Unertrunken - Alexis Pauline Gumbs - E-Book

Unertrunken E-Book

Alexis Pauline Gumbs

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Beschreibung

Das Gewässer, in dem das Ertrinken droht, ist der Atlan­tik, über den Millionen versklavter Afrikaner*innen nach Nordamerika verschleppt wurden. Und es ist das Erbe die­ser kollektiven Erfahrung.Alexis Pauline Gumbs spricht von denjenigen, die ertranken - buchstäblich und metaphorisch -, denjeni­gen, die sagten »I can't breathe«, und denjenigen, die trotz allem weiteratmeten. Auch heute weiteratmen, nichter­trinken.Sie lädt dazu ein, eine neue Art des Atmens zu erler­nen. Als Mentor*innen stellt sie uns Wale, Delfine, Rob­ben, Walrosse und Seekühe vor. Denn wer könnte mehr über das Nichtertrinken wissen? In neunzehn Lektionen verwebt Alexis Pauline Gumbs auf poetische Weise natur­wissenschaftliche Beobachtungen mit Ansätzen und Er­kenntnissen des Black Feminism.Sie fragt sich, wie die Echoortung unser Verständnis von visionärem Handeln beeinflussen kann, und betrach­tet die Methoden, mit denen sich Menschen und Meeres­säuger zunehmend bedrohlichen Umständen anpassen - oder anpassen könnten.Leiten lässt sich Gumbs von der Liebe und der Be­wunderung für unsere aquatischen Verwandten, die es ihr erlauben, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und von ih­nen zu lernen.

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Seitenzahl: 217

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Alexis Pauline Gumbs

Unertrunken

Was ich als Schwarze Feministin von Meeressäugetieren lernte

Mit einem Vorwort von adrienne maree brown

Aus dem Englischen von Daniela Seel

Meiner Ahnmutter Boda, die die transatlantische Initiation überlebte, und dir, Sangodare, meinem Stern auf See, gewidmet

Vorrede Ein Handbuch des Unertrinkens

Alexis Pauline Gumbs

Was ist das Maß fürs Atmen? Du legst deine Hand auf deine Brust, die sich hebt und taumelt den ganzen Tag. Aber liegt darin das Maß fürs Atmen? Du teilst Atemluft und tauschst Stoffe aus mit jeder und jedem im Raum, allen, die du heute streifst. Beschränkt sich das Maß des Atmens auf eine Spezies? Alle Tiere haben, um zu leben, Teil an diesem Austausch von Freigesetztem. Doch nicht ohne die Pflanzen. Die Pflanzen setzen, in ihrem umgekehrten Prozess, frei, was wir brauchen, nehmen sich, was wir geben, ohne darum gebeten zu sein. Und der Planet, gehüllt in Meeresatmen, atmet zum Himmel. Was ist das Maß fürs Atmen? Du bist Teil davon. Du bist nicht allein.

Und wenn das Maß des Atmens kollektiv ist, über Artengrenzen und Empfinden hinausreicht, so gilt das auch für die Auswirkungen des Ertrinkens. Das gewaltige Ertrinken, das noch andauert, bei dem das Ausmaß des Ozeans bedeutete, dass Menschen zu Eigentum werden konnten, dass Leben zum Verkauf stand. Ich spreche von der Mittelpassage und allen, die starben, und allen, die weiteratmeten. Aber ich befrage die Grenze zwischen beiden. Ich sage, diejenigen, die überlebten, in den Unterbäuchen der Boote, unter einander, unter unatembaren Umständen, sind die Unertrunkenen und ihr Atmen kann vom Ertrinken ihrer Familien und Mitgefangenen nicht getrennt werden, kann vom scharfen Ausatmen gejagter Wale, die ebenso ihre Verwandten sind, nicht getrennt werden. Ihr Atmen machte sie nicht zu individuellen Überlebenden. Es schuf einen Zusammenhang. Den Zusammenhang des Nichtertrinkens. In unatembaren Umständen atmen müssen wir jeden Tag im Würgegriff eines rassistischen, ableistischen, geschlechtsspezifischen Kapitalismus. Wir nichtertrinken noch immer. Und mit wir meine ich nicht nur Menschen wie mich, deren Vorfahr*innen explizit die Mittelpassage überlebt haben, denn das Maß unseres Atmens umfasst den ganzen Planeten, mindestens.

