Und plötzlich war der Krieg da Paul - Kindheit im Feuer - E. Gr - E-Book

Und plötzlich war der Krieg da Paul - Kindheit im Feuer E-Book

E. Gr

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Junge zwischen Trümmern und Hoffnung. Berlin, 1939: Für den zehnjährigen Paul verändert sich die Welt über Nacht. Was eben noch Kindheit war, wird plötzlich zu einem Überlebenskampf zwischen Bombenhagel, Angst und Sehnsucht. Inmitten von Zerstörung und Verlust lernt Paul, dass Freundschaft, Mut und kleine Lichtblicke stärker sein können als der Krieg. Eine bewegende Geschichte über das Erwachsenwerden in einer dunklen Zeit – authentisch, berührend und voller Hoffnung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Und plötzlich war der Krieg da

Paul - Kindheit im Feuer

Prolog

Und plötzlich war der Krieg da

Paul - Kindheit im Feuer

E.Gr

Impressum

Autor: Emilie Großmann

Gladiolenweg

38518 Gifhorn

Deutschland

Verantwortlich für den Inhalt nach § 55 Abs. 2 RStV:

E.Gr, 38518 Gifhorn, Deutschland

Dieses Werk wurde mit Unterstützung künstlicher Intelligenz erstellt.

Textunterstützung durch: ChatGPT (OpenAI)

(Bilder: keine KI-generierten Abbildungen verwendet.)

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig.

Prolog

Die Tage begannen früh und endeten spät, wenn sie überhaupt endeten. Über den zerbombten Straßen lag ein Himmel, der niemals ganz blau wurde – nur verschiedene Schattierungen von Grau, wie ein endloser Schleier über einer Stadt, die kaum noch atmete.Für uns Kinder war der Krieg kein ferner Donner, sondern tägliche Wirklichkeit. Er versteckte sich nicht hinter Zeitungszeilen oder Radiostimmen – er war da, in jedem Atemzug, in jedem Blick, in jedem Schritt durch die zerstörten Gassen.Wir wuchsen schneller, als wir wollten. Wir lernten zu schweigen, wenn die Erwachsenen flüsterten. Wir lernten zu laufen, wenn die Sirenen heulten. Wir lernten zu hoffen – auch wenn das Hoffen manchmal mehr Mut kostete als das Fürchten.

Mein Name ist Paul.

Ich war zehn Jahre alt, als ich begann, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Augen, die in den rauchverhangenen Himmel blickten und sich dennoch weigerten, die Hoffnung aufzugeben.

Denn selbst in der dunkelsten Stunde glaubte ein Teil von mir, dass etwas bleiben würde: ein Lachen, eine Freundschaft, ein Versprechen.

Dass der Krieg nicht alles nehmen konnte.

Dies ist meine Geschichte.Die Geschichte eines Jungen unter dem grauen Himmel – und seiner Suche nach Licht.

Kapitel 1

September1939 – Der Tag, an

dem alles begann

Ich saß am Fenster und starrte nach draußen. Es war ein ganz normaler Morgen, ein bisschen kühl, aber nicht zu schlimm. Die Vögel zwitscherten, und die Straßenbahnen fuhren wie immer ihre Runden. Irgendwo in der Ferne hörte ich das Bellen eines Hundes. Die Welt schien genauso zu sein wie gestern. Aber etwas war anders. Es lag etwas in der Luft, das ich nicht genau fassen konnte, aber ich spürte es. Etwas, das mir den Magen verkrampfte und meine Beine schwach machte.

„Paul, komm schon, wir müssen los!“ hörte ich meine Mutter rufen.

Ich drehte mich um und sah sie in der Küche stehen, ihren braunen Mantel in der Hand, der immer noch nach dem frischen Duft von Seife roch. Ihre Augen waren ein bisschen gerötet, als ob sie nicht gut geschlafen hätte, aber sie versuchte zu lächeln, als sie mich ansah. „Hast du deine Sachen?“

„Ja, Mama“, antwortete ich und zog mir schnell den Mantel über. Der war eigentlich viel zu groß für mich, und er hing immer ein bisschen schief, aber Mama bestand darauf, dass ich ihn anziehen sollte. „Wo ist Papa?“

„Er ist schon weg“, sagte sie, und ihre Stimme klang anders als sonst. Es war nicht dieses fröhliche „Komm, Paul, wir schaffen das!“, das sie sonst immer hatte. Es war, als ob sie sich selbst zur Ruhe reden musste.

Ich blinzelte und schüttelte den Kopf. Papa war immer derjenige, der mich zum Kaffeetrinken mitnahm, der mich auf den Schultern trug, wenn wir nach draußen gingen. Aber heute war er einfach fort. Es war merkwürdig, irgendwie leer. Und ich verstand nicht, warum.

„Warum ist er so früh gegangen?“, fragte ich noch einmal.

„Er hat viel zu tun“, antwortete sie, aber ihre Antwort klang so, als ob sie nicht so ganz sicher war, was sie mir eigentlich sagen wollte.

Ich ging zur Tür und spürte, wie der kalte Wind mich anblies, als wir die Wohnung verließen. Die Straße war wie immer voll. Menschen gingen schnell, redeten mit sich selbst oder liefen einfach stumm aneinander vorbei. Aber sie schauten nicht in die Gesichter der anderen. Alle waren in Eile, als ob sie es eilig hätten, an einen Ort zu kommen, den sie nicht einmal benennen konnten.

„Mama, warum sind alle so… komisch?“ fragte ich plötzlich, während wir die Treppe hinuntergingen.

„Weil… der Krieg ist jetzt ganz nah“, sagte sie leise. Ihre Hand griff meine, als sie die Haustür aufhielt, aber ihre Finger zitterten so, dass ich sie fast nicht spüren konnte.

Ich verstand immer noch nicht. Krieg? Was war das überhaupt? Niemand hatte mir gesagt, dass der Krieg direkt vor der Tür stand. Ich hatte immer nur von „dem Krieg“ gehört, aber es war nie etwas, was ich wirklich in meinem Leben spüren musste.

Als wir an der Straßenecke standen und auf die Straßenbahn warteten, drehte sich plötzlich eine alte Frau mit einem grauen Schal zu uns um. Sie hatte große, traurige Augen, und ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie verzogen.

„Seid ihr sicher, dass ihr draußen bleiben wollt?“ fragte sie mit rauer Stimme. „Es wird nicht mehr lange dauern. Bald wird alles anders.“

Mama nickte nur und zog mich etwas näher an sich. „Wir müssen zur Schule, es ist alles in Ordnung.“

Aber ich konnte es in ihrer Stimme hören, wie sehr sie versuchte, mir etwas vorzumachen. Ich war kein kleiner Junge mehr, der alles einfach so hinnahm. Etwas war anders.

