Unheimliche Dimensionen - Georg Britzkow - E-Book

Unheimliche Dimensionen E-Book

Georg Britzkow

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Beschreibung

Betreten Sie mit dieser spannenden Kurzgeschichtensammlung Unheimliche Dimensionen. Lassen Sie sich von Bestseller-Autor Ronald Malfi mit in PEMBROKEs Buchhandlung nehmen, aber geben Sie acht, was sie dort lesen. In CARPE NOCTEM entführt Sie Nachwuchstalent Georg Britzkow in die Unterwelt, wo ein geheimnisvoller Kult lauert. Ambrose Bierce empfängt uns mit dem Klassiker dieser Ausgabe in CARCOSA. Wird uns gefallen, was wir dort sehen werden? Bram-Stoker-Award-Anwärterin Damien Angelica Walters schließlich zeigt uns, wie gefährlich die Dinge sein können, die tief in uns als Geheimnisse schlummern - DIE DINGE, DIE BLEIBEN.

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Ähnliche


Inhalt

Pembroke

Carpe Noctem

Ein Bewohner von Carcosa

Die Dinge, die bleiben

Pembroke

Ronald Malfi

Von außen wirkte Pembrokes Laden für gebrauchte und seltene Bücher eher unscheinbar. Das kleine Geschäft hatte einen engen Platz zwischen einer traurigen Bierstube und der Filiale einer Hypothekenbank an einem von Klinker dominierten Boulevard in der historischen Altstadt von Ellicott City. Der Inhaber, Arthur Pembroke, war seit fast drei Jahrzehnten an diesem Platz im Geschäft, doch trotz des Bekanntheitsgrads der Buchhandlung als fester Bestandteil des Viertels fanden nur wenige Besucher den Weg in den Laden. Es wussten sogar nur wenige Menschen, dass es ihn gab. Das kam Pembroke nur gelegen: er war Mitte sechzig und sein Leben lang Junggeselle geblieben. So hatte er seine größte Freude an den ruhigen Nachmittagen im Laden, an denen er unbehelligt von Touristen oder den gelegentlichen Möchtegernkunstfreunden blieb, die nur die Regale durchstöberten, aber letztlich doch nichts kauften. Pembroke zahlte nicht viel Miete, die Betriebskosten waren überschaubar und Personal hatte er auch keines zu bezahlen, abgesehen von Tom DeLilly, der dienstags und donnerstags vorbeikam, um den Laden in Ordnung zu bringen.

Wovon Pembroke eigentlich lebte, waren die wenigen treuen Stammkunden, zu denen er mit den Jahren ein Verhältnis auf höflicher, aber rein professioneller Ebene aufgebaut hatte – passionierte Sammler seltener Bücher, die den Buchladen gelegentlich aufsuchten, wenn sie besondere Wünsche an Pembroke richteten (die sie auf reichlich verschwörerische und höchst verdächtige Art äußerten, als seien sie auf der Suche nach illegalen Geschäften). Jemand hat zum Beispiel von einem ganz speziellen Buch über Hexenkunst gehört – ob Pembroke wohl eine Ausgabe auftreiben könne? Oder jemand hat Interesse an einem außergewöhnlichen rumänischen Werk über Schwarze Magie – ob sich da etwas machen ließe? Ein anderer hingegen hat vielleicht die Befürchtung, seine Frau gehe ihm fremd und ihm seien Gerüchte zu Ohren gekommen, es gebe ein Buch, das ihm auf die eine oder andere Art behilflich sein könne (ohne dass die untreue Gattin dabei zu Schaden kommt, natürlich) – möglicherweise könne Pembroke ihm helfen?

