Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Denise von Schoenecker, die Verwalterin des Kinderheims Sophienlust, fuhr mit ihrem Wagen auf den Parkplatz eines großen Maibacher Kaufhauses. Kaum hatte sie angehalten, öffnete ihr neunjähriger Sohn Henrik die Fondtür und stieg aus. »Na, kommt schon!« forderte er seinen um sieben Jahre älteren Halbbruder Nick und dessen dreizehnjährige Freundin auf. »Vergeßt nicht, heute beginnt diese neue Serie. Ich möchte jedenfalls nicht die erste Folge verpassen.« »Wie immer in Eile – unser Henrik«, meinte Denise halb amüsiert. Henriks Fernsehleidenschaft bereitete ihr in der letzten Zeit einiges Kopfzerbrechen. »Ich geh lieber einkaufen, als in den Fernseher zu starren«, sagte Angelina Dommin, die wegen ihrer vielen Sommersprossen meistens Pünktchen genannt wurde. »An deiner Stelle würde ich nicht ständig vor dem Fernseher hocken. Die Zeit ist dazu doch viel zu schade!« »Das finde ich allerdings auch«, stimmte ihr Dominik von Wellentin-Schoenecker zu. Er kontrollierte, ob auch alle Wagentüren richtig verschlossen waren. Erst vor einer Woche hatte man auf diesem Parkplatz ein Auto völlig ausgeraubt. »Mutti, wenn du nicht rechtzeitig fertig bist, kann ich dann mit dem Bus nach Wildmoos zurückfahren?« erkundigte sich Henrik. »Du brauchst mich doch sowieso nur für die Schuhe.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Denise von Schoenecker, die Verwalterin des Kinderheims Sophienlust, fuhr mit ihrem Wagen auf den Parkplatz eines großen Maibacher Kaufhauses. Kaum hatte sie angehalten, öffnete ihr neunjähriger Sohn Henrik die Fondtür und stieg aus. »Na, kommt schon!« forderte er seinen um sieben Jahre älteren Halbbruder Nick und dessen dreizehnjährige Freundin auf. »Vergeßt nicht, heute beginnt diese neue Serie. Ich möchte jedenfalls nicht die erste Folge verpassen.«
»Wie immer in Eile – unser Henrik«, meinte Denise halb amüsiert. Henriks Fernsehleidenschaft bereitete ihr in der letzten Zeit einiges Kopfzerbrechen.
»Ich geh lieber einkaufen, als in den Fernseher zu starren«, sagte Angelina Dommin, die wegen ihrer vielen Sommersprossen meistens Pünktchen genannt wurde. »An deiner Stelle würde ich nicht ständig vor dem Fernseher hocken. Die Zeit ist dazu doch viel zu schade!«
»Das finde ich allerdings auch«, stimmte ihr Dominik von Wellentin-Schoenecker zu. Er kontrollierte, ob auch alle Wagentüren richtig verschlossen waren. Erst vor einer Woche hatte man auf diesem Parkplatz ein Auto völlig ausgeraubt.
»Mutti, wenn du nicht rechtzeitig fertig bist, kann ich dann mit dem Bus nach Wildmoos zurückfahren?« erkundigte sich Henrik. »Du brauchst mich doch sowieso nur für die Schuhe. Die Jeans und den Pullover kannst du auch ohne mich kaufen.«
»Und nachher gefällt dir beides nicht!« Denise strich durch die ständig wirren braunen Haare ihres Jüngsten. »Nein, Henrik, du wirst mit uns zusammen zurückfahren.«
Der Neunjährige stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Ausgerechnet heute müssen wir einkaufen. Ich…«
»Es gibt Kinder, die wären froh, wenn ihre Mutter mit ihnen einkaufen gehen würde«, unterbrach ihn Denise. »So, und nun Ende der Debatte. Je länger wir hier herumstehen, um so später kommen wir nach Hause!«
Wieder seufzte Henrik, doch dann marschierte er entschlossen auf den Eingang des Kaufhauses zu.