In der Schule war es noch schlimmer. Die Lehrer, die uns sonst immer mit Geschichten und Matheaufgaben beschäftigten, redeten heute kaum. Es war fast, als ob sie selbst nicht wussten, was sie sagen sollten.

„Die Welt wird sich ändern, Kinder“, sagte unser Lehrer, Herr Müller, während er durch das Klassenzimmer ging und seine Brille zurechtrückte. „Wir müssen uns vorbereiten. Es ist ein harter Weg, der vor uns liegt.“ Aber keiner von uns verstand, was er meinte.

Ich sah aus dem Fenster und spürte, wie mir plötzlich warm und kalt zugleich wurde. Ich dachte an meinen Vater. Warum war er nicht da? Was, wenn er nicht mehr zurückkam? Die Vorstellung, ihn nie wiederzusehen, machte mir das Herz schwer.

„Paul, was ist los?“, flüsterte Clara plötzlich. Sie saß hinter mir und legte mir ihre Hand auf die Schulter. „Du siehst aus, als ob du was weißt, was wir nicht wissen.“

„Ich… ich weiß nicht“, sagte ich und schüttelte den Kopf. „Es ist einfach komisch heute.“

Sie zog ihre Knie an sich und starrte auf den Boden. „Ich weiß auch nicht, Paul. Aber ich habe irgendwie Angst.“

Clara war immer die Stärkere von uns beiden. Sie war 15 und wusste viel mehr als ich. Sie sprach nie viel über ihre Gefühle, aber heute war sie genauso besorgt wie ich. Ich wollte ihr sagen, dass alles gut werden würde, dass wir uns keine Sorgen machen müssten, aber ich wusste nicht, wie. Ich fühlte mich genauso verloren wie sie.

Am Nachmittag, als wir endlich nach Hause kamen, war es immer noch nicht wie sonst. Mama war da, aber sie war still, und ihr Gesicht war noch ernster als am Morgen. Ich fragte sie, ob sie wüsste, was mit Papa war, aber sie schüttelte nur den Kopf und sagte, er würde bald nach Hause kommen. Doch ihre Worte klangen leer, und ich wusste, dass sie nicht wirklich an das glaubte, was sie sagte.

Wir setzten uns am Küchentisch und aßen ein einfaches Abendessen – Brot, Butter und Marmelade. Aber es schmeckte nicht wie sonst. Es schmeckte bitter, und der Raum fühlte sich viel kleiner an, als er es in Wirklichkeit war.

„Was passiert, wenn der Krieg wirklich kommt?“, fragte ich plötzlich.

Mama sah mich an, und ihre Augen wurden feucht. Sie legte ihre Hand auf meine und sagte: „Es wird alles anders, mein Junge. Aber wir sind eine Familie. Wir bleiben zusammen, egal was passiert.“

Doch in ihrem Blick lag eine Sorge, die ich nicht deuten konnte. Und in meinem Magen zog sich alles zusammen, als ich an all die Geschichten dachte, die ich gehört hatte, die von „dem großen Krieg“ sprachen. War er wirklich schon so nah? Würde er uns verändern?

„Mama, wird Papa zurückkommen?“, fragte ich leise.

Sie antwortete nicht sofort. Ihre Hand zitterte, als sie meine streichelte, und für einen Moment fühlte ich mich sehr klein. „Ich hoffe es, Paul. Ich hoffe es.“

Ich wollte ihr glauben. Aber in meinem Herzen wusste ich, dass der Krieg nicht nur etwas auf den Zeitungen und in den Geschichten war. Er war jetzt da, er war real, und er würde alles verändern.

Kapitel 2

Der Klang der Sirenen

Die Wochen vergingen und die Welt um mich herum veränderte sich schneller, als ich begreifen konnte. Alles war irgendwie stiller. Die Menschen auf der Straße redeten leiser, sie sahen sich öfter um, als ob sie auf etwas warteten, aber sie wussten nicht genau, was. Es war, als ob Berlin den Atem anhielt – als ob jeder Moment der letzte sein könnte, in dem alles „normal“ war.

Ich hatte immer noch keine Ahnung, was „Krieg“ wirklich bedeutete. Ich hörte oft davon, aber es war wie ein Schatten in meinem Kopf, der sich einfach nicht greifbar machen ließ. Die Erwachsenen sprachen darüber, als ob es nur eine Frage der Zeit war, aber sie sagten nie genau, was passieren würde.

An einem Nachmittag, als ich von der Schule nach Hause kam, stand Clara schon an der Tür und wartete auf mich. Sie sah nicht aus wie sie selbst. Ihre Augen waren müde, und ihre Schultern hingen schlaff herunter, als ob sie etwas tragen musste, das zu schwer für sie war. Ich spürte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte.

„Was ist los?“, fragte ich, als ich die Wohnungstür öffnete. „Du siehst aus, als hättest du den ganzen Tag geweint.“

Clara drehte sich zu mir um und schüttelte den Kopf. „Es ist nichts, Paul. Ich bin nur… ich bin nur erschöpft.“

Aber ich wusste, dass es nicht nur Erschöpfung war. In ihren Augen war etwas anderes – etwas Dunkles, das sie versuchte zu verbergen. Sie war immer die Stärkere von uns beiden, aber heute wirkte sie genauso verloren wie ich.

„Was hast du gehört?“, fragte ich leise. Ich wollte nicht, dass Mama es hörte, weil ich wusste, dass sie mir wahrscheinlich nicht die Antwort geben würde, die ich suchte. Aber Clara konnte mir vielleicht etwas erklären.

„Die Lehrer haben uns heute in der Schule gesagt, dass wir uns auf etwas vorbereiten müssen“, sagte Clara. Sie holte tief Luft und schien mit den Worten zu kämpfen. „Es wird bald eine „Sonderübung“ geben. Die Stadt wird sich ändern, Paul. Wir müssen mit allem rechnen.“

Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Sonderübung? Was war das? Warum mussten wir uns vorbereiten? War das der Krieg? Wurde er wirklich kommen?

„Warum?“ stammelte ich. „Was ist das für eine Übung?“

„Ich weiß es nicht genau. Aber sie haben uns gesagt, dass wir uns ruhig verhalten sollen, keine Angst haben sollen…“ Clara schluckte schwer. „Es könnte bald alles anders sein, Paul. Und ich habe Angst, dass wir nicht mehr zurück können.“

Ich spürte ein komisches Ziehen in meiner Brust. Sie sagte, dass alles anders sein würde. Aber was genau hieß das? Und warum war es so schwierig, in ihrer Stimme eine Hoffnung zu hören? Ich wollte Clara sagen, dass wir alles gemeinsam durchstehen würden, dass wir uns keine Sorgen machen sollten. Aber ich wusste, dass sie das von mir nicht hören wollte. Und ich wusste auch, dass ich selbst keine Antwort hatte.

