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Amelia ist die Königin von Pangea und die letzte ihrer Blutlinie. Als sie jedoch erfährt, wer der Mörder ihrer Familie ist, steht sie vor dem Abgrund der Verdammnis. Auf ihrer Reise muss sie sich ihrem Schicksal stellen und beschließt um die Krone zu kämpfen. Während ihrer Gefangenschaft in ihrem eigenen Schloss lernt sie den Söldner Cole Windsor kennen, der sie bei ihrem riskanten Plan, wieder an die Macht zu kommen, unterstützt. Was muss Amelia opfern um ihr Ziel zu erreichen? Wird sie verlieren oder gewinnen?
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel „Und ich fiel“ von K. Josef.
Dieses Werk ist eine Fiktion.
Namen, Figuren und Orte sind entweder aus der
Vorstellung des Autors entsprungen oder sind fiktiv und Ähnlichkeiten mit realen Personen tot oder lebendig sind rein zufällig und ohne direkte Intention.
Texte: © Copyright by Kinaura Josef
Umschlaggestaltung: © Copyright by Anna Boldt
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Für alle die da waren und noch kommen werden.
1
Es gab ein mal sechs von uns.
Jetzt bin ich alleine. Alleine zwischen den eiskalten Mauern des Schlosses, welches einst Vater gehörte. Dieser Ort war mal warm und einladend, doch nun ist er unter einer düsteren Wolke verschwunden. Die langen Gänge, die einst mit Gelächter und Freude gefüllt waren, waren jetzt leer und stumm.
Schlaflose Nächte plagten mich, denn ich wusste genau, was mit ihnen geschehen war. Mir konnte keiner einreden, dass meine fünf Schwestern auf natürlichem Wege gestorben waren. Sie wurden nacheinander brutal ermordet und ich wusste, ich war die nächste und die letzte.
„Eure Majestät, der Landwirtschaftsminister erwartet Sie im Konferenzsaal“, teilte mir Jonathan durch die Tür mit, nachdem er einmal gegen die Tür meines Büros geklopft hatte. Ich stand auf und Strich den Stoff meines grünen Seidenkleides glatt und begab mich zum Ausgang.
Als ich die Tür öffnete stand Jonathan an der Seite. Er begleitete mich zum Konferenzsaal, wo Lord Bringston schon ungeduldig auf mich wartete.
„Ich bitte um Verzeihung, sie warten gelassen zu haben. Bitte nehmen sie Platz.“
,,Vielen Dank, eure Majestät.“
Ich ging um den runden Tisch herum und setzte mich auf den angehobenen Stuhl.
„Gehen die Vorbereitungen für die Anlegung der Winterspeicher voran?“
Lord Bringston lehnte sich ein wenig vor und faltete seine Hände ineinander.
„Nur mühsam, eure Majestät. Die Ernte war schlecht und das Volk wird hungern müssen. Es sind einfach zu viele, eure Majestät“
Seitdem sie angefangen haben meine Familie Stück für Stück auszulöschen, ging es auch den Bürgern sehr schlecht.
„Was schlagen sie vor, Lord Bringston? Sollen wir sie verhungern lassen? Ist das wirklich eure Absicht?“
Der Landwirtschaftsminister holte hörbar tief Luft und massierte seinen Nasenrücken.
„Ich möchte nicht unhöflich wirken eure Majestät, doch der Winter wird eine schwere Zeit mit sich bringen. Ihr Volk wird erheblich darunter leiden, wenn eure Majestät nichts unternimmt.“
Ich faltete meine Hände zusammen und stützte meinen Kopf leicht ab. Die Strahlen der untergehenden Sonne leuchteten durch die langen Fenster und tauchten den Saal in ein warmes Licht ein.
„Finden sie eine Lösung. Rationiert die Lebensmittel, wenn es sein muss.“
Der Lord nickte und bedankte sich.
„Wenn es nichts Weiteres gibt.“, sagte ich und stand auf. Ich nickte Bringston noch einmal zu und er verbeugte sich, nachdem ich zur Tür hinaus getreten war.
