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Undying. Wir werden euch finden E-Book

Meagan Spooner

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Beschreibung

Eine rasante Jagd quer durch Europa, ein Pageturner bis zur letzten Seite Amelia und Jules kehren auf die Erde zurück, um die Menschheit vor den drohenden Gefahren zu warnen. Wobei ihre Rückkehr etwas »holprig« verläuft – und ihr Absturz im Raumschiff der Unsterblichen ist nicht das Schlimmste. Denn niemand glaubt ihnen, dass der Untergang der Menschheit unmittelbar bevorsteht, obwohl eine Pandemie schon als erstes Warnzeichen um sich greift. Jules und Mia haben keine andere Wahl, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, die Rettung der Erde liegt nun allein in ihrer Hand. Der zweite Band und Abschluss der mega-spannenden »Unearthed«-Dilogie

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Seitenzahl: 479

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Ähnliche


Amie Kaufman | Meagan Spooner

Undying

Wir werden euch finden

 

 

Aus dem Amerikanischen von Karin Will

 

 

 

Über dieses Buch

 

 

Eine rasante Jagd quer durch Europa, ein Pageturner bis zur letzten Seite

Amelia und Jules kehren auf die Erde zurück, um die Menschheit vor den drohenden Gefahren zu warnen. Wobei ihre Rückkehr etwas »holprig« verläuft – und ihr Absturz in dem Raumschiff der Unsterblichen ist nicht das Schlimmste. Denn niemand glaubt ihnen, dass der Untergang der Menschheit unmittelbar bevorsteht, obwohl eine Pandemie schon als erstes Warnzeichen um sich greift. Jules und Mia haben keine andere Wahl, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, die Rettung der Erde liegt nun allein in ihrer Hand.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Amie Kaufman und Meagan Spooner sind langjährige Freundinnen und Teilzeit-Mitbewohnerinnen, die die Welt bereist haben, aber noch nicht die Galaxie. Sie sind sich jedoch sicher: Auch das ist nur noch eine Frage der Zeit. Meagan lebt zurzeit in Asheville, North Carolina, Amie in Melbourne, Australien. Obwohl sie so weit voneinander entfernt wohnen, eint sie ihre Liebe zu Roadtrips, leckeren Zwischenmahlzeiten und Space Operas.

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Wir lieben es, Geschichten zu erzählen.

Wir sind so dankbar für die Menschen, die sie lesen.

Deshalb, liebe Leser*innen, ist dieses Buch euch gewidmet.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wisst ihr, was wir an Fortsetzungen so mögen? Das Wiedersehen mit Lieblingsfiguren, die Erforschung neuer Gegenden in einer weithin bereisten Welt, zu erleben, wie all die kleinen Hinweise sich am Ende zu einem Bild fügen. Wisst ihr, was wir an Fortsetzungen nicht mögen?

Die Grübelei darüber, was zur Hölle (oder was zu Gaia!) im ersten Band passiert ist.

Deswegen haben wir beschlossen, euch eine ganz kurze Zusammenfassung von »Unearthed. Weiter, wenn ihr euch traut« zu liefern, denn wir haben diese Bücher geschrieben, um Spaß zu haben und damit andere Spaß daran haben, und einen halben Roman lang im Nebel umherzuirren macht gar keinen Spaß. (Außerdem fanden wir, dass wir es euch nach dem Cliffhanger am Ende des ersten Bands schuldig sind.)

Wer das Buch noch nicht kennt: Der folgende Text enthält Spoiler für »Unearthed. Weiter, wenn ihr euch traut«!

 

Wir begegnen unseren beiden Helden auf einem Planeten namens Gaia, in einem fernen Sonnensystem, das entdeckt wurde, nachdem die Menschheit von einer vor langer Zeit ausgestorbenen Spezies namens Die Unsterblichen Anweisungen zum Bau eines Portals erhalten hatte. Die Erde braucht dringend Hilfe, und nachdem ein gewaltiges Kolonialisierungsprojekt – die Centauri-Mission – gescheitert ist, besitzen die Unsterblichen nach Auffassung der Wissenschaftler als Einzige den Schlüssel, um unseren Planeten und uns selbst zu retten.

Jules ist der privilegierte Sohn des Oxford-Professors Dr. Addison, der als Erster die Botschaft der Außerirdischen entschlüsselt und die Welt eindringlich auf deren Inhalt hingewiesen hat. Doch als Dr. Addison dann seinen Standpunkt änderte, nachdem er auf Hinweise gestoßen war, denen zufolge die Unsterblichen doch nicht die harmlosen Wohltäter waren, für die alle sie hielten, wandte die Welt sich von ihm ab. Daraufhin brach Jules nach Gaia auf, um Beweise zu finden, dass sein Vater recht hat.

Amelia Radcliffe, genannt Mia, ist eine Plünderin, die sich seit ihrer Kindheit um ihre jüngere Schwester Evie kümmert, deren Existenz gegen die Ein-Kind-Gesetze verstößt. Als Evie sich bei einem zweifelhaften Nachtclub verschuldet, muss Mia das Geld aufbringen, um sie aus ihrem Vertrag freizukaufen. Aus diesem Grund heuert sie bei der zwielichtigen Mink an und lässt sich auf Gaia einschleusen, um dort so viel wertvolle Technik zusammenzuraffen wie nur möglich.

Eine Plünderin und ein Akademiker also. Natürlich müssen die beiden sich schon bald notgedrungen zusammentun. Trotz der drastischen Unterschiede in ihrer Herkunft lernen sie, einander zu respektieren. Und während sie eine Reihe tödlicher Fallen bezwingen, die sie zu einem weiteren Portal tief im Herzen des gaianischen Tempels führen, verlieben sie sich ineinander.

Durch das Portal gelangen sie zu Gaias Südpol, wo sie ein riesiges Raumschiff entdecken, das im Eis feststeckt. Militärische Streitkräfte der Internationalen Allianz, einem globalen Bündnis der irdischen Regierungen, sind ihnen hier bereits zuvorgekommen, und Jules und Mia erleben einen Schock: Die Frau, die Mia angeworben hat – Mink –, ist auch Jules’ Auftraggeberin, und sie hat sie beide hinsichtlich ihrer wahren Identität belogen. Jules’ Mission war lediglich ein Vorwand, um Mink und ihre Truppe zum Schatz im Herzen des Eislabyrinths zu führen: zum Schiff der Unsterblichen.

Während Mink unsere Helden zwingt, das Schiff zu aktivieren und es Richtung Erde zu schicken, versuchen Mia und Jules, sie aufzuhalten, da sie befürchten, dass Jules’ Vater von Anfang an recht hatte und die Technologie der Unsterblichen tatsächlich eine Gefahr darstellt. Sie scheitern jedoch und bleiben an Bord des Raumschiffs, um zu versuchen, es noch irgendwie zu stoppen, bevor es die Erde erreicht.

Eine Serie von Energieschüben auf dem Schiff versetzt Mia und Jules in Alarmbereitschaft, und sie entdecken gerade noch rechtzeitig einen Korridor voller Portale, die alle aktiviert werden, um eine Invasionsstreitmacht der Unsterblichen hindurch und an Bord zu lassen.

Man kann sich das Ganze als Trojanisches Pferd vorstellen, nur dass es statt einem Dutzend antiker, gewitzter Griechen eine Armee von Außerirdischen enthält.

Oder doch nicht? Denn auf den letzten Seiten des Buches erleben Jules und Mia einen Schock, der sogar noch den Schrecken übersteigt, dass die Unsterblichen gar nicht ausgestorben sind und es auf die Erde abgesehen haben. Sie beobachten, wie einer der Unsterblichen-Soldaten seinen Helm abnimmt und darunter ein menschliches Gesicht zum Vorschein kommt.

Tada!

Und nun schicken wir euch ohne weitere Umschweife auf ein uraltes kristallines Raumschiff, das sich in der Erdumlaufbahn befindet. Die Kamera zoomt auf ein bestimmtes Deck, einen ganz bestimmten Gang und einen engen, dunklen Zwischenraum darunter. Hier verlassen wir euch und wünschen euch viel Spaß beim Lesen! Wir hoffen, dass euch das Buch genauso viel Freude macht, wie wir sie beim Schreiben hatten.

 

Amie & Meagan

Jules

Die Dunkelheit ist undurchdringlich und vollkommen. Mia kauert neben mir – ich kann die Wärme ihres Körpers spüren. In der Stille ist unser schneller Atem so laut wie das Heulen einer Sirene. Und dann bricht Mia das schwere, unheimliche Schweigen: »Scheiß drauf, ich kann das nicht im Dunkeln. Jules, mach deine Uhr an, ja?«

Trotz der Furcht, die mich erfüllt, unterdrücke ich ein Lächeln, während ich an meinem Handgelenk nach der LED taste. Nach einer Woche des Versteckspiels auf einem Außerirdischen-Raumschiff ist Mia das Einzige, das sich immer vertraut anfühlt. Sicher. Wie ein Zuhause.