Solch exotische Wünsche erfüllte er häufig, also wunderte er sich zunächst gar nicht über das Paket, das am Montagmorgen auf den Stufen vor der Tür des Buchladens lag. Er nahm an, es handele sich dabei um eine der Bestellungen, die er kürzlich aufgegeben hatte. Das Päckchen hatte durchaus die Form eines Buches – ein großer Klotz, der aussah wie ein Wörterbuch, dachte Pembroke – und war in braunes Metzgerpapier eingewickelt. Eine fransige Paketschnur hielt das ganze zusammen. Die Verpackung war etwas seltsam, aber nicht unbedingt ungewöhnlich – zumindest nicht ungewöhnlich genug, dass Pembroke lange darüber nachdenken musste. Was jedoch ungewöhnlich war, fiel ihm auf, als er das schwere Paket von der Treppe aufhob und in den Laden trug: Es befanden sich keine Beschriftung, keine Etiketten, keine Adressen und keine Briefmarken darauf. Pembroke dachte eine Zeitlang darüber nach, nachdem er das Buch auf den Tresen gelegt und sich aus seiner Tweedjacke befreit hatte. Dann bemerkte er, dass er noch ewig so auf das unscheinbare braune Papier starren könnte, also löste Pembroke die Schnur, die drahtigen Augenbrauen dabei über den kreisrunden Gläsern seiner Brille hochgezogen, und entfernte das Papier.

Die Oberfläche von Buchdeckel und -rücken wies eine grobe Struktur auf, der Farbton war grünlich-gelb und mit einer Art winziger fadenartiger Fasern durchzogen. Das Cover wirkte sehr pflanzenartig und erinnerte Pembroke an handgerollte Zigarren, wie er sie sich gelegentlich zu genehmigen pflegte. Weder auf dem Cover noch auf dem recht breiten Buchrücken waren Titel oder Autor eingeprägt. Das war an sich auch nichts Besonderes; ungewöhnlich war nur, dass auch auf der Titelseite keinerlei Informationen zu Titel oder Autor angegeben waren. Es gab nicht einmal einen Copyright-Vermerk oder einen Hinweis auf Verlag oder Herausgeber. Das Buch war umfangreich – vielleicht so um die 800 Seiten –, aber als Pembroke vorsichtig Seite für Seite umblätterte (mit jeder Sekunde intensiver und eifriger), sah er, dass es keine Seitenzahlen gab, keine Überschriften oder Fußnoten – im ganzen Buch gab es überhaupt keinen gedruckten Text.

Er stand da, starrte hinunter auf das leere Buch und fragte sich, ob ihm jemand einen Streich spielen wollte. Tom DeLilly hatte große Freude daran, Gummispinnen zwischen den Büchern zu verstecken oder die Selbsthilfebücher umzustellen, so dass die Kunden ironischerweise Hilfe brauchten, sie zu finden. Diese Sache hier jedoch, so Pembrokes Meinung, ging über Verstand und Fähigkeiten von Tom hinaus.

Vielleicht soll es ein Tagebuch darstellen, vermutete er, oder ein Skizzenbuch. Das würde das Fehlen von Titel, Autor und Text erklären.

Zufrieden mit dieser Antwort machte er das Buch zu und steckte es unter den Tresen. Im Hinterkopf jedoch wunderte er sich über das mysteriöse Auftauchen des Buches. Wenn es ein Tagebuch oder Skizzenbuch war, dann hatte er es nicht bestellt.

***

Pembroke kümmerte sich den Vormittag über größtenteils um seine Geschäfte, rief Kunden an, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Bücher eingetroffen seien und ging ans Telefon, wenn es klingelte, weil sich wie üblich jemand verwählt hatte. Irgendwann am späten Vormittag machte er es sich im hinteren Teil des Ladens auf einem knarrenden Holzstuhl mit Armlehnen gemütlich und breitete das seltsame neue Buch auf seinem Schoß aus. Er blätterte Seite für Seite um und untersuchte das Papier dabei, als wolle er den Worten mit seinem Geist befehlen, zu erscheinen. Am Nachmittag nahm er das Buch mit hinaus und blätterte es durch, während er auf der Terrasse eines Straßencafés saß. Als jedoch die junge Kellnerin kam und skeptisch auf die leeren Seiten hinunterblickte, die Pembroke mit der Aufmerksamkeit eines Gelehrten musterte, schlug er das Buch zu und sah das Mädchen verärgert an. Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, das Buch mit hinauszunehmen.

