichkeit des Menschen nicht verändert. Von nun an steht er sozusagen bedingungslos zu seinem Erbarmen. Die Stabilität der Erde, die Hinordnung der gesamten planetarischen Biosphäre auf den Menschen wird erneut bestätigt und detailliert – ungeachtet aller Verbrechen, die er gegen sich selbst und gegen die Biosphäre begehen kann und begehen wird. Er, der Mensch, ist ausdrücklich aus dem ökologischen Zusammenhang herausgenommen, dessen logische Risiken nicht für ihn gelten, was immer andere Arten überkommen mag.“6

Nach diesen Aussagen sind die Naturwissenschaften erst durch die christlichen Schöpfungserzählungen möglich geworden. Die Naturwissenschaften sind die Form, das Mittel, mit dem die Menschen ihren Herrschaftsanspruch umgesetzt und mit dem sie massiv in die ökologische Ordnung eingegriffen haben und dabei sind, unsere Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Ein Vergleich einer Weltkarte der Religion und der Wirtschaft bestätigt den Befund von Carl Amery:

Abbildung 1: Weltkarte der Religion7

Abbildung 2: Weltkarte mit Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern8

Die Naturwissenschaften sind primär in den christlichen Ländern, in Europa und in den USA, entstanden und haben sie zu einem immensen Wirtschaftswachstum geführt.9 Dieses Wirtschaftswachstum hat es ermöglicht, dass heute acht Milliarden Menschen auf der Erde leben können, aber gleichzeitig hat es auch viele Probleme in Bezug auf die Ökologie hervorgebracht. Diese Herausforderungen zwingen den Menschen dazu, seinen Herrschaftsauftrag zu überdenken.

Als Fazit steht die Schöpfungserzählung in Gen. 1 einerseits für die Ablehnung der Naturwissenschaften und ihre Möglichkeiten. Diese Aussage kann gut begründet werden durch den Prozess gegen Galilei oder durch die Ablehnung der Aufklärung, z. B. durch das offizielle Schreiben Syllabus Errorum von Papst Pius XI.10

Andererseits sind die Naturwissenschaften in den christlichen Ländern entstanden. Naturwissenschaftler wie Galileo Galilei, Johannes Kepler, Isaak Newton u. a. waren Christen. Die Entstehung der Naturwissenschaft fußt zutiefst im christlichen Selbstverständnis, sich die Welt untertan zu machen. Auch diese Aussage lässt sich mühelos begründen.

Doch beide Aussagen gleichzeitig können nicht richtig sein. Es scheint so, als ob die Schöpfungserzählung teilweise nur gebraucht wird, um seine eigene Überzeugung darzulegen.

Deshalb soll im Folgenden die Weltschöpfungserzählung vom Text her selbst gedeutet werden: Was ist ihre Botschaft in unserer Zeit?11 Danach soll die Menschenschöpfungserzählung neu erzählt werden: umfangreicher und detaillierter.

Aufbau und Gattung von Gen. 1

Die Weltschöpfungserzählung ist Teil der priesterschriftlichen Grundschrift PG und wahrscheinlich in oder kurz nach der Zeit des babylonischen Exils entstanden.12 In der Erschütterung durch die Zerstörung des Tempels und die Ansiedlung der jüdischen Oberschicht in Babylon wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, neu ihren Glauben zu reflektieren und sich der Frage zu stellen, ob der Bund, den Gott mit Abraham und Mose geschlossen hatte, so von den Menschen gebrochen wurde, dass er nicht mehr gilt. In dieser Situation wurde die jüdische Geschichte von der Schöpfung bis zum Exodus neu erzählt und erneuert. Der Bund mit Gott wurde als ein Gnadenbund verstanden, der mit Abraham geschlossen wurde und aufgrund der Versöhnungsbereitschaft Gottes niemals von Gott her aufgelöst wird. Der Bund mit dem Volk Israel bleibt unverbrüchlich zugesagt.

Bei der Weltschöpfungserzählung greifen die Autoren auf das Weltbild Babylons zurück, sie übernehmen es. Babylon war auf einem hohen kulturellen Stand. Auf dem Hintergrund dieses vorhandenen Weltbildes wird hier die Schöpfungsgeschichte erzählt. Dem Autor der Schöpfungserzählung geht es nicht darum, wie die Welt entstanden ist, sondern er will das Gottes-, das Welt- und das Menschenbild herausarbeiten. Das wird deutlich, wenn wir uns den Aufbau der Schöpfungserzählung anschauen.