Ohne jedes Sonnenlicht, um sich wieder aufzuladen, sind fast alle unsere Geräte tot, aber mein Armband lädt kinetisch – etwas, was mich von Tag zu Tag mit mehr Dankbarkeit erfüllt. Die Vorstellung, in dieser völligen Finsternis zu existieren, ist zu fürchterlich, um lange darüber nachzudenken.

Das blassblaue Licht strahlt vom Uhrendisplay ab. Wie ein Geist erscheint Mia in der Dunkelheit – das von ihrem wilden, schwarz-pink-blauen Haar umrahmte Gesicht, ihre unter den Sommersprossen weiße Haut. Sie hat ihr Multitool in der Hand. Mit einem kleinen Lächeln in meine Richtung macht sie sich an die Arbeit und hebelt an der Abdeckung herum, welche die Öffnung des schmalen Gangs verschließt, in dem wir uns befinden. Das Glitzern des kristallinen Gesteins, das sich durch den Schacht zieht, spielt meiner Wahrnehmung einen Streich, denn in der Finsternis sieht es so aus, als würden dort Augen funkeln.

Das Scharnier der Abdeckung ächzt protestierend, als sie schließlich Erfolg hat. Mia drückt den Deckel beiseite, so dass er nur noch an einem Scharnier herunterhängt – und zum Vorschein kommt, wonach wir händeringend gesucht haben: eine Möglichkeit, den außerirdischen Unsterblichen zuvorzukommen, die eine Woche zuvor massenweise durch das Portal auf dieses Schiff gelangt sind.

***

Der Gang, in dem wir uns befinden, ist eigentlich ein Hohlraum zwischen den Wänden des Schiffes. Wir sind auf diese verborgenen Nischen gestoßen, als wir in das Lüftungssystem gekrochen waren, um uns zu verstecken, in jenen ersten, panischen Minuten, als das Schiff startete und die Unsterblichen aus den Portalen in den langen Korridor strömten, den wir entdeckt hatten. Auf Knien und Ellbogen quetschten wir uns durch die Lüftungsschächte, bis wir die Luken fanden, die zwischen den Wänden nach unten führen.

Entlang der Gänge befinden sich in regelmäßigen Abständen dicke Stahltüren, die jederzeit schließen und die betreffende Sektion abriegeln können, falls der Schiffsrumpf ein Leck hat. Die Lüftungsschächte verfügen über eindrucksvolle Verschlussmechanismen, die beim ersten Anzeichen eines Druckabfalls sofort reagieren. Wie Mia sich ausdrückte, als wir die ersten automatisch schließenden Türen entdeckten: Die Unsterblichen sind echte Raumfahrer. Neben ihrem Schiff wirken die, die uns nach Gaia gebracht haben, wie Spielzeugraketen.

Die Unsterblichen begannen sofort, das Schiff systematisch zu durchsuchen – mehrere hundert Stiefelpaare, die durch die Gänge stampften, Stimmen, die durcheinanderriefen, so dass die Worte unmöglich zu verstehen waren. Sie wussten, dass Menschen das Schiff gestartet hatten – schließlich hatten alle ihre Fallen dafür sorgen sollen, dass genau das passierte.

Doch sie wussten nicht, dass immer noch zwei von uns an Bord waren.

In einem der Gänge fanden sie Hansens Leiche, wo wir ihn zurücklassen mussten, nachdem einer der Soldaten der Internationalen Allianz ihn erschossen hatte. Als sie ihn wegschafften, klebte noch Blut an Mias Händen – von ihrem vergeblichen Versuch, seine Wunde zu stillen.

Was sie wohl von ihm dachten? Von uns allen, die wir uns inmitten einer unglaublichen Entdeckung wie dieser gegenseitig umbrachten?

Zuerst versteckten Mia und ich uns also in den Lüftungsschächten, dann, nachdem wir sie gefunden hatten, in den Hohlräumen zwischen den Wänden, und jetzt, nach einer Woche auf der Flucht, kennen wir uns hier blind aus. Wir haben sogar eine Art Heimatbasis. Wir nennen sie die Kreuzung – eine etwas breitere Stelle, wo sechs verschiedene Wände sternförmig zusammentreffen und wo man, wenn man sich zusammenkauert, einigermaßen gut sitzen kann. Wir haben dort nur an einer Seite Nachbarn – zwei Unsterbliche, die einander Atlanta und Dex nennen. Wenn wir uns ganz still verhalten und die beiden an der richtigen Stelle stehen, können wir ihre Gespräche belauschen und durch den Lüftungsschlitz einen Blick auf sie erhaschen. Wenn sie Dienst haben und nicht im Zimmer sind, können wir uns außerdem selbst leise unterhalten, ohne zu riskieren, dass man uns hört.

Aber wir sind die ganze Zeit viel zu sehr mit Überleben beschäftigt, um etwas zu tun – nach Antworten zu suchen oder aktiv zu werden. Wir haben noch nicht herausgefunden, wie – oder warum – sie es geschafft haben, so menschlich auszusehen. Wir wissen nur, dass sie keine Menschen sind und die Ähnlichkeit unterhalb der Haut endet. Wir konnten noch nicht einmal in Erfahrung bringen, was sie mit der Erde vorhaben – nur dass sie sie uns wegnehmen wollen.

Und was auch immer das bedeutet, keiner von uns kann sich damit anfreunden.

Alles, was wir brauchen, ist eine Gelegenheit, Kontakt mit der Erde aufzunehmen. Wir mögen zwar nicht wissen, weshalb sie hier sind, aber wenn wir die Menschheit warnen können, dass das riesige Schiff in der Umlaufbahn keineswegs so leer ist, wie alle glauben, dann besteht die Chance, dass Rettung eintrifft, bevor die Unsterblichen uns entdecken.

Natürlich kann es ebenso gut sein, dass die Internationale Allianz das Schiff einfach abschießt, wie Mia festgestellt hat. Aber ich ziehe es vor, optimistisch zu bleiben. Und vertraue darauf, dass sie nicht ihre letzte Chance auf eine Technologie zerstören wird, die den raschen Niedergang der Erde und das Dahinschwinden sämtlicher Rohstoffe verhindern könnte.

Hinter der Abdeckung, die Mia unter Mühen geöffnet hat, liegt ein kleiner Raum, der von einem einzelnen Unsterblichen bewohnt wird, den wir seit zwei Tagen beschatten. Unseren Beobachtungen nach hält dieser Unsterblichen-Faulpelz es für nötig, mindestens zweimal pro Stunde eine Pause zu machen. In jeder Gruppe gibt es einen Drückeberger, und wir verlassen uns heute auf unseren. Durch die Wand hindurch haben wir genug einseitige Gespräche belauscht, um zu wissen, dass er mit einem dieser Headsets ausgerüstet ist, die fast alle Unsterblichen auf dem Schiff tragen. Es besteht aus einem kleinen Metallteil, das übers Ohr gestülpt wird, und einem schmalen Glasstück, das man sich vors rechte Auge schiebt.

Wenn diese Headsets für die Unsterblichen so etwas wie Telefone sind, dann werden wir vielleicht – ganz vielleicht – einen Weg finden, eines davon zu nutzen, um einen Anruf nach zu Hause abzusetzen.

Ohne einen Augenblick seiner Pause zu vergeuden, lassen wir uns in den kleinen Raum hinunter, in dem unsere Zielperson arbeitet, inständig hoffend, dass der Faulpelz wieder mal etwas länger wegbleibt. Ich fange Mia auf, als sie sich, mit den Füßen voran, zu mir herunterfallen lässt. Sie verharrt kurz in meinen Armen, fast Nase an Nase mit mir, und unsere Blicke treffen sich. Mein Herzschlag beschleunigt sich, obwohl ich mich selbst ermahne, dass das jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt ist.

Seit wir uns kennen, hat sie mich zweimal geküsst.

Einmal, damit ich ihr durch das Portal im Inneren des Tempels folgte. Das zweite Mal, als wir dachten, wir müssten sterben.

Seither waren wir nie länger als eine halbe Stunde voneinander getrennt gewesen. Wir haben uns zum Schlafen zusammengekuschelt, wir haben in den schmalen Gängen dicht aneinandergedrängt die Unsterblichen belauscht, aber keiner von uns hat Anstalten zu einem weiteren Kuss gemacht. Ich nicht, weil ich so verdammt ahnungslos bin und nicht weiß, ob ihr das außerhalb einer Notsituation recht wäre – es geht doch nichts über ein Szenario, bei dem dir jemand höflich eine Abfuhr erteilt, während dein Leben am seidenen Faden hängt – und sie nicht, weil … tja, wenn ich das wüsste, wäre es leichter. Vielleicht kommen ihr solche Gedanken ja nur, wenn es um Leben und Tod geht.

Andererseits könnte man mit einer gewissen Berechtigung behaupten, dass wir dem Tode gerade ziemlich nah sind und dass jeder Augenblick an Bord dieses Schiffes eine Notsituation ist. Ob ich sie damit überzeugen könnte?