Die königlichen Geschäfte waren schwer für mich. Sie häuften sich an und es war mir unmöglich alles auf einmal zu erledigen. Früher teilten wir uns die Aufgaben. Wir waren sechs Schwestern und ich war die jüngste und hatte noch viel zu lernen, doch meine Schwestern, meine einzige Familie, erloschen nacheinander wie die Flamme einer Kerze. Als nur noch ich da war stand mir Earl Jasaiah Black zur Seite, ein guter Freund meines Vaters. Der Earl brachte mir alles bei, was ich in meinen jungen 19 Jahren nicht erlernt hatte.
Eine Dienerin verbeugte sich, als ich sie auf dem Flur zu meinem Gemach begegnete.
„Könntest du Margaret sagen, sie solle mir ein Bad einlassen?“
„Natürlich eure Majestät.“, sagte sie und machte sich auf den Weg. Ich wurde so erzogen anderen gegenüber höflich und freundlich zu sein, egal was sie für einen Stand hatten. Dazu gehörten auch die Bediensteten.
Margaret füllte die Wanne mit heißem Wasser. Der Dampf stieg hoch bis zur Decke und machte die Luft feucht. „Welches Öl soll ich hineingeben eure Majestät?“, fragte sie und riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte auf das kleine Tablett mit den schwungvoll geformten Flaschen. „Lavendel, bitte“
Die Dienerin öffnete die violette Flasche und gab ein, zwei Tropfen in das nun warme Wasser. Ich schnürte meine Schuhe auf und legte sie neben die Tür und als ich die Knöpfe meines Kleides öffnete, eilte sie mir zu Hilfe. „Ist schon gut Margaret, ich werde mich selber ausziehen. Du kannst nun gehen.“, ordnete ich an und sie schritt zur Tür, nachdem sie sich kurz verbeugte.
Ich nutzte jede kleine Sekunde aus, um allein zu sein. Nur ich und meine Gedanken.
Nachdem ich aus dem Gewand geschlüpft war, drehte ich mich zum Spiegel um.
Nackte, bleiche Haut, die nicht meine war. Ich fühlte mich fremd in meinem eigenen Leibe. So fremd in meinem eigenen Haus. So lange hat keiner meine Namen gesagt, dass ich schon vergaß, wie ich hieß. Ich hatte keine Macht über mein eigenes Sein. Ich gehörte mir nicht denn ich war eine Figur wie die im Schach. Ich gehörte dem Volk, dem Land, doch keineswegs mir selbst. Ich wandte mich von meinem fremden Spiegelbild ab und stieg in das warme Wasser und sank und sank und sank.
Der laute Schlag der großen Glocke riss mich aus meinem Schlaf. Die Alarmglocke.
Ich schob die schweren Laken bei Seite und eilte zum Fenster. Auf dem Hof war es unruhig. Die Soldaten rüsteten sich aus. Pangea wurde angegriffen, dachte ich. Ein Schauder lief mir den Rücken hinunter. Es klopfte an die Tür. „Herein!“
Earl Black riss die Tür auf. Er sah ruhig aus, doch in seinen Augen schimmerte ein Feuer der Unruhe. „Eure Majestät, wir müssen euch in Sicherheit bringen.“
Ich schnitt ihm ins Wort, bevor er noch weiter reden konnte. „Von wem werden wir angegriffen?“
Ich warf mir einen Morgenmantel über und eilte mit ihm den Gang hinunter.
Die Waffen der Leibwächter ratterten gegen ihre Rüstungen.
„Es gibt Aufstände in der Stadt, eure Majestät.“, antwortete der Earl schwer atmend von dem Aufruhr. Ich guckte ihn fragend an, nachdem wir die großen Treppen hinauf stiegen. „Das Volk hungert, eure Majestät. Sie finden keine Arbeit und können ihre Familien nicht mehr ernähren.“
Mir wurde warm ums Herz, bei dem Gedanken, dass sich der Earl so sehr um das Volk sorgte.
General Moore erreichte uns auf halben Wege.
