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Einige Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR entwendet der ehemalige Stasi-Oberleutnant Steffen Baum aus einem Schweizer Bankschliessfach das Geld seiner früheren Kollegen. Dabei fallen ihm geheime Papiere in die Hand. Als er deren Bedeutung erkennt, ist sein Todesurteil bereits gefällt. Eine ungeheuerliche Verschwörung der noch immer konspirativ tätigen Genossen zur Wiedererlangung der Macht, steht kurz vor der Ausführung. Alle Fäden laufen in einer versteckten Bunkeranlage südlich von Berlin zusammen. Hier kommt es zu einem unvorhersehbaren Zwischenfall.
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Seitenzahl: 244
Veröffentlichungsjahr: 2021
UNTERNEHMEN ZEDER
Überarbeitete Fassung
G.H.Ehlig
BOD – Verlag
Erstausgabe 2012 by united-pc Verlag
Österreich
Rathausgasse 73a
A - 7311 Neumarkt
Sämtliche, in der Folge beschriebenen Handlungen sind frei erfunden.
Die namentliche Benennung tatsächlich existierender, ehemaliger Mitarbeiter staatsschützender Institutionen in Verbindung mit fiktiven Geschehnissen vor dem Zusammenbruch der DDR, bezieht sich ausschließlich auf deren Bedeutung als historische Personen.
Ihre Mitwirkung an später datierten, insbesondere strafrechtlich relevanten Unternehmungen entspringt gleichfalls der Phantasie des Autors.
Der Autor
Buch: Tödliches Geheimnis
Buch: Das Virus
Buch: Die Bombe
Buch: Skorpion
Der Mann hielt den Atem an. Gierig sogen seine Augen den Text ein. Dann holte er tief Luft und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Mit zitternden Händen griff er nach einer Zigarette. Flüchtig schweifte sein Blick über die langen Reihen mit Aktenordnern vollgestopfter Regale. All das betraf ihn nicht mehr. Er hatte gefunden wonach er suchte.
Erneut konzentrierte er sich auf seinen Schreibtisch. Aus dem vor ihm aufgeschlagenen Aktenordner entfernte er mit wenigen Handgriffen ein Blatt. Noch einmal überlas er den mit Maschine geschriebenen Text.
...nach Einschätzung des Genossen Oberst Schalk-Golodkowski besitzt Major Schaller die erforderlachen Kenntnisse in finanztechnischer Hinsicht. Sein von klarem Klassenbewusstsein bestimmtes Handeln, untrennbar verbunden mit dem unerschütterlichen Glauben an den Sieg des Sozialismus, ermöglichte es ihm bereits in der Vergangenheit, spezielle Operationen (insbesonders außerhalb des Staatsgebietes der Republik) erfolgreich durchzuführen. An der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit des Genossen bestehen keinerlei Zweifel. Ich empfehle ihn daher als unter sämtlichen Gesichtspunkten geeignet für die Durchführung der betreffenden Devisenoperation. Nähere Einzelheiten sind ohne Verzug mit dem zuständigen Sonderreferenten zu erörtern...
Der Rest war uninteressant. Entschlossen nahm der Mann sein Gasfeuerzeug zur Hand und setzte das Schriftstück in Brand. Als die Flamme empor züngelte, drehte er die Seite damit alles Papier verkohlte. Die schwarzen Reste zerkrümelte er im Aschenbecher zu Pulver. Nun endlich kannte er den Namen des früheren MfS-Angehörigen, der im Jahre 1989 auf Befehl hochrangiger Vorgesetzter in der Schweiz ein geheimes Bankschließfach eingerichtet hatte.
Achtlos stellte er verschiedene Ordner in die Regale zurück. Auf die sonst übliche Eintragung in das Kontrollbuch verzichtete er.
Erstaunt hob der Wachmann die Augenbrauen, als der Beamte grußlos dem Ausgang zustrebte, ohne die Büroschlüssel vorschriftsmäßig zu hinterlegen. Schnell wich seine Verwunderung einer zünftigen Verärgerung. Frechheit, marschierten einfach an ihm vorbei, als gäbe es ihn überhaupt nicht. Empört schlug er sein Wachbuch auf und trug sorgfältig den Namen des Sünders ein.
Natürlich konnte er nicht wissen, dass der unfreundliche Mitarbeiter in Wirklichkeit ganz anders hieß. Noch viel weniger ahnte er, welche Tätigkeit er früher ausgeübt hatte. Aber das spielte ohnehin keine Rolle mehr, denn der Betreffende würde nicht mehr in diese Dienststelle zurückkehren.
Zufrieden verließ Albert Kuschke die Gaststätte. In der Brieftasche steckte ein Gewinn von fast zweihundert Mark. Seine Freunde hatten nicht versucht, ihn zum Bleien zu überreden. Sie wussten, dass er ihre wöchentliche Spielrunde regelmäßig gegen 22 Uhr verließ. Wie immer wollte der Buchhalter sich an das Steuer des abgestellten Wagens setzen, denn sein Alkoholverbrauch hielt sich in Grenzen. Allerdings wartete an diesem Tage zwischen gepflegtem Gesträuch am Rande des Parkplatzes, außerhalb der von Lampen beleuchteten Fläche, ein unauffällig gekleideter Mann. Auch er kannte die Gewohnheiten seines Opfers.
