Unersättlich - Anna Karolina Larsson - E-Book
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Anna Karolina Larsson

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Beschreibung

Stockholm wird von einer grauenhaften Mordserie erschüttert: Völlig unbescholtene Menschen fallen im Drogenrausch über ihre Angehörigen her und verspeisen sie. Drei solcher »Kannibalenmorde« muss Amanda Paller, inzwischen alleinerziehende Mutter von Zwillingen, aufklären. Gleichzeitig wird Amanda von ihrer Vergangenheit und ihren Verbindungen zum kriminellen Milieu eingeholt. Denn auch Adnan, der Vater ihrer Kinder, ist wieder in der Stadt ...

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Aus dem Schwedischen von Max Stadler

ISBN 978-3-492-97866-8

© Anna Karolina Larsson 2015

Titel der schwedischen Originalausgabe: »Står dig ingen åter«, Norstedts 2015

Published by arrangement with Nordin Agency, Sweden

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2017

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

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Inhalt

Cover & Impressum

Sie nahm das oberste Messer …

1 – »Hast du gehört, …

2 – Adnan goss Tequila …

3 – Pia zog den …

4 – »Und warum sollten …

5 – Adnan hatte sich …

6 – Pia ließ sich …

7 – Charlie und Greta …

8 – Die weißhaarige Dame, …

9 – Gleich würde Björn …

10 – Die Stimmung im …

11 – Adnan rieb sich …

12 – Pia blickte zu …

13 – Amanda und Crippe …

14 – Adnan war eine …

15 – Keine Ursache. Es …

16 – Das rosafarbene Holzhaus …

17 – Erst hörte er …

18 – Ihr Herz pochte. …

19 – Amanda war wieder …

20 – Nach ein paar …

21 – Gertrud leckte sich …

22 – Amanda verrührte 0,02 …

23 – Adnan und Sebbe …

24 – Hand in Hand …

25 – Greta kletterte in …

26 – »Wie geht’s deiner …

27 – Pia trat in …

28 – Mit den hohen …

29 – Adnan wollte einfach …

30 – Pia beugte sich …

31 – Nach der Arbeit …

32 – Es war das …

33 – Pia steckte den …

34 – Peng, peng, peng. …

35 – Adnan half Hajir, …

36 – Der Wärter musterte …

37 – Amanda taten bereits …

38 – Wie versteinert stand …

39 – Es war still …

40 – Die Gröna Stugan …

41 – Adnan fuhr in …

42 – Björn kam ihr …

43 – Die Körper hingen …

44 – Adnan konnte Sabrines …

45 – Pia parkte vor …

46 – Crippe wanderte zwischen …

47 – Sacha beendete das …

48 – Pia bestellte einen …

49 – Das Bett war …

50 – Die Hütte sah …

51 – Itex’ weiche Nüstern …

52 – Amanda bestellte einen …

53 – Mit herausforderndem Blick …

54 – Pia hatte es …

55 – Am Mariatorget stieg …

56 – Solvallas riesiger Parkplatz …

57 – Pia saß Magnus …

58 – Amanda zupfte Charlies …

59 – Helena Kraljevic hatte …

60 – Pia blickte auf, …

61 – Sie saßen im …

62 – Im ersten Geschoss …

63 – Sie hatten sich …

64 – Die Fähre pflügte …

65 – Der Schlamm schmatzte …

66 – Pia starrte in …

67 – Die Sonne verschwand …

68 – Sein Arm war …

69 – Die Frau lag …

70 – Amanda und Crippe …

71 – »Scheiße, echt cool, …

72 – Pia parkte neben …

73 – Amanda setzte sich …

74 – Adnan wusste verdammt …

75 – Langsam kroch Pia …

76 – Amanda und Crippe …

77 – »Ich sitze voll …

78 – Gertrud hüpfte auf …

79 – Greta und Charlie …

80 – Adnan bemühte sich, …

81 – Sie packte die …

82 – Amanda überprüfte den …

Danksagung

Guide

 

Sie nahm das oberste Messer aus der Besteckschublade. Legte es beiseite und suchte nach einem anderen. Größeren. Schärferen. Gabeln, Löffel und Käsehobel schwebten an ihr vorüber. Sie befand sich in einer anderen Welt, obwohl sie wusste, dass sie im Haus in Duvbo war. Sie stützte sich mit beiden Händen auf der Arbeitsplatte ab und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Schließlich fand sie das größte Messer. Sie fuhr mit dem Daumen über die Klinge. Die Haut entfaltete sich wie eine Blume. Entblößte das Fleisch. Blut. Leben. Sie leckte und saugte es auf. Der Eisengeschmack war himmlisch. Wenn sie nicht bald mehr davon bekam, würde sie verhungern. Sie machte die Schublade zu und hörte die Kindersicherung einrasten. Die Uhr an der Wand tickte zu laut, zu schnell. Sie konnte nicht erkennen, wie spät es war. Die Zeiger bogen sich und lebten ihr eigenes Leben. Ihr blieb keine Zeit mehr. Sie verließ die Küche und ging ins Wohnzimmer.

Das Mädchen hockte mit angezogenen Knien auf dem Sofa, den Blick auf einen Zeichentrickfilm geheftet, während seine Hand rasch zwischen der Schale mit Popcorn und dem Mund hin- und herwanderte.

Süßes Kind. Die Kleine hatte noch immer die Zöpfe, die sie am Vormittag gemacht hatten.

Morgen würden sie zusammen zum See gehen und die Vögel mit den Brotresten füttern, die sie gesammelt hatten. Morgen.

Vorher musste sie nur essen.

Das Messer sauste herab. Ein Mal. Zwei Mal. Unzählige Male.

Das Blut erbot so viel Gutes. Sie schleckte. Kaute. Riss.

Doch irgendetwas war komisch.

Ein Gefühl. Intuition.

Und die Stimme. Die seltsame Stimme im Hintergrund, die ihr ruhig und bestimmt sagte, dass alles in Ordnung sei, und sie leitete.

Sie schluckte etwas Zähes, bevor sie das verschmierte Messer beiseitelegte. Warme Flüssigkeit rann aus ihren Mundwinkeln, und sie wischte sie mit dem Handrücken weg.

Merkwürdig. Die Gestalten im Fernsehen tanzten und lachten höhnisch.

Sie schaltete das Gerät aus und hob ein Stück Popcorn vom Boden auf.

Schlampiges Kind. Morgen würden sie zusammen die Vögel füttern. Sie lächelte bei dem Gedanken. Schön.

Die Stimme sprach sanft zu ihr.

Verlierst du erst einen, dann bleibt dir niemand mehr.

1

»Hast du gehört, was passiert ist?«

Amanda war noch nicht einmal ganz aus dem Aufzug getreten, als Crippe ihr die Frage schon aus dem Flur entgegenrief. Sie ahnte, dass er unterwegs zum Pausenraum war. Der Kaffeeduft erfüllte das halbe Treppenhaus.

»Guten Morgen.«

Crippe schüttelte den Kopf. »So etwas Krankes. Wir beide sollen das Verhör übernehmen. Komm.« Er ging weiter, und sie folgte ihm. Es musste etwas Außergewöhnliches geschehen sein. Crippe regte sich nicht so leicht auf. Er hatte schon einiges miterlebt. Genauso wie sie und alle anderen im fünften Stock des Polizeigebäudes von Västerort.

Crippe hatte sich bereits Kaffee eingegossen. Amanda öffnete einen Schrank und holte ihre eigene Tasse hervor, auf der zwei lächelnde Gesichter prangten, deren gute Laune sogleich auf sie abfärbte. Ihr wurde ganz warm innerlich, als sie ihre Zwillinge erblickte. Die beiden fehlten ihr schon, obwohl sie die Kleinen erst vor einer Viertelstunde in der Krippe abgegeben hatte.

»Erzähl«, sagte sie.

»Sie haben heute Nacht eine Frau verhaftet. Sie hat ihre sechsjährige Tochter verspeist.«

»Was hat sie getan?!«

»Der Nachbar hat es gemeldet. Er hat die Frau blutüberströmt aufgefunden und Alarm geschlagen. Dachte, dass sie die Verletzte sei. Als die Streife ankam, stießen sie auf ein Mädchen im Wohnzimmer. Es sah aus wie in einem Schlachthaus. Die Jungs sind noch in der Station, falls wir mit ihnen reden wollen. Sie haben eine Nachbesprechung mit den Sanitätern. Aber ich hab alles schriftlich. Das kannst du lesen«, sagte Crippe.

Sie blätterte den Stapel durch. Festnahmeprotokoll, Anzeige, Vernehmung der Nachbarn, die Liste der beschlagnahmten Gegenstände.