Ich setze sie auf dem Boden ab, und sie marschiert sofort zur Tür hinüber, um Schmiere zu stehen und mich im Notfall zu warnen. Ich wende mich dem Arbeitspult zu, das dankenswerterweise nicht automatisch in die Wand zurückgefahren ist, als sein Bediener den Raum verlassen hat – doch dann bleibt mein Blick am Fenster hängen.

Zum ersten Mal seit ich fortgegangen bin, sehe ich die Erde.

Ich kann die größtenteils goldbraunen Umrisse von Nord- und Südamerika erkennen, um die sich weiße Wolkenfetzen winden. Irgendwo dort unten ist Mias kleine Schwester Evie, inmitten der gewaltigen Formation der zwei Kontinente. In der Ausbuchtung im Süden ist noch ein bisschen Grün übrig, doch die Wüstenstreifen an den beiden gegenüberliegenden Küsten im Norden kriechen langsam aufeinander zu.

Es ist ein blasserer Braunton als Gaias Rostrot. In der kurzen Zeit, in der ich dort war, habe ich mich an die unwirtliche Schönheit des fremden Planeten gewöhnt. Ich hatte geglaubt, dass ich dort sterben würde, in den Händen der Plünderer oder zerquetscht von einer Tempelfalle, weil mein Scharfsinn mich im Stich ließ oder einfach weil mein Atemgerät leer war. Oder, während der letzten Tage, durch die Hand der IA – durch die Hand von Charlotte oder Mink oder wie auch immer unsere doppelzüngige Strippenzieherin wirklich heißt.

Und als das vorbei war, dachte ich, ich würde bei der Sabotage dieses Schiffs sterben, und, falls uns die Aktion nicht gelänge, in dem Moment, wenn das Schiff das Portal passiert und sich beim Angriff auf die Erde selbst zerstört. Und jetzt sitzen wir fest. Verglichen mit dem Gestrandetsein auf Gaia sind wir unserer Heimat so nahe, als stünden wir vor der Haustür. Doch ohne die Möglichkeit, zur Erde zu gelangen, könnten wir uns ebenso gut noch auf der anderen Seite der Galaxis befinden. Und müssen jeden Tag damit rechnen, erwischt und höchstwahrscheinlich getötet zu werden.

Mehercule, kein Wunder, dass ich müde bin.

Auch mein Cousin Neal ist dort unten, in England, dem grünen Tautropfen, der sich hinter der Krümmung des Globus verbirgt. Vielleicht auch mein Vater, irgendwo im Herzen von Prag.

Ein lauter, dumpfer Knall veranlasst mich beinahe, mich in die zweifelhafte Sicherheit des Lüftungsschachts zu flüchten. Mia weicht ein paar Schritte von der Tür zurück. Ein leises Prasseln und ein zweites, leiseres Scheppern, dann sehe ich, wie etwas Glitzerndes, Metallisches am Fenster vorbeitreibt – das Geräusch kam von draußen, nicht aus dem Schiff.

Unser Versteck an der Kreuzung liegt zu tief im Bauch des Schiffes, als dass wir so etwas mitbekommen können, doch hier, an der Außenseite, hört man es, wenn die irdischen Satelliten vom Schiffsrumpf abprallen, um anschließend für alle Zeiten als Trümmerwolke durch das Weltall zu treiben oder aber in einer feurigen Bahn als Sternschnuppen heimzukehren.

Während ich innerlich um Fassung ringe, schnappe ich mir das Headset, hänge mir das Metallstück übers Ohr und platziere die Glaslinse über dem rechten Auge. Ich kann noch immer den Raum sehen, aber nach einem Augenblick taucht eine leuchtende Textzeile auf, die vor mich hinprojiziert wird und mein Sichtfeld überlagert.

BEFEHL/EINGABE?

»Funktioniert es?«, flüstert Mia.

»Es funktioniert«, murmele ich und bemühe mich dabei um einen ruhigen Tonfall. »Und Mia – es ist Englisch.«

Sie sieht mich an, ihr Gesicht in meinem Blickfeld wird von dem Text des Headsets überlappt. Ihre Augen sind groß, verwirrt, verängstigt – aber ich habe keine Möglichkeit, sie zu beruhigen, und keine Antworten, die ich ihr geben könnte.

Plötzlich versteift sie sich und blickt an mir vorbei Richtung Tür. »Schnell, er kommt zurück!«

Mein Herz macht einen Satz, und ich reiße mir das Headset vom Kopf. Doch als ich es wieder auf das Arbeitspult legen will, weigern meine Finger sich auf einmal, mir zu gehorchen.

»Was machst du denn?«, zischt Mia.

»Wir brauchen es.« Ich kann mich nicht rühren, umso weniger, als ich jetzt das wahrnehme, was Mia eine Sekunde zuvor gehört hat: Schritte, die durch den Korridor näher kommen. »Wir können es nicht einfach hierlassen.«

»Wenn wir es stehlen, wissen sie, dass es uns gibt.« Mias Finger schließen sich um mein Handgelenk, drücken zu, und meine Hand entspannt sich.

»Perfututi«, murmele ich und lasse das Ding los.

Gerade will ich herumwirbeln und zu dem Lüftungsschacht in der Wand zurückrennen, als ich sehe, wie das Headset ins Rutschen kommt. Mein Magen verkrampft sich. In meiner Hast habe ich es zu nah an die Kante des Pults gelegt. Während Mia und ich gleichzeitig darauf zuhechten, segelt es herunter und fällt zu Boden.

Ein Klappern und Knirschen ertönt, in unseren Ohren klingt es so laut wie eine berstende Scheibe. Vor Schreck halten wir gleichzeitig den Atem an.

Dann hören wir wieder die Schritte im Gang, sie kommen näher. Und werden immer lauter.

Amelia

Vor dem Lüftungsschacht prallen Jules und ich kurz zusammen, und ich brauche zwei lange, kostbare Herzschläge, bis ich begreife, dass jeder von uns den anderen dazu bringen will, zuerst in den Schacht zu steigen. Ich gebe nach und klettere an Jules hoch wie an einem Baum, dann drücke ich mich gegen die Innenwand, damit Jules sich an mir vorbeiquetschen kann.

Seine langen Arme und Beine passen hier kaum rein, und mit jeder Bewegung macht er so viel Lärm, dass es sich anhört, als würde der Drummer einer Band in der Wand wohnen, aber bis jetzt hat uns noch niemand bemerkt.

Als er drin ist, beuge ich mich vor, obwohl ich kaum Platz habe, mich zu rühren, und ziehe die Klappe hinter uns zu. Ich packe Jules’ Knöchel und drücke ihn warnend, damit er sich nicht bewegt. Während ich mich selbst daran erinnere, nicht die Luft anzuhalten, beobachte ich, wie der Arbeiter auf halbem Weg zum Bedienpult stehen bleibt und sich bückt, um das Headset aufzuheben. Ich warte, mit hämmerndem Herzen und gespitzten Ohren.

Es folgt ein tiefer Seufzer, dann ein gemurmeltes Wort, das ich zwar nicht kenne, dessen Bedeutung ich jedoch unschwer erraten kann. Ich höre Finger über die Knöpfe fliegen, dann eine Stimme: »Beantrage Reparatur der Sichtlinse, shifte es jetzt zum Recyc.«

Wieder hört man den Arbeiter herumgehen, doch dann erstarren wir, als eine knackende, blecherne Stimme den kleinen Raum erfüllt. Bisher hat er sich mit den anderen immer über das Headset verständigt – jetzt hören wir sie zum ersten Mal ein Com-System benutzen.

»Ernsthaft?« Die Stimme klingt ziemlich genervt. »Damit hast du schon zwei gelixot, seit wir geshiftet sind.«

»Mach kein Gefrett, es ist nur das Glas«, protestiert Schluffi und bleibt nur einen Meter vor der Klappe stehen, die ich immer noch festhalte. Ganz kurz durchzuckt mich der panische Gedanke, dass »Recyc« der Lüftungsschacht sein könnte, in dem wir uns verstecken, doch dann zieht er einen schubladenähnlichen Behälter aus der Wand und legt das Headset hinein. »Es funktioniert noch, hat nur einen Sprung.«

»Halt die Schickung noch zurück, da benutzt gerade einer den Transit.«

Schluffi seufzt und kehrt wieder an das Bedienpult zurück. »Kaputtes Mistding von einem Lixo-Schiff«, murmelt er.

Wenn ich den Hals recke, kann ich die Schublade gerade noch sehen. Das Schiff verfügt über ein integriertes Transportsystem, ganz ähnlich den alten Röhren, wie sie auf der Erde früher in Banken und Postämtern benutzt wurden. So sind wir an unser Essen gekommen – soweit man die faden, gummiartigen Würfel aus Protein Essen nennen kann –, indem wir die Lieferungen zu einzelnen Räumen und Stationen abgefangen haben.

Mit einem Mal wird mir klar, dass er sein Headset auf diese Weise wegschicken will. Uns bleiben nur noch wenige, kostbare Sekunden, bis er auf den Knopf drückt und es entschwindet.

»Nicht bewegen«, flüstere ich und behalte Schluffis Stiefel im Blick, während ich vorwärtskrieche, die Klappe mit einer Hand umklammernd.