Der Angekommene bemerkte die Gestalt des anderen nicht, als sie sich aus dem Schatten löste und lautlos hinter seinen Rücken trat. Lediglich ein stechender Schmerz, verursacht von einem gezielten Handkantenschlag, gelangte für Sekundenbruchteile in sein schwindendes Bewusstsein.
Sichernd blickte der Angreifer umher, ehe er den Niedergeschlagenen, der ihm nach Alter und Figur glich, zu dessen Auto schleifte. Nachdem er ihn mit Kabelbindern an Händen und Füßen gefesselt hatte, wuchtete er den widerstandslosen Körper auf die hintere Sitzbank. Danach stieg er in das Fahrzeug seines Opfers.
Etwa fünfunddreißig Minuten nach diesem von Außenstehenden unbemerkten gebliebenen Vorfall lenkte der Angreifer das Auto über holprige Nebenwege zu einem längst stillgelegten Steinbruch, wo sich im Licht der Scheinwerfer die Umrisse eines anderen PKW abzeichneten. Es war sein eigener Lada, von ihm selbst bereits in den frühen Abendstunden abgestellt. Anschließend war er zu Fuß bis in den Bereich öffentlicher Verkehrsmittel gelangt.
Neben dem Auto bremste er ab. Das kalte regnerische Wetter begünstigte sein Vorhaben. Kein Mensch würde ihm dabei in die Quere kommen. Aus seinem Wagen holte er zwei Flaschen hochprozentigen Wodka. Damit begab er sich zum Auto des Buchhalters.
Der Gefesselte war bereits wieder zu sich gekommen. Obgleich er sich keine Zusammenhänge erklären konnte, erfasste er seine gegenwärtige Lage genau. Deshalb beschloss er, sich weiterhin bewusstlos zu stellen. Er sollte indes keine Gelegenheit mehr erhalten, seinem Schicksal zu entgehen.
Brutal schlug ihm der Unbekannte seine flache Hand ins Gesicht: "Verstell dich nicht."
"Was wollen sie von mir?" stieß der Buchhalter mit heiserer Stimme hervor, während er vergeblich versuchte, das Gesicht des Peinigers in der Dunkelheit zu erkennen.
"Halt die Schnauze", fuhr der Mann ihn an und schob den Hals einer Flasche zwischen die Zähne des Liegenden. Der bäumte sich auf und wollte nicht trinken.
"Mensch, sauf!" befahl sein Peiniger verärgert: "Oder ich brech dir sämtliche Zähne raus."
Jetzt ergab sich der Wehrlose resigniert. Krampfhaft schluckte er die scharfe Flüssigkeit. Bei der nächsten Flasche ließ ihm der Entführer mehr Zeit, denn er wollte nicht, dass sein Opfer sich erbrach und dadurch die Wirkung des Alkohols verminderte. Schließlich lallte der sinnlos Betrunkene nur noch. In einigen Minuten würde er so gut wie bewegungslos sein.
Der Täter schleifte den erschlafften Körper ins Freie. Angewidert entfernte er alle Kleidungsstücke vom Leib des Mannes und warf sie in dessen Fahrzeug. Er machte sich nicht die Mühe, sie nach Papieren oder anderen Gegenständen zu durchsuchen. Dann nahm er aus dem eigenen Kofferraum einen Plastebeutel mit den Sachen, die er selbst noch am gleichen Vormittag in der Dienststelle getragen hatte.
Das Ankleiden des nur noch leise Lallenden bereitete ihm mehr Schwierigkeiten als vorgesehen. Wiederholt schaute der Verbrecher auf seine Armbanduhr. Die Zeit begann knapp zu werden. Seinen ursprünglichen Plan wollte er jedoch unbedingt einhalten, denn es gab noch viel zu tun in dieser Nacht. Deshalb zerrte er wütend an der Bekleidung. Danach zog er vom Finger des Buchhalters dessen Ehering und ersetzte ihn durch einen silbernen Siegelring. Schließlich verstaute er den eigenen Personalausweis, der auf den Namen Reinhardt Brieske lautete, sowie seinen Schlüsselbund in den Taschen des Wehrlosen. Zuletzt lud er das Opfer in den Kofferraum seines eigenen Lada.
Dessen Tod war an einem anderen Ort vorgesehen.
Flüchtig lauschte der Mann in die Umgebung. Außer dem auf und abschwellenden Heulen des böigen Windes und dem gelegentlichen Knarren eines abgestorbenen Astes drangen keine Geräusche an seine Ohren. Beruhigt wandte er sich nun dem leeren Wagen des Buchhalters zu.
Nachdem er sämtliche Scheiben heruntergekurbelt hatte, setzte er sich an das Steuer. Langsam fuhr er im ersten Gang bis an eine abschüssige Strecke heran, die nach wenigen Metern an der Steilwand des alten Bruches endete. Dort legte er den Leerlauf ein. Hastig sprang er nun aus dem Auto, das führerlos weiter rollte. Direkt am Übergang zum Felsen stockte es kurz, als sein Unterboden das Gestein berührte, dann verschwand es mit aufbäumendem Heck im Dunkel des Abgrundes. Nur ein schwaches Platschen drang Sekunden danach bis zum Beobachter herauf.