Abbildung 3: Struktogramm von Gen. 1,1–2,4a13

Die Schöpfungserzählung ist gerahmt. Ausgangspunkt ist das Chaos. Die Schöpfungserzählung beschreibt den Übergang vom Chaos zum Kosmos. Chaos ist in diesem Zusammenhang das strukturlose Durcheinander. Es gibt hier nicht die Erschaffung aus dem Nichts. Das Material ist vorhanden. Das Wort Kosmos hat drei Bedeutungen: Universum, Ordnung und Schmuck. Und in all diesen drei Bedeutungen wird das Wort hier verwendet: Das Universum ist geordnet und schön.

Die mittlere Achse bilden der 1., der 4. und der 7. Tag.14 Schon bei diesen drei Tagen wird deutlich, dass der biblische Autor keinen naturwissenschaftlichen Bericht schreiben will, denn sonst hätte er mit der Sonne beginnen müssen, denn der Tag beginnt mit dem Sonnenaufgang und endet mit ihrem Untergang. Die alten Schöpfungsbilder sind Denkbilder, die den Betrachter zum Nachdenken über die Zusammenhänge in der Welt anregen sollen.

Am 1. Tag erschafft Gott das Licht und die Zeit. Die Finsternis wird vom Licht durchstrahlt. Hier kommt ein göttliches Element in die Schöpfung, die vorher nur von der Finsternis eingehüllt wurde.

Wo das Licht hinfällt, dort weicht die Finsternis zurück. Die Finsternis bleibt nur bestehen, weil Gott ihr einen Platz zuweist: die Nacht. Das Licht beherrscht den Tag, die Finsternis die Nacht. Mit dem 1. Tag wird die Zeit, ein Tag erschaffen. Deshalb heißt es nur hier: „Da ward aus Abend und Morgen ein Tag.“ An allen anderen Tagen wird beim Zählen eine Ordinalzahl verwendet.

Am 4. Tag werden dann die Sonne und der Mond erschaffen. (Die Sterne sind ein späterer Zusatz, der eingefügt wurde.) Sie sind entgöttlicht und dienen nur der Zeitbestimmung (Tag und Nacht) und der Bestimmung der religiösen Festtage.

Die gesamte Schöpfungserzählung läuft auf den 7. Tag hinaus. An dem Tag hört Gott mit seiner Arbeit auf und der Mensch beginnt, seinen Auftrag zu erfüllen. Der 7. Tag wird gesegnet und geheiligt und damit zum Feiertag: zum Sabbat.

Der 2. und der 3. Tag sind parallel zum 5. und zum 6. Tag gestaltet.

Am 2. und am 3. Tag gibt es erst zwei Werke der Trennung: Himmel und Erde sowie Land und Meer. Als letztes Werk werden die Pflanzen erschaffen. Für den Altorientalen waren die Pflanzen keine Lebewesen. Insofern handelt es sich hier um die Bereitung eines Lebenshauses, in dem Leben erstmals möglich wird.

Am 5. und 6. Tag werden die Lebewesen geschaffen: am 5. Tag die Vögel und Fische, am 6. Tag zuerst die Landtiere und anschließend in einem eigenen Schöpfungsakt der Mensch. Und Gott segnet Tier und Mensch und gibt ihnen den Auftrag, sich zu vermehren und die Erde mit Leben zu erfüllen.

„So wurde Himmel und Erde erschaffen“: indem das Chaos zu einem Kosmos gestaltet wurde. Sonne und Mond bestimmen die Zeit und die religiösen Festtage werden gefeiert. Die Welt wurde zu einem Lebenshaus gestaltet, in dem es von Leben aller Art wimmelt, oben am Himmel, tief im Meer und auf dem Land.

Das Weltbild ist ein Lebenshaus, in dem Platz ist für alle Lebewesen: Tier und Mensch. Da sich unsere Kenntnisse über die Pflanzen vielfältig erweitert haben, lässt sich der Gedanke sicher problemlos weiterführen: in dem Platz ist für alle Lebewesen: Pflanze, Tier und Mensch.