Ich spüre, wie Jules erstarrt und sich einen Protest verkneift. Ich drücke sein Bein, um ihn zu besänftigen, wobei mir nur allzu bewusst ist, dass er nichts tun kann, um mich aufzuhalten, ohne dass man uns beide erwischt. Wir haben eine Woche verschwendet und gehofft, auf der Erde würde jemandem auffallen, dass das Schiff in der Umlaufbahn gar nicht unbemannt ist – das ist unsere erste Gelegenheit zu handeln, anstatt auf Rettung zu warten. Ich werde sie nicht ungenutzt verstreichen lassen, nur weil ich Angst habe.

Ich lasse mich aus dem Schacht herausgleiten und auf den Boden hinab, wobei ich vorsichtig erst den einen, dann den anderen Fuß aufsetze, ohne den Unsterblichen aus den Augen zu lassen.

Einen Moment lang stehe ich nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, während er auf das Bedienpult hinunterschaut und auf grünes Licht wartet. Keiner von uns ist den Unsterblichen je so nah gekommen. Sein Gesicht sehe ich nicht, aber von hinten wirkt er wie ein ganz normaler Erdenjunge, einschließlich des ungeduldigen Fingertrommelns. Seine Haut ist von einem tiefen, dunklen Braun, und sein Haar, das ihm in zerzausten Locken auf die Schultern fällt, erinnert mich an das von Evie. Ich schaudere bei dem Gedanken, dass diese uralte, außerirdische Bedrohung sich eine derart vertraute Gestalt gibt.

Man vergisst so leicht, dass sie keine Menschen sind. Nicht wie wir. Während ich dieses Ding ansehe, muss ich unwillkürlich an die ersten panischen Momente denken, nachdem die Unsterblichen-Portale aktiv wurden. Entsetzt über die klobig aussehenden Köpfe und die pechschwarzen Anzüge, versteckten Jules und ich uns und erlebten den Schock unseres Lebens, als einer von ihnen den Helm abnahm und darunter ein Menschengesicht zum Vorschein kam.

Nachdem wir sie vom Lüftungsschacht aus ein paar Stunden lang beobachtet hatten, flüsterte Jules: »Es sind Menschen – sie mögen zwar anders sein, aber vielleicht könnten wir ja mit ihnen reden? Herausfinden, wie sie hierhergekommen sind und warum, und uns vorstellen?«

Bei seinem Vorschlag sträubten sich mir sämtliche Nackenhaare, doch er drückte meine Hand und sah mich mit seinen großen, braunen, umwerfenden Jules-Augen an, und für einen Augenblick war ich drauf und dran, unser Versteck zu verlassen und uns der Gnade dieser uralten Wesen auszuliefern. Doch dann rutschte einer von ihnen in einer Schneepfütze auf dem Schiffslandeplatz auf Gaia aus und prallte gegen einen Vorsprung an der Steinwand.

Mit einem Aufschrei ließ er sich zu Boden fallen und umklammerte sein Bein – während hellblaues Blut an die Wand gegenüber spritzte. Jules erstarrte, und seine Hand, die meine hielt, fühlte sich plötzlich eiskalt an.

Was auch immer diese Dinger sind, sie sind nicht menschlich. Sie sind nicht wie wir. Und wenn sie uns erwischen, werden sie keine Gnade walten lassen.

Jetzt einen von ihnen zu beobachten, wie er sorglos an seinem Arbeitspult steht, ist irgendwie sogar schlimmer, als wenn sie ein Mysterium mit Kürbisköpfen geblieben wären.

Trotzdem sind meine Hände ganz ruhig, als ich die Schublade aufziehe und vorsichtig das Headset herausnehme. Eine Sekunde später verschwindet die Lade lautlos automatisch wieder in der Wand.

Langsam bewege ich mich mit meiner Beute Richtung Luke zurück, als aus dem Lautsprecher erneut ein Knacken dringt und die Stimme grünes Licht zum Versenden des Headsets gibt. Um das Ding loszuschicken, muss Schluffi sich halb umdrehen, und dann wird er mich sehen. In meiner Eile gerate ich beinahe ins Stolpern, greife nach dem Rand des Lüftungsschachts und krieche rückwärts in die Enge, wie ein Einsiedlerkrebs, der sich in seinen Panzer zurückzieht. Schluffi dreht sich zur Seite und drückt den Knopf, und ich rücke die Abdeckung an Ort und Stelle, mit einem leisen Klappern, das sich mit dem im selben Moment einsetzenden Luftrauschen über uns in der Wand vermischt.

Keiner von uns beiden rührt sich, ein paar lange, quälende Sekunden lang. Schluffi setzt sich hin und beugt sich seufzend über sein Pult.

Wir lassen noch ein paar Minuten verstreichen, wobei Jules vor Panik immer noch ganz starr ist. Dann kriechen wir so leise wie möglich zwischen die Wände zurück.

***

»Von sämtlichen bescheuerten, impulsiven, riskanten Aktionen …«, flüstert Jules fuchsteufelswild, als wir bei der Kreuzung ankommen.

»Halt den Mund!«, erwidere ich finster. »Es hat doch geklappt, oder?« Genau das hatten wir gebraucht: eine Chance, diesen außerirdischen Wesen endlich mal eine Nasenlänge voraus zu sein und vielleicht sogar einen Weg nach Hause zu finden. Und das alles, ohne dass sie je merken, dass wir etwas gestohlen haben, denn soweit sie wissen, ist das Headset im Recycling.

»Mehercule, immer wenn ich glaube, ich weiß, wie stur und leichtsinnig du bist, ziehst du so eine Nummer ab …«

»Ich will hier oben nicht sterben, Jules!« Nach Luft ringend, bemühe ich mich, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. »Und wenn doch, dann will ich wenigstens kämpfen und nicht wie eine Maus in der Wand zur Strecke gebracht werden.«

Jules reibt sich das Gesicht, in dem blassblauen Licht des Armbands ist sein Gesicht schweißnass. »Zeig mir das Headset«, sagt er resigniert.

Es ist ein Friedensangebot, und ich reagiere darauf, indem ich ihm das gestohlene Headset aushändige. »Du wolltest es dir genauer ansehen können, um herauszufinden, ob sich damit die Erde kontaktieren lässt. Sag jetzt nicht, ich würde dir nie etwas Nettes schenken.«

Jules presst die Lippen zusammen, während er das Headset eingehend betrachtet. »Schenk mir bloß nie was zum Geburtstag«, murmelt er. Dann schaut er zu mir hoch, und sein Mund verzieht sich zu einem kleinen Lächeln.

Ich grinse ihn an und quetsche mich in die äußerste Ecke der Kreuzung, damit er mehr Platz hat. Mein Herz rast immer noch, und jedes kleine Geräusch – nicht so ungewöhnlich in den Wänden eines uralten Raumschiffes – lässt mich zusammenschrecken. Das war so knapp, dass selbst ich aus der Fassung bin, doch für Jules zwinge ich mich, zumindest ruhig zu wirken.

Ein rascher Blick auf sein Handgelenk verrät mir, dass uns noch etwas weniger als eine Stunde bleibt, bevor unsere Nachbarn Atlanta und Dex Dienstschluss haben und in ihre Kabine zurückkehren. Eine Stunde Zeit zum Reden.

Jules beendet seine Inspektion und setzt sich das Headset auf, wodurch es zu neuem Leben erwacht. »Das Linsendisplay hat einen Sprung«, bemerkt er. Sein noch sichtbares Auge blickt starr ins Leere, während das andere auf das Glas fokussiert ist. »Aber größtenteils sehe ich trotzdem noch, was drauf ist.«

Triumphierend taste ich in der Dunkelheit neben dem Rohr herum, durch das das Wasser für das Schiff fließt. Meine Finger erfühlen die Reste unseres Frühstücks, ein Block aus schwammigen, etwa handtellergroßen Würfeln. Ich breche ihn auseinander, beiße in einen der Würfel und lege den Rest für Jules beiseite. Er ist größer als ich und isst mehr, und immer wenn er eine seiner Forschersessions macht, hat er danach einen Bärenhunger. Und ist jedes Mal überrascht darüber.

»Was steht da?«, frage ich rasch. Ich kenne das schon: Sobald er erst mal in die Sphären seines Geistes abgetaucht ist, vergisst er alles andere um sich herum, mich eingeschlossen.