Der kleine, aber tiefe See an der Sohle des Bruches sollte das Wrack für lange Zeit verbergen, bis es irgendwann einmal durch Zufall entdeckt werden würde. Dann wäre der Täter längst jedem behördlichen Zugriff entronnen.
Obgleich die breiten Scheibenwischer auf Hochtouren liefen, schafften sie es kaum, das Sichtglas freizuhalten. Ein zäher Kantenwind drückte immer neue Schwaden großer Regentropfen gegen die Front der Diesellok. Angestrengt versuchte der Zugführer den Gleisbereich zu überschauen. Bei dem Wetter kann ich froh sein, wenn ich kein Signal übersehe, dachte er missmutig. Mit geringer Geschwindigkeit durchfuhr der Güterzug die ausgedehnten Gleisanlagen eines Rangierbahnhofes. Für den folgenden Streckenabschnitt war das bisherige Tempolimit aufgehoben und der Lokführer beschleunigte trotz der eingeschränkten Sicht wieder.
So kam es, dass der Mann auf dem Führerstand außerstande war rechtzeitig zu reagieren, als er im Bereich des überhöht angelegten Bahndammes direkt vor sich auf der Schiene die Umrisse eines ziemlich großen Gegenstandes bemerkte.
Trotz geistesgegenwärtig eingeleiteter Notbremsung überrollten etliche Achsen den menschlichen Körper. Der Unglückliche hatte so gelegen, dass sein Kopf zerquetscht wurde. Zwanzig Minuten nach diesem Vorfall beleuchteten die Scheinwerfer zahlreicher Polizeifahrzeuge den Unfallort.
Ein ferner Glockenturm verkündete die zweite Stunde. Der Mann zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher und stieg aus seinem Fahrzeug. Menschenleere Straßen, Nieselregen, registrierte er mit Genugtuung. Das Wetter kam ihm sehr gelegen. Sämtliche Spuren in der Nähe des von ihm gewählten Unfallortes waren aufgeweicht und dürften damit für die Kripo nicht verwertbar sein. Noch einmal ließ er die Einzelheiten des eigenen Todes vor seinem geistigen Auge vorüberziehen. Nein er hatte wohl nichts übersehen oder falsch gemacht.
Nun existiere ich also nicht mehr, dachte er amüsiert. Meine Leiche wird man bereits identifiziert haben. Wenn der Körper auch kein Gesicht mehr besaß, so ließen doch Papiere und Schlüssel keinen Zweifel aufkommen. Selbst den Siegelring dürfte man in seiner Dienststelle wiedererkennen. Im Verlaufe des Tages fände man dort und natürlich auch in der Wohnung des vermeintlich Betroffenen eindeutige Hinweise darauf, dass der verunglückte Mitarbeiter der Gauck Behörde ein heimlicher Trinker war, welcher beim Versuch im Zustand der Volltrunkenheit die Gleisanlagen zu überqueren, bedauerlicherweise von einem Zug erfasst worden war.
Fast musste der Mörder auflachen. Doch gleich darauf riss er sich wieder zusammen und konzentrierte seine Überlegungen auf das kommende Vorhaben. Es konnte erheblich schwieriger werden, als der vorgetäuschte Tod.
Aus einiger Entfernung beobachtete er ein mehrstöckiges Altbaugebäude und ging dann darauf zu. Wenige Minuten später gelangte er unbemerkt an die Hinterseite des Hauses. Hier standen die Fahrzeuge der Anwohner.
Ideal, dachte der nächtliche Besucher zufrieden. Schon wollte er sich zwecks weiterer Ausführung seines Planes zu einer in der Nähe befindlichen, öffentlichen Telefonzelle begeben, da hielt er inne und nahm das eigene Funktelefon aus der Seitentasche.
Dieser an sich bedeutungslose Fehler blieb sein einziger. Er sollte sich jedoch als tödlich erweisen. Allerdings erst zu einem viel späteren Zeitpunkt. Im Augenblick war er noch derjenige, der das Geschehen bestimmte. Ohne sich aufzuhalten gab er die Nummer ein, die er im Laufe des vergangenen Tages ermittelt und vorsorglich gespeichert hatte
Nach einem halbem Dutzend Klingelzeichen wälzte sich die Frau im Bett herum und griff zum Telefon:
"Schaller", sprach sie mit verschlafener Stimme in die Muschel. Sekunden später fügte sie hinzu: "Einen Moment bitte." Dann legte sie den Hörer auf das Kopfkissen und beugte sich über ihren Mann: "Rudolf, Telefon."
Verärgert fuhr der Geweckte hoch. Sein Blick fiel auf die LCD-Anzeige des Weckers. 02 . 13 Uhr!
"Verdammt, nicht mal schlafen kann man in Ruhe." Unwillig nahm er den gereichten Hörer entgegen. Einige Augenblicke danach spannten sich seine Gesichtszüge: "Okay, ich komme sofort."