»Wenn man Henrik so sieht, könnte man denken, wir würden ihn zur Schlachtbank führen«, meinte Nick lachend. Ganz in Gedanken griff er nach Angelinas Hand. »Übrigens dürfen wir auch nicht die Geburtstagsgeschenke für Simone vergessen.«
»Steht alles auf meiner Einkaufsliste«, beruhigte ihn seine Mutter. »Außerdem könnt ihr sie auch schon kaufen, während ich mit Henrik in der Kinderabteilung bin.« Vor ihnen glitten die Glastüren des Eingangs beiseite.
Pünktchen umfaßte Nicks Hand etwas fester. Glücklich und zufrieden ging sie neben ihm her. Schon als kleines Mädchen hatte sie Nick lieber als jeden anderen Jungen gemocht. Jetzt träumte sie oft davon, ihn eines Tages zu heiraten. Aber bis es soweit war, würden noch viele Jahre vergehen! Manchmal hatte sie richtig Angst, in der Zwischenzeit könnte Nick ein anderes Mädchen noch besser gefallen als sie.
Nick riß sie aus ihren Überlegungen. »Schaut mal die Frau dort vorn!« Er wies mit dem Kopf zu einer jungen blonden Frau, die sich erschöpft an einen Pfeiler lehnte. Sie trug ein gutgeschnittenes pastellfarbenes Kostüm und machte überhaupt einen sehr gepflegten Eindruck. Er schätzte sie auf Mitte Zwanzig.
»Es scheint ihr nicht gut zu sein!« Denise von Schoenecker überlegte, ob sie ihre Hilfe anbieten sollte, doch da straffte die junge Frau die Schultern und ging zum Aufzug.
»Wo bleibt ihr denn?« Henrik, der längst auf dem Weg zur Kinderabteilung gewesen war, rannte zurück.
»Wir kommen ja schon, Meister Ungeduld!« scherzte Denise. Sie warf einen letzten Blick zum Aufzug, dann folgte sie ihrem Sohn durch einen Bogengang.
So eilig es Henrik gehabt hatte – kaum waren sie in der Kinderabteilung, stürzte er zum Spielzeug und war weder durch Überredung noch durch den Hinweis auf die neue Fernsehserie zu bewegen, sich von der Stelle zu rühren.
»Dann erst einmal zu euch«, sagte Denise zu Pünktchen und Nick. »Und wenn ihr fertig seid, könnt ihr euch um Simones Geburtstagsgeschenk kümmern, während ich Henrik zu den Schuhen abschleppe.«
Weder mit Nick noch mit Pünktchen gab es Probleme, und so zogen die beiden schon zwanzig Minuten später zur Spielzeugabteilung hinüber, während Henrik ergeben Schuhe anprobierte. Denise von Schoenecker zwang sich, nicht zu verzweifeln, als ihr Jüngster auch beim fünften Paar Schuhe behauptete, sie würden nicht passen, obwohl seine Füße vorher gemessen worden waren.
»Das gibt es doch gar nicht, Henrik«, sagte sie und beugte sich hinunter, um selbst an den Schuhspitzen zu drücken. »In den Schuhen ist noch soviel Platz, wie es sein sollte! Größere könntest du gar nicht tragenl«
»Aber wenn sie nicht passen, Mutti!« beharrte Henrik. »Außerdem hätte ich viel lieber neue Turnschuhe. Alle laufen jetzt mit Turnschuhen herum. In meiner Klasse ist nicht ein einziger Junge, der noch solche Schuhe trägt!« Er wippte mit den Fußspitzen. »Turnschuhe sind viel bequemer!«
»Du kannst nicht bei jedem Wetter Turnschuhe anziehen!« Denise richtete sich auf. »Also bitte, Henrik, jetzt nimm Vernunft an! Turnschuhe gibt es nicht!«
Henrik merkte, daß es ihr ernst war. »Dann kauf halt die, die ich gerade anhabe«, meinte er ergeben. »Wenn es schon solche Schuhe sein müssen!«
Denise verzichtete auf eine Erwiderung. Sie streifte ihrem Sohn die Schuhe von den Füßen und reichte sie der Verkäuferin. »Sie werden froh sein, uns loszuwerden«, sagte sie mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln.
»Ihrer ist nicht der Schlimmste!« lachte die Verkäuferin und ging mit den Schuhen zur Kasse.