Jules schüttelt den Kopf. »Das … lässt sich schwer sagen. Es ist, als würde es irgendwie mit meinen Hirnwellen interagieren, meine Gedanken lesen … es versucht, jeden noch so kleinen Gedanken von mir zu erfassen und darauf zu reagieren.«

»Vielleicht ist es deswegen Englisch statt Schriftzeichen.« Ich beuge mich zu ihm hin, doch um etwas auf dem Glas zu erkennen, müsste ich so dicht an ihn heran, dass wir Wange an Wange wären, also lasse ich es bleiben. »Es liest deine Gedanken und übersetzt in die Sprache, die du am besten sprichst.«

»Möglich.« Jules’ Stimme klingt zweifelnd, aber offenbar hat er auch keine bessere Erklärung. »Ich finde nichts darüber heraus, wie man kommunizieren kann, außer mit anderen Headsets. Wie man Kontakt zu einem Planeten in der Nähe aufnimmt, erfährt man nicht.«

»Und wie sieht’s mit einem Lageplan des Schiffs aus?«, schlage ich kauend vor und bemühe mich, mir meine Enttäuschung nicht anhören zu lassen. Wir haben Zeit – vielleicht bekommt Jules ja noch heraus, wie man mit dem Headset ein Signal zur Erde sendet, damit sie uns holen kommen. Und, na ja, die Unsterblichen aufhalten, aber vorher sollten sie uns vielleicht erst noch retten.

»Ein Lageplan verrät uns auch nicht, was sie hier machen und was sie mit der Erde wollen.«

»Aber vielleicht verrät er uns, ob es irgendwo einen Kommunikationshub gibt, von dem aus wir zur Erde funken können. Oder zeigt uns, wo man sich am besten noch weiterhin unbemerkt versteckt kann.« Ich weiß zwar, dass Jules genauso dringend nach Hause will wie ich – und er weiß, dass eine Funkbotschaft dafür unerlässlich ist –, aber trotzdem verfällt er ständig in seinen alten Forschermodus. Ständig grübelt er, was die Unsterblichen vorhaben, und versucht, sie wie eine seiner wissenschaftlichen Problemstellungen zu betrachten.

Ich muss ihn daran erinnern, dass es egal ist, was die Unsterblichen hier machen, denn selbst wenn wir es wüssten, könnten wir nichts dagegen tun, solange wir nicht zur Erde funken können.

Jules seufzt. »Ich gucke mal, ob ich einen Plan finde.«

Und schon ist er wieder abgetaucht. Ich lasse ihn in Ruhe und lehne mich an die Wand, deren geriffelte Oberfläche unangenehm in meine Schultern drückt. Aber das kenne ich inzwischen schon, und ich ignoriere die Schmerzen. Im Moment trage ich Jules’ Armband, und in dessen Schein sehe ich mich unter den Gegenständen um, die in unserem Versteck herumliegen.

In den Augen von so ziemlich jedem würde unsere Ausrüstung kläglich wirken. Eine selbstgemachte Schale, geformt aus Alufolie, die von der Verpackung der Nahrungswürfel stammt, und umwickelt mit einem Stück wasserdichtem Stoff von einem ihrer entsorgten Overalls, fängt das Wasser aus dem winzigen Loch auf, das wir in das Rohr geschnitten haben. Aus dem Rest der Uniform haben wir eine Decke gemacht. Mein Multitool ist unser einziges Werkzeug, um Sachen zu zerteilen, zurechtzuschneiden und herzustellen, was wir so brauchen.

Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass dieses bisschen Schrott alles ist, um uns gegen eine zweifellos feindliche Armee zu verteidigen. Doch jeder Gegenstand steht für einen Sieg, errungen durch irgendein Wagnis oder irgendeinen cleveren Schachzug. Und davon gab es nun mal nicht viele.

Es sei denn, man bezeichnet es als Sieg, so lange zu überleben – und dabei unentdeckt zu bleiben.

Und genau das tue ich, verdammt nochmal!

Unser einziger Vorteil ist, dass die Unsterblichen nicht wissen, dass wir an Bord ihres Schiffes sind. Sie sind zwar nicht regelrecht unvorsichtig, haben aber auch nicht überall Wachen postiert, wie sie es vielleicht tun würden, wenn sie den Verdacht hätten, dass etwas nicht in Ordnung sei. Aber trotzdem ist auf dem Schiff von Tag zu Tag mehr los, denn am laufenden Band kommen neue Unsterbliche durch die Portale.

Die Portale sind uns ein Rätsel: Wir wissen, dass es Durchgänge sind, die von einem Ort zum anderen führen, dass die Unsterblichen diese Orte aussuchen und Portale von unterschiedlicher Größe bauen können, mal so groß wie ein Raumschiff, mal so groß wie eine gewöhnliche Tür … aber wie sie das alles machen, das wissen wir nicht. Zweimal haben wir versucht, uns in den Korridor mit den Portalen zu schleichen, um herauszufinden, ob man sie irgendwie für die Heimkehr nutzen könnte, aber beide Male war zu viel los. Keine Chance, sie unbemerkt zu erreichen.

Jules’ Körper fühlt sich warm an. Die Luft auf dem Schiff liegt mehrere Grad unterhalb angenehmer Zimmertemperatur, doch das scheint die Unsterblichen nicht zu stören. Wegen der Kälte und des Platzmangels in unserem Schlupfwinkel müssen wir dicht nebeneinander sitzen. Aber sosehr ich mich auch danach sehne, mich zu recken, die Arme so weit auszubreiten, wie es nur irgend geht, und tief Luft zu holen, bin ich doch dankbar für diese Enge.

Denn ich weiß nicht, ob ich den Mut hätte, mich an Jules anzukuscheln, wenn wir mehr Platz hätten.

Er ist derart vertieft in das Headset, dass ich ihn ungeniert betrachten kann. Er sieht übel aus, seine Kleider sind dreckig und verschwitzt, mit einem unverkennbaren Geruch, von dem ich wünschte, ich könnte ihn als »männlich« bezeichnen anstatt als »absolut widerlich« –, aber schließlich bin ich genauso schmuddelig und ungewaschen. Blinde Passagiere haben eben keine Duschmöglichkeit.

Er sieht müde aus, und der zuckende Muskel an seinem Unterkiefer verrät mir seine Anspannung. Ob er es wohl merken würde, wenn ich ihn berühren würde – also, mehr berühren würde, meine ich? In den letzten Tagen hat er mich kaum angesehen.

Was völlig in Ordnung ist. Vermutlich werden wir sterben, ich glaube, das haben wir beide – jeder auf seine eigene Weise – inzwischen akzeptiert. Aber wenn es eine Möglichkeit gibt, zur Erde zu funken, dann sind wir unseren Familien zu Hause einen Versuch schuldig. Ich bin es Evie schuldig. Selbst wenn sie in den Fängen des Clubs bleibt und für den Rest ihres Lebens dort schuften muss, ist das mit Sicherheit besser als das, was diese Außerirdischen für sie vorgesehen haben. Was auch immer die Unsterblichen planen – dass sie sich so viel Mühe gegeben haben, um die Menschheit zu täuschen, lässt vermuten, dass es für unsere Lieben kein Zuckerschlecken wird.

Und angesichts dieser Verantwortung sollten wir beide zuallerletzt an …

Ein schepperndes Geräusch schreckt uns auf, und das Herz schlägt mir bis zum Hals. Durch die Wand dringen Stimmen, die auf die Quelle des Lärms hindeuten, und als erneut ein Scheppern ertönt, erkenne ich, dass es sich um die zugleitende Schiebetür in dem Raum neben unserem Luftschacht handelt.

Hastig verberge ich das blaue Licht des Armbands an meinem Bein, bis ich es endlich ausschalten kann, und Jules stopft ein Stück Kautschuk von meinen Sohlen in das Loch in dem Rohr. Wir wissen nicht, wie viel man drüben hört, aber ein Wartungsteam, das hier raufkommt, um nach einem tropfenden Rohr zu fahnden, können wir ganz und gar nicht gebrauchen.

Das Headset klappert leise, als Jules es abnimmt. Ich sehe das Glitzern in seinen Augen, als er in der Dunkelheit meinen Blick sucht, und ich weiß, dass er beunruhigt ist. Seit ihrer Ankunft waren die Unsterblichen immer so pünktlich wie ein Uhrwerk. Nicht ein einziges Mal hat einer seinen Arbeitsbeginn versäumt oder ist zu spät gekommen.

Heute sind Atlanta und Dex früh dran.

Jules

»Ach komm schon, Pfirsich, mach mir kein Gefrett«, sagt die Stimme von Dex, während wir hören, wie zwei Leute die Kabine hinter der Wand betreten.

»Was zum lixo ist Pfirsich?« Das ist Atlanta, sie klingt völlig unbeeindruckt.

Mia und ich wechseln wortlos einen Blick, dann legen wir uns beide wieder so hin, dass wir durch den knapp über dem Boden eingelassenen Lüftungsschlitz sehen können – wir sind in der Dunkelheit unsichtbar, doch aus der richtigen Perspektive haben wir den ordentlichen kleinen Raum mit den zwei Kojen und dem winzigen Schrank perfekt im Blick.

»Ein Pfirsich ist etwas zu essen«, sagt Dex und schält sich aus dem Oberteil seines Overalls, unter dem sein Unterhemd zum Vorschein kommt. Ich erhasche einen Blick auf sein Tattoo, als er die Ärmel über dem Bauch verknotet. Er sieht nicht älter aus als wir, genau wie Atlanta. Sie wirken wie Teenies – aber bei ihrem Anblick sehe ich vor meinem inneren Auge immer das blaue Blut spritzen, und womöglich sind sie mehrere hundert Jahre älter als wir.