Wir saßen lange zusammen im Wohnzimmer und starrten nach draußen, während die Sonne langsam hinter den Gebäuden verschwand. Das übliche Stimmengewirr der Straßenbahn, das Rattern der Räder und das Lachen von Kindern waren immer noch da, aber irgendwie fühlte sich alles weit entfernt an. Wie in einem alten, schwarzen Film, bei dem du nie genau sagen kannst, ob die Farben echt oder nur ein verschwommener Schatten sind.

Mama kam nach Hause, und als sie uns sah, lächelte sie, aber das Lächeln hatte keinen Glanz mehr. Es war müde und schwer. „Habt ihr euch nicht nach draußen gewagt? Es ist noch schön da.“ Ihre Worte waren wie ein Versuch, uns etwas zu geben, das sie selbst nicht wirklich fühlte.

Ich wusste, dass sie sich nicht mehr so sicher war wie früher. Sie sprach oft von den Nachrichten und den Besprechungen, die sie mit den Nachbarn hatte. Alle redeten über die „Bombenschutzmaßnahmen“, die „Notfallpläne“, aber niemand erklärte, was das wirklich bedeuten würde.

An diesem Abend saßen wir zusammen zu Abend, aber das Essen schmeckte nicht wie früher. Es gab das übliche Brot, ein bisschen Wurst und ein paar Kartoffeln, aber niemand war hungrig. Nicht wirklich.

„Papa ist immer noch nicht da“, murmelte ich und sah auf meinen Teller.

Mama legte ihre Hand auf meine und schaute mich mit einem Blick an, der mir die Kehle zuschnürte. „Er muss arbeiten, Paul. Er kommt bald nach Hause.“

Aber ihre Stimme zitterte so leicht, dass ich es kaum ertragen konnte. Was wusste sie, das sie mir nicht sagte? Warum war Papa so oft weg? Warum sprach niemand mehr darüber?

Plötzlich hörte ich ein Geräusch, das mein Herz fast zum Stillstand brachte. Ein lautes, durchdringendes Sirenensignal. Es war die Luftschutzsirene.

Ich sprang auf, und Mama auch. Clara hatte sich ebenfalls erhoben, aber sie schien nicht zu wissen, was sie tun sollte. Ich starrte aus dem Fenster, doch ich konnte nichts sehen. Nur das Wummern der Sirene, das durch die Straßen von Berlin hallte.

„Schnell!“, rief Mama und griff nach meiner Hand. „Paul, du musst jetzt schnell in den Flur und den Keller. Mach schnell!“

Ich verstand nicht sofort, was passierte. Alles ging so schnell, dass ich keine Zeit hatte, Fragen zu stellen. Die Sirene heulte, und alles um mich herum schien sich in einen Albtraum zu verwandeln. Ich hörte die Schritte der Nachbarn, die in den Flur stürmten, die Türen, die aufschlugen, und die Stimmen, die schrien und versuchten, sich zu beruhigen. Aber ich spürte, wie das Angstgefühl in mir stieg.

„Was ist das, Mama?“, fragte ich, als sie mich in den Keller führte. „Warum müssen wir runtergehen?“

„Es ist die Sirene, Paul“, sagte sie, aber ihre Stimme klang nicht mehr sicher. „Es könnte bald passieren… der Krieg könnte wirklich kommen. Aber wir sind sicher hier unten.“

Ich hatte nie zuvor solche Angst verspürt. Als wir in den dunklen Keller gingen, konnte ich die feuchte Kühle der Wände auf meiner Haut spüren, aber der Raum fühlte sich eng an, wie ein Käfig. Ich hielt mich an Mama fest, und ihre Hand drückte so fest meine, dass es fast wehtat.

Clara stand am Fenster des Kellers und sah nach draußen. Ihre Augen waren leer. Sie wusste, dass wir hier unten waren, weil draußen eine andere Welt war. Eine Welt, die niemand wirklich kannte. Eine Welt, die von einem Krieg zerrissen werden würde. Und die Sirene, die in meinen Ohren heulte, ließ mich wissen, dass auch ich bald ein Teil davon sein würde.

Kapitel 3

Bunkerluft und Angst – Erlebnisse

im Luftschutzkeller

Es begann mit einem leisen Grollen, tief und weit entfernt.

Ich saß gerade am Küchentisch und spielte mit kleinen Holzwürfeln, die mir Vater vor seinem Abschied geschnitzt hatte. Ich sollte eigentlich lesen üben, aber meine Gedanken schweiften ständig ab.

Da vibrierte der Boden unter meinen Füßen, kaum spürbar, fast wie ein ferner Donner.

Ich blickte auf, erst irritiert, dann ängstlich.

Mama stand am Herd und rührte gedankenverloren in einem dünnen Eintopf. Auch sie hatte es gespürt.

Ihre Hand zitterte leicht, der Löffel klirrte gegen den Topfrand.

Und dann – wie ein Messer durch die Stille – das Heulen der Sirenen.

Laut, schrill, unbarmherzig.

„Paul! Clara! Schnell!“, rief Mama und ließ den Löffel fallen.

Ich sprang auf, Herz klopfend. Mein erster Gedanke galt meinem Holzflugzeug. Es lag auf dem Fensterbrett. Ich rannte hin, schnappte es mir und stopfte es in meine Manteltasche.

Mama hatte Clara schon auf dem Arm, während sie mit der freien Hand nach unserer Notfalltasche griff, die immer bereit neben der Tür stand: ein bisschen Wasser, ein Stück Brot, ein kleiner Verbandkasten.

Draußen auf der Straße herrschte schon Chaos.

Menschen hasteten in alle Richtungen, manche schleppten kleine Kinder, andere große Taschen oder Decken.

Über uns am Himmel dröhnten die Motoren der Bomber, schwer und bedrohlich.

Wir wohnten im dritten Stock.

Jeder Schritt nach unten schien eine Ewigkeit zu dauern.

Der Luftschutzkeller war unter dem Haus, ein dunkler Raum aus dickem Beton.

Nur eine schmale Tür führte hinein, und davor stauten sich die Nachbarn.

Herr Steinberg drängte sich mit seinem Dackel unter dem Arm nach vorne, während Frau Krüger hektisch ihren Hut aufsetzte und dabei fast ihr Handtäschchen verlor.

Endlich waren wir drin.

Es roch feucht und muffig.

An den Wänden klebte der Putz.

Überall standen Bänke, auf denen wir zusammengedrängt Platz nahmen.

Mama setzte sich auf eine freie Stelle, Clara auf dem Schoß, ich ganz dicht an sie gedrückt.

Jemand hatte eine Petroleumlampe angezündet. Ihr Licht zitterte und warf lange, tanzende Schatten an die Wände.