Das Gottesbild ist ein Gott, in dem die Ordnung ihren Ursprung hat und der eine Welt als Lebenshaus geschaffen hat, der ein Gott des Lebens ist.

Die Erschaffung des Menschen

Die Erschaffung des Menschen ist eingefügt im Rahmen der Erschaffung des gesamten Universums, aber dennoch gibt es sechs Unterschiede, die die besondere Rolle des Menschen innerhalb der Welt verdeutlichen:

1. Das Werk wird durch die Aussage „Lasst uns den Menschen machen“ (V26) eingeleitet.

Die Aussage lässt offen, wer mit dem „Wir“ gemeint ist, da Gott als Schöpfer ein Einziger ist. Am ehesten wird hier Gott als Person ausgedrückt, der auch in sich auf Beziehung und Kommunikation angelegt ist. Damit wird ein Bogen geschlagen zur Ebenbildlichkeit Gottes. Der Mensch ist in der Lage, mit Gott in Beziehung zu treten.

2. Der Mensch wird als Ebenbild Gottes geschaffen (V26 und V27).

Wenn der Mensch das Ebenbild Gottes ist, dann gilt diese Gottebenbildlichkeit für jeden Menschen, unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft, seinem Geschlecht … Jeder Mensch zeigt durch sein Sein und sein Handeln eine Facette von dem, was Gott ist und wie er handelt.

Das Handeln Gottes wurde bereits in der Schöpfungserzählung dargestellt. Es ist ein Gott der Ordnung, der ein Lebenshaus für alle Lebewesen schafft. Bild dieses Gottes zu sein heißt, in diesem Lebenshaus zu leben und dieses Lebenshaus zu gestalten zum Wohle aller Lebewesen.

Zum anderen ist der Mensch in der Lage, aufgrund seiner Ähnlichkeit zu Gott, mit diesem Schöpfergott in Beziehung zu treten.

3. Tier und Mensch erhalten ihre Nahrung zugewiesen (V29–30).

Nach der Schöpfungserzählung gibt es für die Tiere und den Menschen eine klare Nahrungszuweisung, so dass jede Konkurrenz aufgehoben ist. Die Tiere erhalten als Nahrung das Gras, während den Menschen die Früchte und das Getreide zugesprochen werden. Weder Tiere noch Menschen leben auf Kosten von anderen Lebewesen, niemand wird ein Lebewesen töten, um am Leben bleiben zu können. Hier ist es bedeutsam, dass die Pflanzen für den Orientalen nicht als Lebewesen galten.

Selbstverständlich wusste der Autor der Schöpfungserzählung, dass es nie eine Welt gegeben hat, in der ein Löwe kein Fleisch gefressen hat. Die Schöpfungserzählung wird in der Sintflutgeschichte weitergeführt. Als Ursache für die Flut wird die Gewalt aller Lebewesen angeführt15. Am Ende der Flut wird dem Menschen auch das Essen von Fleisch erlaubt, weil der Mensch sich durch die Flut nicht gebessert hat. Die Tiere werden geschützt, indem Angst und Schrecken vom Menschen ausgehen und die Tiere vor ihm fliehen16.

Die Schöpfung, wie sie sich entwickelt hat, ist anders, als Gott sie gewollt hat. Das Ziel ist klar vorgegeben: Die Welt soll keine Welt voller Gewalt sein. Die Gewalt soll überwunden werden. Hier setzt dann die Heilsgeschichte an, die mit Abraham beginnt. Das Ziel ist erreicht, wenn das Kind am Schlupfloch der Natter spielt und von der Giftschlange keine Gefahr ausgeht.17

4. Gott schuf den Menschen als Mann und Frau (V27).

Der Mensch ist als geschlechtliches Wesen geschaffen, welches auch untereinander in Beziehung lebt. Dieser Gedanke wird hier nur kurz als Tatsache benannt, in der Menschenschöpfungsgeschichte dann aber breiter entfaltet.