Seine Benommenheit war vollkommen verschwunden. Hastig suchte er seine Bekleidungsstücke zusammen: "Nur eine betriebliche Angelegenheit", erklärte er seiner Frau.
"Um diese Zeit? Soll ich einen Kaffee aufsetzen?"
"Nicht nötig. Bekomme ich in der Firma. Wasserrohrbruch im Keller. Die Computerräume sind bedroht. Überflutung. Mist, verfluchter. Anscheinend ist der Sicherheitsdienst zu blöd, das Hauptventil abzudrehen."
Als zuständiger Abteilungsleiter konnte er jedoch nicht kneifen. Zumal auch der Chef benachrichtigt worden war. Zumindest sagte das der Wachmann am Telefon.
Komisch dachte er, als er wenige Minuten später in den Hausflur trat. Die Stimme des Wächters war ihm nicht bekannt vorgekommen. Jetzt begann Mißtrauen in ihm aufzusteigen. Während er die Treppe hinunter eilte, zog er sein Handy hervor und wollte die vorprogrammierte Rufnummer des Betriebsleiters eingeben. Im selben Augenblick trat ihm eine Gestalt in den Weg.
Noch ehe der Überraschte darauf reagieren konnte, drangen die angewinkelten Fingerknöchel des Angreifers unterhalb seines Rippenbogens in den Körper. Der Atem versagte dem Angegriffenen schlagartig. Als er in die Knie ging, schepperte das Telefon über die Stufen. Seine beiden Arme wurden nach hinten gerissen. Handschellen klickten. Leise, aber mit drohendem Unterton befahl eine Stimme an seinem Ohr: "Vorwärts. Zum Kellerabgang."
Schaller nahm alle Kraft zusammen und riss seinen Oberkörper herum. Dabei versuchte er, den Unbekannten mit dem Kopf zu stoßen. Allerdings hatte dieser damit gerechnet und konnte deshalb ausweichen. Brutal packte er den anderen, drückte dessen Gesicht gegen die steinerne Treppenkante und setzte er seinen Fuß in den Nacken des Liegenden:
"Noch einmal sage ich das nicht. Zum Keller."
Er lockerte den Griff. Der Überwältigte schien aufzugeben. Taumelnd kam er hoch und ging voran. Hinter sich hörte er, wie sein Gegner das Handy vom Boden aufhob. Blitzschnell rechnete er die verbliebenen Chancen aus, doch ein harter Stoß in den Rücken beendete seine Überlegungen.
Vor der Tür zum Kellerabgang tastete der Fremde ihn nach Gegenständen ab. Die Waffe im Schulterholster schien ihn vorläufig nicht zu interessieren. Mit auf den Rücken gefesselten Händen konnte ihr Besitzer ohnehin nicht damit umgehen. Vor Wut knirschte Schaller mit den Zähnen.
Kurz darauf verschloss der Mann die Tür von innen. "Wo ist dein Keller?"
Wortlos lief der Gefragte darauf zu. Vielleicht fände er dort eher eine Möglichkeit, den Gegner zu überwältigen, obgleich er schon an dessen bisherigen Vorgehen den Profi hätte erkennen müssen, der sich keine Blöße geben würde.
Kaum war die Tür zu dem abgeteilten Raum geöffnet, traf ein Handkantenschlag die linke Niere des Überfallenen. Mit leisem Stöhnen sackte er zusammen. Nun betätigte der Fremde den Lichtschalter. Ausgezeichnet, dachte er. Kein Fenster nach draußen.
Im hinteren Teil des Kellers stand auf einer Werkbank das Modell eines Segelschiffes. Ringsum an den Wänden hingen verschiedenartige Werkzeuge. Aus einem Regal nahm der Entführer eine Rolle Klebeband.
Fünf Minuten danach lag Rudolf Schaller, ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, von Kopf bis Fuß verschnürt, anstelle des Schiffes auf der Werkbank. Zwischen seinen Zähnen steckte ein zusammengeknüllter Putzlappen. Die eigene Pistole befand sich jetzt in der Hand des Unbekannten. Mit geübter Bewegung zog dieser das Magazin heraus und entnahm ihm zwei Patronen. Unter den Blicken des Liegenden spannte er sie nacheinander zwischen den Schraubstock und feilte in das weiche Metall der Projektile jeweils zwei gekreuzte Kerben. Dann drückte er die Patronen wieder in das Magazin, schob es in den Griff zurück und lud die Waffe durch.
Auf der Stirn des Gefesselten hatten sich unterdessen Schweißperlen gebildet. Der kalte Blick des Fremden ruhte auf seinem Gesicht: "Wozu die Kerben sind, kannst du dir denken. Oder soll ich es erklären? Wenn das Geschoss auf der Kniescheibe auftrifft, wird es auseinander gerissen. Was da noch vom Gelenk übrig bleibt, kannst du mit der Lupe suchen."
Schaller versuchte gleichgültig auszusehen. Doch die Stimme des Mannes schnitt wie ein Skalpell in seine Ohren: "Ach, du glaubst wohl, ich trau mich nicht zu schießen? Wegen des Lärmes? Sei beruhigt, ich leg ein paar Putzlappen dazwischen. Das dämpft ganz schön."