»Die Techniker sind im Moment dort«, fuhr Crippe fort, »und die Kripo hat schon die Nachbarn vernommen, aber das scheint nichts gebracht zu haben.«

Amanda blickte wieder auf das Protokoll: Nina Liljedahl. Fünfunddreißig Jahre alt. »Woher wissen sie, dass sie es war? Hat sie gestanden?«

»Bis jetzt konnte sie noch nicht vernommen werden. Offenbar war sie völlig zugedröhnt. Aber sie kaute an einem Ohr, als die Streife eintraf.« Crippe verzog das Gesicht. »Wir sollen es jetzt probieren, der Wärter meinte, dass sie wieder halbwegs zu sich gekommen ist und die ganze Zeit fragt, was passiert ist.«

»Weiß sie das nicht?«

Crippe zuckte die Achseln. »Wir werden sehen, was sie uns erzählt. Was sie mit ihrer Tochter getan hat, ist doch vollkommen krank. Die Drogen müssen ihr den Verstand geraubt haben.«

Amanda ging in den Umkleideraum, um ihre Sachen zu holen. Eigentlich war es ein Büro, in dem provisorisch einige alte Holzschränke untergebracht waren, in denen sie ihre persönliche Ausrüstung aufbewahrten. Sie zog ihre schwarze hüftlange Lederjacke und den Schal mit dem Leopardenmuster aus und fädelte einen schwarzen Gürtel mit dem Aufdruck POLIZEI durch die Ösen ihrer Jeans. Daran hingen die Handschellen und ein Holster. Mehr konnte sie nicht tragen, ohne dass es zu sehr auffiel. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, der an einer Wand in der Bürolandschaft stand, und loggte sich in ihren Computer ein. Während er hochfuhr, zog sie die Gardinen ein wenig zur Seite, um etwas von dem grauen Tageslicht hereinzulassen. Crippe wartete ungeduldig. Amanda hatte bemerkt, dass er sich seit einiger Zeit bewusster kleidete. Heute trug er ein armeegrünes T-Shirt, das sich über seinen Brustkorb spannte. Er befand sich in einem Scheidungsverfahren und hatte plötzlich rund zehn Kilo abgenommen. Jeden Tag ging er in den Kraftraum und achtete sehr auf seine Ernährung. Oft aß er Thunfisch oder Hühnchen. Amanda holte erneut das Festnahmeprotokoll hervor und suchte nach Nina Liljedahls Personennummer in der Datenbank. Sie stockte, als sie das Ergebnis las.

Sie schnappte sich die Ermittlungsakte und ging zu Crippe. Im Aufzug auf dem Weg ins Erdgeschoss vereinbarten sie, dass Amanda die Gesprächsführung übernehmen sollte. Micke, der Wärter, wirkte erleichtert, als sie zu ihm kamen. Offenbar schlug Nina seit einer Stunde ununterbrochen gegen die Tür und schrie hysterisch. Micke wollte eine Pause einlegen und frühstücken. Doch nun führte er sie erst einmal durch den langen Korridor. Schon von Weitem hörten sie Nina schreien, und als sie die Tür öffneten, sank eine zierliche Frau zu Boden. Sie weinte und fragte immer wieder, warum man sie eingeschlossen habe. Amanda und Crippe versuchten, sie auf dem Weg zum Vernehmungsraum zu beruhigen. Sie nahmen Platz. Ein Schreibtisch stand zwischen ihnen und Nina. Amanda verzichtete auf Notizblock und Stift. Sie wollte erst einmal so mit der Frau sprechen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie ein reguläres Verhör führten.

»Wissen Sie, warum Sie hier sind?«

Nina sah auf und schüttelte den Kopf. Schluchzend sagte sie: »Als ich aufgewacht bin, war ich hier eingeschlossen. Ich habe Panik bekommen. Warum will mir niemand sagen, warum ich hier bin? Und wo ist Olivia? Um Himmels willen! Johan ist ja weg. Wer kümmert sich um Olivia?«

»Wir haben Johan erreicht, und er ist auf dem Nachhauseweg.«

Ninas Unterlippe zitterte. »Aber warum bin ich hier? Ich kann mich an nichts erinnern. Ich habe einen totalen Blackout.«

»Nina, sehen Sie mich an.« Amanda blickte ihr in die Augen und erkannte Verzweiflung und Angst. Sie würde gezwungen sein, das alles noch schlimmer zu machen. »Ich werde Sie jetzt vernehmen.« Sie schluckte. »Sie werden verdächtigt, Ihre Tochter umgebracht zu haben.«

Stille. Der Stuhl, auf dem Nina saß, bebte.

Tränen stiegen Amanda in die Augen, und mühsam hielt sie sie zurück. Sie starrte auf eine Büroklammer, die auf dem Schreibtisch lag, und dachte, welch schöne Form sie doch hatte. Welch eine intensive blaue Farbe. Sie versuchte, sich abzulenken, nur damit sie nicht losweinte.

Dann nahm sie all ihre Kraft zusammen und blickte wieder in Ninas Gesicht. »Der Mord geschah in Ihrem Haus in der Nacht von gestern auf heute, also zwischen dem fünften und sechsten April. Sie sollen wissen, dass Sie ein Recht auf einen Verteidiger während der weiteren Vernehmung haben. Möchten Sie das?«

Nina umklammerte die Tischkante und sah aus, als könnte sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. »Das muss ein Irrtum sein«, stammelte sie.

»Sollen wir warten, bis ein Verteidiger da ist, bevor wir weitermachen?«

»Nein! Ich will wissen, was passiert ist!« Nina schlug mit den Fäusten auf den Tisch. »Was ist passiert? Was ist passiert?«, schrie sie. Das braune Haar blieb an den mit Tränen überströmten Wangen kleben.

»Ganz ruhig. Bleiben Sie ruhig.« Es kam nicht infrage, jetzt irgendwo einen Anwalt aufzutreiben, der erst noch aus Stockholms Innenstadt zum Polizeirevier von Solna fahren musste. Sie würde es kurz machen. Es war ja trotz allem nur eine einleitende Vernehmung. »Können Sie uns sagen, was Sie gestern Abend gemacht haben?«

»Ich weiß es nicht! Ich erinnere mich an nichts!« Dann, plötzlich, verstummte Nina mit angsterfülltem Blick. Sie schob die Ärmel ihres viel zu großen Pullovers hoch und betrachtete ihren Arm. »Ich hatte Blut an den Armen. Oh Gott, ich hatte Blut an den Armen! Und in den Haaren!« Sie packte eine tränendurchnässte Strähne. Ihre Finger nahmen ein schwaches Rosa an. »Ich habe noch immer Blut in den Haaren! Was ist bloß passiert?! Wo ist Olivia?!« Sie sprang voller Entsetzen auf, und der Stuhl fiel um.

Crippe legte ihr den Arm um die Schultern. »Wie wir Ihnen schon gesagt haben: Ihre Tochter wurde ermordet. Es tut uns schrecklich leid.«

Nina sackte in sich zusammen. Sie zitterte und gab jammernde unkontrollierte Laute von sich, die Amanda erschaudern ließen. Crippes beruhigende Worte erreichten sie nicht.

»Wir beenden die Vernehmung an dieser Stelle«, sagte er schließlich.

Amanda wollte sich wieder auf die Büroklammer konzentrieren, um sich selbst zu beruhigen. Aber ihre Sicht verschwamm. Mit dem Zeigefinger fuhr sie über ihre Lider, atmete tief durch. Sie versuchte, die Mascara nicht zu verschmieren. Dann erst folgte sie Crippe und Nina in Richtung Zelle.

Nina protestierte nicht. Sie war verstummt. Ihr Körper glich einem ausgewrungenen Lappen. Sie ging in die Zelle und setzte sich auf das Bett mit der Gummimatratze.

Crippe schloss hinter ihr die Tür ab. Er drehte sich zu Amanda und stieß schließlich einen gequälten Seufzer aus. »Was denkst du?«

»Sie sagt die Wahrheit.« Amanda räusperte sich, um ihre Stimme zu festigen. »Sie erinnert sich wirklich an nichts.«

»Ich habe gespürt, dass wir nicht weiterkommen würden. Deshalb habe ich abgebrochen. Wie geht es dir?«

»Alles okay. Doch man sollte sie in die Psychiatrische bringen.«

Crippe nickte. »Ich bespreche das mit der Einsatzleitung.«

Sie gingen durch den Korridor zurück, in dem nun vollkommene Stille herrschte. Niemand schrie mehr. Der Wärter befand sich vermutlich noch immer im Pausenraum. Amanda dachte nach. Ja, das war das Angenehme an der Arbeit mit Crippe, sie schuldete ihm nie eine Entschuldigung oder Erklärung. Seit sie selbst Kinder hatte, war sie dünnhäutiger geworden. Der Hebamme zufolge lag das an einem Hormonschub, der sie ihr restliches Leben begleiten würde. Das hatte etwas Gutes und Schlechtes, fand Amanda. Sie hasste es allerdings, in Situationen zu geraten, in denen sie unprofessionell reagierte. Aber Nina Liljedahl war keine gewöhnliche Verdächtige. Sie hatte ihre Tochter verspeist. Und sie erinnerte sich an nichts, weil sie unter starkem Drogeneinfluss stand. Seltsam war auch, dass sie im Polizeiregister nicht im Zusammenhang mit Drogendelikten auftauchte. Nina Liljedahl war ein unbeschriebenes Blatt. Dasselbe galt für ihren Mann Johan. Warum rutschte eine Frau mit einem scheinbar normalen Familienleben auf einmal ins Drogenmilieu ab? Amanda würde sie das bei der nächsten Vernehmung fragen müssen.