Ich beobachtete die anderen: alte Männer mit eingefallenen Gesichtern, Frauen mit angespannten Mienen, Kinder, die sich an ihre Mütter klammerten.

Alle lauschten.

Lauschten auf das Grollen über uns.

Dann kam der erste Einschlag.

Er war weit entfernt, ein dumpfer Schlag, aber ich spürte ihn bis in die Knochen.

Das Licht flackerte.

Clara wimmerte leise.

Mama flüsterte ihr beruhigende Worte zu.

Ich presste die Hände auf die Ohren.

Noch ein Einschlag. Näher diesmal.

Der Boden bebte.

Jemand betete laut. Jemand anderes weinte.

Ich schloss die Augen und stellte mir vor, ich wäre woanders.

Vielleicht auf einer Blumenwiese.

Vielleicht am See, wo wir letzten Sommer noch gewesen waren.

Wo der Himmel blau war, und kein einziges Geräusch außer Vogelstimmen die Luft durchbrach.

Ein ohrenbetäubendes Krachen riss mich zurück in die Wirklichkeit.

Staub rieselte von der Decke.

„Alles wird gut, Paul“, hörte ich Mama sagen, aber ihre Stimme zitterte.

Wir saßen eng aneinander gekauert, während draußen die Welt zerbrach.

Es war Stunden später, als endlich das Heulen der Entwarnung ertönte.

Zögernd, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, erhoben sich die ersten.

Draußen war Berlin eine andere Stadt.

Eine traurige, rauchende Landschaft.

Ein paar Häuser auf unserer Straße waren beschädigt.

Fensterscheiben zerborsten, Dächer eingestürzt.

Überall lag Schutt, der Himmel war grau vor Staub.

Unser Haus stand noch.

Aber es hatte große Risse bekommen.

An der Fassade hing lose ein Fensterladen, der klappernd im Wind schlug.

Ich trat hinaus auf die Straße, zog das Holzflugzeug aus meiner Tasche und hielt es hoch gegen den Himmel.

„Du musst stark bleiben“, hörte ich Papas Stimme in meinem Kopf.

Also hielt ich das Flugzeug fester und schwor mir, es zu tun.

Für ihn.

Für Mama.

Für Clara.

Für mich selbst.

Kapitel 4

Vater an der Front – Abschied

und Sehnsucht

Es war ein kalter Morgen, an dem sich mein Leben für immer verändern sollte.

Ich saß noch am Frühstückstisch, löffelte lustlos den dünnen Haferbrei, den Mama gekocht hatte, als plötzlich Schritte im Flur zu hören waren.

Schwere Schritte.

Dann klopfte es leise an der Küchentür.

Mama sprang auf.

Ihre Hand zitterte, als sie die Klinke herunterdrückte.

Und da stand er: mein Vater, in voller Uniform.

Er trug die dunkelgraue Feldjacke, die neuen glänzenden Stiefel, auf der Schulter blitzte der Rangstern. Sein Gesicht war ernst, aber in seinen Augen lag ein Glanz, den ich nicht verstand.

Stolz? Angst?

Vielleicht beides.

„Paul“, sagte er leise.

Ich sprang auf und rannte zu ihm, prallte beinahe gegen seine Beine.

Er bückte sich und hob mich hoch, so wie früher, wenn er nach der Arbeit heimkam und ich ihn am Gartenzaun erwartet hatte.

Aber heute war alles anders.

Sein Arm zitterte leicht, als er mich drückte.

Ich spürte die Kälte der Uniform, den Geruch nach Leder und frischer Seife.

„Ich muss fort, mein Junge“, sagte er.

Ich wusste es ja längst.

Alle Männer mussten weg.

Aber ein Teil von mir hatte gehofft, dass Papa bleiben würde.

Dass er nicht einer von diesen Bildern auf den Fahnenmasten werden würde, nicht einer von denen, die „dem Vaterland dienen“ mussten.

„Wohin gehst du?“, fragte ich mit belegter Stimme.

Papa lächelte traurig.

„An die Ostfront“, sagte er. „Weit weg. Aber ich komme zurück, das verspreche ich dir.“

Mama stand da, wie versteinert.

Ihre Hände krampften sich um das Geschirrtuch.

Clara, die auf einem Küchenstuhl saß und mit einer Puppe spielte, sah nichts von dem Drama, das sich in diesem Moment abspielte.

„Ihr müsst zusammenhalten“, sagte Papa.

Er setzte mich wieder ab und zog ein kleines Päckchen aus seiner Manteltasche.

„Hier, Paul. Für dich.“

Ich packte es mit zitternden Fingern aus.

Es war ein winziges Notizbuch, in Leder gebunden.

„Schreib hinein, was du erlebst. Damit du mir eines Tages alles erzählen kannst“, sagte Papa.

Mir schnürte es die Kehle zu.

Ich brachte kein Wort heraus.

Ich nickte nur heftig.

Dann wandte sich Papa Mama zu.

Sie umarmten sich.

Kein Wort, keine Träne.

Nur diese lange, verzweifelte Umarmung, die alles sagte.

Dann trat Papa einen Schritt zurück, richtete die Mütze auf seinem Kopf und nickte uns zu.

„Ich liebe euch“, sagte er.

Und dann war er fort.

Die Tür fiel leise ins Schloss.

Ich rannte ans Fenster, sah ihn noch die Straße hinuntergehen, den Rücken gerade, den Schritt fest.

Jede Faser in mir schrie danach, ihm hinterherzulaufen, ihn festzuhalten, ihn zurückzuholen.

Aber ich blieb stehen.

Wie angewurzelt.

Mama trat neben mich.

„Er kommt wieder“, sagte sie leise.

Aber in ihrer Stimme lag keine Überzeugung.

An diesem Morgen schrieb ich meinen ersten Eintrag in das kleine Notizbuch:

„Papa ist gegangen. Ich muss stark sein.“

Und ich schwor es mir.

Kapitel 5

Schule in Zeiten des Krieges –

Unterricht mit Luftalarm

Schule war einmal ein Ort gewesen, an dem ich mich sicher fühlte.

Ein Ort, an dem man lachen, spielen und lernen konnte, ohne Angst.

Doch 1943 war alles anders geworden.

Unser Schulgebäude war alt und hatte bereits einige Bombennächte hinter sich.

Die Fenster waren mit Pappe und Stofffetzen verklebt, damit das Licht abends nicht nach draußen drang.

Die Wände im Flur waren voller Risse.

Jeden Morgen marschierten wir in Zweierreihen hinein.

Streng, still.

Lächeln war fast verboten.

Fräulein Meier, unsere Klassenlehrerin, hatte sich verändert.

Früher hatte sie manchmal mit uns gesungen oder Geschichten vorgelesen.

Jetzt trug sie fast immer das gleiche graue Kostüm und sprach mit leiser, abgehackter Stimme.