Atmest du noch? Dies ist ein Angebot zugunsten unserer Evolution, zugunsten der Möglichkeit, dass wir, anstatt die historische Linie von Versklavung, Gefangenschaft, Trennung und Herrschaft sowie die Tendenz, unserer Atmosphäre die Atemluft zu nehmen, fortzuführen, eine andere Art des Atmens einüben können. Ich weiß nicht, wie genau das aussehen könnte, aber ich weiß, dass unsere Meeressäugetierverwandten erstaunlich geschickt darin sind, nicht zu ertrinken. Also lade ich sie ein, uns Lehrer*innen, Mentor*innen, Lots*innen zu sein. Und ich lade euch ein, verwandte, atmende Seelen. Auf dass wir evolvieren.

Vorwort

adrienne maree brown

natürlich schreibe ich dies an einem neunzehnten tag. und dieses buch besteht aus neunzehn teilen. es ist eine woche her, seitdem ich erfuhr, dass die neunzehnjährige Black-lives-matter-aktivistin oluwatoyin salai tot aufgefunden wurde, und es ist gut möglich, dass ich heute bereits auf neunzehn unterschiedliche arten getrauert habe, wobei diese trauer-um-fremde schwer zu greifen ist. heute habe ich eine meditation mit neunzehn weisheiten Schwarzer feministinnen entworfen; ich höre dabei auf die verbindungslinie zwischen den ahninnen und den lebenden genies, so wie Alexis Pauline Gumbs es mich gelehrt hat.

und es ist nicht der neunzehnte irgendeines monats, sondern der 19. Juni. juneteenth. ein tag der befreiung. und weil es sich hier um ein befreiungsbuch handelt, wollte ich heute loslegen.

bei Alexis reihen sich die dinge immer so aneinander, dass es mich in demut versetzt. trauer und magie berühren sich, und es entsteht eine welle, die zeigt, wie sie in der nichtlinearen zeitschiene eines guten lebens zu unterschiedlichen zeiten ein und dasselbe sind. um Alexis herum ist das universum koordiniert, denn sie ist standhaft genug, um jeden raum zu zentrieren, den sie betritt, ganz unabhängig von seiner weite. auf den folgenden seiten führt sie uns durch ozeane, lädt uns ein, uns an ihrer flosse festzuhalten, während sie uns mitnimmt in die tiefe und uns lehrt, wie und wann wir atmen, wie wir mit dem druck in der tiefe umgehen, wohin wir springen und das licht der sonne einfangen können.

als Alexis anfing, diese meeressäugetiertexte zu posten, dachte ich – oh, aufstrebende strategie aus der tiefe. ein ganzer bereich dieser welt, von dem ich bisher kaum etwas lernen konnte und der uns gerade jetzt enorm viel lehren kann, darüber, wie wir überleben, wie wir langsamer werden, wie wir luft sparen, wie wir raub und ausrottung entkommen, wie wir spielen.

ich habe mich schon immer als kind des ozeans gefühlt, doch wie viele Schwarze menschen, wurden die bande, die mich mit einem ganz bestimmten stück Erde und wasser verbinden schon vor langer zeit durchtrennt. mit Unertrunken gibt Alexis uns eine gruppe von ahn*innen und geschwister-spezies zurück, ein spektrum an solidaritäten, die mich etwas über mich selbst lehren können. mir war nicht bewusst, dass ich so viel Schwarzsein mit der welt der meeressäugetiere gemeinsam habe! dieser text gibt mir das gefühl, exzentrische, weise und faszinierende familienmitglieder kennenzulernen. er fühlt sich an wie eine enthüllung, Alexis lüftet den salzrock des meeres und zeigt uns, wie wir dazugehören, wie wir das echo derselben brillanz sind, wie delfine und robben und wale.

ich bin so dankbar, dass Alexis dieses buch geschrieben hat, und hoffe, dass du, genauso wie ich, zahlreiche weisheiten auf diesen seiten finden wirst und dass dieses werk auch deinem leben mehr tiefe schenkt.

 

adrienne maree brown

aus der sphäre der pandemien und aufstände

19.6.2020

Einleitung

Wenn du im Ozean schwimmst und jemanden atmen siehst, was tust du dann? Wenn du jemanden siehst, wie du ein Säugetier und doch anders – nicht gebunden an Boote und Taucherbrillen und Land – dann wirst du dich wundern, wer das ist, und was sie tun, und wie sie es tun. Wie leben sie in Salz und Tiefe und Bewegung? Das magst du dich wundern. Und für diesen Fall brauchst du ein Handbuch. Die zugänglichsten Handbücher im Moment sind der National Audubon Society Guide to Marine Mammals of the World und das Smithsonian Handbook: Whales, Dolphins & Porpoises. Sie versammeln die verfügbaren wissenschaftlichen Informationen über Verbreitungsgebiete, Verhaltensweisen und Erscheinungsformen aller Tiere, die Wissenschaftler*innen beobachtet haben, damit du ein Säugetier identifizieren kannst und später, wenn du aus dem Meer steigst, weißt, wen du dort angetroffen hast.