Unvermittelt ging der Plauderton in messerscharfe Worte über. "In welcher Bank befindet sich das Schließfach? Wie lautet der Zugangscode?"
Nun konnte der Gefragte die Überraschung nicht mehr verbergen. Seine Gesichtszüge verrieten ihn. Mit einem Ruck riss ihm der andere den Knebel aus dem Munde. "Ich warte."
"Wovon reden Sie? Welches Schließfach?" keuchte Schaller. Er schien sich wieder gefangen zu haben.
Schweigend ergriff der Mann mehrere Putzlappen und drückte sie mit dem Lauf der Pistole gegen die Kniescheibe des Liegenden.
"Halt!" In den Augen des Bedrohten flackerte Angst auf: "Mensch, sie ahnen nicht, mit wem sie sich anlegen."
Dies war ein Irrtum, denn der Verbrecher wusste genau, wessen Geld er wollte. Als er nach einer guten Stunde fort ging, besaß er alle nützlichen Informationen. Allerdings hatte er den Körper des Zurückbleibenden erst noch mit Handbohrmaschine und einem Lötkolben aufbereiten müssen, bis der Gefolterte sich zu einer Kooperation entschloss. Von den zwei zerschossenen Kniegelenken ganz zu schweigen. Aber die konnte der Verstümmelte ohnehin nicht mehr gebrauchen, denn in seiner Schläfe befand sich jetzt das Einschussloch einer NeunmillimeterKugel.
Pünktlich um 8. 30 Uhr drang das unangenehme Summen des elektronischen Weckers in die Ohren der Frau. Gähnend streckte sie ihre Glieder noch einmal, bevor sie aufstehen wollte. In diesem Augenblick läutete das Telefon. Noch halb benommen griff sie nach dem Hörer. "Schaller."
"Werkschutz, technotron. Guten Morgen Frau Schaller. Ihr Gatte hat uns beauftragt, um halb neun bei ihnen anzurufen und Folgendes auszurichten. Er wird nicht vor dem späten Nachmittag nach Hause kommen. Sie möchten bitte bei seinem Arzt den heutigen Termin absagen."
Verstimmt legte Frau Schaller auf. Sieht ihm ähnlich. Hat nicht mal Zeit selber anzurufen.
Zwei Minuten später klingelte das Telefon in der Firma. Der Pförtner in der Wachstube nahm das Gespräch entgegen: "Werkschutz", meldete er sich bei dem Anrufer. Angestrengt horchte er dann in die Leitung. Die Stimme war nur undeutlich zu verstehen. Verdammte Störung, dachte er.
Dass der scheinbare Defekt von seinem Gesprächsteilnehmer mit einem vor die Sprechmuschel gehaltenen Taschentuch verursacht wurde, kam ihm nicht in den Sinn: "Entschuldigen sie, aber ich höre sie sehr schlecht."
Nun erklang die Stimme ein wenig lauter. Nach einer Weile sagte der Wachmann beflissen: "Selbstverständlich, Herr Schaller. Ich werde es gleich notieren."
Auf einem Zettel vermerkte er stichpunktartig: 8. 35 Uhr. Anruf Schaller. Verkehrsunfall. Unverletzt. Erledigung von Formalitäten bei Polizei und Versicherung. Erst am Nachmittag in Firma zu erwarten. Chef informieren.
Zufrieden klappte der Mann das Handy zu. Dann nahm er die Kaffeetasse zur Hand und nippte genussvoll an dem heißen Getränk. Durch die riesigen Glasscheiben des Flughafenrestaurants schweifte sein Blick über zahlreiche Reisende, die entweder vorübereilten oder in Gruppen herumstanden.
Noch einmal überdachte er die gegenwärtige Lage. Allein die Kenntnis von dem anstehenden Arzttermin war Gold wert gewesen. Vom genauen Weckzeitpunkt ganz abgesehen. Daher würde die Frau zunächst keinen Verdacht schöpfen. Auch der Anruf in der Firma hatte genügend Glaubwürdigkeit besessen. Dort dürfte man den Abteilungsleiter ebenfalls nicht vor Nachmittag vermissen. Später spielte das ohnehin keine Rolle mehr. Sollte jemand ihn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen schon früher erreichen wollen, so versuchte man das mit Sicherheit über dessen Handy.
Jetzt huschte ein zynisches Lächeln über das Gesicht des Mörders, denn das Telefon seines zweiten Opfers steckte in der eigenen Tasche. Auch nach dem Aufprall im Treppenhaus war es voll funktionsfähig geblieben. Immerhin hatte er damit gerade die beiden Anrufe getätigt. Einmalig! Absolut einmalig. Ein am Vorabend tödlich Verunglückter ruft mit der imitierten Stimme eines ebenfalls Toten über dessen Handy in der Firma an und begründet seine Abwesenheit mit einem gar nicht stattgefundenen Verkehrsunfall, um dadurch genügend Zeit zu erhalten, sich in den Besitz von Devisen zu setzen, die überhaupt nicht existieren durften.