In ihren Augen lag eine Müdigkeit, die ich bei den Erwachsenen immer öfter sah.

Der Unterricht begann meist mit patriotischen Liedern.

Wir standen stramm und sangen von „Mut“ und „Ehre“, während draußen die grauen Wolken über Berlin trieben.

An diesem besonderen Tag saß ich in der dritten Bankreihe, direkt neben Anna, einem stillen Mädchen mit blondem Zopf.

Wir kritzelten heimlich kleine Zeichnungen in unsere Hefte, während Fräulein Meier über Brüche und Dezimalzahlen dozierte.

Da plötzlich – das durchdringende Heulen der Sirenen.

„Aufstehen!“, rief Fräulein Meier sofort.

Wir wussten, was zu tun war.

Jeder schnappte seine Tasche, die wir immer griffbereit unter dem Tisch hatten.

Wir reihten uns auf, während draußen die Sirene ihr schauriges Lied sang.

„Keine Panik“, sagte Fräulein Meier, aber ihre Stimme zitterte.

In Zweierreihen rannten wir durch die Flure in Richtung Keller.

Es war wie ein Albtraum: Kinderfüße trampelten, Ranzen schlugen an Wände, jemand weinte leise.

Im Luftschutzbunker unter der Turnhalle roch es nach feuchter Erde und altem Schweiß.

Wir setzten uns auf schmale Bänke.

Ich spürte Annas Hand zittern, als sie sich neben mich setzte.

„Alles wird gut“, flüsterte ich, obwohl ich selbst nicht daran glaubte.

Dann begann das Warten.

Man hörte das ferne Grollen der Flakgeschütze, dumpfe Einschläge, das Heulen und Brummen der Flugzeuge hoch oben.

Manchmal hielt ich den Atem an, weil ich dachte, der nächste Einschlag würde uns treffen.

Manchmal starrte ich auf die flackernde Glühbirne über uns, zählte die Sekunden zwischen den Geräuschen.

Fräulein Meier saß am Eingang, ein kleines, abgewetztes Buch in der Hand.

Vielleicht ein Gebetbuch.

Wir warteten.

Und warteten.

Nach einer Ewigkeit endlich Entwarnung.

Langsam und steif standen wir auf.

Unsere Beine fühlten sich schwer an, als wären sie aus Blei.

Als wir wieder in unser Klassenzimmer kamen, war alles verstaubt.

Ein Fenster war gesplittert, Papierfetzen lagen auf dem Boden.

Aber wir setzten uns hin.

Öffneten unsere Hefte.

Und Fräulein Meier sagte mit fester Stimme:

„Wo waren wir stehengeblieben?“

Es war, als müssten wir das Leben einfach weiterschreiben.

Egal, was passierte.

Und ich tat es.

Weil ich wusste, dass Papa eines Tages fragen würde:

„Wie war es damals?“

Und ich wollte ihm alles erzählen können.

Kapitel 6

Hamstern und Tauschen – Der

tägliche Überlebenskampf

Ich weiß nicht mehr genau, wann der Hunger kam.

Am Anfang war es nur, dass Mama manchmal länger in der Küche stand und die Töpfe immer leerer wirkten. Dann wurden die Scheiben Brot dünner, die Butter fehlte, und der Zucker im Schrank war eines Tages einfach verschwunden.

Papa hatte früher immer gesagt, wir hätten Glück. In Berlin gebe es alles – man müsse nur wissen, wo man suchen muss. Aber jetzt, im Winter 1943, schien niemand mehr zu wissen, wo etwas zu finden war.

Eines Morgens weckte Mama mich besonders früh. Es war noch dunkel im Zimmer, und draußen rieselte feiner Schnee. Die Fenster waren von Eisblumen bedeckt, und ich konnte meinen Atem sehen, wenn ich ins Zimmer pustete.

„Paul, steh auf“, sagte sie leise. Ihre Stimme klang rau, müde. „Wir müssen los, bevor es hell wird.“

Ich zog mich schnell an. Meine Hose war zu kurz, und die Socken hatte Mama mir aus alten Wollresten gestrickt. Der Bollerwagen stand schon fertig an der Tür, mit einem alten Tischtuch und ein paar Sachen, die wir noch irgendwo zusammengekratzt hatten: eine Seifenstück, ein abgetragenes Paar Schuhe und Omas letzte Häkeldecke.

Wir stapften durch die Straßen, die grau und leer waren. Häuser standen wie gebrochene Zähne am Straßenrand, viele Fenster waren mit Brettern vernagelt oder zerschlagen. Ich hielt Mamas Hand ganz fest, auch wenn ich mich dafür schon fast zu alt fühlte.

Der Weg führte uns weit hinaus, Richtung Rand von Berlin.

Draußen auf den Feldern lag der Schnee in schmutzigen Fetzen, und über allem hing eine Stille, die mir unheimlich vorkam. Nur manchmal hörte ich einen Zug pfeifen oder ein fernes Grollen, das von der Front kam.

Mama sprach kaum. Sie ging schnell, der Wagen rumpelte hinter ihr her, und ich musste manchmal rennen, um mitzuhalten. Ihre Schultern waren schmal geworden, das fiel mir auf.

„Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte ich schließlich.

„Zu einem Bauern“, antwortete sie kurz. „Vielleicht hat er noch Kartoffeln. Oder etwas Mehl.“

Ich nickte, obwohl ich nicht wusste, wie wir das bezahlen sollten.

Wir liefen lange. Meine Füße taten weh, und ich fror, obwohl ich Handschuhe anhatte.

Manchmal begegneten uns andere Menschen: Frauen mit Wagen, alte Männer mit Rucksäcken, ein Junge, der einen Sack hinter sich herschleifte. Alle hatten denselben ausgemergelten, hungrigen Blick. Niemand grüßte. Jeder schien nur an sein eigenes Ziel zu denken.

Als wir endlich den Hof erreichten, war es schon später Vormittag. Der Bauernhof lag zwischen kahlen Feldern. Ein Teil der Scheune war eingestürzt, und auf dem Hof standen alte Hühnerställe, die fast leer wirkten.

Ein Mann mit grauem Bart kam uns entgegen. Er hatte eine schwere Jacke an und eine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Seine Augen musterten uns misstrauisch.

„Was wollt ihr?“, knurrte er.

Mama setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. „Guten Tag. Wir kommen aus der Stadt. Wir wollten fragen, ob Sie vielleicht etwas zum Tauschen hätten?“

Der Bauer sah auf unseren Bollerwagen. Sein Blick blieb bei den Schuhen hängen. Dann sah er Mama an – lange, als wollte er überlegen, ob sich das Gespräch überhaupt lohnte.

„Was habt ihr?“, fragte er dann.