„Eure Majestät. Earl Black.“, grüßte sie uns. Sie hatte ihre blonden Haare in einem festen Knoten am Hinterkopf gebunden.
„Wie lauten die Befehle, eure Majestät?“
Ich wollte nur raus aus diesem Schlamassel. Ich konnte diese Bürde nicht tragen. Eine Hungersnot die wir nicht bekämpfen konnten. Die Ernte war schlecht und der Palast hatte nicht einmal genug für sich selbst.
„Versucht die Aufstände zu stoppen. Wir werden eine Lösung finden.“, befahl ich.
„Jawohl, Majestät!“, sagte General Moore und machte sich auf dem Weg. Eine bemerkenswerte Frau, dachte ich. Ich ging mit Earl Black in den Thronsaal. Die Lordschaften erwarteten uns schon und verstummten, als ich mit dem Earl hinein trat. „Eure Majestät, was gedenkt ihr zu tun? Wir können nicht den ganzen Winter mit diesem geringen Bestand an Vorrat überleben!“
Ich begab mich zum Thron und setzte mich auf das weiche Samtkissen. „Dann hört auf diese ganzen unnötigen Feste zu feiern! Der Adel verschwendet Unmengen an Lebensmittel. Davon könnte das Volk mehrere Wochen überleben.“
Empörung breitete sich im Saal aus. „Wie könnt ihr es wagen!“, rief jemand. „Unerhört!“ Irgendjemand sprach von irgendeinem Recht und mir wurde es zu viel. Mein unterbrochener Schlaf machte sich bemerkbar.
„Dann schlagt etwas besseres vor!“, schrie ich laut in die Menge. Die Lords verstummten.
Der Lord von Arden trat hervor. Seine knochige Nase warf einen Schatten auf sein faltiges Gesicht. „Wie ich gehört habe, eure Majestät, war die Ernte von Silur sehr gut. Vielleicht könnt ihr einen Handel mit ihnen eingehen.“
Silur grenzte nördlich an Pangea an. Ich hatte es immer vermieden Geschäfte mit dem siluranischen König zu machen. Er war unberechenbar und ich wusste nie weshalb er so abneigend zu meiner Familie war.
„Er würde niemals einwilligen, Lord Arden. Auch wenn ich ihm eine große Summe an Geld anbieten würde.“
„Ist seine Gemahlin nicht vor einem Jahr verstorben?“, fragte ein anderer Lord. Meine Brauen zogen sich zusammen, denn ich verstand nicht weshalb es relevant sei.
„Ja genau! Eine Heirat würde den Handel besiegeln und die Probleme wären gelöst, eure Majestät.“
Mir fehlten die Worte und ich guckte flüchtig zu Earl Black, welcher den Lord eindringlich anguckte. „Die Königin wird sich nicht für etwas erbärmliches verkaufen! Habt ihr denn keine Würde?!“, fuhr er ihn an.
Ich konnte mir nicht vorstellen mit einem alten König verheiratet zu sein und schon gar nicht König Lornus von Silur. Der alte Narr. Doch mir blieb nichts anderes übrig. Eine Königin muss Opfer bringen um das Wohl und die Sicherheit ihres Volkes zu garantieren.
„Dann schickt ihm eine Nachricht.“, befahl ich. „Wir müssen irgendwie diese Krise überleben.“
Die Lords verließen zufrieden den Thronsaal und ich erwartete eine Tadel von Earl Black, doch er schien ruhig zu sein.
„Es ist das Richtige.“, murmelte ich und wollte mich in mein Büro zurückziehen, als Earl Black mich aufhielt.
„Die Königin muss beschützt werden. Begleitet sie zum Turm hinauf.“, ordnete er an.
Ich drehte mich zu ihm um und hielt meinen Kopf gerade. „Ich werde mich nicht verstecken und zusehen, wie mein Volk hungert, Earl Black.“
„Eure Majestät, es ist zu eurem eigenen Schutz -“
„Ich werde an der Seite meines Volkes stehen. Ich werde mich nicht hilflos in eine Kammer verkriechen. In diesen schweren Zeiten brauchen sie mich mehr als je zuvor!“, erwiderte ich.