Nun musste der Mann sich zusammenreißen, um nicht laut aufzulachen. Sein Reisepass lautete noch immer auf den Namen Reinhardt Brieske. Falls man im Nachhinein seinen Flug nach Zürich ermittelte, was unwahrscheinlich war, weil er sicherheitshalber nicht von Berlin, sondern von Frankfurt abflöge, stieße man wieder auf die Spur eines Toten. Auf dessen Pass konnte er zudem nach Erledigung der Hauptsache einen Wagen anmieten und über die Grenze zurück nach München fahren. Erst dann würde er seine frühere Identität wieder annehmen und bis nach Berlin öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Ein perfekter Plan.
Schade, dachte der Mörder bedauernd, das gäbe Stoff für einen erstklassigen Krimi. Aber vielleicht schriebe er später mal alles nieder. Als Memoiren, in zwanzig oder dreißig Jahren. Wenn genügend Gras über die Sache gewachsen war.
Dass er bei weitem gar nicht so alt werden sollte, kam ihm nicht in den Sinn.
Unter dem Pflaster der Züricher Bahnhofstraße lagerte in gepanzerten Gewölben tonnenweise Barrengold. Die meisten Touristen schlenderten unbewusst darüber hinweg und bestaunten die sündhaft teuren Auslagen der exquisiten Läden. Trotz überwiegend moderner Fassaden strahlten die altehrwürdigen Gebäude eine bestimmte Art von Ruhe und Sicherheit aus. Zahlreiche Geldinstitute, teils mit großflächigen Reklamen angezeigt, teils halb versteckt in Seitengassen oder Höfen, prägten das Bild der Gegend.
Der Besucher schenkte diesen Sehenswürdigkeiten nur wenig Aufmerksamkeit. Zielgerichtet strebte er auf einen Durchgang zwischen zwei Häusern zu. Dort hatte man im Hintergrund neben einer schlichten Eichentür ein schlichtes Messingschild angebracht.
LÖBECKE & C O.
Bankhaus
Ohne sich aufzuhalten betätigte der Angekommene den darunter befindlichen Klingelknopf, dabei in eine seitlich oberhalb des Einganges befestigte Fotokamera lächelnd. Als ein Summen ertönte, drückte er gegen die Tür.
Gelassen trat Reinhardt Brieske, alias Steffen Baum, in den altertümlich eingerichteten Vorraum, wo ihn bereits ein livrierter Bediensteter erwartete: "Guten Tag mein Herr. Womit können wir ihnen dienen?"
Ein kurzer Blick streifte die Reisetasche des Kunden.
"Schließfach", entgegnete der Gefragte wortkarg.
"Bitte schön, wenn sie mir folgen wollen."
Beflissen öffnete der Empfangsangestellte eine Tür. Sein Gast ging hindurch und registrierte mit spöttischem Schmunzeln den dicken Holzrahmen des Durchganges. Vermutlich befinden sich Magnetschleifen darin, dachte er amüsiert. Wegen Waffen. Er selbst trug in diesem Augenblick keine bei sich.
Der Livrierte geleitete ihn zu einem mittelgroßen Zimmer und zog sich nach angedeuteter Verbeugung wieder zurück.
Hinter einem mit schusssicherem Glas ausgestatteten und dennoch in gelungener Art dem Stil des holzgetäfelten Raumes angepassten Schalters, hob ein älterer Mann seinen Kopf: "Bitte, nehmen sie Platz. Sie möchten zu ihrem Schließfach?"
Für einen Moment ließ der Mann die unmittelbare Umgebung auf sich einwirken. Trotz aufwendiger und teils unübersehbarer Sicherheitsmaßnahmen fühlt ein Kunde sich davon nicht unangenehm berührt, stellte er anerkennend fest. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Angestellten hinter der Barriere zu, dessen Worte offenbar die unausgesprochene Frage nach der Geheimzahl enthielten.
"Nummer AX 89 352 47."
In Sekundenschnelle tippte der Bankmensch die Ziffern in seine Computertastatur. Schon Augenblicke danach erschien im Monitor ein okay. Auf einen Knopfdruck hin trat durch eine Seitentür, die dem Besucher entgangen war, ein weiterer Angestellter ein. Höflich forderte dieser den Kunden zum Mitkommen auf.
Zwei starke, hintereinander angeordnete Stahlgitter schützten die Kellerräume vor unberechtigtem Zugang. Sollte dennoch jemand einzudringen versuchen, würden Wachleute ihn festgenommen haben, bevor er an sein Ziel gelangte.
Nachdem der Angestellte eines der beiden Schlösser des Schließfaches mit einem bankeigenen Schlüssel entriegelt hatte, trat er von der Wand zurück. "Ich warte im Nebenraum. Wenn sie fertig sind, betätigen sie bitte die Klingel."
Mit klopfendem Herzen steckte der Alleingebliebene den eigenen Schlüssel in das zweite Schloss und drehte ihn herum. Gleich darauf konnte er das Stahlfach mühelos öffnen. Erleichtert zog er einen etwa sechzig Zentimeter langen, ziemlich schweren Blechkasten heraus und stellte ihn auf den Tisch. Dann hob er den Deckel an.