Henrik erinnerte sich wieder der Fernsehserie, die er auf keinen Fall verpassen wollte, und sorgte selbst dafür, daß der Kauf von Jeans und Pullover relativ schnell vonstatten ging. Ungeduldig begleitete er seine Mutter dann zu den anderen Ständen, da sie gleich noch Wäsche für einige der Kinder von Sophienlust einkaufen wollte.
»Du, Mutti!« Er stieß Denise leicht an.
»Ja, was ist denn?« Denise erwartete, wieder zur Eile gemahnt zu werden. Es gab Tage, da war Henrik eine regelrechte Nervensäge.
»Die Frau dort sieht richtig komisch aus«, flüsterte Henrik vernehmlich.
Denise blickte auf. Vor einem Verkaufstisch, auf dem Babykleidung lag, stand die junge Frau, die ihr schon beim Betreten des Kaufhauses aufgefallen war. Zögernd griff sie nach einem weißen Jäckchen, ließ es dann aber sofort wieder fallen, als hätte sie sich daran verbrannt.
»Was hat sie denn?«
»Ich weiß nicht, Henrik!«
»Ich glaube, sie ist schrecklich traurig«, meinte der Junge. »Vielleicht braucht sie Hilfe!« So eilig Henrik es eben noch gehabt hatte, jetzt dachte er nur daran, einem anderen Menschen zu helfen.
Denise wollte ihm gerade antworten, als die junge Frau zu schwanken begann und mit einem fast lautlosen Schrei zu Boden stürzte. Erschrocken traten die anderen Leute zur Seite. Eine Verkäuferin rannte davon.
Denise war mit zwei Schritten bei der jungen Frau. »Sie ist nur bewußtlos«, sagte sie beruhigend zu den anderen Leuten, nachdem sie ihr die obersten Knöpfe der Bluse geöffnet hatte. »Gibt es hier irgendwo einen ruhigen Platz, wo man sie hinbringen kann?«
»Nach nebenan, da steht eine Liege, Frau von Schoenecker!« Die Abteilungsleiterin beugte sich neben Denise über die junge Frau. Sie winkte zwei jüngere Verkäufer herbei und wies sie an, die Bewußtlose vorsichtig hochzuheben und in den Nebenraum zu tragen.
»Was ist denn passiert?« Nick und Pünktchen traten hinzu. Sie waren mit mehreren bunten Päckchen beladen.
»Da ist eine Frau umgefallen«, erzählte Henrik gewichtig. »Ich habe gleich gesehen, daß mit ihr etwas nicht stimmt!« Er schlug sich selbstgefällig gegen die Brust.
»Kümmere dich bitte um Henrik, Nick«, bat Denise. »Geht am besten in die Cafeteria und bestellt euch Eis, oder was ihr mögt! Ich komme dann später auch nach oben!«
»Okay, Mutti!« Nick nahm seinen Bruder, der Denise in den Nebenraum folgen wollte, einfach am Arm. »Wir zeigen dir in der Cafeteria, was wir alles für Simone gekauft haben«, versprach er.
Als Denise von Schoenecker an die Liege trat, war die junge Frau bereits wieder aufgewacht. Verwirrt blickte sie um sich. »Was ist denn passiert?« fragte sie verständnislos.
»Sie waren für einige Minuten bewußtlos«, erwiderte Denise. Sie setzte sich zu ihr auf die Liege.
»Sollen wir einen Arzt verständigen?« fragte die Abteilungsleiterin besorgt.
»Ich glaube, das wird nicht nötig sein!« Denise stand auf und ging mit ihr zur Tür. Leise sprach sie auf sie ein. »Falls wir Sie brauchen, rufe ich Sie dann wieder«, fügte sie noch hinzu.
»Geht in Ordnung, Frau von Schoenecker!« Die Abteilungsleiterin verließ den Raum.
»Wer sind Sie?« fragte die junge Frau. Sie strich sich müde die blonden Haare aus der Stirn. »Gehört Ihnen dieses Kaufhaus?«
»Nein!«
»Ich dachte, weil man sich nach Ihnen richtet!«
»Man kennt mich hier«, sagte Denise und stellte sich vor. »Ich verwalte das Kinderheim Sophienlust!«
»Kinderheim«, wiederholte die junge Frau. Unwillkürlich legte sie die Hand auf den Leib.