Amanda drehte den Wasserhahn zu, und das donnernde Geräusch im Badezimmer verstummte. Zu hören waren nur noch das Planschen und die fröhlichen Ausrufe, wenn Charlie und Greta Boote ineinanderkrachen ließen und Springbrunnen spielten. Ihre Kinder waren ihr Ein und Alles. Und so unschuldig. Sie wurden noch von der Wirklichkeit da draußen verschont.

Doch wie hatte alles nur so schiefgehen können? Hätte sie etwas anders machen sollen? Ihre Gedanken waren unsortiert und schwer zu greifen.

Nach der Vernehmung von Nina Liljedahl hatten Amanda und Crippe mit der Streife und den Sanitätern gesprochen, die als Erste am Tatort eingetroffen waren. Sie berichteten, dass Nina nicht ansprechbar gewesen sei. Sie sei wie in Trance umhergewandert und habe unzusammenhängende Dinge gemurmelt. Überall sei Blut gewesen. Auf ihrer Kleidung, an den Händen, im Gesicht. Erst hätten sie gedacht, sie kaue auf einem Kaugummi herum. Dann hätten sie das Ohr in ihrem Mund entdeckt. Sie fanden den Körper des toten Mädchens auf dem Sofa im Wohnzimmer. Für die Helfer gab es nichts mehr zu tun. Der Kopf war abgetrennt und das halbe Gesicht zerstört. Doch mitten im Gespräch heulte der interne Alarm los, und die blaue Lampe an der Decke rotierte. Jemand auf dem Revier hatte den Überfallalarm ausgelöst. Amanda wusste instinktiv, dass er von den Arrestzellen kam, und rannte zur Tür. Mehrere Kollegen eilten hinterher, da sie erwarteten, dass Micke allein war und Hilfe brauchte. Amanda hingegen dachte nur an Nina Liljedahl und ahnte das Schlimmste. Sie hielt ihre Karte über das Lesegerät und lief zu Ninas Zelle. Micke stand da und deutete ins Innere, ohne etwas zu sagen. Unfähig, sich vom Fleck zu bewegen.

Nina hockte am Boden, schräg nach vorn gelehnt. Das eine Hosenbein war um den Hals geknotet, das andere an einem Wasserrohr befestigt. Mehr brauchte es nicht, um sich zu erhängen. Den Rest erledigte das Körpergewicht.

Amanda hielt sie fest, während Crippe versuchte, den Knoten um den Hals aufzukriegen. Jemand gab ihm ein Messer, und er schnitt die Hose durch. Der Notarzt wurde gerufen.

Schließlich lag sie auf dem kalten Betonboden. Nina Liljedahl, fünfunddreißig Jahre. Bleich und tot. Noch ein Selbstmord in polizeilichem Gewahrsam, der geklärt werden musste.

Amanda zuckte zusammen, als sie Wasserspritzer ins Gesicht bekam. Charlie krümmte sich vor Lachen. Ganz im Gegensatz zu Greta, der ihr Bruder eine ganze Kanne über den Kopf geschüttet hatte.

»Raus, Mama. Will raus, Mama.« Greta streckte die Arme nach Amanda aus, die ihr über den Rand der Badewanne half. Sie trocknete die Kleine mit einem Handtuch ab, auf dem Pippi Langstrumpf abgebildet war. Wickelte das dunkelbraune Haar darin ein und formte damit einen Turban auf dem Kopf. Greta liebte das. Sie wollte immer alles so machen wie ihre Mutter. Sie kicherte entzückt, verstummte aber sogleich und blickte Amanda mit großen Augen an.

»Warum hast du eine andere Farbe, Mama?« Greta vergrub die Finger in Amandas blondem Haar.

Amanda lächelte. »Weil das manchmal so ist. Ich habe helle Haare, und euer Papa hat dunkle, wie du und Charlie.«

»Aber wir haben keinen Papa. Wo ist sie?«

»Er. Papa ist ein Er. Und ihr habt natürlich einen Papa. Alle haben einen Papa.«

»Aber wo ist sie?«

Amanda gab ihr einen Kuss auf die weiche, runde Wange. »Das erzähle ich euch irgendwann mal, wenn ihr ein bisschen größer seid.«

»Ich bin ein großes Mädchen.«

»Ja, das bist du. Wie alt bist du?«

Greta verzog den Mund, während sie nachdachte. »Eins, zwei, vier.«

»Du bist bald drei Jahre alt. Das weißt du doch, oder?«

Greta schien mit der Unterhaltung zufrieden zu sein und lief hinaus, um ihren Schlafanzug zu holen. Unter wildem Protest holte Amanda Charlie aus der Wanne und zog den Stöpsel heraus. Das Wasser rann gurgelnd den Abfluss hinab. Die beiden waren sehr unterschiedlich. Greta war schüchtern und nachdenklich. Charlie ein Wirbelwind, der mit allem Möglichen kollidierte. Mehr wie sein Vater, nahm Amanda an. Schwer zu sagen, nachdem sie nur sehr kurze Zeit zusammen gewesen waren.

Aber sie hatte das Beste bekommen. Etwas, das sie sich nie erträumt hätte.

Zwillinge.

Greta und Charlie.

Ihr Ein und Alles.

2

Adnan goss Tequila in fünf Gläser und stellte Salz und einen Teller mit Zitronenscheiben hin. Die Typen an der Bar johlten begeistert und schleckten sich übers Daumengelenk. Sie schütteten Salz darauf und leckten es ab. Kippten ihren Tequila hinunter und schmatzten stolz. Die Zitronen ließen sie links liegen. Wollten sich wohl gegenseitig beeindrucken. Adnan hatte die Schnauze voll von trinkfreudigen Touristen, aber mit dem Mixen von Drinks hielt er sich immerhin gut über Wasser. Seit einem Jahr etwa arbeitete er für Ragnar Johnsson, einen Schweden, der mit seiner kambodschanischen Frau in Sihanoukville ein Restaurant und eine Bar betrieb. Sie waren sich in der Wildweststadt über den Weg gelaufen, wie Ragnar den Ort nannte. Ein Loch, in dem man landete, wenn man mit dem Boot aus Thailand nach Kambodscha reiste. Und Adnan sah das ähnlich, es war eine gesetzlose Gemeinschaft. Bärtige Europäer, die sich hier zur Ruhe gesetzt hatten und das Geschäft mit Bestechung und Versprechen von einem besseren Leben am Laufen hielten. Nur die Tatsache, dass statt Pferden Mopeds umherrasten, verhinderte das Aufkommen eines wahrhaftigen Clint-Eastwood-Feelings. Nachdem sie ein paar Biere getrunken hatten, während sie auf das Boot nach Sihanoukville warteten, hatte Ragnar Adnan einen Job angeboten. Adnan war baff gewesen. Ein Job! Auch wenn es erst einmal nur auf Probe war. Für solche wie ihn gab es keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, zumindest nicht in Schweden. Aber nach nur wenigen Stunden in dem neuen Land hatte er sich eine Einkommensquelle verschafft. Eigentlich waren feste Arbeitszeiten und ein regelmäßiges Gehalt nicht Adnans Ding. Aber für eine Weile war es ganz nett, sich an einem Ort niederzulassen. In Sihanoukville. Dass er den Namen nicht aussprechen konnte, machte nichts.

Die Küstenstadt hatte ihn beeindruckt. Vielleicht lag es auch daran, dass er so fulminant im Wilden Westen durchgestartet war. Sihanoukville verfügte über das meiste: Bistros, Fitnessstudios, asphaltierte Wege. Luxuriöse Hotels konkurrierten mit einfacheren Bungalows, und die Touristen fuhren mit Mopedtaxis, ganz egal, wie viel Gepäck sie dabeihatten.

Morgens joggte Adnan am Strand, abends stemmte er Gewichte. Er aß Currygerichte und fuhr Moped. Jobbte in der Bar. Das war es auch schon.

»Fünf Angkor bitte.« Einer der Typen wedelte mit einem Geldschein.

Er holte die Flaschen aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Stellte sie in wattierte Halterungen, die das Kondenswasser auffingen. Die Kerle becherten um ihr Leben, prosteten einander zu und johlten. Einer von ihnen hatte erzählt, dass sie aus Nordschweden kämen. Aus Lule. Adnan hatte nie kapiert, weshalb man bei jedem zweiten Wort unbedingt den letzten Buchstaben weglassen musste. Aber sonst waren sie in Ordnung. Redeten ziemlich viel, wenn sie tranken.

Er schaute auf seine Uhr, eine falsche Rolex, die er auf dem örtlichen Markt erstanden hatte. Noch eine Stunde bis zum Feierabend. Er stellte noch ein paar Bier in den Kühlschrank. Wischte die Spüle trocken und knotete einen Müllbeutel zu.

Da sah er ihn. Den Rollstuhl vor der Bar. Er schaute genauer hin. Fuhr sich mit einem Handtuch über die verschwitzte Stirn. Das konnte nicht sein! Zwei Gäste versperrten ihm einen Augenblick die Sicht, als sie dem Mann im Rollstuhl über die Schwelle halfen.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er war es: Hajir. Adnan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Zugleich: Furcht. Die Erinnerungen, vor denen er geflohen war, übermannten ihn. Warum war er hier? Hajir El-Batal. Sein bester Kumpel von früher.