Sein Atem stockte vor Freude. Die vordere Hälfte des Behälters war mit gebündelten Tausendmarkscheinen angefüllt.
Als er seine Fassung zurück gewonnen hatte, begann er die Geldbündel in seine Reisetasche zu packen. Dann betrachtete der vermeintliche Schließfachinhaber interessiert ein im hinteren Teil des Kastens untergebrachtes Päckchen. Format A 4. Auf der Oberseite stand in lediglich ein Wort. „ZEDER.“
War das nicht ein Nadelbaum? Immer grünend? Vorwiegend im Libanon beheimatet? Weshalb aber in Kleinbuchstaben geschrieben? Das machte ihn stutzig.
Für Sekunden verharrte er in Unschlüssigkeit, dann siegte die Gier. Vorsichtig hob er den Fund heraus und verstaute ihn ebenfalls in der Tasche. Dabei achtete er darauf, dass die Packung nicht kippen konnte. Möglicherweise beinhaltete sie einen Sprengsatz, der bei einer bestimmten Schräglage sofort ausgelöst würde. Das Ministerium für Staatssicherheit pflegte früher wichtige Papiere mit derartigen Mechanismen gegen unbefugten Zugriff zu sichern.
Fünf Minuten später stand der Mann wieder im Freien. Jetzt wollte er erst einmal das Geld zählen und die andere Beute genau untersuchen. Kurz entschlossen steuerte er das nächste Hotel an.
Nasskalte Schauer peitschten ohne Unterlass gegen die schwarzgraue Sandsteinfassade. Zu kleinen Bächen vereint, rannen unzählige Tropfen an der verwitterten Wand herab. Längst war das Metallschild neben der Eingangstür blank gewaschen. Trotz schnell hereinbrechender Dämmerung konnten Vorübergehende, an denen es angesichts des unwirtlichen Aprilwetters mangelte, noch die kräftigen, tief schwarzen Buchstaben deutlich erkennen.
DER BUNDESBEAUFTRAGTE
Für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik
Kriminalhauptkommissar Schmolke betrat das Gebäude mit völlig durchnässter Kleidung. Als er an der Pförtnerloge den Dienstausweis vorzeigte, griff der Wachmann zum Telefon:
"Der Herr von der Mordkommission ist da."
Kurz darauf erschien der Behördenleiter persönlich im Eingangsflur: "Guten Tag, Herr Kriminalinspektor. Ich habe sie bereits erwartet."
Der Beamte warf einen verstohlenen Blick auf die nassen Sachen des Kripo-Mannes, bevor er weiter sprach: "Wenn ich ihnen einen Kaffe anbieten darf?"
Schmolke stimmte zu und folgte dem Vorausgehenden in die Hauskantine. Dort legte er seinen Mantel über einen Heizkörper, nahm am Tisch Platz und schaute den anderen fragend an.
Dieser betrachtete das als Aufforderung und begann zu reden: "Tja, was soll ich sagen? Von dem Tod meines Mitarbeiters erfuhr ich erst heute Vormittag. Telefonisch. Schade um diesen Mann. Arbeitete akkurat und vor allem sehr selbständig. Ein Unfall, wie ihr Kollege sagte. Wir sind hier alle ein wenig betroffen. Wie ist es eigentlich passiert, wenn ich fragen darf?"
Hauptkommissar Schmolke setzte die Kaffeetasse ab: "Natürlich dürfen sie. Der Sachverhalt ist ohnehin klar. Mein Besuch bei ihnen ist reine Routine. Herr Brieske kam gestern Abend gegen dreiundzwanzig Uhr ums Leben, als er versuchte, eine Gleisanlage zu überqueren. Dabei wurde er von der Bahn erfasst."
Nun war der Dienststellenleiter erstaunt: "Gleisanlage? Sie meinen mit dem Auto? Am Bahnübergang?"
"Nein. außerhalb der Straße. Zu Fuß. Er war betrunken. Das ergibt sich aus dem vorläufigen Bericht."
"Nun bin ich aber platt", entgegnete der Beamte verwirrt: "An unseren Betriebsveranstaltungen hat er sich nicht beteiligt. Weil es dort immer hoch herging. Daher nahm ich an, er trinkt keinen Alkohol."
Nun lächelte Schmolke nachsichtig: "Das muss nichts bedeuten. Ich möchte gern mal seinen Arbeitsplatz ansehen."
Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, führte ihn der Dienststellenleiter in das Arbeitszimmer des Verunglückten. Beeindruckt pfiff der Kripo-Mann durch die Zähne, als er die Aktenregale begutachtete: "Da haben sie ja noch allerhand zu tun."
"Was sie hier sehen, ist längst nicht alles. Allein im Hauptlager stehen noch etliche hundert Säcke mit zerschnipseltem Aktenmaterial. Das durften wir bislang in mühevoller Handarbeit zusammensetzen. Außerdem haben wir in jeder ehemaligen Bezirksstadt Zweigstellen mit weiteren Archiven. Dort sieht es ganz ähnlich aus."