5. Der Mensch erhält einen Herrschaftsauftrag über alle Tiere in der Luft, im Wasser und auf dem Land (V26 und V28).

Wenn der Mensch ein Ebenbild des Schöpfergottes ist, wenn der Mensch in einem Lebenshaus lebt, in dem keiner auf Kosten eines anderen lebt, dann ist der Herrschaftsauftrag des Menschen klar definiert: In ihm und in seinem Wirken soll Gott erkennbar werden, der ein Gott des Lebens ist. Seine Aufgabe ist es, dieses Lebenshaus zu pflegen und zu hegen.

Die Natur, das Tier und der Mensch waren immer schon lebensbedrohlich und voller Gewalt. Mittlerweile hat der Mensch die Natur gezähmt, aber wurde gleichzeitig zur größten Gefahr für die Umwelt. Die Schöpfungserzählung gibt hier eine klare Stoßrichtung vor, wenn sie für alle Menschen den Herrschaftsauftrag als einen Auftrag zum Erhalt und zur Pflege der Schöpfung definiert.

6. Die Bewertung am Ende betrifft nicht nur den Menschen, sondern die gesamte Schöpfung: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“18

In der Schöpfungserzählung werden die einzelnen Werke als gut bezeichnet.19 Der Mensch wird niemals in sich als gut bezeichnet. Bewertet wird am Ende des 6. Tages das gesamte Schöpfungswerk einschließlich des Menschen. Das Schöpfungswerk als Ganzes wird als „sehr gut“ bezeichnet. Der Mensch ist hier in die Schöpfung integriert. In diesem Lebenshaus, in dem Platz für alle Lebewesen ist, um sich zu vermehren und in ihrem Lebensraum zu wimmeln, ist der Platz und der Auftrag des Menschen nur dann möglich, wenn der Mensch ein integrierter Teil der Schöpfung ist.

Damit ist klar geworden: Wir haben es bei Gen. 1,1–2,4a nicht mit einem Schöpfungsbericht zu tun, der berichten will, wie die Welt entstanden ist, sondern mit einer Schöpfungserzählung oder einem Schöpfungshymnus, der den Beginn der Welt in Gott sieht. Die Welt ist als Lebenshaus für alle Lebewesen von Gott gewollt und der Mensch ist in dieses Haus als Teil integriert. Dabei aber hat der Mensch einen Herrschaftsauftrag, der durch die Ebenbildlichkeit mit Gott und durch die Nahrungsverteilung eindeutig als Pflegeauftrag verstanden werden muss. Das wird noch einmal durch den 7. Tag unterstrichen.

Gleichzeitig wird aber auch klar, dass der Mensch weder früher noch heute diesem Auftrag gerecht geworden ist. Die Schöpfungserzählung gibt dabei eine eindeutige Richtung vor, die jeden Menschen, der sich für das Wohl der gesamten Schöpfung einsetzt, unterstützt und ihm Mut zuspricht.

Der 7. Tag20

Die gesamte Schöpfungserzählung läuft auf den 7. Tag hinaus. Hier findet die Erzählung ihr Ziel und ihren Höhepunkt. Die Beschreibung dieses Tages enthält zwei Kernaussagen:

1. Gott vollendete den Himmel und die Erde, indem er aufhörte.21

Mit diesem Vers gibt es eine Zäsur. Die Schöpfung ist abgeschlossen, vollendet und als Ganzes sehr gut.

Alle Grundlagen, die für das Leben erforderlich sind, sind von Gott gelegt.

V2–3 muss übersetzt werden mit: Gott hörte auf mit all seiner Arbeit (V2–3), „das Verbum šābat, das PG in Gen. 2,2–3 zweimal verwendet, meint weder ,feiern‘ im Sinne von ,ein Fest feiern‘, ,Sabbat halten‘, noch meint es ,ausruhen, sich erholen, aufatmen‘, sondern es meint zunächst einfach nur ,aufhören mit‘.“22

Aber damit ist die Schöpfung noch nicht an ihr Ziel gekommen, denn der Mensch beginnt nun sein Schöpfungswerk. Der 7. Tag ist, im Unterschied zu allen Tagen vorher, nicht abgeschlossen, denn es fehlt die abschließende Formel, die alle anderen Tage abschließt: „Es wurde Abend und es wurde Morgen: ein (zweiter, dritter, vierter, fünfter, sechster) Tag.“23 Die Schöpfungsgeschichte hat ein offenes Ende.

2. Gott segnete den 7. Tag, indem er ihn heiligte.24