Ich identifiziere mich als Säugetier. Ich identifiziere mich als Schwarze Frau, abstammend und geprägt von einer ganzen Gruppe von Menschen, die zu Besitz gemacht und über einen Ozean hinweg geraubt wurden. Und, wie viele von uns, zieht mich das wunder-volle Meeresleben einfach an. So ging ich ins Aquarium und kaufte beide diese Handbücher in der Hoffnung, aus ihnen etwas über meine Verwandten zu lernen.

Was ich feststellte, war, dass die sogenannte »neutrale« Wissenschaftssprache dieser Meereshandbücher gespickt ist mit Formulierungen der Abgrenzung und Abwertung (zum Beispiel der Begriff »herumstreunende Jugend«, um Mützenrobben zu beschreiben), mit unbeholfenen binären Zuschreibungen von biologischem Geschlecht sowie einer merkwürdigen Kriminalisierung jener Säugetiere, die sich dem Blick der Biolog*innen entzogen. Ich wollte nur wissen, welcher Wal welcher ist, und fand mich konfrontiert mit den kolonialen, rassistischen, sexistischen, heteropatriarchalen, kapitalistischen Konstrukten, die mich zu töten versuchen – das Netz, in dem ich bereits gefangen bin, sozusagen. Wie kann ich dir also erzählen, wen und was ich sah?

Zur selben Zeit, als ich mehr über die Meeressäugetiere erfuhr, lernte ich durch die Schlupflöcher der Sprache zu spähen, mithilfe meiner poetischen Fähigkeiten, die ich mir hatte aneignen müssen, um mich selbst finden und lieben zu können in einer Welt, die mich täglich falsch benennt. Und ich empfand so viel Liebe und Demut. Ich empfand so viel Ehrfurcht und Möglichkeit. Ich musste dir zeigen, was ich empfand. Ich postete also jeden Tag in den sozialen Netzwerken, was ich über Meeressäugetiere lernte, dank und trotz der Handbücher, durch mein eigenes Nachforschen und durch afro-futuristische Spekulation, und was sich in meinem Herzen rührte.

Anstatt nur zu identifizieren, was was war, musste ich tiefer gehen. Ich folgte dem Beispiel der vielen Meeressäugetiere, die echoorten. Ich durfte mich nicht auf das konzentrieren, was ich sehen und erkennen konnte, sondern darauf, wo ich im Verhältnis stand, wie der Klang, der von mir abprallt, im Verhältnis zu den Strukturen und Umwelten, die mich umgeben, mich in einer beständig wandelnden Beziehung zu dir verortet, wer immer du inzwischen bist.

Während ich weiterhin in Beiträgen teilte, was ich lernte, schnellte die Zahl meiner Instagram-Follower in die Höhe, Leute schenkten mir Aquarellmalbücher mit Walen,[1] schickten mir gestrickte Buckelwal-Ohrringe,[2] den echten Rückenwirbel eines Wals (tatsächlich!),[3] und mehr. Ich erhielt auch jeden Tag Nachrichten von Menschen, die wissen wollten, wann und wo sie diese Gedanken in Buchform kaufen könnten, die sich als Forschungsassistent*innen anboten, die bekundeten, dass meine Beiträge zu ihrer täglichen Meditation wurden, die für die Entwicklung von Apps oder musikalischen Hörmeditationen mit mir zusammenarbeiten wollten, und eine besondere Nachricht von adrienne, die vorschlug, dass meine Texte Teil der Emergent Strategy bei AK Press werden könnten. Und hier sind wir nun.

Dies ist also eine andere Art Handbuch für unsere Bewegung und unsere ganze Spezies, basierend auf dem subversiven und transformativen Vorbild der Meeressäugetiere. Dieses Handbuch des Unertrinkens hört auf Meeressäugetiere als eine Lebensform, die uns viel lehren kann über die Verletzlichkeit, Kollaboration und Anpassung, die wir brauchen, um mit dem Wandel in unserer Zeit Schritt zu halten, insbesondere in Anbetracht des größten Wandels, den wir in dieser Klimakrise erleben und verursachen: das Ansteigen der Meeresspiegel. Ein anderer großer Wandel ist eine Pandemie, die ausbrach, als ich dieses Buch überarbeitete, und die ebenfalls unser Atmen bedroht.