Ihre Blicke kreuzten sich. Ein Billardtisch zwischen ihnen. Zwei Tussis und zwei Typen lieferten sich ein Match. Die Nordschweden johlten und versuchten, ein paar Amerikanern beizubringen, »Skål« zu sagen. Hajir rollte um den Billardtisch herum und musste sich wegen eines Billardqueues wegducken. Als er ihn packte, blickte die junge Frau irritiert auf und wollte sich schon beschweren, doch dann sah sie den Behinderten. Oder war es Hajirs Blick, der sie verstummen ließ? Das Irre, das stets in seinen Augen leuchtete, das hinter der ruhigen Fassade zu erahnen war?

Hajir ließ den Queue los und rollte weiter. Er hatte ordentlich zugelegt und sah viel lebendiger aus als bei ihrer letzten Begegnung. Starke Arme, vermutlich, weil er den Rollstuhl bewegen musste. Der Bauch ragte ein bisschen zu sehr unter dem hellblauen Polohemd hervor. Die Beine hingen herab.

»Was empfiehlt der Barkeeper?« Die vertraute Stimme. Tief. Rau.

»Ein Angkor vielleicht?«

»Dann nehme ich das.«

Adnan öffnete zwei Flaschen. Das Wiedersehen musste gefeiert werden, selbst während der Arbeitszeit.

»Verdammt.« Er schüttelte den Kopf. Streckte die geballte Faust aus. Hajir schlug dagegen. »Schön, dich zu sehen, Mann.«

»Dito.«

Sie nahmen ein paar Schlucke von dem eiskalten Bier. Es schmeckte schwindelerregend gut. Adnan hatte seit mehreren Wochen keinen Alkohol getrunken, weil er sich voll aufs Training konzentrieren wollte. Sein Bizeps war größer als je zuvor. Der Sixpack steinhart. Die Kondition top.

»Wie hast du hergefunden?«

»Wie viele Ragnar gibt es in Sihanoukville?«

Adnan lachte über die Aussprache. »Sag das noch mal.«

Hajir übertrieb: »Si…ha…nouk…ville.«

Sie lachten noch lauter.

Das erste Mal seit drei Jahren fühlte sich Adnan wieder wie er selbst. Sie prosteten einander erneut zu und tranken. Zwischendurch bediente Adnan Gäste. Hajir machte Bekanntschaft mit Ragnar und seiner Frau Arun. Ragnar wirkte erstaunt, ihn zu sehen, schien sich aber für Adnan zu freuen. Adnan hatte Ragnar viel erzählt. Auch, wie Hajir im Rollstuhl gelandet und es in gewisser Weise Adnans Schuld gewesen war. Dass er selbst nur noch mit Hajir in seiner Heimat Kontakt hatte, nach allem, was passiert war. Er hatte Ragnar mehr anvertraut als beabsichtigt. Aber natürlich hatte er ihm nicht alles verraten. Wie erzählte man Dinge, die man jeden Tag verzweifelt zu vergessen suchte? Er war froh, überhaupt am Leben zu sein. Obwohl alles so gründlich in die Hose gegangen war.

Eine Stunde später hatte Adnan die letzten Gäste nach draußen gescheucht, und Hajir und er waren allein. Sie saßen an einem Holztisch, an dem Adnan einen Stuhl entfernt hatte, um Platz für Hajir zu schaffen.

»Ist es nicht Zeit für dich, nach Hause zu gehen?« Hajir sah ernst drein.

Adnan wand sich und nahm noch einen Schluck von seinem Bier.

»Gefällt es dir hier?«, fragte Hajir weiter.

Adnan nickte. »Ich hab mich dran gewöhnt. Ragnar ist ein feiner Kerl. Klar ist es …«

»Ich hätte einen Job für dich, falls du interessiert bist.«

Adnan horchte auf. Zugleich mahnte er sich, keine zu großen Hoffnungen zu hegen. »Was für einen Job?«

»Kein Drogenmist wie früher«, antwortete Hajir. »Damit hab ich nichts mehr zu tun, das weißt du. Ich handle jetzt mit Autos. Luxuskarossen. Hab eine eigene Firma.« Hajir berichtete.

Die Nachfrage nach den Wagen war riesig. Sie klauten die Fahrzeuge mit Schlüsseln und waren schon über die Öresundbrücke, bevor die Besitzer überhaupt checkten, dass ihre Karre weg war. Werkstätten in Europa besorgten neue Nummernschilder und änderten die Fahrgestellnummer. Hajir hatte ein kleines Imperium aufgebaut. Fünfzehn Angestellte, musste aber noch weiter expandieren. Er brauchte Leute, auf die er sich verlassen konnte. Ein Nullachtfünfzehn-Normaloleben sei nicht drin, meinte er. Nicht, wenn man so sei wie sie. Wie er und Adnan. Ihre Herkunft verhindere das.

Adnan kam das alles sehr bekannt vor. Die Action lockte. Die Kohle. Die Freiheit. Das war nichts Neues. Er hatte das alte Leben nur eine Weile lang beiseitegeschoben und war eigentlich davon ausgegangen, dass Hajir es ebenso gemacht hatte, nachdem man ihm in den Rücken geschossen hatte und er fast gestorben wäre. Nachdem er mit Isabella eine Familie gegründet und zwei Kinder und einen Nachzügler als Extrazugabe bekommen hatte. Aber Hajir hatte es sich anders überlegt. Er hatte begriffen, dass die schwedische Gesellschaft niemanden begnadigte. Im Gegenteil, sie zwang jeden verurteilten Menschen zurück in die Kriminalität. Ob dieser wollte oder nicht. Einmal Ganove, immer Ganove. Aber im Laufe der Jahre wurde man klüger. Warum Koks verticken, wenn man viel Moos mit schnellen Karossen verdienen konnte? Es gab weniger Risiken und höhere Summen für alle Beteiligten.

Adnan lauschte. Zermarterte sich das Hirn. Diskutierte mit Hajir. Öffnete sein sechstes Bier.

Dann kam die unausweichliche Frage, die Adnan stellen musste: »Was ist mit Miran?«

»Er ist stinksauer«, gab Hajir brüsk zurück. »Du bist mit der Kohle verschwunden. Was glaubst du denn?«

Adnan begriff. Er hatte selbst viele Nächte schlaflos dagelegen und sich gefragt, wo die Beute abgeblieben war. In seinen Augen kamen nur die Bullen infrage. Aber warum logen die Schweine und erzählten den Journalisten, dass das Geld weg war? Er ahnte, was passiert war. Erst wollte er es nicht glauben. Aber je mehr er grübelte, desto schärfer wurde das Bild. Er war schlimmer übers Ohr gehauen worden, als er sich je hätte vorstellen können. Er war verraten und ausgenutzt worden. Aber das konnte er Miran nicht sagen. Kein Wunder, dass er wütend war.

»Wie geht es ihm?«, fragte Adnan.

Hajir schnaubte. »Ich hab ihn schon länger nicht gesehen. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass er jemanden kennengelernt hat. Ich hoffe, sie hat einen guten Einfluss.«

»Arbeitet er nicht für dich?«

»Nein, Mann.«

Hajir brauchte nicht mehr zu sagen. Miran hing noch immer an der Nadel. Adnan fragte sich, wie tief er wohl in der Scheiße steckte. War es Kokain? Heroin? Spice? Was nahm man heutzutage? Ihm ging auf, dass er in den vergangenen Monaten in einer geschützten Blase gelebt hatte. Er hatte den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Das war gut und schlecht zugleich. Doch die Sehnsucht nach etwas anderem juckte unter der Haut.

Aus der Nacht wurde früher Morgen, und Adnan besorgte eine Mitfahrgelegenheit für Hajir in Richtung des Sokha Beach Resort. Ein Fünfsternehotel mit Privatstrand. Isabella und die Kinder seien auch dort, hatte Hajir erzählt. Adnan fuhr mit dem Moped nach Hause. Es war still, und die Sonne ging gerade auf. Sonst joggte er jeden Tag um diese Zeit. Aber das würde er heute mal ausfallen lassen. Der Alkohol gab ihm trainingsfrei.

Sein Bungalow war einfach, enthielt aber das Nötigste. Ein Bett mit Mückennetz, eine Toilette und eine Dusche. Er aß entweder in Ragnars Restaurant, oder er besorgte sich etwas an einem Straßenstand. Zu Hause machte er sich höchstens mal einen Kaffee. Den Wasserkocher hatte er von Arun geschenkt bekommen.

Adnan duschte, bevor er sich ins Bett legte. Nach einem Abend in der Bar roch er nach Schweiß und Rauch. Er trocknete sich mit einem weißen Handtuch ab und kroch nackt unter die Decke. Seine Gedanken überschlugen sich. Alles war so plötzlich und unerwartet gekommen. Natürlich hatten sie ihn ständig im Hinterkopf begleitet. Die Fragen. Die unendlichen Fragen. Was sollte er mit seinem Leben anstellen? Konnte er eines Tages wieder nach Hause zurück? Wollte er das? Wurde noch nach ihm wegen des Raubüberfalls gefahndet? Vermutlich nicht. Und wegen des Polizistenmords?

Er schlief ein, während um ihn herum eine Mücke surrte, die ein Loch im Netz gefunden hatte.