Er ballte seine Hände zu Fäusten und hob seine Stimme gegen mich. „Königin Amelia, ihr werdet dem Volk nichts nützen wenn ihr tot seid!“
Ich kniff meine Augen zusammen. Meine Glieder spannten sich an und ich trat ihm einen Schritt näher. Er war zwar älter, doch ich ließ mich nicht kleinkriegen.
„Ich bin eure Königin! Ihr werdet mir wohl euren Respekt zeigen!“
Er atmete hörbar aus. „Ich versuche gerade euer Leben zu retten. Wir werden später sehen wer, was verdient.“, sagte er zum Schluss und zeigte den Leibwächtern eine Hand Geste.
Sie führten mich ab. Es fühlte sich an, als wäre ich eine Gefangene die in einen Kerker gebracht wurde. Sie führten mich hoch in die Spitze des Schlosses und verriegelten die Tür.
Die gelbe Farbe des kreisrunden Raums blätterte schon von den Wänden ab. Niemand kam hierher. Niemals.
Ich strich mit meinem Finger über die mit Staub überdeckte Kommode und blies den grauen Staub von meinem Finger. Dieser Raum war anders als die anderen. Mann könnte schon fast sagen, dass es altmodisch eingerichtet war.
Es gab nur ein einziges Fenster in diesem Zimmer, welches mir eine Aussicht auf den ganzen Hof verschaffte.
Nun saß ich im Turm ohne etwas zu unternehmen. Die Männer und Frauen die um ihr Leben kämpften waren in meinem Kopf. Ich hörte Kriegsrufe die nicht existierten, Schreie die nicht da waren, Bilder die ich mir nicht ausmalen konnte.
Ich zog den Morgenmantel enger an meinen Körper. Der Himmel war in der Nacht so klar, dass man die Sterne hätte zählen können. Der Mond schien hell in den Turm hinein und hüllte mich in seinem kühlen Licht ein.
Ich setze mich auf das weiche Bett, unwissend was ich nun anstellen sollte. Es war ruhig. Viel zu ruhig. Es machte mich verrückt. Ich stand wieder auf, ging umher, stellte mich an das Fenster und legte mich wieder auf das Bett. Ehe ich mich versah, schlossen sich meine Augenlider und ich schlief. Ich schlief während mein Reich kämpfte.
Als ich wach wurde, stand ein Glas Wasser und ein kleines Frühstück auf dem Nachttisch. Ich öffnete das Fenster und atmete die frische Herbstluft ein. Es roch nach Laub und Regen und Feuer. Fast so, als wäre nichts ausgebrochen. Ich trank und aß mein Frühstück und wollte gerade die Tür öffnen, als ich sie verschlossen vorfand.
Ich versuchte es noch einmal, doch sie ließ sich nicht öffnen. Ich klopfte viele Male gegen die Holztür, doch keiner hörte mich.
„Ich befehle euch diese Tür zu öffnen!“, rief ich, doch von draußen kam kein Mucks.
Sie hatten mich hier oben eingesperrt. Ich bekam plötzlich keine Luft mehr. Meine Lungen waren zugeschnürt. Mein Herz bebte. Ich blickte um mich herum. Hier musste es doch einen Ausweg geben. Earl Black wollte nur meinen Schutz, doch er hatte kein Recht mich einzusperren. Ich war seine Königin und er hatte mir zu gehorchen.
Ich wollte noch einmal aus dem Fenster schauen, doch die Höhe brachte mir die Übelkeit. Ich hatte keine Höhenangst. Das wusste ich, denn ich kletterte als Kind auf die hohen Bäume im Schlossgarten. Doch nun machte mir die Höhe des Turms große Angst. Die Festung ragte fast bis zu den Wolken hoch und von oben sah alles winzig und surreal aus.
Geschrei ertönte aus dem Hof und ich wagte es noch einmal hinaus zu blicken. Menschen versammelten sich um ein Podest. Sie wurden immer mehr. So viele, dass ich sie nicht mehr zählen konnte. Überall standen Soldaten. Die Lords und darunter auch die Generalin hatten einen Ehrenplatz auf dem Podest.