Ich sehe dieses Buch nicht als Kritik an den beiden erwähnten Handbüchern. Ich sehe dieses Buch als ein Angebot an dich und als Ergebnis eines Prozesses, in dem ich stecke, namens Meeressäugetierpraktikum. Wenn es je eine Zeit gab, sich demütig den meeressäugetierischen Mentor*innen anzuvertrauen, dann jetzt. Habe ich erwähnt, dass der Meeresspiegel steigt? Hast du die Anpassung unseres Atmens bemerkt? Dies ist ein pragmatischer Studiengang. Gleichzeitig geht es in dieser Ausbildung für mich auch um eine verwandelte Beziehung zu meinem eigenen Atmen, dem Salzwasser in mir, der Tiefe meiner Trauer und den Schichten meiner Liebe. Und um Raum zu schaffen für das Lernen und Verlernen, das für mich in diesem Prozess notwendig ist, muss ich der gewaltvollen und kolonisierenden Sprache fast aller Texte, aus denen ich Informationen über Meeressäugetiere, ihr Leben, ihre Familien, ihre Superkräfte und Schwierigkeiten geschöpft habe, etwas entgegenhalten.

Das Audubon- und das Smithsonian-Handbuch sind die Quellen aller nicht gekennzeichneten Zitate in diesem Buch, und ich beginne meine Meditationen oft mit der Nachahmung des objektiven Tons, den Handbücher behaupten. Ich mache das mit Absicht, denn ich will daran erinnern, dass es eine Behauptung ist, und dann will ich es anders machen. Obwohl ich Passiv-Formulierungen normalerweise vermeide, weil sie Verantwortung verschleiern (ich habe darüber an anderer Stelle geschrieben),[4] ist das Passiv in diesem Text eine wichtige Nachahmungsfigur wissenschaftlicher Schreibweisen, die Wissenschaftler*innen lehrt, sich mittels der Passivform selbst aus ihrer Forschung herauszunehmen und so die Illusion von Objektivität zu wahren. Nichts ist objektiv. Und bedenke, dass Wissenschaftler*innen, gerade diejenigen, die ihr ganzes Leben auf die Hoffnung, die Möglichkeit ausgerichtet haben, einem Meeressäugetier zu begegnen, und die außerordentliche Maßnahmen ergriffen haben (wie das Auswandern in die Antarktis), um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, ein bestimmtes Meereslebewesen zu Gesicht zu bekommen, offensichtlich besessen sind und höchstwahrscheinlich, so wie ich, verliebt. Ob sie es nun in ihren Publikationen zugeben können oder nicht.[5]

In diesem Buch wechsle ich, meist ohne Vorwarnung, von einem klinischen Ton zu einem zutiefst intimen. Die Worte »Ich liebe dich« kommen in diesem Buch am häufigsten vor. Ich bin mir sicher, dass diese Worte in keiner anderen Studie über Meeressäugetiere je vorkamen.[6] Meine Hoffnung, meine große poetische Intervention besteht darin, von der Identifikation, jenem Prozess, durch den wir sagen, was was ist, beispielsweise welcher Delfin das da drüben ist und welche seine Eigenschaften sind, zum Identifizieren überzugehen, jenem Prozess, durch den wir unser Einfühlungsvermögen erweitern und unsere Grenzen fließender werden lassen, weil wir uns mit der Erfahrung eines Gegenübers identifizieren, vielleicht mit einem anderen Menschen, vielleicht mit jemandem aus einer anderen sogenannten Spezies. Das ist ein kniffliges Unterfangen, weil ich anfällig bin, nicht nur für die Unübersichtlichkeit meiner Gefühle, sondern auch für die Versuchung, auf eine ganze Reihe von Wesen einfach zu projizieren, ohne dass sie gegen meine Zuschreibungen verbal protestieren könnten. Und obwohl dieselben Systeme, die mir schaden, auch den hoch entwickelten Meeressäugetieren schaden (Ich bin ein Meeressäugetierneuling am Anfang meiner Entwicklung), machen wir nicht die gleichen Erfahrungen. In anderen Worten: Dies ist kein Buch, in dem ich versuche, Mitgefühl für Meeressäugetiere zu erzeugen, weil sie uns so ähnlich sind (obwohl wir tatsächlich viel gemeinsam haben). Stattdessen geht es bei der Intimität, der absichtlichen Unschärfe darin, wer wer ist, wer zu wem und wann spricht, darum, eine Definition des Menschen zu revidieren, die so verstrickt in Abgrenzung und Herrschaft ist, dass sie unsere Leben unvereinbar mit dem Planeten macht.