Das Laken klebte ihm am Leib, als er um die Mittagszeit aufwachte. Sein Mund war wie ausgedörrt, und er stand auf, um eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Er sah nach, ob es auch etwas zu essen gab. Leider nicht. Adnan zog Badeshorts und ein weißes T-Shirt an, nahm ein Handtuch und fuhr mit dem Moped zum Strand. Er sollte sich dort mit Hajir und seiner Familie treffen. Isabella und den Kindern. Ob Isabella immer noch sauer auf ihn war?

Er hielt am Straßenrand und kaufte gegrillte Hühnchenspieße. Er bekam sie in einer Plastiktüte serviert, in der die Soße schwamm. Die Verkäuferin winkte fröhlich, als er davonfuhr, und entblößte eine lückenhafte Zahnreihe.

Schon lange war Adnan nicht mehr tagsüber am Strand gewesen. Die Leute lagen auf Liegestühlen unter farbenfrohen Sonnenschirmen, die im Wind flatterten. Er erblickte die Familie unter einem großen Baum, dessen dichtes Laubwerk Schatten spendete. Hajir lag auf einem Handtuch und stützte sich auf die Ellbogen. Isabella fütterte ihren Jüngsten mit einer Banane.

Adnan streckte ihr die Hand hin. »Wir haben uns schon einmal getroffen, leider unter keinen besonders schönen Umständen.«

»Ich weiß.« Sie lächelte. Ein gutes Zeichen?

»Wo sind die anderen?«, fragte Adnan und blickte sich um.

»Sie sind am Wasser«, sagte Hajir.

Adnan schaute zum Ufer. Ein Mädchen in einem rosafarbenen Bikini baute zusammen mit einem kleinen Jungen ein Sandschloss. Das mussten sie sein. Sandra und Marco. Adnan hatte sie noch nie getroffen. Isabella war schwanger gewesen, als Adnan Schweden verlassen hatte, Marco müsste also ungefähr drei Jahre alt sein. Sandra war älter.

Adnan breitete sein Handtuch aus und setzte sich so, dass nur die Beine in der Sonne waren.

»Hier versteckst du dich also«, sagte Isabella.

Die Bemerkung fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. So hatte Adnan noch nie darüber gedacht. Er war auf der Flucht vor den Bullen, vor der Rechtsprechung, vor sich selbst. Aber sich zu verstecken war gleichzusetzen mit feige. Er hatte seinen besten Kumpel, der nun im Rollstuhl hockte, im Stich gelassen. Er hatte sich geweigert, vor Gericht gegen denjenigen auszusagen, der Hajir bei einem schiefgegangenen Drogendeal in den Rücken geschossen hatte. Aber Adnan hatte ihm versprochen, dass er sich auf andere Weise darum kümmern werde. Auf die übliche Weise. Niemand kooperierte mit den Bullen. Das wussten Adnan und Hajir. Ganz egal, was geschah.

»Ich bin ein bisschen umhergereist«, antwortete er.

»Aha, wie schön.«

»Aber jetzt ist es an der Zeit, dass du wieder nach Hause kommst«, warf Hajir ein.

»Vielleicht.«

»Was willst du denn hier?«, fragte Isabella. »Kann mir schon vorstellen, dass es eine Weile ganz nett ist, so als Urlaub. Aber auf Dauer … Vor wem versteckst du dich? Kannst du nicht für das geradestehen, was du getan hast?«

»Es reicht.« Hajir klang ruhig, aber er duldete keinen Widerspruch. Er wandte sich an Adnan. »Mir ist klar, was du gedacht hast. Damals war ich zu sehr Opfer. Aber das bin ich nicht mehr. Wir regeln die Dinge auf unsere Weise. Wie wir es immer getan haben.«

Isabella stand auf, den Kleinsten im Arm, und ging zu Sandra und Marco hinüber, die ins Wasser wateten. Marco mit orangefarbenen Schwimmflügeln.

»Du bist jetzt Vater.« Adnan kniff die Augen zusammen. Merkte, dass er seine Sonnenbrille vergessen hatte.

Hajir nickte stolz. »Drei Kinder. Wer hätte das gedacht?«

Sie schwiegen eine Weile. Ein Junge mit missgebildeten Beinen und zerrissenem Hemd schleppte sich durch den Sand und hielt ihnen auffordernd eine Plastiktüte voller Geld entgegen. Als Hajir ein paar Geldscheine hineinwarf, entblößte der Junge einen einzelnen braunen Schneidezahn. Dann kroch er weiter zur nächsten Gruppe. Adnan wunderte sich über die neue Seite von Hajir. Vielleicht empfand er Sympathie für den Jungen, der nicht gehen konnte. Er selbst gab nie etwas. Er wusste, wie das Ganze funktionierte. Verkrüppelte Kinder waren in diesen Ländern eine harte Währung und wurden benutzt, um den reichen Touristen Geld abzuknöpfen.

Er blickte zum Uferbereich, wo Isabella Marco immer wieder hochhob, wenn eine Welle kam, die leicht schäumend ans Land schlug. Sandra hielt derweil den Kleinsten fest. Adnan ging zu ihnen, um zu helfen. Das letzte Stück rannte er, um sich die Fußsohlen in dem heißen Sand nicht zu verbrennen. Er packte Marco und schwang ihn durch die Luft. Der Junge jauchzte vor Vergnügen.

»Noch mal, noch mal!«, rief er.

Adnan schwang ihn vor und zurück. Das Wasser spritzte, als die kleinen Füße die türkisfarbene Oberfläche streiften.

Isabella und Sandra lachten und sahen zu, wie Marco sich an Adnan festklammerte und bettelte: »Noch mal!«

»Hast du Kinder?«, fragte Sandra neugierig.

Adnan zögerte. »Nicht dass ich wüsste.«

Sie runzelte die Stirn.

Adnan mied Isabellas misstrauischen Blick und schaute hinüber zu Hajir, der sie aus seiner halb liegenden Position unter dem Baum beobachtete. Hajir war nicht in der Lage, seine Kinder durch die Luft zu werfen. Er lächelte ihnen zu. Aber seine Körperhaltung verriet etwas anderes.

3

Pia zog den Sattelgurt fest und setzte einen Fuß in den Steigbügel. Dann schwang sie sich auf den Pferderücken, der eine stattliche Widerristhöhe von hundertdreiundsiebzig Zentimetern aufwies. Sie beugte sich nach vorn und sagte, dass sie heute nur einen kleinen Spazierritt mit ihm machen werde, und versprach, morgen länger auszureiten. Das Pferd schien sie zu verstehen und gab ein Schnauben zur Antwort. Wie gewöhnlich trabte es in Richtung des Waldpfads. Pia merkte einmal mehr, wie sehr sie das Reiten liebte. Eins zu sein mit dem Pferd. Eins mit der Natur. Nach einem harten Tag im Büro der Staatsanwaltschaft war das eine Therapie für die Seele. Sie war Björn dankbar, dass er sie überredet hatte, ihr altes Hobby wiederaufzunehmen. Sie hatte Itex von der Polizeireiterstaffel gekauft. Dort fand man, dass er zu viel Temperament hatte. Er gebärdete sich wild, wenn er nicht jeden Tag bewegt wurde. Außerdem hatte er manchmal Rückenprobleme. Das hieß, dass er entweder geschlachtet oder verkauft werden würde, und da hatte Pia zugeschlagen. Schon nach dem ersten Proberitt hatte sie sich verliebt. Vielleicht lag es an all den positiven Erinnerungen. Pferde waren einst ihr Leben gewesen, aber ihr Exmann hatte gefunden, dass Reiten zu viel Zeit in Anspruch nehme und ein unnützes Hobby sei, das nur Geld koste. Deshalb hatte sie die Reitstiefel an den Nagel gehängt. Im Nachhinein verstand sie, um was es dabei eigentlich gegangen war.

Sie duckte den Kopf, um einem Zweig auszuweichen, der über den Pfad hing, und machte sich darauf gefasst, die Zügel kürzer zu nehmen, falls Itex bockte. Ein kleiner Ausrutscher reichte manchmal schon, und er explodierte. Dann musste man blitzschnell parieren. Normalerweise dachte sie möglichst nicht an die Arbeit, aber heute fiel es ihr schwer, die Gedanken fernzuhalten. Thomas Kallin hatte sich über eine Ermittlung beschwert und angedeutet, dass er nur damit betraut worden sei, weil sie ihr Revier markieren wolle. Sie fragte sich, wer hier sein Revier markieren wollte. Thomas zeigte sich von einer ganz neuen Seite, seitdem sie den Posten als stellvertretende Staatsanwältin bei der Stockholmer Staatsanwaltschaft bekommen hatte. Sie wusste, dass er ebenfalls auf diesen Posten spekuliert hatte und der Meinung war, dass er die bessere Qualifikation besaß. Darüber hatte er sich lang und breit mit seinen Kollegen ausgelassen. Pia sah das völlig entspannt. Aber wenn er nicht bald mit den Sticheleien über ihr Privatleben aufhörte, würde er zu spüren kriegen, wo sein Platz war. Er wollte nur ihre Schwachpunkte ausnutzen. Ihre früheren Schwachpunkte. Inzwischen lebte sie ein anderes Leben. Mit einem anderen Mann. Sie hatte eine neue Stelle, und eine vielversprechende Zukunft lag vor ihr.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als sie zum Stall zurückkam. Pia sprang ab und hielt die Zügel fest. Sie strich über den Hals des braunen Pferdes und gab ihm ein paar Karottenstücke, die es gierig verschlang. Sie nahm Itex den Sattel und das Zaumzeug ab. Küsste ihn auf die weißen Nüstern, bevor sie ihn in die Box führte.