Was war passiert? Was hatten sie vor? Die Menge verbeugte sich, als Earl Black erschien. Er machte eine Handgeste und die Menge verstummte.
„Ein Krieg ist ausgebrochen!“, fing er an. „Ein Krieg gegen den Hunger. Ein Hunger, den wir stillen wollen. In dieser harten Zeit, haben wir die einzige Hoffnung verloren, die wir hatten." Er machte eine Pause. "Die Königin."
Die Menschen wurden lauter.
Verloren? Ich wollte hinaus und mich zeigen. Ich wollte schreien: Schaut! Hier bin ich! Ich wollte ihnen zeigen, dass ich an ihrer Seite stand.
„Königin Amelia Torosian, die letzte, die wir hatten hat uns im Stich gelassen. Sie hat uns zurück gelassen um sich selbst zu retten.“, fuhr er fort. „Sie verließ uns um ihren Pflichten zu entweichen!“
Tränen stiegen mir in die Augen. Wie konnte er das nur sagen? Er hatte mich hier oben eingesperrt. Er war doch mein Verbündeter.
Dann traf es mich, wie ein Steinschlag.
Ich wusste, der Tag würde kommen. Ich würde den Weg meiner Schwestern gehen. Ich wusste, dass es so war. Das war mein Todesurteil.
Meine Beine gaben unter mir nach und ich fiel auf den Boden. Ich schlang meine Arme um meinen zitternden Körper. Sie werden mich umbringen. Ich hörte und sah nichts mehr. Ich schmeckte und fühlte nichts mehr. Eine graue Wolke verdeckte den Sonnenschein.
Ich zuckte auf, als sich die Tür plötzlich öffnete. Der, der einst mein Verbündeter war, stand nun vor mir.
„Ihr.“, sagte ich zittrig. Er kniete sich zu mir nieder. Ein schauriges Lächeln umspielte seine dünnen Lippen. „Eure Zeit ist vorbei, meine Königin.“
Mein Körper spannte sich an. Ich hätte am liebsten zugeschlagen, doch ich war wie versteinert. Meine Glieder waren eiskalt.
„Ihr hab sie ermordet. Ihr… ihr habt meine Familie umgebracht! Das einzige was ich hatte, habt ihr mir weggenommen.“
Earl Black fing an zu lachen und stand wieder auf. Er sah auf mich hinunter. „Euer Blut hatte den Thron schon lange genug besudelt. Es wird Zeit für einen Wechsel. Aber habt keine Angst, Amelia. Ich werde ein guter König sein. Nicht so leichtherzig und erbärmlich wie eurer Vater.“
Ich stand mit wackligen Beinen auf und ballte meine Hände zu Fäusten. Meine Brust brannte. Das Blut kochte in mir. „Mein Vater war ein guter König. Er hatte euch vertraut!“, warf ich ihm vor. „Ich habe euch vertraut!“ Jesaiah Black trat mir näher und legte beide Hände auf meine Schultern.
„Ich könnte euch am Leben lassen.“ Er strich mit seinem Daumen über meine Wange und strich die dicken Tränen weg.
„Tötet mich, wenn ihr müsst, doch ich werde nicht vor einem König knien, dessen Krone mit den Diamanten aller Leben geschmückt ist, die er beendete.“
Seine Augen verdunkelten sich. „Bringt sie in eine Zelle!“, befahl er. Die Soldaten rührten sich nicht. „Das war ein Befehl!“, rief er und die Männer in den dunklen Rüstungen packten mich an den Armen und brachten mich davon.
„Ihr müsst das nicht tun. Noch bin ich Königin.“, flüsterte ich den Soldaten zu. „Habt ihr denn vergessen wer euch von den Straßen geholt hat und euch ein Bett und Essen gegeben hat?“
Stille.
„Es tut mir Leid, eure Majestät.“, sagte einer der beiden, bevor sie die Tür vor mir verschlossen.