Meine Aufgabe, als eine Meeressäugetierpraktikantin, die ich mich der Mentorschaft dieser hoch entwickelten Meeressäugetiere öffne, ist es, mich zu identifizieren. Zu sehen, was passiert, wenn ich meine eigenen Beziehungen, Möglichkeiten und Praktiken überdenke und überfühle, und zwar in Anlehnung an die Beziehungen, Möglichkeiten und Praktiken hoch entwickelter Meereslebewesen. Das ist eine aufstrebende Strategie. Wenn die ineinandergreifende unterirdische Kommunikation der Bäume, Löwenzahn-Widerstandsfähigkeit und sensible Myzelnetze uns dazu inspirieren können, innerhalb einer Spezies und darüber hinaus anders miteinander umzugehen, dann können Meeressäugetiere das auch. Wahrhaftig aufstrebend. Ich befrage hauptsächlich dich und mich in diesem Text. Wir haben die Chance zu erwägen, was von hier aus möglich ist (und von hier und von hier).

Und da ich nicht umhinkann, zu bemerken, dass Meeressäugetiere queer, unbändig, sich gegenseitig beschützend, komplex und von Konflikten geprägt sind und kämpfen, um den ausbeutenden und militarisierten Kontext, den unsere Spezies dem Ozean und sich selbst auferlegt hat, zu überleben, ist diese Arbeit jenen Bewegungen verpflichtet, die mutig versuchen, die Bedeutung des Lebens auf diesem Planeten neu zu denken. Bewegungen für die Schwarze Befreiung, für die Befreiung von Queers, für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, für ökonomische Gerechtigkeit, für Race- und Gender-Gleichberechtigung sind Kernstücke der hier enthaltenen Meditationen. Aber es sind immer noch Meditationen. Statt ein bestimmtes politisches Programm zu verfolgen oder eine vorgefasste Reihe an Vorschriften festzulegen, öffnen diese Meditationen Räume für gemeinsames Wundern und Fragen im Hinblick auf einen tiefgehenden Ansatz, der in der Tat im Entstehen begriffen ist.

Das Buch besteht aus einer Einleitung und 19 thematischen Abschnitten (»Kapitel« klänge zu linear, und dafür wären sie außerdem zu kurz), angelegt rund um Kernpraktiken des Black Feminism – Atmen, Erinnern, Kollaborieren usw. –, so wie sie durch das Lernen von Meeressäugetieren (und ein paar Haien) beeinflusst und verändert werden können. Das Buch schließt mit einem Abschnitt mit dem Titel »Übungen«, der einige Gruppen- und Einzelaktivitäten enthält, die du passend zu den Meditationen in diesem Buch ausprobieren kannst.

Dieses Buch existiert in einem Netzwerk von verwandten Werken. Zunächst einmal bin ich verbunden mit meinen Shinnecock-Vorfahr*innen, die seit Jahrhunderten in einer unantastbaren Beziehung mit dem Atlantischen Nordkaper stehen, und mit meinen Ashanti-Vorfahr*innen, die den Namen des Wals als einen Namen Gottes nennen. Und mit meiner Großmutter Lydia Gumbs, die die Insignie aus drei Delfinen für die Flagge von Anguilla während der Revolution von 1967 entwarf. Sicherlich ist dieses Werk ein Baby-Cousin der Buchreihe Emergent Strategy und wurde genährt durch den revolutionären und zugleich bescheidenen, von meiner lieben Schwester adrienne vorgelebten Ansatz, von der Natur zu lernen.