Als sie davonfuhr, winkte sie den Hofbesitzern Siv und Bengt zu, die drüben an der Schafkoppel standen. Pia hatte in ihrer Nachbarschaft gewohnt, bevor sie in die Stadt an den Odenplan gezogen war. Eigentlich gehörte Ekerö noch zu Stockholm, aber für sie war es das platte Land. Unweit der City, aber völlig anders. Hier gab es Wald, offene Felder und wenig Bebauung.

Als sie auf die breite Straße bog, erblickte sie den dunklen BMW wieder im Rückspiegel. Sie zählte vier Wagen zwischen sich und dem BMW. In der vergangenen Woche war er ihr mehrmals gefolgt. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Sie blickte erneut in den Rückspiegel, war aber nicht sicher, ob er noch hinter ihr herfuhr. Sie beschleunigte und überholte das Auto vor sich. Umklammerte das Lenkrad. Woher war der Verfolger gekommen? Hatte er an der Kreuzung auf sie gewartet? Am Stall? Sie schaute wieder nach hinten, konnte ihn aber nicht sehen. Eine Radarkamera blitzte kurz vor Brommaplan. Sie fluchte innerlich und parkte in einer Kellergarage in der Döbelnsgatan, wo sie vor einigen Monaten einen Platz ergattert hatte. Obwohl die Wohnung ein Stück weg lag, war sie froh, einen festen Parkplatz zu haben. Sonst musste man abends oftmals stundenlang suchen, um eine freie Lücke in der Nähe zu finden. Die Neonröhre an der Decke flackerte, als sie zum Ausgang eilte. Sie blickte sich um. Was war das für ein Geräusch? Sie ging noch schneller, riss die Tür auf und gelangte auf die Straße. Zwei Scheinwerfer näherten sich und blendeten sie. Schützend hielt sie die Hand über die Augen und versuchte, zu erkennen, was für ein Auto es war. Es fuhr an ihr vorbei. Ein dunkelgrauer Audi. Sie atmete auf und hastete nach Hause, wobei sie den Kragen hochstellte, um sich gegen die Kälte zu schützen.

Björn ging ihr im Flur entgegen, als sie hereinkam. Sie atmete schwer und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

»Wie geht es dir, Liebling? Bist du gelaufen?«

Sie stützte sich gegen die Wand und zog die Reitstiefel aus. »Dieser Wagen fuhr wieder hinter mir her. Der BMW.«

»Bist du sicher?«

»Ich weiß nicht.«

Er trat zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. Als er sie an sich zog, entspannte sie sich, und ihr Puls wurde langsamer. Sie sog seinen Geruch ein. Kein Parfum. Nichts Besonderes. Nur er.

»Ich komme mir so dumm vor. Ich bilde mir das bestimmt nur ein«, sagte Pia.

Er hob ihr Kinn an. »Das denke ich auch, zumindest hoffe ich es sehr. Aber wenn es wieder vorkommt, musst du Anzeige erstatten. Stell dir vor, womöglich ist es irgendein gefährlicher Kerl, mit dem du bei der Arbeit zu tun hattest.«

»Ich bilde mir das bestimmt nur ein«, wiederholte sie.

Er sah sie ernst an. »Ist wirklich alles okay?«

Sie nickte.

»Ich mache uns eine Flasche Wein auf.«

»Ich dusche noch kurz.«

Pia ging ins Bad. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel und stützte den Kopf in die Hände. Sicherlich bildete sie sich das alles nur ein. Magnus, ihr Exmann, saß noch immer im Gefängnis. Das hatte sie in der vergangenen Woche überprüft. Und er hatte keinen Ausgang.

Nachdem sie geduscht und sich abgetrocknet hatte, zog sie einen kurzen Seidenmorgenmantel an. Mit liebevollem Blick sah Björn sie an, als sie sich neben ihn aufs Sofa setzte. Er hatte Kerzen angezündet und zwei Gläser Rotwein eingeschenkt, von denen er ihr eines reichte. Sie unterhielten sich über den Tag, und er wollte wissen, wie es im Büro gelaufen sei. Sie erzählte von Thomas Kallin, und Björn lachte und antwortete, dass Thomas ein Problem mit Frauen habe. Sie sah das genauso. Björn war so mitfühlend. Er kümmerte sich und war anders, als sie es gewohnt war. Er hatte sie dazu gebracht, wieder an die Liebe zu glauben. Zu glauben, dass es noch gute Männer gab. Dass es einen Mann gab, der sie so haben wollte, wie sie war. Keine Konkurrenz. Keine Eifersucht. Sie kuschelte sich an ihn, und er stellte die beiden Weingläser weg. Ihre Lippen berührten sich. Zögernd, zärtlich, dann immer fordernder.

»Gehen wir ins Schlafzimmer.« Seine Stimme klang rau.

Sie legten sich auf die Überdecke. Er unten. Sie rittlings auf ihm. Seine Hände tasteten ihren Rücken ab. Sie zog den Morgenmantel aus, und er lächelte, als ihm klar wurde, dass sie keinen BH trug. Er legte die Hände auf ihre Brüste und streichelte sie. Richtete sich ein wenig auf und leckte über ihre Brustwarze. Sie knöpfte seinen Hosenschlitz auf, und sie kicherten wie Teenager, als sein enges Hosenbein an der Ferse hängen blieb. Sie half ihm beim Ausziehen und warf die Hose zu Boden. Dann arbeitete sie sich wieder nach oben. Sie küsste die Innenseite des Oberschenkels und wanderte in Richtung Leiste.

»Papa, ich kann nicht schlafen.«

Björn schob Pia zur Seite und breitete die Decke über sie.

Gertrud stand in der Türöffnung und rieb sich die Augen.

Björn sprang auf. »Aber mein Liebes, kannst du nicht schlafen? Komm, Papa bringt dich ins Bett.«

»Nein, ich will hier schlafen«, jammerte Gertrud.

»Aber es ist besser, wenn du in deinem eigenen Bett schläfst.«

Gertrud griff zu ihrer stärksten Waffe und gab ein leises Wimmern von sich mit den dazugehörigen Krokodilstränen.

Björn kapitulierte. »Na, dann komm. Hier, mein Liebes. Du kannst dich zwischen mich und Pia legen. Da hast du eine Decke, Schatz.«

Gertrud kroch ins Bett, und Björn küsste sie auf die Stirn. »Schlaf gut, Prinzessin.«

Er sah Pia mit einem Ausdruck an, der sagte: Typisch, wir müssen es auf ein anderes Mal verschieben.

Pia lächelte, als fände sie das total süß. Drehte ihm den Rücken zu und machte das Licht aus. Zog ihre Decke zu sich, auf die Gertrud sich gelegt hatte. Sie starrte in das finstere Schlafzimmer, bis die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und die Umrisse der Möbel und des Fensters klarer hervortraten. Zusammen mit Björn hatte sie ein neues Bett gekauft und zwei alte Stühle schwarz angemalt, um sie zu Nachttischen umzufunktionieren. Die Blumen am Fenster hatte sie aus der alten Wohnung mitgebracht, und die Lampe an der Decke gehörte auch ursprünglich ihr. Sie und Björn hatten miteinander ein gemeinsames Zuhause eingerichtet. Sie hatte jetzt eine Familie. Sie war Stiefmutter, oder wie man das auch nennen wollte. Zweite Mama. Dritter Elternteil.

Selbst zog sie es vor, einfach nur Pia zu sein.

4

»Und warum sollten wir Ihrer Meinung nach in einem Fall weiterermitteln, der längst geklärt ist?« Die Chefin blickte Amanda an, während sie mit einer Gabel in ihrer Brotbüchse herumstocherte und eine Cocktailtomate aufspießte. Gunilla Håkansson sah deutlich härter aus, seit sie sich vor ein paar Tagen die Haare hatte kurz schneiden lassen.

»Irgendwas stimmt da nicht«, sagte Amanda. »Nina Liljedahl konsumierte keine Drogen. Die drei führten ein vollkommen normales Familienleben …«

»Und sie kaute am Ohr des Mädchens, als wir hinkamen. Ist das auch normal?«, warf Stefan Brimark ein – der Besserwisser der Truppe. Er war kleiner als Amanda und versuchte, seine Größe mit intelligenten Sprüchen zu kompensieren.

Amanda ignorierte Stefan und fuhr, an Gunilla gewandt, fort: »Ich behaupte nicht, dass sie es nicht getan hat. Ich frage mich nur, warum sie auf einmal beschlossen hat, Drogen zu nehmen.«

»Darauf bekommen wir vermutlich niemals eine Antwort«, sagte Gunilla. »Das Ganze ist ein tragisches Ereignis für alle Beteiligten, aber wir werden dafür nicht noch unnötig Ressourcen verschwenden. Nina Liljedahl hat ihre Tochter umgebracht, und jetzt hat sie sich selbst das Leben genommen. Der Fall ist abgeschlossen, für uns gibt es nichts mehr zu tun.« Sie stopfte sich Rucola in den Mund.