Er machte sich eine gedankliche Notiz, Tom morgen wegen des Buches zu fragen; vielleicht hatte ja er es aus irgendeinem Grund bestellt. Als es aber Dienstag war und Tom frisch wie der Morgen und total aufgedreht durch die Eingangstür des Buchladens gestürmt kam – ting! machte die kleine Glocke über der Tür –, überkam Pembroke auf einmal ein eigenartiges Unbehagen.

„Guten Morgen, Arthur!“

Pembroke nickte Tom zu, als der jüngere Mann den schmalen Gang entlangeilte und seine Jacke über einen Rollwagen warf, auf dem sich stapelweise Taschenbücher türmten. Pembroke hatte gerade das geheimnisvolle Buch durchgeblättert, als Tom hereingekommen war; jetzt machte er das Buch schnell zu und verstaute es wieder unter dem Tresen. Er legte sogar noch ein anderes Buch darauf, als wolle er es verstecken. Dabei kam Tom sowieso nie hinter den Tresen.

„Gibt es heute irgendwelche neuen Bestellungen?“, frage Tom, während er Taschenbücher in ein Regal neben sich einsortierte.

„Nein“, antwortete Pembroke.

„Ich bin Mrs. Teatree im Giant-Supermarkt über den Weg gelaufen“, erzählte Tom. „Sie ist noch ganz hin und weg von dieser Ausgabe von ‚Geheime Wege‘, die sie letzten Monat bekommen hat.“ Tom kicherte fröhlich. „Komische alte Schachtel.“

Pembroke nickte schweigend.

Gegen drei Uhr nachmittags, als Tom gerade im Hinterzimmer versuchte, ein Bücherregal zusammenzubauen, betrat ein Mann das Geschäft, was durch das Bimmeln der kleinen Glocke über der Tür angekündigt wurde. Pembroke, der gerade hinter dem Tresen saß und seine ganzen Bücher in einem großen Bestandsbuch aufnahm, sah auf und musterte den Kerl. Der Mann, der beeindruckend hochgewachsen war, trug einen langen aschgrauen Trenchcoat und einen Humphrey-Bogart-Fedora in derselben Farbe. Unter dem Fedora sah ein langes, hageres und kantiges Gesicht hervor, mit einem Kinn, das aussah, als habe es ein Bildhauer zum perfekten Rechteck gehauen. Er hatte die entstellte Nase eines Berufsboxers und einen starren Mund, der eigentlich nur ein lippenloser Schlitz war. Seine Augen waren klein, aber aufmerksam – wie bei einer Ratte – und sie musterten den kleinen Buchladen, während der Mann regungslos im Eingang stehen blieb.

„Guten Tag“, grüßte Pembroke und machte das Bestandsbuch zu.

Der Mann sah ihn an, offensichtlich verwundert über Pembrokes Stimme. Sein großes, ausdrucksloses Gesicht formte etwas, das entfernt an ein Lächeln erinnerte. Die Rattenäuglein funkelten wie zwei Öltropfen. Er nahm seinen Hut ab, ging zu Pembroke an den Tresen und sagte: „Guten Tag, Sir. Ein nettes Geschäft haben Sie da.“ Seine Stimme war seidenweich.

„Vielen Dank“, erwiderte Pembroke. „Suchen Sie etwas Bestimmtes, was ich helfen kann, zu finden?“

„Das hoffe ich.“ Das Lächeln des Mannes hielt an. „Ich habe einen recht speziellen Wunsch.“

In genau diesem Moment wusste Pembroke, wonach der Mann suchte. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.