Wieder schaue ich zu Mia hinüber, und ihrem Stirnrunzeln nach zu urteilen, hat sie das Tattoo ebenfalls bemerkt. Dass diese Aliens offenbar etwas mit sich gemacht haben – eine OP oder irgendetwas, das visuelle Halluzinationen hervorruft –, um menschlich zu wirken, ist das eine. Aber dass sie Tattoos tragen, zeugt von einer Detailbesessenheit, bei der es mir eiskalt den Rücken herunterläuft.

Das Unsterblichenpärchen unterhält sich immer noch. »Ich hab’s nachgeschlagen«, protestiert Dex. »Du bist nach Atlanta benannt, wo man früher Pfirsiche angebaut hat. In Proto-Sprache klingt Pfirsich liebevoll.«

»Habe ich irgendwas getan, um dich liebevoll zu stimmen?«, fragt sie spitz und unterstreicht ihre Worte, indem sie sich polternd aufs Bett fallen lässt.

»In diesem Zyklus nicht«, räumt er ein und lässt sich auf die Koje gegenüber sinken. Von unserem Lüftungsschlitz aus sind nur seine Schienbeine und seine Füße zu sehen. »Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Können wir jetzt reden?«

»Es gibt nichts zu reden«, faucht sie. Die beiden necken sich immer wie Geschwister, sie sticheln einander und tauschen kleine Gemeinheiten aus und auch gutmütige Witzeleien, aber bisher haben sie sich noch nie richtig gestritten. Dex ist unbekümmerter, Atlanta eher steif, aber man merkt ihnen an, dass sie sich schon lange kennen. Vielleicht sind sie zusammen aufgewachsen. Wo auch immer sie aufgewachsen sind. Falls sie überhaupt aufgewachsen sind – vorauszusetzen, dass sie so etwas wie eine menschliche Kindheit hatten, wäre gleichbedeutend mit der Fehlannahme, dass sie sind wie wir.

Beide sind hochgewachsen, etwa so groß wie ich, und von schlankem Körperbau, aber eher kräftig und drahtig als zierlich. Beide haben den gleichen goldenen Teint und das gleiche schwarze Haar, nur dass ihres glatt und glänzend ist, während er dichte Locken hat. Beide haben die Haare zu ordentlichen Zöpfen nach hinten geflochten, die ihre Gesichter freihalten.

»Ganz ruhig, Pfirsich.« Seine Stimme klingt beschwichtigend. »Ich versprech, ich habe nur gemeint, wir sollten uns überlegen, vielleicht ein anderes Destin zu beantragen. Wir können uns eines aussuchen.«

Destin, wiederholt mein Gehirn und arbeitet fieberhaft. So wie in destiny? Wider alle Wahrscheinlichkeit hoffe ich auf einen Hinweis darauf, was sie hier machen und was sie mit der Erde vorhaben.

»Wir nehmen Alpha eins, okay? Ich habe uns nicht in den besten Einsatzplan eingeschleust, um dann irgendein lixo Wissenssucher-Destin zu nehmen.« Sie seufzt. »Hast du dir mal angesehen, wie die Welt da unten aussieht? Da ist mehr Wüste und Smog als Grün und Blau, das Ganze wird bald zum Lixo gehen … wir müssen nach unten shiften, Dex. Je eher wir die da unten loswerden, desto besser.«

»Ich compren.« Dex klingt ganz ruhig. »Und wir werden auch shiften. Ich weiß nur nicht …«

»Was ist los mit dir, Dex?« Atlantas Tonfall wird schärfer. »Hast du Angst? Bis jetzt hast du noch nie Angst gehabt.«

»Nein, und ich hab auch jetzt keine Angst«, erwidert er gelassen. »Und ich will dir hier kein Gefrett machen. Ich meine nur, es gibt eine Menge, was wir noch nicht compren. Du und ich, wir müssen abwarten, die ersten Kundschafterteams auf der Erde werden uns beno Daten schicken. Warte ab, vielleicht stellt sich ja raus, dass Alpha eins gar nicht so beno ist, wie wir denken. Vielleicht gibt es noch ein bedeutsameres Destin, und dann schlagen wir zu.«

Ich spüre Mias flache Atemzüge an meinem Körper. Ihr Kopf schmiegt sich unter mein Kinn, während wir beide dicht nebeneinander auf der Seite liegen, um gemeinsam durch den Lüftungsschlitz spähen zu können.

Atlanta schnaubt, sie scheint nicht überzeugt. »Bei dir klingt immer alles beno.«

Dex lacht. »Deswegen schauen die Jungs auch alle michzu«, meint er.

Atlanta stößt einen tiefen Seufzer aus und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. »Ich will jetzt shiften, Dex. Wozu das ganze Training, wenn wir hier oben nur rumsitzen und ihre Geschichten im Fernsehen anschauen und ihr Internet lesen?«

»Bald geht’s rund«, sagt er. »Ich versprech, wenn wir so weit sind, geht’s bei jedem einzelnen Paar an Bord dieses Schiffes rund, und bei jedem einzelnen da unten auch.«

»Fang nicht wieder mit den Protos an«, stöhnt sie und wirft halbherzig ein Wäschestück nach ihm.

Er steht auf, und seine Schritte nähern sich ihrem Bett. »Komm, wir holen uns was zu essen«, schlägt er vor.

Ihre Antwort klingt mürrisch. »Wenn wir schon geshiftet wären, könnten wir unten essen.« Doch trotz ihres Gemaules schwingt sie ihre Beine vom Bett und lässt sich von ihm hochziehen.

»Normales Essen wird uns wie lixo vorkommen, wenn wir erst mal unten auf der Erde gegessen haben«, entgegnet er gutgelaunt. »Also sollten wir besser alles aufessen, bevor wir die beno Sachen kennenlernen.« Er knotet die um seine Hüfte geschlungenen Ärmel seines Overalls auf. »Und hinterher schauen wir auf der Brücke vorbei, was es so Neues gibt«, schlägt er vor, als sie den Raum verlassen. »Wir werden klarmachen, dass wir es wirklich wollen, okay? Ob wir nun nach Alpha eins gehen oder nicht – es wird ein beno Auftrag sein.«

Sie bleibt in der Tür stehen und sieht ihn forschend an. »Und du willst tatsächlich ein beno Destin?«, fragt sie ruhig.

»Ich versprech«, sagt er und schiebt sie hinaus in den Gang. »Wir machen das schon. Die hatten ihre Chance mit diesem Planeten.«

Mit einem metallischen Klicken schließt sich die Tür hinter ihnen.

Eine halbe Minute bleiben Mia und ich schweigend liegen, lassen das Gehörte sacken und warten, bis sie wirklich fort sind. Dann wird Mia unruhig, also setze ich mich auf, damit sie mehr Platz hat.

»Heilige Scheiße.« Sie schaltet das Armband ein, in seinem Schein wirkt ihr Gesicht blass. »Jules, hast du …«

»Ja. Destin – wie Destination? Eine Mission oder so? Lixo ist Portugiesisch, und im Portugiesischen heißt es Destino. Ganz zu schweigen von Französisch, Italienisch und Spanisch, wo das Wort ganz ähnlich …«

»Jules!« Mias scharfer Tonfall bringt mich zum Thema zurück.

»Schon gut.« Als der akademische Nebel um meinen Geist sich lichtet, erfasst mich das gleiche Entsetzen wie Mia. Ein Entsetzen, das mein Herz zum Hämmern bringt. »Sie schicken Unsterblichentrupps zur Erkundung auf die Erde – so spionieren sie uns aus. Sie sind schon dort, jetzt gerade, unerkannt.«

»Deswegen haben sie sich ein menschliches Aussehen gegeben.« Mias Stimme zittert.

»Und deswegen sprechen sie Englisch und andere irdische Sprachen.« Mir fällt etwas ein, das mir eine Gänsehaut beschert. »Vor ein paar hundert Jahren haben die Regierungen speziell ausgebildete Spione ins Ausland geschickt, wo sie sich unter die Bevölkerung mischten. Sie durften von klein auf immer nur die Sprache das Feindes sprechen. Deshalb sprechen die Unsterblichen mittlerweile wie wir.«

»Glaubst du, sie wissen Bescheid?« Mias Stimme zittert immer noch. »Die Menschen auf der Erde – dass Aliens unter ihnen sind, Wesen, die aussehen wie Menschen, aber keine sind? Wissen sie von der Invasion?«

»Wenn sie es wüssten«, erwidere ich finster, »dann hätten sie inzwischen einen Weg gefunden, das Schiff anzugreifen.«

»Aber die Unsterblichen sehen ganz genauso aus wie wir, also wird niemand versuchen, sie aufzuhalten. Womöglich legen sie Bomben oder unterwandern Regierungen oder nehmen Geiseln, oder … oder …«

Ich weiß, dass sie an Evie denkt, ihre Schwester. Ich weiß das, weil mein erster Gedanke meinem Vater galt, und zum allerersten Mal bin ich tatsächlich erleichtert, dass er in der IA-Zentrale in Prag einsitzt. Vielleicht ist er dort ja sicher. Aber andere Menschen, die mir wichtig sind, haben diesen Schutz nicht. Meine Freunde, der Rest meiner Familie.