Ich setzte mich auf den kalten Boden und starrte gegen die graue Wand. Es gab nur ein kleines Loch hoch oben in der Mauer, welches mit vertikalen Stangen gesichert war. Meine Füße schmerzten vor Kälte. Ich verkroch mich in eine Ecke und vergrub mein Gesicht in meinem Schoß.
Weshalb tötete er mich nicht einfach, fragte ich mich. Jesaiah Black schien immer ein guter verbündeter und Freund zu sein. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass er der Mörder meiner Geschwister war. Die guten Erinnerungen verpufften in der Luft. Sie gingen weit, weit weg und verschwanden in der Dunkelheit.
In meiner Kindheit war er immer da. Er stand immer an der Seite meines Vaters und er hatte ihn wie einen Sohn behandelt. Nachdem er verstorben war, kümmerte er sich um die Geschäfte und unterstützte meine älteste Schwester, Virginia. Wir standen alle Seite an Seite und herrschten über das geliebte Land unseres Vaters.
Königin Mutter war eine wunderschöne Frau. Jedenfalls erzählten sie mir das. Sie war bei meiner Geburt verstorben. Meine Schwestern erzählten mir, dass das ganze Volk über sie trauerte. Ich gab mir immer die Schuld für ihren Tod. Wäre ich nicht geboren worden, wäre sie jetzt noch am Leben. Ich hörte nie auf mir Vorwürfe zu machen.
Ihr Gemälde hing an der Wand auf dem Flur zum Thronsaal. Meine älteste Schwester sah ihr am ähnlichsten. Dunkles, geflochtenes Haar und strahlende, blaue Augen. Ich hatte mir das Gemälde so oft angeschaut, dass ich es fast hätte selber malen können.
Ich habe ihre Geschichten gehört. Sie stand immer an der Seite meines Vaters und herrschte mit ihm. Sie war die barmherzige Königin Elissa.
Ich habe es versucht. Ich habe versucht so zu sein wie sie, doch ich scheiterte. Ich könnte niemals so sein wie meine Mutter. Ich war alleine in der Dunkelheit. Ich lies mein Volk im Stich und nun wird ein anderer König unseren Platz einnehmen. Ein König der Lügen. Ein Mann der Täuschung. Der Teufel in Person.
Ein Rascheln raubte meine Aufmerksamkeit. Ich guckte umher. Nichts auffälliges. Es raschelte wieder. Eine Ratte. Ich sprang auf.
Wenn ich hier nicht aus Kälte sterben würde, dann aus mangelnder Hygiene. Ich wusste wie dieser Ort hier war, obwohl ich nur selten hinunter ging. Aus diesem Grund sperrte ich nur selten Kriminelle hier ein.
Die Ratte verschwand, doch bevor ich mich wieder auf das Stroh setzen konnte, erschien der Schatten einer kleinen Gestalt an der Wand. Der Schatten kam immer näher und näher. Für eine kurze Zeit hatte ich vergessen zu atmen. Ich konnte nicht blinzeln, denn wenn ich es tat, würden sich meine Augen nie wieder öffnen. Die Zeit war gekommen. Er kam, um mich umzubringen.
Ich hörte kleine Schritte, die immer lauter wurden. Dann wurde alles still. Ich wagte es nicht mich zu rühren. „Wer, wer ist da?“, stotterte ich. Für eine Weile erhielt ich keine Antwort und dann hörte ich nur ein kleines „Psst“. Ich versuchte am Gitter etwas tiefer hinein zu lauschen. Schon wieder ein „Psst.“
Ich erblickte in einer kleinen Ecke, weit entfernt von den Lampen an den Wänden zwei schimmernde Augen.
Aus der kleinen dunklen Ecke, kam ein kleiner Junge hervor. Er schaute sich kurz um und rannte zu meiner Zelle. „Milo?“, fragte ich. „Was machst du denn hier?“
Ich kannte den kleinen Jungen nur zu gut. Er war der Sohn von Susanna, einer Bediensteten.