„Das Buch hat keinen Namen“, erklärte der Mann. „Genauer gesagt ist es eins von zwei Büchern. Wie Yin und Yang, könnte man sagen.“ Das Lächeln des Mannes wurde erstaunlicherweise breiter und entblößte seine Haifischzähne. „Das Buch, das ich suche, ist sehr groß und in einem seltenen natürlichen Einband gebunden.“

„Sie müssen da schon etwas präziser werden“, entgegnete Pembroke.

Das Lächeln des Mannes ließ nach. „Muss ich?“, wunderte er sich.

„Wie lautet der Name des Autors?“ Pembroke holte einen Stapel Papier unter dem Tresen hervor, auf dem Tom das ganze Inventar alphabetisch nach Autoren sortiert gedruckt hatte (mit seinem eigenen Computer).

„Es gibt keinen Autor“, sagte der Mann. Das Lächeln war jetzt völlig verschwunden. „Beziehungsweise gibt es, um genauer zu sein, mehrere Autoren. Ich glaube jedoch, guter Freund, dass Sie dieses Buch eher nicht auf Ihrer Inventurliste finden werden.“

Pembroke schob den Stapel zur Seite. Er zog ein weißes Taschentuch aus der Brusttasche seines engsitzenden Oxfordhemds und tupfte sich damit die Stirn ab.

„Ich habe Grund zu der Annahme“, fuhr der Mann fort, „dass dieses besondere Buch wohl aus Versehen gestern früh an diese Anschrift geliefert worden sein könnte.“

Pembroke schüttelte langsam den Kopf. „Wir haben gestern keine Lieferungen erhalten.“

Der Mann zog kaum wahrnehmbar eine seiner langen, schmalen Augenbrauen hoch. Er räusperte sich und sagte: „Vielleicht haben wir falsch angefangen, Mister …?“

„Pembroke“, antwortete Pembroke.

„Pembroke“, wiederholte der Mann. „Ich heiße Selwyn, Mr. Pembroke. Ich arbeite für eine Vereinigung wohlhabender Akademiker, die über die ganze Welt verteilt sind und die mir ihre persönlichen, äh, Angelegenheiten anvertrauen. Dieses Buch, Mr. Pembroke, war gerade von einem meiner Kunden zu einem anderen unterwegs. Natürlich überwache ich für gewöhnlich derartige Lieferungen persönlich, jedoch wurde in dieser Sache anderweitig verfahren. Bedauerlicherweise.“ Den letzten Teil fügte er mit unverhohlener Verachtung hinzu, als sei es irgendwie die Schuld von Pembroke, dass das Buch auf dem Postweg verloren gegangen war. „Es wäre für alle Beteiligten höchst unangenehm, Mr. Pembroke, wenn ich nicht in der Lage wäre, dieses Buch aufzuspüren und zurückzufordern.“ Erneut hob sich die schmale Augenbraue kaum merklich, als Selwyn fortfuhr: „Für alle Beteiligten.“

In diesem Moment kam Tom mit dem Bücherregal aus dem Hinterzimmer. Er blieb mit plötzlich erstauntem Gesichtsausdruck stehen, als er sah, dass Pembroke mit dem Mann beschäftigt war. Dann jedoch lächelte er sein College-Boy-Lächeln und rief inbrünstig: „Hallo! Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?“

Selwyn wandte seinen Blick nicht von Pembrokes Augen. Einen Augenblick später sagte Selwyn: „Nein danke, mein Junge. Ich wollte gerade gehen.“ An Pembroke gewandt fügte er hinzu: „Hier haben Sie meine Karte, falls Sie zufällig auf das besagte Buch stoßen. Ich würde eine rasche Benachrichtigung sehr schätzen. Es wäre das Beste für – nun, für alle, wenn diese Sache lieber früher als später als erledigt betrachtet werden könnte.“