Dieses Buch ist für dich! Für alle, die wissen, dass eine Welt, in der queere, Schwarze, weibliche Menschen ihr Leben in Fülle, Ausdruck und Liebe leben, eine Welt ist, in der alle frei sind. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten das Buch nicht von vorne bis hinten lesen werden, aber ich habe es trotzdem nach dem Schwarzen feministischen und meeressäugetierischen Prinzip des Fließenden angeordnet, nur für den Fall. Ich stelle mir vor, dass Leser*innen mit jeweils einer Meditation arbeiten, als Teil einer täglichen Meditationspraxis. Leute haben mir mitgeteilt, dass sie diese Meditationen in Vorträgen zitiert haben, sie als Start in den Tag nutzen, sie als Ausgangspunkt ihres eigenen Schreibens verwendet haben und sie mit Freund*innen als Liebesbriefe oder Erinnerung zur Verantwortlichkeit teilten. Ich habe dieses Buch für euch geschrieben, Kamerad*innen, die zur Allied Media Conference gehen, die Make/Shift und Left Turn gelesen haben und in sozialen Netzwerken fließend unterwegs sind. Ich habe dieses Buch für euch geschrieben, ihr Träumer*innen, die ihr in der Nähe der Küste lebt und euch über die Walknochen, die ihr findet, wundert. Ich habe dieses Buch für euch geschrieben, diejenigen unter euch, die sich bei den Vereinten Nationen für die Tiefseeökologie einsetzen und für das, was es braucht, um sie zu ehren. Und für euch, die ihr nicht aufhören könnt zu weinen, wenn ihr die Nachrichten lest. Und für euch, die ihr euch von der Natur abgeschnitten fühlt. Und für euch, die ihr die Natur in eurem Leben hochhaltet. Und für uns, die wir uns Sorgen machen ob der Klimakrise. Für uns, die wir lange Social-Media-Fastenzeiten einlegen und Frieden wollen. Ja, du und ich, wir dachten, dass unsere Praxis, uns Bilder von Meeressäugetieren anzuschauen, zu trennen wäre von unserer Arbeit für wirtschaftliche Gerechtigkeit. Dieses Buch ist für alle. Ich halte dich in meinen Gedanken und meinem Herzen.

Das Wort »Schwarz« wird hier großgeschrieben. Dank der jahrzehntelangen Arbeit Schwarzer Autor*innen und Redakteur*innen wurde es zur Konvention, dass das Wort »Schwarz« großgeschrieben wird, wenn es sich auf Schwarze Menschen bezieht, und klein, wenn es die Farbe bezeichnet oder als Adjektiv verwendet wird. Aber Schwarzsein ist umfassender als der Mensch. Und es gibt keinen symbolischen oder deskriptiven Begriff von Schwarz in dieser Gesellschaft, der nicht auch Schwarze Leben beträfe. Schwarz ist also Schwarz.

Hören

Wie können wir über Artengrenzen, über Ausrottung und Leid hinweg zuhören? Inwiefern verändert die Echoortung, das Auswerfen und Zurückfedern von Schall, mittels der viele Meeressäugetiere navigieren, unser Verständnis von »Sehkraft« und visionärem Handeln? Sind die sozialen Medien vielleicht schon eine Technologie des Zurückfederns, des Auswerfens von etwas und Schauens, was zurückkommt?

Hier beginnen wir unsere Trans-Arten-Gemeinschaft, geben dem Hören mehr Raum als dem Zeigen und Beweisen und Sprechen. Beim Hören geht es nicht nur um die physiologische Fähigkeit zu hören, es ist eine Quelle für Transformation und Revolution, die erfordert, ruhig zu werden und sich einzulassen.

Es war einmal ein riesiges Meeressäugetier, bis zu 23 Tonnen schwer, beheimatet in der Beringsee. 1741 »entdeckte« ein deutscher Naturforscher Hydrodamalis gigas, wie sie eindrucksvoll und prächtig schwamm, dreimal größer als heutige Seekühe. In nur 27 Jahren war die gesamte Art ausgerottet, erlegt auf Tausenden europäischen Jagdfahrten nach Pelz und Robbenfell.

Sie weiß, was wir wissen. Entdeckt zu werden ist gefährlich.

27 Jahre. Wer hielt es noch nur 27 Jahre unter westlichen Menschen aus? Jimi Hendrix, Jean-Michel Basquiat oder auch Amy Winehouse und Kurt Cobain. 27 Jahre sind eine so kurze Zeit. Wie können wir die Gewalt des Bekanntseins beklagen und überleben? Wie kann Kapitalismus so schnell zerstören, was Milliarden Jahre benötigte, um zu entstehen?

Was wissen wir über dieses Säugetier der Afrotheria, verwandt mit Elefanten und Erdferkeln?

Sie besaß Blubber und wurde dafür gejagt. Man sagt, sie sang nicht. Ihr einziger Laut war das Atmen, doch sie hörte kilometer- und aberkilometerweit. Was für ein Verlust an Hörvermögen. Wie können wir es ehren, das Archiv unseres Atmens?