»Wie heißen Sie?« fragte Denise sanft. »Sie erwarten ein Kind, nicht wahr?« Daß die junge Frau nicht verheiratet war, hatte sie bereits festgestellt. Sie trug keinen Ehering.
»Karen Hansen!« Die junge Frau schluchzte. »Ja, ich erwarte ein Kind«, flüsterte sie unter Tränen. »Ich bin im dritten oder vierten Monat, so genau weiß ich das nicht. Ich war noch bei keinem Arzt!«
»Dann wird es aber allerhöchste Zeit«, meinte Denise. »Wo leben Sie? Bei Ihren Eltern? Und der Mann, von dem Sie das Kind bekommen, was ist mit ihm?«
»Er hat mich nur benutzt, und als eine andere kam, weggeworfen wie einen alten Handschuh!« brach es bitter aus Karen hervor. »Ich hatte geglaubt, ihn vergessen zu können, aber es sollte nicht sein!« Wieder legte sie die Hand auf den Leib. »Ich bekomme sein Kind! Ich liebe Kinder, ich habe mir immer Kinder gewünscht, aber ausgerechnet von diesem… Und was soll ich nur Frau Lohmann sagen?« Sie sah Denise mit angstvoll aufgerissenen Augen an. »Ich will meine Stelle nicht verlieren, aber ich werde sie verlieren, wenn sie es erfährt! Sie ist immer so korrekt. In ihrem Leben gibt es bestimmt nicht ein einziges dunkles Fleckchen… Sie wird mich rauswerfen!«
»Meinen Sie Agathe Lohmann?« fragte Denise.
»Ja, ich arbeite bei ihr als Gesellschafterin! Ich habe die Stelle erst vor eineinhalb Monaten angetreten, davor war ich wochenlang arbeitslos. Ich könnte mir keine bessere Arbeitgeberin wünschen. Ich komme prächtig mit ihr aus. Sie… Nein, sie wird mich nicht verstehen können, wird nie begreifen, wie ich auf einen Mann wie diesen Grimholz hereinfallen konnte!«
»Frau Lohmann wird Sie verstehen, Frau Hansen!« Denise nahm Karens Hand. »Ich kenne Frau Lohmann sehr gut. Sie mag zwar manchmal etwas aufbrausend sein, doch sie hat ein gütiges Herz!«
»Das will ich nicht bestreiten! Aber bitte, verstehen Sie, ich erwarte ein Kind… Ihre Gesellschafterin erwartet ein Kind! Was soll sie mit einer Gesellschafterin, die schwanger ist?« Karen richtete sich auf. »Meine Situation ist ausweglos!«
»Das ist sie keineswegs. Ich werde mit Frau Lohmann sprechen!«
Karen schüttelte den Kopf. »Nein, Frau von Schoenecker, das ist nett gemeint, aber wenn Frau Lohmann eines haßt, dann ist es, wenn man sich hinter einem anderen versteckt. Ich werde es ihr wohl selbst sagen müssen! Irgendwann werde ich auch den Mut dazu finden.«
Denise fühlte, daß sie Karen im Moment nicht helfen konnte. »Kann ich Sie wenigstens nach Hause bringen?« fragte sie. »Ich bin mit dem Wagen hier!«
Karen Hansen zögerte einen Moment, dann schüttelte sie erneut den Kopf. »Ich werde ein Taxi nehmen«, entschied sie. »Aber danke, daß Sie mit mir gesprochen haben. Ich fühle mich jetzt schon viel besser. Und ich werde auch zum Arzt gehen, gleich morgen früh!«
Denise bestellte ein Taxi und begleitete dann die junge Frau nach draußen. Zweifelnd blickte sie dem Taxi nach, als es den Parkplatz verließ. Sie hatte Karen Hansen zwar noch gesagt, daß sie sich jederzeit an sie wenden konnte, wenn sie Hilfe brauchte, doch sie war sich nicht sicher, ob die junge Frau es auch tun würde. Sie schien sehr stolz zu sein. Denise blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten. Schließlich konnte sie niemanden zwingen, fremde Hilfe anzunehmen. Resignierend fuhr sie mit dem Aufzug zur Cafeteria hinauf.