Mama zeigte ihm die Sachen. Er betastete die Schuhe, zupfte am Tischtuch, roch sogar an dem Stück Seife. Dann brummte er.

„Seife ist was wert“, murmelte er. „Aber nicht viel.“

Er verschwand in der Scheune und kam mit einem kleinen Sack zurück. „Ein paar Kartoffeln“, sagte er. „Mehr kann ich nicht abgeben.“

Ich schielte in den Sack. Es waren vielleicht zehn Kartoffeln, schmutzig und klein. Aber sie dufteten irgendwie nach Leben.

Mama nickte, fast zu schnell.

„Danke“, sagte sie. Ihre Stimme zitterte.

Der Bauer nahm die Seife und die Schuhe. Die Decke wollte er nicht.

Ich half Mama, die Kartoffeln in den Wagen zu packen. Es war nicht viel, aber es war mehr, als wir gestern hatten.

Der Weg zurück war noch schwerer.

Der Wind hatte aufgefrischt, und der Himmel hing grau und schwer über uns. Ich zog den Wagen, während Mama neben mir lief und ständig nach hinten schaute, als würde sie jemanden erwarten.

Hinter einem umgestürzten Baum standen plötzlich zwei Jungen. Vielleicht waren sie ein paar Jahre älter als ich, vielleicht auch nicht.

Sie sahen uns an – oder besser gesagt: Sie sahen auf unseren Bollerwagen.

„Was habt ihr da?“, rief einer von ihnen. Er trug eine schmutzige Jacke und hatte eine rote Narbe quer über die Stirn.

Mama stellte sich sofort vor mich. „Geht weiter“, sagte sie, so ruhig wie möglich. Ihre Stimme klang hart, fast fremd.

Die Jungen lachten nur. Der eine trat näher. Ich sah, dass er keine richtigen Schuhe hatte, nur Stofffetzen um die Füße gebunden.

„Kartoffeln!“, rief er plötzlich, wie jemand, der etwas Wertvolles entdeckt hat. Er machte einen Schritt auf uns zu.

Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Ich klammerte mich an den Griff des Bollerwagens.

Da geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte:

Mama hob eine kleine Eisenstange hoch, die sie irgendwo auf dem Feldrand gefunden haben musste. Sie hielt sie fest in der Hand und fauchte:

„Kommt noch näher, und ihr bekommt es mit mir zu tun!“

Die Jungen hielten inne. Einen Moment lang war nur das Pfeifen des Windes zu hören.

Dann lachten sie, spuckten auf den Boden und liefen davon – zurück ins Graubraun der Felder.

Ich war stumm vor Staunen.

Den ganzen Heimweg sagte keiner von uns ein Wort.

Nur als wir endlich in unsere Straße einbogen, lehnte Mama sich kurz gegen eine Mauer, atmete schwer und flüsterte:

„Manchmal muss man mutiger tun, als man ist.“

Als wir zu Hause ankamen, roch es im Haus nach feuchtem Stein und kalter Asche. Oma saß wie immer in ihrem Sessel am Ofen, der aber schon lange nicht mehr richtig heizte. Ihr Schal war um die Schultern gerutscht, und ihre Hände lagen dünn auf der Decke.

„Habt ihr was gekriegt?“, fragte sie, kaum dass wir die Tür hinter uns geschlossen hatten.

Mama nickte nur. Wortlos schob sie den Bollerwagen in die kleine Küche. Ich folgte ihr, zog meine klammen Handschuhe aus und klopfte die feuchten Schneeflocken von meiner Jacke.

Auf dem Tisch legte Mama die Kartoffeln aus. Zehn Stück.

Sie nahm sie vorsichtig in die Hände, als wären es goldene Äpfel.

„Nicht alle auf einmal“, sagte Oma aus dem Wohnzimmer. Ihre Stimme klang müde, aber streng. „Ein Teil wird eingemacht. Die müssen reichen.“

Mama nickte.

Sie holte ein Messer und schälte zwei der Kartoffeln. Die Schalen kochte sie extra auf, in einem kleinen Topf Wasser, damit auch wirklich nichts verschwendet wurde.

Das Mittagessen bestand an diesem Tag aus dünnem Kartoffelwasser und ein paar zerdrückten Stücken. Aber als ich den ersten Löffel nahm, schloss ich die Augen. Es schmeckte nach Zuhause, nach Wärme, nach einem winzigen Funken Hoffnung.

Nach dem Essen kroch ich auf mein Lager in der Ecke des Wohnzimmers.

Oma streichelte mir kurz über die Haare, ihre Finger waren knochig und kalt.

„Braver Junge“, murmelte sie.

Ich kuschelte mich unter meine Decke und lauschte auf die Geräusche des Hauses. Ein leises Tropfen irgendwo, das Knacken alter Dielen, das ferne Dröhnen von Kanonenschlägen – als wäre der Krieg selbst ein riesiges Tier, das draußen durch die Straßen kroch.

Ich dachte an die beiden Jungen auf dem Feld.

An Mamas Mut. An den Sack Kartoffeln.

Und daran, dass wir noch lebten.

Vielleicht war das das Wichtigste:

Nicht aufgeben. Auch wenn man Angst hatte. Auch wenn der Magen knurrte und die Welt draußen immer dunkler wurde.

Mit diesen Gedanken schlief ich ein, während draußen der Wind heulte wie ein verlorener Hund.

Kapitel 7

Freunde fürs Leben – Paul trifft

Karl und Lotte

Es war an einem grauen Nachmittag, als ich Karl das erste Mal sah.

Ich hatte Langeweile. Draußen nieselte es, der Himmel hing schwer über den Dächern, und die Straßen waren matschig von Schnee und Dreck.

Mama war unterwegs, irgendetwas “Wichtiges erledigen”, wie sie sagte, und Oma döste in ihrem Stuhl am Ofen.

Also schlich ich mich hinaus.

Die Straße lag verlassen da. Ein paar Häuser weiter hing noch immer eine Hauswand schief, seit einem Bombenangriff vor Wochen. Fenster waren blind von Ruß, und Türen standen offen wie aufgerissene Münder.

Ich trat gegen einen Stein und beobachtete, wie er klappernd über das Kopfsteinpflaster rollte.

Da hörte ich plötzlich Stimmen.

Neugierig ging ich ein Stück weiter.

Hinter einem umgestürzten Briefkasten kauerte ein Junge. Er war vielleicht zwei Jahre älter als ich, hatte zerzaustes blondes Haar und eine Jacke an, die viel zu groß für ihn war. Seine Hände waren rot vor Kälte.

Er versuchte gerade, mit einem gebogenen Draht eine Blechdose aus einem eingestürzten Kellerfenster zu angeln.

„Was machst du da?“, fragte ich.

Der Junge zuckte zusammen, fuhr herum und musterte mich misstrauisch.

„Nichts“, sagte er knapp.