Manche sagen, dein Tod war bloß Begleiterscheinung; du seist so bequem angesiedelt gewesen auf der bevorzugten Route der Robbenfänger und Fellhändler zwischen Russland und Nordamerika. Jene 27 Jahre waren ein einziger Goldrausch, befeuert vom Verlangen eleganter Europäer*innen nach Fellmützen und Pelz. Ein Modetrend, entfacht von der Kolonisierung Nordamerikas: ein vermeintlich endloser Quell an Fellen. Sie schlachteten und aßen dich auf ihren Fahrten. Fühlt sich dadurch jemand besser? Gewärmt? Dass deine Ausrottung – die erste bekannte durch Menschen verursachte Ausrottung eines Meeressäugetiers – Kollateralschaden war, auf der Jagd nach anderen Toden?

Oh du raue Meerjungfrau, was lehrst du uns vom Atmen? Oh kolossale Vegetarierin, was tun wir nun, wo unser Hören so viel geringer ist? Ich denke, du bist mehr als ein Beweis für die Tödlichkeit einer Welt, in der Haut mit Gewinn verkauft wird. Ich denke, du bist mehr als ein weiterer Beleg für die drastischen Folgen europäischer Reiselust. Mehr als eine Anklageschrift gegen den Rausch. Mehr als der Aberwitz einer herrschsüchtigen Lebensweise, die die Erde rasant und achtlos für immer verändert. Mehr als die Tödlichkeit eines unstillbaren Hungers danach, Dinge nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt zu jagen. Dieser Hunger überlebte dich. Auch ich spüre ihn im Nacken.

Was kann ich dir zur Ehre tun, jetzt, wo es zu spät ist?

Ich würde dich mit der Rauheit meiner Haut, der Stärke meiner Grenzen, der Wärme meines eigenen Fettes ehren. Ich würde dich mit meiner Stille und meinem Atmen ehren, meinem Hören, weiter und weiter hinaus und hinein. Ich würde dich mit der Bedächtigkeit meiner Bewegungen ehren, würdevoll und kontemplativ. Ich würde versuchen, dir ähnlich zu sein, auch wenn es heißt, das sei unmodern. Ich werde an dich erinnern. Nicht mit dem Namen (im Possessiv) dessen, von dem sie sagen, er hätte dich »entdeckt«, nach Generationen indigenen Umgangs.

Ich werde sagen: Es war einmal eine gewaltige und stille Schwimmerin, eine pflanzenschmausende, rauhäutige Zuhörerin, ein fettreiches und würdevolles Säugetier. Und dann werde ich still sein, damit ich dich atmen hören kann. Und dann werde ich atmen und du wirst mich ermahnen, nicht zu hasten. Und die Zeit in mir wird schweigen. Und dann werden wir wirklich hören.

In den vergangenen zwanzig Jahren haben Bioakustiker*innen viel Zeit damit verbracht, verschiedenen Populationen des Indopazifischen Großen Tümmlers zuzuhören. Diese Delfine wissen, wie die meisten Delfine, etwas über intentionale Töne. Darüber, wann man hohe Frequenzen verwendet, um herauszufinden, wo man ist, und wann man tiefe Frequenzen verwendet, um das zunehmende Umgebungsrauschen zu unterlaufen. Echoortung und Kommunikation überschneiden und unterscheiden sich. Manchmal versuche ich durch Laute, die ich von mir gebe, meine Umgebung zu erfassen. Manchmal muss ich dir etwas sagen. Meist ist es beides. Delfine können mit dem Fett in ihrem Vorderkopf ihr biosonares Hören regulieren, was so elegant klingt wie das, was ich auf dich hin versuche.

Manchmal fühlt es sich an wie Unterwasserkommunikation. Die Folgen dessen, was ich sage, überdauern das, was ich dadurch gelernt habe. Und das Umgebungsrauschen wird lauter und der Ozean erwärmt sich und du musst wissen, wo der Meeresgrund liegt, was uns ernähren kann, wie nah die Haie sind. Manchmal wirft der Schall meine Vermutungen zu mir zurück wie einen Schlag ins Gesicht, und ich erinnere mich daran, dass ich gar nichts weiß. Dieser fette Vorderkopf braucht dich und all deine Vermutungen in diesem dynamischen Raum.