*
Rebekka Nawrath erwachte von einem Sonnenstrahl, der sie an der Nase kitzelte. Sie drehte sich zur anderen Seite und schlug die Augen auf. Ihr Blick fiel auf den Hampelmann, der an der Wand hing. Sie streckte die Hand aus und zog an dem Faden, der ihn bewegte. Leise lachte sie über die grotesken Bewegungen, die der Pappgeselle vollführte.
Durch das offene Fenster drang das Zwitschern eines Vogels. Das kleine Mädchen richtete sich auf und schlug die Decke zurück. Es blickte auf die große Uhr, die auf seinem Nachttisch stand. Kurz nach acht! Ob Onkel Harald noch schlief? Er war in der Nacht erst spät nach Hause gekommen!
Auf Zehenspitzen huschte Rebekka aus ihrem Zimmer und den Flur entlang zum Schlafzimmer ihres Onkels. Ganz leise drückte sie die Türklinke hinunter. Lautlos trat sie ein und schlich zu dem großen Doppelbett.
Tatsächlich, Onkel Harald schlief noch! Rebekka streckte die Hand aus, um ihm die Nase zuzuhalten, doch dann ließ sie den Arm wieder sinken. Es wäre gemein gewesen, den Onkel zu wecken, wo er doch so lange hatte arbeiten müssen. Sicher würde er sich freuen, wenn sie ihm bewies, was sie mit ihren fünf Jahren schon für ein großes Mädchen war. Sie wollte für ihn das Frühstück machen.
So leise, wie sie gekommen war, verließ sie wieder das Zimmer und klinkte die Tür hinter sich zu. Zufrieden hüpfte sie durch den Flur, bis ihr einfiel, daß ihr Hüpfen ja den Onkel wecken konnte. Gleich hörte sie damit auf und bewegte sich nur noch ganz vorsichtig.
Rebekka hatte längst gelernt, sich allein anzuziehen. Im Unterrock trat sie ins Badezimmer, holte den Schemel, der neben dem Schrank für sie bereitstand, und schob ihn vor das Waschbecken. Rasch hatte sie sich die Zähne geputzt und sich gewaschen, dann ging sie in ihr Zimmer zurück. Mit dem blauen T-Shirt gab es keine Schwierigkeiten, doch der Trägerrock war kompliziert. Schließlich knöpfte sie die Träger erst fest, bevor sie hineinschlüpfte.
Jetzt kamen noch die Söckchen und die Sandalen, dann konnte sie an die Zubereitung des Frühstücks gehen.
Wenige Minuten später stand die Fünfjährige in der Küche und legte einen Filterbeutel in den Filter der Kaffeemaschine. Wieviel Kaffeelöffel nahm Onkel Harald eigentlich immer? Rebekka nagte an der Unterlippe. Schade, daß sie nie aufgepaßt hatte! Kurz entschlossen tat sie eine ordentliche Portion Kaffee in den Filter, schüttete Wasser in die Maschine und schaltete sie ein. Zufrieden trat sie zurück, als bald darauf der aromatische Kaffeeduft die Küche erfüllte.
Eigentlich wäre es schön, frische Brötchen zum Frühstück zu haben! Rebekka überlegte nicht lange. Sie ging in ihr Zimmer zurück, nahm ihren kleinen Geldbeutel und verließ die Wohnung. In ihrem Eifer dachte sie allerdings nicht daran, einen Schlüssel mitzunehmen. Erst als sie die Treppe hinunterlief, fiel ihr ein, daß sie ihn vergessen hatte. »So was Blödes!« murmelte sie vor sich hin, sprang dann aber ganz unbekümmert auf den Gehweg.
Die Bäckerei, in der sie schon oft Brötchen im Auftrag ihres Onkels geholt hatte, befand sich auf derselben Straßenseite. Zufrieden mit sich und der Welt, hüpfte sie den Gehweg entlang. Als sie bei der Bäckerei angekommen war, griff sie in die Rocktasche und zog den Geldbeutel heraus. Mit zwei Schritten war sie an der Ladentür und drückte die Türklinke hinunter. »Nanu«, sagte sie erstaunt, als sich die Tür nicht öffnen ließ.