Ich trat näher. Jetzt sah ich, dass in der Dose vielleicht noch etwas war – ein bisschen Trockenobst oder vielleicht Bonbonpapier.

Mein Magen knurrte, und ich schluckte.

„Willst du helfen?“, fragte der Junge nach einem Moment.

Ich nickte sofort.

Zusammen schafften wir es, die Dose herauszufischen. Drinnen lagen tatsächlich ein paar zerdrückte, klebrige Rosinen. Für einen Moment starrten wir beide die kleine Ausbeute an, als hätten wir einen Schatz gefunden.

Der Junge grinste plötzlich.

„Ich bin Karl“, sagte er. „Karl Meißner. Und du?“

„Paul Stern“, antwortete ich.

Wir schüttelten uns kurz die Hände, dann setzten wir uns auf die Bordsteinkante und teilten die Rosinen auf – gerecht, genau halb und halb.

Sie schmeckten süß und ein bisschen nach Staub, aber es war das Beste, was ich seit Tagen gegessen hatte.

Wir saßen noch eine Weile da, unsere Füße im Matsch, und erzählten uns Geschichten.

Karl wusste Sachen, die ich noch nie gehört hatte: Wo man in den Ruinen manchmal alte Vorräte finden konnte, welche Keller man besser mied, weil sie einsturzgefährdet waren, und wie man an den Geräuschen erkennen konnte, ob eine Ratte oder nur der Wind im Schutt raschelte.

Ich hörte ihm begeistert zu.

Er war ein bisschen wie die älteren Jungen, die ich manchmal auf der Straße bewunderte – mutig, schlau und schnell.

Plötzlich stand Karl auf.

„Komm mit!“, sagte er. „Ich will dir jemanden vorstellen.“

Neugierig folgte ich ihm durch die engen Gassen.

Wir kletterten über Trümmerhaufen, quetschten uns durch schmale Lücken zwischen eingestürzten Mauern, und schließlich standen wir in einem kleinen Hinterhof, der von halb zerfallenen Häusern umgeben war.

Dort hockte ein Mädchen auf einer umgekippten Mülltonne.

Sie war ungefähr in unserem Alter, hatte einen dicken Zopf und trug ein Kleid, das zu groß war und an ihr hing wie ein Vorhang. Ihre Beine waren zerkratzt, und ihre Knie dreckig, aber sie schaute uns mit klugen, wachen Augen an.

„Das ist Lotte“, sagte Karl.

Lotte grinste frech.

„Was schleppst du denn da an, Karl? Noch einer von den Stadtfratzen?“

Ich spürte, wie ich rot wurde.

Aber Karl lachte nur.

„Er ist okay. Paul hat geholfen, Rosinen zu klauen.“

„Teilen kann er auch?“, fragte Lotte.

„Jep.“

Lotte sprang von der Mülltonne und stand vor mir. Sie streckte mir die Hand hin.

„Dann bist du ab jetzt dabei“, sagte sie.

Ich schüttelte ihre Hand und spürte sofort: Sie hatte einen festen Griff, ganz anders als die feinen Hände meiner Schulfreunde von früher.

Lotte war jemand, der nicht schnell weglief. Das wusste ich sofort.

An diesem Tag wurden wir Freunde.

Nicht so wie in der Schule früher, wo man sich Freundschaft versprach, weil man nebeneinander saß oder denselben Lehrer nicht mochte.

Nein, hier draußen – zwischen Ruinen, Rauch und Hunger – bedeutete Freundschaft etwas anderes:

Es bedeutete, zusammenzuhalten.

Egal was kam.

Karl führte uns durch eine Gasse, die ich noch nie betreten hatte. Die Häuser hier waren schlimmer beschädigt als in unserer Straße. Ganze Wände fehlten, man konnte in die Zimmer schauen, als wären sie Puppenhäuser.

„Da“, flüsterte Karl und zeigte auf ein zerborstenes Fenster im Erdgeschoss.

„Da drin liegt noch was.“

„Was denn?“, fragte ich.

„Ein altes Geschäft. Vielleicht Essen.“

Mein Magen knurrte wieder.

Ohne zu zögern kletterten wir durch das Fenster. Die Glasscherben knackten unter unseren Füßen.

Drinnen roch es muffig nach feuchtem Holz und verbranntem Stoff.

Das Geschäft war früher wohl ein kleiner Laden gewesen. Jetzt lagen Regalbretter zerbrochen auf dem Boden, und alles war von einer dicken Schicht Staub und Asche bedeckt.

Aber in einer Ecke entdeckte Lotte etwas: ein umgestürztes Fass.

Vorsichtig rollte sie es zu uns.

Als Karl mit seinem Messer – einer alten, rostigen Klinge – die Kiste aufhebelte, hielt ich die Luft an.

Drinnen lagen Dosen.

Richtig echte Konservendosen!

„Wahnsinn!“, flüsterte ich. Meine Finger zitterten vor Aufregung.

Die Etiketten waren verbrannt oder abgefallen, aber der Anblick der schweren Blechdosen ließ uns strahlen, als hätten wir einen Schatz gefunden.

„Wir nehmen zwei mit“, sagte Karl. „Mehr tragen wir nicht unauffällig.“

Gemeinsam schleppten wir die Beute hinaus – vorsichtig, denn draußen war es gefährlich. Immer wieder gab es Streifen von HJ-Jungen, die einen verpetzen konnten, oder hungernde Erwachsene, die einem alles wegnahmen.

Als wir endlich wieder im Hinterhof standen, atmeten wir auf.

„Morgen teilen wir“, sagte Lotte und schlug mit der Faust leicht gegen meinen Oberarm.

„Freunde halten zusammen.“

Ich grinste. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich stark.

Nicht allein.

Als ich später allein nach Hause ging, war es schon dunkel.

Der kalte Wind fegte durch die Straßen, und der Schnee, der am Nachmittag noch weich gewesen war, hatte sich in schmutzige, harte Klumpen verwandelt.

Die Fensterscheiben in den Häusern waren blind und zerbrochen, und irgendwo in der Ferne hörte ich Hunde bellen.

Aber in meinem Herzen war es warm.

Ich dachte an Karl und Lotte, an ihre schnellen Hände, ihre schlauen Ideen und das Gefühl, nicht mehr nur für mich selbst kämpfen zu müssen.

Zusammen war alles weniger schlimm.

Mama war noch nicht zurück, als ich das Haus betrat.

Oma saß am Ofen, wie immer, und nickte mir nur müde zu.

Ich setzte mich zu ihr, zog die Füße unter den alten Wollteppich und schaute ins halbleere Feuer.

„Und?“, fragte Oma mit rauer Stimme. „Was hast du erlebt?“

Ich zuckte die Schultern und lächelte leicht.

„Nichts Besonderes“, murmelte ich.