"Muss ja ein mächtiger Apparat gewesen, dieses MfS,“ stellte Schmolke anerkennend fest: "Man begreift es erst richtig, wenn man die Hinterlassenschaften mit eigenen Augen sieht." "Sicher, wahrscheinlich haben wir noch viele Jahre zu tun, um alles aufzuarbeiten. Zum Glück hat man uns eine Software in Aussichtgestellt, die eingescannte Fragmente im Computer automatisch verbindet."
Mit einem kräftigen Ruck schob Schmolke unterdessen den Schreibtisch des Toten beiseite, so dass er mit der Hand in eine Nische neben dem Heizkörper greifen konnte. Nacheinander holte er dort etliche leere Flaschen hervor. Eine davon hob er nah an sein Gesicht, um das Etikett besser betrachten zu können: "Ziemlich hochprozentig. In der Wohnung steht eine ganze Batterie davon."
Kopfschüttelnd ließ sich der Dienststellenleiter auf einen Stuhl nieder: "Ein heimlicher Trinker? Hätte ich niemals für möglich gehalten."
Hauptkommissar Schmolke ging nicht darauf ein. Ihm war so etwas nicht neu. Aus seiner Aktentasche nahm er einen durchsichtigen Beutel mit mehreren Schlüsseln: "Haben wir bei der Leiche gefunden. Können sie dazu etwas sagen?"
Durch das Zellophan schob der Gefragte den Schlüsselbund auseinander.
"Diese beiden da sind von uns. Für Büro und das Archiv. Brieske hatte unbeschränkten Zugang. Allerdings..."
"Was wollten sie sagen?" stieß der Kriminalist sofort nach, als der Beamte stockte.
"Eigentlich durfte er sie nicht mit aus dem Gebäude nehmen. Bei Verlassen der Dienststelle sind sämtliche Schlüssel beim Wachschutz zu hinterlegen."
Schmolke überlegte einige Sekunden: "Wie wird das in der Praxis gehandhabt?"
Offenbar schien er an eine wunde Stelle gekommen zu sein, denn der andere rückte mit der Hand seinen Schlipsknoten hin und her, während er verlegen zu Boden sah. Endlich gestand er: "Wissen sie...was soll ich sagen...so genau nimmt das niemand."
"Dachte ich mir doch. Damit ist die Sache klar." Der Hauptkommissar steckte den Beutel zurück in seine Tasche.
"Braucht die Gerichtsmedizin noch. Wird ihnen später zugestellt. In den nächsten Tagen kommt ein Mitarbeiter vorbei. Wegen dem Protokoll für die Akten. Das mit den Schlüsseln brauchen sie dort nicht zu erwähnen. Der Fall ist ohnehin so gut wie abgeschlossen."
Zweiunddreißig, dreiunddreißig," zählte der Mann. Alles Bündel zu je hundert Tausendmarkscheinen.
Angeregt blickte er auf die Stapel. Insgesamt dreieinhalb Millionen, dachte er zufrieden und legte das Geld auf die Überdecke des Hotelbettes. Vorsichtig nahm er dann das Päckchen vom Nachtschrank und trug es zum Tisch. Mit seinem Taschenmesser löste er jetzt das grüne MfS-Prägesiegel. Eine rundum geklebte Folie zog er behutsam ab. Danach entfernte er die Hülle aus grobem Packpapier, sorgsam darauf bedacht, den Inhalt keiner Erschütterung auszusetzen. Fünf Minuten später lächelte er selbstsicher. Er hatte Recht behalten.
Fachkundig setzte er mit wenigen Handgriffen einen Mechanismus außer Betrieb, der bei einer bestimmten Schräglage aktiviert wurde. Allerdings sollte er keine Sprengladung, sondern lediglich eine chemische Reaktion auslösen. Dabei entstünde ein spezieller Farbstoff, der in Sekundenschnelle sämtliche in unmittelbarer Umgebung befindliche Gegenstände behaftete. Derartig präparierte Geldscheine taugten höchstens noch als Toilettenpapier. Gleichzeitig bewirkte die Substanz eine vollständige Auflösung der aus Spezialpapier bestehenden Schriftstücke im Inneren des Päckchens.
Während der Dieb in der Akte blätterte, breitete sich auf seinem Gesicht zunehmend eine ungesunde Blässe aus.
"Um Gottes Willen", murmelte er dann entsetzt: "Worauf hab ich mich bloß eingelassen."
Was er da vor seinen Augen liegen sah, übertraf alle Erwartungen um ein Vielfaches. Bestechlichkeit und Abartigkeit von verschiedenen einflussreichen Politikern bis hoch in Regierungen verschiedener, europäischer Staaten. Alles mit umfangreichen Dossiers und reichlich Fotomaterial belegt. Dagegen verblassten Skandale wie die Enttarnung des Kanzlerberaters als DDR-Spion, zu Bühnenstücken drittklassiger Boulevardtheater. Ungeheuerlich!
Das alles wollte man einsetzten, um die Betroffenen zu manipulieren. Schritt für Schritt sollte damit der Boden für eine Revolution vorbereitet werden. Unter direkter Leitung der alten Genossen. Von den dort verzeichneten Namen waren ihm einige von seiner früheren Tätigkeit beim MfS bekannt.