Womit ich sagen will, dass ich demütig lerne, zuzuhören und Verantwortung für meine Frequenzen zu übernehmen. Ich kann sie tieferregeln, um dich zu erreichen. Ich kann nachdenken, bevor ich rede. Echoortung ist kein Gedankenlesen. Ein Teil ihrer Magie liegt schlicht in der Vertracktheit, ein Säugetier zu sein, das in einer Welt aus Klängen lebt. Ich kann hören, was ich noch nicht sehen kann. Ich kann eine Welt voller Resonanz herstellen. Und in ihr leben. Sie durchschwimmen. Über dich nachdenken. Bitte pfeife, klicke, wenn du spürst, dass ich hier bin.

Man sagt, Delfine in Flüssen springen weniger als Delfine im Meer. Wegen verwirbelnder Schlieren und Schmutzwasserströmen trauen Flussdelfine ihren Augen nicht. Ihre Augen entwickeln sich zurück. Echoortung wird wichtiger. Ihr Hören nuancierter. Sie werden zu Formexpert*innen und formen sich so, dass sie schmal werden, flussgleich voranschnellen können. Genetisch sind die verschiedenen Flussdelfine der Welt (jene im Ganges und jene im Amazonas zum Beispiel) nicht nah verwandt. Körperlich sind sie jedoch erstaunlich gleich. Angepasst an ähnliche Lebensräume haben sie ähnliche Formen ausgebildet.

Hast du dich so entwickelt, Flussartige? In einem Zusammenhang, der sich so schnell bewegt, dass ihn anzuschauen dir fast nichts sagt? Evolvierst du eine tiefsinnigere Art des Lauschens darauf, wo du bist? Könnten wir Elev*innen einer Form werden, die genau genug ist, uns mit jener Anmut und Anpassungsfähigkeit zu bewegen, die unsere Lebensräume erfordern, auch wenn dein Fluss nicht mein Fluss ist?

Ich staune darüber, was das Hören ausmachen kann. Wie rasch es unwichtiger wird, gesehen zu werden, zu springen, sich zu zeigen. Und wer Flussdelfine erforscht, weiß das auch. Halt dich nicht mit Ausschauhalten auf, nach ihnen, die kaum je springen oder spritzen. Du musst sie erlauschen, musst versuchen, auf ihr Atmen zu hören.

Ich atme Form ein. Ich forme meine Zeit, während Land mich von zwei Seiten konturiert. Ich forme meinen Atem so, dass er sich winden kann, die vor mir sich windenden Pfade entlang. Ich forme meinen Kopf so, dass er eins wird mit dem Atemholen. Mein Atem ist Gebet, Lebensform, Name im Werden. Alles, was ich sehen kann, sind die Schlieren, die besagen, Leben ist Bewegung. Ich bleibe im Gebet und bemühe mich, deinem Atem zu lauschen.

Es gibt eine Delfinart, die nur vor den Küsten Aotearoas vorkommt und die die Maori manchmal tūpoupou nennen. Was auch aufsteigen, sich wälzen, schwer krank sein bedeutet. Es heißt, Maori-Meteorolog*innen beobachten diese Delfine seit Jahrhunderten, um Einsicht in das Wetter zu erlangen. Was uns bevorsteht und wie bald. Sollten wir aufs Meer ausfahren oder warten? Wird der Himmel auf uns fallen? Und wohin bringt uns der Wind?

Westliche Wissenschaftler*innen haben die Sprünge von tūpoupou in drei Kategorien unterteilt: horizontal, vertikal und laut. Laut meint, du landest auf der Seite, deinem Rücken, deinem Bauch; du steigst auf, wälzt dich und wenn du fällst, wird das Meer momentlang zur Trommel. Und jemand lauscht, denn wie du dich bewegst, wie du landest, ist ein Hinweis auf das Wetter, das bevorsteht.

Und du steigst auf. Und du fällst laut. Und du wälzt dich. Und etwas am Klima macht dich krank, oder nicht? Und ich lausche auch. Auf was du tust und dessen Richtung. Wie du fällst und das Geräusch. Wohin du dich wendest und wie schnell. Daraus schließe ich, was aufzieht in einem Himmel, den ich nicht sehen kann.

Und ich liebe dich für dein Gespritze. Was du mit deinem Körper tust, wie du ihn zur Trommel machst. Und ich sag, dein Spiel und dein Wirbeln sind prophetisch. Und ich sag, dein Name ist ein Verb, ein Verlangen. Und ich trag dir meine Tage an zu akuter Unterweisung. Das Wetter ändert sich. Ja. Ich hab verstanden.[7]

Atmen