Aber in meinem Kopf und in meinem Herzen wusste ich:

Heute hatte sich etwas verändert.

Ich hatte Freunde gefunden.

Und in einer Welt voller Bomben, Hunger und Angst war das vielleicht das größte Geschenk von allen.

Kapitel 8

Verbotene Spiele – Abenteuer in Ruinen

Am nächsten Tag trafen wir uns wieder – wie verabredet – im Hinterhof.

Die Sonne war schwach, ein dünner, kalter Lichtstrahl zwischen den kahlen Mauern.

Karl hatte einen kleinen Ball dabei, aus zusammengeknüllten Lumpen und Schnüren gemacht.

„Heute wird gespielt!“, rief er und schleuderte den Ball gegen eine Wand.

Er prallte schief zurück, und Lotte fing ihn mit einer geschickten Bewegung auf.

Ich lachte.

Es war das erste Mal seit Langem, dass ich lachte, ohne mich gleich zu erschrecken, dass jemand es hören könnte.

Wir spielten Fangen, sprangen über Schuttberge, kletterten durch Fensterrahmen ohne Glas und rannten durch zerborstene Häuser wie kleine Geister.

Inmitten von Trümmern und Asche fühlten wir uns für einen Moment frei – so frei, wie Kinder nur sein können, wenn sie alles um sich herum vergessen.

Irgendwann entdeckte Karl eine große, halb eingestürzte Villa, ein paar Straßen weiter.

„Kommt!“, rief er. „Die erkunden wir!“

Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.

Schon von außen sah das Haus unheimlich aus – geborstene Fenster, eine Haustür, die wie ein schwarzer Schlund offenstand, und zerschlagene Stufen, die in die Dunkelheit führten.

„Vielleicht finden wir was“, flüsterte Lotte.

„Oder Geister“, murmelte ich und musste selbst kichern.

Aber natürlich folgte ich den anderen.

Wir standen vor der halb eingestürzten Villa, deren dunkle Fassade wie der Mund eines Riesen aussah, der uns in seine Tiefe locken wollte. Die Kälte des Morgens war verschwunden, die Sonne hatte sich endgültig hinter den dichten Wolken zurückgezogen, und das Grau des Himmels schien sich in den Ruinen der Stadt zu spiegeln.

„Na los, traut euch!“, rief Karl und kletterte mutig durch den offenen Türrahmen.

Ich zögerte kurz. Das Haus hatte etwas Bedrohliches, als ob es uns nicht willkommen hieß. Aber dann hörte ich Lotte hinter mir, die mir aufmunternd zupfend an der Schulter klopfte. „Komm, du bist doch nicht feige!“

Mit einem Ruck zog ich meinen Fuß nach und folgte ihnen in das Dunkel des Hauses.

Drinnen war es still. Der Staub war so dick, dass die Luft fast zu atmen schien, wie eine undurchdringliche Decke aus Ruß und Asche. Der Boden knirschte unter unseren Schritten, als wir uns vorsichtig durch den Flur bewegten. An den Wänden hingen abgerissene Tapetenfetzen, die wie vergilbte Schleier im Wind wehten. In den Ecken lagen zerbrochene Möbel, und durch die zerbrochenen Fenster drang nur schwaches Licht.

„Hier muss mal richtig was gewesen sein“, flüsterte Karl und ging weiter. „Seht mal, da hinten!“

Er deutete auf eine große, halb zerstörte Holztreppe, die in die oberen Stockwerke führte. Der Handlauf war zerbrochen, und einzelne Stufen fehlten. Das Treppenhaus wirkte, als könnte es jeden Moment zusammenbrechen.

„Ich glaube, wir sollten lieber nicht nach oben“, sagte ich zögernd, aber Karl winkte ab.

„Ach was, das wird schon gut gehen. Kommt, wir gehen nach oben!“

Lotte war bereits an seiner Seite, als sie die ersten Schritte auf die Treppe setzte. Ich folgte ihnen, wobei ich den Blick immer wieder zum maroden Geländer hob, das uns bei jedem Schritt schien zu warnen.

Oben angekommen, war das Zimmer, das wir betraten, noch düsterer. Die Wände waren fast vollständig mit Ruß bedeckt, und auf dem Boden lagen zerbrochene Spiegelstücke. In der Ecke standen alte Möbel, von denen keiner wusste, wie lange sie schon dort gestanden hatten. Der Raum hatte eine merkwürdige, fast geisterhafte Atmosphäre.

„Hier muss früher mal jemand gewohnt haben“, sagte Lotte mit einem leicht gruseligen Lächeln.

Ich ging zum Fenster und sah hinaus. Vom dritten Stock konnte man die zerstörte Stadt sehen, die unter dem grauen Himmel lag. Es war ein Bild von Verlassenheit. Niemand war mehr hier. Keine Geräusche, nur der Wind, der durch die Ruinen wehte.

Plötzlich hörte ich ein leises Geräusch hinter mir. Es klang wie ein leises Knarren, das sich von der anderen Seite des Raums herannahm. Ich drehte mich schnell um, doch da war nichts.

„Hört ihr das?“ fragte ich leise, mein Herz begann schneller zu schlagen.

Karl und Lotte schauten sich an. „Vielleicht nur der Wind“, sagte Karl. „Komm, wir gucken mal weiter.“

Wir durchsuchten das Zimmer weiter, öffneten alte Schränke und fanden Staub und leere Dosen, die schon lange niemand mehr benutzt hatte. Doch dann stießen wir auf etwas, das unser Interesse weckte – eine kleine Truhe, die halb unter einem zusammengebrochenen Tisch vergraben war.

„Was ist das?“ fragte Lotte neugierig, als sie die Truhe entdeckte.

Ich ging hin, hob sie mit einem Ruck an und stellte sie vorsichtig auf den Boden. Sie war schwer, die Holzoberfläche war von jahrelangem Staub bedeckt. Mit zitternden Händen öffnete Karl den Deckel. Darin lagen alte Briefe, vergilbt und zerfleddert. Ein paar kleine Gegenstände, die wie wertvolle Andenken aussahen, und ein Bild.

„Schaut mal“, sagte Karl und hielt das Bild hoch. Es zeigte eine junge Familie – ein Mann, eine Frau und ein kleines Kind. „Vielleicht hat das jemand hier vergessen.“

„Oder es wurde nie abgeholt“, sagte ich leise. „Weißt du, dass es hier nie wieder jemanden geben wird, der nach diesem Zeug sucht?“

Lotte schüttelte den Kopf. „Es fühlt sich so an, als ob dieses Haus uns etwas sagen will“, sagte sie nachdenklich.

Ich nahm das Bild in die Hand und betrachtete es genauer. In den Augen der Frau auf dem Foto lag ein Ausdruck von Verlust, der mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

---ENDE DER LESEPROBE---