Stefan mischte sich wieder ein: »Und woher wissen wir, dass sie nicht schon vorher Drogen genommen hat? Vielleicht steht sie in keinem Register, weil sie einfach nie erwischt worden ist. Vielleicht haben sie bei sich zu Hause üble Junkiepartys gefeiert.«

»Darauf deutet überhaupt nichts hin«, meldete Crippe sich zu Wort. »Aber ich bin auch der Meinung, dass wir im Moment nichts weiter tun können.« Er verzog das Gesicht. »Scheiße, ich möchte nicht in der Haut des Ehemannes stecken. Die reinste Hölle!«

Amanda und Crippe hatten sich mit Johan Liljedahl am Morgen getroffen. Er wohnte bei seinen Eltern, da er noch nicht nach Hause zurückwollte. Johans Mutter, die Großmutter des Opfers, hatte die Tür geöffnet. Den Schmerz in ihren Augen würde Amanda nicht so schnell vergessen. Sie bat sie herein und ging mit gesenktem Kopf voran ins Wohnzimmer. Johan lag auf dem Sofa, und die Mutter erklärte ihnen, dass er Beruhigungstabletten eingenommen habe. Langsam setzte er sich auf und begrüßte sie mit einem stummen Nicken. Seine Augen waren gerötet und glänzten, seine Haare standen in alle Richtungen ab.

Nach ein paar einleitenden Phrasen kam Amanda zur Sache und fragte: »Nahm Nina öfter Drogen, und bei wem hat sie sie gekauft?«

Johan starrte sie mit stumpfem Blick an. »Sie hat nie Drogen genommen. Wir beide hatten mit so etwas nichts am Hut. Ich kapiere das einfach nicht.«

»Könnte sie etwas genommen haben, ohne dass Sie etwas bemerkten?«

»Auf keinen Fall. So jemand war sie nicht.«

»Wie war sie denn? Können Sie sie für uns beschreiben?«

Kurzes Schweigen. »Sie war meine Frau. Sie war die Mutter meiner Tochter. Sie liebte ihre Familie, ihre Arbeit. Sie hat Freunde und ist beliebt. Was soll ich sonst sagen?« Er schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte leise.

Amanda und Crippe sahen sich an. Sie unternahm einen weiteren Versuch: »Was glauben Sie? Wie erklären Sie es sich, dass Ihre Frau Drogen genommen hat?«

Johan hob den Kopf ein wenig und schüttelte ihn leicht. Rotz lief ihm aus der Nase und tropfte auf den Pullover.

»Es muss etwas passiert sein. Ich weiß es nicht. Sie hatte keine derartigen Kontakte. Ich habe keine Ahnung.«

»Was haben Sie an dem Abend gemacht?«, fragte Crippe.

»Ich war in einem Hotel in Gävle. Ich bin beruflich viel unterwegs.«

»Sie verkaufen Medikamente, wenn ich das richtig verstanden habe.«

Johan nickte.

»Bewahren Sie welche bei sich zu Hause auf?«, übernahm Amanda wieder die Gesprächsführung.

»Nein, gar nichts. Das ist alles im Lager eingeschlossen.«

»Nahm Nina irgendwelche Medikamente?«

»Nein. Aber das müssten Sie inzwischen doch schon wissen, oder?«

In der Tat. Die Drogentests bei Nina wiesen auf Methylendioxypyrovaleron, kurz genannt MDPV, im Blut hin. Die Kannibalendroge. Den Namen hatte sie erhalten, nachdem ein nackter Mann in den USA das halbe Gesicht eines Obdachlosen verspeist hatte, der sich gegen die aggressive Attacke nicht wehren konnte. Das bizarre Ereignis wurde von einer Überwachungskamera an einer Autobahn gefilmt und landete anschließend auf Youtube, wo es millionenfach angeklickt wurde. In Schweden hatte man bislang eine Handvoll von MDPV-Fällen registriert, aber man befürchtete, dass sich die Droge auf dem Vormarsch befand. Die Junkies auf der Straße redeten davon.

Ein weiterer Punkt, der Amanda zu denken gab, war, dass Nina auch einen niedrigen Kortisolwert hatte. Der Gerichtsmediziner hatte ihr am Telefon eine nachvollziehbare Erklärung geliefert: »Jemand, der Kortison zu sich nimmt, erleidet eine Hemmung der Nebennierenrinde. Damit geht die körpereigene Produktion von Kortisol zurück, was bei Nina eindeutig der Fall war. Allerdings nahm sie Kortison nicht über einen längeren Zeitraum, was man sonst durch das sogenannte Moon Face oder Buffalo Neck sehen würde. Sie wissen doch, wie man anschwellt, wenn man Kortison zu sich nimmt?«

Amanda nickte in den Hörer. »Sie hat also vor Kurzem Kortison genommen und vielleicht eine zu hohe Dosis abbekommen? Kann das sein?«, fragte sie.

»Das ist sehr wahrscheinlich, ja.«

»Ist es rezeptpflichtig, oder kommt man da leicht ran?«

»Das ist relativ einfach, man nimmt Kortison beispielsweise bei einer ganz normalen Entzündung oder bei Asthmabeschwerden ein. Ich würde behaupten, dass jeder an ein Rezept gelangen kann, wenn er will.«

»Gibt es auch noch andere Symptome außer den Schwellungen?«

»Viele werden depressiv und manisch, und die meisten verspüren ein sehr starkes Hungergefühl«, hatte der Gerichtsmediziner geantwortet.

Die Vernehmung von Johan Liljedahl und die Entdeckung des Gerichtsmediziners lieferten ein übereinstimmendes Bild von Nina Liljedahl. Sie war eine Frau mit einer intakten Familie und einem Job gewesen. Es gab keine Hinweise auf langjährigen Drogenkonsum. Warum hatte sie dann Drogen genommen? War sie wegen etwas bedrückt gewesen, das Johan nicht zugeben wollte oder wovon er vielleicht gar nichts wusste? Aber der Fall war abgeschlossen. Niemand wollte Ressourcen in einen Fall stecken, bei dem die Mörderin tot war. Nina Liljedahl hatte ihre Strafe bereits bekommen.

Am Nachmittag setzte sich Amanda an ihren Schreibtisch und las die aktuellen Untersuchungsberichte des Drogendezernats. Einem Beobachter war aufgefallen, dass in einem Treppenhaus im Spångavägen ungewöhnlich viel Betrieb herrschte. Ein anderer hatte gehört, dass Ali Resa Haschisch an Minderjährige verkaufte. Ein Dritter wusste, dass am ersten April über Frihamnen eine große Lieferung ankommen sollte. Das Datum war bereits verstrichen. Amanda seufzte. Da stand nichts von MDPV.

Sie rief ihre Freundin Vicky an und fragte, ob sie mit ihr und den Kindern auf den Friedhof kommen wolle. Vicky sagte zu. Nicht, weil sie unbedingt darauf erpicht war, auf den Friedhof zu gehen, sondern weil sie Greta und Charlie sehen wollte.

Amanda ging zu Gunilla und wartete, bis diese den Satz in einem Vernehmungsprotokoll beendet hatte. Gunilla blickte auf.

»Ich gehe jetzt«, sagte Amanda. Sie hatte schon gefragt, ob sie ein wenig früher gehen könne, da Charlie und Greta zum Zahnarzt müssten.

»Alles klar. Bis morgen.«

»Kann denn nicht auch mal der Vater der Kinder einspringen?« Stefan sprach ins Leere, während er in einem Ordner blätterte. Er hatte schon immer eine Vorliebe für Sticheleien.

Amanda drehte sich um und machte ein paar Schritte zurück. »Wenn du ein Problem hast, sprich es offen aus.«

»Wir haben hier ein ziemlich großes Problem. Oder siehst du das nicht so?« Er starrte sie an.

»Doch, nämlich dass du das Arbeitsklima mit deiner Gegenwart verpestest«, gab Amanda zurück.

»Ich bin nicht der Einzige, der denkt, dass du hier nichts zu suchen hast.«

»Nicht der Einzige? Verkrieche dich nicht hinter anderen.«

Die Kollegen an den anderen Schreibtischen spitzten neugierig die Ohren.

»Warum sagst du nicht, wer der Vater ist?«, höhnte Stefan. »Oder hat der Storch die beiden gebracht?«

»Jetzt reicht es!«, rief Gunilla scharf.

»Ich sehe das wie Stefan. Wir sollten das vielleicht ein für alle Mal klären«, mischte Lasse Sandén sich ein. Er lehnte mit überkreuzten Beinen an seinem Schreibtisch.

Amanda grinste ihn an. »Dann sollten wir wohl auch klären, mit wem du auf der Weihnachtsfeier rumgemacht hast. Das könnte Åsa durchaus interessieren.«

Lasse lief hochrot an.

Gunilla versuchte zu schlichten. »Niemand muss irgendetwas aus seinem Privatleben erzählen, wenn er das nicht möchte …«

»Nein, nein! Ist schon gut.« Amanda ging zu Crippe und legte ihm den Arm um die Schultern. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Wenn es euch so viel bedeutet, können wir es gern öffentlich machen. Oder was meinst du, Crippe?«

Er fühlte sich überrumpelt, spielte das Spiel aber mit und nickte. »Wir sind mal zusammen in der Kiste gelandet. Wann war das noch mal?« Er blickte Amanda fragend an.