Ich taste nach Mias Hand, und, ohne zu zögern, verschränkt sie ihre Finger mit meinen und drückt sie. Inzwischen berühren wir uns so oft, dass es nicht mehr viele Augenblicke wie diesen gibt, in denen wir es absichtlich tun. Eigentlich sollte es ganz normal sein, nichts Besonderes. Doch zumindest ich bin wie elektrisiert.

Dann lässt ihr Händedruck nach, und als ich den Kopf hebe, sehe ich, wie sie an ihrer Unterlippe knabbert und ihre Furcht etwas anderem weicht. Während ich sie so anschaue, blitzt in ihren Augen dieses Leuchten auf, das ich zu bewundern und fürchten gelernt habe und das mir verrät, dass sie gleich etwas Verrücktes vorschlagen wird. »Moment mal … Jules. Wenn sie Unsterblichentrupps aussenden, die sich unten auf der Erde unter die Menschen mischen, dann bedeutet das, dass sie irgendwie vom Schiff dorthin und wieder zurück kommen können.«

Und plötzlich begreife ich, was ihr soeben klargeworden ist. »Sie haben Shuttles.« Ich richte mich so rasch auf, dass ich mit dem Kopf gegen die schräg geneigte Wand knalle. Doch es kümmert mich nicht, denn zum allerersten Mal gibt es Hoffnung. »Wenn wir herausfinden können, wo sie sind …«

»Dann kommen wir auch von diesem Schiff runter.« Mia greift nach dem Headset und drückt es mir in die Hände.

Ich zögere, während meine Finger den Bügel umfassen. »Aber Mia, wenn wir ein Shuttle stehlen, dann sehen sie uns – und wir wissen nicht mal, wie man es fliegt. Wir sind beide keine Piloten, und selbst wenn wir welche wären – das sind Alien-Raumschiffe, und …«

Mia seufzt genervt. »Das findet sich dann schon, Jules, war doch immer so! Wir lösen die Probleme, wenn sie sich ergeben.«

Ich starre sie an, sie und dieses beängstigende Leuchten in ihren Augen, und weiß, dass sie nach diesem ersten Schritt mit mir losrennen wird, bis wir Hals über Kopf von der Klippe stürzen, ohne dass ich noch irgendwas dagegen tun kann.

»Setz das Headset auf, Oxford.«

Die Hand auf meinem Arm fühlt sich warm und vertraut an und spendet mir Zuversicht.

Ich setze das Headset auf.

Amelia

Jules murmelt Unverständliches, in seiner Stimme liegt eine Gereiztheit, die nicht einmal unsere zunehmend häufigeren Begegnungen mit dem Tod bei ihm hervorrufen. Angestrengt versucht er neben mir, das Headset-System der Unsterblichen zu bedienen. Er ist schon seit Stunden damit beschäftigt, aber mein behutsamer Vorschlag, eine Pause zu machen, blieb ungehört. Einmal habe ich darauf bestanden, es selbst zu versuchen, aber ich hatte das Ding kaum aufgesetzt, als auf dem Linsendisplay gleißend heller Text aufleuchtete, der mir durchdringende Kopfschmerzen einbrachte.

»Es ist so was wie eine Art hochentwickeltes künstliches Bein, das von neuronalen Impulsen gesteuert wird, nur eben für das Gehirn.« Jules’ Erklärung klang beinahe entschuldigend, als er mir das Headset wieder abnahm. »Man braucht Übung dafür.«

Ich habe kein Problem damit zuzugeben, dass Jules schlauer ist als ich, zumindest was die Art von präzisem Denken angeht, die man für diese Geräte braucht. Meine Antwort klang trotzdem ein wenig mürrisch: »Diese Außerirdischen sind wohl nie auf die Idee gekommen, eine Tastatur zu benutzen.«

Eine kleine Bewegung in dem angespannten Körper neben mir lässt mich zu ihm hinübersehen. An seiner Schläfe und entlang des Schlüsselbeins hat sich Schweiß gesammelt. Ich weiß, dass wir alles über die Funktionsweise des Dings herausfinden müssen und es deshalb absolut notwendig ist, dass er weitermacht, dennoch strecke ich unwillkürlich die Hand aus und fasse ihn am Handgelenk.

»Entspann dich, Oxford«, murmele ich, als er bei der Berührung zusammenzuckt. Jules klappt die Sichtlinse nach oben und blinzelt, bis er mich im blauen Schein seiner Uhr wieder scharf sehen kann. »Wie lange war ich drin?«

»Lange genug«, sage ich. »Mach mal Pause, iss etwas. Erzähl mir, was du herausgefunden hast.«

Automatisch greift Jules nach einem der schwammartigen Speisewürfel und entzieht sich dabei meinem Griff, um das Display seiner Armbanduhr auf den Lageplan richten zu können, den wir in die Wand der Kreuzung geritzt haben – eine Kopie der Bilder, die Jules von dem Headset empfängt. »Ich hatte recht, das hier ist die Shuttlehalle«, verkündet er und zeigt auf einen großen, offenen Bereich am anderen Ende des Schiffes.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Wieso klingst du dann nicht fröhlicher?«

»Weil ich immer noch keinen blassen Schimmer habe, wie man so ein Shuttle eigentlich fliegt.« Jules zerdrückt den restlichen Speisewürfel zwischen Daumen und Zeigefinger und schneidet dabei eine kleine Grimasse, so als würde er den Geschmack des Würfels meinen und nicht seine fruchtlose Recherche.

Während ich mir den Plan ansehe, wünsche ich, wir könnten das Shuttle persönlich in Augenschein nehmen. Aber überall sind Unsterbliche, und rund um die Shuttlehalle gibt es keine Luftschächte, in denen man sich verstecken könnte – eigentlich logisch. Niemand will ein Belüftungssystem, das mit einem Raum verbunden ist, der sich zum Weltall hin öffnet.

»Vielleicht müssen wir das Shuttle ja gar nicht fliegen«, sage ich schließlich. »Vielleicht können wir uns bei einem an Bord schleichen. Als blinde Passagiere, so wie hier.«

»Vielleicht.« Jules klingt zweifelnd, und ausnahmsweise kann ich ihm nicht widersprechen. Sich auf einem Schiff zu verstecken, das so groß ist wie ein kleiner Wolkenkratzer, ist eine Sache. Ein Shuttle von der Größe eines Schlafzimmers ist eine andere Hausnummer. »Vielleicht können wir uns ihre eigene Strategie zunutze machen. Uns als sie tarnen, so wie sie das auf der Erde machen. Wenn wir zwei von diesen Anzügen in die Finger bekämen …«

Er verstummt und sieht mich nicht an, und ich weiß, warum. Ich drücke mich auf die Knie hoch und ziehe eine Grimasse. »Bisher haben wir noch keinen gesehen, der unter eins achtzig ist. Selbst wenn es uns gelingen würde, zwei gleiche Anzüge zu klauen, würde ich wie ein Kind im Hosenanzug seiner Mutter wirken.«

Jules unterdrückt ein Lachen, und das Geräusch durchschneidet meine Anspannung wie ein Messer, das durch Butter gleitet. »Ich seh’s bildlich vor mir.«

Ich grinse ihn müde an, doch das Lächeln vergeht mir, bevor ich den nächsten Satz herausbringe. »Aber du könntest gehen.«

Auch Jules’ Lächeln verschwindet. Ich muss mich bis zum Äußersten anstrengen, damit er nicht merkt, wie sehr mich diese Vorstellung ängstigt, denn wenn er sieht, dass ich Angst habe, wird er sich weigern, das weiß ich. Wenn ich nicht lebendig hier rauskomme, würde es mich trösten zu wissen, dass wenigstens Jules es geschafft hat. Allerdings wäre ich dann ganz allein hier.

»Red keinen Blödsinn«, flüstert Jules schließlich. Es klingt heiser.

»Wenn du hier rauskämst, könntest du die IA vor den Unsterblichen warnen. Sie könnten schnell das Shuttle aufrüsten und wären im Nu hier. Oder glaubst du etwa, dass ich nicht so lange allein klarkäme?«

Er schluckt den Köder nicht. »Wir gehen zusammen. Entweder das oder wir bleiben beide hier.«

»Jules, sei nicht …«

»Würdest du denn allein gehen und mich hier zurücklassen?«

Ja. Ich kann das Wort klar und deutlich hören, es liegt mir auf der Zunge. Doch meine Lippen wollen sich nicht bewegen, und ich verfluche meine plötzliche – und ganz untypische – Unfähigkeit, zu lügen.

Jules’ Augen glänzen. »Das dachte ich mir. Außerdem würde ich allein wahrscheinlich fast genauso auffallen wie mit dir.«

»Wieso?«

»Sie sind immer zu zweit unterwegs – hast du das noch nicht gemerkt?«

Stirnrunzelnd rufe ich mir die Unsterblichen in Erinnerung, die wir auf dem Schiff beobachtet haben. »Aber Schluffi …« Doch noch während ich den Einwand formuliere, begreife ich, was Jules meint.