„Eure Majestät!“, flüsterte der kleine. „Ich habe gesehen, wie ihr von den Soldaten abgeführt worden seid. Wieso machen sie so etwas? Ihr seid doch die Königin!“
Ich schenkte dem Jungen ein Lächeln, doch meine Augen fühlten sich schwer und träge an.
„Ich weiß es nicht, kleiner. Ich weiß es nicht.“
Seine einst strahlenden Augen verdunkelten sich. „Eure Majestät, das dürft ihr doch nicht zulassen!“
„Du musst flüstern, sonst entdecken dich die Wachen. Nun geh wieder nach oben und lass dich nicht erwischen.“, sagte ich. Ich wusste nicht genau ob dieses Kind mir Hoffnung machte. Es gab vielleicht eine klitzekleine Chance. Ein Funken Hoffnung in der Dunkelheit.
Ich vergaß Zeit und Raum, doch einmal bekam ich ein Stück trockenes Brot und eine kalte Suppe. Vielleicht war es Mittag, vielleicht auch nicht. Das Essen, wenn es überhaupt Essen war, war ungenießbar.
Irgendwann konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ich verlor die Kontrolle über mich selbst. Die Tränen strömten nur aus meinen Augen raus über meine Wangen und Hände. Ein lauter Seufzer verließ meine Lippen. Mein schwacher Körper zitterte. Ich war nur eine erbärmliche Gestalt in einem Kerker eines erbärmlichen Schlosses, die ein erbärmliches Leben führte. Mein Herz schmerzte so sehr in meiner Brust, ich hätte es herausreißen können. Meine langen, dunklen Strähnen verfingen sich in meinen Zittrigen Händen und sogen sich mit meinen Tränen voll.
Genau in diesem Zeitpunkt wollte ich zurück. Zurück, als die Welt noch heile war. Zurück an den Ort der Hoffnung und Freude. Wo Gestern und Morgen keine Rolle spielten. Ich wollte wieder ein Kind sein ohne große Pflichten, ohne Mord und Tod. Ich wollte diesen Schmerz nicht mehr spüren. Nur der auf meinen aufgeschürften Knien, wenn ich mal von der Schaukel am Kirschbaum fiel. Ich wollte wieder die warmen Umarmungen meines Vaters fühlen und das Lachen meiner Schwestern hören. Ich wollte wieder ein Kind sein und vom Winde getrieben werden.
Mein Kopf schmerzte und ich hatte Durst, doch ich schlief vor Erschöpfung ein und als ich aufwachte, war es fast stockdunkel. Nur die Lichter auf dem Flur leuchteten schwach. Durch das kleine Fenster in meiner Zelle schien fast kein Mondlicht durch. Mir war kalt und meine Lippen fühlten sich trocken an. Ich versuchte aufzustehen um mich ein wenig zu bewegen. Ich stand wackelig auf den Beinen und griff nach der Mauer um mich zu halten.
Ich ging eine Weile im Kreis herum und blieb an der Gittertür stehen. Die Stäbe schmiegten sich kühl gegen meine Arme. Ich blickte in den dunklen Flur und zu den immer schwächer werdenden Lampen. Ein Weg. Ein einziger Weg.
5
Ich wusste nicht wie lange ich schon hier unten war. Wahrscheinlich zu lange. Ich redete mir ein, dass mich mein Volk vergessen hatte. Dass ich nur ein Staubkorn war und sehr bald weggewischt werden würde.
Ich hörte wieder Schritte und ich wollte hoffen, dass es wieder der kleine Milo war, doch stattdessen trottete ein Wachmann den Gang hinunter und schob mir unter die Gittertür ein Tablett mit Essen hin. Wieder Brot und Suppe. Ich war am verhungern und schlang die kalte Suppe hinunter. Alles schmeckte wunderbar, wenn man Hunger hatte. Man sagte der Hunger sei der beste Koch.
Als ich die kleine Schüssel wieder auf das Holztablett stellen wollte, fiel mir ein kleiner Zettel auf. Ich nahm ihn vom Tablett und öffnete ihn langsam.