»Da wirst du heute Pech haben, Kleines!« Eine alte Frau war neben ihr stehengeblieben. Sie wies auf ein Schild, das an der Ladentür hing.
»Heute ist die Bäckerei wegen einer Familienfeier geschlossen. Dort steht es!«
»Ich kann noch nicht lesen«, erwiderte Rebekka. »Aber ich werde es lernen, wenn ich in die Schule komme. Es ist gar nicht schwer, sagt Onkel Harald!«
»Und der muß es ja wissen«, meinte die Frau belustigt. Sie strich Rebekka über die kurzen blonden Haare. »Am besten, du läufst jetzt wieder nach Hause!«
»Wiedersehen!« rief das kleine Mädchen und rannte davon.
Zuerst hatte Rebekka wirklich wieder nach Hause laufen wollen, doch dann dachte sie an die andere Bäckerei. Sie lag zwar auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, doch es gab ja den Zebrastreifen und die Ampel. Und ihr Onkel Harald hatte ihr oft erklärt, wie man eine Straße überquerte. Erst mußte sie an der Ampel anhalten und auf Grün warten, bevor sie über die Straße durfte.
Schnell kehrte Rebekka wieder um. Sie rannte zum nächsten Zebrastreifen und blieb auch brav stehen, um auf Grün zu warten. Wie lange das dauerte! Rebekka hüpfte ungeduldig von einem Bein aufs andere. Jetzt kam doch überhaupt kein Auto warum schaltete die blöde Ampei nicht auf Grün?
Verzweifelt blickte das kleine Mädchen zur Ampel hinauf. Noch immer war es Rot! Das Kind schaute zur anderen Straßenseite, da betrat doch tatsächlich ein Erwachsener die Fahrbahn, obwohl die Ampel noch nicht umgeschaltet hatte! Vielleicht durfte man über die Straße gehen, wenn kein Auto kam. Vielleicht hatte die Ampel nur vergessen umzuschalten.
Rebekka überlegte nicht länger. Sie setzte schon die Füße auf die Straße, ohne nach rechts und links zu sehen. Von der rechten Seite kam ein Wagen heran. Bremsen quietschten. Das kleine Mädchen fühlte sich plötzlich am Schlafittchen gepackt und auf den Bürgersteig zurückgezogen.
»Ja, sag mal, Rebekka, bist du noch bei Trost?« wurde sie von einer sehr großen, hageren Frau angefahren. »Rennst bei Rot über die Straße! Hat dir dein Onkel nicht beigebracht, daß man auf Grün warten muß?«
»Doch, Frau Weigert«, stotterte Rebekka.
»Das fragt sich noch«, bemerkte Anna Weigert. »Wo ist dein Onkel überhaupt? Was hast du allein auf der Straße verloren?«
»Ich wollte Brötchen zum Frühstück kaufen«, kam es kleinlaut von Rebekka. »Ein Mann ist von der anderen Seite auch auf die Fahrbahn gelaufen! Ganz bestimmt!«
»Wenn Erwachsene etwas tun, heißt das noch lange nicht, daß es Kinder nachmachen müssen!« Anna Weigert hielt noch immer das kleine Mädchen fest. »Anscheinend weißt du überhaupt nicht, wie gefährlich es ist, bei Rot über die Straße zu gehen. Aber ich sage ja immer, daß es ein Unding ist, einem Junggesellen die Erziehung eines Mädchens anzuvertrauen – und dann noch diesem Menschen!«
»Kann ich jetzt gehen, Frau Weigert?« Rebekka versuchte, sich aus dem Griff der Frau zu befreien. »Onkel Harald wartet bestimmt schon auf mich!« In ihren blauen Augen glänzten Tränen. »Bitte, Frau Weigert!«
»Das könnte dir so passen, Rebekka! Ich werde dich nach Hause bringen und deinem Onkel Harald endlich einmal sagen, was ich von ihm halte!«
»Onkel Harald hat überhaupt keine Angst vor Ihnen!« trumpfte Rebekka auf. »Onkel Harald ist viel stärker als Sie!« Rebekka stampfte mit dem Fuß auf. »Wenn Sie mich nicht loslassen, wird er die Polizei holen, und dann werden Sie eingesperrt!«