»Die Versorgerbesatzung, wie man sie wohl nennen könnte, bildet keine Paare. Die Ingenieure und so. Aber die … die Soldaten oder Spione oder was immer sie sind? Solche wie Atlanta und Dex, die jung Aussehenden, die zur Erde runterfliegen? Die haben alle einen Partner und sind immer zu zweit unterwegs.«

Mir wird ein wenig mulmig, denn irgendwo in meinem Hinterkopf entfaltet sich das schlimmstmögliche Szenario. Eine Shuttle-Entführung, bei der wir es mit einem einzigen Unsterblichen-Gegner zu tun haben, könnte mit Hilfe des Überraschungsmoments vielleicht klappen. Aber wenn die Alien-Kundschafter immer paarweise auftreten, müssten wir zwei ihrer Sorte gleichzeitig erledigen, und wenn sie im Nahkampf auch nur halb so gut ausgebildet sind, wie es den Anschein hat, sind unsere Erfolgschancen gleich null.

Jules schiebt das Headset auf seine Stirn und stößt einen tiefen Seufzer aus. »Wenn bloß Neal hier wäre.«

»Neal?«

»Mein Cousin. Eigentlich mein bester Freund. Flugtechnik ist schon seit seiner Kindheit seine Leidenschaft.« Er senkt den Blick und zupft an seiner Nagelhaut herum, die Brauen zusammengezogen. »Er hätte im Nu heraus, wie man die Shuttles fliegt. Und würde bis zur Erde die ganze Zeit Loopings drehen.«

Es ist ihm deutlich anzuhören, wie viel ihm dieser Typ bedeutet. Staunen und Gedankenverlorenheit liegen Jules mehr als Sanftheit und Gefühlsduselei, aber seine Stimme spricht Bände. Und unterschwellig wird mir bewusst, dass ich nicht einmal diese grundlegenden Dinge über ihn weiß: wer seine Familie, wer sein bester Freund ist. In mancher Hinsicht sind wir uns so vertraut, wie es bei zwei Menschen überhaupt nur möglich ist. In anderer Hinsicht sind wir Fremde.

Ich schiebe den Gedanken beiseite. »Wirklich schade, dass er nicht hier ist.«

»Du wirst ihn noch kennenlernen«, sagt Jules und grinst mich rasch an. »Ihr beide werdet euch blendend verstehen. Und mein Vater wird dich lieben. Er wird dich zwar mit Mathe vollquatschen, aber …« Ein Blick in mein Gesicht lässt ihn verstummen. »Was ist?«

Seine Worte hallen in meinen Ohren nach. Sein Vater wird mich lieben? Den Abschaum, den sein Überflieger-Sohn angeschleppt hat? Jules hat schon immer in einer Art Phantasiewelt gelebt, knapp neben der Realität, mit seinen akademischen Idealen und seinem Optimismus, aber das hier hebt den Wahn auf ein ganz neues Level. Doch mein Gesichtsausdruck scheint ihn so ehrlich zu verblüffen, dass mir die sarkastische Erwiderung im Hals stecken bleibt.

Er glaubt wirklich, dass wir beide so etwas wie eine gemeinsame Zukunft haben. Immer vorausgesetzt, dass die Welt nicht untergeht.

»Jules«, sage ich leise. »Ich bin nicht gerade eine Elite-Kandidatin. Evie und ich passen nicht in die Welt, aus der du stammst. Und das ist okay so. Ich mag uns, wie wir sind.«

»Ich mag dich auch, wie du bist«, protestiert er.

Er kapiert es einfach nicht. Er begreift nicht, wie wenig ich in sein reizendes Leben passe. Ihm ist nicht klar, dass selbst er mich vor diesem Hintergrund mit anderen Augen sehen würde. So wie auf Gaia, als wir uns kennengelernt haben. Plünderin. Diebin. Ungebildeter, unmoralischer, geldgieriger Abschaum. Natürlich würde er mir das nie ins Gesicht sagen, aber genauso wäre es. Wir wären nicht mehr im gleichen Team.

Und ich will nicht dabei sein, wenn das passiert.

Etwas in meinem Gesicht oder an meinem Schweigen veranlasst Jules, sich vorzubeugen und nach meiner Hand zu greifen. Seine Hand ist warm, und seine Finger legen sich kräftig und bestimmt um meine. »Mia«, sagt er leise, als mein Blick langsam abirrt. »Es gibt im Moment nicht mehr vieles, bei dem ich mir sicher bin. Aber eins kann ich dir versprechen, du könntest mich niemals irgendwie …«

Mit einem überraschten Ausruf lässt er meine Hand los. Auch ich bin erschrocken, denn ein elektrischer Schlag hat unsere Hände durchzuckt.

Verblüfft starren wir einander an, bis Jules erneut zusammenschreckt und einen Fluch unterdrückt. Ich habe keinen zweiten Schlag gespürt, er offensichtlich schon.

Mein Herz klopft ein wenig schneller, und ich beuge mich zu ihm vor. »Alles in Ordnung?«

»Ich glaube, das kommt vom Headset. Es tut nicht wirklich weh, es war nur …« Stirnrunzelnd verstummt er.

»Der Schreck?«, beende ich den Satz für ihn mit trockener Kehle. »Ich muss sagen, da ist mein Handy mir tausendmal lieber. Selbst wenn ich den Vibrationsalarm auf Anschlag stelle, ist es nicht so …« Ich breche ab, als mir ein Licht aufgeht, und plötzlich habe ich es eilig. »Setz das Headset auf!«

Er blickt mich erstaunt an, dann reagiert er und platziert den Hörbügel über seinem Ohr, während sich das gesprungene Glas über sein rechtes Auge schiebt. Sofort hebt er den Kopf, und unsere Blicke treffen sich. Er sagt nichts, doch sein konzentriertes Gesicht verrät mir, dass ich recht hatte: Der Stromschlag war ein Alarmsignal, genau wie die Vibrationsfunktion an meinem Handy.

Er lauscht – oder vielleicht guckt er auch – , ich weiß nicht, ob seine Aufmerksamkeit dem Hörer oder dem Linsendisplay gilt. Sein Gesicht wirkt zunehmend beunruhigt, bis er schließlich das Headset wieder absetzt und mich stumm ansieht.

»Und?«

»Ich weiß nicht, jetzt ist alles tot. Nichts mehr. Ich kann nicht mehr darauf einwirken, es ist … als hätte jemand die Verbindung gekappt.«

Er klappt das Glasstück hoch und sieht mich an. Mit einem Mal begreife ich, zu welchem Schluss er gekommen ist – weil ich dasselbe denke.

»Sie wissen, dass jemand auf ihre Datenbank zugreift«, flüstere ich, als würde es Realität werden, wenn ich lauter spreche. »Jemand, der nicht zu ihnen gehört.«

»Wahrscheinlich wegen der Suchanfragen zur Shuttlesteuerung«, erwidert Jules und setzt das Headset ab. Vorsichtig klappt er es zusammen und steckt es so ruhig ein wie ein Uniprofessor, der seine Lesebrille verstaut. »Wir mussten das Risiko eingehen. Die Unsterblichen sind ihr Leben lang dafür ausgebildet worden – sie müssen natürlich nicht nach Steuerungsbefehlen suchen.«

»Aber sie können nicht wissen, dass es blinde Passagiere auf ihrem Schiff sind.« Meine Stimme klingt ein wenig schrill – ich will einfach recht haben. »Sie werden glauben, dass es jemand auf der Erde ist, oder? Ein Funk-Hacker oder so. Wir sind nicht aufgeflogen. Die Kreuzung ist noch sicher.«

Und in diesem Moment, als hätte ich es mit meinen Worten heraufbeschworen, erhellt ein grellrotes Lasergitter die Kreuzung, scharfe Linien, die jeden Winkel ausleuchten. Panisch dränge ich mich auf allen vieren an Jules heran – das Gitter nähert sich uns aus allen Richtungen.

Gleich darauf fährt es systematisch über unsere Körper. Rote Linien legen sich über Jules’ Schultern, seine schlaksigen Beine, seine Hand. Und als er sich zu mir umdreht, die Augen weit aufgerissen, leuchtet in der Mitte seiner Stirn ein roter Punkt. Wie der Zielpunkt eines Scharfschützen in einem Actionfilm. Das Blut gefriert mir in den Adern.

Sie wissen, dass wir hier sind.

***

Seit neunundvierzig Stunden haben wir nicht mehr geschlafen. Jedes Mal, wenn wir glauben, einen Winkel gefunden zu haben, von dem die Unsterblichen nichts wissen, hören wir über kurz oder lang ihre Schritte oder das metallische Quietschen, wenn jemand eine Luke aufreißt. Und zwar gefühltermaßen im Minutentakt. Es ist beinahe, als könnten sie plötzlich durch Wände sehen, als wüssten sie jederzeit, wo wir sind.