»Das muss vor ungefähr drei Jahren und sechs Monaten gewesen sein«, sagte sie. »Im Klappbett in der vierten Etage.« Sie blickte zu Stefan. »Schläfst du da nicht ziemlich oft?«

Ein paar lachten. Stefan und Lasse sahen grimmig drein. Gunilla schien sowohl froh als auch beunruhigt über den Ausgang des Streits.

Mal wieder hatte Amanda eine von Stefans Attacken abgewehrt, aber sie wusste, dass er nie aufstecken würde. Ihr war es egal. Sie brauchte nicht die Zuneigung jedes Einzelnen in dieser Behörde, um zurechtzukommen.

Charlie und Greta stritten sich um die Zahnbürsten. Sie hatten beim Zahnarzt zwei bekommen und wollten nun beide die rote haben. Der Disput wurde abrupt beendet, als Vicky in den Wagen stieg. Sie holten sie im Zentrum in Solna ab. Die Kinder blickten ihre Taufpatin neugierig an, obwohl sie sich oft trafen.

»Hallo, ihr Zwerge«, sagte sie.

Charlie grüßte fröhlich zurück, während Greta sich hinter ihrem Pony verschanzte. Charlie antwortete, so gut er konnte, auf Vickys Fragen über den Besuch beim Zahnarzt, während Greta abwartend zuhörte. Erst als sie am Friedhof ankamen, schien sich Greta daran zu erinnern, dass sie Vicky als Freundin betrachten konnte. Vicky nahm die beiden Kinder an der Hand, und sie hopsten neben ihr den geharkten Kiesweg entlang. Amanda trug Blumen und Kerzen. Als sie sich dem Grabstein näherten, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie hockte sich hin, während Vicky und die Kinder um sie herumstanden.

»Wollt ihr mir helfen, die Kerzen anzuzünden?«, fragte Amanda.

»Jaa!«, riefen die Kinder im Chor. Sie brauchten mehrere Versuche, bis sie die Dochte zum Brennen brachten. Amanda stellte die Kerzen vor das Grab, sie leuchteten schön in verschiedenen Farben. Rosa. Blau. Grün. Orange.

»Mama.« Greta stupste Amanda an. »Mama! Schläft Sanna hier?«

Erstaunt über das Gedächtnis ihres Kindes, gab Amanda ihr einen Kuss auf die Nase. »Ja, genau. Aber sie wird nicht mehr aufwachen. Sie wird immer hier schlafen.«

Greta machte große Augen. »Wie Simbas Papa?«

»Wer ist Sanna?«, fragte Charlie.

»Sie war Mamas Schwester.«

Charlie hob einen Ast auf und zeichnete damit Striche in den Kies. Greta folgte seinem Beispiel.

»Wie fühlt es sich an?« Vicky kniete sich neben Amanda hin.

Die zuckte mit den Schultern. »Es ist so schade. So fühlt es sich an. Einfach nur schade!«

Sie saßen eine Weile schweigend da. Amanda dachte nach. Es war schade. Ja, das stimmte. Aber da war auch noch etwas anderes. Das Gefühl von Machtlosigkeit. Dass sie selbst nicht mehr hatte tun können. Weder vorher noch nachher.

Vicky räusperte sich. »Wir haben wieder sehr viele Informationen über Milorad Kraljevic bekommen, und wir werden ihn in der nächsten Zeit genauer überwachen, um zu sehen, ob wir damit weiterkommen.«

Amanda schluckte.

»Ich dachte mir, dass du das wissen möchtest«, sagte Vicky.

Milorad Kraljevic: der Mann, der so unendlich viel zerstört hatte. Persönlich war sie ihm nie begegnet, aber er hatte in allem, was geschehen war, seine Finger gehabt.

»Vieles deutet darauf hin, dass er eine neue Droge aus Mexiko ins Land schmuggelt. Es ist sehr leicht, sie zu überdosieren, und in anderen Ländern gab es schon eine Reihe von Todesfällen. Amanda, hörst du mir überhaupt zu?«

Amanda sah auf. »Erzähl weiter.«

»Heute hab ich etwas erfahren«, fuhr Vicky fort. »Diese Nina Liljedahl, mit der du zu tun hattest. Sie hatte dieselbe Droge im Körper, die unseren Informationen zufolge Kraljevic importiert.«

»Du machst Witze!«

Vicky schüttelte den Kopf.

»Was werdet ihr unternehmen?«, fragte Amanda.

»Wir lassen ein paar Leute beschatten, von denen wir annehmen, dass sie seine Unterlieferanten sind. Aber das ist schwer, die sind ja schon eine Weile im Geschäft und wissen, wie der Hase läuft. Das Abhören der Telefone hat nichts gebracht.«

»Habt ihr ein paar Informanten?«

»Keine Ahnung. So etwas kriegt man nie gesagt, das weißt du ja.«

Über Informanten redete man nicht laut, nicht einmal mit den engsten Mitarbeitern. Wenn ein Tipp hereinkam, ging man dem nach, ohne die Glaubwürdigkeit oder die Relevanz zu kennen. Das konnte nur der Verbindungsmann einschätzen.

»Und Undercoverleute sieht man heutzutage nur noch in Filmen.«

Vicky lachte. »Ja, schon. Die Leitung ist nicht sonderlich begeistert davon. Nicht einmal auf unserem Level.«

Vicky arbeitete in der Sondergruppe der Polizei, die an der Bekämpfung des organisierten Verbrechens mitwirkte. Mehrere Behörden hatten sich in diesem Kampf zusammengeschlossen. Staatsanwaltschaft, Finanzamt, Vollzugsbehörde, Sozialversicherungskasse, Dezernat für Wirtschaftskriminalität und so fort. Zusammen versuchten sie, die Antriebskraft der Täter in Fesseln zu legen: das Geld.

Und nun war die Sondergruppe Milorad Kraljevic auf der Spur, der weiterhin mit Drogen handelte. Er nahm keine Rücksicht darauf, dass Menschen starben, kümmerte sich nicht um die Folgen.

Amanda fuhr mit der Hand über die Gravur des Steines. Sanna war eines der – indirekten – Opfer. Jung und naiv, fasziniert vom Glitzern und Glamour des Stureplan-Milieus, war sie in falsche Gesellschaft geraten. Hatte Dinge erfahren, die sie nicht hätte wissen dürfen, und das hatte sie das Leben gekostet. Ein paar Leute hatten für den Mord an Sanna bezahlen müssen, dafür hatte Amanda gesorgt. Aber Milorad Kraljevic war noch immer auf freiem Fuß.

Vielleicht konnte sie noch etwas tun.

Ein Gedanke nahm Form an.

Sie war nicht machtlos. Ganz und gar nicht.

5

Adnan hatte sich mit Hajir und dessen Familie in der vergangenen Woche jeden Tag getroffen. Baden im Meer, eine Menge Fruchtshakes und Biere. Er hatte mit den Kindern herumgetobt und ihnen geflochtene Armbänder gekauft, auf denen ihre Namen standen. Sie waren zum Markt gegangen und hatten frittierte Kakerlaken gegessen, Seidenstoffe und scharfe Gewürze erstanden. Sie hatten mehrere Restaurants ausprobiert und abends in Strandbars gechillt. Ragnar war cool und gab ihm frei.

Jetzt war er wieder allein, und die Tage folgten ihrer normalen Routine. Lauftraining am Morgen. Essen. Schlafen. Kraftraum am Abend. Essen. Ausruhen. Drinks mixen in der Bar. Bierflaschen öffnen. Die Wochen verstrichen. Der Mond änderte seine Form, und irgendetwas nagte an ihm. Es fiel ihm schwer einzuschlafen, er lag da und starrte das Mückennetz an. Fand jeden Tag neue Löcher. Er dachte an alles Mögliche. Die Sonne war zu heiß. Die Touristen waren zu fröhlich. Die Stadt zu klein. Die europäischen Männer affig. Sie benahmen sich wie Könige mit ihren jungen, gekauften Frauen. Er hatte sich schon oft gefragt, wie das bei Ragnar und Arun war. Führten sie eine ernsthafte Beziehung? Er hoffte es für Ragnar. Arun und er waren schon lange zusammen und verheiratet. Und er sah es in ihren Augen. Dasselbe Leuchten wie bei Hajir und Isabella, wenn sie sich anblickten.

Die Romantikfalle. Er war selbst schon einmal hineingetappt.

Das würde ihm nicht mehr passieren!

Leichtfüßig stieß er sich von der Gummimatte ab, drehte sich und traf den Sack mit dem Schienbein. Ging zurück in die Ausgangsposition. Stieß sich wieder ab, die Fäuste vor dem Gesicht geballt. Setzte zu einem neuen, diesmal doppelten Tritt an. Rechter Haken. Linker Haken. Uppercut. Verpasste dem Gegner einen Knietritt mitten auf den Solarplexus. Adnan hatte nur Shorts an und Verbände um die Hände. Der Schweiß rann über seinen muskulösen Körper. Über die Tattoos, die glänzten. Ein Drache. Ein Totenkopf. Tribals. Er mochte seine Tattoos, nur eines bereute er. Die schwarzen Buchstaben seitlich am Rücken. FTP. Fuck the police.